Sara Bachmann / Franziska Bertschy Christine Künzli David / Tobias Leonhard Ruth Peyer (Hrsg.) Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten Perspektiven auf Fachlichkeit im Studium zur Lehrperson für Kindergarten und Primarschule Studien zur Professionsforschung Studien zur Professionsforschung und Lehrerbildung und Lehrerbildung Bachmann / Bertschy / Künzli David / Leonhard / Peyer Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten Studien zur Professionsforschung und Lehrerbildung Herausgegeben von Till-Sebastian Idel, Manuela Keller-Schneider, Katharina Kunze und Christian Reintjes Sara Bachmann Franziska Bertschy Christine Künzli David Tobias Leonhard Ruth Peyer (Hrsg.) Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten Perspektiven auf Fachlichkeit im Studium zur Lehrperson für Kindergarten und Primarschule Festschrift für Frau Prof. Dr. Charlotte Müller anlässlich ihrer Emeritierung als Leiterin des Instituts Kindergarten-/Unterstufe Verlag Julius Klinkhardt Bad Heilbrunn • 2021 Dieser Titel wurde in das Programm des Verlages mittels eines Peer-Review-Verfahrens aufgenommen. Für weitere Informationen siehe www.klinkhardt.de. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de. 2021.ig. © by Julius Klinkhardt. Foto Umschlagseite 1: © Theo Gamper, Solothurn/Tobias Leonhard. Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten. Printed in Germany 2021. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem alterungsbeständigem Papier. Die Publikation (mit Ausnahme aller Fotos, Grafiken und Abbildungen) ist veröffent- licht unter der Creative Commons-Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0 International https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0/ ISBN 978-3-7815-5860-1 digital doi.org/10.35468/5860 ISBN 978-3-7815-2455-2 Die Herausgabe des Bandes wurde von der Pädagogischen Hochschule FHNW finanziert. Prof. Dr. Charlotte Müller Leiterin des Instituts Kindergarten-/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW von 2009 bis 2021 | 7 Inhaltsverzeichnis Vorworte Sabina Larcher Klee ‚Vielfachlichkeit und Eigensinniges‘ ................................................................ 9 Sara Bachmann, Franziska Bertschy, Christine Künzli David, Tobias Leonhard und Ruth Peyer „Ich will jetzt endlich mal die Plots sehen!“ ....................................................11 Teil 1: Einführung und Problemaufriss Sara Bachmann, Franziska Bertschy, Christine Künzli David, Tobias Leonhard und Ruth Peyer Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten Einleitung, Problemaufriss und Fragehorizont ............................................... 17 Teil 2: Fachliche Perspektiven auf generalistische Handlungsanforderungen Barbara Wyss Flirten mit der Vernunft Weltzugang und Welterzeugung durch Ästhetische Bildung Bildnerisches und Technisches Gestalten im Zyklus 1 .................................... 41 Elke Gramespacher, Susanne Störch Mehring, Zita Bucher und Claudia Klostermann Bewegungsbildung für Kinder: Für „Generalistinnen“ und „Generalisten“ nicht nur eine sportdidaktische Herausforderung! ................................................................ 63 Mathilde Gyger Zugänge zur Welt: sprachlich realisiert und didaktisch reflektiert Sprachliche Bildung im Zyklus 1 ................................................................... 85 8 | Inhaltsverzeichnis Christine Streit und Thomas Royar Zahlen, Formen und Beziehungen Lernen und Lehren von Mathematik im Zyklus 1 ....................................... 102 Jürg Zurmühle Musik im Kindergarten und in der Unterstufe der Primarschule ................. 121 Franziska Bertschy Vielperspektivität und Perspektivenverbindung Bildungsprozesse im Sachunterricht ermöglichen ........................................ 141 Teil 3: Konzeptionen zur Stiftung einer professionsspezifischen Kultur von Fachlichkeit für den Zyklus 1 Christine Künzli David und Edwin J. de Sterke Mehr als Fachlichkeit Transversales Unterrichten als Spezifik einer Didaktik des Zyklus 1 und als verbindendes Konzept im Studiengang für Lehrpersonen dieser Stufe .................................................................................................. 165 Tobias Leonhard Fachlichkeit in zwei Praxen zur Geltung bringen Beiträge der Berufspraktischen Studien zur fachlichen Professionalisierung von Lehrpersonen des Zyklus 1 .................................... 194 Anja Blechschmidt und Leticia Venâncio Im Team für ALLE Kinder in der inklusiven Bildung unterwegs ................. 210 Nachwort Tobias Leonhard im Gespräch mit Charlotte Müller Dem Eigensinn Raum geben Annotationen zu Bildung in Kindergarten, Schule und Hochschule ............ 231 Autorinnen- und Autorenverzeichnis ........................................................ 249 | 9 doi.org/10.35468/5860-01 Vorworte Sabina Larcher Klee ‚Vielfachlichkeit und Eigensinniges‘ am Institut Kindergarten/Unterstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW Mit der Einführung des Lehrplans 21 in der Deutschschweiz wurde der Kinder- garten mit den ersten beiden Jahren der Primarschule zum Zyklus 1 verbunden. Diese Schulstufe nicht als blosse Addition von gelebten Traditionen, diversen Kulturen, praktizierten Modellen und Bildungsinhalten zu verstehen, sondern als ‚neue‘ Einheit einer vierjährigen Bildungszeit von Kindern zu denken und zu realisieren, benötigt Innovation und Weiterentwicklung, so Sörensen Criblez und Wannack, im Jahr 2006. Damit wurden breite Diskussionen und das Weiterdenken von Themen zu alters- gemässen Lernformen für 4- bis 8-jährige Kinder, zu Potentialen und Chancen der Zyklus 1 oder zu Fragen von Transitionen in einer Schulstufe aufgeworfen, die längst nicht abgeschlossen sind. Dazu gehörten und gehören auch Überlegungen zu einer veränderten Verfasst- heit von Professionalität der Lehrerinnen und Lehrer des Zyklus 1. Obwohl dies bereits im Dossier 57a der EDK 1 grundgelegt war – verlangte dieses doch 1999 mit Blick auf die Harmonisierung des schweizerischen Schulsystems deutlich und dezidiert, die professionelle Lehrperson in den Mittelpunkt von Konzepten zur veränderten Zielstufe zu stellen – kamen die engagiert diskutierten Fragen, wie allgemein bzw. wie spezifisch angehende Lehrpersonen ausgebildet werden sollen, kaum über polarisierende Haltungen hinaus. Heute, zwanzig Jahre später und nach der Einführung des Lehrplan 21 in den Kantonen der Deutschschweiz, zeigt sich der Diskurs um die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen auf dieser Bil- dungsstufe (Edelmann et al. 2019, 29), die an lebensweltlich bedeutsamen Fragen und Tätigkeiten der Kinder orientiert ist (vgl. Bachmann et al. in diesem Band), nach wie vor sehr lebendig, jedoch facettenreicher. Unter der Leitung von Prof. Dr. Charlotte Müller hat sich das Institut Kindergar- ten/Unterstufe der PH FHNW in den letzten neun Jahren in diese Debatten, in 1 Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) 10 | Sabina Larcher Klee doi.org/10.35468/5860-01 das Weiterdenken der Themen zum Zyklus 1 aktiv ‚eingemischt‘, hat um Positi- onen gestritten und gerungen, immer wieder wichtige und gewichtige Konzepte vorgelegt und dabei die ‚blosse Addition‘ vermieden, davon zeugt diese Festschrift eindrücklich. In den Beiträgen wird die ‚originäre Perspektive‘ der Kolleginnen und Kollegen des Instituts deutlich: Sie nimmt zum einen die Spannungsfelder für die dem Anspruch nach generalistischen Lehrpersonen der Schuleingangsstufe und ihre vielfachlich angelegte Ausbildung in den Blick (Burren/Lüscher/Künzli David 2018), und zeigt sich zum andern für die Diskussion um Modelle der Lehrer*innenbildung des Zyklus 1 offen und stellt sie dem Fachdiskurs zur Ver- fügung. Diesen Raum zu ermöglichen und die teils höchst divergenten fachkulturellen Denk- und Zugangsweisen in konstruktive Verbindungen zu bringen, darauf ab- gestützte Studienkonzeptionen zu realisieren, in die hochschulweiten Debatten einzubringen und die wiederum eigensinnigen Kolleg*innen sowie Studierenden achtsam einzubinden, ist das grosse Verdienst von Frau Prof. Dr. Charlotte Mül- ler. Ihr ist es gelungen, die gesetzten Anforderungen ‚Innovation und Weiterden- ken‘ mit durchaus überraschenden, eigenartigen und störrischen Haltungen zu parieren, auch ausser Acht zu lassen, sie zu durchqueren und dabei im kollegialen Austausch eine Perspektive zu gewinnen, die den Zyklus 1 neu fasst. Kurz: Die PH FHNW hat zu danken für die jahrelange Hartnäckigkeit, die einen oder anderen Dinge eigensinnig in Bewegung bringen zu wollen und auch ge- bracht zu haben. Literatur Burren, S., Lüscher, M. & Künzli David, Ch. (2018): Professionalisierung von Generalist/innen? Spannungsfelder einer fachlich strukturierten Hochschulausbildung und einer vorfachlich ange- legten Unterrichtspraxis von Lehrpersonen in der Schuleingangsstufe. In: Zeitschrift für Grund- schulforschung, 11, 301-314. Edelmann D., Beeler, K., Krienbühl, M., Schletti, C. & Bertschinger, F. (2019): Der Eintritt in die Schule – eine Chance für alle. Eine Studie im Auftrag der Jacobs Foundation. [online]. Pädagogi- sche Hochschule Bern. Verfügbar unter: www.phbern.ch/Transition Sörensen Criblez, B. & Wannack, E. (2006): Lehrpersonen für vier- bis achtjährige Kinder – zwischen Tradition und Innovation. In: Beiträge zur Lehrerinnen- und Lehrerbildung 24 (2), 177-182. | 11 doi.org/10.35468/5860-02 Sara Bachmann, Franziska Bertschy, Christine Künzli David, Tobias Leonhard und Ruth Peyer „Ich will jetzt endlich mal die Plots sehen!“ Die burschikose und zugleich mit einem Augenzwinkern verbundene Auffor- derung der Institutsleiterin Frau Prof. Dr. Charlotte Müller, „endlich mal die Plots“ der Studienfächer am Institut Kindergarten-/Unterstufe zu beschreiben, verweist darauf, dass der vorliegende Band eine längere Geschichte hat. Es ist die Geschichte einer institutsinternen Verständigung bezüglich zunehmend geteilter Vorstellungen zu einem ebenso akademischen wie berufsfeldbezogenen Studium zur Lehrperson des Zyklus 1. Dieser Anspruch der Verständigung ist keineswegs selbstverständlich. Gerade in einer Hochschulstruktur, in der innerhalb des Instituts Kindergarten-/Un- terstufe der Pädagogischen Hochschule FHNW den einzelnen Organisations- einheiten mit dem sogenannten ‚Professurenmodell‘ Rolle und Auftrag als ‚Ex- pert*innenteams‘ zukommen, sind im Sinne einer „professional purity“ der darin vertretenen Disziplinen Verständigungsansprüche nicht zwingend präformiert. Im Band zeigt sich jedoch, dass Verständigung in dieser institutionellen Rahmung durchaus möglich und im Hinblick auf die gemeinsame Verantwortung für die Studienganggestaltung auch notwendig ist. Gleichwohl erfordert Verständigung im Hochschulkontext ein besonderes Mass an Beharrlichkeit – eine Eigenschaft, die wir als Herausgebende stellvertretend für unser Institut Frau Prof. Dr. Charlotte Müller als scheidender Institutsleiterin zweifelsohne zusprechen. Das im Titel angeführte Zitat von Charlotte Müller ist Ausdruck dieser Beharrlichkeit und des längeren Prozesses, in dem dieser Band einen Zwischenstand markiert. Der Band ist der Versuch, die ‚Plots‘ der Studi- enbereiche für einen Studiengang zu elaborieren und damit erstmals ausführlich nicht nur wechselseitig und institutsintern sichtbar zu machen, welchen Beitrag die einzelnen Studienbereiche für eine erfolgreiche Bewältigung der komplexen Unterrichtsgestaltung im ersten Zyklus leisten und welche Konsequenzen daraus für die Studienganggestaltung im Hinblick auf die Lehrer*innenbildung für die- sen Zyklus resultieren. Der Band ist zugleich der Versuch, einen international sichtbaren Beitrag zur Frage der Professionalisierung derjenigen Lehrer*innen zu leisten, deren Fachlichkeit als zentrales Element von Professionalität selten im Zentrum des Diskurses steht, die jedoch gleichwohl die Mehrheit der Leh- rer*innen repräsentieren und denen als ersten Vertreter*innen institutionalisierter 12 | S. Bachmann, F. Bertschy, C. Künzli David, T. Leonhard und R. Peyer doi.org/10.35468/5860-02 Bildung ein besonders massgeblicher Einfluss auf die Bildungsbiografien ihrer (jungen) Schüler*innen zukommt. War die Beharrlichkeit von Charlotte Müller, der wir diesen Band im Sinne einer Festschrift anlässlich ihrer Emeritierung widmen, eine notwendige Voraussetzung für dessen Entstehen, bildet sich eine weitere Eigenschaft der Protagonistin in diesem Band ebenso eindrücklich ab. Die Eigensinnigkeit prägte nicht nur die konstruktive Zusammenarbeit während der vergangenen elf Jahre; eine spezi- fische Eigensinnigkeit prägte auch den Prozess der Erarbeitung des Bandes und sie prägt auch die einzelnen Beiträge. Der Versuch, mit dem Band einen Beitrag zur Kohärenz des Studiengangs zur Lehrperson des ersten Zyklus zu leisten, steht in Spannung zu unterschiedlichen professionellen Überzeugungen der Akteurinnen und Akteure, die sich aus differenten Erfahrungshorizonten speisen. Er steht auch in Spannung zu differenten Fachkulturen und innerhalb derselben zu diversen disziplinären Schulen. „Eigensinnigkeit“ ist jedoch nicht nur eine sympathische, vielleicht auch als Euphemismus missbrauchte Kennzeichnung für Differenzen, sie ist vielmehr für den – eine Hochschule konstituierenden – akademischen Diskurs eine zwingend erforderliche Eigenschaft. Sie setzt dem mit der Idee von ‚Kohärenz‘ verbundenen Streben nach Einheitlichkeit und Zusammenhang das erforderliche Mass an Differenz, Widerspruch und Widerständigkeit entgegen und verhindert dadurch eine ‚unité de doctrine‘, einen Status, in dem vielleicht alle das Gleiche denken, zugleich aber nicht mehr viel gedacht wird. Den Eigensinn, den Charlotte Müller in ihrer Funktion als Institutsleiterin im- mer wieder diskursiv gegenüber manchen Initiativen der Hochschule und Initi- ativen von ausserhalb aufrief, gestand sie auch den Mitarbeitenden des Instituts zu und schuf damit eine ‚Firewall‘ gegen ein Übermass an Standardisierung und Organisationsanliegen. So beharrlich, wie sie an der Idee eines Studiums festhielt, das von Initiative, Wahl und Diskursivität geprägt sein müsse, schrieb sie den Eigensinn auch Studierenden unermüdlich als pädagogische Grundannahme ins Stammbuch. Die Unmöglichkeit, gerade mit jungen Kindern Unterricht ‚nach Plan zu pro- zessieren‘, ist für sie Ausgangspunkt einer Lehrer*innenbildung, die – gegenüber strukturellen Bedingungen des Aufwachsens hochsensibel – von der Überzeugung getragen ist, dass der Eigensinn der Schüler*innen viel mehr Ressource und Ge- winn als Zumutung für diejenigen Lehrer*innen ist, die aufgrund eines ernst- haften Studiums die notwendige Gelassenheit und Souveränität erworben haben, aus dem Eigensinn resultierende Überraschungen als Chance für Neues zu rah- men. Eigensinnigkeit ist daher zweifelsfrei auch den Beiträgen des Bandes zuzuschrei- ben. Die bei der Rezeption feststellbaren Differenzen in den Bezugnahmen und den an die Studierenden gestellten Erwartungshorizonten bilden damit einen Zwischenstand ab, dem intensive Vorarbeiten bezüglich der Zielperspektive, der | 13 Vorwort der Herausgeber*innen doi.org/10.35468/5860-02 Struktur und der verwendeten Terminologie vorausgingen. Inwieweit es in Zu- kunft gelingt, auf der Basis dieses Zwischenstands das Ausmass an Einverständnis und geteilten Positionen zu steigern, ist eine empirische Frage. Der Band könnte auch dazu beitragen, Differenzen sichtbar werden zu lassen und diese im Sinne einer geklärten Vielfalt aufrechtzuerhalten und argumentativ zu vertreten – auch dies wäre eine hochschuladäquate Position. Als Herausgeber*innen und im Namen aller Autorinnen und Autoren des Bandes antworten wir auf die bisweilen drängende Frage nach „den Plots“ mit einem herzlichen „et voilà!“. Wir danken allen Beteiligten für die bereichernde und verlässliche Zusammenar- beit bei der Erstellung des Bandes. Charlotte Müller danken wir sehr herzlich für die Jahre der Zusammenarbeit am Institut Kindergarten-/Unterstufe und wün- schen ihr, dass sie zukünftig eigensinnigen Herzensanliegen mit mehr Zeit beharr- lich wird nachgehen können. Teil 1 Einführung und Problemaufriss | 17 doi.org/10.35468/5860-03 Sara Bachmann, Franziska Bertschy, Christine Künzli David, Tobias Leonhard und Ruth Peyer Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten Einleitung, Problemaufriss und Fragehorizont 1 Ausgangslage und Einführung In den deutschsprachigen Ländern unterrichten Lehrpersonen im Elementar- und Grundschulunterricht 1 in der Regel alle oder zumindest einen Grossteil der schu- lischen Fachbereiche und sind damit für die Anregung umfassender Bildungs- prozesse ihrer Schüler*innen verantwortlich. Mit einer solchen gelebten – auch Traditionen und pragmatischen Anstellungsüberlegungen geschuldeten – Praxis korrespondiert zugleich ein doppelter bildungspolitscher Anspruch an diese Leh- rer*innen: Zum einen wird die Bedeutung weniger zentraler Bezugspersonen für Kinder dieser Altersstufen angeführt, zum anderen wird argumentiert, dass oftmals nicht nach einzelnen Fachbereichen getrennt, sondern fachbereichsver- bindend unterrichtet werden soll und den Kindern vielschichtige Explorationen ermöglicht werden sollen. Ein solcher Anspruch wird beispielsweise in grundle- genden Dokumenten der deutschen Kultusministerkonferenz (KMK) ersichtlich, wo betont wird, dass in der Grundschule im „Kontext aller Fächer [...] fach- übergreifendes und fächerverbindendes Arbeiten handlungsleitend“ sei (KMK 2019, 111). In der Schweiz zeigt sich die Sachlage sogar akzentuiert, da der für die Kantone der Deutschschweiz gültige Lehrplan 21 den Kindergarten gemeinsam mit den ersten beiden Jahren der Primarschule zum Zyklus 1 der obligatorischen Schulzeit zusammenfasst. In diesem Lehrplan wird programmatisch „aufgezeigt, wie Kompetenzen über die ganze Schulzeit – vom Kindergarten bis zum Ende der Volksschule – aufgebaut werden [sollen]. Neu wird der Kompetenzerwerb damit auch für den Kindergarten nach Fachbereichen strukturiert und beschrieben. Der Unterricht im 1. Zyklus orientiert sich allerdings stark an der Entwicklung der Kinder und wird vor allem zu Beginn fächerübergreifend organisiert und gestal- tet“ (D-EDK 2016, 24). 1 Die Bezeichnung der Schulen, Schulstufen und darauf bezogenen Ausbildungs- und Studiengänge variiert in den deutschsprachigen Ländern wesentlich. Die Aussagen des Bandes beziehen sich so- wohl auf den meist zweijährigen und in der Schweiz auch obligatorischen Kindergarten als auch auf die Primarschule, wo in der Schweiz Schüler*innen bis zur 6. Klasse unterrichtet werden. Im Zen- trum der Aussagen steht der sogenannte Zyklus 1, d.h. der erste vierjährige Zyklus institutionali- sierter Bildung, der zwei Jahre Kindergarten sowie die ersten beiden Jahre der Primarschule umfasst. 18 | S. Bachmann, F. Bertschy, C. Künzli David, T. Leonhard und R. Peyer doi.org/10.35468/5860-03 Diese schweizerische Situation, die sich mit der Schaffung eines ersten Zyklus im Bildungssystem ergeben hat, kann als Zuspitzung einer generellen Herausforde- rung betrachtet werden: Der Lehrplan gibt dem Anliegen einer „didaktisch-me- thodischen Gestaltung von Kontinuität und Anschlussfähigkeit“ (Reyer/Franke Meyer 2010, 737) zwischen Elementar- und Primarbereich, das die wissenschaft- liche früh- und grundschulpädagogische Diskussion und Literatur seit längerer Zeit beschäftigt, einen bildungspolitischen Auftrag (vgl. dazu auch den Beitrag von Künzli David/de Sterke in diesem Band). Er ermöglicht und beschleunigt durch die Zusammenführung des Kindergartens mit den ersten Jahren der Pri- marschule daher Entwicklungen, die über den nationalen Kontext hinaus von Interesse sind. Die bisherigen Ausführungen zeigen: Auch wenn ‚Fächerverbindung‘ als zentrales Prinzip der Unterrichtsgestaltung des ersten Zyklus gilt und sich der Unterricht oftmals nicht aufgrund der Logik einzelner Fächer konstituiert, bleibt als we- sentlicher Anspruch dennoch die Einführung in die Fachbereiche, d.h. in deren unterschiedliche Modi der Welterschliessung (Dressler 2013, 2018) sowie in die Kulturtechniken. Auch im Diskurs zur Professionalisierung von Lehrpersonen wird Fachlichkeit im Hinblick auf die Herausbildung eines spezifischen Profes- sionshabitus intensiv diskutiert (Bonnet 2019, 2020; Hericks/Keller-Schneider/ Meseth/Rauschenberg 2020). Wenn dabei aber der „Erwerb einer berufsfeldbe- zogenen reflektierten Fachlichkeit als zentrales Element von Professionalität und Professionalisierung“ (Bonnet 2019, 164) gekennzeichnet und als ein wesent- licher Teil der Identität von Lehrpersonen dargestellt wird, bezieht sich dies in den meisten Fällen auf Studierende des Lehrberufs bzw. angehende Lehrpersonen, die (wie im Gymnasium) ein oder zwei Fächer studieren. Für Lehrpersonen des Elementar- und Grundschulbereichs, also für diejenigen, die nach dem Abschluss des Studiums im Grunde ‚alles‘ unterrichten können müssen und deren Un- terricht sich – wie erwähnt – auch nicht in erster Linie an der Logik einzelner Fachbereiche orientiert, stellt sich die Frage anders. Welche identitätsstiftende Fachlichkeit lässt sich für diese Lehrpersonen konzipieren, wenn sie sich nicht an einzelnen Fachbereichen orientieren kann? Interessanterweise lässt sich in den bisherigen Publikationen – falls die Frage überhaupt thematisiert wird – sogar feststellen, dass Fachlichkeit zwar als identitätsbildendes Element insbesondere von Gymnasiallehrpersonen betont wird (Huber 2001; König 2015), den Primar- bzw. Grundschullehrpersonen jedoch ohne Begründung die Notwendigkeit einer Fachlichkeit abgesprochen wird: „[...] insbesondere in den unteren Jahrgangsstu- fen [stellt] sich die Frage [...], ob bestimmte Fächer (z.B. Sachunterricht) nicht ebenso gut von fachlichen Laien unterrichtet werden könnten“ (Hericks et al. | 19 Die Bildung der Generalistinnen und Generalisten doi.org/10.35468/5860-03 2020, 10). 2 Auch Scheid (2020, 171, Hervorhebung im Original) argumentiert, „man [könne] mit guten Gründen dafür werben, dass gerade Lehrerinnen und Lehrer der Primarschule einfach irgendein konsistentes, wissenschaftsorientiertes Studium abgeschlossen haben müssen, wenngleich es sicher von Vorteil ist, wenn auch hier ein Unterrichtsfach studiert wurde“. Die Zielperspektive des vorliegenden Bandes ist jedoch eine andere, weil die hier kurz referenzierten Lösungen den Herausgebenden wie auch den Autorinnen und Autoren zu einfach erscheinen. Die Beiträge des Bandes fragen danach, wie Lehr- personen des ersten Zyklus im Rahmen eines Studiums 3 auf eine oftmals nicht einzelfachlich konstituierte Unterrichtsrealität vorbereitet werden können, in der eine Vielzahl von Fachbereichen dennoch eine zentrale Rolle spielt. Damit wird nach dem Aufbau eines professionellen Selbstverständnisses im Hinblick auf das Verhältnis bzw. das Zusammenspiel von fachbereichsspezifischer Expertise und generalistischer Unterrichtsgestaltung und damit verbunden nach dem spezi- fischen Professionshabitus von Generalistinnen und Generalisten gefragt. Daraus ergeben sich folgende zwei Hauptfragestellungen, die zugleich den Frage- horizont des vorliegenden Beitrags sowie des gesamten Bandes aufspannen, ohne diese Fragen abschliessend klären zu können: Fragehorizont 1 fokussiert auf die Bedeutung von Fachlichkeit für die Professionalität von Generalistinnen und Ge- neralisten des Zyklus 1: Wie konturiert sich Professionalität von Lehrpersonen im Hinblick auf die Fachlichkeit in einem Schulzyklus, in welchem sich der Un- terricht nicht hauptsächlich aufgrund der Logik der Fachbereiche konstituiert, sondern an lebensweltlich bedeutsamen Fragestellungen sowie an den Tätigkeiten der Kinder orientiert ist und in welchem fachliches Lernen und eine Einführung in die Fachbereiche als kulturbedingt zentrale Weltzugänge aber dennoch eine wesentliche Rolle spielen (vgl. ausführlich Abschnitt 2.1)? Fragehorizont 2 geht den Implikationen einer solchen Ausprägung von Professi- onalität für die Studienganggestaltung nach: Wie entwickelt sich Professionalität von angehenden Lehrpersonen im Zyklus 1 in einem mehrheitlich nach Fachbe- reichen organisierten Studiengang bzw. wie lassen sich in einem so organisierten Studium ein defizitäres Selbstkonzept als „Universaldilettantin“ bzw. „Universal- dilettant“ einerseits und überfordernde Ansprüche nicht einzulösender „Omni- potenz“ andererseits vermeiden (Künzli David/Bertschy/Leonhard/Müller 2020)? Diese Fragehorizonte sind Ergebnis bestimmter Positionierungen und studien- gangspezifischer Anforderungen, die mit dem einleitenden Beitrag verdeutlicht 2 Diese Aussagen beziehen sich auf Publikationen, die auf einer übergeordneten Ebene Fragen der Bedeutung der Fachlichkeit für die Professionalität von Lehrpersonen behandeln. In fachdidak- tischen Publikationen ist die Bedeutung des Fachwissens von Lehrpersonen für die Gestaltung von Fachunterricht hingegen meist unbestritten. 3 In der Schweiz verschärft durch die Kürze eines Bachelorstudiums ohne anschliessendes Referen- dariat.