1 Prostitution in Deutschland – Hochrechnung der Anzahl der aktiv tätigen Prostituierten nach Umsetzung des ProstSchG T. Schmitt September 2023 Kontakt: prostschutz2@t-online.de Abstract Von PolitikerInnen und AktivistInnen wird aktuell (2023) behauptet, es wären in Deutschland 250.000 oder sogar noch mehr (bis 400.000) Prostituierte tätig. Das Statistische Bundesamt meldete zum 31.12.2019 40379 registrierte Prostituierte, zum 31.12.2020 24940, zum 31.12.2021 23743 und zum 31.12.2022 28278. Die Zahl der nicht registrierten Prostituierten und damit die Gesamtanzahl der in Deutschland tätigen Prostituierten sind unbekannt. Bestimmte Prostitutionsstätten, die zusammen einen erheblichen Marktanteil ausmachen, sind für nicht registrierte Prostituierte unzugänglich, weil die Aufnahme nicht registrierter Prostituierter für die Betreiber nach Umsetzung des behördlichen Vollzugs des ProstSchG ein zu großes persönliches und wirtschaftliches Risiko darstellen würde (Bußgeld bis 10000 Euro, Verlust der Betriebserlaubnis, Verlust der Betreiber-Zuverlässigkeit). Nicht registrierte Prostituierte können sich daher nur auf Settings verteilen, die nicht von einem Betreiber abhängig sind oder keinen offiziellen, als solchen den Behörden bekannten endverantwortlichen Betreiber haben. Prostitutions-Settings lassen sich daher in zwei Gruppen differenzieren: solche, in denen aufgrund der Betreiberverantwortung die Beschäftigung nicht registrierter Prostituierter faktisch ausgeschlossen ist (zu hohes Risiko für den Betreiber), und Settings, in denen auch unregistrierte Prostituierte angetroffen werden könnten. Aus der relativen Verteilung der Settings, an denen Freier Sexdienstleistungen in Anspruch genommen haben, lässt sich somit ein Mindest- und ein Maximalszenario für die Anzahl der in Deutschland aktiv tätigen Prostituierten ermitteln, je nach angenommenem Anteil der unregistrierten Prostituierten in der zweiten Gruppe von Settings: ausgehend von der amtlichen Statistik der registrierten Prostituierten, die dann um den Anteil der unregistrierten Prostituierten hochgerechnet wird. 2 Basierend auf zwei Umfragen in einem Freierforum, die erste von Ende 2017 (vor der vollständigen behördlichen Umsetzung des ProstSchG) und die zweite von Ende 2019 (nach der vollständigen Umsetzung), zu insgesamt 225 letzten (jüngsten) Paysex-Kontakten , ergab sich eine Anzahl von 19500 bis 56500 aktiv tätigen Prostituierten in Deutschland zum Jahresende 2022. Die breite Spanne ergibt sich daraus, dass für alle drei ins Modell eingeflossenen Variablen sowohl optimistische wie auch sehr (!) pessimistische Werte zugelassen wurden. Am wahrscheinlichsten ist ein Wert zwischen 25000 und 40000, aber auch Werte zwischen 40000 und 56500 sind mit der Hochrechnung noch vereinbar. Diese Ergebnisse sind kompatibel mit der aktuell von Dona Carmen e.V. angenommenen „I llegalitätsquote “ vo n 40 %, die zu einer Gesamtzahl von 47224 Prostituierten zum Jahresende 2022 führen würde (28278 x 1,67), wie auch mit einer auf völlig anderer Methodik basierten Hochrechnung von Dona Carmen e.V. für die Zeit um das Inkrafttreten des ProstSchG herum (2017/2018), die zu dem Ergebnis kam, dass damals auf Jahresbasis (!) maximal 90000 Prostituierte in Deutschland tätig waren, d.h. mindestens zeitweise innerhalb eines Kalenderjahres Sexdienstleistungen in Deutschland angeboten haben. Die Gesamtschau der Daten spricht dafür, dass die Gesamtzahl der Prostituierten (d.h. registriert + unregistriert) in Deutschland mit Beginn der behördlichen Umsetzung des ProstSchG deutlich zurückgegangen ist. Neben verschiedenen Effekten aus dem ProstSchG (Abschreckungseffekt, Anmeldung, Hurenpass, steuerliche Erfassung, Einstiegshürden, Übernachtungsverbot) dürften die Corona-Pandemie, aber auch demographische Effekte aufseiten der Freier, die einen natürlichen Nachfragerückgang nach Sexdienstleistungen bedingen, für den Rückgang der Anzahl der aktiv in Deutschland tätigen Prostituierten verantwortlich sein. Dies schließt nicht kategorisch aus, dass es vor dem Inkrafttreten des ProstSchG einmal eine sehr niedrig sechsstellige Anzahl von Prostituierten in Deutschland gegeben haben mag. Diese historischen „An nahmen “ oder Hochrechnungen können aber nicht mehr auf die aktuelle Zeit nach behördlicher Umsetzung des ProstSchG, nach Corona und bei veränderter demographischer Lage auf der Nachfrageseite übertragen werden. Die hier vorgenommene Modellrechnung führt selbst im pessimistischsten Szenario, d.h. unter Annahme extrem ungünstiger Werte für alle Variablen gleichzeitig, zu einem maximal möglichen Wert von 56500 aktiv tätigen Prostituierten. Behauptungen, in Deutschland arbeite eine sechsstellige Anzahl von Prostituierten, sind damit definitiv unzutreffend. Alle drei unterschiedlichen methodischen Ansätze (der Ansatz von Dona Carmen e.V. für die im März 2020 präsentierte Hochrechnung für 2017/2018, der Ansatz über die von Dona Carmen e.V. aktuell angegebene „ Illegalitätsquote “ , und der hier präsentierte Ansatz über die Freierbefragung zum jeweils letzten (jüngsten) Paysex- Kontakt) ergeben konkludent Gesamtzahlen im fünfstelligen Bereich, auf gar keinen Fall im sechsstelligen Bereich. 3 Einleitung und Problemstellung Die Anzahl der in Deutschland tätigen Prostituierten wird in der Presse häufig mit „bis zu 400.000“ angegeben – eine Aussage, die aufgrund des „bis zu“ immer richtig ist – auch wenn es nur 10.000 Prostituierte wären. In politischen Kreisen (z.B. MdB Dorothee Bär) wird häufig von ca. 250.000 in Deutschland tätigen Prostituierten gesprochen. Diese Zahl scheint sich in der politischen Diskussion in den letzten Monaten „fixiert“ zu haben. In Presseberichten wird die Zahl 250.000 oft mit dem Hinweis versehen, dass davon 90 % Opfer von Menschenhandel und Zuhälterei wären. Nach Auskunft der Bundesregierung waren zum 31.12.2021 in Deutschland 23.743 Prostituierte registriert, darunter 743 (3,1 %) unter 21 Jahren und 4509 (19,0 %) mit deutscher Staatsangehörigkeit. (https://dserver.bundestag.de/btd/20/065/2006517.pdf). Bei der in politischen Kreisen üblichen Schätzung von 250.000 Prostituierten wären (zum Stichtag 31.12.2021) neben den 23.743 registrierten Prostituierten weitere 226.257 nicht registrierte Prostituierte tätig, d.h. auf eine registrierte Prostituierte kämen fast 10 nicht registrierte Prostituierte. Während des Verfassens dieser Abhandlung wurde Mitte September 2023 die Anzahl der zum 31.12.2022 registrierten Prostituierten vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht. Sie beträgt 28278, davon 3,7 % unter 21 Jahren und 18,4 % mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die Anzahl der registrierten Prostituierten aus der Ukraine stieg vom 31.12.2021 zum 31.12.2022 von 180 auf 470. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/09/PD23_368_228.html Die vorliegende Arbeit war primär auf die Daten vom 31.12.2021 fokussiert; nachträglich wurden dann zusätzliche Berechnungen in Bezug auf den Stichtag 31.12.2022 angestellt. Die große Diskrepanz zwischen der Anzahl der registrierten Prostituierten und den Behauptungen aus der Politik wirft die Frage auf, wie sich die Gesamtzahl der in Deutschland aktiv tätigen Prostituierten präziser eingrenzen lässt. Die Zahl der registrierten Prostituierten ist aus der amtlichen Statistik unstrittig bekannt und belastbar; kritisch ist daher die Frage nach der Anzahl der unregistrierten Prostituierten. Die individuellen Prostituierten selbst können hierzu keine Angaben liefern, denn von ihnen sind nur die registrierten statistisch erfasst und die nicht registrierten entziehen sich jeglicher direkten Erfassung. Dona Carmen e.V. hat Anfang März 2020 eine sehr detaillierte Analyse vorgelegt, beruhend auf Datensätzen aus 2017 und 2018, in der die Anzahl der im betrachteten Zeitraum in Deutschland arbeitenden SexarbeiterInnen auf maximal (!) 90000 im Jahresbezug geschätzt wurde, d.h. im Laufe eines gesamten Jahres werden maximal 90000 SexarbeiterInnen tätig. 4 Die Anzahl der täglich (d.h. an einem bestimmten Tag gleichzeitig) tätigen SexarbeiterInnen wurde dabei auf 30000 bis 40000 kalkuliert. Die Studie schließt alle Geschlechter ein. https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/90.000-Sexarbeiterinnen-in- Deutschland-DEF.pdf Man könnte spekulieren, dass Ordnungsämter über Zahlen verfügen könnten zum quantitativen Verhältnis registrierter versus nicht registrierter Prostituierter, so dass sich aus der Anzahl der registrierten Prostituierten auf die Anzahl der nicht registrierten Prostituierten hochrechnen ließe. Dies dürfte aber aus grundsätzlichen Gründen nicht der Fall sein. Die Ordnungsämter fokussieren sich naturgemäß auf nicht registrierte Prostituierte (da dies eine Ordnungswidrigkeit darstellt) und werden daher bevorzugt dort kontrollieren und sich die Ausweise zeigen lassen, wo sie mit vielen unregistrierten Prostituierten rechnen. Es macht wenig Sinn, in einem ordentlich geführten Club, in dem sie längst die Erfahrung gemacht haben, dass der Betreiber strengstens darauf achtet, nur registrierte Prostituierte dort aufzunehmen, solche Kontrollen durchzuführen, wenn dem Ordnungsamt andere Locations (z.B. Straßenstriche oder Wohnungen) bekannt sind, wo sie mit viel höherer Wahrscheinlichkeit auf unregistrierte Prostituierte treffen. Die Erfahrungen der Ordnungsämter sind daher in Richtung auf unregistrierte Prostituierte verzerrt. Hinzu kommt: unregistrierte Prostituierte werden erfasst (da Ordnungswidrigkeit), aber warum sollten Ordnungsämter statistisch alle Prostituierten erfassen, die ihnen schon unaufgefordert ihre Anmeldebescheinigung („ Hurenpass “) zeigen, wenn sie einen Ordnungsamts-Mitarbeiter oder Polizisten sich nähern sehen? Ordnungsämter sind damit keine valide Quelle, um das quantitative Verhältnis zwischen registrierten und unregistrierten Prostituierten einzuschätzen. Betreiber von Prostitutionsstätten sind ebenfalls keine hilfreiche Quelle, weil sie nur registrierte Prostituierte (mit gültiger Anmeldungsbescheinigung sowie Beratungsbescheinigung vom Gesundheitsamt) in ihrer Prostitutionsstätte aufnehmen dürfen. Sollten sie dagegen verstoßen, ist dies nicht nur eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem empfindlichen Bußgeld bestraft werden kann (bis zu 10000 Euro gemäß § 33 Absatz 3 ProstSchG), sondern es droht der Entzug der Betriebserlaubnis bzw. der „Betreiber - Zuverlässigkeit“ und damit der wirtschaftliche Ruin. Das ProstSchG stellt hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit der Betreiber oder deren Stellvertreter (vgl. § 15 ProstSchG). Da davon auszugehen ist, dass zum Stichtag 31.12.2021, also 4 ½ Jahre nach Inkrafttreten des ProstSchG, alle betreibergeführten Prostitutionsstätten den lokalen Ordnungsämtern bekannt sind und sie daher mit spontanen Kontrollen rechnen müssen, muss auch davon ausgegangen werden, dass kein Betreiber mehr bereit sein wird, das Risiko einzugehen, eine aktuell nicht registrierte Prostituierte tätig werden zu lassen. 5 Damit bleiben die Freier als letzte Option, Informationen zu erhalten, die es erlauben, die Anzahl der Prostituierten hochzurechnen. Allerdings sind die Freier nicht verpflichtet, sich die Anmeldebescheinigung zeigen zu lassen oder nach einer Registrierung zu fragen. Es ist den Freiern auch nicht untersagt, Dienstleistungen von nicht registrierten Prostituierten in Anspruch zu nehmen. (Ausnahmen können sich nur da ergeben, wo Prostituierte vom Eindruck her den Verdacht erwecken, sie könnten minderjährig sein. Hier muss sich der Freier von der Volljährigkeit überzeugen, um keine Straftat zu begehen. Dies könnte durch Sichtung des Hurenpasses, eines Alibi-Hurenpasses, oder des Personalausweises erfolgen. Zwar ist die Prostituierte nicht verpflichtet, diese Unterlagen zu zeigen, aber in einem solchen Fall wäre dem Freier dringend anzuraten, auf die Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen vorsichtshalber zu verzichten; § 182 Abs. 2 StGB). Außerhalb der Spezialkonstellation „Verdacht auf Minderjährigkeit“ ist somit der Registrierungs-Status der Prostituierten für den Freier irrelevant. Er wird dies nur im Einzelfall eher beiläufig erfahren, z.B. wenn die Prostituierte ihm etwas in diesem Kontext erzählt (was nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich ist). Es gibt durchaus Prostituierte, die das ProstSchG aus verschiedenen Gründen (z.B. Kondompflicht) einschl. der mit dem Gesetz verbundenen Registrierungspflicht gutheißen und dies auch äußern. Dabei mögen gesundheits- oder konkurrenzschutz-assoziierte Gründe eine Rolle zu spielen (z.B. Zurückdrängung von Konkurrenz, die kondomfreien Sex anbietet). Auch Freier werden daher, von Ausnahmen abgesehen, keine direkten Aussagen zum Registrierungsstatus einer Prostituierten geben können. Allerdings stellt der Ort, an dem Freier sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, einen distant proxy für den Registrierungsstatus dar. Wie oben dargelegt, ist – viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des ProstSchG – davon auszugehen, dass in betreibergeführten Prostitutionsstätten, deren Betreiber eine Betriebserlaubnis benötigen, zu 100 % oder sehr nahe an 100 % nur registrierte Prostituierte arbeiten. Bei Prostituierten, die außerhalb von betreibergeführten Prostitutionsstätten arbeiten, bleibt der Registrierungsstatus unklar – sie könnten registriert sein, oder auch nicht. Aus dem Verhältnis der Inanspruchnahme von Sexarbeit durch Freier innerhalb versus außerhalb solcher betreibergeführten Prostitutionsstätten lässt sich daher ein Best- und ein Worst-Case-Szenario für die Anzahl der in Deutschland aktiv tätigen Prostituierten berechnen. Im unrealistischen Worst-Case-Szenario würde unterstellt, dass alle Prostituierten, die außerhalb betreibergeführter Einrichtungen arbeiten, nicht registriert seien. Im Best-Case-Szenario würde unterstellt, dass auch alle außerhalb von betreibergeführten Einrichtungen tätigen Prostituierten registriert sind. Es ist klar, dass die „Wahrheit“ irgendwo zwischen diesen extremen Polen liegt, aber zumindest lassen sich eine obere und eine untere Grenze festlegen, die nicht überschritten werden können. Die Kernfrage lautet daher, an/in welchen Locations/Settings die Freier Prostitutionsleistungen in Anspruch nehmen. Allerdings gibt es Freier, die von Fall zu 6 Fall durchaus unterschiedliche Locations/Settings nutzen. Mit der Frage nach der/dem „ bevorzugten Location /Setting“ lassen sich daher keine repräsentativen Ergebnisse gewinnen. Dies kann umgangen werden, wenn man konkret nach dem letzten (jüngsten) Paysex-Date (im Sinne von: „most recent“) fragt. Dies ist ein klar definierter Event, und da es das jüngste Ereignis ist, wird sich der Freier mit Sicherheit daran erinnern können, wo und unter welchen Bedingungen dies stattfand. Diese Methodik ist z.B. auch typisch für Kondomstudien, wenn Personen danach gefragt werden, ob sie beim letzten Sexkontakt Kondome benutzt haben. Die Fragestellung wird auf diese Weise eindeutig, weil der Befragte ganz genau weiß, welches Paysex-Date gemeint ist, eine optimale Erinnerung und kein Verwechslungsrisiko bestehen. Hierzu eignen sich anonyme Umfragen in Freierforen, wenn die Fragestellung klar und deutlich formuliert und ggf. im Detail weiter erklärt ist. Der Zeitaufwand für die Freier ist sehr gering, die Teilnahme interessant (weil es spannend ist zu erfahren, wo andere Männer Paysex suchen), die völlige Anonymität sichert ehrliche Antworten ohne Verzerrung durch sozial vermeintlich erwünschte Antworten. Es bringt in der Anonymität keinerle i Nutzen, mit „Escort“ zu prahlen, wenn man in Wirklichkeit Paysex auf der Straßenstrich sucht. Außerdem ist es wahrscheinlich, dass die aktivsten Freier (a) am ehesten an einem solchen Forum teilnehmen; (b) das Forum am intensivsten nutzen und (c) daher auch bevorzugt auf solche Umfragen stoßen und an ihnen teilnehmen. Man stößt mit einer solchen Umfrage sozusagen ins „aktive Zentrum der Freierschaft“ und damit auf die Freier mit der höchsten Marktpräsenz und Nachfrage. Freierforen aus Deutschland waren auch schon Gegenstand mehrerer wissenschaftlicher Untersuchungen und Publikationen, z.B. LANGANKE et al. (https://www.stiftung-gssg.org/wp-content/uploads/2020/12/Cyberpsychology- Maerz_2014-Harriet_Langanke_online.pdf). Methode Das Rheinforum ist ein bekanntes Freierforum mit einem geographisch weiten Einzugsbereich im Rheinland und umfasst dabei auch eine Region mit sehr hoher Einwohnerdichte (Ruhrgebiet); es reicht vom Niederrhein und der niederländischen Grenze im Nordwesten bis Rheinland-Pfalz im Süden und Bergischen Land/Siegerland im Osten mit dem Ruhrgebiet im Zentrum. In dem Einzugsgebiet leben mehr als 10 Millionen Menschen. Das Rheinforum deckt das gesamte Spektrum des Paysex – vom Straßenstrich bis zum Escort und Sugarbabe – ab, auch besondere Spielarten wie BDSM werden berücksichtigt, aber nicht überproportional. Das Rheinforum fokussiert nicht auf ein bestimmtes Paysex-Segment. Es kann daher als repräsentativ für die in der Region ansässige bzw. in der Region im Paysex aktive Freierschaft angesehen werden. 7 In der Umfragen-Sammelecke des Forums wurde am 26.11.2017 die Umfrage „Wo fand Euer letztes (d.h. jüngstes) Paysex-Date statt?“ gestartet (Umfrage geschlossen am 31.12.2017), und eine weitere Umfrage am 2.11.2019 („Wo hattet Ihr Euer letztes (jüngstes) Paysex- Date“?). Die erste Umfrage hatte 73 Teilnehmer, die zweite Umfrage (die länger lief) 152 Teilnehmer. Da zwischen den beiden Umfragen ungefähr zwei Jahre lagen, ist es gerechtfertigt, die Ergebnisse der beiden Umfragen zu aggregieren, denn es ist äußerst unwahrscheinlich, dass aktive Forenteilnehmer, die so aktiv sind, dass sie an beiden Umfragen teilnahmen, in der Zwischenzeit keine weitere Paysex-Erfahrung mehr gemacht haben und sich daher ihre Antwort auf dasselbe Paysex-Date bezieht. Da die Forums-Software nur insgesamt 10 Antwortmöglichkeiten zulässt, war es nicht möglich, alle möglichen Lokalitäten/Settings für Paysex abzufragen, so dass bestimmte Segmente in den Antworten aggregiert werden mussten, und ein Sammelbecken für „ Sonstiges “ erforderlich war. Für manche Items sind die beiden Umfragen daher nicht direkt vergleichbar und daher auch nicht in einer Tabelle aggregierbar. Z.B. wurde nur in einer Umfrage nach Straßenstrich oder Escort gefragt, in der anderen nach Sexkino oder Outdoor. In der jeweils anderen Umfrage wäre dies dann unter „Sonstiges“ unterzubringen gewesen. Aber auf diese Details kommt es für die hier zu bearbeitende Fragestellung auch nicht an. Die Locations/Settings lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen: ● Gruppe A: Locations, die betreibergeführte Prostitutionsstätten darstellen, für die der Betreiber eine Betriebserlaubnis benötigt, die er (neben einem Bußgeld bis 10000 Euro) riskieren würde, wenn er unregistrierte Prostituierte dort arbeiten lässt; außerdem würde seine Betreiberzuverlässigkeit infrage gestellt, was dazu führen könnte, auch andernorts keine neue Betriebserlaubnis mehr zu erhalten. In einer solchen Einrichtung kommt also keine unregistrierte Prostituierte „so weit“, dass es zu einem sexuellen Kontakt mit einem Freier kommen könnte, sondern sie scheitert schon am Telefon, an der Rezeption oder spätestens im Büro des Betreibers/der Verwaltung. ● Gruppe B: Alle anderen Locations/Settings, wo es zunächst einmal grundsätzlich denkbar ist, dass es zu einem sexuellen Kontakt zwischen Freier und unregistrierter Prostituierten kommen kann (für den Freier absolut legal, für die Prostituierte lediglich eine Ordnungswidrigkeit und damit kein hohes Risiko) In Gruppe A wurden klassifiziert: Saunaclub, FKK-Club, Bordell, Wohnungsbordell/Wohnungspuff, Laufhaus In Gruppe B wurde alles andere klassifiziert: --- *Wohnung mit mehreren DLs, aber nicht deren Privatwohnung --- *Dienstwohnung einer oder mehrerer DLs --- Wohnung mit einer einzigen DL, evtl. auch in ihrer Privatwohnung 8 --- *Privatwohnung einer oder mehrerer DLs --- Wohnwagen/Wohnmobil oder im Auto der DL --- Straßenstrich --- eigenes Auto (egal ob Parkplatz, Box, Wald) --- Escort (egal wo: Hotel, bei sich zuhause, Reise usw.) --- eigene Wohnung/Haus --- Sexkino --- alles andere (Antwortmöglichkeiten mit 0 Antworten nicht berücksichtigt). Bei den mit (*) gekennzeichneten Locations handelt es sich in manchen Fällen auch um Prostitutionsbetriebe im Sinne des ProstSchG. Sobald eine Prostituierte – auch nur zeitweise – auch nur eine einzige Kollegin/Freundin in ihrer Wohnung beschäftigt, wird sie selbst zur Betreiberin einer Prostitutionsstätte und hat dieselben Pflichten zu erfüllen wie ein Betreiber z.B. eines Bordells oder Clubs. Sie benötigt also eine Betriebserlaubnis, muss selbst registriert sein (wenn sie selbst Sexdienstleistungen anbietet), und darauf achten, dass alle Mitarbeiterinnen auch registriert sind. Dem Gesetz zufolge wären solche Locations also in die Gruppe A zu stellen (Ausnahme: immer allein arbeitende Prostituierte). Da solche Wohnungen für Ordnungsämter aber schwerer auffindbar und kontrollierbar sind als offiziell bekannte Bordelle, Laufhäuser, Clubs, Wohnungsbordelle/-puffs, wird hier vorsichtshalber angenommen, es könnte sein, dass in solchen Wohnungen auch unregistrierte Prostituierte arbeiten, weil das Entdeckungsrisiko geringer ist – jedenfalls viel geringer als in den unter Gruppe A gruppierten Einrichtungen, bei denen unregistrierte Prostituierte keine Chance hätten. Hier wird also bewusst ein pessimistisches* Szenario gefahren, das dazu führen kann, dass im Endergebnis die hochgerechnete Anzahl von Prostituierten in Deutschland eher überschätzt als unterschätzt wird. Dies ist also als Sicherheitspuffer zu verstehen, diesen „kritischen“ Bereich an der Grenze von Gruppe A zu Gruppe B vorsichtshalber der Gruppe B zuzuordnen. [*Als pessimistisches Szenario werden hier Annahmen bezeichnet, die dazu führen, dass die Anzahl der Prostituierten eher höher geschätzt wird, als es der Wahrheit entspricht, und in einem optimistischen Szenario eher niedriger. Diese Klassifizierung geht davon aus, dass die Politik an einer eher niedrigen Anzahl von Prostituierten gelegen ist]. Es wird des Weiteren davon ausgegangen, dass registrierte Prostituierte pro Zeiteinheit (z.B. Woche oder Monat) im Durchschnitt ebenso viele Kunden haben wie nicht registrierte Prostituierte. Es gibt keine Gründe, die etwas anderes vermuten lassen, weder in die eine noch in die andere Richtung (Ausnahmen s. unten unter „ Limitationen “ ). 9 Ergebnisse und Hochrechnung Von den 225 Antworten gruppieren 94 Antworten (41,8 %) in die Gruppe A (betreibergeführte Prostitutionsbetriebe, in denen die Beschäftigung unregistrierter Prostituierter faktisch unmöglich, da dies für die Betreiber viel zu riskant wäre) und 131 Antworten (58,2 %) in die Gruppe B, also in Settings, wo es zumindest grundsätzlich denkbar wäre, dass Freier hier auch auf unregistrierte Prostituierte treffen könnten. In der ersten Umfrage klassifizieren 39 Antworten (53,4 %) in die Gruppe A und 34 Antworten (46,6 %) in die Gruppe B, in der zweiten Umfrage sind dies 55 versus 97 Antworten (36,2 % vs. 63,8 %). Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Freier Sexdienstleistungen in Locations/Settings in Anspruch nimmt, in denen sich unregistrierte Prostituierte aufhalten könnten, ist damit um 139 % höher als die Wahrscheinlichkeit, dass er Sexdienstleistungen in Locations in Anspruch nimmt, in denen unregistrierte Prostituierte faktisch undenkbar sind (zu hohes Risiko für Betreiber) (Basis: beide Umfragen aggregiert). In einem rohen Worst-Case-Szenario würde man unterstellen, dass alle Prostituierten in Settings der Gruppe B nicht registriert seien (dies ist zweifellos unrealistisch, wird aber bewusst als hypothetisches Worst-Case-Szenario hier berechnet): Gesamtanzahl der in Deutschland tätigen Prostituierten (rohes Worst-Case- Szenario): 23743 (registriert) + 1,39 x 23743 (unregistriert) = 2,39 x 23743 = 56746 (Multiplikator 2,39) (Basis: 31.12.2021) 28278 (registriert) + 1,39 x 28278 (unregistriert) = 2,39 x 28278 = 67584 (Basis: 31.12.2022) Dieses Szenario ist aber systematisch fehlerhaft und durch die Einführung von mehreren Variablen zu verfeinern: Variable 1 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle zum 31.12.2021 bzw. 31.12.2022 registrierten Prostituierten tatsächlich noch zum Stichtag in Deutschland als Prostituierte aktiv waren. Damit sind jetzt nicht etwa freie Tage, Urlaub, Ausfall wegen Krankheit oder Zusammensein mit der Familie am Silvesterabend gemeint, sondern eine endgültige oder zumindest vorübergehende Aufgabe der Prostitutions- Tätigkeit. 10 Die Anmeldebescheinigung hat eine Gültigkeit von 2 Jahren (nur bei 18- bis 20- Jährigen ist sie nur 1 Jahr gültig, die aber nur 3,1 – 3,7 % der Registrierten zum Stichtag ausmachten). Das ProstSchG sieht nicht vor, eine Anmeldung vorzeitig zurückzugeben oder sich „deregistrieren“ zu lassen. Die Anmeldung läuft nach 2 Jahren (bzw. im Ausnahmefall nach 1 Jahr) automatisch aus, wenn sie nicht zuvor verlängert wird. Erst dieses automatische Auslaufen kommt einer Deregistrierung gleich. Eine Abmeldepflicht oder auch ein freiwilliges Abmelde-Szenario sind gesetzlich nicht vorgesehen. Bis zum Ablauf der Anmeldebescheinigung wird die betreffende Person in der amtlichen Statistik als registrierte Prostituierte geführt, auch wenn sie schon lange nicht mehr der Prostitution nachgeht. Die amtliche Statistik überschätzt damit die Anzahl der tatsächlich in Deutschland aktiven registrierten Prostituierten auf jeden Fall schon aus rein methodisch- systematischen, rechtlichen und verwaltungstechnischen Gründen. (a) Es mag Prostituierte geben, die sich anmelden, im letzten Moment aber dann doch davor zurückschrecken, als Prostituierte zu arbeiten, also niemals auch nur einen einzigen Kunden empfangen haben. Schließlich gibt es seit Einführung des ProstSchG in Deutschland keine Möglichkeit mehr, die Arbeit als Prostituierte erstmal niederschwellig auszuprobieren. Erst muss man sich offiziell als Prostituierte deklarieren, indem man eine Anmeldebescheinigung beantragt, und erst danach können Erfahrungen gesammelt werden, ob diese Tätigkeit wirklich infrage kommt. In der Statistik gelten diese Fälle dennoch über zwei Jahre hinweg als registrierte Prostituierte. (b) Es mag Prostituierte geben, die nach der Anmeldung tatsächlich kurzzeitig in die Prostitution einsteigen, dann aber bald wieder aufhören, sei es, dass sie merken, dass diese Erwerbsquelle doch nicht für sie geeignet ist, oder weil sie nur einen einmaligen kurzzeitigen finanziellen Engpass überwinden wollten, was ihnen entweder gelang, oder sie merken, dass es keinen Sinn macht z.B. weil sie nicht so viel verdienen wie sie sich erhofft haben. Die beiden oben genannten Fallkonstellationen (a) und (b) könnte man als „registrierte Nie- Einsteiger“ und „kurzfristige Aussteiger (Kurzzeit -Prostitution )“ bezeichnen. (c) Dann gibt es Prostituierte, die nur phasenweise in der Prostitution arbeiten, z.B. wenn aktuelle finanzielle Probleme oder vorübergehende Arbeitslosigkeit bestehen. Oder Prostituierte aus dem Ausland, die im Heimatland arbeiten oder studieren und z.B. Semesterferien nutzen, um vorübergehend in Deutschland in der Prostitution Geld zu verdienen, um sich z.B. Ausbildung oder Studium zu finanzieren, aber dann wieder für lange Zeit ins Heimatland zurückkehren, wobei es womöglich ihnen selbst nicht einmal klar ist, ob sie irgendwann erneut zur Prostitution nach Deutschland einreisen werden oder nicht. 11 Die Anmeldebescheinigung ist (neben dem Nachweis der fristgerechten gesundheitlichen Beratung) eine Lizenz, der Prostitution nachgehen zu dürfen ... also eine Berechtigung, die man nutzen kann, vorübergehend oder für die volle Dauer ihrer Gültigkeit, aber nicht nutzen muss. „P rostituierte “ ist keine Berufsbezeichnung, die man lebenslang führt, nur weil man mal einen begrenzten Zeitraum lang als Prostituierte gearbeitet hat. Ein Briefträger ist auch nur solange ein Briefträger, wie er als Briefträger arbeitet. Er bleibt auch Briefträger, wenn er freie Tage hat, Urlaub hat oder krank ist. Wenn er aber danach als LKW-Fahrer arbeitet, ist er dann eben kein Briefträger mehr. Wenn er sich dann nach Monaten wieder dazu entscheidet, als Briefträger zu arbeiten, ist er dann wieder Briefträger. In der Zwischenzeit, als er als LKW-Fahrer gearbeitet hat, war er aber definitiv kein Briefträger, selbst wenn er irgendein Dokument hätte, das ihm bescheinigen würde, dass er berechtigt wäre, als Briefträger arbeiten zu dürfen, wenn er dies wolle. Analog ist das auch für die Personen zu sehen, die ihre Arbeit in der Prostitution in Deutschland zumindest vorübergehend aufgegeben und nicht nur urlaubsweise unterbrochen haben. Damit ist klar, dass die Anzahl der zu einem bestimmten Stichtag amtlich registrierten Prostituierten die Anzahl der tatsächlich im Zeitraum um den Stichtag herum aktiv tätigen registrierten Prostituierten nicht nur minimal, sondern in einem relevanten Umfang überschätzt, insbesondere wenn man die lange Gültigkeit der Anmeldebescheinigung von 2 Jahren für mehr als 96 % der Prostituierten berücksichtigt. Allerdings lässt sich nicht quantifizieren, wie stark diese Überschätzung ausfällt. Klar ist allerdings, dass es sich nicht nur um Einzelfälle handelt, die (inzwischen) inaktiv sind. In einem sehr vorsichtigen (d.h. pessimistischen) Ansatz wird dieser Anteil auf 15 % geschätzt. Das ist wahrscheinlich viel zu niedrig, soll hier aber bewusst so angesetzt werden, um ein Worst-Case-Szenario durchrechnen zu können. In weiteren Rechenmodellen wird diese Variable ( „ inaktive registrierte P rostituierte“ ) mit 25 % und 35 % angesetzt. Selbst letzteres könnte noch zu niedrig gegriffen sein, es soll aber hier vermieden werden, Szenarien durchzurechnen, die von zu optimistischen Prämissen ausgehen könnten (Definition pessimistisch/optimistisch siehe oben). Der Anteil der inaktiven registrierten Prostituierten wird daher als eine Variable angesetzt, die mit drei Werten (15 %, 25 %, 35 %) durchgerechnet wird. Variable 2 Eine zweite Variable stellt der Anteil der Prostituierten dar, mit denen Freier in Gruppe-B-Locations/Settings sexuelle Kontakte angaben, die aber nicht als Prostituierte registriert und daher auch nicht in der amtlichen Statistik enthalten sind. Während für Paysex-Kontakte in Gruppe-A-Locations diese Quote viereinhalb Jahre nach Inkrafttreten des ProstSchG als 100 % oder sehr nahe an 100 % anzusetzen ist 12 (hier wird mit 100 % gerechnet), gibt es für Prostituierte aus Gruppe-B-Settings nicht mal andeutungsweise Hinweise, wie groß man dort den Anteil der Unregistrierten einschätzen könnte. Wie bereits oben erwähnt, sind Erfahrungen der Ordnungsämter dabei auch nicht hilfreich, weil sie vor allem bevorzugt nach unregistrierten Prostituierten suchen dürften und Prostituierte, die ihnen schon unaufgefordert die Anmeldebescheinigung zeigen, wahrscheinlich statistisch nicht oder nicht so vollständig erfassen werden wie diejenigen, die unregistriert sind und damit einem Ordnungswidrigkeitsverfahren unterzogen werden. Die Quote der unregistrierten Prostituierten in Gruppe-B-Settings liegt also irgendwo zwischen 0 % und 100 %. Dabei sind beide Grenzwerte unrealistisch: wären alle Prostituierten wirklich registriert, gäbe es keine Fälle, in denen Ordnungsämter ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einleiten oder zumindest die betreffenden Personen umgehend zum Gesundheitsamt und zur Registrierungsbehörde schicken, um, vor allem im Falle einer „Ersttat“, ein Bußgeld noch abwenden zu können oder nur ein besonders niedriges, symbolisches Bußgeld zahlen zu müssen, weil sie sich ab jetzt an das Gesetz halten. Auf der anderen Seite kann man aber auch nicht davon ausgehen, dass alle Prostituierte in Gruppe-B-Settings nicht registriert sind. Schließlich müssen sie an bekannten und sichtbaren Gruppe-B-Settings wie z.B. Straßenstrich oder Wohnwagen, aber auch in im Internet beworbenen Wohnungen jederzeit mit Kontrollen rechnen, sei es durch Ordnungsamt oder auch Polizei. Beide Grenzwerte (0 % und 100 %) sind also unrealistisch (in der Tabelle 1 und 2 grau hinterlegt). Es gibt aber keine Daten, die eine genauere Festlegung der Registrierungsquote der Prostituierten der Gruppe-B-Settings erlauben. Da lediglich die Grenzwerte absolut unrealistisch sind, wird hier ein breites Feld von 10 bis 90 % unregistrierter Prostituierter in diesen Settings für die Hochrechnungen zugrunde gelegt. 90 % wird als das pessimistischste, 10 % als das optimistischste Szenario gesehen. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen, wobei es unklar bleibt, in welchem Bereich dieses großen Spektrums sie anzusiedeln wäre. Insofern geht die Variable „Anteil der unregistrierten Prostituierten in Gruppe -B- Settings“ mit den Werten 10 %, 30 %, 50 %, 70 % und 90 % in die Berechnungen ein, um alle denkbaren Möglichkeiten abzubilden. Variable 3 Bei der ersten Befragung Ende 2017 fanden 53,4 % aller Paysex-Kontakte in Gruppe-A-Locations statt, bei der zweiten Befragung zwei Jahre später nur noch 36,2% der Kontakte. Ende 2017 war das ProstSchG zwar schon einige Monate in Kraft, aufgrund des kurzfristigen Inkrafttretens waren die Behörden aber noch nicht personell und organisatorisch auf den Umgang mit dem ProstSchG vorbereitet, so dass Prostituierte in der Regel in diesem Zeitraum auch noch ohne Anmeldung weiter arbeiten konnten und daher auch Prostitutionsstätten noch Prostituierte ohne Anmeldebescheinigung aufnehmen durften, ohne negative Konsequenzen befürchten zu müssen. 13 Zwei Jahre später war dies natürlich völlig anders und das ProstSchG mit allen Elementen sowohl in Hinblick auf die Prostituierten wie die Betreiber/Betriebsstätten voll umgesetzt. Die Verschiebung des Anteils der Paysex-Kontakte aus Gruppe-A- Locations in Gruppe-B-Settings (53,4 % → 36,2 % Gruppe A) könnte eine direkte Folge des ProstSchG sein: wenn ein Teil der Prostituierten sich nicht registrieren lassen wollte und daher die Tätigkeit in Gruppe-A-Locations gezwungenermaßen aufgeben musste (weil der Betreiber dies nicht tolerieren kann) und daher in solche Gruppe-B-Settings auswich, wo kein Betreiber den Zutritt aktiv verwehren konnte. Dies würde auch dem Effekt entsprechen, der während der Corona-Pandemie beobachtet wurde, als Prostitutionsstätten geschlossen waren, die Prostitution „draußen“ in schwer kontrollierbaren Settings (die allesamt der Gruppe B zuzuordnen waren) aber weiter betrieben wurde. Dies wäre auch eine Entwicklung, die im Falle eines Sexkaufverbots zwangsläufig einsetzen würde, da dann alle Gruppe-A- Locations unverzüglich geschlossen würden (da leicht kontrollierbar) und sich die Prostitution dann endgültig und vollständig in solche Settings aus der Gruppe B verlagern würde, die nicht oder nur sehr schwer kontrollierbar sind. Zwischen 2017 und 2019 wurde die erkennbare Verlagerung von Gruppe-A- zu Gruppe-B-Settings wahrscheinlich von den Prostituierten selbst betrieben, konkret von jenen Prostituierten, die sich nicht registrieren lassen wollten. Für die Freier ist der Registrierungsstatus der Prostituierten egal und rechtlich völlig irrelevant. Während des Corona-Lockdowns war wegen des Schließens der Gruppe-A- Locations die Verlagerung sowohl von der Angebots- wie von der Nachfrageseite betrieben; je nach aktuellem bundesweitem oder lokalem Corona-Reglement gingen jetzt unter Umständen sogar beide Seiten ein rechtliches Risiko ein. Dies entspräche insofern dann auch der Situation im Sexkaufverbot, wo das Schließen der Gruppe-A- Locations (die unter diesen Bedingungen nicht mehr betrieben werden könnten) eine vollständige Verlagerung der Prostitution in Gruppe-B-Locations nötig macht, diesmal dann allerdings nur mit strafrechtlichem Risiko für die Männer (aber dafür vielen anderen Risiken für die Prostituierten selbst). Ein kleiner Teil der Unterschiede der Ergebnisse zwischen der Befragung 2017 und 2019 könnte allerdings auch auf Abweichungen in den vorgegebenen Auswahlkategorien beruhen. So wurde 2017 konkret nach Wohnungs- bordellen/Wohnungspuffs gefragt, 2019 gab es diese Kategorie aufgrund der o.g. methodischen Limitationen der Software (mit nur 10 Antwortmöglichkeiten) nicht, weil einige andere Locations diesmal näher beleuchtet werden sollten. 2019 könnte daher in einigen Fällen Paysex in Wohnungs-Bordellen/-Puffs als „ Dienstwohnung mehrerer DLs“ klassifiziert und daher bei der Auswertung dann der Gruppe B zugeordnet worden sein. Daher könnte der Anteil der Paysex-Kontakte in Gruppe-A-Locations bei der Umfrage 2019 etwas unterschätzt worden sein (was zu einer „pessimistischen“ Verzerrung, also leicht überhöhten Hochrechnungen, führen würde). Die Grundtendenz einer deutlichen Verschiebung von Gruppe-A- zu Gruppe-B-Settings kann dies aber nicht erklären; sie muss den Auswirkungen des Vollzugs des ProstSchG angelastet werden. 14 Aus diesem Grund gibt es zwei verschiedene Hochrechnungen. Die erste beruht auf den aggregierten Ergebnissen von 2017 und 2019, die zweite ausschließlich auf der Umfrage von 2019, die der Situation nach voller Umsetzung des behördlichen Vollzugs des ProstSchG besser gerecht wird als die Umfrage von 2017. Variable 1 wird also mit 3 Werten angesetzt, Variable 2 mit 5 Werten (ohne die Grenzwerte 0 % und 100 %), Variable 3 hat zwei Ausprägungen. Damit ergeben sich jeweils insgesamt 3 x 5 x 2 = 30 Hochrechnungsszenarien für die Anzahl der aktiven Prostituierten um den Stichtag 31.12.2021 und 31.12.2022 herum (s. Tabellen 1 und 2). In der weiteren Darstellung und Diskussion der Ergebnisse wird nur auf die neuesten Zahlen (31.12.2022) abgestellt. Für diesen Stichtag (31.12.2022) ergibt die Hochrechnung ein breites Spektrum von 19484 bis 56485 aktiven Prostituierten, mit einer Spanne, die etwa doppelt so groß ist wie der Mindestwert. Diese breite Spanne ist dem Umstand geschuldet, dass überall dort, wo Unsicherheiten herrschten, mit maximal breit angesetzten Variablen kalkuliert wurde, die sowohl optimistische wie sehr pessimistische Szenarien abbilden. Dies hat zur Folge, dass das Gesamtergebnis der Hochrechnung ebenfalls eine breite Spanne aufweist, bietet allerdings die Sicherheit, dass die tatsächliche Zahl mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb dieser Spanne liegt. Von den 30 Szenarien ergeben 7 Szenarien (23 %) eine Anzahl von weniger als 25000 und 7 Szenarien (23 %) eine Anzahl von mehr als 40000 Prostituierten. Die Mehrzahl der Szenarien (16/30) ergibt einen Wert zwischen 25000 und 40000. Es ist also wahrscheinlicher, dass die wahre Anzahl zum Stichtag 31.12.2022 innerhalb der Spanne 25000 – 40000 liegt, als dass sie darunter oder darüber liegt – auszuschließen ist dies aber nicht. Dagegen ist mit großer Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dass die wahre Zahl außerhalb der Gesamtspanne (19500 – 56500) liegt, da bei den in das Modell eingeführten Variablen extrem optimistische und extrem pessimistische Szenarien bereits Berücksichtigung fanden. 15 Tab. 1: Hochrechnung der um den Stichtag 31.12.2021 in Deutschland aktiven Prostituierten in Abhängigkeit (a) vom Anteil der inaktiven registrierten Prostituierten, (b) dem Anteil der nicht registrierten Prostituierten in Gruppe-B-Settings, und (c) der zugrundeliegenden Umfrage (2017+2019 aggregiert oben, nur 2019 unten). Grau hinterlegte Werte gelten als absolut unrealistische Szenarien. Die Multiplikatoren zwischen 1,00 und 2,36 bzw. 2,79 geben an, mit welcher Zahl die Anzahl der aktiven registrierten Prostituierten in dem jeweiligen Szenario zu multiplizieren ist, um die Gesamtzahl der aktiven (registrierten + unregistrierten) Prostituierten im jeweiligen Szenario zu ermitteln. Tab. 2: Wie Tabelle 1, Hochrechnung auf den Stichtag 31.12.2022 16 Diskussion Aus (a) der offiziellen amtlichen Anzahl der zum 31.12.2021 bzw. 31.12.2022 in Deutschland registrierten Prostituierten aller Geschlechter, (b) Angaben der Freier zum Ort/Setting der letzten (jüngsten) Inanspruchnahme von Paysex, (c) der Annahme, dass in offiziellen, von Betreibern geführten Prostitutionsbetrieben nur registrierte Prostituierte ihre Dienst anbieten können, weil anderen