Michaela Wolf Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918 B öh l au Ve r l ag Wi e n · Köl n · We i m ar Gedruckt mit der Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschafltischen Forschung Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78829-4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau-verlag.com Umschlagabbildung: Ethnographische Karte der österrreichischen Monarchie, 1856 © ÖNB Wien, Sign. Nr. E 21.711-G Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Gesamtherstellung : Wissenschaftlicher Bücherdienst, 50668 Köln Für Karl Inhalt Dankesworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 erstes K apitel Zur soziologischen Verortung von Translation.. . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation . . . . . . . . 19 2. Translationswissenschaft : »going social« ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Z w eites K apitel K.(u.)k. »going postcolonial«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Der »cultural turn« und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen . . . . . . . . . . 40 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« . . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 »Polykulturelle Kommunikation und Translation« . . . . . . . . . . . . . 54 »Transkulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Dr it tes K apitel Das habsburgische Babylon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus-Debatte . . . . . . . . . 62 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen ?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme«.. . . . . . . . . . . . 73 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 V iertes K apitel Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. »Polykulturelle Kommunikation«.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 »Habitualisiertes Übersetzen«.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 8 Inhalt »Institutionalisiertes Übersetzen«. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. »Polykulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Kontakt zwischen Behörden und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Die Übersetzung von Gesetzestexten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im Kriegsministerium.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Die Ausbildung von Dragomanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis.. . . . . . . . . 188 Fünf tes K apitel Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« . . . . . 194 Sechstes K apitel »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor.. . . . . . . . 202 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung . . . . . . . . . . . 202 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von Positionierungskämpfen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Siebtes K apitel Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik . . . . . . . . . . . . . . . 217 Zensur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Urheberrechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Konzessionspflicht.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Staatliche Kultur- und Literaturförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Literaturpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Achtes K apitel »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik . . . . . . . . 236 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien. . . . . . . . . . . . . . . . . 240 »Polykulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 »Transkulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Gesamtauswertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung . . . . . . . . . . . . . . . 257 Inhalt 9 Neuntes K apitel Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen. . . . . . . . . . . . . . 263 1. Österreichisch-italienische Wahrnehmungen.. . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . . 281 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« . . . . . . . . . . . . . . 298 Soziale Felder und ihre Funktionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder . . . . . . . . . . . . . . . 303 Paratexte – das »Beiwerk des Buches« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Der habsburgische Vermittlungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen Vermittlungsraumes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Zehntes K apitel Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen.. . . . . . . . . . . . 392 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Grafiken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Sachregister.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Dankesworte Als ich die Recherchen für die nun überarbeitete und im Druck vorliegende Habilitationsschrift in Angriff nahm und die ersten Forschungskonzepte ent wickelte, war mir bald klar, dass der Weg zum Ziel ein langer werden würde. Es wurde mir auch bewusst, dass ich – als ausgebildete Translationswissenschaftle rin und Romanistin – ohne geschichtswissenschaftliche Begleitung auf meiner weiten Reise in das sprachen- und völkerverworrene Kakanien Gefahr laufen würde, vom rechten Weg abzukommen. Dass ich schließlich so viele Menschen, denen ich viel Geduld und Rat abverlangte, in meinen Forschungsprozess invol vieren würde, war nicht geplant. Ihnen allen gilt es nun, Dank zu sagen. Ich denke, dass ich auf der Suche nach meinem Quellenmaterial den MitarbeiterInnen der von mir konsultier ten Bibliotheken mit meinen sonderbaren, zuweilen exzentrischen Wünschen die meisten Schwierigkeiten bereitet habe. Sie versorgten mich unermüdlich mit Literatur und wiesen mir wieder Wege zu unkonventionellen und unbüro kratischen Lösungen. Im Fokus meiner wissenschaftlichen Ambitionen stand naturgemäß die Universitätsbibliothek Graz : Sowohl die Abteilung für Sonder sammlungen, die mir stets freundschaftliche Hilfe anbot, als auch die Fernleihe, die ungewöhnliche Geduld bei der Suche nach »gerade dieser Ausgabe« übte, hielten meinen Belastungsproben stand. Des Weiteren habe ich den Mitarbei terinnen und Mitarbeitern der Österreichischen Nationalbibliothek, der Uni versitätsbibliotheken in Wien, Salzburg und Innsbruck, des Haus-, Hof- und Staatsarchivs, der Bibliothek des Justizpalastes sowie Pater Nerses Sakayan von der Bibliothek der Mechitharisten in Wien zu danken. In Deutschland genoss ich die freundliche Beratung der Staatsbibliothek Berlin und der Bayerischen Staatsbibliothek München. Besonders wertvoll waren mir Einzelgespräche, seien es solche mit meinen Studierenden, die mir mit ihrem oft noch ungetrübten Blick auf die Dinge wichtige Anregungen gaben, seien es solche mit den Kolleginnen und Kollegen des eigenen Instituts. Insbesondere waren für mich Gespräche mit Erich Prunč und Nadja Grbić von Bedeutung. Im Wiener Kontext erwiesen sich eingehende Gespräche mit Mary Snell-Hornby, Waltraud Heindl, Michael Mitterauer und Günter Müller als außergewöhnlich fruchtbar. 12 Dankesworte Was wäre die Wissenschaft heutzutage ohne die Technik ? In diesem Zusam menhang habe ich Stefani Arnold herzlich zu danken, die mir für den Grund stock meines Korpus die für meine Arbeit ausschlaggebenden Daten des Pro jekts der »Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von 1730 bis 1990« zur Verfügung stellte. Was die technische Assistenz im All gemeinen und die Erstellung der vielen Grafiken und der Tabellen im Beson deren anlangt, konnte ich mich auf Rat und vor allem Tat von Rainer Rössler, Gernot Hebenstreit und Rafael Schögler stützen. In all den mühsamen vergangenen Jahren war mir die Anteilnahme meiner Eltern und die Freude und Aufmerksamkeit, die sie der Arbeit ihrer » Jüngsten« schenkten, eine besondere Stütze. Ebenso war mir die bedingungslose Freund schaft von Helga Lackner eine unerschöpfliche Quelle an moralischer Unter stützung. Ohne das Wiener Domizil von Werner Hörtner wären meine zahllo sen Aufenthalte in Wien schwer durchführbar und um vieles weniger anregend gewesen. Karl Kaser schließlich danke ich dafür, dass er als Fachfremder immer wieder geduldig meinen Ausführungen über die verschiedenen Knotenpunkte, die ich zwischen der sozialen Praxis bei Pierre Bourdieu und kulturwissen schaftlichen Fragestellungen im Verlauf meiner Arbeit zu erkennen glaubte, folgte und mir darüber hinaus mein Auge für »balkanische« Zusammenhänge mit meiner Arbeit schärfte. Graz, November 2011 Einleitung Eine vor allem in den Geisteswissenschaften existente, nicht zuletzt durch ver schiedene »turns« verstärkte interdisziplinäre Forschung stellt zum einen beste hende Paradigmen und vermeintliche Eindeutigkeiten auf den Prüfstand und eröffnet zum anderen die Chance, in den Grenzbereichen und Überschneidungs zonen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen produktive Forschungsfel der zu schaffen, die innovatives Potenzial besitzen und die wissenschaftliche Erkenntnis vorantreiben. Dies scheint zumindest für den Bereich der Transla tionswissenschaft konstitutiv – und zwar im doppelten Sinn, ist doch nicht nur ihr Objektbereich in den Kontaktzonen »zwischen den Kulturen« angesiedelt und somit unterschiedlichen Kontextualisierungskonstellationen und Kommu nikationsstrukturen ausgesetzt, sondern auch die Disziplin selbst : Es sind vor rangig die weit gefächerten, vielfältige Kommunikationsformen umfassenden Themenkomplexe der Translationswissenschaft, die durch ihr breites Spektrum die Erhaltung einer (oft vordergründig angestrebten) disziplininternen Kohä renz infrage stellen ; durch das Verharren in den eigenen disziplinären Grenzen werden auch wesentliche Forschungsprobleme systematisch eingeschränkt. Die Translationswissenschaft ist vielmehr gerade aufgrund ihrer thematisch multi perspektivischen Ausgewiesenheit auf Grundlagen aus anderen Wissenschafts feldern nicht nur zwingend angewiesen, sondern hat auch seit Langem erkannt, dass sowohl Impulse aus anderen Disziplinen als auch konstruktive Kooperation mit anderen Wissenschaftszweigen für sie von zentraler Bedeutung sind. Den deutlichsten Bezugsrahmen stellten bisher die Sprachwissenschaft und die Li teraturwissenschaft dar, zu denen freilich auch aus wissenschafts- und diszip linhistorischen Gründen Abgrenzungsbemühungen bestehen ; in weiterer Folge sind Kulturwissenschaften und Sozialwissenschaften verstärkt ins Blickfeld ge raten. Nicht zuletzt bedingt durch diese Entwicklungen erlebte die Translati onswissenschaft seit den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine Konjunktur neuer, über die Grenzen der Disziplin hinausweisender und diese Grenzen aus reizender Fragestellungen. Die weitreichendsten Impulse für Veränderungen in den Denkrichtungen der Translationswissenschaft gingen zweifelsohne von der sogenannten »kultu rellen Wende« am Beginn der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts aus. Dieser 14 Einleitung Paradigmenwechsel, der insgesamt in den Geistes- und Naturwissenschaften einen entscheidenden Wandel in den Konzepten, Modellen und Verfahren mit sich gebracht hat, bedeutete für die Translationswissenschaft eine nachhaltige Erweiterung des Beobachtungsrahmens und die Erarbeitung von Fragenstel lungen, die zunächst vor allem bei der Erforschung von Übersetzungsprakti ken Problemkomplexe wie historische Zusammenhänge, kontextuelle Situation oder Translationskonventionen zu berücksichtigen begannen und den Makro- Kontext des Forschungsgegenstandes des Translats in den Vordergrund rückten. Wurden in einem ersten Schritt kulturelle »Transfer«-probleme noch haupt sächlich als kulturspezifische Einzelprobleme abgehandelt, so wurde diese Di mension bald auf die Diskursebene ausgeweitet und schließlich im Zuge einer kulturwissenschaftlichen Neubestimmung der Translationswissenschaft auf jene Verfahren bezogen, die explizit repräsentationskritisch Machthierarchien in frage stellen und die Konstruktionsmechanismen des »Anderen« freilegen. Diese Loslösung von textfixierten und auf Harmonie im Sinne von »Völker verständnis« abgestellten Betrachtungsweisen vermag nicht nur starre Zuord nungen aufzubrechen und asymmetrische Transferverhältnisse freizulegen, sondern fokussiert gleichzeitig auf jene Übersetzungskonstellationen, die »Übersetzung als interaktives soziales Geschehen konkretisieren« (Fuchs 1997 : 319). Dadurch wird der Blick auf die kulturellen und sozialen Kodierungen ge lenkt, die das translatorische Phänomen in besonderem Maß ausweisen : Ver mittlungsprozesse sind nicht nur in kulturelle, sondern auch in gesellschaftliche Gefüge eingebunden, die sowohl das Aushandeln kultureller Differenzen im plizieren als auch die Auslotung der in den Übersetzungsvorgang involvierten Handlungsformen. Vermittlungsfiguren stehen folgerichtig als eine Art »ver bindendes Gewebe« zwischen den Kulturen und sind in ihren jeweiligen Ent stehungskontexten in soziale Netzwerke eingebunden, die sie als konstruierende und konstruierte Subjekte erscheinen lassen. Diese Einsichten lassen im Kiel wasser der »kulturellen Wende« zwei große Fragenkomplexe virulent erschei nen : Zum einen ergeben sich daraus ernsthafte Konsequenzen für den Begriff der Übersetzung und damit für den Objektbereich der Translationswissenschaft. Zur Konzeptualisierung eines Übersetzungskonzepts, das einer Auffassung von Kultur als identitäts- und traditionssichernde Instanz entgegenwirkt und viel mehr die dynamischen Veränderungen thematisiert, die durch kontinuierliche Begegnungsmomente hybride Befindlichkeiten schaffen, erscheint es erfor derlich, das Potenzial eines metaphorisch konzipierten Übersetzungsbegriffes (Stichwort : »kulturelle Übersetzung«) zum Einsatz zu bringen, der nicht nur die kulturellen Überschneidungssituationen des translatorischen Prozesses the Einleitung 15 matisiert, sondern in dessen Rahmen auch die TranslatorInnen als TrägerInnen kultureller Dynamik zu Wort kommen lässt und darüber hinaus unter Einbe ziehung postkolonialer Denkfiguren die Probleme kultureller Repräsentation und damit den Konstruktcharakter von Übersetzung zu erschließen vermag. Andererseits ist ein Forschungsfeld der Translationswissenschaft angesprochen, das erst im vergangenen Jahrzehnt ins Blickfeld der Forschung geriet und noch viele Forschungsfragen bereithält : Die »Translationssoziologie« nimmt sich vor allem der Aufarbeitung jener Problemfelder an, die Übersetzen und Dolmet schen als soziale Praxis und symbolisch vermittelter Interaktionen ansehen, de ren Implikationen es im Detail auszuleuchten gilt. Der Prozess des Übersetzens ist dementsprechend durch das Zusammenwirken von zwei Ebenen bedingt, die das »Soziale« und das »Kulturelle« in unterschiedlichem Ausmaß umfassen : Zum einen handelt es sich um eine strukturelle Ebene, deren Konstituenten u.a. Macht, Herrschaft, Staatsinteressen, Religion, ökonomisches Interesse sind ; zum anderen geht es um die Ebene der in den Translationsprozess involvierten AkteurInnen, die ihrerseits diese Strukturen internalisiert haben (Stichwort : Habitus) und im Rahmen ihrer Handlungsspielräume (kulturell bedingte In teressen, Widerständlichkeiten etc.) auf bestehende strukturelle Verhältnisse im Kontext ihrer kulturell konnotierten Werthaltungen, Weltsichten u.a.m. reagie ren und gleichzeitig auf die Strukturen zurückwirken. Der plurikulturelle Raum der Habsburgermonarchie bietet sich als Folie für die Erforschung der hier angerissenen Fragen gerade aufgrund seiner komplexen ethnischen Zusammensetzung, die zur Bewältigung (auch) alltäglicher Kommu nikationsprobleme kreative Lösungspotenziale erforderte, besonders an. Für den gewählten Zeitraum zwischen 1848 und 1918 gilt des Weiteren, dass sich in die sen Jahrzehnten die einzelnen »Nationalitäten« der Monarchie untereinander in starken Konkurrenz- bzw. Abhängigkeitsverhältnissen befanden, die bestehende Kommunikationsordnungen auf den Prüfstand stellten und die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern stärker vorantrieben als in den Jahrzehnten davor. Das Phänomen der Übersetzung, das hier in dem skizzierten, weit gefassten Begriff verstanden wird, diente nicht nur als Verständigungsmittel zwischen den Kulturen der Habsburgermonarchie und als Medium kulturellen Transfers mit »anderen« Kulturen, sondern – und so lautet die These der vorliegenden Studie – trug gerade aufgrund der vielfältigen Formen seiner Manifestation in hohem Maß zur Konstruktion der Kulturen des habsburgischen Raumes bei. Für die Bearbeitung dieser Fragen bedarf es eines pluralen methodischen Konzepts. Es wird in zwei Analyseschritten vorgegangen, die einander ergän zen und die nicht zuletzt durch die Auswahl des Korpus mitbestimmt werden. 16 Einleitung In einem ersten Schritt wird der Frage nachgegangen, wodurch im Kommuni kationsraum der Habsburgermonarchie die durch »Übersetzung« im weitesten Sinn generierten kulturellen Konstruktionen bedingt waren ; zu diesem Zweck wird eine Übersetzungstypologie erstellt, die die Bandbreite der translatorischen Handlungen, die für die Kommunikation in und mit der Habsburgermonarchie konstitutiv waren und die zu diesen kulturellen Konstruktionen beitragen, zu er fassen vermag. Umfangreiche Archivstudien stellen unter anderem die Grund lage für dieses Unterfangen dar. Die Typologisierung der verschiedenen Über setzungsformen erfolgt vor dem Hintergrund des »habsburgischen Babylon«, also der Praxis der Sprachverwendung im Kontext der aufkommenden Natio nalitätenkonflikte und der nicht zuletzt daraus resultierenden sprachrelevanten Gesetzgebungen. Neben den als »habitualisiertes Übersetzen« (in asymmetri schen Bezugsrahmen erfolgte Kommunikation auf der Grundlage von Zwei- und Mehrsprachigkeit) bzw. »institutionalisiertes Übersetzen« (differenzierter Umgang mit Sprachenvielfalt auf gesetzlicher Basis, also Schule, Heer, Beam tInnenwesen) zu bezeichnenden Handlungsfeldern werden jene Bereiche näher behandelt, wo die translatorische Tätigkeit explizit kulturkonstruierend operiert. Hier wird die Übersetzung von Gesetzestexten (Stichwort : »Redaktionsbureau des Reichsgesetzblattes«, »Terminologiekommission«) ebenso beleuchtet wie das Übersetzen im Ministerium des Äußern (»Sektion für Chiffrewesen und translatorische Arbeiten«) und im Kriegsministerium (»Evidenzbureau«) ; des Gleichen wird dem literarischen Übersetzen und der Ausbildung von »Dra gomanen« ausreichend Platz eingeräumt. Eine präzise Konzeptualisierung des translatorischen »Vermittlungsraumes« kann jedoch nur auf der Basis methodi scher Grundlagen rekonstruiert werden, die akteurInnenbezogen die einzelnen Konstruktionsprozesse auszuleuchten imstande sind. In einem zweiten Analy seschritt wird dieses Vorhaben mittels der Kultursoziologie von Pierre Bourdieu konkretisiert, die kritisch beleuchtet und aufgrund mangelnder Instrumenta rien, die vor allem dem Kriterium der Vermittlung gerecht werden können, durch kulturwissenschaftliche Kategorien dynamisiert wird. Das im engeren Sinn translatorische Korpus, das diesen Untersuchungen zugrunde gelegt wird, umschließt im Rahmen der Texte, die im Zeitraum zwi schen 1848 bis 1918 in Verlagen der Habsburgermonarchie erschienen, einen Makro- und einen Mikrokontext. Auf der Makroebene wird eine quantitative Analyse von 14 Übersetzungsbibliografien angestellt, die unter anderem die Di versifizierung der Verhältnisse von kultureller Produktion und Leseverhalten im Untersuchungszeitraum widerspiegeln. Diese Untersuchung stellt den Rahmen für die Detailanalyse deutschsprachiger Übersetzungen aus dem Italienischen Einleitung 17 dar, die nach Parametern wie Genre, Verlagsort, Publikationsart, Geschlecht der AutorInnen bzw. ÜbersetzerInnen u.a. untersucht werden ; die Daten der in der Habsburgermonarchie produzierten Übersetzungen werden in einigen ausge suchten Parametern mit jenen der im Deutschen Reich im gleichen Zeitraum publizierten Übersetzungen aus dem Italienischen korreliert. Die Übersetzun gen beschränken sich bei Weitem nicht auf literarische Texte, sondern umfassen überdies kunsthistorische und religiöse/theologische Schriften sowie zahlreiche naturwissenschaftliche (darunter medizinische, psychologische oder kriminal psychologische) und geisteswissenschaftliche (vorrangig philosophische, kultur historische und literarische) Fachtexte. Die Auswahl der Jahre 1848 bis 1918 für den Zeitraum der Untersuchung soll nicht ausschließlich als Start- und Endpunkte bestimmter Entwicklungen (etwa im literarischen oder wissenschaftlichen Feld) gesehen werden – dies ist in Anbetracht der Vielfalt an Untersuchungsbereichen, die hier zur Diskussion stehen, auch gar nicht möglich –, sondern markiert in erster Linie historische Zäsuren : Gilt das Jahr 1848 – auch in kritischer Sicht – als nachhaltiger Wende punkt in der politischen und sozialen Ordnung der habsburgischen Geschichte, kennzeichnet 1918 das Ende der Habsburgermonarchie und damit des hier untersuchten plurikulturellen Kontextes der Übersetzungstätigkeit. Revolutio näre Prozesse, auch wenn sie nie richtig zur Entfaltung kommen können oder im Laufe der Zeit größtenteils ihre Spannkraft verlieren, bewirken zumeist das Aufkommen neuer TrägerInnenschaften und die Umverteilung von Kompeten zen in staatlichen und privaten Institutionen, was auch auf die translatorische Tätigkeit nicht ohne Auswirkungen bleibt. Spezifisch für das italienisch-habs burgische Verhältnis bedeutet das Jahr 1848 einen markanten Einschnitt in die italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen, deren Auswirkungen im Detail zu untersuchen sein werden. Ein erweiterter Übersetzungsbegriff, wie er in der vorliegenden Arbeit ver wendet wird, eröffnet ein breites Feld der gesellschaftlichen und politischen Pra xis. Um weiterhin ihrer gesellschaftspolitischen Rolle gerecht zu werden, muss sich die Translationswissenschaft mit den hier angerissenen und im Kontext des »translatorischen Vermittlungsraums« der Habsburgermonarchie abgehan delten Fragen auseinandersetzen und sie für sich fruchtbar machen. In diesem Zusammenhang gilt es, breite Vorstellungen von Translation verstärkt in die Herausforderungen pluriethnischer Gemeinschaften wie etwa die Europäische Union einzubringen und über den noch immer weithin verbreiteten dienenden Charakter von Übersetzen und Dolmetschen hinauszugehen. Die Habsbur germonarchie kann in diesem Sinn als Experimentierstelle für die EU wirken, 18 Einleitung sowohl in sprachpolitischer Sicht, aber auch im Hinblick auf die Statuszuwei sung von Sprachen und die funktionale Gestaltung komplexer mehrsprachiger Situationen. Wenn in einem solchen Umfeld TranslatorInnen nicht ausschließ lich »für den Markt« arbeiten sollen und als transkulturelle VermittlerInnen zur Bewältigung von Kommunikationskonflikten betrachtet werden, dann eröffnen sich neue Tätigkeitsfelder, in denen Translator und Translatorin »für die Gesell schaft« arbeiten und dabei aktiv und eigeninitiativ Akzente setzen. Auf Kakanien bezogen würde das unter anderem bedeuten, einen dynamischen Umgang mit dem kulturellen Erbe weiterzuentwickeln und es in die Widersprüchlichkeiten neuer Kontexte zu integrieren, um die Metamorphosen des Übersetzungsfeldes wirksam mitgestalten zu können. er stes K a pitel Zur soziologischen Verortung von Translation Yet no translator or institutional initiator of a translation can hope to control or even be aware of every condition of its production. (Venuti 1998 : 3) Mit diesem Zitat weist Venuti im Kontext des Entwurfs einer »ethics of diffe rence«, die jenen »scandals of translation« entgegenwirken soll, die dem Bild von Übersetzung in der Gesellschaft in historischer und aktueller Perspektive zuset zen, nachdrücklich auf die Problematik der gesellschaftlichen Verflechtung von Translation hin und stellt gleichzeitig die Werte und Institutionen infrage, die das Phänomen der Übersetzung bestimmen. Die Positionierung des Sozialen in der wissenschaftlichen Betrachtung von Translation erscheint vor allem durch die soziale Gebundenheit des Phänomens der Translation und der AkteurInnen des wissenschaftlichen Feldes besonders dringlich. Die Ausleuchtung des trans lationswissenschaftlichen Forschungsfeldes auf diese Fragen hin ist somit ein prioritäres Anliegen. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation In seiner Wissenschaftskritik stellt Hartmut Heuermann fest, dass die heute ge übte Wissenschaft weder ein konturierbares Menschen- noch ein definierbares Gesellschaftsbild besitzt (Heuermann 2000 : 12). Damit signalisiert er, dass die zeitgenössische Wissenschaftstheorie weder dem Menschen als Individuum bzw. Subjekt gerecht wird noch die Kategorie des Humanen innerhalb größe rer Einheiten wie der Gesellschaft ausreichend berücksichtigt. Aus historischen Ansätzen, die sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft be fassten, ist ersichtlich, dass das wissenschaftliche Wissen stets von Metawissen überformt war, in dem kulturelle Traditionen als Stifter oder auch Hüter über geordneter »Wahrheiten« fungierten und für lange Zeit durchaus inspirieren den Charakter hatten (ibid.: 61). Das Bekenntnis gegenüber übergeordneten Einheiten, sei es gegenüber dem Staat, einer Religion, einer philosophischen Richtung, stand stets im Vordergrund und hatte auch im akademischen Bereich, wo das kulturelle Gesamtwissen als Legitimationskraft der Wissenschaft galt, 20 Zur soziologischen Verortung von Translation sowohl orientierende als auch legitimierende Funktion. François Lyotard ortet zentrifugale Kräfte wie Dezentralisierung, Pluralisierung oder Partikularisie rung als Einflussgrößen für eine Krise des Wissens und der Auseinandersetzung mit diesem Wissen. Im Zuge einer verstärkten Zersplitterung (»éclatement«) und Differenziertheit dienen die »großen Erzählungen« (»grands récits«) so mit nicht mehr als individuelle und kollektive Legitimierungen, die »Sehnsucht nach der verlorenen Erzählung ist für den Großteil der Menschen selbst ver loren« (Lyotard 1994 : 122). Anstelle der »grands récits« treten vielmehr die Delegitimierung alter Wertmuster und die durch stets neu zu konturierenden Identitätskonstruktionen hervorgerufenen gegenseitigen Abgrenzungen und Hybridisierungen. Diese »postmoderne« Befindlichkeit ist nicht erst für das ausgehende 20. Jahrhundert zutreffend, sondern zeigt, wie Lyotard betont, be reits in der Wiener Moderne ihre Symptome, als eine stark ausdifferenzierte Lebenswelt allmählich keine verbindlichen Deutungen mehr zuließ. Die hier geschilderten Entwicklungen machen auch vor der Translationswis senschaft nicht Halt. Im Rahmen einer Disziplin, deren Etablierung als univer sitäres Fach erst relativ kurz zurückliegt und die weiterhin um Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ringt, besteht einerseits die Gefahr, das Rad ständig neu zu erfinden und in anderen Disziplinen längst erprobte Methoden oder Denk modelle von Beginn an neu zu »erforschen«, andererseits eröffnet sich innerhalb dieses Ringens um Anerkennung sowohl in wissenschaftstheoretischer als auch forschungsorganisatorischer Sicht die Chance, ein breites Experimentierfeld zu entwerfen, in dem – vergleichsweise – wenig Traditionslinien und festgegrün dete Gedankengebäude den Forschungsschwung zu stoppen vermögen und das – freilich unter kritischer Berücksichtigung bestehender wissenssoziologischer Paradigmen und in Anlehnung an grundlegende Fragen der Wissenschaftsfor schung – die Erarbeitung und Erprobung theoretischer Konzepte und methodi scher Modelle in epistemologischer wie heuristischer Perspektive erlaubt, ohne stets auf oft traditionsreiche, der Disziplin inhärente wissenschaftshistorische Überlegungen Bedacht nehmen zu müssen. Doch wird dieses Potenzial von der Translationswissenschaft auch tatsächlich ausreichend genutzt bzw. ausgereizt ? Es scheint nicht zuletzt diesen Voraussetzungen zu verdanken zu sein, dass vor allem die wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit translato rischen Phänomenen in letzter Zeit insgesamt eine beachtliche Erweiterung erfahren hat. Impulse kommen vor allem von philosophischer Seite (vgl. etwa Hirsch 1997, Buden/Nowotny 2009), aber auch allgemein kulturwissenschaft liche (vgl. Bronfen/Marius/Steffen 1997, Bhabha 2000, Wagner 2009), anthro pologische (Maranhão/Streck 2003, Rubel/Rosman 2003) und feministische Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation 21 Denkansätze (Simon 1996, Diocaretz/Segarra 2004, Raterman 2010) haben be deutende Beiträge zu einer Differenzierung übersetzerischer Konzepte geliefert. Diese Entwicklungen lassen die Hoffnung aufkommen, der auch in translato rischen Belangen wirksamen Rationalisierung der wissenschaftlichen Welt, wie ihr vor allem in den Ansichten von Wissenschaft als wirtschaftliche Produktiv kraft in jüngerer und jüngster Vergangenheit verstärkt das Wort geredet wird, entgegenzuwirken, scheint doch die Wissenschaft als System heute sowohl der außerordentlichen Dynamik preisgegeben, mit der sich Forschung und Theo riebildung weiterentwickeln, als auch dem rapiden Strukturwandel der Institu tionen ausgesetzt (Heuermann 2000 : 69), die das Betreiben von Wissenschaft ermöglichen und bedingen. Speziell auf den Kontext der Beziehungen von Wissenschaft und Gesellschaft stellt sich die Frage, worin ein diesbezüglicher Beitrag von translatorischer bzw. translationswissenschaftlicher Seite bestehen könnte. Ein solcher wäre unter Be rücksichtigung der genannten Problemstellungen auf zwei Ebenen zu verorten : Zum einen geht es um die gesellschaftlichen Handlungsgefüge, in die Transla torInnen als Subjekte und ihre Handlungen, die unter der Einwirkung zahlrei cher Faktoren zum translatorischen Produkt führen, eingebunden sind ; hier ist die Erfassung dieser komplexen Prozesse in einem theoretischen Modellrahmen gefragt, der die Dynamik der Funktionsmechanismen der sozialen Figurationen, also die Beziehungs- und Interaktionssysteme, unter denen Translate zu kultur- und gesellschaftspolitisch relevanten Produkten werden, schlüssig zu umreißen und in ihren vielfachen Verknüpfungen darzustellen vermag. Die Betrachtung des Phänomens des Übersetzens als soziale Praxis ist dabei nicht zu trennen von einer Sicht des Phänomens der Übersetzung als kulturelles Konstrukt. Für die wissenschaftstheoretische Ebene ist die Betrachtung der relationalen Situierung des sozial agierenden Individuums im gesellschaftlichen Spannungsfeld aller am Translationsprozess im weitesten Sinn involvierten Subjekte sowie der Entste hungs- und Zirkulationsbedingungen des translatorischen Produkts konstitutiv. Die komplexen Beziehungsgeflechte, in die die beteiligten Instanzen einge bunden sind, können vor dem Hintergrund einer Sicht von Translationswis senschaftlerIn und TranslatorIn als konstruierendes und konstruiertes Subjekt in der Gesellschaft, das das translatorisch relevante soziale Gefüge wesentlich bestimmt, besser freigelegt werden. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Translationswissenschaft dem Anspruch, sowohl gesellschaftskritisch das Phänomen Translation in seinen sozialen Be zügen zu untersuchen, als auch – und damit verknüpft – theorie- und modell bildend die auf den – genauer zu bestimmenden – Objektbereich einwirkenden 22 Zur soziologischen Verortung von Translation Einflussgrößen und Bestimmungsfaktoren zu erfassen, bereits gerecht wurde. Unter den bisher erarbeiteten translationswissenschaftlichen Ansätzen können für die Diskussion dieser Fragen vor allem einige Kategorien und Konzepte der Descriptive Translation Studies bzw. der allgemein »systemischen Ansätze« einen fruchtbaren Ausgangspunkt liefern. Auch wenn grundsätzlich die Dringlichkeit der Erforschung von Übersetzung als sozialer Praxis erkannt wurde und diesbe zügliche Einzelphänomene untersucht wurden, fehlt doch weitgehend sowohl eine Anbindung an bereits bestehende, zumeist in anderen Disziplinen erarbei tete theoretische Modelle als auch die Einbindung der gewonnenen Erkennt nisse in einen breiteren wissenschaftstheoretischen Kontext. Ein soziologisch orientierter Theorierahmen zur Erfassung der gesellschaftlichen Dimensionen, die auf die Konstitution des Translats einwirken, steht fast zur Gänze aus. Die Konzeptualisierung eines solchen Theorierahmens vor dem Hintergrund einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Objektbereich der Translation und aus der Perspektive des Konstruktcharakters von Translation steht deshalb im Zen trum der vorliegenden Arbeit. 2. Translationswissenschaft : »going social« ? Die soziale Bedingtheit von Übersetzung ist nicht erst seit der Etablierung der Subdisziplin der Translationssoziologie Thema translationswissenschaftlicher Betrachtungen. Die in der Forschungsliteratur aufgeworfenen Fragestellungen legen nahe, diesbezüglich eine Vierteilung vorzunehmen.1 Einerseits analysiert eine »Soziologie der AkteurInnen im Translationsgefüge« die übersetzerische Tätigkeit unter der Perspektive ihrer ProtagonistInnen als individuelle Figu ren und als Mitglieder spezifischer Netzwerke. Anthony Pym etwa versteht ÜbersetzerInnen als zentrale Objekte seines Forschungsansatzes und setzt sich zum Ziel, das Feld von sozial bedingter Subjektivität als Voraussetzung für die Geschichte von Übersetzerinnen und Übersetzern zu konstruieren (Pym 1998 : IX). Methodisch greifen einige AutorInnen auf Pierre Bourdieus Theorie der kulturellen Produktion zurück, um die Positionen und Positionierungen der Ak teurInnen im Übersetzungsfeld im Detail erfassen und in ihrem Zusammenspiel konzeptualisieren zu können (u.a. Gouanvic 1999, Wolf 1999, 2003a). Ein gro ßer Themenbereich der Translationswissenschaft, der im Zuge der Erweiterung des Kulturbegriffs als soziale und/oder kulturelle Praxis eingehend thematisiert 1 Vgl. im Detail Wolf (2007a) ; siehe auch Chesterman (2006). Translationswissenschaft : »going social« ? 23 wird, befasst sich mit der Kategorie der Machtverhältnisse im Translationsge füge. Dementsprechend fokussiert eine »Soziologie des Übersetzungsprozesses« die der Übersetzungsproduktion inhärenten Zwänge und nimmt jene Ansätze in den Blick, die unter einer konstruktivistischen Perspektive Übersetzen als einen sozialen Diskurs sehen und den Übersetzungsprozess im Hinblick auf seine institutionalisierende Funktion beleuchten (Robyns 1994, Brisset 1996). Eine »Soziologie des kulturellen Produkts« wiederum befasst sich vorrangig mit den Übersetzungsströmen und den Implikationen inter- und transnationa ler Transfermechanismen, die das Übersetzungsprodukt letzthin konstruieren. Forschungsarbeiten, die diesem Spektrum zugeordnet werden können, nehmen zumeist vor dem Hintergrund umfassender Korpora aus dem globalen Transla tionsmarkt eine detaillierte Inspektion der Entstehungs- und Distributionsbe dingungen von Übersetzungen mittels der Beleuchtung der verschiedenen in volvierten Instanzen und ihrer Verknüpfungsmechanismen vor (siehe Heilbron/ Sapiro 2002, Bachleitner/Wolf 2010a). Eine vierte Strömung, die sich im Rah men der Erarbeitung einer Translationssoziologie herauskristallisiert hat, sind Ansätze, die einen explizit theoriebildenden Charakter haben. Sie gründen sich hauptsächlich auf die soziologischen Modelle von Pierre Bourdieu (e.g. Sime oni 1998, Gouanvic 2002, Wolf 2007b), Bernard Lahire (Wolf 2007a), Bruno Latour (Buzelin 2005), Niklas Luhmann (Hermans 2007, Tyulenev 2009) und Anthony Giddens (Tipton 2008). Die Frage, ob die hier kurz referierten Ansätze zur sozialen Relevanz von Translation für einen soziologisch orientierten Theorierahmen zur Erfassung der gesellschaftlichen Bedingtheiten, die auf die Entstehungs-, Distributions- und Rezeptionsprozesse einwirken und letztendlich die Beschaffenheit des »Feldes der Translation« bzw. des translatorischen »Vermittlungsraumes« kons tituieren, aureichend sind, um der Komplexität der gesellschaftlichen Verflech tungen des Phänomens der Translation und deren Implikationen für translato rische Entscheidungen in ausreichendem Maß zu entsprechen, ist schwierig zu beantworten. In jedem Fall können Einflussgrößen wie Mediengesellschaften, die Politik von Verlagskonzernen, institutionelle Grundlagen der Berufe von ÜbersetzerInnen oder Zensurmaßnahmen – um nur einige zu nennen – nicht als Einzelphänomene abgehandelt werden, auch wenn sie auf der Grundlage großer Korpora untersucht werden. Erst die Erforschung ihrer relationalen Ver knüpfungskonstellationen kann Aufschluss geben über die machtvolle Einfluss nahme gesellschaftlicher Faktoren auf die Textproduktion und -rezeption im engeren Sinn und kann, daraus resultierend, wiederum Rückwirkungsmechanis men dieser Texte auf einzelne Phasen oder Teile des gesellschaftliches Gesche 24 Zur soziologischen Verortung von Translation hens im weitesten Sinn freilegen. Für die Diskussion des Problemkomplexes, inwieweit Übersetzung zur Konstruktion von Kulturen – und im Besonderen einer habsburgischen Kultur – beiträgt, sind die hier aufgeworfenen Fragen des halb von besonderer Relevanz. Z w eites K a pitel K.(u.)k. »going postcolonial« Als plurikultureller Raum war die Habsburgermonarchie in der Bewältigung ihrer Kommunikationsprobleme vor enorme Herausforderungen gestellt. Die komplexe ethnische Zusammensetzung ihrer Bevölkerung erforderte Verstän digungsstrategien, die auch in der Spätphase der Monarchie nur in beschränk tem Ausmaß auf institutionalisierter Ebene abliefen und in vielen Fällen durch den üblicherweise ungeregelten und von den Obrigkeiten als selbstverständlich erachteten Einsatz zwei- und mehrsprachiger Personen gemeistert wurden. Au ßerdem fühlten sich die einzelnen »Nationalitäten« der Monarchie untereinan der in einem erstarkenden Konkurrenzverhältnis, das bestehende Kommunika tionsordnungen auf den Prüfstand stellte und die Konstruktion von Selbst- und Fremdbildern vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stärker vo rantrieb als in der Vergangenheit, ging es doch nun in erhöhtem Maß darum, »wer das Wort ergreift, in welcher Sprache, wer an welcher Stelle sitzt, wer, wie und wo politische Repräsentanz beanspruchen darf, welche kulturellen ›Rang ordnungen‹ im Mit- und Gegeneinander verschiedener Binnenzivilisationen und Binnenkulturen bestehen« (Müller-Funk 2002 : 19). 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« In Abkehr von verschiedenen k.(u.)k. Mythosbildungen und rückwärts gewand ten Utopien scheint sich diesbezüglich in der einschlägigen Forschung der ver gangenen Jahre eine Sicht von der Habsburgermonarchie herauszubilden, die an das musilsche Kakanien-Konzept anschließt2 und das Verhältnis von Herr schaft und Kultur in den Blickpunkt der Analyse habsburgischer Geschehnisse rückt. Dabei wird gleichsam von einer Pseudo-Kolonialmacht der Habsburger 2 Vgl. Musil (1997 : 31ff.). Diese Forschungsansätze gehen in erster Linie von »Kakanien revisited« aus, einem in Wien angesiedelten Vernetzungs-Projekt, das sich als Plattform für interdisziplinäre Forschung im Bereich Mittel-Ost- bzw. Zentraleuropa versteht (vgl. www.kakanien.ac.at sowie Müller-Funk/Plener/Ruthner [2002], Feichtinger/Prutsch/Csáky [2003] oder Müller-Funk/ Wagner [2005]). 26 K.(u.)k. »going postcolonial« ausgegangen,3 die im Zuge ihres imperialistischen Verhaltens das »Andere« po litisch beherrscht und ökonomisch unterdrückt. Es ist nicht zu leugnen, dass diese symbolischen Formen ethnisch artikulierter Herrschaft starke Ähnlich keiten mit überseeischen Kolonialmächten aufweisen. Im Zuge dieser Überlegungen wurde wiederholt auf die Beschreibung und konzeptuelle Erfassung postkolonialer Verhältnisse zurückgegriffen. In der Ein führung zu ihrem Post-Colonial Studies Reader (1995) führen Ashcroft, Griffiths und Tiffin näher aus, was sie unter Postkolonialismus verstehen : Zum einen ver weisen sie auf die Fortführung asymmetrischer Machtverhältnisse zwischen den involvierten Regionen auch nach der »Dekolonisierung« ; des Weiteren führen sie die noch immer anhaltenden Folgen des Kolonisierungsprozesses ins Treffen, darunter migratorische Bewegungen, öknomische Verflechtungen, Sprachge meinschaften, und auch der Neokolonialismus im Zeitalter der Globalisierung mit seinen ökonomischen, kulturellen und politisch-militärischen Hegemonie bezeugungen ist für die AutorInnen ein wichtiges Kennzeichen postkolonialer Befindlichkeiten (Ashcroft/Griffiths/Tiffin 1995 : 2–4) – eine Anknüpfung an habsburgische »Zustände« scheint also nicht nur auf den ersten Blick durchaus möglich. In der Diskussion der Frage, inwieweit koloniale und postkoloniale Erfahrungen für binnenkontinentale Verhältnisse relevant sein können, führt uns Wolfgang Müller-Funk eindringlich vor Augen, dass die Elemente, die für die Bestimmung von Kolonialismus konstitutiv sind (auf Hannah Arendt rekur rierend nennt er hier : systematische und gewaltvolle Landnahme, weitgehende Rechtlosigkeit der verbliebenen ansässigen Bevölkerung, Import von Menschen aus Europa, die die Kolonie politisch und ökonomisch beherrschen, Einführung der eigenen Kultur, Ausbeutung des kolonialen Reichtums), bestimmter Ver haltensweisen und kultureller Codes bedürfen, die das Handeln des kolonialen Subjekts als selbstverständlich erscheinen lassen (Müller-Funk 2005 : 254 ; vgl. auch Müller-Funk/Wagner 2005 : 11f.) : Dazu gehören die Annahme der eigenen kulturellen Überlegenheit ebenso wie die Auffassung, dass die Menschen der fremden Kultur unmündig sind und deshalb durch die Kolonisatoren – zu deren eigenem Vorteil – vertreten werden müssen. (Müller-Funk 2005 : 254) 3 Vgl. dazu Musil : »Man ließ hie und da ein Schiff nach Südamerika oder Ostasien fahren ; aber nicht zu oft. Man hatte keinen Weltwirtschafts- und Weltmachtehrgeiz ; man saß im Mittelpunkt Europas, wo die alten Weltachsen sich schneiden ; die Worte Kolonie und Übersee hörte man an wie etwas noch gänzlich Unerprobtes und Fernes« (Musil 1997 : 33). Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 27 Die Anknüpfungspunkte an die Herrschaftsverhältnisse der Habsburgermo narchie ergeben sich diesbezüglich aus der von Hannah Arendt in Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1986) entwickelten These, dass die Erschei nungsformen moderner Herrschaftspolitik – Natonalismus, Kolonialismus und Imperialismus – in einem Wechselverhältnis zu sehen sind, deren Verbindung die symbolische Fomation des Rassismus ist (ibid.: 253). Vor dieser Denkfolie erscheint nun der Zusammenhang von europäischem Nationalismus, wie er ge rade für die Spätphase der Habsburgermonarchie konstitutiv ist, und außereu ropäischem Kolonialismus, dessen Elemente sich in herrschaftsbezogener Sicht zwar in unterschiedlichen räumlichen und z.T. zeitlichen Kontexten ausformen, in einem neuen Licht, das für die Kontextualisierung habsburgischer Herr schaftslogiken in postkolonialen Sichtweisen erhellend sein kann. Trotz des unzweifelhaft verlockenden Versuchs, postkoloniale Perspektiven, wie sie in den Postcolonial Studies entwickelt worden sind, auch auf genuin »außer-koloniale« Kontexte wie die Habsburgermonarchie anzuwenden, sind auch jene Argumente anzuführen, die solchen Perspektiven kritisch gegenüber stehen. Die symbolischen Formen von Herrschaft können vor allem deshalb nur limitiert auf die Kolonialismusdebatte angewandt werden, da vor allem geogra fische und auch kulturelle Distanzen, die das Herrschaftsverhältnis innerhalb von Kolonialmächten besonders ausweisen, im Falle der Habsburgermonarchie nicht in »kolonialen« Dimensionen vorhanden sind. Clemens Ruthners diesbe züglicher Kritik an der Übertragung der Kolonialismus-Metapher auf die Mon archie ist dabei insofern zu folgen, als er zu Recht auf die genannten Distanzen hinweist und gleichzeitig die Problematik der Anwendung des Gegensatzpaares Zentrum-Peripherie als weitere Charakteristik des Verhältnisses von Kolonie- Kolonialmacht ins Treffen führt, das unter anderem aufgrund der unterschied lichen wirtschaftlichen Entwicklungen in den Kronländern bzw. im österreichi schen Kernland nur schwer anzuwenden sei : So könne etwa Galizien sehr wohl als »arme Peripherie« gelten, jedoch hätte Böhmen in ökonomischer Hinsicht höhere wirtschaftliche Standards aufzuweisen gehabt als das »Zentrum« ; außer dem hätte es, im Unterschied zum klassischen Kolonialismus, mehrere Metro polen gegeben (Ruthner 2003).4 Aus historischer Perspektive wäre neben den genannten Fragen auch auf andere konstitutive Elemente kolonialer Herrschaftsnahme einzugehen ; bei 4 Damit verweist er auf die grundsätzliche Problematik der Denkfiguren »Zentrum« und »Peri pherie«, auf die hier jedoch nicht weiter eingegangen werden kann. Vgl. dazu im habsburgischen Kontext im Detail Hárs/Müller-Funk/Reber/Ruthner (2005). 28 K.(u.)k. »going postcolonial« spielhaft sei diesbezüglich erwähnt, dass die Herrschaftsverhältnisse in der Ge schichte der Habsburgermonarchie zumeist nicht auf gewaltsamen Landnah men beruhten, wie sie traditionellen Kolonisierungssituationen zugrunde liegen, sondern vielmehr auf vorkapitalistischen und feudalen Dominanzbeziehun gen, die bis 1848 und darüber hinaus in vielfältigen mentalen Ausformungen fortlebten (Müller-Funk/Wagner 2005 : 23). Wie Catarina Martins in ihrem Aufsatz »Imperialismus des Geistes. Fikionen der Totalität und des Ichs in der österreichischen Moderne« (2009) aufzeigt, ist es jedenfalls auffällig, dass zwar die Hervorhebung der Besonderheit des »habsburgischen Falls« eine Notwen digkeit erscheint, die wiederholte Betonung dieses Spezifischen die Ebene des theoretischen Rahmendenkens jedoch vernachlässige.5 Damit ist die methodische Ebene dieses Problemkomplexes anzusprechen, wo ebenso einige Bedenken im Hinblick auf die Anwendung postkolonialer Theorien auf das Forschungsfeld der Habsburgermonarchie anzumelden sind. Zunächst ist von der Frage auszugehen, welche Beiträge von der Anwendung postkolonialer Konzepte auf das Habsburgerreich zu erwarten sind. Postkoloni ale Sichtweisen erteilen eine klare Absage an nationalkulturelle und ethnozen trische Verfahren und lenken den Blick auf die markanten, politisch konnotier ten Merkmale von Machtbeziehungen. Für viele Forschungsfelder – so auch für die Übersetzungswissenschaft – impliziert die Anwendung eines postkolonialen Bezugsrahmens jedoch in erster Linie, die Perspektiven des spezifischen For schungsbereichs zu erweitern und transkulturelle Sichtweisen zu erarbeiten, die auch selbstreferenzielle Bezüge beinhalten. Gerade hier sind aber Defizite zu verorten. Die Postcolonial Studies haben zwar radikale Veränderungen in den Sichtweisen gebracht und dominante, ethnozentrisch markierte Modelle infrage gestellt, doch die ihr inhärenten Potenziale für eine emanzipatorische Sicht und ihre radikale und nachhaltige Anwendung auf das Forschungsobjekt – so auch auf das Übersetzen – wurden nicht hinreichend aufgegriffen (vgl. Wolf 2008b).6 In diese Kerbe schlägt auch die Kritik von Michael Hardt und Toni Negri, die in ihrem globalisierungskritischen Werk Empire. Die neue Weltordnung davon ausgehen, dass »die postmodernen und postkolonialistischen Theorien in eine 5 Martins (2009) diskutiert im Rahmen der Besonderheit des kulturellen imperialistischen Dis kurses in der Habsburgermonarchie folgende Unterschiede : die Frage des imperialistischen Wett bewerbs der Großmächte, die enge Verstrickung von Imperialismus und nationalem Diskurs sowie die verstärkte Rolle des Symbolischen im imperialistischen Legitimationsdiskurs. 6 Auf die problematischen Aspekte der »Hyridität« als wesentliche Kategorie postkolonialer Denk richtungen wird in der Folge eingegangen. Vgl. auch Wolf (2008b). Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 29 Sackgasse führen, weil sie das gegenwärtige Objekt der Kritik nicht adäquat erfassen« (Hardt/Negri 2000 : 150) ; vielmehr wäre die Forschung zu sehr auf die Bekämpfung vergangener Herrschaftsformen bedacht und berücksichtige nicht, dass möglicherweise die herrschenden Mächte – die ja das Ziel der Kritik sind – sich bereits so weit verändert haben, dass sie jede postmoderne Infragestellung mühelos zu entkräften vermögen. Eine kritische Stimme kommt auch von Gábor Gángó (2007), der in seiner Rezension des von Hárs, Müller-Funk, Reber und Ruthner edierten Bandes Zentren, Peripherien und kollektive Identitäten in Österreich-Ungarn darauf hin weist, dass die Kolonialismusforschung als Methode mit ihrem Ansatz, ideolo gie- und subjektkritische Dekonstruktionen vorzunehmen, im österreichischen Diskursbereich Gefahr läuft, trotz aller ideologiekritischen Ansprüche die zu dekonstruierende Struktur festzuschreiben.7 Unter Einbeziehung der hier vorgebrachten Bedenken und Einschränkun gen ist eine verstärkte kritische Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen im Allgemeinen und mit ihrer Anwendung auf habsburgische Bezüge im Beson deren angebracht. Forschungspragmatisch ist Ruthner zuzustimmen, dass sich »Kakanien« bzw. die aus dem hier dargestellten Konzept folgernde Sicht der Monarchie als »K.u.k. (post-)kolonial« (Ruthner 2002a : 93 bzw. Müller-Funk 2002 : 18) als heuristische Figur anbietet. Als solche ist sie nicht nur imstande, den einengenden Begriff der Nationalkultur zu überwinden, sondern vermag auch den Blick auf die vielfachen kulturellen Prägungen und Bündelungen, das Widerspiel von Identitätskonstruktionen, die kulturellen Zirkulations- und Austauschbedingungen und auf jene Prozesse, die die Dynamik und Veränder barkeit kultureller Konstellationen im habsburgischen Gefüge bedingen, zu öff nen und die ihnen inhärenten und sie bedingenden Machtgefüge freizulegen. In welcher Weise sind nun postkoloniale Forschungsansätze für den Kontext der Übersetzung fruchtbar zu machen ? Im Folgenden wird vor dem Hinter grund der kritischen Auseinandersetzung mit postkolonialen Denkfiguren von der These ausgegangen, dass das Phänomen der Übersetzung, das in den ver schiedenen Formen seiner Manifestation die oben genannten kulturellen Kons tellationen bedingt, in hohem Maß zur Konstruktion von Kulturen beiträgt. Zur näheren Bestimmung dieser Annahme wird zunächst das für diese Überlegun 7 Auch Maria Tymoczko plädiert für eine verstärkte Anwendung postkolonialer Ansätze : »I believe that the field of translation studies […] is best served by setting issues of power in their specific spatio-temporal contexts, paying attention to differences as well as similarties« (Tymoczko 2000 : 32f.). Sie geht jedoch auf verschiedene Probleme, die ein solches Vorgehen implizieren, nicht ein. 30 K.(u.)k. »going postcolonial« gen relevante Kulturkonzept diskutiert, bevor seine Anwendung im Zuge des »cultural turn« in der Translationswissenschaft eingegangen wird. Das dieser These zugrunde liegende Kulturkonzept geht davon aus, dass Kulturen nicht als geschlossene Systeme existieren und demnach – etwa beim Übersetzen – nicht als solche übertragen werden, sie können, wie das Moment des Abbildens oder Porträtierens, lediglich als eine vorübergehende Bestands aufnahme, die sich nicht festschreiben lässt, gesehen werden. Mit dieser Auffas sung von Kultur wird essenzialistischen Vorstellungen entgegengewirkt, die den jeweils wesenhaften, mehrheitlich unveränderlichen und damit ahistorischen Charakter von Kultur betonen und Kulturen auf der Basis von Dichotomien wie »Fremdes versus Eigenes« oder »Herrschende versus Beherrschte« operieren se hen. Im Rahmen eines solchen Kulturkonzepts werden ebenso essenzialistische Kategorien wie etwa Kindheit, Generation, Region, Biografie etc. als »Erfin dung« aufgedeckt und damit auch die kulturelle Konstruiertheit der modernen Welt erkannt (Sollors 1989 : X). Eine essenzialistische Sicht leistet der grund sätzlichen Trennung und auch mehr oder weniger klaren Unterscheidbarkeit von Kulturen Vorschub und verstellt damit gleichzeitig den Blick auf die jeder Kultur immanenten vielseitigen diskursiven Geschehnisse und Repräsentatio nen. Wenn davon ausgegangen wird, dass die wechselseitigen Übersetzungspro zesse im »Kontakt zwischen Kulturen« im jetzigen globalen Zeitalter wie auch in historischer Sicht für die jeweilige Kulturformation mitverantwortlich sind, also grundsätzlich die Zirkulation symbolischer Zeichen im Spiel ist, so kann Kultur vorübergehend mit der Arbeitsdefinition belegt werden, sie sei ein Ort des Widerstreits zwischen Repräsentationen von Subjekten, von Geschichte, von Weltgeschehen (vgl. Bronfen/Marius 1997 : 11), die wiederum aus einem Zusammenwirken vielschichtiger Begegnungen entstanden sind. Das Offene und Prozesshafte von Kulturen wird vor allem von Homi Bhabha betont, dem indisch-englischen Kultur- und Literaturwissenschaftler, der die Produktion von Symbolen und Bedeutungszuschreibungen zur Konstitution von Kultur ins Zentrum seiner Betrachtungen stellt und daraus folgernd Kultu ren als permanent stattfindende Praktiken beschreibt : »All cultures are symbol- forming and subject-constituting, interpellative practices« (Bhabha 1990 : 210). Diese Praktiken bringen demnach permanent, mit einem steten Potenzial zu Veränderungen, neue Bedeutungen hervor und sind für die Schaffung und Auf nahme neuer Symbole offen. Auf der (erfolglosen) Suche nach dem Authenti schen, Echten in Kulturen hingegen begegnen uns Subjekte, die vordergrün dig, in Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen festgebunden, quasi ahistorisch in ihnen zuerkannten Rollen agieren. Homi Bhabha geht es darum, Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 31 Subjekte jedoch gerade nicht auf ethnische oder andere Positionen festzulegen, sondern er stellt den Bereich der Überschreitung jener divergierenden ethni schen, klassenspezifischen und geschlechtsspezifischen Zugehörigkeiten oder Zuschreibungen hervor, die nur in ihrer »Verknotung« das individuelle Subjekt ausmachen können. Und dieses Subjekt ist gefordert, über die beschränkenden, da reduzierenden Identitätsansprüche, die von herkömmlichen Kulturkonzep ten an es gestellt werden, hinauszugehen, ohne diese Erbschaft zu verleugnen oder auch zu verdrängen (Bronfen 2000 : IX, XI). Kultur ist somit nicht mehr eine Instanz, die Traditionen und Identitäten zu ihrem Fortbestehen verhilft, sondern ist durch das Zusammenfließen von Prozessen der Sinnzuschreibungen gekennzeichnet, ist ein mehr oder weniger dichtes Netzwerk von Symbolen und Bedeutungen. Im Kulturkonzept von Homi Bhabha ist das Moment der Begegnung durch Migration eine zentrale Denkform, durch die es zu kontinuierlichen Diskon tinuitäten, Brüchen und Differenzen kommt. Das Ergebnis dieser Berührun gen impliziert laut Bhabha hybride Befindlichkeiten, die für Migrationskultu ren kennzeichnend sind. Obwohl Hybridität inzwischen als ein beinahe zum Modewort verkommener Terminus gelten kann, birgt das Konzept eine gewisse Sprengkraft in sich, führt doch laut Robert Young seine Anwendung zu »ques tions about the ways in which contemporary thinking has broken absolutely with the racialized formulations of the past (Young 1995 : 6). Unter Hybridität wird das Ergebnis aus kultureller Begegnung, aus der Berührung von Räumen verstanden, die zur Veränderung aller Beteiligten führt. Das Phänomen der Hy bridität beruht auf der Annahme, Kulturen könnten nicht als homogen oder geschlossen angesehen werden, sobald sie im Kontext von »Wesen« oder »Ort« diskutiert werden. Wird Hybridität also als Resultat jedweder Begegnung von Kulturen aufgefasst, als Verknüpfung unterschiedlicher diskursiver Praktiken, so erfährt das Kulturkonzept eine zusätzliche Dynamisierung, durch die alle Betei ligten eine Veränderung erfahren. Edward Said meint, dass an der Konstitution aller Kulturen viel Erfundenes beteiligt sei, das auch in die ständige Schaffung und Neuschaffung der verschiedenen Bilder einfließt, die sich eine Kultur von sich macht, wodurch es zu steten Manipulationen und Falsifikationen komme (Said 1997 : 44). Damit bringt Said zum einen die machtvollen Beziehungen in die Diskussion ein, die jede Konstituierung von Kulturen kennzeichnet, und zum anderen den hybriden Charakter, der jeder Kultur immanent ist : »Alle Kul turen sind hybrid, keine ist […] [rein] […], keine bildet ein homogenes Ge webe« (ibid.). Bhabha bringt die Annahme, dass Hybridität letztlich jede Kultur kennzeichnet, auf den Punkt, wenn er sagt : 32 K.(u.)k. »going postcolonial« [I]f […] the act of cultural translation (both as representation and as reproduction) denies the essentialism of a prior given original or originary culture, then we see that all forms of culture are continually in a process of hybridity. (Bhabha 1990 : 211) Doch halten diese Feststellungen tatsächlich einer kritischen Betrachtung stand ? Verhilft uns kulturelle Hybridität dazu, »dass wir uns nun alle verstehen« und uns »gegenseitig erfolgreich übersetzen können« (Schirilla 2001 : 36) ? Kön nen wir nicht mit Jan Nederveen Pieterse sagen : »Hybridität, na und ?« (Neder veen Pieterse 2005). Nicht umsonst ist das Konzept der Hybridität in jüngerer Zeit wiederholt kritisiert worden. Hybridität, so lauten die Argumente, sei ohne Wurzeln, diene nur der Elite, reflektiere nicht die tiefer liegenden sozialen Rea litäten (ibid.: 399) und impliziere reine Ursprünge. Nikos Papastergiadis geht sogar so weit zu sagen, dass heute optimistische Sichtweisen der Hybridität vor herrschten, die darin »lubricants in the clashes of cultures […,] the negotiators who would secure a future free of xenophobia (Papastergiadis 1997 : 261) zu er kennen glaubten. Im Folgenden soll beispielhaft das Argument der »reinen Ur sprünge« herausgegriffen und damit auch wieder der Übergang zur Übersetzung geschaffen werden. Die von Edward Said postulierte und bereits zitierte Be hauptung, »[a]lle Kulturen sind hybrid, keine ist […] [rein] […], keine bildet ein homogenes Gewebe« (Said 1997 : 37) wird u. a. von Terry Eagleton aufgegriffen, der darauf hinweist, dass »Hybridisierung Artenreinheit voraussetzt. Streng ge nommen kann man nur eine Kultur hybridisieren, die rein ist« ; er räumt jedoch – wiederum mit Said – ein, dass »alle Kulturen miteinander verwoben [sind], keine ist vereinzelt und rein, alle sind hybrid, heterogen, hochdifferenziert und nicht monolithisch« (Eagleton 2001 : 26). Dem ist freilich entgegenzuhalten, dass gerade aus historischer Sicht sogenannte »reine Ursprünge« und kultu relle Bezüge mit Homogenitätsanspruch über Jahrhunderte die vorherrschende Vorstellung waren : Patriarchalische Gesinnungen postulierten und postulieren scharfe Grenzen zwischen Geschlechtern ; die aristokratische Sichtweise po stulierte blaues Blut, die nationalphilologische Sichtweise sah mit Herder die Sprache als Gefäß für das Genie der Völker, ganz zu schweigen von der »rassi schen« Perspektive, die eine klar abgezirkelte Hierarchie von »Rassen« postu lierte. Die Vereinnahmung von Sprache und kulturellen Artefakten für nationale und nationalistische Belange ist hinreichend auch aus jüngster Vergangenheit und aus unmittelbarer Nachbarschaft bekannt (Nederveen Pieterse 2005 :407).8 8 Auch Jean Fisher kritisiert, dass das Konzept der Hybridität mit »Ursprung« und »Erlösung« Die Verortung der »habsburgischen Kultur« 33 Die heute weithin sicht- und wahrnehmbaren Prozesse der Hybridisierung (und ihre weitgehende Anerkennung) können demgegenüber als Ergebnis eines ge steigerten Bewusstseins in Verbindung mit massiven Veränderungen in sozialen und ökonomischen Strukturen interpretiert werden. Demnach sind die die je weilige Situation bedingenden Machtverhältnisse, die zur Determinierung von Deutungen und auch zur Bestimmung der Selektionsmechanismen innerhalb von kulturellen Übersetzungsprozessen beitragen, jeweils im Detail zu unter suchen. Vor diesem Hintergrund erscheint es aufschlussreich, die Wirkung hybrider Prozesse im Kontext der Habsburgermonarchie zu untersuchen, wo vor allem das Moment der Migration für die Herausbildung solcher Prozesse ausschlag gebend ist. Migration fand auf verschiedenen Ebenen statt : Zum einen waren es DienstbotInnen oder Handwerker, die auf der Suche nach Arbeit zumeist in die Metropolen abwanderten, andererseits waren auch Beamte, die von einem Teil der Monarchie in einen anderen versetzt wurden, bedeutende Träger von Transferprozessen, aber auch Heeresangehörige sind im weiteren Sinn unter das Migrationsphänomen zu subsumieren. Jüngere Ansätze der habsburgrelevanten Migrationsforschung fordern einen differenzierteren Blick auf das Phänomen der Migration und verweisen vor allem auf die Vielfalt räumlicher Bewegun gen, wie etwa binnenregionale Mobilität oder saisonale zirkuläre Wanderungen ; auch Rückwanderungen müsse vermehrte Aufmerksamkeit geschenkt werden (vgl. v.a. Steidl 2008). So habe es weniger einen kontinuierlichen Zuzug von Menschen aus ländlichen Gebieten in die größeren Städte gegeben als vielmehr ein »Kommen und Gehen«. Wie in anderen geografischen Räumen sind auch in den habsburgischen Kulturen literarische, philosophische, religiöse u.a. Diskurse von Dezentrierung betroffen, da durch die Polyglossie immer auch mehrere, je nach jeweiliger Ver konnotiert ist, kann doch Hybridität nicht aus dem ursprünglichen Dualismus des Eigenen und Anderen befreien. Fisher schlägt als Gegenkonzept den Begriff des Synkretismus vor, der zu lässt, dass es »zwischen disparaten Komponenten keine simple Übersetzung, sondern ein Element der Unübersetzbarkeit gibt, das selbst ein potenzieller Raum produktiver Erneuerung ist« (Fisher 1997 : 84). Vgl. zur Unterscheidung zwischen »Synkretismus« und »Hybridisierung« auch Gar cía Canclini, der letzterer Bezeichnung eher den Vorrang gibt, da »Synkretismus« zumeist mit der Vermischung verschiedener Religionen oder traditioneller symbolischer Bewegungen assozi iert werde (García Canclini 1990 : 14f.). Thomas Wägenbaur wiederum argumentiert, dass durch das Konzept der Hybridität zwischen Eigenem und Fremdem nicht mehr unterschieden werden könne, was soviel bedeute, dass sich jede Art von Kulturkonflikt erübrige ; dies führe zum episte mologischen Problem einer »Hybridität der Hybridität« (vgl. Wägenbaur 1996 : 34). 34 K.(u.)k. »going postcolonial« knüpfungssituation unterschiedliche Kontextualisierungsmöglichkeiten gegeben sind, wie es etwa auch in der Polyphonie Istriens zu sehen ist (Strutz 1992 : 303). Im spezifischen Feld der in und über Triest geschaffenen Literatur schlägt sich diese Hybridität, diese Verknotung zahlreicher kultureller Transfers, in hetero genen literarischen Modellen nieder : Die triestinische – und auch insgesamt istrische – kulturelle Polyphonie bürstet gegen den Strich vereinheitlichender weltliterarischer Universalität und liefert ausreichend Material für literarische Experimente, in denen es zur Verknüpfung ästhetischer und ideologischer Ele mente aus der Vielzahl unterschiedlicher Sprachen und Soziolekte kommt. Als Beispiel dafür kann etwa der 1912 entstandene Roman Il mio Carso von Scipio Slataper dienen, in dem die Berührung von Traditionslinien, die Verknüpfung unterschiedlicher Diskurse und Kontexte als Konzepte der Hybridität erschei nen, in denen kulturelle Differenzen nicht aufgelöst werden, sondern vielmehr multiple Sichtweisen zum Tragen kommen, die zu einem permanenten diskur siven Austausch zwischen Kulturen beitragen (vgl. dazu Wolf 2003b : 157) ; Gy örgy Konrád behauptet nicht zu Unrecht, dass sich »Kakaniens größte Energie […] in seinem Gemischtsein« verbarg (Konrád 1989, zit. nach Strutz 1992 : 299). In einer solchen Sicht von Kultur lassen sich keine dauerhaft angelegten Kontextualisierungen festschreiben, sondern es kommt vielmehr das Fluide und Polyphone zum Vorschein, das durch vielschichtige Prozesse ständige Grenzver schiebungen bewirken kann. Die hier skizzierten dynamischen Bedeutungsver änderungen und -zuschreibungen manifestieren sich schließlich in kulturellen Transfers, die nicht länger als eindimensionale, lineare Vorgänge zwischen Aus gangs- und Zielkultur angesehen werden können, sondern als Prozesse, die durch ständig stattfindende Kontextwechsel charakterisiert sind. Trotz aller Hybridi sierungen bzw. Verknotungen ist festzuhalten, dass nicht die Habsburgermo narchie als Ganzes davon betroffen sein kann – abgesehen davon, dass dies nicht historischen Fakten entspricht, würde es dadurch ja zu einer Substanzialisierung des Hybriden kommen. Vereinzelte soziale Felder bzw. Bevölkerungsschichten sind mehr, andere weniger oder kaum davon berührt, sodass die Substanz für das Differente grundsätzlich erhalten bleibt, wenngleich diese Segmente auch einem dynamischen Veränderungsprozess unterschiedlicher Geschwindigkeiten ausgesetzt sind. Die vorliegenden Betrachtungen konzentrieren sich auf jene Sphären, wo »Übersetzungsprozesse« im weitesten Sinn stattfinden, also vor rangig dort, wo migratorische oder sozial konstruierte Verdichtungen erfolgen (die dementsprechende kulturelle Produkte erzeugen), während viele territoriale und soziale Räume davon relativ unberührt bleiben, andere in Grauzonen oder Übergangszonen zu verorten sind. Der »cultural turn« und seine Folgen 35 2. Der »cultural turn« und seine Folgen In der Geschichte des Übersetzens und der Übersetzungswissenschaft war eine Auseinandersetzung mit kulturellen Zusammenhängen bis in die jüngere Ver gangenheit kaum ein Thema. Vor allem seit der Romantik ist festzustellen, dass sich der theoretische Diskurs über den Umgang mit dem Fremden in der Über setzung von Literatur durch die Verwendung von Begriffen wie »Verfremdung«, »Eindeutschung« oder »Assimilierung« metaphorisch auf politische Praktiken bezieht. Friedrich Schleiermacher (1963/1813) ist ein interessantes Beispiel für die Auseinandersetzung mit dem Anderen in der Übersetzung. Er meint, die von ihm in die übersetzungstheoretische Diskussion eingeführten Begriffe »Ver fremden« und »Einbürgern« beschreiben die grundlegenden Verfahren, durch die das Verhältnis von Eigenem und Fremdem in der Übersetzung geregelt wird. Jede Übersetzung bewegt sich laut Schleiermacher zwischen diesen beiden Po len. Er selbst gibt dem Typus des »Verfremdens« den Vorzug, weil er das Fremde als Wert an sich akzeptiert und diese Erfahrung auch an die LeserInnenschaft der Übersetzung weitergeben möchte.9 Diese dichotomisierende Sicht von Übersetzung beherrscht den translatori schen Diskurs bis weit ins 20. Jahrhundert und wird von der Diskussion seitens linguistischer Ansätze in den Sechziger- und Siebzigerjahren fortgeführt, die dem Postulat der »Äquivalenz« gefolgt sind. Linguistisch ausgerichtete Unter suchungen waren lange Zeit von einem Äquivalenzkonzept beherrscht, das Zu ordnungsbeziehungen sprachlicher Einheiten von Ausgangs- und Zieltexten zu beschreiben versucht und zunächst die Invarianz von Textsegmenten bzw. die unveränderte Gleichheit der übermittelten Nachricht in den Vordergrund stellt (vgl. Kade 1968 : 90). An anderer Stelle wird der situative Kontext insofern ein geschlossen, als behauptet wird, dass das Austauschen von Textmaterial in einer Sprache durch gleichwertiges Textmaterial in einer anderen Sprache nur in einer vorgegebenen Situation funktionieren kann (vgl. Catford 1965 : 35). Im Rah men einer weiterführenden Ausarbeitung des Äquivalenzkonzepts meint Wer ner Koller, Übersetzung sei »das Resultat einer sprachlich-textuellen Operation, die von einem ausgangssprachlichen Text zu einem zielsprachigen Text führt, wobei zwischen Zielsprachentext und Ausgangssprachetext eine Übersetzungs- (oder Äquivalenz-)relation hergestellt wird« (Koller 1979/2001 : 16, Hervorh. i. O.). So ist für Koller Übersetzung im eigentlichen Sinn nur das, was, wie er 9 Zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Schleiermachers Übersetzungsbegriff vgl. u.a. Tipp ner 1997 : 22. 36 K.(u.)k. »going postcolonial« sagt, »bestimmten Äquivalenzforderungen normativer Art genügt« (ibid.: 200). Äquivalenz soll dabei keine absolute Forderung sein, es gibt sie nur im Zu sammenhang mit einer Übersetzungsbeziehung. Problematisch ist der Begriff vor allem deshalb, weil im Deutschen Äquivalenz nur die eineindeutige Zuord nung meint, sodass der Begriff außerhalb der maschinellen Übersetzung fast wie selbstverständlich mit »Gleichwertigkeit« identifiziert wurde.10 Koller hält auch weiterhin an seinem Äquivalenzkonzept fest, erweitert es jedoch später um die Berücksichtigung »kultureller Merkmale und Elemente in Texten«, die im Rahmen der »empfängerseitigen kommunikativ-kulturellen Bedingungen« diskutiert werden. Von seinem Grundgedanken, dass eine »originale Textpro duktion« – und als solche bezeichnet er etwa Translate im vermeerschen Sinn – keine Übersetzung sei, lässt er jedoch nicht ab (Koller 2002 : 115ff.). Im Zuge der weiteren Ausarbeitung seiner »Skopostheorie« postuliert Hans J. Vermeer, im Anschluss an die diesbezüglich noch nicht explizit ausgeführten Überlegungen in der Grundlegung einer allgemeinen Translationstheorie (Reiß/ Vermeer 1984), die Sicht von Übersetzen als »kulturellen Transfer«. Er geht davon aus, dass Translation »eine komplexe Handlung [ist], in der jemand un ter neuen funktionalen und kulturellen und sprachlichen Bedingungen in einer neuen Situation über einen Text […] berichtet […]« (Vermeer 1986 : 33) und kommt zu dem Schluss, dass aufgrund der Qualität des Translats als Element der Zielkultur »eine Translation […] immer auch ein transkultureller Trans fer [ist], die möglichste Lösung eines Phänomens aus seinen alten kulturellen Verknüpfungen und seine Einpflanzung in zielkulturelle Verknüpfungen« (ibid.: 34). Vermeer war einer der ersten Translationswissenschaftler, der mit Nach druck eine Anbindung des Translationsprozesses an kulturelle Bedingtheiten forderte und auch in seine Theorie einschloss. Wie Prunč richtig argumentiert, war es nur eine Frage der Zeit, bis das funktionaltheoretische Handlungskon zept von Reiß und Vermeer in logischer Folge auch einen »Handlungsrahmen der Kulturen« in den Blick nahm (Prunč 2001 : 175). Trotz des bedeutenden Beitrags, den Vermeer (bzw. Reiß) mit diesem Postulat für die Erschließung des Übersetzungsprozesses leistet, ist der Kulturbegriff, von dem hier ausge gangen wird, einer kritischen Prüfung zu unterziehen, nicht zuletzt, da Vermeer weiterhin als wichtigster Initiator der »kulturellen Orientierung« gilt (Dizdar 1998 : 107). Ausgehend von dem oben diskutierten Kulturkonzept, das Kultur – kurz gefasst – als prozesshaftes Phänomen von Bedeutungszuschreibungen 10 Wie Mary Snell-Hornby festhält, sind auch dt. Äquivalenz und engl. equivalence nicht »äquiva lent« (Snell-Hornby 1986 : 14). Der »cultural turn« und seine Folgen 37 zu umreißen versucht, ist im vermeerschen Kulturkonzept eine Festschreibung kultureller Elemente zu orten, bei der von objektiven Gegebenheiten und von Kultur als etwas Ganzes und Übertragbares ausgegangen wird. Dies ist umso widersprüchlicher, als Vermeer grundsätzlich von einem sehr offenen Konzept von (Original-)Text ausgeht, den er als »Informationsangebot« bezeichnet und der jeweils spezifisch zu interpretieren sei. Implizit ist hier also der Gedanke vorhanden, dass durch jedweden Transfer »fremde« Elemente nicht eins zu eins übertragen, sondern dekontextualisiert und neu geformt werden. Vermeer be harrt demnach a priori nicht auf kontextunabhängiger Sinnfixierung. Jedoch tritt er, wie angegeben, dafür ein, dass kulturspezifische Elemente eines Tex tes – zum Zweck der Skoposerfüllung – aus ihrer ursprünglichen Verknüpfung herausgelöst werden, um skoposadäquat in der Zielkultur neu eingepflanzt zu werden. Das setzt voraus, dass kulturelle Elemente stets eine fixe Bedeutung haben, aus der sie – durch die Übersetzung und dem jeweiligen Skopos folgend – durch anzuwendende Translationsstrategien gleichsam entlassen werden : Obigem Kulturkonzept folgend erhalten kulturelle Elemente jedoch erst durch den Transfer, durch den »Kontextwechsel«, eine Bedeutung, denn erst dadurch werden sie in einen kulturellen Kontext eingebunden. Kulturelle Elemente sind stets für Interpretationen offen, sonst können sie gar nicht transferiert werden (Celestini 2003 : 47). Es bedarf also gar nicht des vermeerschen Postulats des »Funktionswechsels«, um die Neuverortung kultureller Elemente zu ermögli chen – ein solcher findet durch jeden Transfer unvermeidbar statt. Der Blick auf den Übersetzungsprozess erweiterte sich in den Achtzigerjah ren zusehends. Doch erst die sogenannte »kulturelle Wende« in den Geistes- und Naturwissenschaften implizierte einen entscheidenden Wandel in den Konzep ten, Modellen und Verfahren. So werden heute kulturwissenschaftliche Ansätze diskutiert, in denen nicht mehr Texte als primäre Quellen zum Verständnis einer Kultur angesehen werden, sondern diskursive Praktiken im Kontext historischer Lebenswelten. Dabei erscheint es sinnvoll zu erwähnen, dass Kultur nun nicht mehr im marxistischen Sinn als »Überbauphänomen« von zugrunde liegenden ökonomischen und politischen Verhältnissen gesehen wird, sondern – wie Ray mond Williams ausführt – die Wechselwirkung zwischen diesen Subsystemen einer Gesellschaft ins Blickfeld der ForscherInnen gerät (vgl. dazu im Detail Hárs/Müller-Funk/Reber/Ruthner 2005). Mary Snell-Hornby, die in dem paradigmatischen Band von Susan Bassnett und André Lefevere Translation, History and Culture (1990) die folgenreiche Forderung nach einer Ausweitung des Untersuchungsrahmens von Übersetzung in Richtung kultureller Kontexte stellt und damit dem Paradigma der »kultu 38 K.(u.)k. »going postcolonial« rellen Wende« einen entscheidenden Schub versetzt, kritisiert ausführlich die in den Achtzigerjahren weiterhin vorherrschende linguistische Ausrichtung und heißt die kulturelle Orientierung der VertreterInnen einer funktional ausgerich teten Translationswissenschaft willkommen (Snell-Hornby 1990 : 81f.). Für die Translationswissenschaft bewirkte die »kulturelle Wende« – ganz im Sinne Snell- Hornbys – eine entscheidende Erweiterung des Beobachtungsrahmens und die Erarbeitung von Fragestellungen, die zunehmend den Makro-Kontext des For schungsgegenstandes des Translats in den Vordergrund treten lassen. Wurden in einem ersten Schritt kulturelle »Transferprobleme« noch hauptsächlich als kul turspezifische Einzel«probleme« abgehandelt, das heißt, dass vorrangig lexikali sche Übersetzungsfragen unter kulturellen Perspektiven diskutiert wurden (vgl. etwa Bödeker/Freese 1987), so wurde diese Dimension bald auf umfassendere Fragestellungen ausgeweitet : Auf die Textebene bezogen wird hinterfragt, wie sich einzelne Weltbilder und differente Praktiken (z. B. Konfliktkulturen, Zeit muster etc.) übertragen lassen können, während auf der Makroebene Fragen for muliert werden, die die Verarbeitungsstrategien von Texten betreffen und damit Problemkreise wie die Repräsentation von Kultur oder Fremdwahrnehmungs muster aufwerfen und damit den Konstruktcharakter von Übersetzung in das Zentrum rücken (vgl. etwa stellvertretend für weitere Literatur Niranjana 1992). Von der Erfassung der kulturellen Dimension im Übersetzungsprozess bis zur Erschließung der Machtverhältnisse, die diesen Prozess bedingen, war der Weg nicht weit. Gerade die Asymmetrien von Übersetzungsvorgängen können von einer postkolonial ausgerichteten Kulturtheorie, wie sie dem hier zu konzi pierenden Übersetzungsbegriff zugrunde liegt, schlüssig erarbeitet werden. Be deutende Vorarbeit wurde in dieser Hinsicht durch das sogenannte »rewriting«- Konzept von André Lefevere geleistet. Lefevere, einer der Mitbegründer der Manipulation School, setzt den im Rahmen verschiedener Kongresse erarbeiteten Ansatz der Manipulationsbetontheit jeglicher translatorischer Handlung kon sequent fort und prägt mit dem Begriff des »rewriting« eine Praxis, die sowohl die manipulativen Eingriffe auf der Textebene meint als auch – und vor allem – die kulturellen (literarischen) Mittel, die im Zusammenspiel mit gesellschaftli chen Kräften den Produktionsvorgang steuern und kontrollieren.11 Gerade diese 11 Das von der Manipulation School ausgehende Konzept der jedwede Übersetzung bedingenden »Manipulation« setzt freilich voraus, dass es grundsätzlich eine dem Text inhärente »Realität« gibt, die der/die ÜbersetzerIn bewusst oder unbewusst »manipuliert«. Erst durch poststrukturalistische Vorstellungen werden diese »inhärenten Realitäten« dekonstruiert und originale Bedeutungen in frage gestellt. Der »cultural turn« und seine Folgen 39 Mechanismen aufzudecken steht im Zentrum von Lefeveres Bemühungen, was sich auch im programmatischen Titel seiner Monografie Translation, Rewri- ting, and the Manipulation of Literary Fame (Lefevere 1992) niederschlägt. Un ter »rewriting« versteht Lefevere im Detail alle Formen des »Neu-Schreibens«, die in der einen oder anderen Form ein Original »manipulieren« : Dazu zählt in erster Linie die Übersetzung, aber auch Literaturgeschichte, Literaturkritik, Anthologien, kritische Ausgaben, Historiografie u.v.m. Die für den vorliegenden Kontext besonders interessierende Frage der Rolle der sozialen Implikationen kommt vor allem im »patronage system« zum Tra gen : Dies ist das Zusammenspiel jener Individuen, Kollektive oder Institutio nen, die den Produktionsprozess des »rewriting« steuern. Ein Blick auf diese Steuerungselemente lässt einmal mehr die Bedeutung der Vorarbeiten erken nen, die Lefevere auf dem Gebiet der Übersetzungssoziologie geleistet hat, ohne sie noch in ein ausgereiftes Modell zu fassen :12 Allen voran nennt er die ideo logische Komponente, die sowohl die Selektionskriterien von Kulturprodukten als auch ihre Repräsentation in ihrem Einflussbereich hält. Der Ideologiebegriff, den er seinen Überlegungen zugrunde legt, ist eher allgemein gehalten : »[…] the conceptual grid that consists of opionions and attitudes deemed acceptable in a certain society at a certain time, and through which readers and translators approach texts« (Lefevere 1998 : 48).13 Diese handlungsbezogene Ausrichtung des Begriffs fokussiert auf die gesellschaftliche Verflechtung von Ideologie und wird von Lefevere in der Folge dahingehend erweitert, als er sie in direkte Ver bindung mit Pierre Bourdieus Konzept des kulturellen Kapitals bringt : Über setzung diene laut Lefevere unter anderem dazu, kulturelles Kapital zu erhalten und zu vergrößern. Auch die beiden anderen von Lefevere angeführten Steuerungselemente in der Translationsproduktion, die ökonomische Komponente und der Status der »patrons« und »rewriters« in der Gesellschaft, sind in den Konzepten der bour dieuschen Feldtheorie zu identifizieren : Zum einen ist dies das ökonomische Kapital, das als Bezahlung an »rewriter«, also auch ÜbersetzerInnen, einen ent scheidenden Einfluss auf die Entstehung von Translaten hat, zum anderen ist es das soziale Kapital, das laut Bourdieu im Zusammenwirken mit dem Habitus der jeweiligen AkteurInnen für die Positionierung der »patrons« und »rewriters« 12 Lefevere starb 1996. 13 Vgl. zur Diskussion neuerer Ideologie-Definitionen aus dem internationalen Diskurs : Ertler (1998). Der Autor nimmt in dieser Arbeit verschiedene Rahmungen vor, um die vielfältigen Kon turen des Begriffs und seiner Träger systematisch rekonstruieren zu können.
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