Mittheilungen über die in Ob er s c h l e s i e n h e r r s c h e n d e Typhus - Epidemie. Von D r . K . V l r e h o w , P r o s e c l o r a. d. CharUi>-Krankenhause und P r i v a t d o c e n l e n a. d. Universität zu Berlin. (Aus dem Archiv fiir patli. Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Bd. II. Heft 1.) B e r l i n , Verlag von G . R e i m e r . 1848. Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM I m Anfange dieses J a h r e s wurden die Zeitungsberichte über eine in Oberschlesien ausgebrochene verheerende Krankheit, welche bis dahin nur vereinzelt gekommen waren, immer zahl- reicher und dringender. Das preufsische Ministerium der geist- lichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten empfing nichtsdestoweniger von den Local-Medicinalbehörden nicht nur keinerlei Berichte über die Natur dieser Krankheit, sondern nicht einmal eine Anzeige ihres Bestehens. Als daher die P r e s s e immer schrecklichere Detail-Nachrichten über diesen Hungertyphus publicirte, als schon ganz Deutschland von dem Hülferuf für die von Hunger und S e u c h e heimgesuchten Be- w o h n e r der Kreise Rybnik und Pless wiederhallte, und als endlich selbst das Ministerium des Inneren sich g e z w u n g e n gesehen hatte, aus der Indolenz, die es bis dahin den Forde- rungen der Civilbehörden entgegengesetzt hatte, herauszutreten so beauftragte auch der Cultusminister den Herrn Geheimen Ober-Medicinalrath D r . B a r e z , „nach Oberschlesien abzugehen, um von der dort ausgebrochenen T y p h u s - Epidemie und den gegen dieselbe getroffenen Maafsregeln nähere Kenntnifs zu nehmen, auch den betreffenden anordnenden und ausführenden I * Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 4 B e h ö r d e n überall, w o es ihm erforderlich zu sein schiene, mit R a l h und T h a l an die H a n d zu g e h e n . " D e r Minister des I n n e r n w e i g e r t e sich, H e r r n B a r e z V o l l m a c h t e n zum w i r k - lichen Eingreifen m i t z u g e b e n . — U n t e r dein 18. F e b r . erhielt der B e r i c h t e r s t a t t e r gleichfalls den A u f t r a g von dem C u l l u s - minister, sich in die vom T y p h u s h e i m g e s u c h t e n G e g e n d e n zu b e g e b e n . H e r r B a r e z „ w ü r d e zu sehr in A n s p r u c h g e n o m - m e n w e r d e n , als dafs er Mulse g e n u g übrig behalten sollte, die E p i d e m i e v o r z u g s w e i s e im wissenschaftlichen Interesse ei- n e r n ä h e r e n U n t e r s u c h u n g zu u n t e r w e r f e n ; gleichwohl sei es f ü r den d e m C u l t u s m i n i s t e r a n v e r t r a u t e n T h e i l d e r Medicinal- V e r w a i t u n g wichtig, dafs die N a t u r der mit so grofser G e w a l t a u f g e t r e t e n e n E p i d e m i e a u c h in w i s s e n s c h a f t l i c h e r B e z i e h u n g in e i n e r möglichst g r ü n d l i c h e n und E r f o l g v e r s p r e c h e n d e n W e i s e u n t e r s u c h t w e r d e . " Diese U n t e r s u c h u n g w u r d e mir a u f g e t r a g e n . D e i n g e m ä f s trat ich gemeinschaftlich mit H e r r n B a r e z am 20. F e b r . die R e i s e a n ; am 22. k a m e n wir nach R a t i b o r , gingen am 23. n a c h R y b n i k , b e s u c h t e n von da a m 24. Radiin und Loslau, a m 25. Geikowitz und Sniollna, g i n g e n a m 26. ü b e r S o h r a u n a c h P l e s s u n d m a c h t e n von da am 28. einen B e s u c h in L o n k a u . H r . B a r e z trat dann am 29. ü b e r Nicolai und Gleiwilz seinen R ü c k w e g nach Berlin an, w ä h r e n d ich n a c h S o h r a u z u r ü c k k e h r t e und dort bis z u m 7. März v e r - weilte. An diesem T a g e begab ich mich nach R y b n i k z u r ü c k , ging a m 8. n a c h Gleiwilz und traf am 10. w i e d e r in Berlin ein. D i e Resultate, w e l c h e mir diese R e i s e g e w ä h r t e , mufsten natürlich in vielen B e z i e h u n g e n unvollständig sein u n d der n a c h s t e h e n d e Bericht m a c h t in keiner W e i s e den A n s p r u c h , eine u m f a s s e n d e oder a u c h nur ausreichende B e s c h r e i b u n g der E p i d e m i e vorzustellen. Allein die aufserordentliche G l e i c h - mäfsigkeit der oberscblesischen Z u s t ä n d e , die grofse U e b e r e i n - s t i m m u n g in der E r s c h e i n u n g s w e i s e der K r a n k h e i t , die grofse Z a h l d e r gleichzeitig und an demselben Ort E r k r a n k t e n , e n d - lich das ü b e r a u s freundliche E n t g e g e n k o m m e n der einheimi- schen Aerzte und die bereitwillige U n t e r s t ü t z u n g der Local- b e h ü r d e n , denen beiden ich hiermit ineinen herzlichsten D a n k Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 5 sage, machten es mir trotz der Kürze der Zeit möglich, die wesentlichsten Punkte ziemlich klar zu übersehen. Sehr gern hätte ich noch einige, besonders wichtige Fragen zur Entschei- dung zu bringen gesucht, allein die mittlerweile ausgebrochene politische Erhebung machte es für mich wünschenswerth, an den Bewegungen der Hauptstadt Theil zu n e h m e n , und ich durfte mir aufserdem nicht verhehlen, dafs, um jene Fragen zu entscheiden, ich eine günstige Gelegenheit abwarten müsse, von der ich nicht wissen konnte, ob sie überhaupt eintreten würde. Bei der grofsen Zahl der seitdem nach Oberschlesien geschickten Aerzte werden sich gewifs solche finden, die meine Angaben, wo sie lückenhaft sind, vervollständigen und wo sie etwa fehlerhaft sein sollten, berichtigen werden. Ihre Rück- kehr abzuwarten, scheint mir deshalb nicht gerathen, weil das Interesse, welches das ärztliche Publikum an dieser Frage nimmt, eine baldige Befriedigung erheischt. Z u m Theil habe ich meiner Pflicht in dieser Richtung schon in einem Vortrage g e n ü g t , den ich am 15. März in der Gesellschaft für wissen- schaftliche Medicin gehalten habe und an dessen Gang ich mich auch hier anschliefse. 1. D a s L a n d u n d s e i n e B e w o h n e r . Oberschlesien (Regierungsbezirk Oppeln) umfafst den süd- lich von der Neifse und dem Stober gelegenen Theil von Schlesien. Die Kreise Rybnik und Pless bilden das südlichste Stück davon, welches unmittelbar an der Grenze von Galizien und Oestereichisch Schlesien zwischen 36 und 37° östlicher L ä n g e , 49,9 und 50,3° nördlicher Breite zwischen dem ober- sten Theil des Slromlaufes der Oder und Weichsel sich aus- dehnt — ein Flächenraum von etwa 35 Quadratmeilen. Das Land bildet hier ein vielfach durchschnittenes zerrissenes Hoch- plateau, dessen Elevation über der Ostsee durchschnittlich 900 1000' beträgt.*) Die Wasserscheide zwischen Oder und *) Ich folge liier in meinen Angaben hauptsächlich dein Kalender f ü r den Oberschlesischen Bergmann auf das Rechnungsjahr 1845, (Zwei- ter J a h r g a n g ) herausgegeben von R. v. C a r n a l l , wo pag. 27 sq. das aufgeschwemmte Gebirge von Oberschlesien abgehandelt ist. Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 6 W e i c h s e l , welche dasselbe mitten durchzieht, tritt im Allge- meinen wenig hervor ; in der Gegend von Sohrau, wo sie ganz aus aufgeschwemmtem Land besteht, erreicht sie eine Höhe von nur 9 4 8 ' ; nach beiden Seiten hin, besonders ostwärts ge- gen das Weichselthal (Plessner Kreis) dacht sie sich sanft ab, während sie westwärts einen Höhenzug bildet, der bis Pschow ( 1 0 0 8 ' ) ansteigt und sich südwärts mit einer Einsenkung bis Grofs Gorzitz (853') fortsetzt. Auf dem rechten Ufer der Oder, deren Spiegel bei der Einmündung der Olsa 6 7 3 ' hoch liegt, fällt das Hochplateau ziemlich steil gegen das breite und frucht- bare Oderthal ab. Die Ungleichheiten der Oberfläche sind theils durch G e - birgshebungen, iheils durch spätere Auswaschungen bedingt. Nördlich zwischen Kosel und Grofs Strehlitz stöfst man auf die mächtige und ziemlich isolirte Basallhebung des Anna- B e r g e s ; südlich zieht sich auf der Grenze zwischen Galizien und Ungarn gegen die Bukowina hin in der Richtung von W e s t nach Ost die jüngere Hebung der Karpathen, deren schöne blaue Kuppen (z. B . die Lissahora) man fast von jedem Punkt beider Kreise aus in unabsehbarer Reihe erblickt. Geht man in der Betrachtung der geologischen Verhältnisse weiter, so stöfst man westlich auf die Sudeten, östlich auf das S e n - domir-Gebirge, und die ganze Hochebene von Oberschlesien erscheint dann als eine ungeheure Beckenausfüllung. E s ist daher sehr natürlich, dafs man an vielen Punkten ältere Ge- birgsformationen bis an die Oberfläche oder doch bis auf eine geringe Tiefe heraufsteigen sieht. Grauwacke, Steinkohle, ro- ther Sandstein und Muschelkalk, jurassische Bildungen, nament- lich Thoneisenstein, denen sich die eigenthümliche Tertiärbil- dung des Gyps- und Mergelgebirges (dem auch das Steinsalz von Wieliczka angehört) anschliefst, bilden fast überall die Sohle des aufgeschwemmt en Landes, dessen mittlere Mächtigkeit sich auf 1 1 — 1 3 Lachtern berechnet. E s besieht in den oberfläch- lichen Schichten abwechselnd aus Lehm und einem groben, wie es scheint, durch Auswaschung des Lehms entstan- Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 7 denen*), häuüg eisenschüssigen Kies. Der erstere findet sich namentlich ausgedehnt in den südwestlichen Theilen, um Soh- rau, Loslau und gegen die österreichische Grenze hin; der letz- tere ist vorwaltend in den östlichen und nördlichen. Beide kann man meist sehr leicht aus der Natur der Waldbäume beurtheilen, welche hier fast überall Coniferen sind, während gegen Radiin, Loslau etc. schönes Laubholz (selbst Eichen) zu sehen sind. Fast nirgends ist indefs die Bildung der Ober- fläche eine für den Ackerbau vollkommen günstige, weil die thonige oder lettige Unterlage meist undurchlässig für das at- mosphärische Wasser i s t " ) Der gröfsle Theil der Thäler, insbesondere im Rybniker Kreise, sind Auswaschungsthäler, oft von ziemlich bedeutender Tiefe, so dafs sie nicht blos die Alluviallager durchschneiden, sondern zuweilen an ihren Rändern selbst noch Schichten der tertiären Gypsforaiation aufgeschlossen sind. Gewöhnlich sind die Ränder ziemlich steil, die Thäler verhältnifsmäfsig breit, von einein Bach durchflössen, der übrige Theil des Grundes von nassen Wiesen gebildet. Iiie und da finden sich ausge- dehnte Moorbildungen. Seen, auch grofse, sind nicht selten, ihre Ufer meist flach, so dafs sie dem an Seen mit hohen Uferhügeln gewöhnten Auge des Norddeutschen mehr das Bild ephemerer Wasseransammlungen in seichten Einsenkungen des Bodens gewähren. Das Gefälle der Bäche und kleinen Flüsse, besonders zur Weichsel, ist nicht bedeutend, und da die letz- tere selbst in ihrem oberen Lauf einen sehr geringen Fall hat, und sowohl sie, als die Oder bei der grofsen Nähe der Kar- pathen oft sehr schnell ungeheure Wasserrnassen empfangen, * ) Diese Ansicht von C a r n a l l scheint mir namentlich durch den Umstand gestützt zu werden, dafs an den höheren Punkten g e - wöhnlich L e h m , an den tieferen Grand die Bodendecke zu bilden pflegt. * * ) Auf den Wegen bilden sich daher leicht unsichere Stellen, indem die zäh in einander haftende Lehmdecke von einer vollkommen aufgeweichten Unterlage getragen wird und bei geringen Lasten sich stark einbiegt. Man belegt diese Stellen mit dem ganz be- zeichnenden Namen „ L e d e i b r ü c k e n " . Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 8 so sind Rückstellungen bis in diese Thäler hinauf mit ausge- dehnten Ueberschwemmungen der umliegenden Wiesen relativ häufige Ereignisse. Die bedeutende Elevation des Landes, die grofse Nähe und die Richtung eines so mächtigen Gebirgsslockes, wie die Karpathen, heben den Einflufs, welchen die südliche Lage die- ses Bezirkes (Pless liegt fast unter der Breite von Mainz) auf die Temperatur der Luft ausüben sollte, ziemlich auf. Die Roggenerndte fällt gewöhnlich in dieselbe Zeit, wie in Gegen- den von Pommern, die 4° nördlicher liegen, Ende Juli, Anfang August, und der Temperaturunterschied ist so bedeutend, dafs schon im Oderthal bei Ratibor bei den Landarbeiten ein Unter- schied von 8 Tagen hervortritt. Besonders ungünstig scheint in dieser Beziehung die Richtung der Vorkarpathen von West nach Ost zu sein. Während die warmen Aequatorialwinde durch das Gebirge theils abgefangen, theils an den Schnee- massen , welche bis tief in den Mai zu liegen pflegen, abge- kühlt w e r d e n , fangen sich dagegen die niedriger wehenden Polarströme an dem Gebirge, welches sich fast unmittelbar aus der Ebene erhebt, werden von ihm zurückgeworfen und stauen sich vor demselben. Man erzählte mir, dafs Strichregen, die mit einem Nordwestwinde ankommen, fast regelmäfsig in einen Landregen übergehen, der in kurzer Zeit sehr bedeu- tende Massen von Niederschlag setzt. W i e schnelle und be- deutende Wechsel in dem Zustande des Luftmeers hier vor- g e h e n , hatte ich selbst Gelegenheit zu beobachten. In den ersten beiden W o c h e n , die ich in der Gegend zubrachte, war das W e t t e r sehr günstig, die Luft meist klar und w a r m , ent- schieden frühlingsartig. Plötzlich am Ende der 2ten W o c h e Schneegestöber, das immer stärker wurde und den Boden in wenig Tagen mit einer mehrere Fufs hohen Schneedecke über- zog. Dabei so starker Frost, dafs während man eben erst so grundlose W e g e gehabt hatte, dafs der Verkehr zu W a g e n fast unmöglich war, in wenig Tagen schon überall die Schlit- ten gingen. Am 8. fuhr ich in einem starken Schneegestöber bei einem pfeifenden N N W zu Schlitten nach Gleiwitz; am Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 9 folgenden T a g e , w o . i c h mit der Eisenbahn nach Breslau a b - ging, sah ich, je weiter ich nördlich k a m , die Schneedecke dünner w e r d e n ; hinter Breslau fand ich nur noch in Vertie- fungen des Bodens etwas Schnee vor, und in der Mark w a r endlich auch davon nichts mehr zu bemerken. — Aus dem Mitgelheillen geht demnach hervor, dafs alle Verhältnisse sich vereinigen, welche den Feuchtigkeitsgehalt des Bodens und der Luft vermehren. W ä h r e n d die Undurch- lässigkeit des Landes und der leichte Rückstau der fliefsenden Wässer eine oft wiederkehrende und dann gewöhnlich lang anhaltende Quelle für die Oberflächen-Verdunstung setzt, so bedingen wiederum die häufigen und anhaltenden Niederschläge aus der Atmosphäre bei der verhältnifsmäfsig niedrigen T e m - peratur der Luft eine stete Erneuerung der durch Verdunstung verloren gegangenen Flüssigkeiten. — Sehen wir uns nun d i e B e w o h n e r dieses Landes an. Ganz Oberschlesien ist polnisch; sobald man den Slober über- schreitet, so wird aller Verkehr mit dem Landvolk und dem ärmeren Theil der Stadtbewohner für diejenigen, welche der polnischen Zunge nicht mächtig sind, unmöglich, und nur Doli metscher gewähren eine spärliche Aushülfe. Auf dem rechten Oder-Ufer tritt diefs Verhältnifs am allgemeinsten hervor; auf dem linken haben sich zahlreiche germanische Elemente ein- gemischt. Diese Bevölkerung stellt den traurigen Rest des alten schlesischen Volkes dar, wie es sich in diesen peripheri- schen Landstrichen an den Grenzmarken deutscher Gesittung erhallen hat. Man erinnere sich .nur, dafs schon vom Ende des 6ten Jahrhunderts an die Glieder der slavischen Völker- familie, ein. bis dahin ungekanntes Geschlecht, in die Gegenden einrückten, welche die nach Westen und Süden auswandern- den deutschen Stämme verlassen hatten, und dafs, während links von der Oder und um die Elbe Czechen, W e n d e n , L u - tizier, Obotriten sich ausbreiteten, lechitischeSlaven die weite Ebene in Besitz nahmen, welche das Flufsgebiet der Weichsel uinfafst und von der Oder westlich begrenzt wird. Ihren Na- men Polen leitet man nicht ohne Grund von pole her, wel- Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 10 ches Ebene bedeutet, denn was ist charakteristischer für ihr L a n d , als diese unendliche E b e n e , welche sich von den Kar- pathen bis zu den Gestaden des baltischen Meeres erstreckt und über welche weithin zerstreut erratische Geschiebsblöcke, von den skandinavischen Gebirgsketten stammend, bis zu den Füfsen der Karpathen gefühlt worden sind? Als am Ende des ersten Jahrtausends christlicher Zeitrechnung Boleslav I. Chrobri das polnische Reich begründete, bildete Schlesien ei- nen integrirenden Theil desselben, und erst 1163 überliefs es der vierte Boleslav seinen Neffen als ein getrenntes Reich. D u r c h fortwährende Theilungen zerfiel es freilich bis zum 14. Jahrhundert in 18 H e r z o g t ü m e r , allein schon von den luxem- burgischen Kaisern wurde ein Stück nach dem andern für die böhmische Krone erworben, bis 1339 das ganze Land von P o - len förmlich an Böhmen abgetreten wurde, mit dem es später an die österreichischen Herrscher kam. D e r letzte schlesische Herzog (von Liegnitz, Brieg und Wolau) aus dem Haus der Piasten starb indefs erst 1675; aus seiner Erbschaft entspann sich bekanntlich der schlesische Krieg, der den gröfsten Theil des Landes unter preufsische Herrschaft brachte, und mit dem jener unselige Streit zwischen den beiden deutschen Grofs- inächten um die Hegemonie begann, der in unseren T a g e n wieder aufgenommen wird, und durch die unselige Einmischung fremder Nationalitäten in deutsches Staalsleben eine so v e r - wickelte Gestalt erhält. Fast 700 Jahre sind also vergangen, seitdem Schlesien von Polen getrennt w u r d e ; der gröfsle Theil des Landes ist durch deutsche Colonisation und durch die Macht deutscher Cultur vollkommen germanisirt worden. N u r für Oberschlesien haben 700 Jahre nicht genügt, seinen Bewohnern das national- polnische Gepräge zu n e h m e n , welches ihre Stammesbrüder in P o m m e r n und Preufsen so vollständig verloren haben. Frei- lich haben sie genügt, das Bewufstsein ihrer Nationalität zu zerstören, ihre Sprache zu corrumpiren und ihren Geist zu brechen, so dafs das übrige Volk ihnen den verächtlichen Na- men der Wasserpolacken beigelegt hat, aber ihre ganze Er- Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 11 scheinung, die mir als ganz ähnlich derjenigen der polnischen Bevölkerung an der Niederweichsel geschildert wird, zeigt immer noch deutlich ihre Abstammung. D a sieht man nir- gends jene e i g e n t ü m l i c h e Gesichtsbildung der Russen, die man so oft als die eigentlich slavische bezeichnen hört und die so sehr daran erinnert, dafs diese Vertreter des Asiatismus die Nachbarn der Mongolen sind. Ueberall findet man schöne Gesichter, lichte H a u t , blaue Augen, blondes H a a r * ) , freilich frühzeitig durch Sorgen und Schmutz verändert, aber bei den Kindern häufig in seltener Lieblichkeit vorhanden. Auch ihre Lebensgewohnheilen erinnern überall an den eigentlichen P o - len. Ihre T r a c h t , ihre W o h n u n g e n , ihre geselligen Verhält- nisse, endlich ihre Unreinlichkeit und Indolenz finden sich nir- gends so ähnlich wieder, als bei den niedrigen Schichten des polnischen Volkes. W a s insbesondere die beiden letztgenann- ten Eigenschaften anbetrifft, so möchte es schwer halten, sie übertroffen zu sehen. D e r Oberschlesier wäscht sich im All- gemeinen gar nicht, sondern überläfst es der Fürsorge des Himmels, seinen Leib zuweilen durch einen tüchtigen Regen- gufs von den darauf angehäuften Schmutzkrusten zu befreien. Ungeziefer aller Art, insbesondere Läuse, sind fast stehende Gäste auf seinem Körper. Eben so grofs als diese Unreinlich- keit ist die Indolenz der Leute, ihre Abneigung gegen geistige und körperliche Anstrengungen, eine vollkommen souveräne Neigung zum Müfsiggang oder vielmehr zum Müfsigliegen, die in Verbindung mit einer vollkommen hündischen Unterwürfig- keit einen so widerwärtigen Eindruck auf jeden freien, an Ar- beit gewöhnten Menschen hervorbringt, dafs man sich eher zum Ekel, als zum Mitleid getrieben fühlt. Die Vergleichung des Oberschlesiers mit dem neapolitanischen Lazaroni hat m a n - ches W a h r e , so lange man an der Oberfläche der Dinge ste- *) E i n a l t e r ( b a r b a r i s c h e r ) S c h r i f t s t e l l e r e r z ä h l t v o n d e n S l a v e n : Sunt enim Slttvi prvceri omncs u<: robustissimi; colorcm nec summe can- didum habet cutis nec /luvum com«, ueque is plane in nujrum deficit, ac suhrufus est. (Procop. de bello Golliico III• c. 4.) Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 12 hen bleibt, allein sie verliert alles Gewicht, sobald man ge- nauer zusieht. Die Niederschlesier schreiben diese Arbeitsscheu bald der Enlkräftung der Leute in Folge ihrer schlechten Ernährung, bald einem nationalen Hange zum Nichtsthun zu. Das erstere ist zum Theil richtig, allein nicht in dem Maafse und in der Ausschliefslichkeit, dafs man daraus allein die ganze Erschei- nung begreifen könnte. Andererseits würde es ein schmähli- ches Unrecht sein, welches man der polnischen Nation, dieser so hochherzigen und jeder Aufopferung fähigen Nation zufügen w ü r d e , wenn man in ihr den wahren Grund suchen wollte. Mag immerhin der deutsche Fleifs seltener unter den Polen gefunden w e r d e n , so darf man doch nicht vergessen, unter welchen Verhältnissen, unter einem wie langen und wie ge- waltigen Druck dieses unglückliche Volk geseufzt hat. Be- trachten wir diese Verhältnisse einen Augenblick genauer, da sie für unsere spätere Darstellung von Bedeutung sind. Die p o l n i s c h e S p r a c h e , deren sich der Oberschlesier ausschliefslich bedient, ist gewifs nicht eine der geringsten Be- dingungen seiner Gesunkenheit gewesen. Seit 700 Jahren von dem Multervolk abgelöst, hat diese Bevölkerung keinen Theil genommen an der Entwicklung, welche, wenn auch nur in geringerem Maafse, bei jenem zu Stande gekommen ist; sie hat nichts gewonnen von der deutschen Cullur, da ihr jedes Verbindungsglied mit derselben fehlte. Erst in späterer Zeit hat man von den Schulen aus Germanisirungsversuche unter- n o m m e n , allein die Mittel, welche die Regierung zu diesem Z w e c k e einschlug, trugen die Garantie ihrer Fruchtlosigkeit in sich. Man schickte deutsche Schulmeister von möglichst be- schränktem Wissen in das polnische Land, und überliefs es nun dem Lehrer und seinen Schülern, sich gegenseitig ihre Muttersprache beizubringen. Das Resultat davon war gewöhn- lich, dafs der Lehrer endlich polnisch lernte, nicht aber die Schüler deutsch. Statt dafs also die deutsche Sprache sich verbreitete, hat vielmehr die polnische die Oberhand behalten, und man findet inmitten des Landes zahllose Geschlechter mit Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 13 deutschen Namen und deutscher Physiognomie, die kein deut- sches W o r t verstehen. K a u m ein B u c h , aufser dem G e b e t - b u c h , war dem Volk zugänglich, und so ist es denn möglich geworden, dafs mehr als eine halbe Million von Menschen hier existiren, denen j e d e s Bewufstsein der innern Entwicklung d e s . V o l k e s , jede S p u r einer Culturgeschichte a b g e h t , w e i l s i e s c h r e c k l i c h e r w e i s e k e i n e E n t w i c k l u n g , k e i n e C u l t u r b e s i t z e n . Ein zweites Hindernifs ist d i e k a t h o l i s c h e H i e r a r c h i e g e w e s e n . N i r g e n d s , aufser in Irland und seiner Z e i l in S p a - nien , hat der katholische Clerus eine absolutere Knechtung des Volkes zu S t a n d e gebracht, als hier; der Geistliche ist der unumschränkte Herr dieses V o l k e s , das ihm wie eine S c h a a r Leibeigener zu Gebote steht. Die Geschichte seiner B e k e h - rung vom Brandwein bietet ein noch glänzenderes B e i s p i e l dieser geistigen Hörigkeit d a r , als es Pater M a t t h e w an den Irländern geliefert hat. Die Oberschlesier waren dem B r a n d - weingenufs in der extremsten W e i s e ergeben. An den Aben- d e n , wo das Volk von den städtischen Märkten zurückkehrte, w a r e n die Landstrafsen von Betrunkenen, Männern und Wei- b e r n , buchstäblich ü b e r s ä e t ; das Kind an der Mutlerbrust w u r d e schon mit S c h n a p s gefüttert. In einem einzigen J a h r e g e l a n g es dem P a t e r S t e p h a n ( B r z o z o w s k i ) , alle diese S ä u f e r mit einem S c h l a g e zu bekehren. Freilich wurden dabei alle Miltel, gesetzliche und ungesetzliche, kirchliche und weltliche in B e w e g u n g g e s e t z t , Kirchenslrafen und körperliche Züchti- gungen wurden ungestraft angewendet, allein die Bekehrung g e l a n g endlich, das Gelübde wurde allgemein abgelegt uncl gehalten. (Vgl. den Aufsatz des Prof. K u h in der Med. V e r - einszeitung 1848, Nr. 8 . ) Wie grols das Vertrauen auf die Geistlichkeit w a r , hat auch diese Epidemie in vollem Maafse gezeigt. Viele glaubwürdige Männer haben mich versichert, dafs die Leute mit einer gewissen Zuversicht dem T o d e ent- gegengesehen hätten, der sie von einem so elenden L e b e n be- freite und ihnen einen Ersatz in den himmlischen Freuden zu- sicherte. Wurde j e m a n d krank, so suchte er nicht den Arzt, Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 14 sondern den Priester; hüllen die heiligen Sacramente nichts, was sollte dann die armselige Arznei wirken ? Diesen Zustand der Gemülher wufsle die Hierarchie im Anfange der Epidemie wohl zu benutzen und nach der allgemeinen Ansicht in den Kreisen hat der Regierungs-Medicinalrath in Oppeln, Herr L o r i n s e r Alles gethan, was geeignet war, diese Bestrebungen zu fördern. Ob es absichtlich geschehen ist oder ob eine sträfliche Unkenntnifs der localen Verhältnisse die Ursache w a r , läfst sich schwer entscheiden; eines von beiden aber mufste der Fall sein, denn wie konnte man zu einer Zeit, wo jeder Gebildete in den Kreisen dringend und öffentlich nach Aerzten rief, erklären, sie seien nicht nöthig und das Volk wolle sie nicht? (Vgl. den Aufsatz des Prof. K u h in der Wochenschrift für die ges. Heilkunde, 1848. Nr. 10.) Von der Regierung geschah fast gar nichts. Statt dessen erschienen die barmherzigen Brüder aus Breslau und Pilchowitz unter ihrem Spiritual Dr. K ü n z e r , die Zeitungen waren ihres R u h - mes voll, und wohin sie kamen, brachten sie ihre Hülfe, ihre Gaben im Namen der Mutter Kirche. So anerkennenswerth der Eifer dieser Männer gewesen ist, so war ihre Wirksamkeit doch eine sehr beschränkte. Zwei von ihnen waren W u n d - ärzte, die übrigen waren von verschiedenen G e w e r k e n , vom Militair etc. in die geistliche Corporation getreten, und voll- kommen unfähig, ein ärztliches Urlheil zu haben. Da sie von Dorf zu Dorf zogen, so vergingen oft Wochen, ehe sie wieder an das erste Dorf kamen, oft kehrten sie gar nicht zurück, und ihre Erscheinung war dann die eines heilbringenden En- gels gewesen. Von dem Augenblick a n , wo das Breslauer Comité, welches die Gaben von ganz Deutschland in Empfang nahm, eine geordnete Thätigkeit in den Kreisen auszuüben be- gann und seine Delegirten, der Prinz B i r o n v o n K u r l a n d und der Professor K u h selbst in den Kreisen erschienen, als von allen Seiten Aerzte requirirt wurden, Local-Comités sich bilden, sah man sich genölhigt, den geistlichen Instituten seine Hülfe vollkommen zu entziehen; damit hörte die Thätigkeit der geist- lichen Brüder mehr und mehr auf und das Vertrauen des Volkes Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 15 zu den Aerzten wurde immer lebendiger. J e l z t erst schickte auch H e r r L o r i n s e r A e r z l e , die sich bei ihm gemeldet hatten. F r e i - lich halle er sich schon vorher auf U m w e g e n , w e l c h e ihn leider davon abhielten, mit dem Herrn Minister Grafen S t o l b e r g , den der König abgesandt h a t t e , dem Herrn G e h . R a t h B a r e z etc. zusammenzutreffen, selbst in die Kreise begeben, allein als er hier auf einer V e r s a m m l u n g der Aerzte zu Nicolai über die gegen die S e u c h e zu e r g r e i f e n d e n M a a f s r e g e l n sprach, konnte ihm Prof. K u h erwiedern, dafs das B r e s l a u e r Comité diese Maafsregeln alle schon g e t r o f f e n habe. Als H e r r L o r i n s e r dann nach S o h r a u kam und ihm der provisorische Magislrals- dirigent, Herr von W o i s k y die Verlegung des Kirchhofs an's Herz l e g l e , der fast in der Stadl g e l e g e n , auf einem R ä u m e von einigen 4 0 Quadratfufs mehr als 6 0 0 zum grofsen T h e i l oberflächlich begrabene Leichen enthielt, so erklärte er diefs für unnöthig, zumal da die Geistlichkeit, w e l c h e den K i r c h h o f in solcher Nähe zu behalten wünschen müfste, dawider sein würde. E s sei fern von mir, dafs ich einzelne Glieder dieser Geistlichkeit anschuldigen will, einen grausamen und u n m e n s c h - lichen Gebrauch ihrer geistlichen Gewalt g e m a c h t zu haben, allein es kann niemand abläugnen, dafs eine so mächtige H i e r - archie, der das Volk so blind gehorcht, das Volk zu einer g e - wissen geistigen Entwicklung hätte bringen k ö n n e n , wenn sie gewollt hätte. Allein es liegt in dem Interesse der M a t t e r Kirche, die Völker bigott, dumm und itafrei zu erhallen ; O b e r - schlesien ist nur ein neues Beispiel in der grofsen R e i h e der a l l e n , unter denen S p a n i e n , Mexico und Irland obenan stehen. D i e einheimische katholische Geistlichkeit hat in ihrem Eifer für das hungernde und kranke Volk grofse O p f e r , selbst die der körperlichen Aufopferung nicht g e s c h e u t , und sich dadurch wesentlich von der evangelischen unterschieden, von der z. B . Hr. P a s t o r W o l f in R y b n i k s i c h geweigert hat, zu Typhuskranken seiner Gemeinde in S o h r a u zu kommen, um ihnen geistlichen T r o s t zu bringen. Allein alle diese Aufopferung, deren per- sönliches Verdienst ich gern und rühmend anerkenne, kann die s c h w e r e Schuld nicht s ü h n e n , dafs man ein grofses V o l k so Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 16 tief in Unwissenheit, Aberglauben und Faulheit hat versinken lassen. Die Nachtheile der B u r e a u k r a t i e , welche Preufsen sonst so tief hat empfinden müssen, sind in Oberschlesien w e - niger aktiv hervorgetreten; w o sie Schuld an dem Unglück trägt, da ist es mehr eine negative. Es ist ein Fluch des Menschengeschlechtes, dafs es durch Gewöhnung auch das Schrecklichste ertragen lernt, dafs es an der alltäglichen Schänd- lichkeit das Schändliche vergifst, und dafs es kaum begreifen kann, wenn Einzelne die Vernichtung desselben anstreben. Die gebildete Bevölkerung in jenen Kreisen und mit ihnen die Behörden, deren Bereitwilligkeit und Thätigkeit ich aufserdem gern zugestehe, sind durch den täglichen Anblick dieses ge- sunkenen Volkes so abgestumpft, gegen ihr Leiden so indolent g e w o r d e n , dafs, als nun endlich von allen Seilen Hülfe ver- sprochen und gebracht wurde, die allgemeine Klage entstand, man würde das Volk v e r w ö h n e n . Als man denen, die gar nichts, absolut nichts zu essen hatten, 1 Pfd. Mehl für den T a g bewilligte, fürchlete man, sie würden sich v e r w ö h n e n ! Kann man sich etwas Schrecklicheres d e n k e n , als dafs sich jemand an Mehl, an blofsem, reinem Mehl verwöhnen wird und dafs jemand diefs befürchten kann ? Diese Gewöhnung an das Elend, diese Abstumpfung des Gefühls gegen fremdes Leiden sind so allgemein in den Kreisen, dafs ich am aller- wenigsten die Localbehörden angreifen will, dafs sie ihre zum Theil recht ernsthaften und dringenden Berichte nicht noch ernsthafter und dringender gemacht haben. W e n n von Oppeln, von Breslau, von Berlin immer abschlägliche und zurückwei- sende Antworten einliefen, welcher preufsische Beamte würde dadurch nicht endlich zur R u h e gebracht sein? Das Volk aber hat das Ministerium B o d e l s c h w i n g h gestürzt, der Oberpräsident v. W e d e l 1 hat in feiger und schimpflicher Flucht Breslau verlassen müssen, und wenn die Regierung in Oppeln noch besieht, so hat sie es nur ihrer Unbedeulendheit und der oberschlesischen Indolenz zu verdanken. D e r Herr Landralh v. D u r a n t hat aus Rybnik wiederholte Aufforderungen bis Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 17 direkt an den Minister, welches gegen den G e s c h ä f t s g a n g w a r ( ! ) , gelangen l a s s e n , und die drohende Noth schon im H e r b s t 1847 bestimmt dargelegt. W a s ist darauf e r f o l g t ? Man s a g t e den schon ein J a h r vorher mit Schulden belasteten K r e i s s t ä n d e n , sie sollten doch selber helfen, und in Rybnik begegneten sie auf ihren Geschäftsreisen 2 Delegirte der R e - gierung von Oppeln, von denen der eine beauftragt w a r , die Privatwohllhätigkeit zur Abhülfe der Noth aufzustacheln, wäh- rend der andere die Steuersätze erhöhen sollte. E s war nämlich auf dem ersten vereinigten Landtage beantragt worden, behufs einer gerechteren Verlheilung der Steuern die höheren S ä t z e der Klassensteuer zu erhöhen und die niederen zu ermäfsigen; die R e g i e r u n g erhielt darauf die Anweisung, wie man mir er- zählt, diesem Wunsche nachzukommen, nur mit der B e s c h r ä n - kung, d a f s d i e n i e d e r e n S ä t z e b e i b e h a l t e n w ü r d e n . — W e n n demnach von der V e r w a l t u n g auch noch in den letzten Zeiten direkte Mißgriffe begangen worden sind, so ist doch der Hauptvorwurf, den sie zu tragen h a t , d e r , dafs sie zur rechten Zeil nichls gelhan hat und dafs sie mit sehr unvoll- kommenen Mitteln erst eingeschritten i s t , als es für Viele zu spät war. Hie und da wurden mir Geschichten von exekuti- vischer Eintreibung der Steuern erzählt, welche die J a m m e r - scenen von Irland noch hinter sich Uelsen, allein bei vielfacher N a c h f r a g e ist mir die Ueberzeugung g e w o r d e n , dafs solche Fälle nur ausnahmsweise vorgekommen sind. Am gröfsten w a r die Noth auf den königlichen Domainen im Rybniker K r e i s e , und da gerade unsere Gesetzgebung den Dominialbe- amten die gröfsle direkte Gewalt gestattet, so inufslen sich hier auch die Verhältnisse für die B e w o h n e r am ungünstigsten gestalten. — Gewifs würde es ein sehr schwieriges Unter- nehmen g e w e s e n sein, ein seit Jahrhunderten vernachlässigtes und von der Hierarchie darnieder gehaltenes Volk aus seiner V e r s u m p f u n g in die Höhe zu bringen; die Mittel hätten g r o ß - artige sein m ü s s e n , aber der Erfolg würde auch ein sehr be- friedigender gewesen sein. Männer, welche die oberschlesische Bevölkerung sehr genau kennen und ihre Bildungsfähigkeit zu Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 18 beurtheilen v e r s t e h e n , wie die H e r r n P r o f e s s o r e n G ö p p e r t u n d P u r k i n j e in B r e s l a u , der H e r r O b e r b e r g r a t h v. C a i n a l l etc. sprechen sich aufs b e s t i m m t e s t e f ü r i h r e C u l t u r f ä h i g k e i t aus. D a aber die S c h u l e n , die C o m m u n i k a l i o n s m i l t e l , d e r A c k e r b a u , die G e w e r b s l h ä t i g k e i t darnieder l a g e n , so k o n n t e füglich keine von innen h e r a u s k o m m e n d e E n t w i c k l u n g e r w a r - tet w e r d e n . D e r Reichlhuin des L a n d e s an G e g e n s l ä n d e n des B e r g b a u ' s , namentlich an Steinkohlen, T h o n e i s e n s t e i n , Galmei und G y p s ist so b e d e u t e n d , dafs das V e r f a h r e n dieser P r o d u k t e o d e r , w i e man sich in Oberschlesien allgemein a u s d r ü c k t , die V e k l u r a n z einen grofsen T h e i l der B e v ö l k e r u n g e r n ä h r t . F r e i - lich kann der einzelne F u h r m a n n bei der Kleinheit und S c h w ä c h e der P f e r d e und der W a g e n nur s e h r w e n i g F r a c h t fortschafl'en und der G e w i n n ist s e h r u n b e d e u t e n d ; nichts d e s t o w e n i g e r e r n ä h r e n sich Viele davon. W ä r e es n u n nicht die erste Auf- g a b e der R e g i e r u n g g e w e s e n , die W e g e zu v e r b e s s e r n ? T r o t z der Dringlichkeit einer solchen V e r b e s s e r u n g ist nichts g e - s c h e h e n , und als ich in Oberschlesien w a r , bildeten die W e g e n u r z u s a m m e n h ä n g e n d e Moräste. — Die G e w e r b t h ä t i g k e i t in den S t ä d t e n , b e s o n d e r s die Fabrikation von L i n n e n w a a r e n und T u c h w a r f r ü h e r ziemlich bedeutend, und in S o h r a u allein b e - standen 150 W e b s t ü h l e für Linnen, w e l c h e 6 0 0 Menschen e r - n ä h r t e n . Diese P r o d u k t e fanden ihren fast ausschliefslichen Absatz in d e m F r e i s t a a t K r a k a u ; mit der Einverleibung d e s - selben in das österreichische T e r r i t o r i u m h ö r t e plötzlich diese Industrie auf. Gleichzeitig damit w u r d e eine a n d e r e E r w e r b s - quelle abgeschnitten. D i e S e e n und T e i c h e im P l e s s n e r und R y b n i k e r K r e i s e sind aufserordenllich fischreich. Von diesen F i s c h e n w u r d e n u n g e h e u r e Quantitäten auf der W e i c h s e l n a c h W a r s c h a u g e f ü h r t , so dafs einzelne Besitzer von Fischteichen jährlich bis g e g e n 3 0 0 0 T h l r . d a f ü r e i n n a h m e n . Als K r a k a u österreichisch w u r d e , m a c h t e der h o h e Z o l l , den m a n auf die F i s c h e legte, diesen H a n d e l unmöglich. — D i e s e kurzen An- d e u t u n g e n w e r d e n g e n ü g e n , zu z e i g e n , w i e die R e g i e r u n g d u r c h die u n g e h e u e r s t e V e r n a c h l ä s s i g u n g dieses Landes, d u r c h eine gleich saumselige innere und äufsere Politik sowohl die Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 19 geistige als die materielle Hebung des Volkes unmöglich g e - macht hat. — Es bleibt uns endlich noch das Verhältnifs der ländlichen Bevölkerung zu den g r ö f s e r e n G r u n d b e s i t z e r n zu betrach- t e n , welches sich hauptsächlich in der Robot-Angelegenheit concentrirt. Ich kann mich darüber kurz fassen, da es schon wiederholt und mit grofser Wahrheit in den öffentlichen Blät- tern besprochen worden ist. Mehr, als in irgend einem Theile der östlichen Provinzen Prcufsens, findet sich in Oberschlesien eine Aristokratie mit ungeheurem Grundbesitz, und mehr als in irgend einem Theile von Preufsen überhaupt, hält sich diöse Aristokratie fern von ihren Besitzungen auf, dem Beispiel des irischen Adels folgend. In den Hauptstädten (Breslau, Wien, Berlin etc.) oder aufserhalb Deutschlands verschwendet ein grofser Theil derselben ungeheure Geldsummen, die fort und fort dem Lande entzogen werden. W o h e r aber soll eine E n t - wicklung des Wohlstandes in einem Lande kommen, welches immer nur den Ertrag seiner Thätigkeit nach aufsen abgiebl? Ein Theil des Landvolks war schon durch die frühere Gesetz- gebung seiner drückendsten Lasten gegen die grofsen Grund- besitzer enthoben und dieser befindet sich in der T h a t in einer günstigeren materiellen Lage. Allein der gröfsle Theil der ganz „kleinen Leute", namentlich die grofse Zahl der soge- nannten Häusler hatte bis vor wenigen Jahren noch alles Mifs- geschick der Roboten zu ertragen. Diese armen Leute w a r e n 5 , 6 Tage in der W o c h e verpflichtet, der Grundherrschaft Handdienste zu thun, und kaum blieb ihnen ein T a g übrig, an dem sie ihr kleines Feld, ihr H a u s , ihre Familie besorgen konnten. (Vgl. Breslauer Zeitung 1848. Nr. 59. Beil. I.) W a s sollten sie an einem Tage in der Woche, an 52 Tagen in ei- nem Jahre Grofses erwerben? W a s sie in der W o c h e , in dem J a h r gewannen, reichte nothdürftig aus, die ersten Lebens- bedürfnisse der W o c h e , des Jahres zu befriedigen. W a s soll man aber von einem Volk e r w a r t e n , das seit Jahrhunderten in so tiefem Elend um seine Existenz kämpfte, das nie eine Zeil gesehen h a t , wo seine Arbeit ihm zu Gute k a m , nie die Unauthenticated Download Date | 7/25/19 5:33 PM 20 F r e u d e d e s B e s i t z e s , nie die G e n u g t u u n g des eigenen E r - w e r b e s , des L o h n s f ü r mühselige Arbeit g e k a n n t h a t , das die F r u c h t seines S c h w e i f s e s i m m e r n u r in den S ä c k e l der G r u n d - h e r r s c h a f t fallen s a h ? E s ist ganz n a t ü r l i c h , dafs solch' ein unglückliches Volk den Gedanken an bleibenden Besitz ü b e r - h a u p t a u f g e g e b e n hatte, dafs es, nicht für den m o r g e n d e n T a g , n e i n , n u r f ü r den h e u t i g e n zu sorgen g e l e r n t halte. N a c h so vielen T a g e n der A r b e i t , w e l c h e n u r f ü r den W o h l s t a n d A n d e r e r g e s c h e h e n w a r , w a s w a r n a t ü r l i c h e r , als dafs es da den T a g , den es frei h a t t