8 Kurt von Figura: Geleitwort Abb. 2: Die neue Sternwarte bey Göttingen ; Stammbuchblatt verlegt bei Wiederhold, Sign. Grape fec., Besitzer Frederic Hessman. Abb. 3: Private Widmung auf der Rückseite des o.a. Stammbuchblattes vom 24. Februar 1828 : „Freundlich lächle Dir die frühe Sonne, Lieblich blinke Dir der Abendstern, …..“ Klaus Beuermann: Vorwort 9 druck der prächtigen Farbtafeln eine Einführung in Borhecks Werk und fünf Abhandlungen zur architekturgeschichtlichen Einordnung der Göt- tinger Sternwarte, zu wissenschaftshistorischen Aspekten, zur Baugeschichte sowie der geplanten Rekonstruktion ihres Hauptgebäudes und zu Carl Friedrich Gauß’ Wirken in der Sternwarte. Ausgehend von einer früheren Transkription Vorwort Horst Michlings wurden Fehler beseitigt und eine völlig neue digitalisierte Textversion erstellt. Da- bei wurde die zeitgenössische Orthografie – auch bei unterschiedlicher Schreibweise des gleichen Wortes − sowie die etwas gewöhnungsbedürftige Die Göttinger Universitäts-Sternwarte hat durch Zeichensetzung beibehalten. Einige von Borheck ihre bedeutenden Direktoren, darunter Carl in lateinischen Buchstaben eingefügte Worte Friedrich Gauß und Karl Schwarzschild, als Insti- wurden dem Original entsprechend hervorgeho- tution Weltgeltung gewonnen. Als Bauwerk ist ben und Zitate, insbesondere die gutachterlichen sie ein nationales und europäisches Denkmal Äußerungen des Gothaer Astronomen Freiherr ersten Ranges, das zum Zeitpunkt seiner Entste- von Zach, kursiv gesetzt. hung vor 200 Jahren bereits aufgrund seiner Mein Dank als Herausgeber gilt in erster Li- richtungsweisenden Konstruktion große Bedeu- nie den beteiligten Einrichtungen der Universität, tung besaß. Der Bauentwurf wurde von dem die eine Veröffentlichung dieser Schrift zum 200. Göttinger Universitätsbaumeister Georg Hein- Jahrestag ihrer Entstehung im Gaußjahr 2005 rich Borheck in seinem Manuskript „Grundsätze ermöglicht haben. Sie setzen damit anlässlich des über die Anlage neuer Sternwarten mit Bezie- Umzugs der Astrophysik in den Neubau der hung auf die Sternwarte der Universität Göttin- Physikalischen Institute und anlässlich des bevor- gen“ beschrieben, das bis heute in der Universi- stehenden Wechsels in der Nutzung der Stern- täts-Sternwarte verwahrt wird. warte ein Zeichen, das die besondere Bedeutung Borhecks Manuskript ist in zweierlei Hinsicht dieses Baus hervorhebt. Großen Dank schulde ungewöhnlich. Zum einen ist das in feiner Sütter- ich auch der Niedersächsischen Staats- und Uni- lin-Schrift verfertigte und 1805 datierte Manu- versitätsbibliothek, die sich mit ihrem Verlag und skript ein Unikat. Zum anderen ist eine so detail- den an der Herstellung der Abbildungen beteilig- lierte Beschreibung der architektonischen Kon- ten Personen diesem Vorhaben mit großem En- zeption, der technischen Konstruktion sowie der gagement gewidmet hat, insbesondere Margo Begründung der Erstausstattung an Teleskopen Bargheer und Martin Liebetruth. Schließlich und sonstigen Messgeräten für ältere Sternwarten danke ich allen Kollegen, die mir mit Informati- selten. Borhecks Text bezieht sich im Titel aus- onen geholfen haben, insbesondere Axel Witt- drücklich auf Göttingen, doch sind die meisten mann und Hartmut Grosser. Patrick Hessman seiner Argumente allgemeiner Natur und können danke ich für die Herstellung der elektronischen mit Recht auf jeden Sternwartenbau um 1800 Version des Borheckschen Manuskripts und bezogen werden. Die von Borheck 1805 ange- meiner Frau Ingrid für ihr Verständnis angesichts strebte Publikation war deshalb sinnvoll, schei- langer mit der Edition verbrachter Abende. terte aber an den kriegerischen Zeiten und an absonderlichen Zufälligkeiten. Die Historie die- Göttingen, im Januar 2005 Klaus Beuermann ses Vorhabens wirkt in manchen Aspekten wie eine Kriminalgeschichte mit diversen Verschleie- rungen. Auch nach 200 Jahren bleibt Borhecks Manu- skript ein bedeutendes Dokument, das hier zum ersten Male der Öffentlichkeit zugänglich ge- macht wird. Zur Seite gestellt werden der Transkription des Originaltextes und dem Ab- 10 Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts zwei ebenerdige Meridiansäle − neben einem noch recht unzweckmäßig konzipierten, an anti- kem Vorbild orientierten, zentralen Turm. In Göttingen war 1762 Tobias Mayer gestor- ben, der Direktor der ersten, noch kleinen Göt- tinger Sternwarte auf einem Turm der alten Stadtmauer. Diese alte Sternwarte wurde anschlie- ßend von den Mathematikern Lowitz und Käst- Vorgeschichte und ner verwaltet, bis 1789 Karl Felix von Seyffer als Odyssee des Borheckschen a.o. Professor für Astronomie berufen wurde1. Manuskripts Auch ohne hauptamtlichen Astronomen setzte sich die Universität, wohl auch unter dem Ein- fluss von Lichtenberg, für die Astronomie ein und erweiterte das Inventar um bedeutende In- strumente, wie damals üblich, meist in Form königlicher Geschenke. So ist das große Spiegel- von Klaus Beuermann, Göttingen teleskop von Herschel an die alte Sternwarte gekommen, das dieser im Juli 1786 selbst aufbau- Der Bau der Göttinger Sternwarte erfolgte vor te2. Zu Seyffers Zeit wurde 1791 erstmals der dem Hintergrund astronomischer Entdeckungen Antrag auf den dringend erforderlichen Ersatz gegen Ende des 18. Jahrhunderts, die das Welt- der unzulänglichen Sternwarte auf der Stadtmau- bild veränderten und die Stellung der Astronomie er durch einen adäquaten, dem wissenschaftli- als Naturwissenschaft stärkten. Zunehmende chen und technischen Stand entsprechenden Bedeutung erlangte die Astronomie im 18. Jahr- Neubau gestellt und in den Folgejahren wie- hundert auch im Vermessungswesen zu Lande derholt, bis schließlich 1802 König Georg III und auf See, einem besonderen Anliegen der die Summe von 22680 Talern für den Neubau staatlichen Verwaltungen. In Frankreich und in bewilligte1. Großbritannien waren vor diesem Hintergrund Mit dem Entwurf und Bau der neuen königli- bereits ein Jahrhundert früher das Observatoire chen Sternwarte in Göttingen wurde der Univer- de Paris (1667) bzw. das Royal Greenwich Ob- sitäts-Baumeister Georg Heinrich Borheck servatory (1675) gegründet worden. In Deutsch- (1751-1834) betraut. Borheck nahm die neue land existierte selbst um 1800 noch keine von Aufgabe zum Anlass, sich intensiv mit dem einem Landesherrn für öffentliche Aufgaben Sternwartenbau zu beschäftigen und insbesonde- erstellte und als solche entworfene größere re zu klären, worin die Mängel bisheriger Bau- Sternwarte. Der für Göttingen zuständige Lan- werke bestünden und welche Anforderungen von desherr und gleichzeitig der Rector magnificen- fachastronomischer Seite an ein ideales, auf dem tissimus der Göttinger Universität war seit 1760 neuesten Stand der Architektur und Technik König Georg III, in Personalunion Kurfürst von stehendes Gebäude zu stellen seien. Er konnte Hannover, Enkel und Nachfolger von Georg II sich dabei auf ausführliche Gutachten von zwei (Georg August), dem Gründer der Göttinger namhaften Experten stützen, Justizrat Hierony- Universität. Er war der Adressat für die Bemü- mus Schröter (1745–1816), der die private Stern- hungen der Universität Göttingen, eine den An- warte in Lilienthal bei Bremen betrieb, und Franz forderungen der Zeit entsprechende Sternwarte Xaver von Zach (1754–1832), dem Direktor der zu errichten. Seeberger Sternwarte. Drei im späten 18. Jahrhundert errichtete Sternwarten sind baugeschichtlich bedeutsam, die von Dr. John Radcliffe privat finanzierte Stern- warte in Oxford/England (1772–1778), das Dunsink Observatory des Trinity College in 1 H.-H. Vogt, Geschichte der Göttinger Sternwarte, Dublin/Irland (1783–1785) und die private GEORGIA AUGUSTA, Mai 1992 2 H. Grosser, Historische Gegenstände an der Universitäts- Sternwarte des Herzogs von Sachsen Gotha und Sternwarte Göttingen, Ein Katalog zum 250-jährigen Beste- Altenburg auf dem Seeberg bei Gotha (1787– hen der Sternwarte, herausgegeben von der Akademie der 1789). Die Sternwarte in Oxford erhielt als erste Wissenschaften zu Göttingen, Kommission für historische Apparate. Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts 11 12 Abb. 4: Vorherige und diese Seite: Faksimile des Edikts von König Jérôme Bonaparte vom 14. Juli 1810, in dem dieser den Weiterbau der Sternwarte nach dem Plan und Anschlag Borhecks befiehlt und 200.000 Francs als Bausumme verteilt über fünf Jahre bereitstellt. Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts 13 Franz Xaver von Zach kannte die Radcliffesche und Pulkowo/St. Petersburg (1839, im zweiten Sternwarte in Oxford aus eigener Anschauung Weltkrieg zerstört und modernisiert wieder auf- und hatte im Auftrage des Gothaer Herzogs die gebaut). erste nach rein wissenschaftlichen Gesichtspunk- Borheck hat die sehr umfangreichen und de- ten konzipierte Sternwarte auf dem Kontinent taillierten Überlegungen der Grundsätze, die bei errichtet. Dazu gehörten die ebenerdige Anlage der Anlage neuer Sternwarten zu bedenken sind, und eine sorgfältige Fundamentierung der In- in seinem zweibändigen Werk niedergelegt, das strumentenpfeiler unabhängig vom Gebäude, so 1805 veröffentlichungsreif war. Es besteht aus dass schwere Instrumente installiert werden dem 135-seitigen Sütterlin-Manuskript und einem konnten und sich ihre Genauigkeit voll aus- Band mit den sechs den Text ergänzenden Farb- schöpfen ließ. Von der gesamten Investition von tafeln sowie sechs weiteren z.T. farbigen techni- 56000 Talern wurden allein 20000 Taler für die schen Zeichnungen. Die Abbildungen geben instrumentelle Erstausstattung ausgegeben3. Auf- sowohl einen ersten Entwurf von 1802 ohne bauend auf den Erfahrungen Schröters und Seitenflügel wieder, wie er wohl für einen zu- Zachs gelang Borheck die Konzeption eines sehr nächst ins Auge gefassten Standort auf dem Wall fortschrittlichen Gebäudes, das die Fehler frühe- in Verlängerung der Nicolaistraße geplant war, rer Bauten weitgehend vermied. Durch den als auch den zweiten stärker klassizistischen kriegsbedingten Baustopp war es Borheck nicht Entwurf von 1803, der zusätzlich die Wohntrakte vergönnt, den Bau der Göttinger Sternwarte zu enthält. Die Ähnlichkeit des zweiten Entwurfs vollenden, und ein Jahrzehnt später, als der Bau mit der Gothaer Sternwarte ist unverkennbar. wieder aufgenommen wurde, entsprach das äuße- Die symmetrische Anlage des Baus mit zwei re Erscheinungsbild seiner Konzeption nicht architektonisch gleich gestalteten Flügeln, jeweils mehr dem Zeitgeschmack. Seine technische bestehend aus Meridiansaal, Vorbereitungssaal Konstruktion wurde jedoch beibehalten und so und Wohntrakt, wurde mit den Ansprüchen ein dauerhaftes und für lange Zeit vorbildliches sowohl von Seiten der Wissenschaft als auch der Sternwartengebäude geschaffen. Auch bei der Lehre begründet. So sollten im Westflügel die Umgestaltung 1887/88 wurde die grundlegende qualitativ besten Instrumente für die fortgeschrit- Konstruktion nicht verändert und erst Anfang tene Forschung stehen, während der Ostflügel des 20. Jahrhunderts, als sich unter dem Direktor der Lehre gewidmet und z.T. mit den noch sehr Karl Schwarzschild der Übergang zur modernen guten Instrumenten aus der alten Sternwarte Astrophysik anbahnte, war die auf die Positions- eingerichtet werden sollte. Für die Ausbildung astronomie ausgerichtete technische Konzeption spielte die Astronomie nicht nur als reine, son- des Gebäudes nicht mehr zeitgemäß4. Trotzdem dern auch als angewandte Wissenschaft eine hat sich dieser Bau aufgrund des beträchtlichen Rolle, mit Bedeutung für die Geodäsie, die Kar- Platzangebots bis heute bewährt. Die Göttinger tographie und die Seefahrt. Diese Konzeption Sternwarte ist die einzige verbleibende deutsche wird in Borhecks Schrift als einmalig in Deutsch- Sternwarte aus der Zeit vor 1870 und, nach Paris land − vielleicht in ganz Europa − bezeichnet6. und Dublin, die drittälteste Sternwarte der Welt Dabei wurde als Grundsatz akzeptiert, dass die in originaler Nutzung5. In den folgenden Jahr- vorgesehene Vereinigung von Lehr- und For- zehnten des frühen 19. Jahrhunderts entstanden schungsaufgaben „nur sehr unvollkommen erreicht ähnliche Gebäude u.a. in Neapel (1820), Ham- würde, wenn die Sternwarte von den übrigen akademi- burg (1825, abgebrochen 1912), Kapstadt (1828), schen Lehranstalten beträchtlich entfernt wäre“7, was Helsinki (1834), Berlin (1835, abgebrochen 1915) z.B. gegen den ebenfalls diskutierten Standort auf dem Hainberg sprach. Der Bau der beiden Wohntrakte, einer für den Direktor und der an- 3 M. Strumpf, Gothas astronomische Epoche, Geiger Ver- lag, 1998. − Nach Tod des Herzogs 1804 musste Franz Xaver von Zach andere Aufgaben am Hof übernehmen und 6 Die zwei Meridianinstrumente der Seeberger Sternwarte unter dem neuen Herzog ließ die Unterstützung für die dienten nur der Forschung und die Adaption dieser Kon- Seeberger Sternwarte nach, 1840 wurde sie aufgegeben und struktion wurde in Göttingen anders begründet. Georg III 1858 abgebrochen. und später Jérôme Bonaparte unterstützten die vorgeschla- 4 Es wurden jedoch noch bis in das Jahr 1923 hinein Inves- gene aufwändige Konzeption jedoch offenbar ohne Vorbe- titionen am Reichenbergschen Meridiankreis getätigt. halte. 5 Dies gilt bis zum Umzug der Göttinger Astrophysik in 7 Dieses und das folgende Zitat entstammen dem in diesem den Physik-Neubau im Jahre 2005. Band abgedruckten Text Borhecks. 14 Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts dere für einen zweiten einzustellenden Beobach- Tatsache, dass diese einen wesentlichen Prozent- ter, wurde mit der enorm erhöhten Funktionalität satz der Bausumme ausmachen würde, zweifellos begründet, denn „wenn eine Sternwarte ganz ihren bewusst und hat diese Kostenaufstellung über- Zweck erfüllen und nicht blos des Nahmens oder der zeugend in seine „Grundsätze“ eingeschlossen. Zierde wegen dastehen soll, so muß mit derselben die Zum Vergleich seien die Erstausstattungsmittel Wohnung des Observators ..... in unmittelbare Verbin- für den Neubau der physikalischen Institute der dung gesetzt ..... seyn ..... denn es treten bei Tage und des Universität Göttingen (2002 − 2005) genannt. Sie Nachts unzählbare Fälle ein, da der Beobachter augen- liegen bei 30% der Baukosten. Sowohl die Göt- blicklich seine übrigen Geschäfte unterbrechen und zu den tinger als auch vorher die Gothaer Sternwarte Instrumenten eilen muß.“ wurden also vergleichsweise sehr gut mit Instru- Die von Borheck übernommenen Empfeh- menten ausgestattet. lungen Zachs enthalten eine lange Liste der er- Auf der Grundlage des Befehls Georgs III forderlichen Instrumente bester Provenienz und wurde der Bau der Sternwarte, wie Borheck in deren Kosten. Addiert man die Einzelpositionen seiner Vorrede berichtet, im Frühjahr 1803 be- auf, so kommt man für die instrumentelle Erst- gonnen. Wegen der erneuten kriegerischen Aus- ausstattung auf die erstaunliche Summe von einandersetzungen wurden jedoch 1804 alle kö- mehr als 2000 Guineas8, was einem Äquivalent niglichen Bauten eingestellt. Zu diesem Zeit- von 15000 Talern oder 2/3 der ursprünglich punkt war der Bau bis zu einer Höhe der bewilligten Bausumme entspricht. Die Gesamt- Grundmauern von 6 Fuß über dem gewachsenen summe der später wirklich durchgeführten Be- Grund und damit bis zur Terrassenhöhe gedie- schaffungen, die Bedeutung dieser Instrumente hen. Borheck zog sich zurück und konzentrierte im realen Beobachtungsbetrieb und die Finanzie- sich auf die Vorbereitung seines Manuskripts zur rungsmodi9 bei ihrer Beschaffung wären einer Veröffentlichung. besonderen Untersuchung wert. Der Gesamt- An der Göttinger Universität gingen die ge- aufwand dürfte beträchtlich gewesen sein10. Tat- planten Berufungen weiter voran. Im Vorgriff sächlich beließ es Gauß nicht bei der Anschaf- auf die neuen Arbeitsmöglichkeiten wurde 1805 fung eines Meridiankreises („ganzen Kreises“), wie Ludwig Harding, der 1804 in Lilienthal den drit- von Zach und Borheck vorgeschlagen sondern ten Planetoiden Juno12 entdeckt hatte, als a.o. beschaffte sinnvollerweise deren zwei, 1818 den Professor und Inspektor an die Sternwarte beru- Repsoldschen Kreis aus Hamburg für den Ost- fen. Carl Friedrich Gauß, der durch seine Bahn- flügel (Abb. 24) und 1819 den sehr genauen Rei- berechung des 1801 von Giuseppe Piazzi ent- chenbachschen Kreis für den Westflügel. Mit deckten ersten Planetoiden Ceres Weltruhm dem Repsoldschen Kreis hat Harding seine Beo- erlangt hatte13, folgte 1807 als o. Professor und bachtungen für den Atlas novus coelestis von Direktor der Sternwarte. Diese Berufungen er- 1822 gemacht. Der Reichenbachsche Kreis wur- folgten vor dem Hintergrund der neuen Entwick- de von Gauß u.a. für die Landesvermessung lungen auf dem Gebiet der Kosmogonie. Seit eingesetzt und war für ein Jahrhundert das babylonischen Zeiten kannte man sieben sich Hauptinstrument der Sternwarte11. Borheck war bewegende Himmelskörper in einem anschei- sich bei der Abfassung seiner Schrift der Bedeu- nend keinen Änderungen unterworfenen tung der instrumentellen Ausstattung und der Kosmos14. 8 1 Guinea = 21/20 Pfund Sterling entsprach etwa 7 Talern, 1 Pistole (spanische Goldmünze) entsprach etwa 5 Talern 12 Der zweite Planetoid Pallas wurde 1802 von Olbers und 1 Taler = 3 Mark der deutschen Goldwährung. (1758−1840) in Bremen entdeckt. 9 Viele der kostspieligen Instrumente waren Geschenke des 13 Piazzis Beobachtungen vom 1.1.−11.2.1801 wurden im Königs oder von Mitgliedern der königlichen Familie. Septemberheft der von Zach im Jahre 1800 gegründeten 10 Siehe hierzu auch die Ausführungen von David Aubin in Fachzeitschrift Monatliche Correspondenz veröffentlicht und diesem Band. bereits im Dezemberheft wurde die Berechnung der Bahn 11 Zu seiner exakten Ausrichtung wurden 12 km südlich der durch Gauß mitgeteilt, die ihm mit seiner Methode der Sternwarte auf dem Steinkopf bei Friedland das noch exis- kleinsten Quadrate gelang. Vergleichbar schnell publizierte tierende Meridianzeichen und ein entsprechendes abgegan- später Karl Schwarzschild, ein anderer Direktor der Göttin- ges im Norden errichtet. In der Entfernung des Friedländer ger Sternwarte, die allgemeine Lösung der Bewegung eines Zeichens entspricht die Genauigkeit des Reichenbergschen Körpers in der Umgebung eines nichtrotierenden schwarzen Kreises von besser als 1 Bogensekunde einer seitlichen Lochs nur wenige Monate nach Bekanntwerden der Verschiebung von wenigen Zentimetern. Durch Mittelung Einsteinschen allgemeinen Relativitätstheorie im Jahre 1915. vieler Messungen ist damit die Lage des Nullpunkts der 14 Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn, hannoverschen Landesvermessung sehr genau bestimmt. die Namenspaten der sieben Wochentage. Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts 15 16 Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts Abb. 5: Vorherige und diese Seite: Faksimile des Briefs des Generaldirektors des öffentlichen Unterrichts bei der Regierung des Königreichs Westfalen in Kassel, Staatsrat von Leist, vom 23. Juli 1810 an den Prorektor der Univer- sität Göttingen, mit dem er der Universität das Edikt König Jérômes mit der Aufforderung zustellt, den Bau der Sternwarte fortzusetzen und dieser Bewilligung den größtmöglichen Grad der Publizität zu geben. Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts 17 Ende des 18. Jahrhunderts jedoch führten bahn- (1729−1812)16, der sich erboten hatte, über brechende Entdeckungen und Theorien inner- Christian Ludwig Stieglitz17 in Leipzig einen Ver- halb weniger Jahrzehnte zu einem Paradigmen- leger zu finden. Dies misslang jedoch und Heyne wechsel. Eckpunkte dieser Entwicklung waren schrieb Borheck mit Datum vom 19. Juli 180518: Herschels Uranus-Entdeckung 1781, die Entde- Unser Projekt, in Leipzig einen Verleger für Ihre Ge- ckung der ersten Planetoiden zwischen Mars und schichte der Sternwarte zu finden, ist nicht gelungen: sehen Jupiter ab 1801, die Kant-Laplacesche Theorie Sie, hochgeschätzter Herr Oberbaucommissär, beygelegtes der Entstehung des Planetensystems (1755, Schreiben des Herrn Dr. Stieglitz an, so werden Sie nicht 1796), die Gaußsche Bahnberechnung der Ceres weniger unzufrieden seyn als ich es bin. Ich muß also 1801 und die nachfolgende Entwicklung der herumdenken u. abwarten wo sich einmal eine Gelegenheit Störungstheorie, die schließlich zur Voraussage zeiget zum Zwecke zu kommen. Was sagen Sie zu dem der Position des noch unbekannten Neptun Vorschlag von Einrücken in das Berlinsche Journal an durch Le Verrier und seine Entdeckung 1846 honorarium wird da aber nicht zu denken seyn. Nun durch Johann Gottfried Galle (1812 − 1910) müssen Sie ja wohl ein wenig eingerichtet seyn in Ihrem führte15. neuen Haußhalt. Die ietzigen warmen Tage geben bessere Dies mag einen Eindruck von der Euphorie Hoffnung als die vorigen. Mit den besten Wünschen geben, mit der man um 1803 den kommenden beharre ich ergebenst Heyne Entwicklungen in der Astronomie entgegensah. Ergänzt werden muss dieses Bild durch die wich- Hierauf beließ Borheck seine Unterlagen weiter tigen Anwendungsgebiete der Astronomie im in Heynes Obhut, der sie wiederum an Stieglitz Vermessungswesen. Vor diesem Hintergrund ist in Leipzig übergeben hatte. die Schrift Borhecks zu bewerten, mit der er Die Universität Göttingen betrieb während- Maßstäbe für den Bau neuer Sternwarten setzte. dessen den Weiterbau der Sternwarte auch unter Borhecks Untersuchungen gehen über seine dem seit 1807 auf „chateau Royal de Napoléonshöhe“ Aufgaben als Baumeister der Sternwarte sicher- in Kassel residierenden König Jérôme Bonaparte lich weit hinaus. und erreichte schließlich im Frühjahr 1810 die Bei der Herstellung der feinen Risse hatte Bereitstellung von 200000 Francs verteilt auf Borheck seine ohnehin schwachen Augen offen- fünf Jahre. Das vom 14. Juli 1810 datierte Edikt bar überanstrengt. Nach Erliegen der Bautätig- Jérômes19 sagt in Artikel 1: „Il sera construit un keit nahm er deshalb seinen Abschied und suchte nouvel observatoire a Göttingen d’après le plan et le devis ab Juni 1805 Erholung auf dem gepachteten dressé par le Sr. Borheck, architecte de l’Université, les Landgut im Hessischen (s. seine Nachschrift). quel plans et devis nous avons approuvé et approuvons.“ Borheck sah sein Manuskript und die Pläne als Zu diesem Zeitpunkt lagen Borhecks Manuskript sein persönliches Eigentum an und versuchte und seine Pläne in Kassel vor und dienten der diese zu veröffentlichen. Göttinger Verleger Regierung dazu, Entwurf und Kosten zu prüfen. wollten sich jedoch auf seine anspruchsvollen Das Edikt, in dem ausdrücklich auf den von Forderungen hinsichtlich des Drucks nicht ein- Borheck erstellten Plan und Bauanschlag verwie- lassen. Deshalb übergab er beide Bände dem sen wird, stellte der Generaldirektors des öffent- einflussreichen Direktor der Göttinger Biblio- lichen Unterrichts, Staatsrat von Leist, mit thek, Justizrat Christian Gottlob Heyne Schreiben vom 23. Juli 1810 dem Prorektor der Universität Göttingen zu20 und fügte hinzu: „...und ersuche Sie dasselbe bey sämtlichen Professoren 15 Vergleichbar mit diesem Aufbruch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist die intensive neuerliche Beschäftigung mit 16 Heyne war als Professor für klassische Philologie Mitglied Planetensystemen seit etwa 1995 aufgrund der Entdeckung der Philosophischen Fakultät und war als solcher auch mit vieler größerer Körper im Edgeworth-Kuiper-Gürtel, dem der Sternwarte befasst, z.B. wirkte er als Prüfer für deren äußersten Teil unseres Sonnensystems, und die Entdeckung Inventarlisten und zeichnete diese gegen. von mehr als 100 Planeten um andere Sterne. Zu unserem 17 Verfasser einer Enzyklopädie der Bürgerlichen Baukunst, Sonnensystem gehören der von Claude Tombaugh entdeck- s. auch Fußnote 1 im Beitrag von Christian Freigang. te „Planet“ Pluto (1930) und die nur wenig kleineren Plane- 18 Borhecks Manuskript sind neben der Nachschrift die drei toiden Quaoar (2002) und Sedna (2004). Bei der Benennung der letzteren wurde mit der Tradition der Namensgebung Briefe Heynes beigeheftet, die hier vollständig wiedergege- auf Basis der griechischen Mythologie gebrochen und Na- ben sind. 19 Universitätsarchiv Göttingen, Kuratoriumsakten. men aus der Mythologie der amerikanischen Ureinwohner verwendet. 20 Universitätsarchiv Göttingen, Kuratoriumsakten. 18 Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts circuliren zu lassen, so wie Sie überhaupt bemüht seyn heraus; die Bausachen zumahl gehen ganz durch den werden, dieser großen Königlichen Gnadenbezeugung den Präfect; der arme Oppermann hat eine klägliche Rolle. möglichst größten Grad der Publizität zu geben.“ Der Wo aber ist eine Lage, die nicht kummervoll wäre! Könn- Weiterbau der Sternwarte ging nun planmäßig ten Sie nur einigermaaßen Brod durch die Land- voran und wurde auch durch den nochmaligen wirthschaft erwarten: so wären Sie glücklicher. Danken Regierungswechsel 1813 nur kurz unterbrochen. Sie dem Himmel daß Sie nicht hier geblieben sind: Ihre Im Herbst 1816 war die Sternwarte bezugsfertig. Lage wäre noch schlimmer geworden. Hier ist der gemeine Obgleich Borheck anscheinend 1809 versuchte, Trost: es könnte alles noch schlimmer seyn. Uberlegen Sie wieder Einfluss auf das Baugeschehen zu erlan- alles, und geben Sie mir gewünschten Nachrichten. gen21, wurde die Leitung nun dem viel jüngeren Aufrichtig beharre ich Justus Heinrich Müller (1783–1825) übertragen, Euer Wohlgebohren Ergebenster Freund u. Diener der 1810 zum Distrikts-Ingenieur für öffentliche Heyne Gebäude und 1814 zum Kloster- und Universi- tätsbaumeister22 ernannt wurde. Am 29. Januar 1810 schrieb der 80-jährige Heyne Die zu erwartende Entscheidung der Regie- schließlich noch einmal an Borheck: rung in Kassel zum Weiterbau der Sternwarte Ich bedaure es herzlich, daß ich nach allem Herumsuchen muss schon länger im Raume gestanden haben, u. Herumdenken u. Herumfragen von den von Ew. denn Borheck schrieb bereits am 30. November Wohlgbn. bemerkten 2 Heften doch auch nicht die ge- 1809 an Heyne, anscheinend mit der Bitte um ringste Spur entdecken kann. Auf der Bibliothek haben Rückgabe seines Manuskripts. Heyne antwortete sie nicht gehört; ich für mich wüßte nichts anzufangen ihm mit Brief vom 8. Dezember 1809, dass er (anzufragen?) gewußt haben; Wahrscheinlich müssen Sie alle Bauakten (bereits 1807) an die Präfektur in aus Leipzig vom Hrn. Dr. Stieglitz, der das Werk un- Kassel habe abgeben müssen, darunter vermut- terbringen sollte, nicht wieder zurück gekommen seyn: wo lich auch Borhecks Manuskript und Pläne: von ich wie Sie keine Erinnerung habe, ob, wie u. an wen Wohlgebohrener, Hochzuehrender Herr und Freund die Zurückschickung geschehen seyn mag. Ich habe seinen Brief aufgesucht, kan aber nichts daraus nehmen; will ihn Oft habe ich an Ihre Lage bey unsern traurigen Zeitum- indessen doch zur Einsicht bey legen. Vielleicht haben Sie ständen gedacht, und Sorge getragen − aber Ihr Brief vom ein besser Gedächtniß. 30. Nov. hat mich innig bekümmert und traurig gemacht; denn alles ist noch schlimmer als ich befürchtet hatte. Wind von neuem Bauen ist hier genug gemacht; zuverläs- Viele Hoffnung habe ich von dem erwünschten Erfolg sig ist noch nichts, am wenigsten der Fonds woher. Ich Ihrer neuen Rückkehr zu den Baugeschäften nicht, da ich wünsche Ihnen Muth und Fassung Ihr Schicksal zu die überhäufte Concurrenz und den Vorzug der Auslän- ertragen und voraus Gesundheit, für welche alles doppelt der mehr als zu gut weiß aus den hiesigen Ereignissen. dünkt. Dies empfinde ich bey dem veränderlichen Witte- Fraglich ist, ein Versuch zu machen. Leider habe ich von rung. allen Ihren Rissen nichts in Händen, ich habe alles an Leben Sie wohl. Ergebenst H. den Präfect abgeben müssen um es nach Cassel einzusen- den, bereits im Anfang der neuen Ordnung der Dinge. Borheck machte sich nun selbst auf die Suche Papiere von Ihnen werden noch bey dem Observatorium nach seinen Unterlagen und erfuhr im Frühjahr seyn, aber die sind auch nicht in meiner Gewalt; ich kann 1812, dass seine Schrift zwei Jahre früher in Kas- sie auch nicht zurückerhalten noch Ihnen etwas senden, sel vorgelegen hatte. Wie in seiner Nachschrift wenn ich nicht den Schein von Ihnen erhalte, daß Sie das dargelegt, schrieb er nach Kassel, erhielt keine Empfangene in der bestimmten Zeit wieder zurücksenden Antwort und wurde dort schließlich im Juni 1812 wollen. Melden Sie mir nur den Riß, welchen Sie verlan- persönlich vorstellig. Auf seine Vorhaltungen gen, beschreiben Sie mir ihn, so will ich sehen, ob er viel- erhielt er die Antwort, man habe sein Manu- leicht bey dem Observatorium ist, will Hrn. Oppermann23 skript, das auch von Prof. Gauß befürwortet zu Hülfe nehmen, und bemühet seyn zur Sendung Rath worden sei, für eine offizielle Bauakte gehalten, zu treffen. Ich bin ganz aus den vorigen Verhältnissen wolle aber nunmehr Herrn Müller beauftragen, ihm die Akten auszuhändigen. Wiederum wartete 21 Erwähnt im Brief Heynes an Borheck vom 8. 12.1809. Borheck vergebens. Als er jedoch am 8. Oktober 22 Friedrich Saalfeld, Gelehrtengeschichte der Universität 1812 Müller persönlich in dessen Büro in Göt- Göttingen von 1788 bis 1820, Hannover 1820, S. 382 tingen aufsuchte, konnte er sein Manuskript dort 23 Baukommissar Heinrich Julius Oppermann (1752−1811), Nachfolger von Borheck und Vorgänger von Müller. widerstandslos entgegennehmen. Müller hatte Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts 19 Abb. 6: Vorder- und Rückseite des letz- ten von drei dem Manuskript nachträg- lich beigehefteten Briefen Christian Gott- lob Heynes, datiert vom 29. Januar 1810, in dem er Borheck mitteilt, dass dessen Manuskript unauffindbar sei. 20 Klaus Beuermann: Vorgeschichte und Odyssee des Borheckschen Manuskripts sich die notwendigen Details kopiert und das unter die sechs nummerierten Tafeln eingereiht, Manuskript war für den Bau nicht mehr erforder- die zur Veröffentlichung bestimmt waren. Zu lich. Die Odyssee hatte ein Ende. dieser Zeit waren Drehkuppeln noch nicht üblich An eine Publikation des Manuskripts war und die älteste funktionierende solche Kuppel 1812 wegen des direkten Bezugs auf Göttingen scheint die auf dem (verhältnismäßig kleinen) ohne grundlegende Umarbeitung nicht mehr zu Dunsink Observatory in Dublin gewesen zu sein denken. Da Gauß den so höchst kompetent ent- (1785). In wieweit Müller beim Weiterbau der worfenen Bau trotz gewisser Mängel sehr schätz- Göttinger Sternwarte versucht hat, den von te, kann man vermuten, dass Borheck ihm das Borheck vorgeschlagenen Mechanismus eines Manuskript persönlich übereignet hat. Borheck Holzräderwerks zu realisieren, muss noch geklärt nahm seine Dozententätigkeit über verschiedene werden. Faktisch jedoch hat die Sternwarte bis Zweige der Baukunst 1820 wieder auf24 und starb 1888 keine − oder zumindest keine funktionie- erst 1834. rende − Drehkuppel gehabt. Borhecks Planung Wenn man Borhecks Unterlagen mit moder- muss aus der Zeit heraus beurteilt werden und nen Plänen für Universitätsbauten vergleicht, fällt kann heutigen Maßstäben für eine Bauauftragser- auf, wie viele Details seinerzeit ungeplant bleiben teilung nicht gerecht werden. In jener Zeit spiel- durften und der Entscheidung des Baumeisters ten Improvisation und das Vertrauen in die Fä- vor Ort unterlagen. Nicht hinreichend ausgear- higkeit des Baumeisters, für aufkommende Prob- beitet wurde von Borheck z.B. die Konstruktion leme eine adäquate Lösung zu finden, eine wich- des Deckengewölbes, das die Kuppel und das tigere Rolle als heute. Anderseits waren Ände- dort unterzubringende Teleskop trägt, sowie der rungen am geplanten Bau vermutlich einfacher Mechanismus der geplanten Drehkuppel, wäh- zu erreichen als es heute möglich ist. Auch im rend andere Details, wie der aufwändige Mecha- Abstand von 200 Jahren bleiben Borhecks Pläne nismus zum Öffnen und Schließen der Meridian- für die Göttinger Sternwarte ein großer Wurf spalte, akribisch beschrieben werden. Die Dreh- und sein Schmerz darüber, dass zunächst kriege- kuppel findet im Text nur an einer Stelle Erwäh- rische Ereignisse zum Baustopp führten und nung und die technischen Zeichnungen zu die- dann die neue Westfälische Regierung in Kassel sem Thema (Abb. 26 und 27) ebenso wie eine ihm die Bauleitung nicht wieder übertrug, bleibt Zeichnung zur Gewölbekonstruktion sind nicht verständlich. 24 Friedrich Saalfeld, Gelehrtengeschichte der Universität Göttingen von 1788 bis 1820, Hannover 1820, S. 382. Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte 21 erschütterungsfrei erwiesen hatten, wurde schlie- ßlich das erste Observatorium auf einem der Mauertürme auf der Südseite der Stadt unterge- bracht. Es handelte sich um einen zweizonigen, von einem Kegeldach bekrönten Aufsatz auf rundem Grundriss. In der unteren Zone lief ein Rundgang um, im ausladenden Geschoß darüber befand sich das Observatorium. Trotz mehrerer Architekturhistorische Erweiterungsbauten in Form von Erkern erwies Bemerkungen zur Göttinger sich dieses erste Göttinger Observatorium jedoch Sternwarte schnell als zu klein sowie als technisch ungenü- gend und wurde schließlich 1821/22 vollständig abgetragen. Schon seit Ende des 18. Jahrhunderts sann man hierfür in Hannover auf Abhilfe. Mit der Ausführung wurde der Universitätsbaumeis- ter Georg Heinrich Borheck (1751-1834) beauf- von Christian Freigang, Frankfurt a.M. tragt. Der Architekt hatte sich vor allem durch Umbaupläne der Universität und die Errichtung Architekturgeschichtlich betrachtet stellt die des Accouchierhauses, der ersten eigenständigen Göttinger Sternwarte in mehrfacher Hinsicht ein Frauenklinik in Deutschland, einen lokalen höchst bemerkenswertes Gebäude dar. Zum Ruhm erworben. Die technisch und baukünstle- einen handelt es sich um eine geradezu idealtypi- risch nicht einfache Aufgabe des Sternwarten- sche – und hervorragend erhaltene – Verwirkli- baus löste er mit Hilfe vor allem des Gothaer chung der neuen Baugattung „Sternwarte“ in der Hofastronomen Franz Xaver von Zach und des Zeit um 1800. Zum anderen manifestiert sich mit Justizrates Johann Hieronymus Schröter sowie der Errichtung des Baues ein grundsätzlicher der Angaben des Architekturtraktates von Chris- gestalterischer Umschwung in der Göttinger tian Ludwig Stieglitz1. Zach hatte die herzogliche Baugeschichte. Die repräsentative Architektur Sternwarte auf dem Seeberg bei Gotha, Schröter der Stadt war am Ende des 18. und noch zu An- das Observatorium von Lilienthal erbaut. 1801 fang des 19. Jahrhunderts vor allem von einem hatte Borheck zunächst eine Baustelle unmittel- französisch-klassizistisch geprägten Spätbarock bar außerhalb des Südostabschnitts des Walles gekennzeichnet. Mit dem Bau der Sternwarte vorgeschlagen2. Auf Anraten des 1802 in Hanno- vollzieht sich indessen der Umschwung zu einem ver weilenden Architekten Friedrich Weinbren- „internationalen“ klassizistischen Idiom, welches ner war indessen der heutige Standort vor dem unübersehbar griechisch-antike Formen aufnimmt. Wall bestimmt worden. Hierfür sah Borheck Verantwortlich hierfür war eindeutig der Einfluss zunächst einen Einflügelbau vor, der eine zen- der französischen Verwaltung des Königreichs trale Tambourkuppel, ein flaches Walmdach und Westfalen unter König Jérôme, dem Göttingen einen monumentalen Giebelportikus auf der in der Zeit um 1810 unterstand. Südseite erhalten sollte. Damit hätte der Bau Schon kurz nach Gründung der Universität in einem kleinen Landschlösschen geähnelt. Doch den Jahren 1834/37 setzte der Sternwartenbau im Juli 1802 kam offenbar der Kontakt zu den gewisse Akzente im Baugeschehen der Stadt. vorgenannten Astronomen zustande. Schroeter Obwohl die Astronomie in Göttingen im 18. riet, sich ganz an die vorbildliche, dreiflügelige Jahrhundert bis auf Tobias Mayer (1751 bis 1762) Anlage auf dem Seeberg bei Gotha zu halten. keine bedeutenden Vertreter aufzuweisen hatte, Auf der Grundlage dieser Konsultationen erstell- galt sie als Fach von großem Prestige und wurde te Borheck nun ein umfangreiches Konzept zum reichlich mit guten Instrumenten ausgestattet. Im Bau der Göttinger Sternwarte, welches sich sogar Sinne dieser Förderung war schon 1748 durch in einem handschriftlichen Traktat niederschlug, König Georg August der Bau einer Universitäts- sternwarte genehmigt worden. Den Auftrag hier- zu erhielt der Naturwissenschaftler Johann An- 1 Stieglitz, Christian Ludwig: Encyklopädie der bürgerlichen dreas von Segner. Nachdem sich mehrere Stand- Baukunst, Bd. III. Leipzig 1797, Art. „Observatorium“, v. a. orte vor allem auf Kirchtürmen als zu wenig 23-26 u. Tafelbd, 4. Tl., Taf. I, Fig. 1-2. 2 UAG, Kur. 13 a/8, vol. III 22 Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte das sich noch heute im Besitz der Sternwarte Das umfangreiche Traktat war bis 1805 druc- befindet. Dieses Traktat verdient in architektur- kreif, doch scheiterten Borhecks Bemühungen geschichtlicher Hinsicht besondere Beachtung. um eine Veröffentlichung als eine allgemeine und Denn wie Borheck in seinem Text zu Recht her- aufwendig präsentierte Anleitung zum Sternwar- vorhebt, handelte es sich um die erste umfas- tenbau. Mit der Errichtung des Königreichs sende Erläuterung zu dieser technisch anspruch- Westfalen kamen das Manuskript und die beglei- svollen Bauaufgabe, bei der die Besonderheiten tenden Aquarelle zur Bauverwaltung der Dépar- der Lage und der besonderen statischen Stabilität tementshauptstadt Kassel. Dort wurden sie of- eine gewichtige Rolle spielen. Doch ist die Schrift fenbar als amtliche Pläne, nicht als Erfindung mehr als ein Ingenieurstraktat, äußert sich Bor- Borhecks erachtet, und dienten als Grundlage heck doch in bester architekturtheoretischer bezeichnender Veränderungen. Tradition zum Zusammenhang zwischen der Ganz entsprechend den theoretischen Aus- konstruktiven „Festigkeit“ eines solchen Gebäu- führungen Borhecks besteht sein architektoni- des, seiner Funktion („Bequemlichkeit“) und der scher Entwurf aus einer Dreiflügelanlage. Im „Schönheit“ seines Äußeren. In puncto Beque- Hauptflügel ist das eingeschossige, mit einem mlichkeit fordert er etwa eine Differenzierung vers- Terrassendach gedeckte und von einer zentralen chiedener Gebäudetrakte, von denen das Hauptge- Tambourkuppel mit dem Fernrohr gekrönte bäude mit einer großzügigen Inneneinteilung und Observatorium untergebracht. Die zweigeschos- guter Beleuchtung sowie den notwendigen Öff- sigen, mit flachen Walmdächern gedeckten Sei- nungen für die Instrumente zu versehen sei. An tenflügel enthalten die Wohnungen der Astro- diesen Hauptflügel sollen unmittelbar die beiden nomen. Um eine perfekte Stabilität zu gewähr- Wohntrakte des Sternwartenleiters und seines leisten, liegt der Bau erhöht auf einer Terrassen- Gehilfen anschließen, damit diese jederzeit ihre plattform, von der aus auch Observationen Beobachtungen auch unvorherzusehender Erei- durchgeführt werden sollen. All diese Dispositi- gnisse am Sternenhimmel durchführen könnten. onen entsprechen der Gothaer Sternwarte; für Eine Reihe von Maßnahmen zur Isolierung ge- Borheck handelte es sich aber ganz und gar nicht gen Erschütterung und Temperaturschwankun- um eine sterile Kopie eines Vorbildbaus, sondern gen ergänzt die Vorschläge. Die technische Stabi- um ein in allen funktionalen und ästhetischen lität werde insbesondere durch eine sorgfältig Aspekten umsichtig konzipiertes Projekt – eine nivellierte Terrassierung von knapp zwei Metern Art idealer Sternwarte der Zeit um 1800. Und Höhe erreicht. Die solchermaßen erhöhte Lage nach diesem Plan wurde der Bau der heute noch gibt Borheck denn auch Anlass zu Äußerungen stehenden Göttinger Sternwarte im April 1803 bezüglich der Schönheit des Gebäudes. Da es auch begonnen. sich um ein in besonderem Maße exponiertes Im Vergleich zu dem Erstentwurf von 1802 öffentliches Gebäude handele, müsse es in sei- (Abb. 22) enthielt das nunmehr begonnene nem Äußeren so sorgfältig gestaltet sein, dass es Hauptgebäude einige Veränderungen. An die einen „Charakter“ ausdrücke. Im Fall der neuen Stelle des übergiebelten Säulenportikus ist eine Baugattung „Sternwarte“ sei dieser am ehesten pilastergerahmte Eingangsloggia getreten, in die „ein edler fester [...], der auf die Einbildungskraft zwei dorische Säulen eingestellt sind; der Drei- wirkt, und Stoff zum Nachdenken gibt“. Eine ecksgiebel ist entfallen. Die Eckrisalite des wohlgefällige Proportionierung aller Teile Hauptbaus sind durch Doppelpilaster auffällig („Symmetrie und Eurythmie“) mache „immer markiert. Kein anderes unter den damaligen Göt- einen edlen Eindruck; und dieser kann durch tinger Gebäuden war architektonisch aufwendi- zweckmäßige Anwendung einer Säulenordnung, ger instrumentiert. 1804, als die Terrassierung noch erhöhet werden“. Wenn auch die Ausführun- und die Fundamentierung gerade vollendet wa- gen Borhecks nicht als besonders originell gelten ren, stockten die Bauarbeiten und mussten infol- können, so zeigen sie doch, wie er das Bauwerk auf ge der französischen Invasion im Folgejahr ganz der Grundlage klassischer architekturtheoretischer eingestellt werden. Borheck zog sich auf ein hes- Erörterungen – die sich insbesondere auf die sisches Landgut zurück; seine Pläne gelangten an französische Architekturdebatte der Mitte des 18. die dortige Bauverwaltung. 1810 schließlich wur- Jahrhunderts zurückführen lassen – plant. de der Bau auf Anweisung König Jérômes wieder Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte 23 Abb. 7: Ansicht von Süden und Grundriss der Sternwarte für den Umbau 1887/88. Bis auf die Form der Kuppel, die breiteren Meridianspalte und die kleinen Fenster im Gesims gibt dies die Ansicht des Müllerschen Baus wieder. Die Fundamente in den Meridianzimmern sind auf die zu dieser Zeit noch genutzten Meridiankreise von Reichenbach und Repsold sowie ein Passageinstrument zugeschnitten. An der Stelle des Reichenbachschen Meridiankreises im westlichen Meridianzimmer ist heute noch der Nullpunkt der Gaußschen Landesvermessung zu besichtigen. Im westlichen Vorbereitungsraum, dem damaligen magnetischen Observatorium und der heutigen Bibliothek, ist die noch vorhandene Wendeltreppe eingezeichnet (s. Abb. 13). Im östlichen Vorbereitungsraum war um 1888 die Bibliothek untergebracht. Er wurde 1926 zum Hörsaal umgebaut. 24 Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte aufgenommen, die Baupläne indessen nach einer Der hohe gestalterische Anspruch der Sternwarte Begutachtung des Generalbauinspektors Jus- blieb auch in ihrer ausgeführten Version erhalten, sow3vom Departementsoberbaurat August Leo- wurde aber mit neuen Akzenten bereichert: Die pold Crelle in der äußeren Erscheinung und in Portalloggia mit eingestellten Säulen und das der Konstruktion durchgreifend überarbeitet4. nachfolgende kreisrunde Vestibül gehören zu Durch Justus Heinrich Müller, seit 1814 neuer Standardmotiven des gehobenen Wohnbaues um Universitätsbaumeister, wurde der Bau ausge- 1800. Auch die jüngst in mehreren Schichten führt und bis 1816 vollendet. Crelle bzw. Müller freigelegte Innenbemalung des Vestibüls zeigt, behielten die Disposition Borhecks bei, weil die dass durch einen repräsentativen Charakter die Fundamente bis auf ihre Oberkante bereits er- Würde und Bedeutung der Göttinger Astrono- richtet waren, und änderten nichts an der vorge- mie anschaulich zum Ausdruck gebracht werden sehenen Raumeinteilung, um so mehr aber am sollte. An Kuppelfuß und -scheitel lief in der äußeren Erscheinungsbild der Sternwarte. Schon ersten Ausmalung eine antikisierende Lotus- Borheck hatte das Vestibül kreisrund geplant, Palmetten-Ranke um; die Wände des Vestibüls weil dadurch ein fester Unterbau für die Beo- waren in gemalte Felder eingeteilt. Hinzu kommt bachtungskuppel zu gewährleisten war. Nunmehr die gärtnerische Gestaltung des unmittelbaren erhielt das weiterhin kreisrunde Vestibül vier, in Umfeldes der Sternwarte: nach Süden erstreckt den Diagonalachsen eingelassene Wandnischen, sich die Terrainaufschüttung als breite Terrasse, die wohl zur Aufnahme von Standbildern vorge- von der eine Treppe in den im Sinne eines Land- sehen waren. Wie schon im Projekt Borhecks schaftsparks gestalteten Garten hinaufführt. Auf vorgesehen, erreichte man über große Flügeltü- der Nord- und Südseite durfte jedoch der Blick ren seitlich die beiden Meridiansäle, von denen aus den Meridianspalten nicht behindert werden. jeweils eine weitere große Flügeltür Zugang zu Die architektonischen Ambitionen der Stern- den Räumen in den Eckrisaliten gibt. Im Westen warte führten somit insgesamt dazu, die Göttin- befand sich hier das Labor von Gauss, im Osten ger Architektur auf einen zeitgenössischen aktu- vermutlich die Bibliothek. Vestibül, Meridiansäle ellen Stand zu bringen, dem das spätbarock- und Eckräume durchmaßen somit in voller Höhe klassizistische Idiom Borhecks offenbar nicht den Bau; es bestand also – wie dieser an seinem mehr gerecht wurde5. Auch die Ausbildungswege Äußeren auch anzeigt – keine weitere Gescho- der beteiligten Architekten machen diesen Um- ßeinteilung. In seinem Äußeren wurde der schwung überdeutlich. Borheck hatte in Göttin- Hauptbau in präzise gearbeitetem Sichtquader- gen Mathematik studiert und sich offenbar weit- werk ausgeführt; die Pilaster fielen fort. Die Säu- gehend autodidaktisch sein architektonisches len der Eingangsloggia wurden nunmehr durch Wissen angeeignet. Crelle hingegen hatte 1802 in griechische dorische Säulen ohne Basis ersetzt, Berlin das Große Architekturexamen abgelegt und auch das Gebälk mit seiner Abfolge von und war anschließend Oberbaurat in Westfalen Metopen und Triglyphen archäologisch genau geworden6. Justus Heinrich Müller hatte in Kas- dieser Ordnung angepasst. Die Mauerteile (wohl sel unter Jussow studiert und gearbeitet7. Beide an den Seitenflügeln), die Borheck gemäß seinem schlossen mit ihrem an griechische Formen ange- Traktat unverputzt lassen wollte, waren nunmehr lehnten Vokabular an aktuelle Strömungen in mit einem Putz mit Fugenmalerei versehen wor- Kassel, Braunschweig und Berlin an. Müller sollte den. Somit stellt die Sternwarte den ersten Göt- die neue Formensprache noch für weitere wichti- tinger Bau dar, für den die griechisch-antiken For- ge Bauten in der Universitätsstadt anwenden, men eines archäologisch getreu recherchierenden etwa für die – im II. Weltkrieg zerstörte – Neue Klassizismus verbindlich wurden. Für den al- Anatomie in der Nähe des Bahnhofs sowie für ternden Borheck, der den Bau 1812 besuchte, einen ephemeren Triumphbogen am westlichen war diese Wiederaufnahme griechisch-antiker Ende des Universitätsreitgeländes. Auslöser die- Formen ein Regelverstoß gegen die ihm vertrau- ser Neuorientierung in der Göttinger Architektur tere römische dorische Ordnung, welcher „aus war die Tatsache, dass im Königreich Jérômes bloßem Kunstneid“ vorgenommen worden sei. 5 Vgl. hierzu auch Johann Dominikus Fiorillos kritische Rezension von Borhecks Traktat zum Bau von Landkir- 3 Thiersch, Hermann: Göttingen und die Antike, Göttingen chen, in: GGA 1808, II, 1329-1332. 1926, 57, Anm. 115. 6 Zu Crelle: Allgemeines Künstler Lexikon, Bd. 22, 222 4 UAG, Kur. 13 a 8. 7 Zu Müller: UAG, Kur. 13 d 5, Nr. 2-3, 8-9, 11-15. Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte 25 Kassel die Residenzstadt war und entsprechend Franz Xaver von Zach, der auch Borheck zur Jussow als Generalbauinspektor zuständig für die Seite stand. Als Architekt arbeitete kein geringe- Göttinger Bauaktivitäten war. Crelle überging Bor- rer als Peter Joseph Krahe, der 1803 herzoglicher hecks Plan ebenfalls in seiner offiziellen Funktion Baudepartementsleiter geworden war, das Projekt im Reich von Napoleons Bruder. Jussow oder einer großen zweigeschossige Rotunde aus9. Das Krahe waren in ähnlicher Funktion schon 1808 Tauziehen um Gauß gewann schließlich Göttin- für die Errichtung eines ephemeren Triumphtors gen, selbst wenn die technische Qualität der für den Einzug König Jérômes in Göttingen tätig Sternwarte dem Mathematiker später ungenü- gewesen8. Die neue zentrale Verwaltung wirkte gend erschien. Der aufwendige Entwurf Bor- sich also auch auf das architektonische Gepräge hecks erklärt sich wohl jedenfalls auch aus dieser Göttingens aus, das nunmehr sich von der regio- Konkurrenzsituation, in die er überdies direkt nalen spätbarocken Tradition abwandte. involviert war. Borheck hatte sich nämlich 1803 Um die Bedeutung der Sternwarte in ihrem eben mit seinen Sternwartenplänen auf die vollen Ausmaß zu verstehen, sind indessen noch Braunschweiger Stelle beworben, welche schlie- einige zusätzliche Aspekte anzusprechen: Zur ßlich Krahe erhalten sollte. Auch das ausführli- selben Zeit, in der der Göttinger Bau in Planung che Traktat Borhecks wollte sich ja als allgemein war, bemühte sich der Braunschweigische Her- gültiger Beitrag für die Konstruktion von Stern- zog Carl Wilhelm Ferdinand um eine eigene Uni- warten verstehen und den Verfasser als Spezialis- versität. Er versuchte dazu, den zu dieser Zeit in ten gerade in dieser Bauaufgabe ausweisen. Um Braunschweig und Helmstedt lebenden, bereits so bitterer mag es für ihn gewesen sein, dass er berühmten Mathematiker Carl Friedrich Gauß zu weder die Stelle in Braunschweig erhielt noch die berufen sowie eine große Sternwarte zu erbauen. Fertigstellung der Göttinger Sternwarte nach Als technischer Berater wirkte eben derselbe seinen eigenen Plänen erleben konnte10. 9 Ibid., Bd. II, Braunschweig 1971, 93-95. 10 zusätzliche Literatur: Imhof, Andres: Georg Heinrich Borheck (1751–1834), Leben, Arbeiten und Wirken eines Göttinger Oberbau- commissarius; Magisterarbeit Universität Göttingen, 1997. Oszmer, Sabine: Die Göttinger Universitätssternwarte. Magisterarbeit Universität Göttingen, 1991. „Architektur und Städtebau von der Mitte des 17. Jahrhun- derts bis 1866“, in: Ernst Böhme/Rudolf Vierhaus (Hrsg.): Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt, Bd. 2. Vom Dreißigjährigen Krieg bis zum Anschluss an Preußen – Der 8Dorn, Reinhard: Peter Joseph Krahe. Leben und Werk, Wiederaufstieg als Universitätsstadt (1648-1866), Göttingen Bd. III, Braunschweig 1997, 19-20, Kat. 538. 2002, S. 765-812. 26 Christian Freigang: Architekturhistorische Bemerkungen zur Göttinger Sternwarte Abb. 8: Lageplan der Sternwarte aus der Zeit des Umbaus 1887/88. Links das magnetische Häuschen. Nicolaas Rupke: Naturwissenschaftsarchitektur in der Historiographie der Naturwissenschaften 27 Gegenwärtig gilt das Interesse besonders so nicht-elitären Stätten wie Kaffeehäusern und Gaststätten, aber auch Abendgesellschaften der sozialen Oberschicht. Einen Überblick über die reiche Ernte von Studien zur „geography of scientific knowledge“ aus den letzten beiden Jahrzehnten hat vor kurzem David Livingstone in einem sehr lesenswerten Buch gegeben.2 Der Naturwissenschaftsarchitektur vorliegende Essay soll auf diese historiographi- in der Historiographie der schen Trends aufmerksam machen und dabei Naturwissenschaften eine besondere Kategorie naturwissenschaftlicher Stätten in den Mittelpunkt stellen, nämlich die Gebäude. Gewöhnlich haben Wissenschaftshistoriker die Gebäude naturwissenschaftlichen Forschens, seine „Behausung“, unbeachtet gelassen; das Nicolaas Rupke, Göttingen Interesse galt statt dessen kognitiv-theoretischen Aspekten und, in geringerem Maße, auch der Die Veröffentlichung von Georg-Heinrich Bor- instrumentellen Grundlage wissenschaftlicher hecks (1751–1834) Manuskript über seine Pläne Bestrebungen. Schon seit langem ist beispielswei- für den Bau der Göttinger Sternwarte kommt zu se die große Bedeutung des Fernrohrs und der einem günstigen Zeitpunkt – günstig nicht nur, Luftpumpe bekannt.3 Die Architektur der Bau- weil die Universität Göttingen im Jahr 2005 des werke, in denen Naturwissenschaft tatsächlich 150. Todestages des ersten Direktors der Stern- betrieben wurde und wird, fand jedoch im gro- warte, Carl Friedrich Gauß (1777–1855), ge- ßen und ganzen wenig Interesse und wurde an denkt, sondern günstig ganz allgemein in Hin- die Lokalgeschichtsschreibung verwiesen4. Erst blick auf aktuelle Strömungen in der Histo- seit kurzem werden Gebäude zunehmend als riographie der Naturwissenschaften: Zunehmend wichtige Faktoren für unsere Bemühungen er- wird die wichtige Rolle der architektonischen kannt, die Entwicklung der modernen Naturwis- Stätten und generell der „situatedness“ in der senschaften zu verstehen. In einem neueren Auf- Entwicklung der Naturwissenschaften erkannt. satzband zur Wissenschaftsarchitektur heißt es, Naturwissenschaftliche Rationalität – so wird er- dass „buildings of science literally and figuratively klärt – sei ausnahmslos „positioned rationality“, configure the identity of the scientist and the sie sei „situated“. Die traditionelle abstrahierende scientific field“ und dass „architecture and scien- Perspektive eines neutralen und universalen ce define one another through their encounter“5. „view from nowhere“ sei in Wahrheit selbst eine Schließlich genügen Bauwerke nicht lediglich privilegierte, parteiische Sichtweise, ein „God den praktischen Erfordernissen ihrer Bewohner, trick“1. Dieser Ansatz in der Historiographie der Naturwissenschaften, bekannt als „geography of 2 Livingstone, David N.: Putting Science in its Place. Geo- scientific knowledge“, bezieht eine Vielzahl un- graphies of Scientific Knowledge, Chicago and London, terschiedlicher „Räume des Wissens“ ein, von 2003. See also Withers, Charles W.J.: „The geography of den einzelnen konkreten Orten naturwissen- scientific knowledge“, in: Göttingen and the Development of the Natural Sciences, hrsg. von Nicolaas A. Rupke, Göt- schaftlichen Forschens bis zur räumlichen Mobi- tingen 2002, S. 9-18. lität von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, 3 Oft zitiert wird Shapin, Steven/ Schaffer, Simon: Levia- besonders die Prozesse des Wissenstransfers. Die than and the Air-Pump: Hobbes, Boyle, and the Experimen- tal Life, Princeton 1985. konkreten Orte reichen dabei von ganzen Konti- 4 Ein gutes Beispiel für derartige Lokalgeschichten ist Rie- nente über Länder, Regionen und Städte bis zu cke, Eduard et al.: Die physikalischen Institute der Universi- einzelnen Universitäten und ihren Gebäuden – tät Göttingen, Leipzig und Berlin 1906. Für eine lokalge- schichtliche Darstellung der ersten Göttinger Sternwarte auf Sternwarten, Museen, Laboratorien usw.. einem der Türme der alten Stadtmauer vgl. Aufgebauer, Peter: „Die Anfänge der Sternkunde in Göttingen“, in: Göttinger Jahrbuch 2002, S. 75-92. 1 Vgl. Haraway, Donna: „Situated Knowledges: The Science 5 Galison, Peter: „Buildings and the subject of science“, in: Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspec- The Architecture of Science, hrsg. von Peter Galison und tive“, in: Feminist Studies 14(3) (1988), 575–599. Emily Thompson, Cambridge, MA, 1999, S. 1, 3. 28 Nicolaas Rupke: Naturwissenschaftsarchitektur in der Historiographie der Naturwissenschaften sondern können zu eindrucksvollen Symbolen Accouchierhaus.8 Auch die anatomischen Thea- von Macht werden und denen, die in ihnen leben ter haben in der aktuellen Literatur Beachtung und arbeiten, eine besondere Autorität verleihen. gefunden, darunter so herausragende Beispiele Offensichtliche Beispiele dafür sind Tempel, wie diejenigen in Bologna,9 Leiden und Uppsala. Kathedralen und Paläste. Die Lage derartiger Weiterhin hat die Beschäftigung mit der „All- Gebäude – auf einem Berggipfel, im Herzen tagsgeschichte“ naturwissenschaftlichen Arbei- einer Stadt usw. – , ihre Dimensionen und ihre tens, besonders in den Laboratorien des 19. und architektonischen Merkmale – etwa Kuppeln, 20. Jahrhunderts, dazu beigetragen, das Interesse Türme und dergleichen – sind in vielen Fällen an der Architektur naturwissenschaftlicher Stät- Ausdruck der gesellschaftlichen Stellung, die ihre ten zu erhöhen.10 Bewohner einnehmen. Und obwohl sie nicht in Das neunzehnte Jahrhundert war die Epoche, erster Linie für die Pflege der Naturwissen- in der die Errichtung von Gebäuden für die Na- schaften errichtet wurden, sind sie vielen ver- turwissenschaften in großem Stil begann, und die schiedenen Geistesaktivitäten förderlich, darun- palastähnlichsten von ihnen waren die Natur- ter auch naturwissenschaftlichen. Tatsächlich kundemuseen. Obwohl es Museen dieser Art in gehören im christlichen Abendland Kathedralen Form von „Naturalienkabinetten“ schon seit der zu den ersten Stätten, an denen astronomische frühen Neuzeit und sogar davor gegeben hat, Beobachtungen gemacht wurden, und wie John entstanden größere Gebäude zu dem Zweck, Heilbron in einer höchst originellen Studie be- derartige Sammlungen zu beherbergen und ihre schreibt, dienten Gotteshäuser auch als Sonnen- Vergrößerung anzuregen, in den meisten Fällen observatorien.6 Ebenso ist die Rolle des Herr- erst im neunzehnten Jahrhundert.11 Damals be- scherhofes als Schauplatz naturwissenschaftlicher kamen in den Hauptstädten der westlichen Welt Debatten und der Rezeption naturkundlicher und auf dem Gelände vieler führender Universi- Kenntnisse untersucht worden.7 Universitätsge- täten „Tempel der Natur“ und „Kathedralen der bäude machen keine Ausnahme von der Regel, Naturwissenschaften“ ihren Platz neben den dass architektonische Strukturen ihren Bewoh- älteren architektonischen Komplexen. Diese nern besonderes Ansehen verleihen können, und Bauwerke, ihre genaue Lage, ihre Größe, ihr Stil manches alte akademische Traditionsgebäude und ihre bekanntesten Exponate erlangten eine gibt Zeugnis vom Überlegenheitsanspruch der hohe öffentliche Bedeutsamkeit und wurden Professorenschaft und vielleicht auch von der Objekte von Bürger- und Nationalstolz.12 Die Form und vom Inhalt der Vorlesungen. wichtigsten nationalen Naturkundemuseen, etwa Ebenso wenig machen Gebäude eine Aus- nahme, die für die Naturwissenschaften errichtet 8 Trotz neuerer Forschungen zu diesem Thema ist das wurden, so dass sich auch in ihrer Errichtung Standardwerk zur Krankenhausarchitektur noch immer Thompson, John D./ Goldin, Grace: The Hospital, A Social und ihren architektonischen Merkmalen grund- and Architectural History, New Haven 1975. sätzliche Ansichten über die Stellung der Natur- 9 Die bedeutende Rolle der italienischen anatomischen wissenschaftler in der Gesellschaft ausdrücken. Theater zeigt Biagioli, Mario: „Scientific revolution, social bricolage, and etiquette“, in: The Scientific Revolution in Außerdem können ihre äußere Gestalt und ihre National Context, hrsg. von Roy Porter und Mikulás Teich, innere Raumaufteilung das, was in ihnen abläuft, Cambridge 1992, 11-54. 10 Vgl. z.B.: Laboratory Life. The Construction of Scientific strukturieren und definieren und uns Auskunft Facts, hrsg. von Bruno Latour und Steve Woolgar, Prince- darüber geben, wie naturwissenschaftliche For- ton 1986. 11 Ein früheres Beispiel ist das 1769 eröffnete Museum schung sich abgespielt hat. Die ältesten natur- Fridericianum in der 50 km südwestlich von Göttingen wissenschaftlichen Architekturdenkmale haben gelegenen hessischen Residenzstadt Kassel. Es ist eines der meist eine Verbindung zur Medizin; zu ihnen ersten Gebäude der Architekturgeschichte mit der Funktion eines Museums mit Publikumsverkehr und war bestimmt gehören Krankenhäuser, Irrenanstalten, botani- „zur Aufnahme der Kabinette für Naturgeschichte, Mathe- sche Gärten, Gewächshäuser und, in Göttingen, matik, Physik, Altertümer, Mechanik und Medaillen sowie die Entbindungsklinik, das 1785–1790 errichtete der öffentlichen Bibliothek“, vgl. Schneider, Helmuth: „’Wahrhaft glückliche Tage’. Kassel und die Antike im 18. Jahrhundert“, in: Kassel im 18.Jahrhundert. Residenz und Stadt, hrsg. von Heike Wunder u.a., Kassel 2000, S. 88-102, hier S. 89. 12 Rupke, Nicolaas A.: Richard Owen, New Haven and 6 Heilbron, John: The Sun in the Church, Cathedrals as London 1994, S. 12-105. Forgan, Sophie: „Bricks and Solar Observatories, Cambridge, MA, 1999. bones: architecture and science in Victorian Britain“, in: The 7 Biagioli, Mario: Galileo Courtier, The Practice of Science Architecture of Science, hrsg. von Peter Gallison und Emily in the Culture of Absolutism, Chicago 1993. Thompson, Cambridge, MA, 1999, S. 181-208. Nicolaas Rupke: Naturwissenschaftsarchitektur in der Historiographie der Naturwissenschaften 29 in Berlin, London, Paris und Wien, standen im Bloomsbury im Zentrum Londons, sondern in Wettbewerb miteinander. Das Pariser Muséum South Kensington auf dem Gelände der Weltaus- d'Histoire Naturelle, das aus dem Jardin du Roi stellung von 1862, war ein Hinweis auf die enge entstand, war das erste große Zentrum der na- Verbindung der Sache der Naturwissenschaften turwissenschaftlichen und insbesondere der bio- mit den liberalen, am Unternehmertum orientier- logischen Forschung im Europa des neunzehn- ten Reformen William Gladstones (1809–1898). ten Jahrhunderts.13 Das Museum für Naturkunde Die gewaltigen Ausmaße des Gebäudes, die von in Berlin wurde erst viel später errichtet, als in dem Konservativen Benjamin Disraeli (1804–81) der Folge der Reichsgründung von 1871 die neue und seinen Torys heftig kritisiert wurden, spiegel- Reichshauptstadt Berlin einen enormen Bau- ten das Streben Owens und vieler seiner Wissen- boom erlebte.14 Innerhalb des britischen Weltrei- schaftlerkollegen nach einem sozialen Status wie ches entwickelte sich eine zusätzliche Rivalität dem der traditionellen kulturellen Führungsgrup- zwischen den Museen des Mutterlandes und de- pen – des Adels, der Geistlichkeit und der Judi- nen in den Kolonien. Von Melbourne bis Mont- kative. Außerdem verwies der gotische Stil der real wurden diese Institutionen zu Zentren intel- Architektur auf die traditionelle Verbundenheit lektueller Aktivität und förderten das Entstehen der anglikanischen Naturwissenschaft mit der eines kulturellen Selbstvertrauens in den weit von britischen „natural theology“, während die zen- England entfernten britischen Besitzungen.15 trale Halle des Museums, besonders ihre kathe- In Großbritannien sah man drei Institutionen dralenartigen Gewölbe, auf die sozio-religiösen als die Naturkundemuseen schlechthin an: das Ansprüche Owens hindeuteten, der davon über- hauptstädtische British Museum (Natural Histo- zeugt war, dass Naturwissenschaftler im Auftrage ry) in South Kensington, gegründet von Richard der göttlichen Wahrheit handeln. Die innere Owen (1804–1892); das University Museum in Raumaufteilung in Ausstellungsbereiche, Labora- Oxford, entstanden aus den geologischen Samm- torien, Büros usw. war Teil einer Debatte dar- lungen William Bucklands (1784–1856); und das über, wie Forschung abläuft, und über den Stel- Museum of Science and Art in Edinburgh. Ihrer lenwert des funktionalistischen im Vergleich mit Baugeschichte hat Carla Yanni eine ausgezeich- dem morphologischen Ansatz bei der Erfor- nete Studie gewidmet.16 Am besten untersucht ist schung der Vielfalt des Organischen.18 die Baugeschichte des Museum of Natural Histo- Auch in Göttingen war das neunzehnte Jahr- ry in London.17 Es verfügte über besonders rei- hundert die Epoche, in der man begann, für die che Sammlungen an Exponaten aus den über- Naturwissenschaften Gebäude von einer ge- seeischen Kolonien, beispielsweise Australien wissen architektonischen Pracht zu errichten. und Neuseeland. Aber nicht nur seine naturhisto- Schon in der zweiten Hälfte des vorangehenden rischen Bestände sind eine bedeutende Informa- Jahrhunderts hatte es Einrichtungen für natur- tionsquelle über die Kultur der Naturwissen- wissenschaftliche Forschungen gegeben, aber in schaften seiner Epoche, sondern auch die Gestal- den Privathäusern von Professoren. Ein Beispiel tung dieses Museums. Seine Lage nicht in dafür ist das Chemische Laboratorium, entstan- den 1783, das ein Bestandteil des Hauses war, in dem von 1784 bis 1804 Johann Friedrich Gmelin 13 Laissus, Yves : Le Muséum national d'histoire naturelle, (1748–1804) wohnte. Für Friedrich Wöhler Paris 1995. Vgl. auch Limoges, Camille: „The development of the Muséum d'Histoire Naturelle of Paris, c. 1800-1914“, (1800–1882), der 1836 nach Göttingen gekom- in: The Organization of Science and Technology in France men war, wurde 1842 ein neues reines Laborge- 1808-1914, hrsg. von Robert Fox und George Weisz, Cam- bridge 1980, 211-240. bäude errichtet und 1858–1860 erweitert. In 14 Graefrath, Robert: „Zur Entwurfs- und Baugeschichte einem Gebäudeflügel des alten Universitätskom- des Museums für Naturkunde der Universität Berlin“, in: plexes im Paulinerkloster entlang des Papendieks, Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin, R. Math./Nat.wiss. 38 (1989), S. 279-286. ursprünglich für Professorenwohnungen genutzt, 15 Sheets-Pyenson, Susan: Cathedrals of Science, The De- velopment of Colonial Natural History Museums during the Late Nineteenth Century, Kingston and Montreal 1988. 18 Rupke (Anm 12). Vgl. auch Rupke, Nicolaas A.: „The 16 Yanni, Carla: Nature's Museums: Victorian Science and road to Albertopolis: Richard Owen (1804-92) and the the Architecture of Display. Baltimore 1999. founding of the British Museum of Natural History“, in: 17 Speziell zur Architektur vgl. Girouard, Mark: Alfred Science, Politics and the Public Good: Essays in Honour of Waterhouse and the Natural History Museum, London Margaret Gowing, hrsg. von Nicolaas A. Rupke, London, 1981. 1988, S. 63-89. 30 Nicolaas Rupke: Naturwissenschaftsarchitektur in der Historiographie der Naturwissenschaften waren 1793 das Physikalische Kabinett und das Greenwich von 1675 zu den frühen architekto- Physiologische Institut und wenig später auch nischen Stätten der Naturwissenschaften gehö- das Akademische Museum (1796) eingerichtet ren, haben sie bisher weit weniger historiogra- worden. Ein vollwertiges Naturhistorisches Mu- phische Aufmerksamkeit erfahren als beispiels- seum entstand zwischen 1873 und 1877, d.h. wie weise die nationalen Naturkundemuseen.19 In das Berliner Museum für Naturkunde während Deutschland ist die Göttinger Sternwarte ein der frühen Jahre des bismarckschen Kaiserreichs. Meilenstein bei der Institutionalisierung natur- Die ersten architektonisch anspruchsvollen, ei- wissenschaftlicher Forschung und bei der Ent- gens für naturwissenschaftliche Zwecke errichte- wicklung des akademischen Forschungsimpera- ten Gebäude in Göttingen waren die Sternwarte tivs. Das Borhecksche Manuskript ist eine bedeu- (1802–1816) und das Theatrum Anatomicum tende Quelle für das Verständnis der Göttinger (1827–1829; erweitert 1885–1900; zerstört bei Sternwarte als einem der „Räume des Wissens“ einem Bombenangriff 1945). und liefert Material für die Beantwortung der Obwohl die Pariser Sternwarte, erbaut zwischen allgemeineren Frage nach der „Behausung“ as- 1667 und 1672, und das Royal Observa-tory in tronomischer Forschung und deren Bedeutung. 19 Vgl. aber auch Morton-Gledhill, Rowan I.: „The Architec- ture of Astronomy in the British Isles: A General Study“, in: Vistas in Astronomy 32 (1989), S. 253-83. David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory 31 Astronomers have early on insisted on the preci- sion of their measurements and computations. The transformation of industrial and scientific cultures in the nineteenth century has been traced in part to the rise of “the values of preci- sion” and laboratories in universities and indus- tries have traditionally been seen as central loca- tions in this process. The observatory is arguably Astronomical Precision in the equally important, if only because a number of Laboratory: The Role of these values already pervaded observatory culture Observatory Techniques in the by the end of the eighteenth century.2 History of the Physical Sciences Viewed from today, the eclecticism of obser- vatory scientists in the first part of the nineteenth century may seem puzzling. Famous for his so- cial theory of the average man, Quetelet studied with just as much devotion and enthusiasm shooting stars, the influence of the moon on by David Aubin, Paris climate, probability theory, demography, or cri- minality. Similarly, one is often surprised to learn In the summer of 1829, Adolphe Quetelet who that Gauss, who was one of the greatest mathe- was planning to set up an observatory of his own maticians of his time, spent several years to ob- in Brussels toured Germany to gather informa- serve stars and comets, to triangulate the state of tion from its main astronomers. Influenced by Hannover, or to perform delicate measurements his mentors Alexander von Humboldt and Fran- of the earth magnetic field.3 çois Arago, Quetelet had set out to measure the At the heart of the observatory’s material cul- magnetic field of the earth in the several locati- ture lay a family of scientific instruments, most of ons he visited. One day, he called on Carl Friedrich them, though by no means all, optical. The tele- Gauss in his Göttingen observatory. The next scopes, polariscopes, spectroscopes, magnetome- day, they installed instruments in the garden of ters, clocks, thermometers, hydrometers populat- the observatory, far from any piece of iron to ing the observatory expressed the central concern avoid perturbation on the delicate setup. The of their users: to achieve the highest possible Göttingen astronomer was then sceptical of level of precision in the (mostly quantitative) Humboldt’s grand ambition of turning the study measurement of celestial phenomena. Astronomy of geomagnetism into a global precision science. was the first precision science.4 One year earlier he had had the opportunity to perform some experiments with Humboldt in Berlin and he had not been impressed by the chen, die ich selbst früher für unglaublich gehalten haben würde” (ibid., 2:588). quality of these measurements. 2 M. Norton Wise, ed., The Values of Precision (Princeton, NJ: That summer day of 1829, both Gauss and Princeton Univ. Press, 1995). About observatory sciences, Quetelet held a chronometer in their hand and see David Aubin, “The Fading Star of the Paris Observatory in the Nineteenth Century: Astronomer’s Urban Culture of timed the oscillations of a magnetic needle placed Circulation and Observation,” Osiris 18 (2003), 79-100; and between them. At their utmost surprise, their David Aubin, Charlotte Bigg, and H. Otto Sibum, eds., The Heavens on Earth: Observatory Techniques in the Nineteenth Century respective measurements for the duration of a (forthcoming). hundred oscillations differed by less than a tenth 3 G. Waldo Dunnington, Carl Friedrich Gauss: Titan of Science of a second. “But these observations,” Gauss (New York, Hofner, 1955); Tord Hall, Carl Friedrich Gauss: A Biography, trans. Albert Froderberg (Cambridge, Mass.: apparently exclaimed, “have the precision of MIT Press, 1970). astronomical observations.”1 4 Historians of astronomy can be counted among those who have pioneered the exploration of nontheoretical issues in the history of science, in particular paying considerable 1 Adolphe Quetelet, Sciences mathématiques et physiques au attention to instruments of high precision and their makers. commencement du XIXe siècle (Brussels: Mucquart, 1867), 646. See for example Henry C. King, The History of the Telescope See Gauss to Olbers, 12 October 1829, in C. F. Gauss and (Mineola, NY: Dover 2003 [1955]); Allan Chapman, Dividing H. W. M. Olbers, Briefwechsel, 3 vols. (Hildesheim/New the Circle: The Development of Critical Angular Measurement in York: Georg Olms, 1976), 2:525. “Bei Beobachtung der Astronomy, 1500-1850, 2nd ed. (Chichester: John Wiley & Schwingungsdauer einer Nadel lässt sich eine Schärfe errei- Sons, 1995). 32 David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory Abb. 9: Detail des Teilkreises mit Nonius auf dem Birdschen Mauerquadranten von 1756, der bis 1816 in der alten und danach in der neuen Sternwarte benutzt wurde (s. Abb. 25). Oben sind die Winkelgrade in Bogenminuten, un- ten in 16-tel Grad unterteilt. Der Nonius gestattete Messungen mit einer Genauigkeit von einigen Bogensekunden. Das Instrument ist heute nicht mehr voll funktionsfähig (Photo K. Reinsch, Universitäts-Sternwarte). Precision relied on an array of techniques that metric units.6 Nineteenth-century observatory were rooted in the culture of the observatory. scientists were at the forefront of scientific net- Around 1800, there were few places as entirely working. In 1800, an international group of as- devoted to the pursuit of research in the physical tronomers led by Franz Xaver von Zach had set sciences as the observatory. In Paris, Greenwich, up the Vereinigte Astronomische Gesellschaft to and elsewhere, maritime nations maintained large look for what they thought was a missing planet buildings, expensive instruments, and qualified between Mars and Jupiter. They established an early staff for the advancement of knowledge, the international vehicle for communication by publish- improvement of maps, the computation and ing regular observations in Zach’s Monatliche Corre- publication of tables and almanacs, and the de- spondenz (1800-1814), and later in Schumacher’s As- velopment of navigational methods.5 During the tronomische Nachrichten (from 1821).7 French revolution, observatory scientists were entrusted with the determination of the new 6 Ken Alder, The Measure of All Things: The Seven-Year Odyssey that Transformed the World (London: Little, Brown, 2002). 7 The history of astronomy’s early professionalization is well 5 The search for a reliable method for longitude determina- documented. For Germany, see Jürgen Hamel, “H. C. tion at sea looms large in the early history of observatories. Schumacher: Zentrum der internationalen Kommunikation Cf., in particular, Derek Howse, Greenwich Time and the Dis- in der Astronomie und Mittler zwischen Dänemark und covery of the Longitude (Oxford: Oxford Univ. Press, 1980); Deutschland” and Gudrun Wolfschmidt, “Internationalität William J. H. Andrewes, ed., The Quest for Longitude (Cam- von der VAG (1800) bis zur Astronomischen Gesellschaft,” bridge, Mass.: Harvard Univ. Press, 1996); Guy Boistel, W. D. Dick and J. Hamel, eds., Astronomie von Olbers bis L’Astronomie nautique au XVIIIe siècle en France: tables de la Lune Schwarzschild, Nationale Entwicklungen und internationale Bezie- et longitudes en mer, Ph.D. thesis (Université de Nantes, 2001) ; hungen im 19. Jahrhundert/ Acta Historia Astronomiae, 14, 89– and Vincent Jullien, ed., Le Calcul des longitudes. Un enjeu pour 120 and 182–203; Dieter B. Herrmann, “Das Astronomen- les mathématiques, l’astronomie, la mesure du temps et la navigation treffen im Jahre 1798 auf dem Seeberg bei Gotha,” Archive (Rennes: Presses univ. de Rennes, 2002). for the History of Exact Sciences 6 (1969/1970), 326–44. About David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory 33 By 1800, the observatory, therefore, had given visited Zach at the Seeberg Observatory (Gotha), rise to an epistemological space defined by a Gauss was struck by the announcement in Zach’s coherent set of techniques in precision, stan- journal for September 1801 of the discovery of a dardization and networking: the design and ma- new planet (Ceres) by Giuseppe Piazzi. Before nipulation of delicate instruments, the material disappearing behind the Sun, the planetoid had and mathematical treatment of numbers ex- been observed for 41 days only. This short dura- tracted from observation, and the social man- tion made it difficult to compute the size and agement of qualified personnel working together shape of its orbit and thus to predict where and towards common aims, either inside one particu- when the faint light deflected by Ceres would be lar observatory or in collaboration across national visible again. Gauss saw a golden opportunity to boundaries. Borheck’s manuscript is a striking demonstrate his mathematical skills to the astro- testimony to the fact that little was left to im- nomical community when he calculated the orbit provisation when it came to ensure that an ob- of Ceres on the basis of three observations only. servatory yielded only the most precise data. On 1 January 1802, Gauss’s approach was vindi- Borheck divided his memoir into three parts cated when, relying on his computations, Zach concerned with, respectively, the location of the sighted the planet again. observatory, its instruments, and its building. In Early 19th-century German astronomers, von all cases, his utmost concern to which all others Zach, Olbers and Gauss, among others, were were subservient was that the best possible, most drawn to emphasize the need of furthering the precise observational data could be produced in precision of astronomical observation. Variations the observatory. Equally important was the will- in brightness, misrecordings and misprints, and ingness of European states, and especially Ger- errors in the reduction of data marred extent star man ones, to allocate the required funds to this catalogues and made them acutely aware of the enterprise. As Friedrich Bessel wrote Gauss need to rework older catalogues introducing when the Prussian government agreed to set up more precise corrections for astronomical refrac- an observatory in Königsberg: tion, stellar aberration, and the precession of equinoxes. Olbers made a chance discovery of a Dennoch kostet das Gebäude nahe an 20000 Thaler; der second minor planet (Pallas), and in September Grund 6000 Thaler; die Instrumente etwa 4000 Thaler. 1804, Göttingen astronomer Karl Ludwig Har- Es kann sonderbar scheinen, das in den jetzigen Zeiten so ding spotted a third one (Juno). As new data on viel an eine Sternwarte verwandt wird; allein die Zeiten, minor planets gathered, Gauss set out to com- wo das Militair alles wegnahm, sind vorbei, und so wird pute the perturbations due to the gravitational denn das lebhaftere Interesse an wissenschaftlichen Sachen attraction exerted by Jupiter on them. From this erklärlicher.8 work, he developed the least-square method Precision attracted Gauss’s attention to astro- which enabled him to make use of all—not nomy.9 Few of his contemporaries excelled as he merely three—observed positions of a planet.10 did in the several sides of astronomical work, From early on, Gauss felt that observations from the most theoretical studies to routine ob- were as useful to his theoretical undertaking as servation. Having studied astronomy in Göttin- his theory in assisting observation.11 After having gen in 1795–98, assisted Lieutenant K. L. E. von been unsuccessful in his bid for an observatory in Lecoq in his geodetic survey of Westphalia, and Brunswick, Gauss was attracted to Göttingen by the promise of directing a state-of-the-art obser- vatory: „Sie wissen, dass in Göttingen ein Observato- the solidarity of German astronomers, see Gauss to Bessel, 5 March 1820, in Carl Friedrich Gauss and Friedrich rium erbaut wird, wenigstens der Absicht nach so gut, wie Wilhelm Bessel, Briefwechsel, 2 vols. (Hildesheim/New York: irgend eines in der Welt ist.“12 When he moved to Georg Olms, 1976), 1:324. 8 Bessel to Gauss, 10 März 1811, in Briefwechsel, 1:144 Göttingen Gauss began to observe minor planets 9 M. Brendel, “Über die astronomischen Arbeiten von regularly in the old observatory of Tobias Mayer. Gauss,” Carl Friedrich Gauss Werke, 11, 2, Abh. 3 (1929), 1– 258. Otto Volk, “Astronomie und Geodäsie bei C. F. 10 See Oscar B. Sheyhin, “C. F. Gauss and the Theory of Gauss,” C. F. Gauss: Leben und Werke, ed. Hans Reichardt (Berlin: Haude & Spenersche, 1960), 207–16; Eric G. For- Errors,” Isis 20 (1979), 21–72. 11 About theoretical vs. practical astronomy, see Bessel to bes, “The Astronomical Work of Carl Friedrich Gauss (1777–1855),” Historia Mathematica 5 (1978), 167–81; also in Gauss, 10 July 1820, in Briefwechsel, 1:358; and Gauss’s reply, 362. Sterne und Weltraum 16 (1977), 158–66. 12 Olbers to Gauss, 12 November 1802, in Briefwechsel 1:107. 34 David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory He used Mayer’s 6-foot mural quadrant, a pendu- magneticae terrestris ad mensuram absolutam lum clock made by John Stelton and an achro- revocata,” read at the Royal Society of Göttingen matic refracting telescope from the John & Peter on 15 December 1832, Gauss explained that a Dollond firm equipped with micrometers to second experiment could be performed that gave measure small angular distances from neighbor- out an absolute measurement of the field.15 This ing stars with great precision. Although he made was the first non-mechanical quantity to be ex- good use of them, Gauss knew that these in- pressed in terms of mass, length and time. Gauss struments were no substitute to a meridian tran- explained to Olbers: sit circle which he ordered from Johann Georg Ich beschäftige mich jetzt mit dem Erdmagnetismus, Repsold in Hamburg. Custom-made for Gauss namentlich mit einer absoluten Bestimmung von dessen and delivered in 1818, this instrument yielded Intensität. (…) So wie man z. B. von Geschwindigkeit absolute measurement with respect to celestial co- nur durch Ansetzung einer Zeit und eines Raums einen ordinates whereas the Dollond telescope could klaren Begriff geben kann, so, finde ich, muss zur voll- only give relative positions with respect to neigh- ständigen Bestimmung der Intensität des Erdmagnetismus boring stars. From his arrival at Göttingen, Gauss angegeben werden 1) ein Gewicht = p, 2) eine Linie = r, constantly endeavored to equip his observatory und dann man kann den Erdmagnetismus durch with the latest instrumental technology. He ob- p r ausdrücken.16 tained from the Munich workshop of Reichen- bach a new meridian circle to replace Repsold’s, a But more than the pleasure of finding out new Liebherr clock to replace Stelton’s, a repeating facts about the earth magnetic field, what truly circle and a theodolite. attracted Gauss’s interest to geomagnetism was The observatory’s culture of precision had a the prospect of modelling this area of science wide-ranging influence on scientific practice. The more thoroughly on astronomy. After the me- crusade undertaken by Humboldt to survey the chanics of moving bodies and optics, electrody- magnetic field of the Earth provides an example namics would be the next area of physics to be of how observatory techniques were adopted for expressed in the form of analytical laws submit- electromagnetic research. In 1828, Humboldt ted to the test of high-precision measurement: built a small magnetic observatory in Berlin and Fast noch wichtiger aber, als der glänzende Zuwachs initiated a program of coordinated observation at unerwarteter Thatsachen, die in diesen Gebieten entdeckt various locations at prearranged times. This re- sind [the work of Oersted, Ampère, Arago and Fara- quired a precise knowledge of time and of the day], ist der Umstand, dass auch hier die Versuche einer geographical location determined by astronomi- frühere weit überflügelnden Schärfe, und ihre einfachen cal means. Gauss took a major part in Hum- Grundgesetze einer wahrhaft mathematischen Präcision boldt’s survey. Mathematical equations had pre- fähig werden, so dass die Scheidewand zwischen eigentlich viously been used to account for electromagnetic sogenannter Physik und angewandter Mathematik auch phenomena, but Gauss was arguably the first to hier (wie längst in der Bewegungslehre und Optik) zu quantify them.13 sinken, und die tiefer eingreifende Bearbeitung dem Ma- By the late 18th century, it had been recog- thematiker anheim zu fallen anfängt.17 nized that the period of oscillation of a suspen- ded needle was inversely proportional to the square Characteristically for an astronomer, Gauss gave root of the magnetic field.14 But such mea- thorough descriptions of the instruments he had surements were relative since the intensity of the taken from the observatory panoply and adapted field could not be separated from the magnetic to geomagnetic surveys. His addition of a tele- moment. In his great contribution, “Intensitas vis scope to Gambey’s dip magnetometer allowed the scientist to observe the needle at a distance and avoid its disturbance though air currents and 13 Olivier Darrigol, Electrodynamics from Ampère to Einstein (Oxford: Oxford Univ. Press, 2000) and Christa Jungnickel and Russel McCormmach, Intellectual Mastery of Nature: Theo- 15 Werke V, 79ff., Annalen der Physik (1833). Ostwalds Klassi- retical Physics from Ohm to Einstein, 2 vols. (Chicago: Chicago Univ. Press, 1986). ker der exakten Wissenschaften 53 (Leipzig: Akademische Ver- 14 Hans Falkenstein, “Die wesentlichsten Beiträge von C. F. lagsgesellschaft, 1894). 16 Gauss to Olbers, 18 Februar 1832, 2:584-585. Gauss aus der Physik,” C. F. Gauss: Leben und Werke, ed. Hans Reichardt (Berlin: Haude & Spener, 1960), 232–51; G. D. 17 Gauss, [Magnetismus und Galvanismus : Amtlicher Be- Garland, “The Contributions of Carl Friedrich Gauss to Geo- richt], (Gauss an Königliches Universitäts-Curatorium, 29. magnetism,” Historia Mathematica 6 (1979), 5–29. Januar 1833), Werke 11:55–8. David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory 35 bodily heat. With his bifilar magnetometer, werden können, die gar nichts zu wünschen übrig lässt. Gauss claimed that “the horizontal part of the Ausgenommen für mich ein angemesseneres Lokal, wo kein earth’s magnetic field can now be observed as Eisen in der Nähe ist und jeder Luftzug abgehalten ist.21 precisely as the stars in the sky.”18 In 1838, Gauss Recognizing the need for a specially-designed published the “Allgemeine Theorie des Erd- environment for his experiments, Gauss had an magnetismus,” in which he expressed the poten- iron-free building set up on the grounds of the tial of the field in terms of a sum of spherical astronomical observatory. This was one of the harmonic functions.19 He then went on to com- first modern physics laboratories. In Germany, pare the results of his theoretical investigations his collaborator Wilhelm Weber wrote to Ed- with observations taken all over the earth. ward Sabine, “until now there existed only collections of As soon as he became interested in magne- physical instruments without permanent facilities for their tism and after Wilhelm Weber was hired as phy- use; there were no physical laboratories or observatories.”22 sics professor by the University in Göttingen, The physical laboratory borrowed heavily from Gauss geared his effort at setting up a new labo- the observatory. Before large physical laborato- ratory, a “magnetic observatory,” where such ries were established in the 1860s and 1870s, it studies could be performed. “Vielleicht wird unser was common to speak of “physical observato- Gouvernement, wenn die Geldklemme nicht zu gross ist, ries” and the laboratory building of the Physi- demnächst nicht abgeneigt sein, ein eigenes magnetisches kalisch-Technische Reichsanstalt was named the Häuschen, worin gar kein Eisen ist, zu errichten.”20 In Observatorium.23 his petition to the Curatorium, Gauss insisted Two years before Quetelet, Jean-Jacques that astronomical precision required thorough Ampère had also visited Göttingen and its obser- mathematical studies, expensive instruments, vatory. On April 22, 1827, he wrote to his father skilled experimenters, and a specific space devo- Adrien-Marie Ampère that his work on the theo- ted to their manipulations: ry of electromagnetism was greatly appreciated in Von jeher schien mir, dass die Apparate, deren man sich Germany and that he should send copies of his für die magnetischen Bestimmungen bedient, sehr unvoll- latest work to the Göttingen library. “I think it is kommen, und in einem schreienden Missverhältnisse gegen as important for the Germans to learn what die Schärfe unserer astronomischen und geodätischen Mes- concerns the sciences from us as it is useful to us to sungen sind. Ich habe seit etwa 5 Monaten angelegen sein study there literary criticism and history.”24 A mere lassen, diesem Uebelstande abzuhelfen, wobei ich gleich decade later, German observatory scientists had Anfangs von einigen schon seit vielen Jahren gehabten much to teach French physicists, not only about Ideen ausging, aber freilich fast jede Woche noch etwas the theoretical development of electromagnetism, Neues gekommen bin. Gegenwärtig habe ich zwei Appa- but also and more importantly about the way in rate fertig (…), womit absolute Dekl. und ihre Aende- which observatory techniques could be success- rungen, Schwingungsdauer etc. mit einer Schärfe gemessen fully transferred into the physical laboratory. 21 Gauss to Olbers, 2 August 1832, in Briefwechsel, 2:587. 22 Weber to Sabine, 20 Feb. 1845; quoted in Jungnickel and McCormmach, Intellectual Mastery, 1:77. My emphasis. 23 David Aubin, “Orchestrating Observatory, Laboratory, and Field: Jules Janssen, the Spectroscope, and Travel,” Nuncius 17 (2003), 143–62. 24 “Tu devrais réserver une certaine quantité d’exemplaires de ton oeuvre dernière pour Bonn, Goettingue, Weimar et l’Allemagne en général. Je crois aussi important pour les 18 Allemands d’apprendre de nous ce qui concerne les scien- Gauss to Olbers, 2 September 1837, in Briefwechsel, 2:649. ces, qu’il nous est utile d’étudier chez eux la critique et 19 Werke V. l’histoire des différentes littératures.” Jean-Jacques Ampère, 20 Gauss to Olbers, in Briefwechsel, 2:590. Correspondance (Paris: Hetzel, 1875), 441–2. 36 David Aubin: Astronomical Precision in the Laboratory Abb. 10: C. F. Gauß auf der Terrasse der Sternwarte, Lithografie von E. Ritmüller, verlegt bei Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen, Druck bei H. Honig in Göttingen. Entstanden ist dieser Stich ca. 1850. Auf dem Bild sind Person, Teleskop und Lehnsessel im Verhältnis zum Säuleneingang zu groß dargestellt. Das Teleskop ist ein von Fraunhofer gebautes Heliometer, das Gauß 1814 beschafft hat. Es erhielt 1872 ein neues Stativ und befindet sich in dieser erneuerten Form noch im Besitz der Sternwarte. Es wurde bis 1924 benutzt. Abb. 11: Fraunhofers Heliometer im Jahre 2005 (Photo K. Reinsch, Universitäts-Sternwarte Klaus Beuermann: Carl Friedrich Gauß und die Göttinger Sternwarte 37 Altphilologen und ständigen Sekretär der Societät (Akademie) der Wissenschaften Christian Gott- lob Heyne2. In Göttingen wurde dieser Vorschlag sehr freundlich aufgenommen3 aber eine Rufer- teilung zögerte sich hinaus. Gauß hatte 1802 Rufe nach Landshut und St. Petersburg erhalten, aber die Bedingungen sagten ihm nicht zu und er fühlte sich auch seinem Mäzen, dem Braun- schweiger Herzog, verpflichtet. Er lehnte die Carl Friedrich Gauß und die ergangenen Rufe ab und es entstand die Idee, Göttinger Sternwarte eine herzogliche Sternwarte in Braunschweig zu errichten. Die französische Invasion von 1803 unterbrach alle diese Aktivitäten und der Krieg von 1806, in dem der Braunschweiger Herzog zu Tode kam, entzog Gauß seine wissenschaftliche Unabhängigkeit und finanzielle Basis. Anfang 1807 erhielt Gauß das bereits mehrfach erneuerte und von Klaus Beuermann, Göttingen verbesserte Angebot aus St. Petersburg und im April 1807 fragte Heyne bei Gauß an4, ob er „Göt- Carl Friedrich Gauß wurde 1807 zum ersten tingen als einen Zufluchtsort betrachten wolle, so lange bis Direktor der neuen Göttinger Sternwarte berufen die schrecklichen und noch mehr Schrecklicheres drohen- und blieb dies nahezu 48 Jahre lang bis zu seinem den Zeiten, die eine reguläre Berufung unmöglich machten, Tode am 23. Februar 1855. Der Bau der „Neuen vorüber sind“. Noch während er sich brieflich mit Sternwarte“ vor dem Geismartor und die Beru- Olbers beriet, erhielt Gauß im August 1807 den fung von Gauß sind eng verknüpft − allerdings endgültigen Ruf nach Göttingen, den er annahm. nicht in der Weise, dass der Bau eine Berufungs- Im November 1807 zog Gauß mit seiner ersten zusage an Gauß wäre. Universität und Regierung Frau Johanna und Sohn Joseph (benannt nach verfolgten vielmehr den Bau bereits ab 1791 Giuseppe Piazzi, dem Entdecker des Planetoiden (Gauß war damals 14 Jahre alt) mit dem Ziel, Ceres) von Braunschweig nach Göttingen um. auch im Fach Astronomie eine wissenschaftlich Als Gauß nach Göttingen kam, war dort als hervorragende Institution zu schaffen und eine hauptamtlicher Astronom bereits Karl Ludwig erstrangige Berufung durchzuführen. Im Jahre Harding, der Entdecker des dritten Planetoiden 1802 schließlich stellte König Georg III. die er- Juno, tätig, der 1805 als a.o. Professor und In- forderlichen Mittel zur Verfügung und 1803 spektor der Sternwarte berufen wurde. Obgleich wurde der Bau begonnen, aber bald durch die die Anstellungsurkunde für Gauß vom 25. Juli französischen Besetzungen unterbrochen und 1807 ihm die Direktion der Sternwarte gemein- verzögert. sam mit Harding übertrug und Harding 1812 auch zum ordentlichen Professor ernannt wurde, 1. Die Berufung von Gauß nach betrachtete Gauß ihn doch eher als einen Gehil- Göttingen fen5. Das Verhältnis war anfangs freundlich, Mit der Bewilligung der Mittel für den Bau konn- später aber − besonders zu Zeiten der Gradver- te die Fakultät auch ernsthaft die Suche nach messung − gespannt. Die Schwierigkeiten auf- einem Kandidaten für die Stelle eines ordentli- grund der politischen Verhältnisse und die Enge chen Professors und Direktors der Sternwarte in der alten Göttinger Sternwarte wurden nur aufnehmen. Den Vorschlag Gauß zu berufen durch die Hoffnung auf bessere Zeiten gemildert. unterbreitete der als Astronom bereits berühmte und in wissenschaftlichen Kreisen sehr einfluss- reiche Bremer Arzt Dr. Wilhelm Olbers1 dem 2 Brief von Olbers an Gauß vom 25. Dezember 1802. Göttinger Historiker Heeren und wohl auch dem 3 M. Brendel in „Über die astronomischen Arbeiten von Gauss“, Gauß Werke, Bd. 11,2, S. 21. 4 Brief von Heyne an Gauß vom 12. April 1807. 1Olbers hat u.a. auch Bessel (1784−1846) zur Astronomie 5 Wilhelm Olbers, sein Leben und seine Werke, Band 2, gebracht und seine Berufung nach Königsberg bewirkt. Briefwechsel zwischen Gauß und Olbers, Nr. 114. 38 Klaus Beuermann: Carl Friedrich Gauß und die Göttinger Sternwarte Abb. 12 Der östliche Wohnflügel der Sternwarte, in dem von 1816 an Ludwig Harding wohnte, während Carl Friedrich Gauß mit seiner Familie den Westflügel bezog (Photo K. Reinsch, Universitäts-Sternwarte). 2. Gauß’ persönliche Lebensverhältnisse in Göttingen Nach einer anfänglichen behelfsmäßigen Unter- Haushalt führte und bis 1839 Gauß’ Mutter kunft wohnte Gauß mit seiner Familie von 1808 pflegte, die aus Braunschweig zur Familie umzog bis 1816 im Eckhaus Kurze Straße/Turmstraße und im hohen Alter von 95 Jahren starb. nur wenige Schritte von der alten Sternwarte in Am 17. September 1816 zog die Familie in der Turmstraße entfernt. In Göttingen wurde den Westflügel der gerade fertiggestellten Stern- 1808 seine Tochter Wilhelmine („Minna“) gebo- warte um. Dieser Bau bot ihm immens verbes- ren, benannt nach ihrem Paten Wilhelm Olbers. serte Arbeitsbedingungen, verbunden auch mit Ein Jahr später starb seine geliebte Frau Johanna der Verantwortung für die instrumentelle Erst- („Hannchen“) nach der Geburt des Sohnes ausstattung – und einen wunderschönen Spiel- Louis, der nach Ludwig Harding benannt wurde. grund für die fünf Kinder. Nur wenige Jahre Louis starb nur wenige Monate später und im später, 1823, erkrankte seine zweite Frau, war ab Vorjahr war bereits Gauß’ Vater in Braunschweig 1826 schwer leidend und starb 1831. Er schrieb gestorben. Freude und qualvolles Leid liegen hier an den Studienfreund Bolyai: „Wie schwer ein sol- dicht beieinander. Im folgenden Jahr 1810 heira- ches Leiden drückt, ... brauche ich Dir nicht zu sagen. tete Gauß Friederika Wilhelmina („Minna“) Wenn ich ihr nun Glück wünschen darf, von den Leiden Waldeck, Tochter des Professors Johann Peter endlich befreit zu sein: so fühle ich mich selbst dagegen Waldeck. Aus dieser Ehe stammen die später in nun so alleinstehend!6“. In dieser Situation suchte er die USA ausgewanderten Söhne Eugen (geb. in der Beschäftigung mit der Kristallographie 1811) und Wilhelm (geb. 1813) sowie die Tochter Therese (geb. 1816), die ihm nach dem Tod sei- ner zweiten Frau 1831 über 25 Jahre hinweg den 6Nach Horst Michling, Carl Friedrich Gauß, Verlag Göttin- ger Tageblatt, 3. Aufl. S. 116.
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