| 10 | Einleitung zessen im Kleinkindalter und in leFenslanger Persektive und Identität ondet sich in allen Asekten meiner orschung. Mein Ziel in diesem Buch ist esV die GeschichtenV die Menschen ÅFer ihr eFen er- zählenV grÅndlich und in mglichst vielen acetten zu Feleuchten. Es geht mir darumV die Zusammenhänge zwischen den Feiden Asekten meiner Beschäntigung mit der Erzählnorschung aunzeigen. -nser theoretisches Verständnis vom Wesen des Erzäh- lens sollte mit den Methoden der Fiograoschen Erzählnorschung verknÅnt werdenV und mein Ehrgeiz ist esV zu Feiden +eiten dieser ArFeit einen Beitrag zu leisten. Au- verdem lädiere ich danÅrV die Entwicklung narrativer Kometenzen während des Bil- dungserwerFs stärker zu nrdernV denn in einer sich rasant verändernden Welt wird es immer wichtigerV Ernahrungen integrieren und ihnen einen +inn verleihen zu knnen. Mein Vorschlag nÅr eine Theorie des Erzählens komFiniert drei voneinander aFhängige und ineinander verschränkte narrative DimensionenU Ich mchte einen krerlichenV einen kognitiv-emotionalen und einen sozial-kulturellen Ansatz zur -ntersuchung des Erzählens komFinieren und daFei einen Fesonderen +chwerunkt aun eFenserzählungen legen. Es geht mir darumV die krerhante Ernahrung die hänomenologische +ichtweise V kognitive PsËchologie einschlievlich der Beiträge aus der emotionalen und sozialen Neurowissenschant sowie soziale und kulturelle Konstruktionen zwischen den Teilnehmenden interersonaler Interaktionen mitein- ander zu verknÅnen. Ich mchte KrerV Geist und Geschichten in der Interaktion zusammenFringen. -nd ich mchte diesen Persektiven durch den okus aun e- Fenserzählungen eine zeitliche und historische Dimension verleihen. Ich Fetrachte Erzählungen als sËmFolische AusdrucksnormV und narrative Kometenz als etwasV das nach und nach während der Kindheit im kulturellen Raum der interersonalen Interaktion erworFen wird und das somit von den vorhandenen kulturellen Interakti- onsnormen und der Entwicklung von +rache und Gedächtnis aFhängt. Zwar sind die kulturellen Interaktionsnormen ÅFerall unterschiedlichV aFer es eÊistiert keine KulturV die nicht ausgieFig von Erzählungen GeFrauch macht. Des Weiteren Fehaute ichV dass erzählte eFensgeschichten gerägt sind durch Gedächtnissuren unserer hË- sischen Reise von einem rt zum anderen in einer sozialen und kulturellen -mwelt. Der WegV den wir in Zeit und Raum zurÅcklegenV ist nÅr eden Menschen anders. Aungrund der neuronalen Plastizität ist wahrscheinlich auch die Gehirnstruktur Fei edem Menschen einzigartig und aFhängig von den InteraktionenV die wir im aune des eFens ernahren. Gleichzeitig sind wir immer schon in einem sozialen Netz aus IntersuF ektivität und Interdeendenz verstricktV das unsere Ernahrungen und Emo- tionen strukturiert. -nsere Individualität grÅndet sich aun ersnliche Beziehungen und ist untrennFar mit ihnen verknÅnt. Wir eÊistieren nur durch andere Menschen· wir sind nicht aus uns selFst heraus geForen. Wir nehmen das eFen als eine KomFination von Veränderung und Beständigkeit wahr. In der Interaktion mit der -mwelt kommen neue Dinge zum VorscheinV Dinge verschwinden und tauchen wieder aun· wir erkennen GleichesV hnliches und Ver- schiedenesV und zwar sowohl in uns selFst wie auch in der -mgeFungV der wir Fegeg- nenV mit der wir interagierenV und aun die wir reagieren. Wir Feonden uns in einem Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 11 | Zustand des WerdensV in einem kontinuierlichen ProzessV Fei dem wir versuchenV allemV was geschiehtV +inn und Bedeutung zu geFen. Der vorrangige WegV um dies zu erreichenV ist nÅr den Menschen das Erzählen und Austauschen von Geschichten. Insiriert von den Philosohen Paul Ricoeur 1992V 2004 V alvin . +chrag 1997 und harles TaËlor 1989 versuche ich eine Position einzunehmenV die dem Rela- tivismus und dem -niversalismus gleichermaven kritisch gegenÅFersteht. Aungrund der hohen BedeutungV die ich der Interaktion mit der -mwelt FeimesseV lehne ich eine +uF ekt- F ekt-Dichotomie strikt aF. Ich nehme mir allerdings die reiheitV mich von Wissenschantlern mit anderen 0Ferzeugungen insirieren zu lassen und diese in meine AnalËsen einzuFeziehenV selFst wenn ich ihre Aunnassungen nicht vollständig teileV wie im alle der sozialen KonstruktivistenV die das Individuum als soziale Kons truktion Fegreinen. In Kaitel 1 «Zeit und andlung¬ Fenenne ich die grundlegenden Merkmale des Erzählens· Annänge und EndenV Dauer und Zeitlichkeit. Ich FeschreiFe eine Er- zählung als eine umgrenzte temorale +e§uenz und untersuche den Erzählzeitraum aus der Persektive der Erkenntnis und der Ernahrung. DaFei Feziehe ich mich haut- sächlich aun akonn und ohnsonV WheelerV +tuss und TulvingV AristotelesV Augus- tinusV Kermode und Ricoeur. Ich FehauteV dass die Art und WeiseV wie wir den Erzählzeitraum konzetualisieren und ernahrenV aun hËsischer Bewegung im Raum Fasiert. Auch unsere mentale ähigkeit als MenschenV die unmittelFare Gegenwart auszudehnen und zu transzendierenV uns vorwärts und rÅckwärts in der Zeit zu Fewe- genV ist eng mit dem Wesen des Erzählens verFunden. Wir Frauchen und geFrauchen ErzählungenV um demV was geschiehtV einen +inn zu geFenV und um die Bedeutung einer zeitlichen AFnolge von Ereignissen auszuhandeln. Ereignisse linear anzuordnen reicht selten ausV um dem Geschehenen einen +inn zu geFen. Die aFelkomosition oder narrative Modellierung (emplotment) ist ein zentrales Merkmal des ErzählensV um eine solche +innkonstruktion zu erreichen und ÅFer die einnache Auqistung oder AFnolge von Ereignissen hinauszugehen. Die narrative +innkonstruktion ist situa- tionsgeFunden und vorläuog· deshalF stellt die Konoguration von Bedeutung eine Interretation der EÊistenz darV einen narrativen KausalzusammenhangV der einzig- artig ist und sich nur ÅFer Analogien aun zukÅnntige +ituationen ÅFertragen lässt. Im letzten AFschnitt des Kaitels wird kurz die Fesondere Eigenschant der erzählten eFensgeschichte als einer Konoguration unserer Ernahrungen der TeilhaFe und Ein- Findung in unterschiedliche Gemeinschanten diskutiert. Wir sind nicht nur in der ageV die Gegenwart zu ÅFerschreitenV uns an Geschehe- nes zu erinnernV uns vorzustellenV was in Zukunnt geschehen wirdV und darÅFer eine Geschichte zu erzählenV sondern wir sind auch in der ageV uns ÅFer Geschichten mit den Ernahrungen anderer Menschen zu identiozieren. In Kaitel 2 gehe ich daraun einV wie uns Erzählungen einen Zugang zu stellvertretenden Ernahrungen in orm von Mimesis ermglichen knnen. Erzählungen stehen nÅr Interaktionen und Emo- tionen. Ich vertrete die AunnassungV dass die soziale und emotionale Neurowissen- schant zu unserem Verständnis davonV wie dies mglich istV Feitragen kannV und ich diskutiere Theorien des +iegelneuronensËstems unter Bezugnahme aun RizzolattiV Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 12 | Einleitung raigheroV GalleseV ohnson und arr. Diesen Theorien zunolge wird stellvertretende Ernahrung ÅFer die +imulation von andlungen und Emotionen vermitteltV denen wir FeiwohnenV die wir uns vorstellenV oder denen wir zuhren. -nsere IntersuF ekti- vität und geteilten GenÅhle sind wahrscheinlich in rämotorischen Reräsentationen von andlungen FegrÅndet. Auverdem gehe ich aun die Theorie des sozialen Gehirns ozolino und der «sozialen +Ënase¬ einV woFei ich den +chwerunkt daraun legeV was zwischen den Menschen assiert und wie diese Interaktion und Interdeendenz unser Gehirn rägen. Die Theorie der +iegelneuronen und des sozialen Gehirns verFinden den KrerV den Geist und die GeschichtenV da Erzählungen von stellver- tretender Ernahrung kulturelle WeitergaFe ÅFer Zeit und Raum hinweg ermglichen. Des Weiteren hat die Theorie der +iegelneuronen Imlikationen im inFlick aun die Methodologie narrativer InterviewsV die säter in Kaitel 8 diskutiert werden. Das Erzählen von Geschichten ist zugleich eine Praktik und ein ernormativer Akt. Dieser Asekt steht im Mittelunkt von Kaitel 3. Zu Beginn des Kaitels un- tersuche ich in Anlehnung an BrunerV Nair sowie chs und as die narrativen Di- mensionen von Gesrächssituationen. Anschlievend diskutiere ich die Voraussetzun- gen von Erzählstimme und ErzählFarkeit. Wer darn wem welche Art von Geschichte erzählen¨ Wer darn zuhren¨ -nd wann und wo ist die richtige +ituation¨ Welche Version ist akzetaFelV und unter welchen -mständen gilt eine Erzählung als lau- siFel¨ MachtverhältnisseV kulturelle KonventionenV sekundäre Ziele und Intentionen sowie die rage der Verlässlichkeit sielen hier eine Rolle. Die narrative PraÊis ondet in einem kulturellen Raum zwischen Erzähler und Zuhörer statt. Doch nicht alle Interaktionsräume sind gleichermaven emnänglich nÅr Erzählungen oder Fieten das gleiche Mav an Aunmerksamkeit. Aus einer Erzählung kann statt geteilter Ernahrung auch rhetorische Rechtnertigung werden. Während sich die ersten drei Kaitel mit Eigenschanten und Dimensionen des Er- zählens FeschäntigenV nehme ich in den daraun nolgenden Kaiteln eine Entwicklungs- ersektive einV indem ich den Blick aun den ErwerF narrativer Kometenz richte. Die ersten Feiden Fehandeln wichtige kognitive und soziale Entwicklungen als Grundlage und NährFoden nÅr narrative ähigkeiten. In Kaitel 4 «KörerV Gehirn und Ernah- rung¬ diskutiere ich BewusstseinV Emotionen und die Entwicklung des erweiterten autoFiograoschen +elFst in Anlehnung an Dam9sios Theorie des BewusstseinsV die unsere Begegnungen und Interaktionen mit der -mwelt zum Ausgangsunkt nimmt. Ich Feziehe mich aun neurosËchologische Beiträge zur kognitiven EntwicklungV und zwar hautsächlich aun Grundlage der ArFeiten von +iegel und ozolinoV die Feto- nenV wie sehr die Entwicklung unseres Gehirns vom harakter sozialer Interaktionen und Beziehungen aFhängt. Die Reräsentation von Ereignissen wird unter Bezug- nahme aun Katherine Nelson Fehandelt. Auverdem Feziehe ich mich aun die Beiträge von TrevarthenV +chore und Tomasello zur entscheidenden Bedeutung der Kommu- nikationen zwischen Eltern und Kleinkindern. In meiner Argumentation Fetone ich die Wichtigkeit von räverFaler und nonverFaler KommunikationV von «hatischer¬ Kooeration sowie des -mneldsV in dem Kinder aunwachsen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 13 | Kaitel 5 Fenasst sich mit dem Gedächtnis. hne die Erinnerung an unsere Ernahrun- gen können wir nichts von unserem eFen erzählen. In diesem Kaitel gehe ich die verschiedenen ormen des Gedächtnisses durchV d.h. imlizite und eÊlizite ormen des Gedächtnisses und wie sie zusammenarFeiten. DaFei knÅne ich hautsächlich an ArFeiten von TulvingV MilnerV +§uireV Kandel und +iegel an. Ich FehauteV dass das autoFiograosche Gedächtnis eine narrative +truktur Fesitzt. Anschlievend widme ich mich dem Akt des Erinnerns und dem Akt des VergessensV und ich erkläreV wie unser Gedächtnis durch die Gegenwart Feeinqusst wird. In Kaitel 6 geht es um die nrÅhen Interaktionen zwischen Kleinkindern und ihren erwachsenen BezugsersonenV die den ErwerF narrativer ähigkeiten in einem +tadium des kulturellen 0Fergangs unterstÅtzenU die Entwicklung der +ËmFolisie- rungV die Ausweitung der Aunmerksamkeit ÅFer die Gegenwart hinausV der Feinahe magische Eintritt in die kulturelle KommunikationV verschiedene ormen des me- mory talk sowie die Verwendung oktionaler Erzählungen. Ich Fetone den Einquss des kulturellen -mnelds aun die Entwicklung von Gedächtnis und Erzählen. Beisiele nÅr Neugestaltungen und Nacherzählungen werden im letzten AFschnitt des Kaitels aungenÅhrt. In diesem Kaitel Feziehe ich mich unter anderem aun WinnicottV Auk- rustV WolnV ivushV ReeseV Nelson und Miller. Kaitel 7 Feschäntigt sich mit narrativer Kometenz und ihren Auswirkungen. Als Resultat lang ähriger angewandter Fiograoscher Erzählnorschung in KomFina- tion mit theoretischen 0Ferlegungen hautsächlich insiriert von +iegel und Bruner stelle ich eine iste mit 16 Merkmalen narrativer Kometenz vor. Ich gehe die Merk- male und unktionen einzeln durch und schlage vorV das Erzählen zu einem nesten Bestandteil der ehrläne an +chulen und vorschulischen Einrichtungen zu machenV um den Kindern mehr Möglichkeiten zu geFenV +innzusammenhänge herzustellenV ihre Emotionen zu regulieren und ihre Ernahrungen zu integrieren. Vielschichtige narrative Praktiken nördern zudem die Toleranz gegenÅFer -nterschiedenV reqeÊive und analËtische ähigkeiten sowie den AunFau von Gemeinschanten. Auverdem hel- nen sie Menschen daFeiV sich zwischen rdnung und haos in einer sich wandelnden Welt zurechtzuonden. Im nächsten +chritt gehe ich aun einige narrative Praktiken im BildungsFereich ein und Fetone die grove Bedeutung des narrativen -mnelds in WohnungenV äusern und InstitutionenV in denen Kinder aunwachsen. Am Ende des Kaitels sreche ich ÅFer den ZusammenFruch narrativer Kometenz innolge trau- matischer ErleFnisse oder einschneidender VeränderungenV die häuog zum Verlust der ähigkeit nÅhrenV eine kohärente eFensgeschichte zu erzählen. Auch hier ist ein emathisches -mneld von entscheidender Bedeutung nÅr die narrative Integration. Vom ErwerF narrativer Kometenz wende ich mich dann der Anwendung von Erzählungen in der Biograoenorschung zu. Die nolgenden Feiden Kaitel mit ihrem okus aun methodologischen ragestellungen sind in dieser insicht zentral. Nach einem kurzen 0FerFlick ÅFer die angewandte orschung erläutere ich in Kaitel 8 die von mir entwickelte Methode zur ErheFung von narrativen Interviews im Ein- klang mit den theoretischen 0Ferlegungen aus den vorherigen Kaiteln. Bei meiner Methode werden die eFensgeschichten vom Interviewer Wort nÅr Wort handschrint- Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 14 | Einleitung lich notiertV während sie erzählt werden. Der Interviewer nolgt also dem Weg der erzählenden Person durch die stellvertretende ErnahrungV um nachzuzeichnenV wie diese Person einen +innzusammenhang nÅr ihr eFen herstellt. Die Konoguration der Narration wird während des Erzählens der eFensgeschichte nicht durch ragen unterFrochen. Die Theorie vom +iegelneuronensËstem und der sozialen +Ënase lienert eine Erklärung nÅr dasV was Fei dem Interview vor sich gehtU Der Interviewer siegelt die Reräsentation von andlungen und deren emotionaler Wirkung. Betont werden die ethischen Imlikationen dieser Methode und die +channung eines sicheren Raumes nÅr den ernormativen Akt des Erzählens. Anschlievend wird der erzählen- den Person eine Reinschrint des Interviews zur Korrektur und Ergänzung vorgelegtV ehe die eFensgeschichte honnentlich nreigegeFen und verwendet werden kann. Am Ende dieses Kaitels werden mehrere Variationen der Methode diskutiert und die theoretischen Imlikationen des situierten Interviews herausgearFeitet. Kaitel 9 Fenasst sich mit der Interretation und Auswertung erzählter eFens- geschichten. Die Entwicklung geeigneter analËtischer Methoden und Instrumente stellt meines Erachtens ein dringendes Desiderat der Biograoenorschung dar. Der hier vorgestellte methodologische Rahmen j das ErgeFnis von zehn ahren Fiograoscher orschung im BildungsFereich j ist rimär hermeneutisch angelegtV da die AnalËse in erster inie dazu dienen soll zu verstehenV wie Menschen einen +innzusammen- hang nÅr ihr eFen herstellen. Zunächst werden die Rolle der WissenschantlerinV ihre +ituation sowie deren Wirkung Fetrachtet. Zeit und Raum im narrativen Interview können mithilne der literaturwissenschantlichen Kategorien nach Genette vgl. 1972 analËsiert werdenU «Reihennolge¬V «Dauer¬ und «äuogkeit¬. Im nächsten +chritt liegt der okus in Anlehnung an aveºWenger aun der Teilnahme an und den Ver- Findungen zu den verschiedenen communities of practice sowie aun den Auswirkun- gen dieser Teilnahme aun die Identitätskonstruktion in der Erzählung und dem Fio- graoschen ernen. Auverdem werden die verschiedenen Erzählstimmen analËsiertV indem zwischen dem Erzähler-Ich und dem Protagonisten-Ich dinnerenziert wird. Die Konstruktion des «Ich¬V des «Wir¬ und des «Anderen¬ ist von grover Bedeutung. Die thematische AnalËse und die Beziehung zwischen Wandel und +taFilität in der Erzählung werden diskutiertV Fevor aFschlievend eine AnalËse der verwendeten Me- tahern vorgeschlagen wird. Die Auswertung der +tichroFen wird FeschrieFenV und am Ende des Kaitels erläutere ichV warum ich eine Reduktion oder ragmentierung der eFenserzählungen zu AnalËsezwecken nÅr nalsch halte. Vor dem intergrund von mehr als 100 erzählten eFensgeschichten geht es in Kaitel 10 um den Asekt der kulturellen Identität. Aus der PolËhonie der erhoFe- nen eFensgeschichten kristallisieren sich gemeinsame kulturelle Narrative heraus. Aus der Vielzahl der +timmen in der Biograoenorschung stechen Festimmte Muster der +elFst- und Weltinterretation hervor. Ich untersuche sowohl diese Interreta- tionsmusterV die wir mehr oder weniger Fewusst nÅr selFstverständlich haltenV als auch die kulturellen NarrativeV in die die Interretationen eingeFettet sind. Auver- dem FeschreiFe ichV wie sie sich seit Beginn des zwanzigsten ahrhunderts verändert haFen. -m diese Transnormationen herauszuarFeitenV unterscheide ich zwischen drei Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 15 | Generationen von Erzählern. Der Wandel lässt sich zusammennassen als Entwicklung von einer Reräsentation des eFens als gemeinsamem +chicksal aungrund gegeFener Umstände hin zu einer Sache individueller Entscheidungen und Verantwortung. Ge- steigerte MoFilität sielt hier eine wichtige Rolle. Am Ende des Kaitels gehe ich kurz aun die Voraussetzungen und Möglichkeiten zur Aushandlung narrativer kultureller Identität ein und erönnne die Diskussion ÅFer die Beziehung zum AnderenV die im nolgenden Kaitel weiterentwickelt wird. In Kaitel 11 Feschäntige ich mit dem Thema ersonale Identität. Zum «SelFst¬ gehört die Ko-Konstruktion von Erzählungen in einem kulturellen RaumV aFer zur ersonalen Identität gehört mehr als die Ko-Konstruktion von Geschichten. Der Aus- gangsunkt nÅr meine 0Ferlegungen sind die hilosohischen Schrinten von Schrag und Ricoeur. Beide verschieFen Fei der Betrachtung der ersonalen Identität ihren okus vom «Was¬ zum «Wer¬. Beide sind von cvinas insiriertV und Feide lehnen sowohl den Relativismus als auch den ahistorischen Universalismus aF. Schrag dis- kutiert in The self after postmodernity das SelFst in diskursiven KonteÊtenV and- lungskonteÊtenV rituellen KonteÊten und transzendentalen KonteÊten. In Das Selbst als ein Anderer geht Ricoeur in zehn AFhandlungen zum Thema SelFst und Identität den nolgenden ragen nachU Wer sricht¨ Wer handelt¨ Wer erzählt¨ Wer ist SuF ekt der moralischen ZuschreiFung¨ Die Antwort aun diese rage j «Das Fin ichl¬ nrz. C’est moi! j zeigt die Vorrangigkeit der Andersheit. Wir wurden nicht aus uns selFst heraus geForenV und wir sind stets verstrickt in einem Netz aus IntersuF ektivität. Das SelFst als F ektV nicht als kartesianisches SuF ektV ist der Ausgangsunkt nÅr die ersonale Identität. Es giFt kein SelFst ohne den AnderenV der nach Antworten und Verantwortung verlangt. Die PrioritätV die der Verantwortlichkeit eingeräumt wirdV grenzt die Vorstellung des SelFst sowohl gegen einen Mangel an Konstanz als auch gegen eine rigide orm von Konstanz aF. Ricoeur argumentiertV dass wir in unse- ren Interaktionen und Beziehungen zueinander austauschFar und rezirok und doch gleichzeitig gleich und unersetzlich sind. Säter Feziehe ich mich aun Ricoeurs ArFei- ten zu Geschichte und Gedächtnis aus dem ahr 2004. Im letzten Teil des Kaitels diskutiere ich die Ernahrungsdimension der eÊistenziellen Tatsache von Veränderung und BeständigkeitV die Dialektik von «Ich¬ (I) und «ich¬ (me) und FegrÅndeV warum wir vom SelFst vornehmlich als etwas Werdendem srechen sollten. SinnFildung ist immer vorläuog. NeFen der Fedeutsamen rage der Identität stehen Fei der Auswertung von erzähl- ten eFensgeschichten die Themen BÅrgerFeteiligung und ernen im Mittelunkt. Kaitel 12 Feschäntigt sich mit aktiver StaatsFÅrgerschant und Fiograoschem ernen. Ich Feginne mit einem kurzen AFriss der Entwicklung demokratischer BÅrgerFetei- ligung und stelle diesFezÅglich einige erausnorderungen in einer sich rasant wan- delnden Gesellschant vor. Ich ÅFe Kritik an universalistischen Vorstellungen von in- dividueller Autonomie und Fetone unsere starke Vernetzung unter- und miteinander. Auverdem lädiere ich nÅr BildungsinitiativenV die den Menschen helnenV mit Wandel und Vielnalt zurechtzukommen. DaFei Feziehe ich mich aun das Euroarat-Pro ekt «Education nor Democratic itizenshi¬ sowie aun meine eigene orschung zu den Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 16 | Einleitung Kometenzen nÅr aktive StaatsFÅrgerschant. etztere FestätigtV wie wichtig es istV in verschiedenen KonteÊten involviert und angeFunden zu sein und geFraucht zu wer- den. Eine vielschichtigeV olËkonteÊtuelle Konoguration scheint hier von Bedeutung zu sein. Das Ausmav und die )ualität Fiograoschen ernens sielt eine wichtige Rolle Fei der Ausweitung der eFenswelt. Ich FehauteV dass es eine Anonität zwi- schen der Entwicklung narrativer Kometenzen und den Kometenzen nÅr aktives demokratisches Engagement giFt. eFensgeschichten können zudem einen Weg zur Bekämnung des Unwissens ÅFer den Anderen darstellen. Zum Schluss werden in Kaitel 13 Persektiven nÅr Bildung und Erziehung er- önnnet. Ich diskutiere die FildungsFezogenen Konse§uenzen der These von Immor- dino-5ang und Dam9sio 2007 V dass «MenschenV wie die moderne Biologie gezeigt hatV im Wesentlichen emotionale und soziale eFewesen sind.¬ Ein mögliches ProF lem daFei Fetrinnt otenziell widersrÅchliches emotionales und soziales eedFack in unterschiedlichen ernkonteÊten und erngemeinschantenV die AmFivalenz oder urcht erzeugen könnten· aun diesem GeFiet ist weitere orschung vonnöten. Des Weiteren werden einige Fildungsrelevante Persektiven FezÅglich der Anwendung von Erzählungen aungezeigt und im KonteÊt der aktuellen Biograoenorschung ver- ortetV vor allem mit Blick aun einen Band zum Thema Neurowissenschant und Er- wachsenenFildung ohnsonºTaËlor 2006 V in dem die emotionalen und sozialen Di- mensionen des ernens Fetont werden. 0Fer die Bedeutung von Erzählungen nÅr die Bildung sollten wir allerdings nicht vergessenV die eFensgeschichte als ein aus nreien StÅcken ÅFerreichtes Geschenk zu wÅrdigenV das wir erhalten. Ich schlieve mit dem inweisV dass zur örderung vielschichtigen Fiograoschen ernens ein Freites Sektrum an Bildungsotionen und Freiter Zugang zu eFenslangem ernen ernor- derlich istV in KomFination mit ädagogischen Initiativen und der Schannung Fesserer ernumgeFungen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 17 | 1 Zeit und Handlung 11 *ren]]eiFhen und 3auVen “Read them,” said the King. The White Rabbit put on his spectacles. “Where shall I begin, please your Majesty?” he asked. “Begin at the beginning,” the King said, very gravely, “and go on till you come to the end: then stop.” ewis arrollU Alice’s Adventures in Wonderland 1865 Zeichensetzung ist nÅr unser Verständnis eines geschrieFenen TeÊtes unverzichtFar. Kommata und Punkte siegeln die Pausen in der gesrochenen Srache wider. AF- sätze und Kaitel siegeln längere Pausen widerV und die leeren Seiten am Annang und am Ende eines Buches markieren die Grenzen der Geschichte. Trotz des aktuellen Trends zur VerqÅssigung von Grenzen können wir aun PausenV UnterFrechungen und Grenzzeichen nicht verzichtenV wenn es darum gehtV einen TeÊt zu verstehen sowie Bedeutung und Kohärenz herzustellen. Bei zeitlichen Se§uenzenV zum Beisiel einer GeschichteV oF nun aungeschrieFen oder mÅndlich erzähltV ist dies onnenkundig. Auch Musik ist ohne Pausen genauso unverständlich wie Bilder ohne RahmenV selFst wenn man Rahmen und andere Begrenzungen aun verschiedene Art und Weise innrage stel- len kannV wie wir aus der Fildenden Kunst und oktionalen WerkenV wie etwa den Romanen und Dramen Samuel BeckettsV wissen. Die Verletzung von Grenzlinien und Rahmen in der Kunst ist edoch nur möglichV weil diese nach wie vor gÅltig sind. Doch wie können wir die Annänge und Enden verstehenV die nÅr die SinnFildung und das Erzählen von so zentraler Bedeutung sind¨ In ihrer Einleitung zu Philo- sophy in the qesh Fringen akonn und ohnson 1999 ihr Grundverständnis der Kognitionswissenschant mit nolgenden drei Aussagen zum AusdruckU «The mind is inherentlË emFodied.¬ «Thought is mostlË unconscious.¬ «AFstract concets are largelË metahorical.¬ Ich stimme diesen Annahmen voll und ganz zu. DarÅFer hi- naus Fin ich der AunnassungV dass die BeschreiFungen konzetueller Schemata und konzetueller MetahernV die akonn und ohnson aun der Grundlage körerhanter sensomotorischer Ernahrung lienernV dazu Feitragen könnenV unser Verständnis des Erzählens mavgeFlich zu vertienenV auch wenn die Autoren selFst sich gar nicht aun diesen Asekt konzentrieren. År akonn und ohnson machen räumliche Vorstel- lungsmodelle den Kern unseres konzetuellen SËstems aus vgl. eFd.V S. 30 . År die kognitive Kategorisierung sehen sie das Behälter-Schema (container schema) als zentral anU Wir stellen uns Dinge oder Ereignisse ganz selFstverständlich als ent- Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 18 | 1 Zeit und Handlung weder innerhalF oder auverhalF Fzw. am Rand oder an der Grenze eines Behälters Feondlich vorV ähnlich wie in Aristoteles® Deonition von Annängen und Enden in Geschichten und DramenV1 wenn wir sie als Ganzes in den Blick nehmen wollen j als Fedeutungstragende Entität. Die Behälter-Kategorie kann neFen Gegenständen auch RäumeV zeitliche AFschnitte oder Geisteszustände umnassen. Wir können innerhalF oder auverhalF eines RaumsV eines ahrzehnts oder einer Deression seinV und wir können unsere Aunmerksamkeit Fewusst aun etwas Seziosches richten und daFei andere mögliche EindrÅcke oder Beschäntigungen vorläuog ausFlenden. Aus hänomenologischer Sicht sind wir visuell stets durch den orizont ein- gerahmtV und oFwohl sich der orizont leicht verändertV wenn wir uns FewegenV erleFen wir trotz unserer Bewegung im Raum ein gewisses Mav an Ganzheitlichkeit und Identität.2 Wir können uns innerhalb eines gröveren Raums Behälter FewegenV ohne die Grenze zu ÅFerschreiten. AFer Fei der Bewegung können wir uns auch aun die Veränderungen konzentrie- ren. Wir können von einem Raum in den anderen wechseln oder Feim Saziergang an der KÅste die nächste andzunge umrundenV um zu sehenV was dahinter liegt. Wir können einem Ziel näher kommen oder einen rt langsam hinter uns verschwinden sehen. An Bord eines Zuges oder eines Flugzeugs können wir den Fluss der sich ver- ändernden andschant FeoFachten j doch stets hat unsere Reise einen Annang und ein Ende. Das kontinuierliche Erscheinen und SichtFarwerden und UnsichtFarwerden und Verschwinden ist ein zentraler Teil unserer Ernahrung des eFensV verFunden mit den Wiedererscheinungen und RedundanzenV die uns die Welt als vertraut erscheinen lassen. Veränderung und Wiedererkennung sind grundlegende und unverzichtFare Asekte der menschlichen Ernahrung. Im zeitlichen Fluss des Erscheinens und Verschwindens können wir Bewegungen in gegliederten ZeitaFschnitten erkennen. Wenn wir einem MusikstÅck oder einer Geschichte zuhörenV Filden die einzelnen Töne oder Wörter einen strukturierten Zu- sammenhangV der das Kommende antiziiert und aun dem Vorangegangenen aunFaut. Im ersten AFsatz seines lesenswerten Buches The sense of an ending schreiFt Kermode 1966 U It is not eÊected on critics as it is on oets that theË should hel us to make sense on our lives· theË are Found onlË to attemt the lesser neat on making sense on the waËs we trË to make sense on our lives eFd.V S. 3 . 1 „Ein Ganzes ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Ein Anfang ist, was selbst nicht mit Notwen- digkeit auf etwas anderes folgt, nach dem jedoch natürlicherweise etwas anderes eintritt oder entsteht. Ein Ende ist umgekehrt, was selbst natürlicherweise auf etwas anderes folgt, und zwar notwendigerweise oder in der Regel, während nach ihm nichts anderes mehr eintritt. Eine Mitte ist, was sowohl selbst auf etwas anderes folgt als auch etwas anderes nach sich zieht“ (Poetik) (1994, S. 14). 2 Vgl. z.B. Winograd, Fivush und Hirst (1999). Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w 1.2 Bewegung im Raum und Zeitlichkeit | 19 | Eine Art der SinnFildung Festeht in unserer FähigkeitV die chronologische Vorstellung von Zeit als einer Floven Auneinandernolge3 durch eine kairetische Zeit zu ersetzenV indem wir die Wahrnehmung der Zeit als Dauer zwischen einem Annang und einem Ende strukturieren und humanisierenU «kairos is the seasonV a oint in time olled with signiocanceV charged with a meaning derived nrom its relation to the end¬ eFd.V S. 47 . Die kairetische Zeitsanne kann riesig sein und vom ersten Annang Fis zum Ende der Zeit reichenV oder sie kann winzig klein sein. Kermode zunolge sind wir in der ageV die Zeitsanne zwischen dem Tick und dem Tack der Uhr zu reroduzierenV nicht edoch die eerstelle zwischen dem Tack und dem Tick. Kermode schlägt vorV dass wir uns diese strukturierte Vorstellung der ZeitV die es uns erlauFtV in geleFter Er- nahrung einen Sinn zu onden und Sinn daraus zu FildenV aus dem Bereich der Fiktion ausForgen. Das mag sein· edennalls ondet die kognitive Kategorie eines umgrenzten Raumes in oktionalen Werken ontmals einen sehr kohärenten und normal gegliederten Ausdruck. Im menschlichen eFen dagegen ist dies nicht immer der Fall. Wir Feon- den uns in der Mitte unserer Ernahrung des eFensV wie es Ricoeur vgl. 1984 aus- drÅckte·4 wir können Zeuge von GeFurt und Tod anderer Menschen seinV nicht aFer Zeuge unserer eigenen GeFurt und unseres eigenen Todes. AlFright vgl. 1994 zunolge verschwinden unser Annang und unser Ende im Vergessen und im Nichts· er sricht vom «Alzheimer der nrÅhen Kindheit¬ innantile Amnesie und vom verkÅmmerten Gedächtnis des Alters. Es ist genau diese Persektive des In-der-Mitte-Seins aus Sicht des Individuums V die veranschaulichtV warum wir andere Menschen FrauchenV um ei- nem eFenslaun Sinn und Kohärenz zu verleihen. Wir können unsere eigenen Annänge und Enden nicht allein herstellen. Wir schulden unser eFen anderenV und wir geFen anderen ihr eFen. Auch der Akt der SinngeFung ist keine individuelle eistung. 1 %eZegung im 5aum und ZeitliFhkeit Eine Erzählung lässt sich deonieren als AFnolge von Ereignissen mit einem Annang und einem EndeV als eine umgrenzte zeitliche Se§uenz. Eine Erzählung entnaltet sich innerhalF einer ZeitsanneV die vom Annang der Erzählung Fis zu ihrem Ende reicht. Da Fei den Grenzlinien der Geschichte die Behälter-Kategorie eine Rolle sieltV im- liziert die temorale AFnolge der Ereignisse das kognitive Schema eines Weges von einem Startunkt zu einem Ziel. akonn und ohnson vgl. 1999 FeschreiFen das Start-Weg-Ziel-Schema source- path-goal schema) als ein kognitiv-toologisches Schema mit einer inneren räum- lichen «ogik¬ eFd.V S. 33 .5 Dieses Schema verwenden wirV wenn wir uns einen Bewegungsverlaun aun einer Bahn von einem Start zu einem Ziel vorstellen. 3 Der Begriff „Chronologie“ leitet sich vom antiken Gott Chronos ab, der der griechischen Mytholo- gie zufolge seine eigenen Kinder auffraß. 4 Auch Connelly und Clandinin (1999) sprechen von „being in the midst“. 5 Je größer z.B. die Distanz, die wir vom Ausgangspunkt aus bereits zurückgelegt haben, desto näher befinden wir uns dem Ziel. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 20 | 1 Zeit und Handlung Eine narrative Struktur lässt sich als kognitive Mischung der Feiden Schemata Fe- schreiFenV mit denen wir räumliche Beziehungen aFleitenU das Behälter-Schema eine umgrenzte Region im Raum und das Start-Weg-Ziel-SchemaV mit dem wir eine tem- orale AFnolge von andlungen und Ereignissen aFleiten können. Fwohl sich akonn und ohnson aun Konzete nÅr hilosohische Betrachtun- gen konzentrieren und nicht aun ErzählungenV kann ihre Diskussion der Art und WeiseV wie wir Konzete wie z.B. «Zustände¬V «Veränderungen¬ und «Ereignisse¬ Fegrinqich nassenV auch zu unserem Verständnis der körerhanten Ernahrung hin- ter der narrativen Struktur Feitragen. «States are concetualized as containersV as Founded regions in sace. hanges are concetualized as movements nrom location to location eFd.V S. 176 . In ihrer BeschreiFung der rt-Ereignisstruktur-Metaher (Location Event-Structure Metaphor) heivt esU KThe ocation Event-Structure MetahorL is a singleV comleÊ maing with a num- Fer on suFmaings. The source domain is the domain on motion j in sace. The target domain is the domain on events. This maing rovides our most common and eÊtensive understanding on the internal structure on eventsV and it uses our everËdaË knowledge on motion in sace that comes nrom our movements and nrom the mo- vements on others that we erceive. Some movements are movements to desired locations called destinations . Some mo- vements Fegin in one Founded region on sace and end in another. Some movements are norcedV others are not. The norce on a norced movement maË Fe internal or eÊter- nal. In someone moves to a desired locationV that erson must nollow a ath. There are various kinds on imediments that can kee someone nrom moving to a desired locationV nor eÊamle Flockages or neatures on the terrain. What this maing does is to allow us to concetualize events and all asects on them j actionV causesV chan- gesV statesV urosesV and so north j in terms on our eÊtensive eÊerience withV and knowledge aFoutV motion in sace eFd.V S. 179 . akonn und ohnson hätten noch hinzunÅgen könnenV dass diese Zuordnung es uns auch erlauFtV eine narrative Zeitsanne zu konzetualisieren. Ich FehauteV dass un- sere hËsische Ernahrung von Bewegung im Raum den Ursrung unserer Konzetu- alisierung einer zeitlichen Se§uenz darstellt. Die Zeitlichkeit des ErzählensV die Zeit- sanne vom Annang Fis zum EndeV ist somit mehr als eine willkÅrliche Form eines Festimmten literarischen oder diskursiven GenresV sondern eine Konzetualisierung geleFter Zeit aun der Grundlage unserer Ernahrung der räumlichen Beziehungen un- serer sich Fewegenden Körer. Unsere hËsischen und FeoFachteten Ernahrungen mit Bewegungen im Raum und unsere Ernahrungen mit Bewegungen von einem rt zum anderenV von einem Startunkt zu einem Ziel mitsamt der vermuteten «ogik¬ einer Beziehung zwischen dem zeitlichen und dem hËsischen AusmavV da man nÅr eine längere Distanz mehr Zeit Fenötigt als nÅr eine kÅrzere Filden das körerhante Fundament nÅr unser ko- Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w 1.2 Bewegung im Raum und Zeitlichkeit | 21 | gnitives Verständnis des temoralen Raumes der Zeit und damit des Formats einer Erzählung. Die Form einer ErzählungV ein Verlaun innerhalF eines ZeitraumsV der an einem rt Feginnt und an einem anderen endetV Fasiert aun unserer Ernahrung mit hËsischen Bewegungen im Raum. Eine Erzählung deckt er Deonition einen Zeit- raum aF. Die Ernahrung von Grenzlinien zwischen Räumen j und zwischen ZeiträumenV woFei wir die Begrenzungen als Annänge und Enden Fezeichnen j kann als alltäg- licher oder «natÅrlicher¬ Teil des eFens geltenV der aun unzähligen Ernahrungen körerlicher Interaktionen FasiertV die von kognitiv-emotionalen Prozessen Fegleitet werden. Dieser Gedanke ist alles andere als neu. Durch meine ektÅre von Ricoeur 2004 wurde mir FewusstV dass Aristoteles in De memoria et reminiscentia Intervalle mit Bewegungen verknÅnt und davon ausgehtV dass die Beziehung zwischen erin- nerten Ereignissen durch Simultanität und Sukzession gekennzeichnet ist.6 Ricoeur 2004 zitiert AristotelesU Diese UrsrÅnglichkeit des GenÅhls der Intervalle ergiFt sich aus dem Verhältnis der Zeit zur Bewegung. Wenn die Zeit «etwas Bewegungshantes¬ istV ist eine Seele vonnö- tenV um zwei AugenFlicke zu unterscheidenV sie als nrÅhere und sätere auneinander zu FeziehenV ihre Dinnerenz (heteron) aFzuschätzen und die Intervalle zu messen (to metaxy)V in erationenV die die Zeit als «die Mavzahl von Bewegung hinsichtlich des Davor und Danach¬ Physik IVV 11j219F zu deonieren erlauFen eFd.V S. 236 . Aus entwicklungsorientierter Persektive Fetrachtet erleFen Säuglinge die Bewegun- gen anderer MenschenV die sich ihnen nähern oder sich entnernenV noch ehe sie selFst in der age sindV zu kraFFeln oder zu launen. Säuglinge werden getragen oder in Kin- derwagen und anderen Fahrzeugen transortiert. AFer Fald schon nangen sie anV sich aus eigenem AntrieF von einem rt zum anderen zu Fewegen. Körerlich legt eder Mensch von der nrÅhen Kindheit Fis zum Ende seines eFens einen Weg in Zeit und Raum zurÅck. Von siamesischen Zwillingen einmal aFgesehen giFt es keine zwei In- dividuenV die denselFen Weg in Zeit und Raum durchlaunen. Als individuelleV moFile Körer sind unsere Reisen durch das eFen wahrhant individuell. Kognitiv sind wir in der ageV einen sezioschen Teil dieser Reise durch Zeit und Raum isoliert in den Blick zu nehmen. Wir können uns aun einen Festimmten AF- schnitt konzentrierenV aun eine Festimmte Strecke oder einen Festimmten rt. Und wir können uns neue Reiserouten und -ziele vorstellenV neue WegeV denen wir nolgen wollen. 6 Ricoeur selbst beschäftigt sich allerdings nicht mit diesem Zusammenhang zwischen Zeit, Raum und Bewegung. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 22 | 1 Zeit und Handlung 1 $utonoeViV Wir sind nicht nur sich im Raum Fewegende eFewesen und in der ageV in verschie- denen UmgeFungen und KonteÊten zu reisenV wir sind auch in der ageV ÅFer den gegenwärtigen AugenFlick hinauszugehen. Wir sind nicht aun das ErleFen des ier und etzt Feschränkt· in Gedanken können wir die Gegenwart transzendieren. In ihrem Artikel «Toward a theorË on eisodic memorËU The nrontal loFes and autonoetic consciousness FeschreiFen WheelerV Stuss und Tulving 1997 die er- staunliche menschliche Fähigkeit zur mentalen Zeitreise als eine seziosche Form des BewusstseinsV die sie als «autonoetisches Bewusstsein¬ Fezeichnen. ne on the most nascinating achievements on the human mind is the aFilitË to men- tallË travel through time. It is somehow ossiFle nor a erson to relive eÊeriences FË thinking Fack to revious situations and haenings in the ast and to mentallË ro ect oneseln into the anticiated nuture through imaginationsV daËdreamsV and nan- tasies eFd.V S. 331 . Die mentale Zeitreise wird vermittelt durch ein GedächtnissËstemV das mit dem ei- sodischen Gedächtnis verknÅnt ist vgl. Ka. 5 . Die Aktivierung des autonoetischen Bewusstseins wird von einem GenÅhl der Kontinuität und Kohärenz FegleitetV die ÅFer die Gegenwart hinaus eÊistierenV wie auch zwischen VergangenheitV Gegenwart und der erwarteten Zukunnt. Das autonoetische Bewusstsein ermöglicht es unsV die Gegenwart sowohl als Fortsetzung der Vergangenheit wie auch als Vorsiel zur Zu- kunnt zu Fegreinen vgl. eFd.V S. 335 . Dieses GenÅhl der Kohärenz in der Ernahrung des eFens kann allerdingsV wie von Tulving 1985 FeschrieFenV durch Gehirnschä- digungen gestört werden. DarÅFer hinaus kann die Ernahrung von Kohärenz innolge traumatischer ErleFnisse zusammenFrechen vgl. orsdal 2007a . WheelerV Stuss und Tulving erkennenV dass das Konzet der Autonoesis sowie die Fähigkeit zur mentalen Zeitreise und die Ernahrung von Kohärenz uns in den Bereich des Narrati- ven nÅhren. Sie schreiFenU ur discussion nocuses on eisodic memorËV with the realization that this sËstem on memorË develos along withV and is erhas related to the emergence on other com- leÊ aFilitiesV such as language and narrative skillsV reasoning and roFlem solving eFd.V S. 343 . Das autonoetische Bewusstsein Fetrinnt mehr als die Beziehung zur Vergangenheit und zur sich ausFildenden Fähigkeit des eisodischen Gedächtnisses vgl. Ka. 5 . Es ist eine notwendige Voraussetzung danÅrV dass wir lanen könnenV dass wir Fantasien und AmFitionen nÅr die Zukunnt entwickelnV und dass wir das Fedeutungsvolle Ge- nÅhl des In-der-Zeit-Seins haFen. Ich möchte hier den Gedanken annÅgenV dass die Entwicklung des autonoetischen Bewusstseins und die Fähigkeit zur mentalen Zeitreise auch mit den tatsächlichenV Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w $XJXVWLQXV·5HÁH[LRQHQEHUGLH=HLW | 23 | d.h. hËsischen Reisen und Bewegungen des Kleinkinds in Zeit und RaumV und da- mit sowohl mit interersonaler Interaktion als auch mit körerhanter ErnahrungV ver- knÅnt sind. Das wiederholte ErleFen selFstständiger Bewegungen verleiht dem Kind das PotenzialV gezielt neue AusqÅge zu unternehmenV in Gedanken nrÅhere Reisen zu wiederholen oder neue Ziele und mögliche Ernahrungen zu imaginieren.7 1 $uguVtinuV· 5eÁe[ionen ber die Zeit Im elnten Kaitel von Augustinus¯ Bekenntnissen onden sich seine FerÅhmten Reqe- Êionen ÅFer die ZeitV die unter anderem von Kermode und Ricoeur analËsiert wur- den. Am Beisiel des Vortragens eines iedes erläutert AugustinusV wie sich die Ge- genwart während des Vortrags erweitert und daFei VergangenheitV Gegenwart und Zukunnt gleichzeitig gegenwärtig sind. Im Akt des Vortragens erweitert sich der Geist und umnasst eine dreinache Gegenwart. Bei seiner AnalËse von Augustinus stellt Ri- coeur nestV dass diese Form der Aunmerksamkeit (attention) durchaus als Intention Fezeichnet werden darnV da die Passage der Zukunnt durch die Gegenwart in die Vergangenheit einen aktiven 0Fergang durch den aunmerksamen Geist darstellt. Au- gustinus schreiFtU Ich will ein ied aunsagenV das ich kenne. Ehe ich annangeV sannt (tenditur) meine Erwartung sich aun das GanzeV haFe ich aFer FegonnenV nimmt dasV was ich von der Erwartung aFgeqÅckt und der Vergangenheit ÅFerlienert haFeV in meinem Gedächt- nis Platz. So zersannt sich (distenditur) diese meine leFendige Tätigkeit (actionis) in die Erinnerung dessenV was ich aungesagt haFeV und die Erwartung dessenV was ich noch sagen will. Gegenwärtig dagegen ist mein Aunmerken (attentio)V durch wel- ches das ZukÅnntige hindurchschreiten (traicitur) mussV dass es zur Vergangenheit werde. e mehr das nun nort und nort geschieht (agitur et agitur)V um so mehr wird die Erwartung aungezehrtV wenn ene ganze Tätigkeit aFgeschlossen und in Erinnerung ÅFergangen ist 28V 38 zit. nach Ricoeur 1998V S. 37 . Ich Fin derselFen Ansicht wie Ricoeur 1984 V der dieses Zitat mit der nolgenden Aussage nortnÅhrtU «The entire rovince on narrative is laid out here in its otential- itË· nrom the simle oemV to the storË on an entire lineV to universal historˬ eFd.V S. 22 .8 7 Die Tatsache, dass wir fähig sind, uns den Hinweg merken, ist wichtig, damit wir anschließend auch wieder zurückfinden. Ein kurioses Beispiel für die Bedeutung der Bewegungen des Körpers in Kontexten, die mit Erinnerung zu tun haben, ist die Situation, wenn wir irgendwo hingehen, um etwas zu holen oder etwas zu tun, und dann plötzlich, wenn wir unser Ziel erreicht haben, verges- sen haben, weshalb wir überhaupt dorthin gegangen sind. Denselben Weg zurückzulaufen kann manchmal dabei helfen, unserer ursprünglichen Absicht wieder auf die Spur zu kommen. 8 Bei Polkinghorne (1988), der zutiefst von Ricoeur beeinflusst ist, findet sich eine ähnliche Besch- reibung: „To be temporal, an event must be more than a singular occurence; it must be located in relation to other events that have preceded it or will come after it. The first level of connection is a mere listing of events one after the other, as in a chronicle. This listing reflects the ordinary Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 24 | 1 Zeit und Handlung Wir erschannen Bedeutung in zeitlichen BewegungenV indem wir uns aun eine Zeit- sanne konzentrierenV sei sie kurz oder lang. Mithilne unserer narrativen Kometen- zen greinen wir in den Fluss der Zeit ein und gehen ÅFer den qÅchtigen AugenFlick der Gegenwart hinaus. Wir erweitern unsere Aunmerksamkeit nÅr die GegenwartV indem wir VerFindungen zur VergangenheitV zur Gegenwart und zur Zukunnt her- stellenV um uns dasV was gerade geschiehtV zu erklären. Das narrative Format mit AnnangV Mitte und Ende ist eine Form von ErkenntnisV die wir anwendenV um der Zeitlichkeit Bedeutung zu verleihenV während wir versuchenV das eFen als solches zu deuten und zu verstehen. Wir sind mit unseren Körern in der Welt stets konteÊtuell im ier und etzt verortetV doch wir können unsere Aunmerksamkeit ÅFer das ier und etzt der Ge- genwart hinaus ausdehnen und sie Fewusst aun andere Momente und ZeitaFschnitte lenken. Unsere Interretation eines ZeitaFschnitts oder eines Ereignisses hängt davon aFV wo wir unsere Grenzlinien ziehenV wo wir unsere Annänge und Enden setzen. Die Wiederkehr vergleichFarer KonteÊte macht uns unsere Welt und ihre RhËthmen vertraut. Wir lernenV unsere Aunmerksamkeit sowohl aun lange wie aun kurze Zeit- sannen zu richtenV von winzigen Momenten Fis hin zu Tagen und ahrenV und wir ritualisieren die 0Fergänge zwischen einigen dieser KonteÊte. Richten wir unseren Blick aun die Bewegung des Körers in Zeit und Raum ÅFer die gesamte eFensreise hinwegV so wird onnenkundigV dass wir daFei gleichzeitig aun die Konstruktion von BedeutungV Einheit und Zusammenhang zielen und Markierungen setzenV wenn sich der KonteÊt verändert. eder Tag wird nicht nur als ein kontinuierlicher Fluss wahr- genommenV sondern gleichzeitig als eine Reihe von unterschiedlichen Se§uenzen in unterschiedlichen KonteÊten. Wir können die sich Fewegenden und sich verändern- den orizonteV in denen wir verortet sindV in Gedanken ausdehnen und erweiternV indem wir andere Zeiten und rte in den Blick nehmen. Wir können uns schnell oder langsam FewegenV nÅr eine längere Zeit FleiFen oder weiterziehen. Erzählungen können sehr kurz seinV oder sie können sich vom ersten Annang Fis zum Ende der Zeit ausdehnen· die Ewigkeit selFst edoch ist geschichtslos. «Immer¬ ist eine Negation all dessenV was zeitlichV vorÅFergehend und vergänglich ist. Er- zählungen können lange ZeitaFschnitte in kurzen Geschichten komrimieren oder kurze Ereignisse ausdehnen und weiterentwickelnV aFer sie Frauchen die umgrenzte zeitliche Dimension zwischen einem Annang und einem Ende. Blove hronologie reicht nicht aus. representation of time as one moment following the other in a linear fashion. By gathering these events together into the unity of a story, the plot makes them stand out from the plane of linear time by giving them significance in relation to other events. Plot combines two dimensions – one chronological, the other nonchronological. The chronological dimension characterizes the story and shows that it is made up of events along the line of time. The nonchronological dimension lifts the events into a configuration so that, scattered though they may be, they form a significant whole. Ricoeur uses Louis Mink’s notion of ,grasping together’ as a description of the configu- rational act” (S. 131). Die Frage der Zeitlichkeit eines einzelnen Vorkommnisses wird zu einem späteren Zeitpunkt aufgegriffen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w )DEHONRPSRVLWLRQXQG%HGHXWXQJVNRQÀJXUDWLRQ | 25 | 1 )abelkomSoVition und %edeutungVkonÀguration Mit einem Buchtitel von akonn und ohnson Metaphors we live byV 1980 gesro- chen ist die linear voranschreitende Bewegung (chronos) zu einer Metaher gewor- denV in der wir denken und leFen. inearität ist im modernen westlichen Denken auch ein vorherrschendes Konzet zum Verständnis der BewegungsFahnen des e- Fens. Dies äuvert sich nicht zuletzt darinV dass sich die Vorstellung eines linearen Fortschritts gegen das vormoderneV zËklische Modell des eFens durchgesetzt hat und heute als ideales Modell nÅr eFen und Entwicklung gilt. Die chronologische Dimension einer GeschichteV d.h. ihre zeitliche Ausdehnung von einem Annang zu einem EndeV ist edoch allein noch nicht ausreichend nÅr die narrative erstellung von Bedeutung. Wie Paul Ricoeur in seiner umnassenden Ana- lËse in Zeit und Erzählung 1988 FetontV reicht das einnache Auqisten von Ereig- nissen oder Geschehnissen in chronologischer Reihennolge nicht ausV um eine Ge- schichte zu ergeFenU Andererseits muss eine Geschichte mehr sein als eine Aunzählung von Ereignissen in einer Reihennolge· sie muss sie zu einer intelligiFlen Totalität gestaltenV so dass man immer die Frage stellen kannV welches das «Thema¬ der Geschichte ist. KurzV die FaFelkomosition ist der VorgangV der aus einer Floven AFnolge eine Konoguration macht eFd.V S. 106 . Die erstellung von BedeutungV der Prozess der SinngeFung durch den Akt des Er- zählens imliziert mehr als die Wiederholung einer zunälligen Se§uenzU KDLer Akt der FaFelkomosition KverFindetL in veränderlichen Proortionen zwei Zeitdimensionen KmiteinanderLV eine chronologische und eine nichtchronologische. Die erstere Fildet die eisodische Dimension der ErzählungU sie kennzeichnet die Ge- schichte als aus Ereignissen Festehend. Die zweite ist die eigentliche konogurierende DimensionV durch die die FaFel die Ereignisse in Geschichte verwandelt. Dieser Akt des Konogurierens Festeht darinV die Einzelhandlungen oder was wir die Vornälle der Geschichte nanntenV «zusammenzunehmen¬· aus dieser Vielnalt von Ereignissen macht er die Einheit einer zeitlichen Totalität eFd.V S. 107 . In seinen AusnÅhrungen zur FaFelkomosition und zum Akt des Konogurierens analË- siert Ricoeur Aristoteles’ Poetik. Sein Fokus liegt daFei aun dem dËnamischen Prozess der erstellung einer Reräsentation des andelnsV d.h. aun der AktivitätV die Ereig- nisse in einen komositorischen Zusammenhang zu FringenV der die zunälligen und ungleichnörmigen Elemente zu einer stimmigenV Fedeutungstragenden andlung ver- Findet. Aristoteles unterscheidet zwischen einnachen eisodischen und komlizierten andlungen. Aristoteles 1994 V dessen Werk sich mit Fiktion FeschäntigtV FetontV dass eine dichterische andlung das nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit und Notwen- digkeit Mögliche zu zeigen hat j nicht das wirklich Geschehene. Er schreiFtU Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 26 | 1 Zeit und Handlung Ich Fezeichne die andlung h als komliziertV deren Wende mit einer Wiederer- kennung oder Perietie oder Feidem verFunden ist. Perietie und Wiedererkennung mÅssen sich aus der Zusammensetzung der FaFel selFst ergeFenV d.h. sie mÅssen mit Notwendigkeit oder nach der Wahrscheinlichkeit aus den nrÅheren Ereignissen her- vorgehen. Es macht nämlich einen groven UnterschiedV oF ein Ereignis innolge eines anderen eintritt oder nur nach einem anderen eFd.V S. 19n. . Die GeschichtenV die wir ÅFer unser eFen erzählenV unterscheiden sich natÅrlich in mehrnacher insicht von oktionalen TeÊten. Normalerweise ist dasV was wir ÅFer unser eFen erzählenV nicht einnach das nrei ernundene Produkt unserer sielerischen Fantasie. Wir haFen nicht die dichterische FreiheitV unsere Geschichten mithilne aus- gedachter oder ausgewählter Elemente so zu komonierenV dass sie dem Ziel der einheitlichen andlung möglichst nahe kommen. Aristoteles® Buch ÅFer die Poesie ist normativ angelegt. Es ist eine EinnÅhrung in die Kunst des Dichtens. Und dennoch komonieren und konstruieren auch wir tagtäglich Geschichten ÅFer wirkliche Er- eignisseV woFei wir einzelne BegeFenheiten auswählenV Fetonen und ordnenV um dem Geschehenen einen Sinn zu geFen. AFgesehen davonV dass wir Annänge und Enden hinzunÅgenV sind unsere Erzählungen von ersönlichen ErleFnissen durch AuswahlV Se§uenzierungV ierarchie und rganisation gekennzeichnet. Wir «verhandeln¬ Be- deutungV um es mit einem trennenden Begrinn von Bruner vgl. 1986V 1990 zu sagenV indem wir unsere erzählten eFensgeschichten einer seziellen zeitlichen und kausa- len Struktur und einer seziellen Persektive unterwernenV oder indem wir mehrere Erzählstimmen und -ersektiven komFinieren. Auch wenn wir den Erzählungen anderer Menschen zuhörenV verhandeln wir deren BedeutungV indem wir erwartenV während des Erzählens einen inneren Zusammenhang darin zu entdeckenV ähnlich wie wenn wir eine Geschichte lesen.9 Peter Brooks 1984 zunolgeV der ÅFer oktio- nale iteratur schreiFtV lesen oder hören wir eine Geschichte von Annang an in einer altung retrosektiver Antiziation. Wir lesen das Ende in den Annang hinein und den Annang in das Ende. Während des esens arFeiten wir mit einem Vor-Verständ- nisV das sich säter entweder Festätigt oder als nalsch herausstelltV sich unterwegs immer wieder verändert oder von einer ÅFerraschenden erzählerischen Wende ÅFer den aunen gewornen wird. Doch in edem Fall lesen wir in der ErwartungV Fei der rÅckFlickenden Interretation schlievlich irgendeine Form von Bedeutung zu onden. Wird eine Erzählung unterFrochen oder nehlen die letzten Seiten eines BuchesV wird unsere Neugierde enttäuscht. Ein Annang wie «Es war eine kalte und stÅrmische Nacht¬ j oderV um Sartres Beisiel Der EkelV 1981 des rgers seines Protagonisten ÅFer die Flove Zunälligkeit des eFens im Vergleich zur Fiktion zu verwendenU «Es war ein schöner AFend im erFst 1922¬ eFd.V S. 51 j weckt die ErwartungV dass etwas Besonderes oder Bedeutsames nolgtV das dem Annang noch mehr Bedeutung verleiht. Sehr zum Verdruss des Erzählers in Sartres Buch scheint das wirkliche eFen 9 Wie wir später sehen werden (vgl. Kap. 3), hat jemand, der einer mündlich erzählten Geschichte zuhört, einen aktiveren Anteil an der Bedeutungsaushandlung als jemand, der einen geschriebe- nen fiktionalen Text liest, wenngleich auch das Lesen in dieser Hinsicht einiges an Arbeit erfordert. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w )DEHONRPSRVLWLRQXQG%HGHXWXQJVNRQÀJXUDWLRQ | 27 | edoch nicht so wohlgeordnet und strukturiert wie eine oktionale Erzählung oder ein wohlkomoniertes MusikstÅckV nrei von den Zunällen und UnvorhersehFarkeitenV von denen das eFen so ernÅllt scheint. Sartres Protagonist hätte gerne ein eFenV das Fereits von Beginn an Fedeutungsvoll geordnet ist und nicht erst im RÅckFlickV doch er muss zugeFenU «Genauso gut könnte man versuchenV die Zeit am Schwanz zu acken¬ eFd.V S. 52 . GlÅcklicherweise sind wir dazu nicht in der age. Was wir edoch in den meisten Fällen tun könnenV istV durch das Aushandeln von Bedeutung chronos in kairos zu verwandeln und so der Zeitlichkeit mit erzählerischen Mitteln einen Sinn zu geFen j durch den Akt der KonogurationV durch das EinnÅgen von Annängen und Enden und das Gliedern der Elemente aun dem Weg dazwischen. AFer wie entscheiden wirV wo wir die zeitlichen Grenzzeichen einnÅgenV welche Teile der Ernahrung wir akzentuierenV welche Geschehnisse wir auswählen und was wir als onnene Fragen darstellen¨ äuog stellt eine Festimmte Erzählung von Ereig- nissen weder Zuhörer noch Erzähler zunriedenV und es nolgt eventuell ein zweiter Ver- such als alternative FaFelkomositionV als neue Konoguration des Geschehenen. Eine authentische Suche nach Bedeutung in unserem eFen tritt somit an die Stelle der kreativen ImaginationV die wir Feim Erschannen von oktionalen Werken anwenden. Die Forderung nach EhrlichkeitV Authentizität und Bedeutung in Erzählungen geleFter Ernahrung Fetont den dËnamischen harakter des konogurierenden Aktes. Unsere narrative Aktivität wird angetrieFen von unserem BedÅrnnis nach Bedeutung. Unsere AnstrengungenV unserem eFen einen Sinn zu geFenV zwingen unsV in unseren Erzählungen immer wieder neue Konogurationen und andlungsstränge auszuro- Fieren. Wir haFen nolglich mehr als nur eine einzige Geschichte ÅFer unser eFen zu erzählen. Auch wenn die hËsische ReiseV die wir in unserem eFen unternehmenV individuell und einzigartig istV lassen sich ÅFer diese Reise doch zahlreiche Geschich- ten erzählen. Die Vorstellung einer einzigen gÅltigen «eFensgeschichte¬ ist daher roFlematisch. Unsere Wahrnehmung eines Fegrenzten ZeitaFschnittsV einer ZeitsanneV ist ein kognitiver AktV der mit der Ernahrung von Bewegung im Raum verknÅnt ist. Der konogurierende AktV mittels dem wir die Elemente dieses ZeitaFschnitts zu einer Erzählung verFindenV ist dagegen gleichzeitig kognitiv und sËmFolisch. Zur FaFel- komosition gehört die sËmFolische Reiokation. eFenserzählungen sind mehr als eine chronologische AFnolge von Geschehnis- sen. Sie sind mehr als eine lineare Aunzählung von Ereignissen. Es sind GeschichtenV die erzählt werden aun der Suche nach BedeutungV die mithilne der Konoguration der Geschehnisse und andlungen sowie mithilne der gewählten Erzählersektive erroFt wird. Bei unserem stetigen VersuchV eine durch NotwendigkeitV Wahrschein- lichkeit und PlausiFilität gekennzeichnete andlung zu erschannenV wählen wir ausV akzentuieren und Fetonen Festimme Teile unserer Ernahrung. Die Interretationen des Seins in unseren Erzählungen haFen einen dËnamischen harakter. Verstehen ist ein Prozess. Die erstellung von Bedeutung ist ein ernormativer Akt. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 28 | 1 Zeit und Handlung 1 1arrative .auValität Es steckt mehr in unserer Suche nach Bedeutung als Flov der Wunsch nach Versöh- nung mit der Vergangenheit. Wir wollen verstehenV was im ier und etzt geschiehtV und wir wären sehr gerne in der ageV ein wenig die Zukunnt vorherzusagen oderV um mit Giddens vgl. 1990 zu srechenV die Zukunnt zu «kolonisieren¬. Eine andlung ist Ausdruck einer KausalstrukturV also das genaue Gegenteil einer Floven Auneinan- dernolge vgl. chsº as 2001 . Dies ist das ErgeFnis von etwas anderem. Wenn wir die Frage stellenV wie oder warum etwas geschehen istV oder wie Festimmte andlun- gen zu interretieren sindV dann suchen wir nach GrÅndenV wozu auch Motive und AFsichten gehören. Es sind aFer nicht nur die andlungenV Motive und AFsichten anderer MenschenV die uns gelegentlich FeeindruckenV verwirren oder erschrecken und nach Interretationen verlangen. Auch unsere eigenen Emotionen und and- lungsmotive können uns manchmal unverständlich vorkommen und nach narrativen Erklärungen verlangen. In seinem Buch Actual minds, possible worlds 1986 unterscheidet Bruner zwi- schen zwei kontrastierenden DenkweisenU einer logisch-wissenschantlichen oder a- radigmatischen Denkweise und einer narrativen Denkweise. Während erstere durch Kausalität der Sorte wenn x, dann y gerägt istV geht es Fei der narrativen Denkweise um «the vicissitudes on human intentions¬. There are two modes on cognitive nunctioningV two modes on thoughtV each rovi- ding distinctive waËs on ordering eÊerienceV on constructing realitË. The two though comlementarË are irreduciFle to one another. Ennorts to reduce one mode to the other or to ignore one at the eÊense on the other inevitaFlË nail to cature the rich diversitË on thought. Each on the two waËs on knowingV moreoverV has oerating rinciles on its own and its own criteria on well-normedness. TheË dinner radicallË in their rocedure nor verio- cation. A good storË and a well-normed argument are dinnerent natural kinds. The one verioes FË eventual aeal to rocedures nor estaFlishing normal and emirical roon. The other estaFlishes not truth Fut verisimilitude eFd.V S. 11 . Bruners AFsicht ist esV Behaviorismus und Positivismus aus konstruktivistischer Sicht zu kritisieren und Argumente gegen eine Reduktion unseres Verständnisses mensch- licher Beziehungen durch die ausschlievliche Anwendung logischer Kausalrinziien zu lienern. Bruner möchte das Konzet der Kausalität aun das logische Denken Fe- grenzenV im Gegensatz zum narrativen DenkenV das er nÅr den Bereich der mensch- lichen Intention in Ansruch nimmt.10 Die AnalËse konzetueller Metahern ein- 10 Bruner liegt hier in etwa auf einer Linie mit László (2008), der schreibt: „The omnipresence of human choice in narrative is the factor that questions the applicability of scientific causality in the human world. Intentional stances do not cause things. Nobody can be held morally responsible for something that was caused by some other things. Responsibility implies choice. In narrative Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w 1.6 Narrative Kausalität | 29 | schlievlich des Konzets der Kausalität V FesagtU «KTLhere is neither a singleV literal concet on causation that characterizes the null range on our imortant causal inneren- ces¬ akonnºohnson 1999V S. 171 .11 Ich denkeV es giFt sehr gute Argumente danÅrV im KonteÊt der Narration von einer Fesonderen Form der Kausalität zu srechen.12 Ricoeur ist FemÅhtV die relativistische Sicht des Konstruktivismus aun die Ge- schichte zu vermeidenV wenn er dem Narrativen eine singuläre Kausalität zuweist «Wenn er nicht Ê getan hätteV wäre Ë nicht geschehen¬ 1988V S. 126V 2004V S. 285 . Und dennoch stellt er nestU «FÅr mich ondet aun allen drei EFenen des his- torischen Diskurses Interretation stattU aun dokumentarischer EFeneV aun der von ErklärenºVerstehen und aun der der literarischen Reräsentation der Vergangenheit¬ 2004V S. 285 . Fwohl es durchaus Fälle giFtV in denen wir aungrund unserer Er- nahrung Fehauten könnenV dass «Ë eintreten wirdV wenn Ê ¬ j woFei Ë das wahrscheinliche ErgeFnis voriger andlungen Ê istV die sich ernahrungsgemäv so aun die Zukunnt auswirken j ist es doch wichtig zu FetonenV dass narrative Kausali- tät konteÊtaFhängig ist. Im Gegensatz zu traditionellen wissenschantlichen Aussagen wie «Wasser siedet Fei 100 Grad elsius¬ lassen sich narrative Erklärungen nur ÅFer den Weg der Analogie aun ähnliche Geschehnisse in anderen Situationen und anderen KonteÊten anwenden. Wir können niemals sicher seinV dass eine Festimmte narrative KausalverFindung immer auch in einer neuen Situation gÅltig ist. Ganz im GegenteilU Sie ist rovisorischV und doch kann sie lausiFel sein Fei dem VersuchV das Ideal von «Notwendigkeit und Wahrscheinlichkeit¬ in der kausalen narrativen Modellierung anzuwenden. Bruner vgl. 1986 V aFov vgl. 1972 und Nair vgl. 2001 verwenden das nol- gende Beisiel nÅr eine sehr kurze ErzählungU «Der König starFV und dann starF die Königin.¬ Wir schlieven darausV dass es zwischen den Feiden Ereignissen eine zeitli- che oder kausale VerFindung giFt. Darin unterscheidet sich eine Erzählung von einer simlen Se§uenz. Auverdem können wir Erklärungen und GrÅnde nÅr den Tod der Königin daraus aFleiten und die Geschichte zum Beisiel so interretierenV dass die Königin aus Kummer starF und nicht etwa an der gleichen ansteckenden Krankheit wie der König. Trotz der TatsacheV dass es in vielen Erzählungen darum gehtV altFekannte «Wahrheiten¬ kulturelle Annahmen ÅFer den aktuellen Zustand der Welt zu rero- duzierenV ist es wichtig zu FetonenV dass ede einzelne Erzählung ein konkret situier- terV konteÊtgeFundener Ausdruck ist. Die winzige Erzählung oFen Fesagt wederV dass Könige immer vor Königinnen sterFenV noch dass Königinnen immer aus Kummer ÅFer den Tod ihrer Ehemänner sterFen. we seek intentional stances that underlie action; they are motives or reasons, not cause” (S. 15f.). 11 Lakoff und Johnson (1999) sprechen von prototypischer Kausalität als einer Anwendung von Ge- walt, die zu Bewegung oder anderen physischen Veränderungen führt: „At the heart of causation is its most fundamental case: the manipulation of objects by force, the volitional use of bodily force to change something physically by direct contact in one’s immediate environment” (S. 177). 12 Ich stimme Somers und Gibson (1994) in der folgenden Aussage zu: „Above all, narratives are constellations of relationships (connected parts) embedded in time and space, constituted by ‘causal emplotment’” (S. 59, Herv. i. Orig.). Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 30 | 1 Zeit und Handlung Bei der KausalitätV die wir in VerFindung mit Erzählungen anwendenV könnte es sich um die der Abduktion handelnU eine Ëothese zur Erklärung eines verwirrenden Sachverhalts oder Phänomens vgl. Polkinghorne 1988V S. 9 .13 0Fer verschiedene KonteÊte hinweg verwenden wir Erzählungen in Form von Analogien. Wir vergleichen eine AFnolge von Ereignissen mit einer anderen. Eine Geschichte lässt uns an eine andereV sehr ähnliche Geschichte denkenV und wir versuchen dasV was geschehen wirdV zu interretierenV indem wir unser Reertoire an Geschichten als Wissens§uelle nutzen. Narratives Wissen Feruht aun AnalogienV d.h. aun dem Vergleich ähnlicher andlungen und Ereignisse. Wir verwenden AnalogienV um die in die kausale narrative Modellierung von Geschichten eingeFetteten Erklärungen von einzelnen Ereignissen aun neue Sachverhalte zu ÅFertragen. Und wir verwenden Geschichten zum Aushandeln von Bedeutung vgl. Bruner 1990 . Die nnenheit von Erzählungen und ihre rovisorischen Erklärungen FedeutenV dass wir von narrativer Kausalität srechen können. Die Erkenntnis der möglichen Interre- tation in der gewählten Konoguration nÅhrt zu einer möglichen Diskussion darÅFerV «woraun alles hinausläunt¬. Die narrative Erklärung des Geschehenen lässt sich aus einer anderen Persektive Fetrachten und erzählen. Die Grenzzeichen können Fei einer Neuerzählung verändert werdenV mit einem neuenV anderen Annang und mit Betonung aun anderen Elementen. Unser Verständnis eines Ereignisses kann sich ver- ändern· es ist nicht nÅr immer und ewig nestgelegt. Wenn uns unsere Erklärungen des Geschehenen in eine Sackgasse nÅhren und keinen Sinn ergeFenV können wir es noch einmal anders versuchen und die Ereignisse Fei der Konstruktion anderer Geschich- ten neu konogurieren. Durch unser narratives Reertoire aus einzelnenV konteÊtuell situierten Erzählun- gen ÅFer unterschiedliche Geschehnisse vernÅgen wir ÅFer eine Vielzahl an kulturel- len andlungslinien. ede andlungslinie ist Ausdruck einer sezioschen Persektive vgl. chsº as 2001 V aFer das ZusammennÅgen unterschiedlicher individueller Persektiven ergiFt unseren unverzichtFaren Fundus an narrativem Wissen. Genau wie mehrere Geschichten dieselFe Aussage haFen könnenV können ein Geschehen oder eine Ereignisnolge aun mehrere Arten erklärt und verstanden werdenV in unterschiedlichen Narrationen mit unterschiedlichen PersektivenV andlungen und Konogurationen. AFer wie Ricoeur 1984 zeigtV ist es die Konoguration von ErzählungenV die danÅr sorgtV dass wir uns in der Welt zuhause nÅhlen. 1 .onÀguration in /ebenVer]ählungen Ricoeur FeschreiFt die FaFelkomosition als Konoguration von Ereignissen 1984 . Das trinnt aun einige Erzählungen zuV doch Fei den Konogurationen in eFenserzäh- lungen verhält es sich etwas anders. Wenn wir von unserem eFen erzählenV erzählen wir aus der Persektive des KonteÊts des ier und etztV und wir erzählen von uns 13 Ochs und Capps (vgl. 2001) stellen fest, dass Studierende bei der wissenschaftlichen Arbeit im Labor Erzählungen verwenden, wenn sie ihre Hypothesen aufstellen (vgl. auch Orr 1990). Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w .RQÀJXUDWLRQLQ/HEHQVHU]lKOXQJHQ | 31 | selFst in den verschiedenen KonteÊten des Dort und DamalsºDann in der Vergan- genheit oder in der imaginierten Zukunnt V die in Interaktionen in unterschiedlichen Gemeinschanten eingeFettet sind.14 Wir erzählen von uns selFst in der FamilieV in der wir aungewachsen sindV von uns selFst im KindergartenV in der SchuleV aun der Strave mit SielkameradenV mit Groveltern und säter dann in verschiedenen ArFeits- und Bildungszusammenhängen sowie in verschiedenen kulturellen Gemeinschanten und neuen intimen Beziehungen. Die erzählten eFensgeschichten zeigen eine Konogura- tion unserer ErleFnisse in allen diesen Gemeinschanten oder rtenV und zwar sowohl in einem hËsischen wie in einem relationalen Sinne. Denn oFwohl unsere hËsische Reise durch das eFen individuell ist als Bewegung unserer Körer durch Zeit und Raum V ergeFen unsere individuellen Reisen einen Sinn nur durch unsere VerFindung mit den GemeinschantenV an denen wir während unseres eFens nÅr einen längeren oder kÅrzeren Zeitraum teilhaFen. In manche Gemeinschanten geraten wir zunälligV in andere gezwungenermaven· manche KonteÊte wählen wir selFer ausV andere sind durch die Umstände Fedingt. An manchen rten sind wir willkommenV an anderen nur geduldet. Gute VerFindun- gen und Beziehungen sind unendlich wertvoll und wichtigV aFer sie sind nicht selFst- verständlich. Manchmal werden wir sogar marginalisiert oder aus einigen Gruen ausgeschlossen. 0Fer die ahre haFe ich underte von eFenserzählungen erhoFen und gelesenV und es wird sehr deutlichV dass die Modellierung der Erzählstruktur in diesem narra- tiven Genre darin FestehtV die eFensgeschichte aun die Bedeutung unserer TeilhaFe an diversen Gemeinschanten und den Verlaun unserer Bewegungen zwischen ihnen zu konogurieren. Beim Erzählen ÅFer einen Festimmten ZeitaFschnittV einen Festimmten rt oder Festimmte Beziehungen kann ein Fesonders herausragendes Ereignis mit der AFsicht hervorgehoFen werdenV genauere sinnliche EindrÅcke und Reräsentationen von In- teraktionen zu roduzieren. Auch rototËische Ereignisse oder zu ener Zeit und an enem rt häuog wiederholte Interaktionen können in VerFindung mit den verschie- denen KonteÊten der Vergangenheit zur Srache kommen. Fwohl erzählte eFensgeschichten ont von dialogischen Aushandlungen zwi- schen mehreren Erzählstimmen gerägt sindV halte ich es dennoch nÅr sinnvollV von FaFelkomosition und Bedeutungskonoguration in eFenserzählungen zu srechen. GeleFte Ernahrung kann in Narrationen aus verschiedenen Persektiven heraus kon- oguriert werdenV aFer auch hier onden wir die Anwendung konventioneller kulturel- ler andlungsmuster. 14 Zwar ist es möglich, bestimmte Lebensepisoden auf unterschiedliche Art und Weise zu erzäh- len: Ein Erzähler kann von der Vergangenheitsform ins Präsens wechseln oder die Episode so anschaulich gestalten, als würde er sie beim Erzählen noch einmal durchleben, anstatt sie nur deskriptiv wiederzugeben. Oder die Episode ist bereits so oft erzählt worden, dass sie bereits eine feste Form angenommen hat. Aber dennoch wird die Konfiguration der Lebensgeschichte immer aus der Perspektive des Erzählens im Hier und Jetzt vorgenommen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 32 | 1 Zeit und Handlung Bei eFensgeschichtenV die mitten in einer eFenskrise erzählt werdenV misslingt Fis- weilen eine Fedeutungsvolle Konoguration der geleFten Ernahrung. Wie in Kaitel 7 herausgearFeitetV kann die Ernahrung einer Krise vorherige Konogurationen unter- minieren. Ein neues Verständnis Fzw. eine neue WeltinterretationV nÅr die eine neue Konoguration von Bedeutung nötig istV ist nicht immer sonort zu erreichen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 33 | 2 Stellvertretende Erfahrung 21 5eSräVentation von Handlungen (mimesis) und Spie- gelneuronen Aristoteles deoniert die Tragödie als nachahmende Darstellung von andlung mit sechs Bestandteilen MËthosV haraktereV SracheV ErkenntnisnähigkeitV Inszenierung und Melodik . Ihr wichtigster Bestandteil ist der MËthos Fzw. die Konoguration der andlungU Der wichtigste Teil ist die ZusammennÅgung der Geschehnisse. Denn die Tragödie ist nicht Nachahmung von MenschenV sondern von andlung und von eFenswirk- lichkeit. Auch GlÅck und UnglÅck Feruhen aun andlungV und das eFensziel ist eine Art andlungV keine Festimmte Beschannenheit. Die Menschen haFen wegen ih- res harakters eine Festimmte BeschannenheitV und innolge ihrer andlungen sind sie glÅcklich oder nicht 1994V S. 11 . Nach meinem DanÅrhalten lässt sich diese Deonition der Tragödie aun Erzählun- gen ÅFertragenU Eine Erzählung ist nicht Nachahmung von MenschenV sondern von andlung und eFenswirklichkeitV von GlÅck und UnglÅck j und GlÅck und Un- glÅck Feruhen aun andlung. In unseren Geschichten ist die emotionale )ualität der Narrationen ein inhärentes Merkmal. Unsere Interaktionen mit der Welt sind niemals emotional neutral· eFenso wenig sind es die GeschichtenV die wir von diesen Interaktionen erzählen. Bei dem oFen genannten Beisiel nÅr logisch-wissenschantli- che KausalitätV «Wasser siedet Fei 100 Grad elsius¬V dÅrnten die wenigsten von uns mit emotionalen Ausrunen à la «Wie schrecklichl¬ oder «Wie wunderFarl¬ reagie- renV wie wir es ont Fei Geschichten tun. Geschichten ÅFer andlungen und Ereignisse runen Emotionen hervor· wir reagieren aun sie mit FreudeV BedauernV MitleidV Angst oder Gelächter. Geschichten runen GenÅhle in uns hervor· wir identiozieren uns mit der Rerä- sentation von Interaktionen aun ganz ähnliche WeiseV wie wir aun Interaktionen re- agierenV die wir unmittelFar FeoFachten oder wahrnehmen. Nach Bruner vgl. 1986V 1990 handelt es sich Fei Geschichten um «stellvertretende Ernahrung¬ (vicarious experience). In meinem BestreFenV KörerV Geist und Geschichten in der Interaktion zusammenzudenkenV Fehaute ichV dass die neuere neurosËchologische Forschung zu unserem Verständnis dieses Phänomens Feitragen kann. Die Siegelneuronen-The- orie Fietet neue Innormationen sowohl ÅFer unsere Fähigkeit zur Emathie als auch ÅFer unseren angeForenen Drang zur Nachahmung und zur schönerischen Nachge- staltung von andlungen (mimesis)V den Aristoteles Fereits vor mehr als zweitausend ahren erkannteU Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 34 | 2 Stellvertretende Erfahrung Denn sowohl das Nachahmen selFst ist dem Menschen angeForen j es zeigt sich von Kindheit anV und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den ÅFrigen eFewesenV dass er in Fesonderem Mave zur Nachahmung Fenähigt ist und seine ersten Kennt- nisse durch Nachahmung erwirFt j als auch die FreudeV die edermann an Nachah- mungen hat 1994V S. 5 . Unsere Fähigkeit zur Nachahmung ist in der zeitgenössischen PhilosohieV Neuro- FiologieV NeurosËchologie und Bildungsnorschung ein zentrales DiskussionsthemaV vor allem aungrund der Entdeckung der Siegelneuronen Fei Annen durch Rizolatti und Gallese und der daran anschlievenden Ernorschung des menschlichen Gehirns. In we want to surviveV we must understand the actions on others. FurthermoreV with- out action understandingV social organization is imossiFle. In the case on humansV there is another nacultË that deends on the oFservation on other’s actionsU imitation learning Rizzolattiº raighero 2004V S. 169 . In ihrem Artikel «The mirror-neuron sËstem¬ räsentieren Rizzolatti und raighero die neuronale Grundlage der Identiokation. Siegelneuronen wurden Fei Annen im Feld F5 des Großhirns entdeckt. Die visuomotorischen Nervenzellen reagieren so- wohlV wenn die Annen Festimmte andlungen z.B. ein F ekt ziehenºschieFen oder danach greinen selFst durchnÅhren als auch wenn sie ein anderes Individuum einen anderen Annen oder einen Menschen daFei FeoFachtenV wie es eine ähnliche and- lung durchnÅhrt. Die motorische Reräsentation der assiv FeoFachteten andlung entsricht daFei der neuronalen Aktivierung während der aktiven andlung und verwandelt somit visuelle Innormationen in Wissen RizzolattiºFogassiºGallese 2001 j ein MechanismusV der das Fundament nÅr ein unmittelFares Verstehen von and- lungen Filden könnte Gallese u.a. 1996· Rizzolatti u.a. 1996 . Zwar werden daFei keine Nervenzellen aktiviertV die die Muskeln dazu FringenV Festimmte andlungen auszunÅhren j zum GlÅck machen wir nicht alles nachV was wir FeoFachten j doch die Aktivierung ist eine Reräsentation oder Siegelung der andlung selFst. Nicht das F ekt als solches ist entscheidendV sondern die andlung. Der AnFlick des F ekts allein löst noch keine Reaktion aus. Auch Fei intransitiven oder nur vorgesielten BewegungsaFläunen FleiFen die Siegelneuronen der Annen inaktiv. Doch andererseits neuern die Nervenzellen auch dannV wenn die Fetrennende andlung nicht vollständig zu Ende ausgenÅhrt wirdV was daraun hinweistV dass die Annen in der age sindV sehr schnell zu ernassenV was das andere Individuum als nächstes tun wird. Das Verstehen der Fetrennenden andlung entsteht wahrscheinlich durch eine Entsrechung zwi- schen der Reräsentation der FeoFachteten Bewegung und einer Reräsentation von andlungen aus dem Bewegungsreertoire des BeoFachtersV das ein Erkennen der andlung ermöglicht. Aun diesem Wege können visuelle Innormationen ein Verständ- nis nÅr Geschehnisse schannen. Fwohl Siegelneuronen Fei Menschen nur indirekt untersucht werdenV lienert die Forschung deutliche inweise danÅrV dass Menschen im Gegensatz zu Annen Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w 2.1 Repräsentation von Handlungen (mimesis) und Spiegelneuronen | 35 | durchaus in der age sindV auch intransitive und vorgesielte andlungen zu ver- stehen und zu enkodieren. Wir können nicht nur FezÅglich dessenV was sichtFar vor unseren Augen geschiehtV SchlÅsse ziehenV sondern auch FezÅglich der Intentionen und MotiveV die der Fetrennenden andlung zugrunde liegen. Das SËstem der Sie- gelneuronen ermöglicht es uns zu versuchenV nicht nur die Konse§uenzen unserer eigenen gelanten andlungen vorherzusagenV sondern auch die der andlungen anderer PersonenV und zwar durch einen automatisch aFlaunenden Prozess der Simu- lationV der weder eine Theorie des aktuellen Geschehens ernordert noch eine unFe- wusste Reräsentation darstellt vgl. Gallese 2005 . Es mag seltsam erscheinenV dass wir ein Bewegungsmuster aktivieren mÅssenV um eine andlung zu erkennenV doch tatsächlich ist das gar nicht so sonderFar. Durch die Simulation der Bewegungen sammeln wir Innormationen ÅFer die Vernetztheit der andlungV nicht nur visuelle SchnaschÅsse des Geschehens. Das SËstem der Siegelneuronen ermöglicht ein er- nahrungsFasiertes Verstehen der FeoFachteten InteraktionV das als Fundament nÅr das weitere kognitive und emotionale Verhalten dient. Gemeinsam mit akonn vernasste Gallese 2005 einen Artikel mit dem Titel «The Frain’s concetsU The role on the sensorË-motor sËstem in reason and language¬. Da- rin vertreten die Autoren die AunnassungV dass unser kognitives Verstehen aun körer- licher Interaktion mit der UmgeFung Fasiert. Sie FetonenV dass unsere Imagination eFennalls aun körerlicher Interaktion Fasiert· wir simulieren auch die andlungenV die wir imaginieren. Das SiegelneuronensËstem lässt sich als Motor-Resonanz-SËs- tem FetrachtenV das die neuronale Basis nÅr die menschliche Fähigkeit zur Imitation Fildet und als solche eine Voraussetzung nÅr die Fedeutsame menschliche Fähigkeit zum ernen durch Nachahmung ist.15 Rizzolatti und raighero vgl. 2004 unter- scheiden Feim Menschen zwei Arten des ernens durch NachahmungU 1 SuFstitu- tionV wenn die herkömmliche WeiseV Festimmte Dinge zu tunV durch einen neuen und Fesseren BewegungsaFlaun ersetzt wirdV und 2 die FähigkeitV eine ganz neue moto- rische Se§uenz zu erlernenV die dem Erreichen sezioscher Ziele dientV etwa die Fä- higkeit zum Binden der eigenen SchnÅrsenkel oder zur Bedienung neuer Geräte. Es ist denkFarV dass die Reräsentationen der Siegelneuronen uns daFei helnenV vertraute motorische AFläune neu zu komFinieren. In edem Fall stellt ernen durch Nachah- mung eine höhere Form des ernens dar als ernen durch Versuch und Irrtum. Durch Nachahmen lernen wir schnellerV als wenn wir verschiedene Verhaltensweisen immer wieder auns Neue nÅr uns selFst ausroFieren mÅssen. DarÅFer hinaus FeschreiFt die NeurosËchologie SiegelneuronenV die Fereits aun das seziosche Geräusch einer andlung reagieren. Die Siegelneuronen könnten somit einen Mechanismus FildenV der eine unmittelFare VerFindung zwischen dem Sender und dem Emnänger einer Botschant herstellt. Einige Wissenschantler vermu- 15 In der Forschung herrscht eine gewisse Uneinigkeit bezüglich der Fähigkeit zum Lernen durch Nachahmung. Handelt es sich um eine Fähigkeit, die ausschließlich den Menschen auszeichnet, oder findet sie sich auch bei einigen Affen (vgl. Tomasello/Kruger/Ratner 1993; Tomasello 2000)? Auf der sicheren Seite bewegen wir uns, wenn wir uns an die oben zitierte alte Formulierung von Aristoteles halten: „Er (der Mensch) ist in besonderem Maße zur Nachahmung befähigt.“ Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 36 | 2 Stellvertretende Erfahrung ten eine VerFindung zwischen dem SiegelneuronensËstem und der Entwicklung der menschlichen Srache.16 Eine Ëothese vgl. Rizzolattiº raighero 2004 lautet zum BeisielV dass sich die Srache im aune der Evolution aus kommunikativen Gesten Pantomime entwickelt hat. Dieser esart zunolge entwickelte sich die gestische Zei- chensrache weiter zu einem aFstrakten Verstehen von GeräuschenV woFei edoch die Zeichensrache nicht völlig verschwand. Es giFt Belege danÅrV dass Menschen ÅFer ein Echo-Neuronen-SËstem vernÅgenV das mit motorischer Resonanz aktiviert wirdV wenn wir verFalen ußerungen zuhören. Motorische Zentren nÅr Srache werden aktiviertV wenn wir verFal stimuliert werden. andlungssätzen zuzuhören setzt somit visuell-motorische Kreisläune in BewegungV die denen ähnelnV die Fei der Reräsenta- tion von andlungen aktiv sind. Dies zeigt ein neuronales Verstehen von Identioka- tion und Aneignung stellvertretender Ernahrung in der narrativen PraÊis.17 22 Emotionen und daV Vo]iale *ehirn Emotionen sind von großer BedeutungV wenn wir versuchen zu verstehenV was vor sich geht. Den emotionalen Zustand oder den Gesichtsausdruck einer anderen Per- son Fegreinen wir nicht durch rationale 0FerlegungenV sondern krant einer körerli- chen SimulationV die eine sontane Resonanz erzeugt vgl. Gallese 2005 . «KWLe do not ust erceive h someone to FeV FroadlË seakingV similar to us. We are imli- citlË aware on this similaritË Fecause we literallË emFodË it eFd.V Bd. 1V S. 104 . In diesem Sinne geht der Unterscheidung zwischen dem SelFst und dem Anderen ein «Wir¬ voraus. Gallese sricht von «a shared maninold on suF ectivitˬ eFd. . arrV IacoFiniV DuFeauV Mazziotta und enzi 2003 haFen sich eFennalls mit den neuro- nalen Mechanismen der menschlichen Emathie Feschäntigt. Sie schreiFenU Taken togetherV these data suggest that we understand the neeling on others via a me- chanism on action reresentation shaing emotional contentV such that we ground our emathic resonance in the eÊerience on our acting FodË and the emotions associated with secioc movement. As is notedV ¬When I oFserve a circus ernormer on a hanging wireV I neel I am inside him. To emhasizeV we need to invoke the reresen- tation on actions associated with the emotions we are witnessing S. 502 . 16 Vgl. Gallese (2007): „Mirror neurons and the social nature of language: The neural exploitation hypothesis (…) The meaning of ‘table’ stems from its use, from what we can do with it, that is from the multiple and interrelated possibilities for action it evokes” (S. 322). Dieses Argument liegt in etwa auf einer Linie mit Tomasello (2002) in seinem Artikel „Things are what they do: Katherine Nelson’s functional approach to language and cognition”. 17 Sarbin (vgl. 2004) untersucht die Rolle der Imagination bei der narrativen Konstruktion, indem er psychologische Parameter der Einbildungskraft einsetzt. Er verknüpft den Akt der Imagination mit nachahmenden „Als-ob“-Konstruktionen und spricht von einer „Als-ob“-Kompetenz, die die Konstruktion hypothetischer Welten ermöglicht. Die Theorie der Spiegelneuronen könnte seine Überlegungen stützen. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w (PRWLRQHQXQGGDVVR]LDOH*HKLUQ | 37 | Mit Blick aun dieses Forschungsneld srechen einige NeurosËchologen vom «so- zialen Gehirn¬ und «Resonanzkreisläunen¬ vgl. ohnson u.a. 2005· Siegel 2007· ozolino 2006 . Mirror neurons and the neural networks theË coordinate work together to allow us to automaticallË react to. Move withV and generate a theorË on mind on what is on the mind on others. ThusV mirror neurons not onlË link networks within us Fut link us to each other. TheË aear to Fe an essential comonent on the social Frain and an imortant mechanism on communication across the social sËnase ozolino 2006V S. 301 . ozolino Fetont nicht nur das ResonanzverhaltenV das dem imitativen ernenV der SËnchronisation von Gruenverhalten und der emotionalen Ansteckung dient. Ein Beisiel nÅr das letztgenannte Phänomen wäre eine SituationV in der eine Person uns etwas sehr Trauriges erzählt und unsere sontane Reaktion darin FestehtV ih- ren emotionalen Gesichtsausdruck nachzuahmen. ozolinos Formulierung von der «Kommunikation ÅFer die soziale SËnase hinweg¬ verweist aun die Vorstellung ei- ner Parallele zwischen der Kommunikation zwischen Neuronen und der Interaktionº Kommunikation verFal und nonverFal zwischen Menschen sowie der Interdeen- denz zwischen Feiden. Genau wie das einzelne Neuron als solches Fei der Funkti- onsweise des Gehirns nicht im Mittelunkt des Interesses stehtV hält ozolino es nÅr denkFarV dass uns die Ausrichtung der westlichen Wissenschant j mit ihrem einseiti- gen Fokus aun dem Individuum als Untersuchungs-«einheit¬ j Fislang davon aFge- halten hatV die Åcke zwischen Neuronen innerhalF neuronaler Netzwerke und den in die soziale Welt eingeFetteten Individuen zu ÅFerFrÅcken. Weiter argumentiert erV dass ein solches Modell einen Weg darstellen könnteV klinische Forschung und ArFei- ten aus NaturwissenschantV Erziehungswissenschant und sËchiatrischer Forschung zusammenzunÅhren vgl. eFd. . Die Art und WeiseV wie wir mithilne unserer Sinne und Kommunikationsmittel ÅFer die «soziale SËnase¬18 hinweg kommunizierenV hat einen unmittelFaren Einquss aun die Entwicklung unseres Gehirns. ozolino Feschäntigt sich mit der Bedeutung von Erzählungen nÅr die neuro- nale Integration. Aus Geschichten lernen wir etwas ÅFer Kultur. Außerdem dienen sie als Mittel der omöostase sowie der emotionalen und neuronalen IntegrationV denn Erzählungen ernordern eine KomFination aus WissenV SinneswahrnehmungenV GenÅhlen und Verhaltensweisen. ozolino erinnert uns an die sozialen und önnentli- chen Elemente unserer individuellen GeschichtenU «These co-constructed narratives remind us that each uni§ue storË on our own contains elements on someone else’s storËV which contains elements on someone else’s storË eFd.V S. 307 .19 Die Theorie des SiegelneuronensËstems verknÅnt KörerV Geist und Geschich- ten miteinander. Sie lienert eine neuronale Erklärung nÅr unsere Fähigkeit zur Rerä- 18 Der Begriff „Synapse“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet „Verbindung“. 19 Dies ist in einem Sinne gemeint, der über Bachtins Konzept der Polysemie hinausgeht (vgl. Bach- tin 1981). Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 38 | 2 Stellvertretende Erfahrung sentationV Simulation und Imitation von Interaktionen sowie den EmotionenV die sie hervorrunen. Wir vernÅgen nicht nur ÅFer die FähigkeitV ÅFer das ier und etzt hi- nauszugehen und unseren Blick aun Vergangenheit und Zukunnt auszuweitenV indem wir unsere Fähigkeit zur mentalen Zeitreise anwendenV um so von unserer eigenen geleFten Ernahrung GeFrauch zu machen. Wir sindV durch den Austausch von Erzäh- lungenV darÅFer hinaus in der ageV unsere geleFte Ernahrung anderen zu vermitteln. Das SiegelneuronensËstemV unser Echo-Neuronen-SËstem und die Resonanz-Netz- werke unseres sozialen Gehirns erlauFen es unsV die GeschichtenV denen wir zuhörenV Feinahe so zu erleFenV als seien sie Teil unserer eigenen geleFten Ernahrung. 2 Ein 5epertoire an Vtellvertretender Erfahrung Mit Erzählungen von ersönlichen Ernahrungen identiozieren wir uns aun emotio- nale Weise. Erzählt eine Person eine Geschichte ÅFer ihren eFenswegV dann geht sie diesen Weg in Gedanken noch einmalV und ihre emathischen Zuhörer gehen ihn stellvertretend mit ihr mit. Einem engagierten Zuhörer eine Geschichte ÅFer einen schwierigen Weg zu erzählen kann eine Möglichkeit darstellenV diesen Weg noch einmal in Begleitung zu wiederholen anstatt allein. Wenn es schwernälltV die richti- gen Worte zum Ausdruck der mentalen Zeitreise zu ondenV kann ein RÅckgrinn aun unser Reertoire an Erzählungen einschließlich oktionaler Erzählungen hilnreich sein. Wenn wir neuen Reisen im eFen entgegensehen j gleichgÅltig oF kurz oder lang j oder wenn wir im Geiste noch einmal Fereits unternommene Reisen wieder- holen j allein oder in Form einer GeschichteV die wir anderen erzählen j dann ak- tivieren wir sontan die körerhante rämotorische Simulation und Imitation von andlungen und GenÅhlen. Die umgrenzte Zeitsanne einer GeschichteV die die Be- wegung vom Annang zum Ende hin einrahmtV giFt uns gleichzeitig die MöglichkeitV durch die Modellierung der Erzählstruktur und die Konoguration der Ereignisse eine innere KohärenzV Bedeutung und Vernetzung im Raum der Zeit zu erzeugen. Die SËmFolisierung Fietet eine Reiokation von Ernahrung. Da es sich Fei einer Ge- schichte um eine sËmFolische Reräsentation in Form von Srache handeltV können wir unsere Ernahrungen ÅFer Zeit und Raum hinweg mit anderen teilen. Mithilne von Erzählungen können wir aun mentale Zeitreisen gehenV real oder imaginärV und eine Beziehung zu unseren eigenen Ernahrungen und den Ernahrungen anderer aunFauen sowie Ernahrungen miteinander teilen. Geschichten können uns ÅFer die Persektive des ier und etzt hinausnÅhren und eine kulturelle 0Fertragung ermöglichenV die eine Identiokation mit Ernahrungen aus anderen rten und anderen Zeiten erlauFt. Krant unserer Imagination können wir dem Weg nolgenV den andere Menschen in Zeit und Raum Feschritten haFen und so zu einem anderen Blick und einer anderen Interretation von Geschehnissen kommen sowie zu Modellen zum Verständnis von sich vorÅFergehend entnaltenden andlungsaFläunenV an denen wir entweder selFst Anteil hatten oder die wir als BeoFachter oder Kommunikationsartner Fegleitet haFen. Fwohl narrative Erklärungen von Bedeutung und Kohärenz sich stets aun Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w 2.3 Ein Repertoire an stellvertretender Erfahrung | 39 | seziosche Ereignisse und rte FeziehenV verwenden wir die in den Erzählungen eingeFettete stellvertretende Ernahrung in Form von Analogien und ParaFelnV wenn wir uns mit neuen Ernahrungen konnrontiert sehenV die wir nicht sonort verstehen.20 «Vielleicht ist das so ähnlich wie zu der ZeitV als...¬ oder «vielleicht ist es deshalFV weil sie vorhath¬ und so weiter. äuog ernolgt das Aushandeln von Bedeutung aun der Basis des narrativen ReertoiresV das wir uns aun unserer ständigen Suche nach lausiFlen Bedeutungen zwischen Sicherheit und Zweinel aungeFaut haFen. Nair 2001 hat daraun hingewiesenV dass Erzählungen dem Menschen einen Femerkenswerten evolutionären Vorteil verschannt haFen. Denn Erzählungen geFen uns die MöglichkeitV anhand von stellvertretender Ernahrung zu lernen. Wir können sicher in unserem Sessel sitzen und durch Geschichten an genährlichen und leFensFe- drohlichen Situationen teilhaFen. Durch die Identiokation mit der Erzählung können wir emotional FerÅhrt oder verängstigt werdenV aFer körerlich FleiFen wir unver- sehrt. Aun diese Weise erwerFen wir genahrlos ein großes narratives Reertoire aus geleFter ErnahrungV das weit ÅFer das hinausgehtV was wir in unserem eigenen eFen emals ansammeln könnten. 20 Bruner bezieht das Konzept der stellvertretenden Erfahrung auch auf die Fähigkeit zur Bedeu- tungsaushandlung (vgl. 1990, S. 54). Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w | 40 | *eVFhiFhten er]ählen 1 1arrative 'imenVionen deV *eVpräFhV Den Traditionen der iteratur- und Srachwissenschant nolgend konzentrierte sich die Diskussion ÅFer die Eigenschanten von Erzählungen nrÅher nast ausschließlich aun die Geschichte als F ekt j als TeÊtV der relativ unaFhängig von seiner Pro- duktion und Rezetion untersucht werden konnte. In den letzten ahrzehnten ha- Fen edoch die ragmatischen Asekte zunehmend an Bedeutung gewonnenV und Erzählungen werden heute auch hinsichtlich ihrer EinFettung in das Gesräch analËsiert. Bruner 1990 deoniert die Funktion einer Geschichte nolgendermaßenU «The nunction on the storË is to ond an intentional state that mitigates or at least makes comrehensiFle a deviation nrom a canonical attern¬ S. 49 . Bei seiner Beschrei- Fung einer wohlgenormten Geschichte Fezieht er sich aun Kenneth Burke und dessen dramatische «Pentade¬ aus andelndemV andlungV ZielV Szenarium und Instru- ment. Dieser Pentade nÅgt Bruner noch ProFleme („trouble“) hinzuV die aus einem Ungleichgewicht zwischen den nÅnn Elementen Festehen. Er nolgt Burke in dessen Fokus aun AFweichungen vom KanonischenV die mit moralischen Konse§uenzen ein- hergehenV und stellt nestU «To tell a storË is inescaaFlË to take a moral stanceV even in it is a moral stance against moral stances¬ eFd.V S. 51 .21 Aus strukturalistischer Sicht nennt aFov 1966V 1972 in seiner narrativen Grammatik sechs universale Elemente einer ErzählungU 1. EinnÅhrung 2. rientierung 3. andlungskomlikation 4. Evaluation 5. ResultatºAuqösung 6. Koda 21 In Übereinstimmung mit Bruner behauptet Hayden White in seinem Artikel „The value of narrativi- ty“, dass wir einen Diskurs nicht in eine narrative Form bringen können, ohne diesen gleichzeitig zu moralisieren (vgl. Mitchell 1980, S. 13). Widersprochen wird ihm von Mink, der die Notwen- digkeit einer Verbindung zwischen einem narrativ geprägten und einem moralisierenden Diskurs bezweifelt. Mink vertritt die Auffassung, dass zwar jeder Erzählung eine moralische Deutung zu- geschrieben werden kann, dass aber nicht alle Erzählungen eine moralische Deutung einfordern (vgl. ebd., S. 237). White bleibt bei seiner Position, indem er betont, dass wir erst über Erzählun- gen zu moralischen Lebewesen werden (vgl. ebd., S. 253). Auch Sarbin (2004, S. 6) schließt die moralische Komponente mit ein und nennt die folgenden zentralen Kriterien für das Erzählen einer Geschichte: „duration – a beginning, a middle, and an ending – and, importantly, the presence of a moral issue.“ Insofern als keine Erzählung moralisch neutral oder frei von kulturellen Vorurteilen im hermeneutischen Sinne sein kann, ist Moralität im weitesten Sinne zwangsläufig ein Bestandteil von Geschichten. Aber Mink hat recht mit seinem Hinweis, dass nicht alle Erzählungen zwangs- läufig direkt moralisierende Diskusformen sind. Horsdal, M. (2012): Leben erzählen – Leben verstehen. Dimensionen der Biografieforschung und Narrativer Interviews für die Erwachsenenbildung. DOI 10.3278/14/1119w
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