Rights for this book: Public domain in the USA. This edition is published by Project Gutenberg. Originally issued by Project Gutenberg on 2017-11-06. To support the work of Project Gutenberg, visit their Donation Page. This free ebook has been produced by GITenberg, a program of the Free Ebook Foundation. If you have corrections or improvements to make to this ebook, or you want to use the source files for this ebook, visit the book's github repository. You can support the work of the Free Ebook Foundation at their Contributors Page. The Project Gutenberg eBook, Erinnerungen eines Achtundvierzigers, by Stephan Born This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Erinnerungen eines Achtundvierzigers Author: Stephan Born Release Date: November 6, 2017 [eBook #55895] Language: German Character set encoding: UTF-8 ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ERINNERUNGEN EINES ACHTUNDVIERZIGERS*** E-text prepared by Odessa Paige Turner, Reiner Ruf, and the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by the Google Books Library Project (https://books.google.com) Note: Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See https://books.google.com/books?id=6f0SAAAAYAAJ&hl=en Anmerkung zur Transkription Das Original wurde in Frakturschrift gesetzt; diese wird hier in Normalschrift dargestellt. Antiquaschrift wird in der vorliegenden Ausgabe kursiv dargestellt. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original g e s p e r r t gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen. Erinnerungen eines Achtundvierzigers Erinnerungen eines Achtundvierzigers Von Stephan Born Mit dem Bildnis des Verfassers Leip zig Ve r l a g vo n Ge o r g He i nr i c h Me ye r 1898 Vorwort. Ich begreife vollständig, wenn man beim Anblick dieser Blätter sich fragt, wie ich dazu komme, meine „Erinnerungen“ zu schreiben und der Öffentlichkeit zu übergeben. Mein Name wurde zwar in den Berliner Zeitungen der Jahre 1848 und 1849 häufig genannt, ich stand dort kurze Zeit im V ordergrunde der großen Bewegung, aus welcher schließlich nach gewaltigen Kämpfen Neu-Deutschland hervorgehen sollte, ich war namentlich einer der Gründer und Leiter der damals entstandenen, jetzt mächtig auftretenden Arbeiterpartei. Ich gehöre jedoch in Deutschland schon lange zu den Verschollenen, sogar Vergessenen. Weshalb aus dem Grabe wiedererstehen? Wesentlich nur aus dem Grunde, weil man jetzt die Geschichte des Jahres 1848 zu schreiben beginnt, weil andere mich ausgegraben, meine damalige Thätigkeit darstellen und beurteilen und dabei Wahres mit Falschem vermengen. Ein sozialdemokratischer Schriftsteller hat mich sogar zum Helden eines in Arbeiterblättern erschienenen Romans gemacht. Es werden alljährlich zum 18. März Erinnerungsblätter an das Jahr 1848 ausgegeben, in denen mit V orliebe von mir in jenem Jahre gehaltene Reden oder Zeitungsartikel neu abgedruckt werden. Ich habe keinen Grund, den Inhalt jener Reden und Artikel jetzt zu verleugnen, ich könnte sie sogar heute noch unterzeichnen, obgleich ich in dem seither abgelaufenen halben Jahrhundert in mancher Beziehung ein anderer geworden bin. Das damals Gesprochene und Geschriebene ist mir das Zeugnis einer unverkennbaren Einheit in meiner Gesamtentwicklung. Es ist nicht eigenes Interesse, das mich dazu führt, richtig zu stellen, was in unrichtiger Kenntnis der Verhältnisse und in völliger Unkenntnis meiner Person da und dort in neuester Zeit von mir gesagt und auch gefabelt worden ist. — Was liegt an einem einzelnen, an einer kleinen Schraube in dem großen, geheimnisvollen Schiffe, welches der Menschheit Geschicke durch aller Zeiten Ozeane trägt? — Ich schreibe vielmehr, um etwas Licht zu verbreiten über Menschen und Dinge, die ich in jenen Bewegungsjahren genau kennen gelernt, um einen bescheidenen Beitrag zu liefern zur Geschichte des Werdens einer neuen Zeit, und damit auch die Legendenbildung, die schon in voller Thätigkeit ist, einigermaßen zu stören, wenn es auch unmöglich ist, sie ganz zu verhindern. So weit es sich machen ließ, habe ich für meine Darstellung die Form leichter Unterhaltung gewählt. Es schien mir diese Form dem Zwecke am besten zu entsprechen, den ich im Auge hatte. Ich habe in diesen Aufzeichnungen das nur berücksichtigt, was Beziehungen zum öffentlichen Leben, zu den Kulturzuständen der Zeit hat, von der ich spreche. Meine ausführliche Biographie zu geben, dazu fehlt mir die Berechtigung. B a s e l , im Januar 1898. B. Inhalt. Seite V orwort v 1. Thronwechsel in Preußen 1 2. V orschule des Lebens 8 3. Der Berliner Handwerkerverein. Das Rütli 21 4. Wanderschaft. Robert Blum in Leipzig. Reise nach Brüssel und Paris 33 5. Friedrich Engels. Der Kommunistenbund. Heinrich Heine 43 6. Reise in die Schweiz. Der Sonderbundskrieg. Karl Heinzen 54 7. Ein Winter in Brüssel. Karl Marx 67 8. 1848. Die Februarrevolution in Paris. Aufstandversuche in Brüssel. Frau Marx. Reise nach Paris 75 9. Ein Besuch in den Tuilerien 91 10. Die Deutschen in Paris. Georg Herwegh und der Freischarenzug nach dem badischen Oberland 100 11. Heimkehr nach Berlin. Die Berliner nach dem 18. März 114 12. Die Arbeiterpartei. Der Zeughaussturm 131 13. Praktische Sozialpolitik 143 14. Der erste deutsche Arbeiterkongreß. „Die Verbrüderung“ 162 15. In Leipzig. Bakunin 171 16. Erschießung Robert Blums in Wien. Steigende Aufregung in Deutschland 180 17. Reise nach Heidelberg und nach Köln 190 18. Nach Dresden gewählt. Kämpfe um die Reichsverfassung 201 19. Der Maiaufstand in Dresden. I 211 20. Der Maiaufstand in Dresden. II 219 21. Zug nach Freiberg. Richard Wagner 231 22. Flucht nach Böhmen 243 23. Erste Flüchtlingsjahre in der Schweiz. I 254 24. Erste Flüchtlingsjahre in der Schweiz. II 267 Nachwort 287 I. Thronwechsel in Preußen. Es war im Sommer 1840. Ich stand in der V ollkraft der Flegeljahre. Meine Eltern hatten mich aus dem Gymnasium genommen, weil sie schon für einen Sohn auf der Universität Sorge tragen mußten und es nicht fertig gebracht hätten, einen zweiten Sohn studieren zu lassen. Man hatte mich zu einem kinderlosen Oheim nach Löwenberg in Schlesien geschickt, der über meine Zukunft entscheiden sollte. Zum Kaufmann — das war mein Oheim — und er hatte schon einen anderen Neffen zu sich in die Lehre genommen — schien ich nicht geeignet. Ich kümmerte mich viel zu sehr um brotlose Künste, und was noch schlimmer war, um öffentliche Dinge, d. h. um Dinge, die mich nichts angingen; ich las mit Eifer alle Zeitungen, die in meine Hände kamen, in wenigen Wochen hatte ich daheim in meiner Vaterstadt gar noch alle Romanschätze der Leihbibliothek — es waren meist Räubergeschichten von Kramer und Spieß — verschlungen, und wenn ich nun auf den grünen Wiesen meines Oheims die Zickelfelle bewachte, die dort zum Trocknen ausgelegt waren, um dann in eine Handschuhfabrik nach Grenoble gesandt zu werden, betraf man mich oft bei dem Absingen politischer Lieder, wie „Noch ist Polen nicht verloren“ oder gar der Marseillaise. Was sollte ich werden? Das war die ernste Frage, die meinen Oheim beschäftigte. Da wurde in einem Abendgespräch von einem dritten Neffen des braven Mannes gesprochen, der Schriftsetzer geworden und nach Paris gegangen war. V on ihm war ein Brief eingelaufen, den ich eben vorgelesen hatte. Ich könnte wohl auch Buchdrucker werden, ließ ich mich schüchtern vernehmen. — Warte bis das Schützenfest vorüber ist, dann schicken wir dich nach Berlin. Dein dort studierender Bruder mag sich fürs erste nach einem Lehrherrn für dich umsehen. — So lautete die Antwort meines gutherzigen Oheims. Ich war es zufrieden. Das bevorstehende Schützenfest hatte für ihn eine ganz besondere Bedeutung. Mein Oheim war in jenem Jahre Schützenkönig und sollte demnächst mit der im Orte seit alten Zeiten üblichen Feierlichkeit an der Spitze des prächtigen Zuges nach dem Festplatz geleitet werden. Als ich bei meiner Ankunft aus der Heimat zum erstenmale in den gewölbten Flur seines stattlichen Hauses getreten, war mir eine an der weißen Wand befestigte Schützenscheibe aufgefallen, mit ihren vielen Pflöcken, deren jeder das Loch verschloß, das die Kugel sich durch das Holz gebohrt hatte, und zugleich einen schmalen Zettel mit dem Namen des Bürgers festhielt, der den Schuß gethan. Genau im Centrum steckte ein Pflock mit dem Namen meines Oheims. Er hatte „den Punkt herausgeschossen“, wie der V olksausdruck die geschickte oder vom Zufall begünstigte That bezeichnete. Es war ein Glücksschuß gewesen und er erwies sich zugleich als die erwünschteste Unterbrechung schwerer, sorgenvoller Tage. Einige Wochen vorher hatte nämlich der so unversehens vom Schicksal zu großen Ehren ausersehene Schütze den ersten seiner drei Pflegebefohlenen, den er in sein stilles Haus aufgenommen, einen noch unbärtigen Jüngling, mit einer großen Fracht Kleesamen nach Hamburg gesandt. Der Junge sollte dort eine ziemlich beträchtliche Summe für die Ware in Empfang nehmen und heimbringen. Doch Tage um Tage vergingen und keiner brachte das geringste Lebenszeichen von ihm. Wie konnte er nur so hartnäckig schweigen? War er krank geworden? War er beraubt worden oder gar umgekommen? Mit dieser Sorge im Herzen ging mein trefflicher Oheim, als die Reihe an ihn kam, an den Stand und schoß — zu seiner nicht geringen Verwunderung den Punkt aus der Scheibe. Es war ein Meisterschuß. Der Zeiger machte seine Luftsprünge vor dem Ziel, Pauken und Trompeten verkündeten das große Ereignis über den weiten Platz, die Dienstmädchen mit den Kindern verließen eilig die Buden, in welchen um den Gewinn von Pfefferkuchen gewürfelt wurde; alles umdrängte glückwünschend den Helden des Tages. Am Abend, da kein besserer, ja auch nur annähernd so guter Schuß gethan wurde, proklamierte man den bei der Bevölkerung sehr beliebten alten Herrn zum Schützenkönig und geleitete ihn nach allen hergebrachten Regeln und Formen in sein geräumiges Haus am Marktplatz, in dessen V orhalle nun die Scheibe als eine auf spätere Geschlechter zu vererbende Trophäe aufgehängt wurde. An demselben Abend aber — welch wunderbares Zusammentreffen! — langte der ersehnte Neffe mit dem in Hamburg für den Kleesamen eingenommenen Gelde an. Er hatte die ihm übertragene Aufgabe pünktlich erfüllt; an die Ratsamkeit, von Zeit zu Zeit etwas von sich hören zu lassen, hatte er nicht gedacht. Die gehobene Stimmung, in welche dieser doppelte Glücksfall den neuen Schützenkönig versetzte, fand ihren glänzenden Ausdruck in der Fülle des Weines, der seinem Ehrengeleit gereicht wurde. Es war eine endlose Reihe leerer Flaschen, die am andern Morgen unter der eben aufgehängten Ruhmesscheibe sich befanden. In der guten Stadt am Bober, unweit der kriegsberühmten Katzbach, genoß man in jener Nacht eines festen Schlafes. Ohne jeden Stolz auf die bewiesene Geschicklichkeit, für die er die volle Ehrengebühr nur lächelnd auf seine Schultern nahm, hatte mein Oheim in letzter Zeit oft beim Abendgespräch jenes ereignisreichen Tages gedacht, denn es nahte der andere, wichtige Tag, wo er als Schützenkönig auf den Festplatz geleitet werden und sein glorreiches Amt in andere Hände niederlegen sollte. Für die Ausfüllung der großen Lücke im Weinkeller war gesorgt worden, die Tante hatte eine Anzahl Torten gebacken und backen lassen, sie waren unerläßlich für die würdige Ausfahrt des Schützenkönigs. Doch es sollte anders kommen, als man erwartet hatte. Am frühen Morgen stellten sich die Mitglieder der Schützengilde ein. Sie boten in ihren pomphaften Uniformen einen glänzenden Anblick dar, dessen komische Seite mir trotz der Bewunderung nicht entging, die ich für die wunderlich aufgeputzte, heroische Erscheinung eines meiner Vettern, eines schlichten Färbermeisters hegte, der bei dieser Gelegenheit mit dem vollen Bewußtsein seiner Mannesschönheit und seiner bis dahin freilich noch in Verborgenheit schlummernden kriegerischen Tugenden mir gewaltig imponierte. Die ganze Truppe trug grüne, rot eingefaßte Schwalbenschwänze, frisch gewaschene, weiße Beinkleider, auf dem Haupte einen Tschako mit himmelanstrebendem, steifem Federschmuck. Die Musik stimmte die pathetischsten Akkorde an, der gleich einem Bajazzo ausstaffierte Schuster Reimschüssel — er war noch nüchtern, denn die Glocke hatte eben erst acht geschlagen — schwenkte kunstvoll seine kurz geschäftete goldgestickte Fahne um Haupt und Glieder, und der Herr Bürgermeister, die Herren Stadträte und die ehrenwerten Offiziere der Gilde traten in das bekränzte Haus, begrüßten den Schützenkönig, der zwar keine Krone auf dem Haupte, doch eine schwere silberne Kette auf der Brust trug. Man schüttelte sich die Hände, man trank den von den weißgekleideten Nachbarstöchtern dargebotenen Wein und aß ein Stück Torte nach dem andern. Dann ordnete man sich in Reih’ und Glied, um an der Spitze des draußen aufgestellten Zuges den Marsch nach dem Schützenplatz zu beginnen. Da geschah etwas Unerhörtes. Eben war das Kommando zum Abmarsch erschollen, als ein Postbote eiligst über den Platz rannte, und hoch über seinem Haupte einen großen Brief haltend, diesen atemlos dem Bürgermeister überreichte. „Der König ist gestorben,“ ging plötzlich ein Gemurmel durch die Reihen. Und so war es in der That. Die Anzeige war eben eingetroffen, daß Seine Majestät Friedrich Wilhelm III. das Zeitliche gesegnet hatte. Das Schützenfest, erklärte nun das Stadtoberhaupt, ist bis auf weiteres verschoben. Die Reihen der Gilde lösten sich auf. Mein Oheim, der Schützenkönig, wurde von einigen Herren wieder in sein Haus zurückgeleitet. Die Herren waren so freundlich, noch ein Glas Wein anzunehmen, die Torten aber waren bis auf ein einziges Stück aufgegessen, und dieses eine Stück, das man niemand anzubieten wagte, bekam ich. II. Vorschule des Lebens. Noch vor der Abhaltung des so unversehens unterbrochenen Schützenfestes mußte ich meine Reise nach Berlin antreten. Auf preußischem Boden existierte noch keine Eisenbahn. Der schwer belastete Frachtwagen meines Oheims, der von zwei starken Pferden im Schritt nach der Hauptstadt gezogen wurde, brauchte mehrere Tage für den weiten Weg. Man hatte mir einen Sitz neben dem Platz des Kutschers zurecht gemacht, den dieser übrigens nicht benutzte, da er, der Überlieferung seines Berufes getreu, immer zu Fuß neben her ging, behaglich seinen Stummel rauchend, mit der Peitsche knallend, und bald singend, bald pfeifend mit den Pferden sich unterhielt. Man hatte mir für die lange Fahrt mancherlei Eßbares mitgegeben und auch etwas Geld in die Westentasche gesteckt. Ich kam fröhlicher Dinge bei meinem Bruder in Berlin an. Dieser war um mein leibliches wie um mein geistiges Wohl sehr besorgt und nur mit Rührung kann ich an die zwei oder drei Jahre fruchtbarer Anregungen, wenn auch zahlreicher Entbehrungen denken, die ich unter seiner liebevollen Führung verlebt habe. Er stand im dritten Jahre seiner medizinischen Studien und war ihnen mit Leib und Seele ergeben. Er hatte für mich eine Lehrlingsstelle gefunden und, was bei einem Studenten sich leicht erklärt, in einer Buchdruckerei, deren sich viele Doktoranden zum Druck ihrer Dissertation bedienten, wobei mir alsbald das bißchen Latein, das ich vom Gymnasium mitbrachte, recht zu statten kam. Bevor er mich in das Joch spannen ließ, gönnte er mir jedoch noch einige Tage, damit ich von der Reise mich ausruhen und mir Berlin ansehen könne. War ich einige Wochen vorher in der Provinz Zeuge der Ankündigung des Todes Friedrich Wilhelms III. gewesen, so hatte ich nun in der Hauptstadt Gelegenheit, der seinem Nachfolger Friedrich Wilhelm IV dargebrachten Huldigungsfeier von der Straße aus, so weit dies einem grünen Jungen gestattet war, beizuwohnen. Mein Bruder blieb zu Hause. Er wollte wegen eines Monarchen, der schon seine Absicht angekündigt hatte, das absolute Regiment seines Vaters fortzusetzen, keine Stunde an der Arbeit verlieren, die in jenen Tagen seine ganze Zeit in Anspruch nahm. Im Jahre 1840 waren die deutschen Studenten noch sehr liberal, sie standen zum V olke und dieses brachte von vornherein dem König, der sich vielleicht für einen akademischen Lehrstuhl geeignet hätte, dem jedoch alle Regenteneigenschaften abgingen, keine Sympathien entgegen. Er galt für einen geistreichen Kopf, nicht aber für einen König; dazu fehlte ihm schon die äußere Erscheinung. Zu Pferde, namentlich, wenn er einen leichten Trab anschlug, nahm er sich recht schwerfällig aus. Seine Gestalt war nichts weniger als soldatisch. Dennoch interessierte er sich in hohem Grade für militärische Dinge. Die Reformen, die er bald nach seinem Regierungsantritt in der Bekleidung des Heeres veranlaßte, die Ersetzung des unförmlichen Tschakos durch den Helm, des Schwalbenschwanzes durch den Waffenrock, mußten allgemeinen Beifall finden; unter seiner Regierung erhielt die Infanterie auch das Zündnadelgewehr. Auf die Stimmung im V olke übten diese Neuerungen indessen kaum einen Einfluß. Nach langem gesicherten Frieden interessierte man sich blutwenig für militärische Dinge, die Unzufriedenheit über den Fortbestand der Zensur, über die Zurückweisung der allgemeinen Forderung, dem Lande eine V olksvertretung zu geben wuchs zusehends und durchdrang die weitesten Kreise, als die junge Lyrik mit Dingelstedt, Gottschall, Hofmann v. Fallersleben, Prutz, besonders mit Georg Herwegh einen in Deutschland ungewohnten politisch-revolutionären Ton anschlug. Die neuen Gedichte, obgleich verboten, wanderten von Hand zu Hand und erhitzten die Gemüter. Der geistreiche König konnte dagegen nichts thun. Sein Schwager, Zar Nikolaus, hatte andere Waffen gegen aufrührerische Poeten, er verschickte sie nach Sibirien. Friedrich Wilhelm IV ., da er nichts Ernstes gegen den Liberalismus zu unternehmen vermochte, mußte ihm schrittweise nachgeben und das war sein Verhängnis. Persönlich von hoher litterarischer Bildung, konnte er anstandshalber es nicht verhindern, daß Berlin bald nach seinem Regierungsantritt ein liberales, litterarisches Centrum für Deutschland zu werden begann. Die oben genannten Poeten fanden sich sämtlich in seiner Hauptstadt ein, er ließ sich sogar durch den Professor Schönlein den gefeierten Sänger der „Gedichte eines Lebendigen“ vorstellen. Heine hat dieser Audienz in boshaften Versen gedacht, er sah hier den Marquis Posa vor dem König Philipp. Friedrich Wilhelm IV . hatte nun aber nichts von einem Philipp, er suchte den jungen Poeten durch ein paar schlechte Witze zu verblüffen; er werde, sagte der König boshaft, in Berlin so gute Spätzle nicht zu essen bekommen, wie in dem lieben Schwabenland. Als Herwegh in seinem jugendlichen Posaeifer nun doch von Königsberg aus sich vermaß, den König zu apostrophieren, ließ dieser ihn des Landes verweisen. Schillers Marquis Posa steckte noch stark in den Köpfen der damaligen Generation. Nicht viel später erlaubte sich der Verfasser der „Vier Fragen“ in einer Audienz Friedrich Wilhelm IV . zuzurufen: „Es ist der Fluch der Könige, daß sie die Wahrheit nicht hören können.“ Friedrich Wilhelm IV . nahm dies natürlich sehr übel. Im Jahre 1840 begann man in Berlin, wo bisher das Theater und vielleicht ein neuer Roman der Frau v. Paalzow oder der Gräfin Ida Hahn-Hahn die Kosten der Unterhaltung trug, mehr und mehr mit politischen Dingen sich zu beschäftigen. Am Tage der Huldigungsfeier bemerkte man davon noch wenig. Auf dem ungeheuren Platz zwischen Schloß und Museum war nur der vordere Teil stark besetzt, da standen in feierlichem Aufzug die Mitglieder der staatlichen und der städtischen Behörden, die Generalität, die Professoren der Universität, die richterlichen Kollegien, die Abordnungen aus den Provinzen u. s. w. Die Berliner Einwohnerschaft aber schien gar nicht neugierig, sie war nicht zahlreich vertreten, es blieb ein großer, leerer Raum von der prächtigen Granitschale inmitten des Lustgartens bis zum Museum. Ich sah unbehelligt dem sich abspielenden V organg aus ziemlicher Nähe zu; ich erkannte den König, als er auf dem Balkon erschien, ich verstand jedes Wort seiner Rede, in welcher er versprach, dem Wohle seines V olkes sein ganzes Leben zu widmen und mit der Versicherung schloß: „Das gelobe und schwöre ich!“ Der V olkswitz hatte schon in den nächsten Tagen dieses feierliche Gelöbnis in die Worte umgewandelt: „Dat jloob ick schwerlich,“ der König, der ja dem Witz nicht abhold war, lachte, als er dies erfuhr. Ich habe mir vorgenommen, meine persönlichen Erlebnisse nur so weit zu berühren als sie zu öffentlichen Dingen in Beziehung stehen oder doch einen Beitrag zu dem kulturhistorischen Bilde jener Zeit zu liefern vermögen. Dies ist der Fall mit meiner Lehrzeit als Schriftsetzer. Sie dauerte nicht weniger als fünf Jahre. So lernte ich früh einen wunden Fleck in den damals herrschenden sozialen Einrichtungen kennen und wurde ich unmittelbar zu kritischen Betrachtungen über dieselben veranlaßt. Die Kunst, Buchstaben an einander zu reihen, in Zeilen, Kolumnen und Platten zu schließen, zu korrigieren, abzulegen u. s. w. erlernt ein halbwegs intelligenter Knabe sicher in zwei Jahren. Giebt man dem Lehrherrn als Lohn für seinen Unterricht, den er in der Regel nicht selber übernimmt, noch ein Jahr drein, so wären es drei Dienstjahre, die der auszubildende Jüngling auf sich zu nehmen hätte. Einen jungen Menschen fünf Jahre an die Kette zu legen, um ihn während der letzten drei Jahre als fertigen Arbeiter für eine lächerlich geringe Entschädigung auszubeuten, war ein schreiender Mißbrauch, zu dem sich der andere gesellte, daß es im damaligen Berlin Buchdruckereien gab, die gar keine Gehülfen, sondern nur Lehrlinge hielten. Eine derselben hielt deren zwölf. Diejenige, in welcher ich die Ehre hatte, in die Geheimnisse der schwarzen Kunst eingeführt zu werden, hatte deren sechs. Nur ein einziges Mal hatte sie auf einige Monate mehrere Gehülfen am Setzkasten. Mit diesen geriet ich einmal in einen lebhaften Konflikt, als ich in meinem Idealismus mich weigerte, einem alten Trunkenbold Schnaps zu holen. Wenige Jahre später stand ich an der Spitze der Berliner Buchdrucker, um den Anstoß zur Aufhebung verschiedener Mißbräuche und einer fortschreitenden Verbesserung ihrer Lage zu geben. Den verderblichen Branntwein hat die allgemeine Kulturentwickelung mit der Hebung des Lebensstandes der Arbeiter in weiten Kreisen derselben durch das gesellige Bier ersetzt. Die Buchdruckereibesitzer — es war die Minderzahl — welche ihren Kollegen durch die billige Arbeit der Lehrlinge eine gewissenlose Konkurrenz machten, gingen übrigens nicht ganz straflos dabei aus. Denn von Zeit zu Zeit stellte sich Arbeitslosigkeit ein, ihren Lehrlingen aber hatten sie nichtsdestoweniger den kontraktlich festgesetzten Thaler wöchentlich auszuzahlen. Mit einem Thaler wöchentlich sollte ich meinen Unterhalt bestreiten? Wenn Ebbe in der Kasse eingetreten war, und das geschah häufig genug, wurde man Vegetarianer bis der Postbote die heißersehnte, aber aus leicht erklärlicher Rücksicht auf die Eltern, niemals geforderte Hilfe aus der Heimat brachte. Und was that mir alle Entbehrung? Es gab für mich in jenen Jahren so viele „Geistesfreuden.“ Für die Erweiterung meiner Kenntnis der zeitgenössischen Litteratur sorgte die große Leihbibliothek von Berends. V on meinem studierenden Bruder erhielt ich täglich fördernde Anregung. Er riet mir, in freien Stunden als Hospitant gewisse V orlesungen an der Universität mit anzuhören, und das that ich mit religiösem Eifer. Mittags von 12 bis 2 war die Druckerei geschlossen, die nicht weit vom Universitätsgebäude und nicht weit vom Hause des Professors Magnus sich befand, in welchem dieser seine V orlesungen hielt. Wozu brauchte ich zwei Stunden zu meinem Mittagessen? Eine genügte vollkommen, die andere widmete ich den Studien. So hörte ich zunächst bei Magnus Physik, bei Werder Psychologie, bei Ranke Geschichte. Auch eine Abendstunde von 6 bis 7 war für die Universität bestimmt. Und dazu kam das Theater, das königliche Schauspielhaus, zu dem Herr v. Sommerfeld mir seine Freikarten häufig abtrat. Herr v. Sommerfeld, ein ehemaliger Offizier, war Herausgeber einer wöchentlich erscheinenden Theaterzeitung, die bei uns gedruckt wurde, und deren Satz ich in der Regel besorgte. Wir wurden bekannt, weil ich mir hie und da erlaubte, seinen nicht selten sehr holperigen Stil einigermaßen zu glätten. Das nahm der gute Mann gar nicht übel, er wußte mir vielmehr Dank dafür, ja er übertrug mir einigemale eine mit Freuden aufgenommene Stellvertretung als Rezensent. Man frage mich nicht, was ich als solcher geleistet. Ich zeichnete nicht, meine Sünden gingen also auf Rechnung des Herrn v. Sommerfeld. Selbstverständlich ist es, daß ich, ein unerfahrener Jüngling, ebenso wenig wie er zu dem Amte eines Theaterkritikers berufen war. Das hatte nichts zu sagen. Unsere Theaterzeitung spielte in Berlin keine Rolle, sie schlief auch sehr bald ein. Aber ich hatte Blut geleckt, ich hatte mich gedruckt gesehen. Mein Bruder hatte im Jahre 1843 seine Studien vollendet und sein Staatsexamen ehrenvoll bestanden. Er ließ sich als Arzt in einer Provinzialstadt nieder, und ich mußte von nun an, immer noch Lehrling in einer kleinen Buchdruckerei, seiner geistigen Führung entbehren. Er empfahl mich der Fürsorge seines studentischen Umgangskreises, dem ich auch treu blieb, bis der letzte der Freunde sich seinen Doktorhut erworben und sein eigenes Heim sich geschaffen hatte. Eines jungen Mediziners, der später sich um die Einrichtung von Vereins- und Armenärzten in Berlin ein Verdienst erwarb, erinnere ich mich besonders, weil er nach meines Bruders Abreise meine schriftstellerischen Versuche mit wachsamem Auge verfolgte. So holte er mich an einem Sonntag zu einem längeren Spaziergang ab, um mit mir mein jüngstes Opus, das ihm zu Gesicht gekommen, ernsthaft zu besprechen. Dickens war damals der geschätzteste Erzähler, und so hatte ich, wahrscheinlich von diesem großen Meister angeregt, eine Novelle, meiner Meinung nach in des beliebten Engländers Weise, verbrochen. Ich weiß von meiner Schöpfung nur noch, daß die Handlung dem Berliner V olksleben entnommen war. Sonderbarerweise hatte sie in einer Zeitschrift Aufnahme gefunden, deren Herausgeber, ein Dr. Julius Lasker, vielleicht ein Verwandter des späteren Abgeordneten dieses Namens, sie für würdig der Ehre des Drucks erachtete. Diese Zeitschrift, wenn ich nicht irre, hieß „Der Freimüthige“. Die Kritik meines Freundes richtete sich nun hauptsächlich gegen meine offenbare Unkenntnis des wirklichen Lebens; er machte mich darauf aufmerksam, daß die paar Leute, mit denen ich in den wenigen freien Stunden, über die ich verfügte, freundschaftlich verkehrte, mir vom Berliner V olksleben auch nicht die geringste Anschauung gaben und daß man wohl merke, daß ich meine ganze Weisheit nur aus meiner Lektüre geschöpft hatte. Das sah ich sofort ein und so zog ich aus dieser Unterhaltung mit einem wohlmeinenden Kritiker eine nützliche Belehrung. V on dem Inhalt meiner ersten und einzigen „Novelle“ weiß ich nichts mehr, nicht einmal ihres Titels erinnere ich mich. Ich habe nichts aufgehoben, nichts gesammelt von den jugendlichen Erzeugnissen meiner Feder, auch nicht eine Broschüre, die ich gegen das Ende meiner Lehrzeit geschrieben und die einen Zipfel der sozialen Frage lüftete. Ich hatte das Manuskript an Otto Wigand in Leipzig geschickt, der damals, zu Beginn der politischen Bewegung, eine große Anzahl Broschüren verlegte und mich nach wenigen Tagen mit einem gedruckten Exemplar meiner Arbeit überraschte. Auch von diesem Opus weiß ich nichts Näheres anzugeben. Daß es von einem Handwerker sei, sagte der Titel. Ich habe es seit dem Jahre seines Erscheinens nicht wieder gesehen. Daß es nicht Eitelkeit war, die mich zu schriftstellerischer Produktion antrieb, möchte ich aus dem Umstande schließen, daß ich mich als Autor nicht nannte, daß ich gar keinen Wert auf die Erhaltung jener auffallenderweise ohne alle Schwierigkeit untergebrachten Dokumente aus meinem Jugendleben legte. Es war wohl wesentlich der Drang nach Bethätigung der wogenden Jugendkraft, der mich zur Feder greifen ließ; eine gewisse bestechende Frische und Wärme der Darstellung mochte wohl die rasche Annahme der von mir angebotenen Arbeiten und ihre Drucklegung erklären. Die von Otto Wigand gedruckte Broschüre brachte mir das erste Honorar ein, ein wichtiges Ereignis im Leben eines jungen Mannes. Mit jener Broschüre, deren Titel ich nicht einmal angeben kann, betrat ich zum erstenmale das Gebiet der sozialen Frage, damit aber auch das Gebiet einer ruhelosen Thätigkeit, die mich die nächsten Jahre beschäftigte, mir die Mitwirkung an dem Werden einer großen sozial-politischen Partei gestattete, meinen Namen in den Jahren 1848 und 1849 an die Oberfläche des öffentlichen Lebens brachte, mich ins Exil führte und mir schließlich nach langer Verschollenheit, aus der ich nicht hervortrat, zu diesen „Erinnerungen“ die Veranlassung gab. Lorenz von Steins Buch — „der Sozialismus und Kommunismus in Frankreich“, auch dasjenige von Friedrich Engels über „die Lage der arbeitenden Klassen in England“ mochten mir den Anstoß zur Verfolgung dieser Richtung gegeben haben. III. Der Berliner Handwerkerverein. Das Rütli. Friedrich Wilhelm IV . wollte das absolutistische Regiment, das er von seinem Vater geerbt hatte, nicht aufgeben. Er glaubte im Geiste des wohlwollenden Despotismus des achtzehnten Jahrhunderts regieren zu können. Dem von allen Seiten bis an seinen Thron dringenden Ruf nach einer Verfassung schenkte er kein Gehör. Kein Blatt Papier, so erklärte er, solle sich zwischen ihn und sein V olk drängen. Wollte er bei dieser Politik Herr der Situation bleiben, so mußte er seinen Standpunkt auf das energischste verteidigen, unerbittlich jede liberale Regung verfolgen. Dazu aber besaß er nicht Charakter genug. Der Revolution wäre seine Regierung in keinem Falle entgangen, doch wäre er männlich ihr erlegen. Dies sollte nicht sein. Er suchte dem kommenden Sturm auszuweichen, indem er zu halben Maßregeln griff, und so stärkte er die öffentliche Meinung in ihren weitest gehenden Forderungen. Er bewilligte Büchern von mindestens zwanzig Bogen Umfang die Censurfreiheit und erreichte damit nur, daß der Ruf nach vollständiger Abschaffung der Censur nur um so lauter ertönte. Er bewilligte statt der verlangten V olksvertretung mit beschließender Stimme provinzielle Vertretungen mit beratender Stimme; er mußte nachträglich einen Schritt weiter thun und aus den Provinzial-Landtagen den sogenannten vereinigten Landtag hervorgehen lassen. Lauter halbe Zugeständnisse, für die er statt Dankes nur immer heftigere Angriffe und Erbitterung erntete. Die theologische Richtung, der er huldigte, die theologisierende Diplomatie und Generalität, von der er umgeben war, machte ihn vollends in hohem Grade unpopulär. Es wehte ein pietistischer Wind bei Hofe und ermutigte die protestantischen Synodalbehörden zu strengerer Ausübung der ihnen zustehenden Disziplinargewalt. Damit wurde Öl ins Feuer gegossen. Bei alledem wurde, weil man nicht für bildungsfeindlich gelten wollte, in vollständiger Verkennung aller Verhältnisse die Eröffnung von Arbeiter-Bildungsvereinen gestattet, die natürlich zu Sammelpunkten für alle Nüancen des damaligen Liberalismus sich gestalteten. Der Berliner Handwerkerverein in der Sophienstraße, der im Jahre 1843 gegründet wurde, war eine Bildungsstätte für heranwachsende Revolutionäre, nicht bloß des Arbeiterstandes, sondern aller Berliner Gesellschaftskreise. So wie ich im Sommer des Jahres 1845, zwanzigjährig, von meiner fünfjährigen Knechtschaft losgesprochen wurde, trat ich in den Handwerkerverein ein und während anderthalb Jahren war ich nun eines seiner rührigsten Mitglieder. In dem Vereine wurden belehrende V orträge gehalten. Die Beantwortung der eingelaufenen Fragen gab zu Diskussionsübungen Gelegenheit. Der Verein hatte seinen Männerchor, sogar einen Kreis junger Poeten aus dem Handwerkerstande. Mein erstes Auftreten mit einem Liede „der Bettelmann“, zu dessen sentimentaler Melodie ich den Text gedichtet hatte, war, wie alles, was der politischen Stimmung der Zeit Ausdruck gab, von ungeheurem Erfolg. Der vor der Pforte des Palastes singende Bettelmann war das V olk, dem in der letzten Strophe zugerufen wurde, um die Freiheit dürfe man nicht betteln, man müsse sie sich erkämpfen. Das Gedicht war recht gering, seine Wirkung aus dem angegebenen Grunde trotzdem sehr groß. Etwas besser, wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, waren die Verse, mit denen ich einige Monate später Berthold Auerbach im Handwerkerverein begrüßte. Dem Bettelmann wäre damals in keinem Falle vom Censor das „ imprimatur “ erteilt worden, der Gruß an Berthold Auerbach erschien Ende 1845 in den poetischen Jahresheften des Handwerkervereins. Er ist nicht in meinem Besitz. Der Dichter der „Schwarzwälder Dorfgeschichten“, dem ich zwanzig Jahre später im Bade Tarasp begegnete, erinnerte sich noch wohl des Huldigungsabends, der ihm im Handwerkerverein bereitet worden war, als höflicher Mann natürlich auch meiner poetischen Ansprache. Begründer und Präsident des Vereins war damals ein städtischer höherer Beamter, ein wohlwollender Mann, gemäßigter Liberaler, der sein Hauptaugenmerk darauf richtete, daß der politisch oppositionelle Geist, der unter uns herrschte, nicht in zu hellen Flammen aufschlug und die Regierung zum Einschreiten veranlaßte. Die eigentliche Seele des Handwerkervereins aber war Julius Berends, ein junger Theologe, der nach seinem ersten Auftreten auf der Kanzel wegen seiner bei den geistlichen V orgesetzten mißliebig aufgenommenen Betrachtungen über die Bergpredigt kalt gestellt worden war und nun mit seinem Freunde Krause eine kleine Buchdruckerei betrieb, in welcher er selbst am Preßbengel stand. Diese Association war nicht von langer Dauer. Krause druckte vom Jahre 1848 an die damals entstandene „Nationalzeitung“, welcher Schöpfung mehrere Mitglieder des Handwerkervereins, wie Ehrenreich Eichholz, Hermann Lessing und der Assessor V olkmar nahe standen. Die Redaktion übernahm Dr. Zabel, den ich als Oberrevisor mancher von mir gesetzten Doktordissertation kennen gelernt, die er auf Anordnung der Universität auf die Korrektheit ihres Lateins zu prüfen und eventuell zu korrigieren hatte, ein Liebesdienst, der von den Studenten nicht, wie er es verdiente, dankbar aufgenommen wurde; denn die armen Jungen hatten dafür zwei Thaler für den Druckbogen zu entrichten. Herr Zabel aber erwies sich an der „Nationalzeitung“ als ein eben so gewandter Redakteur wie er in seiner früheren Stellung ein tüchtiger Lateiner gewesen war. Durch Berends wurde ich in die damaligen litterarischen Berliner Kreise eingeführt. In der Hinterstube eines Cafés am Gendarmenmarkt machte ich die Bekanntschaft Hoffmanns von Fallersleben, des unverwüstlichen Liedersängers; in einem Restaurant an der Spittelbrücke wurde ich in das „Rütli“ aufgenommen, das eine Anzahl junger Poeten, Journalisten und Künstler in geselligem Verein zusammenfaßte. Da kamen Titus Ulrich, ein Epigone der Weltschmerzdichtung, Ernst Dohm und Rudolph Löwenstein, einige Jahre später Redakteure des „Kladderadatsch“, der Komponist Truhn, der Bildhauer Tod, der Karikaturenzeichner Scholz, der lange Saß und verschiedene andere zusammen, deren Namen mir nicht mehr gegenwärtig sind, weil sie im Strom der bald eingetretenen politischen Bewegung versanken und dann nicht mehr ans Tageslicht gelangten. Es ist überhaupt auffallend, wie gering die Zahl derjenigen war, die, obgleich sie vor 1848 als Führer der litterarischen Opposition die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten und als kommende Männer angesehen wurden, im Revolutionsjahre sich in irgend welcher Weise hervorthaten. Ich erinnere an Bruno Bauer, an Max Stirner und den Kreis lärmender Persönlichkeiten in ihrer Umgebung, die durch ihren offenen Umgang mit emanzipierten Weibern die Blicke auf sich zogen. Nur Edgar Bauer sah man noch in den ersten Monaten des Revolutionsjahres. Er suchte den enthusiastischen Jüngling Schlöffel an sich heranzuziehen, der berufen schien, einst einen Camille Desmoulins zu spielen, sein junges Leben aber bald im Großherzogtum Baden im ersten Gefecht der Aufständischen gegen die preußischen Truppen verlor. Jener Edgar Bauer gab zu Anfang der vierziger Jahre gemeinsam mit dem Elsässer Alexander Weill, der damals Berlin besucht hatte, einen Band Novellen heraus. Sie wurden bei meinem Lehrherrn gedruckt, deshalb hatte ich Bauer einigemal die Korrektur zu bringen. Schon beim Eintritt in sein Zimmer wurde ich durch die obszönen Lithographien verblüfft, die er an die Wand geklebt hatte; auch die Unterhaltung, die er mit mir während des Lesens der Korrektur begann, hatte einen widerwärtigen Charakter. Ich faßte von da ab eine unüberwindliche Antipathie gegen den Menschen, der denn auch, wie ich nachher erfahren, in einem Sumpf versunken ist. Aber auch die Männer im Handwerkerverein, welche berufen schienen, beim Eintritt einer Umwälzung auf der politischen Bühne eine Rolle zu spielen, gelangten zu dieser Ehre nicht. Berends, der wohl mit Glanz in die Nationalversammlung gewählt wurde, blieb ohne Einfluß und fast unbeachtet als parlamentarischer V olksvertreter. Alle diese freisinnigen Vereinsredner, die so großes Verdienst um die V orbereitung der Ereignisse von 1848 sich erworben hatten, waren eben doch nur Gefühlspolitiker, zur Lösung praktischer Aufgaben fehlte ihnen die V orschule und der politische Blick. Runge allein machte unter ihnen eine Ausnahme, er war später ein vorzüglicher Verwalter der Finanzen der Stadt Berlin. Unter den Arbeitern, die zu den Zierden des Handwerkervereins gehörten, ist mein unvergeßlicher Freund, der Goldschmied Bisky als erster zu nennen. Wir schlossen uns eng zusammen. Er war nur wenige Jahre älter als ich, auch ein Stück Poet, seine Freiheitslieder wurden wegen ihres markigen Tons gern gehört und im Album des Handwerkervereins abgedruckt. Er war eine schöne, männliche Erscheinung, mehr als dies: ein goldner Charakter, ein ganzer Mann. In den Verein kam auch ein später in einen politischen Prozeß verwickelter junger Kaufmann Neo mit seinen geistvollen Schwestern, wie denn Frauen und Mädchen an den V ortrags- und Vergnügungsabenden reich vertreten waren. Da wurde manche Blume umflattert, die infolge der nun kommenden politischen Ereignisse einsam verblühen sollte. In dem Berliner Handwerkerverein atmete man in jenen Tagen den Lebensodem einer für Deutschland nahenden neuen Geschichtsepoche. In der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts, nach den Kriegen gegen Napoleon, trat eine Wandlung im öffentlichen Geiste ein. Die besten Männer der Nation erstrebten eine stärkere Einheit als sie der deutsche Bundestag darbot, eine V olksvertretung und die Verantwortlichkeit der Regierungen in den bisher absolutistisch beherrschten Ländern. War es damals die studierende Jugend, welche in vorderster Reihe in der freiheitlichen Bewegung stand, so wurde sie im Jahre 1848 durch die vorwärts drängende Jugend der arbeitenden Klassen in die zweite Reihe gedrängt, um teilweise ihren Standesinteressen sich gefangen zu geben und in deren Dienste die Reaktion zu unterstützen. Als charakteristisches Merkmal des Jahres 1848 ist für Deutschland der Eintritt der arbeitenden Klassen in die politische Welt zu betrachten. Das wurde anfangs von dem für Erlangung der Bundeseinheit und eines modernen Verfassungslebens eintretenden bürgerlichen Ständen nicht klar erkannt, es kam diesen erst nach und nach zu vollem Bewußtsein, nachdem aus den anscheinend harmlosen Arbeiter-Bildungsvereinen eigentliche Arbeitervereine herv