Eckpunktepapier für Gesetzentwurf Aktive Klimaschutz- und Sozialpolitik: Einführung eines dauerhaften 9-Euro- Tickets, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und Finanzierung Uwe-Jürgen Ness, 04.07.2022; E-Mail: uwe.ness@gmx.de; Tel.: 0178 / 1747 385 Sachstand : Zum 1. Juni 2022 hat die Ampel-Koalition zur Entlastung der Bürger*innen wegen der ge- stiegenen Energiepreise sowie zur Attraktivitätssteigerung von ÖPNV und Regionalzügen für die Mona- te Juni, Juli und August das sog. 9-Euro-Ticket eingeführt. Dadurch reduzieren sich die Kosten je nach Verkehrsverbund gegenüber regulären Monatstickets auf etwa 10 bis 15 %. Ende Juni bilanziert der Verband deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) 1 , dass 21 Mio. 9-Euro-Tickets verkauft wurden sowie 10 Mio. reguläre Monatstickets durch dieses ersetzt wurden. Medien berichteten, dass es am ersten Wochenende nach der Einführung, das zudem auf die Pfingstfeiertage fiel, überfüllte Züge gab. Ver- kehrsverbünde melden für die beiden Wochen danach ca. 10-30% mehr Fahrgäste im ÖPNV, die Bahn bei S- und Regionalbahnen ca. 25 % mehr. Michael Theurer, Staatssekretär im Bundesministerium für Digitales und Verkehr, zog im Verkehrsausschuss die Bilanz, dass lediglich 2 % der Regionalzüge gut gefüllt und einige ganz wenige überfüllt sind. Bei der Erhebung des VDV (s.o.) habe sich ergeben, dass 53 % der Befragten das Ticket für „alltägliche Fahrten“ nutzen und 39 % damit zur Arbeit, zur Ausbil- dungsstätte oder zur Schule fahren. „33 % nutzen das Ticket für Ausflugsfahrten, aber nur 14% für die Fahrt in den Urlaub/Kurzurlaub (Mehrfachnennungen waren möglich).“ Begründung : Der Bund ist durch das Klimaschutzabkommen von Paris sowie durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021 zum Klimaschutzgesetz höchstrichterlich zu Klimaschutz verpflichtet. Dass insbesondere beim Verkehr die jährlichen Sektorenziele zur Reduktion von CO2 und anderer Treibhausgasen weit verfehlt werden, ist bekannt. Diese werden noch umfänglicher verfehlt werden, wenn Sondereffekte, die durch die Corona-Pandemie verursacht werden (z.B. signifikant we- niger Kfz-Verkehr wegen flächendeckendem Home Office oder weniger Geschäfts- und Urlaubsreisen), nicht mehr greifen. Aus dieser Rechts- und Sachlage erwächst dem Bund eine Verpflichtung zu han- deln. Neben der Antriebswende beim motorisierten Individualverkehr sind Verbilligung und Ausbau des ÖPNV und der Regionalzüge Mittel, die geeignet, erforderlich und angemessen sind, um CO2 und andere Treibhausgase zu reduzieren. Da der ÖPNV aber laut Grundgesetz Art. 106a Kernaufgabe der Länder ist, sollte der Bund aufgrund seiner eigenen Reduktionsziele diesen umfänglicher als bisher finanzieren. Finanzierung : Die Kosten von 2,5 Mrd. Euro für drei Monate würden sich auf 10 Mrd. Euro jährlich bei dauerhafter Einführung summieren. Dieser Betrag ist mit Abbau umweltschädlicher Subventionen (insgesamt 65,4 Mrd. Euro, darunter allein 30,8 Mrd. Euro beim Verkehr ) 2 , gut finanzierbar. Auf den Abbau von Subventionen hat sich zudem die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag (S. 129 ff) verstän- digt. Koalition und Verkehrsminister*innen : Weil die Ampel-Koalition die Fahrgastzahlen in den öffentli- chen Verkehren bis 2030 verdoppeln will, sind gleichzeitig Infrastruktur und Angebote auszubauen. Ein günstiges Ticket darf keinesfalls gegen den Ausbau ausgespielt werden. Die Verkehrsminis- ter*innenkonferenz von Bund und Länder hält in ihrem Beschluss vom 05.05.2022 „strukturelle Ver- besserung des ÖPNV [für] erforderlich“ , was weitere Bundesmittel notwendig mache. 1 „Nach einem Monat: rund 21 Millionen verkaufte 9-Euro-Tickets“ , Pressemitteilung des Verbandes deutscher Ver- kehrsunternehmen, 30.06.2022 unter: https://www.vdv.de/presse.aspx?id=b6f582ea-e5ef-4eab-aa31- ecfd6f9ba6db&mode=detail&coriander=V3_537f8f17-c830-73ba-cf81-e88c76a21fb4 2 „Umweltschädliche Subventionen: fast die Hälfte für Straßen- und Flugverkehr“ , Umweltbundesamt, 28.10.2021 unter: https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/umweltschaedliche-subventionen-fast-die- haelfte Rechtsrahmen und Formulierungsvorschlag : Neben den Mitteln im Kontext der Corona-Pandemie (sog. „ÖPNV-Rettungsschirm“) und für das 9-Euro-Ticket sowie weiteren Geldern im Rahmen des Ge- meindeverkehrsfinanzierungsgesetzes (GVFG) erhalten die Länder generell Bundesmittel auf Basis des Regionalsierungsgesetzes (RegG) für diese Kernaufgabe der Länder in Höhe von ca. 8-9 Mrd. Euro jähr- lich. Hier kann eine entsprechende Veränderung und Präzisierung erfolgen. Rechtliche Verankerung des 9-Euro-Tickets Gültige Fassung RegG, § 6 (Verwendung), (1): „Mit den Beträgen nach § 5 ist insbesondere der Schie- nenpersonennahverkehr zu finanzieren.“ Vorschlag zu Neufassung und Ergänzung RegG, § 6 (Verwendung), (1): „Mit den Beträgen nach § 5 sind zwecks Erreichung der nationalen Klimaziele gemäß des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG), § 1, auch ein vergünstigtes Monatsticket für den Öffentlichen Personennahverkehr, den Schienenpersonennah- verkehr sowie die Regionalzüge der Deutschen Bahn AG zu finanzieren. Dieses Monatsticket kann von den Bürgerinnen und Bürger für einen Preis von 9 Euro erworben werden. Um den finanziellen Mehrbe- darf der Verkehrsunternehmen in diesem Zusammenhang auszugleichten, stellt der Bund nach § 5 die- sen über die Bundesländer jährlich zusätzlich 10 Mrd. Euro zur Verfügung.“ Ausbau der Infrastruktur über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) Die Mittel des Bundes nach dem GVFG sollten mit derselben Begründung wie das 9-Euro-Ticket erhöht werden, um für die intensivere Nutzung des ÖPNV und der Regionalzüge besser gerüstet zu sein. Weil das GVFG nach § 2 („Förderungsfähige Vorhaben“) , (3) den Fokus auf den „schienengebundenen öf- fentlichen Personennahverkehr in kommunaler Baulast“ richtet, müsste hier eine Öffnung für weitere Zwecke stattfinden. Auf dieser Rechtsgrundlage sollte dann zusätzlich zu den schienengebundenen Verkehren die spezifische Infrastruktur für und in Omnibussen (etwa Technik für Fahrradmitnahme, neue Haltestellen, digitale Anzeigen, W-LAN) sowie auch die Anschaffung neuer Fahrzeuge finanziert bzw. bezuschusst werden. Denkbare Maßnahmen sind generell Taktverdichtung und Ausweitung der Bedienzeiten insbesondere in städtischen Randgebieten und auf dem Land 3 . Ferner sollten neben einer bundesweiten ÖPNV-App auch neue Mobilitätskonzepte, etwa App-basierte On-Demand-Dienste im Rahmen des ÖPNV, die insbesondere auf dem Land sehr wichtig sein könnten, unterstützt werden. Finanzierung des Infrastrukturausbaus Die nötigen Mittel sind noch zu beziffern und natürlich davon abhängig, welche Maßnahmen ergriffen werden. Auch für die Infrastruktur sind mit einem weiteren Subventionsabbau oder auch einer neu zu schaffenden Mobilitätsabgabe durchaus finanzielle Spielräume gegeben. Fazit : Das Konzept führt in mehrfacher Hinsicht zu einer Win-Win-Situation für die Koalitionsregierung und ist gut kommunizierbar; Klimaschutz wird forciert, Klimaschutzvertrag umgesetzt, Rechtspre- chung berücksichtigt, aktive Sozialpolitik praktiziert und umweltschädliche Subventionen werden reduziert. 3 Vgl. dazu a. Uwe-Jürgen Ness: „Hin zur öko-sozialen Verkehrswende - gerade auch auf dem Land!“ , 19.05.2021 unter: https://www.nachhaltig-links.de/index.php/mobilitaet/2146-hin-zur-oeko-sozialen-verkehrswende-gerade-auch-auf- dem-land-11