FAZ.NET | 25.10.2025 16:24 Weblink Rohstoffabhängigkeit Wie die Industrie die Lieferketten sichert Wichtige Rohstoffe und Halbleiter sind zum Druckmittel im geopolitischen Konflikt zwischen China und den USA geworden. So reagieren Unternehmen auf den Streit. Plötzlich reden alle von seltenen Metal- len mit schwierigen Namen. Dysprosi- um, Erbium, Samarium. Man braucht sie und andere sogenannte Seltene Erden, unter anderem um Motoren und Com- puterchips zu bauen, aber auch zum Beispiel in der Rüstungsindustrie und beim Bau von Windkraftanlagen für die Energiewende. Das Problem: China kontrolliert rund 90 Prozent der Kapazitäten zur Ver- arbeitung von Seltenen Erden. Ab- bau und Weiterverarbeitung sind mit hohen Umweltbelastungen verbunden. Die Regierung in Peking nutzt die star- ke Position des Landes bei den Selte- nen Erden als Druckmittel im geopoli- tischen Kräftemessen mit dem Westen aus. Bestehende Ausfuhrbeschränkun- gen wurden diesen Monat verschärft. In Deutschland sind deshalb Politiker und Manager alarmiert. Stehen womöglich bald die Fabriken in der Auto- und Rüs- tungsindustrie still? Ist Europa jetzt im Hintertreffen? Erik Eschen zählt nicht zu denen, die von der neuen Lage überrascht sind. Der Geschäftsführer des Hanauer Un- ternehmens VAC, dessen Kürzel für den Namen Vacuumschmelze stehen, hat die Misere lange kommen sehen. Die Firma verarbeitet seit mehr als 40 Jah- ren Seltene Erden zu sogenannten Dau- ermagneten, die unter anderem in Elek- tromotoren und Pumpen stecken. Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. F.A.S. jetzt lesen „Vor allem die großen Autokonzerne haben in den vergangenen Jahrzehnten ausschließlich in China eingekauft und damit dafür gesorgt, dass viele europäi- sche Wettbewerber dichtmachen muss- ten“, berichtet Eschen der F.A.S. Nun sei VAC der einzige verbliebene Hersteller auf dem Kontinent. „Einen Plan B hat- ten offenbar weder die Konzerne, die dafür in erster Linie verantwortlich wä- ren, noch die Politik.“ Sein eigenes Unternehmen sieht Eschen von den angekündigten Exportbe- schränkungen jedoch nicht bedroht. Für Standardprodukte setze er weiter- hin auf Lieferungen aus China. Wo es um Aufträge aus der Branche geht, für die es künftig keine Genehmigun- gen aus China mehr geben soll, ha- be man eine separate Lieferkette auf- gebaut, mit Bergbaukonzernen in Aus- tralien und Südamerika, mit Raffineri- en zur Weiterverarbeitung der Rohstof- fe in Japan und in den Vereinigten Staa- ten . Eschen sieht Europa global im Hinter- treffen, was den strategischen Zugang zu dringend benötigten Rohstoffen und die Möglichkeiten ihrer Weiterverar- beitung angeht. Deshalb treibt er den Bau eines neuen VAC-Werks in den USA voran. Die Vereinigten Staaten sind der zweitgrößte Verarbeiter von Seltenen Erden nach China. Die Fertigungskapa- zität von VAC dort soll zunächst dem Doppelten von dem entsprechen, was zurzeit die drei europäischen Standorte des Unternehmens zusammen auf die Waage bringen. „Wir können die Ka- pazität in Amerika in Zukunft verviel- fachen“, sagt Eschen. Das könnte nö- tig werden, falls sich die Lage in Euro- pa nicht bessere. Ein düsteres Szenario. „Dann würde auch das Know-how, das wir bisher hier halten, nach Amerika ab- wandern.“ Nicht nur Seltene Erden fehlen, son- dern auch Chips Die Seltenen Erden sind nicht das ein- zige akute Problem für die Lieferket- ten deutscher Fabriken. Auch die Wir- ren um den niederländischen Chipher- steller Nexperia sorgen für Großalarm. Das Unternehmen hat chinesische Ei- gentümer und ist in den geopolitischen Konflikt zwischen den USA und den Niederlanden geraten – mit der Fol- ge, dass Nexperia jetzt auf Anweisung der Regierung in Peking keine Bauteile mehr liefert. Vor allem die Autoindus- trie, aber auch andere Branchen trifft das hart. Auch hier drohen schlimms- tenfalls Produktionsstopps. Der doppelte Schock durch Chinas Powerplay bei Rohstoffen und Halblei- tern scheint zu zeigen, wie verwundbar die Lieferketten deutscher Unterneh- men sind. Allerdings kann niemand sa- gen, dass man nicht gewarnt war: Aku- te Lieferengpässe bei wichtigen Halb- leitern gab es auch schon während der Corona-Pandemie. Und dass China nicht davor zurückschreckt, seine starke Marktposition bei wichtigen Rohstof- fen als Waffe im geopolitischen Kräf- temessen einsetzt, ist ebenfalls nichts Neues. Bereits 2010 verhängte China ein ab- ruptes Exportverbot für Seltene Erden gegen Japan. Die Folge war ein enor- mer Preisanstieg für die Rohstoffe. Aus- löser war damals ein Konflikt zwischen beiden Staaten um die Senkaku-Inseln im Pazifik. Das Embargo blieb eine kur- ze Episode, aber die Regierung in To- kio zog Konsequenzen aus dem Schock. Heute bezieht Japan nach Angaben des Wirtschaftsministeriums nicht mehr 90, sondern nur noch etwa 60 Prozent sei- ner Seltenen Erden aus China. Neue Lie- ©2025 PMG Presse-Monitor GmbH & Co. KG 1/2 feranten, mehr Recycling und findige Ingenieure in den Unternehmen, die andere Materialien als Ersatz für die Sel- tenen Erden fanden, halfen dabei. Mit der Rohstoffstrategie ging es nicht richtig voran Und in Deutschland? Die erste „Roh- stoffstrategie“, um für eine sichere Ver- sorgung der Industrie zu sorgen, stell- te die damalige Bundesregierung aus Union und FDP bereits im Herbst 2010 auf. Aber aus der Abhängigkeit von China bei Seltenen Erden befreit hat sie Deutschland bis heute nicht. 2024 stammten 92 Prozent der importier- ten Magnete, die mithilfe von Selte- nen Erden hergestellt wurden, aus Chi- na. Deutschland ist damit der weltweit größte Abnehmer. Auch in jüngster Zeit ging es nicht wirk- lich voran bei der Diversifizierung der Rohstoffversorgung. Die Mühlen mah- len langsam. Vor einem Jahr brachte die Ampelregierung, kurz bevor sie zer- brach, noch einen mit einer Milliar- de Euro ausgestatteten staatlichen Roh- stofffonds auf den Weg. Der bei der Staatsbank KfW angesiedelte Fonds soll sich an strategisch wichtigen Rohstoff- projekten beteiligen. 50 Interessens- bekundungen von Unternehmen mit konkreten Projekten liegen der KfW derzeit vor. Genehmigt wurde bislang noch kein einziges. Erst im Juli wur- de die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC von der Regierung mit der Prü- fung der Anträge betraut. Übliche Fris- ten hätten eingehalten werden müs- sen, hieß es dazu von der Regierung. Viele Unternehmen kommen trotzdem zurecht Andererseits ist es aber auch nicht so, dass die komplette deutsche Industrie durch die Krise bei Nexperia und den Seltenen Erden zusammenbricht. Auf- regung herrscht zwar überall, doch er- staunlich viele Unternehmen kommen womöglich doch mit einem blauen Au- ge davon. Beispiel Volkswagen: Zu- nächst hieß es, dass wegen des Chip- mangels eventuell binnen weniger Ta- ge die Produktion gestoppt werden müsse. Mittlerweile zeichnet sich ab, dass VW einen Ersatzlieferanten finden könnte. „Diese Woche haben wir das Thema Seltene Erden, nächste Woche kommt ein anderes. Auch der Suezkanal hat uns im Jahr 2021 schon Schwierigkeiten gemacht“, sagt Christine Mezger-Be- han beim Gabelstapler-Hersteller Kion. „Diese Komplexität muss man jetzt be- herrschen.“ Man könne sich gar nicht mit jedem Material für zwei Jahre ein- decken, das binde zu viel Kapital. Ki- on geht einen anderen Weg: „Wenn ein Thema hochkocht, dann weiß bei uns jeder, was zu tun ist.“ Dann suche der Einkauf nach einem anderen Liefe- ranten, die Entwicklung überlege sich einen Ersatz. Und manchmal helfe es auch, eine Landesgesellschaft in China zu haben, die ebenfalls beim Ersatz hel- fen kann. Beim Gespräch ist sie gerade auf der großen jährlichen Konferenz der Logis- tiker in Berlin. Ihren Auftritt dort hat sie nicht abgesagt, so dramatisch ist die Lage dann doch nicht. „Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht nicht darum, dass wir uns alle zurücklehnen. Der Ad- renalinspiegel ist hoch. Ich habe hier Excel-Tabellen, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Aber wir wissen auch, dass wir diese Themen stemmen kön- nen.“ Andere Unternehmen gehen andere Wege. In Frankfurt baut der Mittel- ständler Samson Ventile, Sensoren und andere Geräte. Auch Samson verbaut Teile von Nexperia, hat sich aber einen Jahresbedarf an Vorrat beschafft. Das sei genug Zeit, um im Zweifel andere Lieferanten zu finden. Deutschlands größter Rüstungskonzern Rheinmetall, Dreh- und Angelpunkt der Bundeswehr-Aufrüstung, schlägt eben- falls keinen Alarm. Man verfüge über „stabile und sichere Lieferketten“, teilt das Düsseldorfer Unternehmen mit. Die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen für die Produktion sei gewährleistet. „Wir sichern unsere Bedarfe durch stra- tegische Einkäufe und Lagerhaltung für mehrere Jahre ab, das gilt auch für Mi- krochips und Seltene Erden“, sagt ein Sprecher. Wörter: 1.170 Autor/-in: Sebastian Balzter Patrick Bernau Marcus Theurer Rubrik: Wirtschaft Medienkanal: ONLINE Mediengattung: Online News Medientyp: ONLINEMEDIEN Ausgabe: Einzelausgabe Visits (VpD) 1 : 1.679.100 Unique Users (UUpD) 2 : 367.000 Weblink: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wie-die-industrie-die-lieferketten-sichert-accg-110748147.html 1 von PMG gewichtet 10-2024 2 gerundet agma ddf Ø-Tag 2023-03 vom 21.04.2023, Gesamtbevölkerung 16+ Abbildung: Neodym in einem Lager in Frankfurt. Fotograf/-in: Frank Röth ©2025 PMG Presse-Monitor GmbH & Co. KG 2/2