Göttinger Studien zur Kulturanthropologie / Europäischen Ethnologie Göttingen Studies in Cultural Anthropology / European Ethnology Universitätsverlag Göttingen Birgit Niess Lampedusa in Hamburg Wie ein Protest die Stadt bewegte. Eine Ethnografie Birgit Niess Lampedusa in Hamburg Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. erschienen als Band 7 in der Reihe „Göttinger Studien zur Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie“ im Universitätsverlag Göttingen 201 8 Birgit Niess Lampedusa in Hamburg Wie ein Protest die Stadt bewegte Eine Ethnografie Göttinger Studien zur Kulturanthropologie /Europäischen Ethnologie, Band 7 Universitätsverlag Göttingen 20 1 8 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.d nb .de> abrufbar „Göttinger Studien zur Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie“, herausgegeben von Prof. Dr. Regina Bendix E - Mail: rbendix@gwdg.de Prof. Dr. Moritz Ege E - Mail: mege@uni - goettingen.de Prof. Dr. Sabine Hess E - Mail: shess@uni - goettingen.de Prof. Dr. Carola Lipp E - Mail: Carola.Lipp@phil.uni - goettingen.de Georg - August - Universität Göttingen Institut für Kulturanthropologie/Europäische Ethnologie Heinrich - Düker - Weg 14 37073 Göttingen Anschrift de r Autorin Birgit Niess E - M ail: birgit.niess@posteo.de Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den Götting er Universitätskatalog (GUK) bei der Niedersächsischen Staats - und Universitätsbibliothek Göttingen (http://www.sub.uni - goettingen.de) erreichbar. Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Satz und Layout: Birgit Niess Umschlaggestaltung: Jutta Pabst Titelabbildung: Birgit Niess © 201 8 Universitätsverlag Göttingen http://univerlag.uni - goettingen.de ISBN: 978 - 3 - 86395 - 39 3 - 5 DOI: https://doi.org/10.17875/gup2018 - 11 21 e ISSN: 2512 - 7055 Danke. Ohne die kompetente, ehrliche und vertrauensvolle Unterstützung und Ermuti- gung vieler Menschen hätte ich diese Arbeit weder begonnen noch beendet. Ich denke dabei an mehr Menschen, als ich an dieser Stelle aufzählen kann. Insbesondere danke ich allen Mitgliedern und Unterstützer_innen der Lampe- dusa in Hamburg -Gruppe: dafür, dass sie mich inspiriert und mir vertraut haben, dass sie ihren Alltag und ihre Gedanken mit mir geteilt haben, dass wir ein Stück Weg miteinander gegangen sind. Ich danke meinen Interviewpartner_innen, die mir ihr Vertrauen und ihre Zeit geschenkt und mir geholfen haben, unterschiedli- che Perspektiven einzunehmen und zu verstehen. Ich danke den Aktivist_innen und Wissenschaftler_innen im Netzwerk Kri- tische Migrations- und Grenzregimeforschung (kritnet) und im Labor Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung Göttingen , die mich durch produktive De- batten, Workshops und Flurgespräche vorangebracht und meinen Horizont er- weitert haben. Das gemeinsame Hin- und Herdenken mit ihnen hat meiner Ana- Danke. lyse gutgetan und sie um einige Perspektiven reicher gemacht. Daneben waren mir Michael Westrich und Wolf-Dieter Just wichtige Wegbegleiter, die mir stets Mut gemacht haben. Durch gemeinsames Nachdenken am Küchentisch und auf Tagun- gen, durch kritische Fragen und freundschaftliche Hinweise, durch ihre Erfahrun- gen, an denen ich teilhaben durfte, habe ich viel gelernt. Mein Dank gilt außerdem allen, die mir Unterschlupf gewährt, ihre Balkone, Esstische und andere Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt haben, damit ich in Ru- he lesen, denken und schreiben konnte. Inga und Jörg Neufert, Jonas und Judith Neufert, Karen und Markus Neufert, Fanny und Astrid Dethloff und die Christli- che Gemeinschaft Altona : Es war schön, bei euch zu sein. Lilia Klug danke ich für wohltuende gemeinsame Schreibsessions in unserem gemeinsamen Zuhause. Ich danke allen Menschen, die mir zwischendurch Essen gekocht, handgeschrie- bene Witzebücher zukommen lassen, Lachanfälle am Telefon beschert und warme Socken für kalte Wintertage geschenkt haben. Ohne sie hätte ich womöglich nicht das nötige Durchhaltevermögen aufbringen können und definitiv weniger Freude bei der Arbeit gehabt. Sie haben mich daran erinnert, wie bunt das Leben ist. Mein besonders herzlicher Dank geht in diesem Zusammenhang auch an meine Mitbe- wohnerinnen Svenja Lücke und Franziska Denker, die mich im Feldforschungs- und Schreiballtag ausgehalten und begleitet haben, die mich meist sehr ernst ge- nommen – und in den passenden Momenten erfreulicherweise genau darauf ver- zichtet haben. Mein herzlicher Dank gilt der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche e.V. und den wunderbaren Kolleg_innen in der Geschäftsstelle und im Vorstand, die mich all die Jahre begleitet und in vielfältiger Weise unterstützt ha- ben, sowie der Hanns-Lilje-Stiftung , deren großzügige Forschungsförderung mir den nötigen Freiraum verschafft hat, genügend Zeit mit meiner Forschung zu ver- bringen. Namentlich bedanke ich mich bei Prof. Dr. Christoph Dahling-Sander für sein persönliches Engagement in diesem Zusammenhang. Der vorliegende Text hätte sichtlich mehr Lücken, Unschärfen und Fehler, wenn ich nicht kompetente und engagierte Korrekturleser_innen gehabt hätte: Nils Baudisch, Isabel Dean, Marie Fröhlich, Insa Graefe, Christoph Keienburg, Hans-Joachim Neufert, Inga Neufert und Joachim Niess. Ihnen gilt mein ganzer Respekt und herzlicher Dank – für ihre Zeit, ihre Geduld, ihre ehrlichen Anmer- kungen und ihr großes Interesse an der Thematik und meinen Gedanken dazu. Außerdem danke ich Matthias Fenner, ohne dessen treue, geduldige und hochpro- fessionelle technische Unterstützung diese Arbeit deutlich anders aussähe und erst viel später fertig geworden wäre. Nicht zuletzt danke ich an dieser Stelle Sascha Bühler sehr herzlich dafür, dass er meinen Text mit großem Interesse und aufmerk- samem Blick lektoriert und ihm den letzten Schliff gegeben hat. Die angenehme Danke. Zusammenarbeit mit ihm hat mir auf den letzten Metern vor der Veröffentlichung Mut gemacht. Jutta Pabst und Petra Lepschy vom Universitätsverlag Göttingen danke ich ebenso herzlich für die unkomplizierte, freundliche, wohlwollende Begleitung und dafür, dass sie die Publikation meiner Arbeit in dieser Form ermöglicht haben. Meiner Betreuerin und meinen Betreuern an der Georg-August-Universität Göttingen, Prof. Dr. Sabine Hess, Prof. Dr. Moritz Ege und Dr. Torsten Näser, danke ich von ganzem Herzen für ihre jahrelange Unterstützung und Ermutigung, ihre unmittelbaren und konstruktiv-kritischen Reaktionen in allen Phasen meiner Forschung. Ohne Sabine Hess, die den Prozess von Anfang an begleitet hat, wä- re mein ganzes Forschungsprojekt so nicht denkbar gewesen. Ihre große Bereit- schaft, sich auf mein Thema einzulassen, ihre ehrlichen Rückmeldungen und ihre aufmerksame Begleitung waren mir eine unglaublich wichtige Hilfe, um beherzt in die Feldforschung einzusteigen, einen roten Faden zu entwickeln, ein gutes Gleich- gewicht zwischen Liebe zum Detail und Pragmatismus herzustellen und in all dem nicht zu vergessen, auf mich selbst aufzupassen. Schließlich danke ich allen Menschen, die mich in den vergangenen Jahren lie- bevoll durch Höhen und Tiefen begleitet haben, einfach da waren und auf ihre Wei- se einen unverzichtbaren Beitrag zu dieser Arbeit geleistet haben, ganz besonders meinen Eltern – Irmgard und Hans-Joachim Neufert –, Inga Neufert und Joachim Niess. Inhalt 1 Einleitung 15 #lampedusahh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2 Beginn. Bewegung. Bürgerschaft: Die Anfänge des Lampedusa in Hamburg -Protests 35 2.1 Von Italien nach Hamburg: Binnenmobilität in Europa . . . . . . . 36 2.1.1 Grenzen und Mobilitäten innerhalb Europas . . . . . . . . . 36 2.1.2 Kollektivität und Performativität: Eine Protestbewegung formiert sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.1.3 Wie Grenzen und Bürgerschaft verhandelt werden . . . . . 45 2.1.4 Subjektformierung vs. Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . 51 2.2 Das „Recht, Rechte einzufordern“? Rechtliche Hintergründe von Lampedusa in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.2.1 Rechtspluralismus im Europa der Anderen . . . . . . . . . . . 55 2.2.2 Die Hierarchisierung von Rechten in Europa . . . . . . . . 59 2.2.3 Recht(e) in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.2.4 Acts of Citizenship und Kritik der Bürgerschaft . . . . . . . . 67 2.3 Dazwischen: Leben im „Grenzregime“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.3.1 Entwicklungen biopolitischer Grenzen . . . . . . . . . . . . 72 2.3.2 Das „Grenzregime“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2.4 Wie die Stadt reagiert – Teil 1: Staatliches Regieren oder zivilgesellschaftliches Handeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.4.1 Urban Anthropology und die Stadt als Laboratorium sozialer Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 2.4.2 Die Straße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 2.4.3 Debatten städtischer Entscheidungsträger_innen . . . . . . 89 2.5 Wie die Stadt reagiert – Teil 2: Die Zivilgesellschaft wird affiziert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.5.1 Zivilgesellschaftliche Vernetzungen . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.5.2 Affekte und Solidaritäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2.6 Wenn eine Kirche ihre Türen öffnet: Die widersprüchlichen Politiken des Humanitarismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2.6.1 Wenn eine Kirche ihre Türen öffnet . . . . . . . . . . . . . . . 106 2.6.2 Die widersprüchlichen Politiken des Humanitarismus . . . 110 2.6.3 Die Bedeutung des Stadtteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 #lampedusahh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3 Bewegung. Beobachtung. Forschung: Unterwegs mit Lampedusa in Hamburg 121 3.1 Teilnahme und Beobachtung: Methodologien des Forschens aus der Nähe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.1.1 „Situiertes Wissen“ und die (Un-)Möglichkeiten teilnehmender Beobachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.1.2 Menschliche Dimensionen des Forschens . . . . . . . . . . . 130 3.2 Forschung und Aktivismus: Zwischen widersprüchlichen Positionalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.2.1 Forschung im Zwischenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3.2.2 Vertrauen und Reziprozität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 3.2.3 Vorsicht und Skepsis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3.2.4 Methodologische Details . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3.3 #lampedusahh: Digitale Dimensionen ethnografischer Protestforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3.3.1 Digital Politics als Ausgangspunkt einer Methodologie . . 147 3.3.2 Digitale Ethnografien und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3.3.3 Jenseits der Linearität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 #lampedusahh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4 Protest. Stadt. Europa: Alltag einer Bewegung 159 4.1 Protest der Prekarisierten: Realitäten an Europas Grenzen . . . . . 160 4.1.1 Protest an der Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 4.1.2 Prekarisierte Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 4.1.3 Agency der Prekarisierten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4.1.4 Prekarisierung und Affekt, Politik und Menschsein . . . . 178 4.2 Alltag in der Stadt: Urbane Sozialitäten und staatliche Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 4.2.1 Flüchtige Sozialität in urbanen Grenzräumen . . . . . . . . 180 4.2.2 Begegnung und Begehren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 4.3 Leben in der Warteschleife: Die Zeitlichkeit der Grenze . . . . . . . 199 4.3.1 „We are just waiting. What are we doing here? Just waiting.“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 4.3.2 Warten als Aktivität? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4.3.3 Zeit, Macht, Grenze: Wenn die Warteschleife zum Gefängnis wird . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4.4 Alltägliche Rassismen: Wechselwirkungen von Rassismus und Neoliberalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4.4.1 Strukturelle Rassismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 4.4.2 „Neoliberale Rassismen“ und „rassialisierter Neoliberalismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4.4.3 Rassismuskritik nach dem material bzw. affective turn . . . 220 4.5 Sprachen schaffen Wirklichkeiten: Sprachen, Macht und Medien als Elemente des Protests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 4.5.1 Sprache als „machtvolles Handeln“ . . . . . . . . . . . . . . . 223 4.5.2 „What’s on the news?“ – Mythen und Medien . . . . . . . . 230 #lampedusahh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 5 Dynamiken. Bündnisse. Brüche: Bewegung auf dem Höhepunkt 237 5.1 „United we stand“? Vielfach verwobene Bündnisse . . . . . . . . . . 238 5.1.1 Zwischen Lampedusa in Hamburg und der Zivilgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 5.1.2 Zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen und politischen Akteur_innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 5.1.3 Innerhalb zivilgesellschaftlicher Organisationen . . . . . . . 252 5.1.4 Zwischen verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 5.2 Bewegung macht mobil: Protest zwischen Mobilität und staatlicher Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5.2.1 Sommer 2013: Agency und Unterstützung auf dem Höhepunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 5.2.2 Mobilitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 5.2.3 Mobilisierung. Wut. Eskalation. . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 5.3 Brüchige Momente: Acts of Citizenship und ihre Grenzen . . . . . . 272 5.3.1 Die Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 5.3.2 Die Spaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 5.3.3 Widersprüchliche Realitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 5.4 Endlich eine Lösung? Komplexitäten und Widersprüche rechtsstaatlichen Regierens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 5.4.1 Lesarten des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 5.4.2 Die Praxis des Rechts(staats): Widersprüche und Verunsicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 5.5 Gebremste Bewegung: Wie sich Agency mit der Zeit verändert . . 294 5.5.1 Potenziale und Verwerfungen im veränderten Alltag . . . . 294 5.5.2 Vernetzte Proteste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 #lampedusahh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 6 Spuren. Splitter. Aussichten: Was bleibt? 305 6.1 Vom Rand ins Zentrum: Wie sich Grenzen verschieben . . . . . . . 306 6.1.1 „Flucht“ in öffentlichen Diskursen . . . . . . . . . . . . . . . 306 6.1.2 Grenzen im Zentrum der Debatte . . . . . . . . . . . . . . . . 308 6.2 Der alltägliche Kampf: Prekarisierung als Beschränkung des Protests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 6.2.1 Acts of Citizenship und die Grenzen des Unerwarteten . . . 313 6.2.2 Bleibender Protest zwischen Prekarisierung und Hoffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 6.3 Netzwerke von Netzwerken reloaded : Über Lampedusa in Hamburg hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 6.3.1 Transnationale und lokale Vernetzungen . . . . . . . . . . . 324 6.3.2 Potenziale für zukünftige Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . 328 6.4 Leerstellen einer Erzählung: Ein Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 7 Anhang 341 7.1 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 7.2 Feldforschungsmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 7.3 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 7.4 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 1 Einleitung Es ist April. Der 15. April 2013. Damit endet das diesjährige Winternotprogramm in Hamburg. Wie jeden Winter fanden hier auch in diesem Jahr einige Hundert Menschen Unterkunft, um nicht obdachlos auf der Straße leben zu müssen und damit ihr Leben zu riskieren. Sie kommen aus Hamburg, Deutschland, Europa und der ganzen Welt. Sie überstehen so die kältesten Monate des Jahres. Doch das Winternotprogramm endet unabhängig vom Wetter. In diesem Jahr ist es beson- ders kalt und regnerisch. Neben dem Wetter, das jedes Jahr im April herb und unfreundlich sein kann, ist in diesem Jahr jedoch vor allem eines anders: Mindes- tens 360 Menschen, die im Winternotprogramm untergekommen waren, werden mit Bussen ins Zentrum der Stadt gefahren. Von hier aus sollen sie weiterreisen. Zurück nach Italien, denn sie sind über Libyen und Italien nach Hamburg gekom- men. Doch Hamburg hält sich nicht für zuständig. Der Senat bietet ihnen sogar an, ihre Rückfahrkarte nach Italien zu bezahlen. Hauptsache, sie verlassen die Stadt und die Bundesrepublik so schnell wie möglich. 16 1 Einleitung Viele kennen sich inzwischen untereinander. In den gemeinsamen Wochen im Winternotprogramm stellten sie fest, dass sie eine nahezu identische Geschichte verbindet. Sie sind sich einig, dass es so nicht weitergehen kann. Sie brauchen ei- ne Perspektive in Hamburg. Erste Überlegungen, wie sie dies erreichen können, stellten sie noch während des Winternotprogramms an. Doch spätestens jetzt, wo sie gemeinsam am Hauptbahnhof gestrandet sind, sind sie eine Gruppe, teilen ein Schicksal und überlegen gemeinsam, was sie nun tun können. Einer von ihnen hatte schon im Vorfeld Kontakt zu Aktivist_innen aufgenommen, die seit Jahr und Tag für die Rechte von Geflüchteten und Migrant_innen auf die Straße gehen. Diesen Kontakt werden sie erneut suchen, um gemeinsam weiterzudenken und weiterzumachen. Fest steht für sie schon jetzt: Die Rückkehr nach Italien kommt nicht infrage. „Wir sind hier und wir gehen nicht zurück!“ 1 1 Vgl. ATESH Für eine sozialrevolutionäre Perspektive 2013. Siehe auch Kapitel 2.1. Vgl. da- rüber hinaus Feldtagebuch 2013: 16.06.2013 und Interview 8-2013. Ein Verzeichnis aller von mir verwendeten, unveröffentlichten Feldforschungsmaterialien findet sich am Ende dieser Arbeit. 1 Einleitung 17 „And they dropped us at the train station. And the bus left.“ 2 Jacob Hayes Sie heißen Welcome2Barmbek , Refugees Welcome Karoviertel , Herzliches Harveste- hude oder Eimsbüttel hilft : In unzähligen Initiativen engagieren sich Menschen, um die Ankommenden in Hamburg zu begrüßen, kennenzulernen und im Alltag zu begleiten. In verschiedenen Stadtteilen unterstützen sie geflüchtete Menschen und setzen ein Zeichen dagegen, dass die EU-Mitgliedstaaten zunehmend versuchen, die Verantwortung für die Aufnahme von Geflüchteten von sich zu weisen, und dass Menschen dadurch wie Objekte quer durch Europa verschoben werden. Diese und zahlreiche weitere zivilgesellschaftliche Initiativen wurden vielerorts im Som- mer 2015 gegründet. Der „lange Sommer der Migration“ 3 markiert einen Meilen- stein im öffentlichen Bewusstsein für die Situation von Menschen auf der Flucht. Spätestens seit jeden Tag Hunderte von Menschen auf dem Weg nach Nordeuro- pa am Hauptbahnhof strandeten, entstanden in Hamburg Aufmerksamkeit und Engagement. Zahlreiche Menschen organisierten ab dem Spätsommer 2015 für die Transitgeflüchteten Übernachtungsplätze, Essen und Getränke, warme Decken und medizinische Versorgung, die in Zelten auf dem Bahnhofsvorplatz und später im nahegelegenen Bieber- Haus angeboten wurden. 4 Tausenden Menschen gelang es in dieser Zeit, ohne offizielle Registrierung nach Dänemark, Schweden oder Norwe- gen weiterzureisen. In jenen Wochen wurde die Dublin III -Verordnung zeitweise ausgehebelt. Menschen konnten Grenzen passieren und in das europäische Land ihrer Wahl reisen, um dort um Asyl oder eine andere Möglichkeit des Aufenthalts zu ersuchen. Doch schon mehr als zwei Jahre zuvor waren Vorboten in Hamburg angekom- men, die den politischen Verhältnissen ein Gesicht gaben und so lautstark von den Grenzen Europas und vom Scheitern europäischer Migrationspolitik erzähl- ten, dass sie in der ganzen Stadt – und weit darüber hinaus – gehört und gesehen werden konnten. Sie hatten die Grenzen Europas überwunden, als die temporäre Öffnung von Grenzen und ein „Wir schaffen das“ 5 von Bundeskanzlerin Angela Merkel noch unvorstellbar gewesen waren. Die Protestierenden der Lampedusa in Hamburg -Gruppe zeigten schon damals auf, welche Lücken die europäische Migra- tionspolitik aufwies. Sie machten schon im Jahr 2013 das öffentlich, was erst im Sommer 2015 durch zahlreiche ankommende Menschen unübersehbar wurde: Die bestehenden Verordnungen auf EU-Ebene sorgen mitnichten für eine menschen- 2 Jacob, in: Interview 8-2013. 3 Kasparek / Speer 2015. 4 Vgl. z.B. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Hamburg e.V. 2016. 5 Zit. nach: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 2015. 18 1 Einleitung würdige Versorgung von Geflüchteten in ganz Europa. 6 Diese Migrationspolitik und ihre Auswirkungen zeigen sich nicht allein an den vermeintlichen Rändern Europas. Vielmehr machte die Gruppe schon durch ihren Namen deutlich: Die Grenzen befinden sich nicht irgendwo an einem imaginären Außen des Konti- nents, an Orten wie der kleinen italienischen Insel Lampedusa, sondern sie ereig- nen sich hier. Mitten in Europa. Mitten in der Stadt. Auch in Hamburg. Der Lampedusa in Hamburg -Protest reiht sich ein in eine Vielzahl selbstorgani- sierter migrantischer Proteste, deren Beginn in Deutschland bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren verortet werden kann. 7 Migrant_innen protestierten damals wie heute gegen die restriktive und diskriminierende deutsche und europäische Migrationspolitik und für ihre Rechte. 8 Seit 2012 entstanden vielerorts in Deutsch- land – und darüber hinaus – neue Protestbewegungen wie z.B. der „Refugee Strike“ in Berlin und die bundesweiten sogenannten „Refugee Struggles for Freedom“, die mitunter in radikaleren Protestformen wie Hungerstreiks ihren Ausdruck fanden und finden. 9 Die Lampedusa in Hamburg -Gruppe steht somit in einem größeren Kontext kollektiver Proteste. Gleichzeitig sind die Gegebenheiten und Entwick- lungen vor Ort immer auch spezifisch. Anstelle einer vergleichenden Analyse wid- me ich mich daher meiner Geschichte mit Lampedusa in Hamburg in ihrer Spezifik, in Form von konkreten Momenten und Situationen, anhand von spezifischen Er- fahrungen, die ich persönlich in und mit der Protestbewegung gemacht habe. Diese Geschichte erzähle ich als Genealogie im Sinne Michel Foucaults. 10 Mir geht es da- her gerade nicht in erster Linie um die Kontinuitäten, sondern vielmehr um die Diskontinuitäten und Unfertigkeiten, um die „Bruchstellen und Wandlungspro- zesse“ 11 der Protestbewegung. Während des Protests und auch nach seinen Höhe- punkten habe ich in der Stadt – im medialen wie auch im persönlichen Kontext – immer wieder Erklärungsversuche gehört. Ich möchte in dieser Arbeit jedoch auf die Momente, Situationen und Dynamiken fokussieren, die ich nicht verstanden habe, die Fragen aufwerfen und offen lassen. Ich möchte den Lücken nachspüren, die in der Geschichte, die ich mit Lampedusa in Hamburg erlebt habe, bestehen blei- ben und sich nicht zu einer linearen, stringenten, schlüssigen Erzählung schließen lassen. Auf diese Weise versuche ich nicht zuletzt, der Komplexität des Protests und der um ihn herum entstandenen Ereignisse gerecht zu werden. Ich verstehe 6 Zu den rechtlichen Zusammenhängen siehe im Detail Kapitel 2.2. 7 Vgl. Bojadžijev 2012 [ 2008 ] 8 Vgl. z.B. The Caravan for the Rights of Refugees and Migrants 2003. 9 Vgl. Refugee Struggle for Freedom 2012. 10 Vgl. beispielsweise Foucaults Aufsatz „Nietzsche, die Genealogie, die Historie“ (Foucault 1987 [ 1974 ] : 69–90). 11 Hess u.a. 2018 im Rückgriff auf Foucault.