VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Band 107 KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Vorsitzende: Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl Stellvertretender Vorsitzender: em. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpler Mitglieder: Sekretärin: Mag. Doris A. Corradini Dr. Franz Adlgasser Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Bruckmüller Univ.-Prof. i. R. Dr. Karl Brunner em. Univ.-Prof. Dr. Fritz Fellner Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Garms-Cornides Univ.-Prof. Dr. Margarete Grandner em. Univ.-Prof. Dr. Hanns Haas Univ.-Prof. i. R. Dr. Wolfgang Häusler Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Hanisch Univ.-Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz Dr. Michael Hochedlinger Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt Mag. Thomas Just Univ.-Prof. i. R. Dr. Grete Klingenstein em. Univ.-Prof. Dr. Alfred Kohler Univ.-Prof. Dr. Christopher Laferl Dr. Stefan Malfèr Gen. Dir. i. R. H.-Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky Dr. Gernot Obersteiner Dr. Hans Petschar Univ.-Prof. Dr. Reinhard Stauber em. Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh Univ.-Prof. Dr. Arno Strohmeyer Univ.-Prof. i. R. Dr. Arnold Suppan em. Univ.-Prof. Dr. Ernst Wangermann Univ.-Prof. Dr. Thomas Winkelbauer Mark Hengerer Kaiser Ferdinand III. (1608–1657) Eine Biographie BÖHLAU VERLAG WIEN · KÖLN · WEIMAR Die in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs gemachten Aussagen sind die der jeweiligen Verfasser, nicht die der Kommission. Gedruckt mit der Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung:Kaiser Ferdinand III., Ölgemälde von Jan van den Hoecke (Kunsthistorisches Museum Wien, Inv. Nr. 3283) Die CD Jupiter, Magnet und Terz – Musik um Ferdinand III. ist mit freundlicher Genehmigung von Cavalli-Records beigegeben. © 2012 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Satz: Bettina Waringer Umschlaggestaltung: Michael Haderer Druck: Demczuk Fairdrucker GesmbH Gedruckt auf, chlor- und säurefreiem Papier Printed in Austria ISBN 978-3-205-77765-6 INHALT Danksagung 9 1. Der Weg zum Kaiserthron 1608–1636 13 1.1 Nachgeborener Prinz einer Nebenlinie der Habsburger . 13 Das Geburtsjahr 1608 – Krise monarchischer Herrschaft . . 15 Erste Lebensjahre . 22 Jahre ohne Eltern . 26 1.2 Plötzlich Thronfolger . 35 Grundnormen: Herkunft, Recht, Frieden . 35 Hypotheken: Böhmen, Kriegskosten und die Pfalz. . 41 Abschied von Graz und erste Wiener Jahre . 47 1.3 Kronensammeln und Scheitern im Reich . 57 Keine Ehe ohne Krone: Ungarn 1625 . . 57 Kurfürstentag und böhmische Krönung 1627 . 64 Europäischer Krieg statt römischer Königswahl 1630 . 68 1.4 Warten . 74 Erbhuldigungen und Machteinübungen . 74 Konflikte mit der Kurie . 80 Vorbereitungen auf die Ehe. . 83 1.5 Ehe mit Spanien, Krieg für Spanien . 84 Hochzeitsfest . 86 Spielball spanischer Politik . . 89 Wallensteins Tod . . 94 Der spanische Feldzug Ferdinands III. 101 1.6 Vermeintlich am Ziel: Prager Frieden, römischer König 110 Der Prager Frieden . 110 Ferdinands III. Einstand im großen europäischen Krieg 1635 . 113 Wahl und Krönung zum römischen König . 120 2. Krieg auf der Suche nach Frieden 1637–1648 125 2.1 Konstellation kaiserlicher Regierung . 125 Die dynastische Konstellation. 125 Religion, Kunst, Musik 132 2.2 Dimensionen von Herrschaft: Hof, Regierung, Reisen, Rom . 145 Der neue alte burgundische Kaiserhof 145 Das Regierungssystem Ferdinands III. . 154 Präsenz in Böhmen und Ungarn . 167 Kaiser, Papst und der Kurfürst von Trier 173 6 INHALT 2.3 Verhandeln . 179 Schweden . 179 Hessen-Kassel . 181 England 182 Der Kölner Kongress 183 Osmanisches Reich und Siebenbürgen 190 Nürnberger Kurfürstentag . 191 Regensburger Reichstag . 192 Hamburg . 197 Münster und Osnabrück . 197 2.4 Krieg führen 200 Die vielgeteilte Armee . 201 Feldzüge, Festungen, Versorgung 204 Der Kriegsverlauf im Überblick: 1637–1644 . 208 Silber, Quecksilber, Subsidien 211 Soldatenversorgung und die Suche nach Geld 213 Militärs und Höflinge . 216 Die Schwäche des Oberkommandos 218 Disziplinmangel und Kriegsgreuel . 224 Beten 226 2.5 Die Wende 1644/45 227 Die Schlacht bei Jankau und die Folgen . 230 Die Geheiminstruktion vom Oktober 1645 235 Der Fortgang der Friedensverhandlungen . 240 2.6 Auf Biegen und Brechen . 246 Die Sicherung der innerhabsburgischen Allianz 246 Die Sicherung des Friedens im Osten 250 Ohne Bayern: die Krise des Jahres 1647 256 Frieden. 260 3. Die schwierige Erhaltung des Friedens 1649–1657 267 3.1 Erste Schritte in der neuen Zeit . 267 Festhalten an Spanien 267 Das Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648–1652 270 Ungarischer Reichstag 1649 und Friedenswahrung im Osten . 273 Waffenstillstand und Kleinkrieg im Südosten 276 3.2 Tod und Neubeginn in Dynastie und bei Hof . 278 Der Tod der Kaiserin Maria Leopoldina . 278 Krankheiten. 279 Die dritte Ehe: Kaiserin Eleonora II. . 280 Der Tod der alten Begleiter . 282 7 INHALT Der Generationswechsel . 284 Die kleine Hofreform und höfische Kontinuitäten . 286 3.3 Gegenreformation und Landeshoheit . 291 Die konfessionelle Situation in den Erbländern um 1650 . 291 Gegenreformation in Niederösterreich und Schlesien 292 Gegenreformation in Wien . 295 Katholizismus zwischen Kirche und Landeshoheit 297 3.4 Der Kaiser und sein Reich nach 1648 . 299 Die Wiederauflage des Vorkriegsszenarios. 299 Vorbereitungen für den angeordneten Reichstag 301 Das Prager Kurfürstentreffen von 1652 . 304 Die Rahmung des Reichstags: Feste und Krankheit . 305 Politische Vorverhandlungen und die Königswahl 1652/53 310 Reichstagsverhandlungen 1653/54 312 3.5 Der Tod Ferdinands IV. 319 3.6 Neue Nachfolge, alte und neue Kriegsgefahr . 323 Reichstag und Thronfolgeregelung in Ungarn 1655 323 An der Schwelle zu einem neuen großen europäischen Krieg 326 Mailand, Flandern, Frankfurt, Rom 330 Polen, Schweden, Frankfurt 333 Polen, Russland, Schweden, Siebenbürgen, Mailand, Osmanisches Reich, Venedig 334 Krankheit und Tod . 336 4. Zusammenfassung . 341 Anhang 347 Abkürzungen und Siglen . 347 Bibliographische Notiz 349 Archivalische Quellen . 351 Gedruckte Quellen und Alte Drucke 354 Literatur . 358 Anmerkungen . 381 Abbildungsnachweis 531 Register 533 Klaus Hubmann: Ferdinand III. und die Musik . 545 Christine Pollerus: Jupiter, Magnet und Terz 547 DANKSAGUNG Sprechen und Schreiben gehören zusammen. So gilt mein Dank zunächst all denen, deren Gesprächsbereitschaft in diesem Buch Spuren jenseits kon- kret benennbarer Hilfeleistungen hinterließ. Renate Schreiber, Elisabeth Zingerle, Josef Hrdlička und Tomáš Knoz sandten mir Transkriptionen bzw. Fotographien von Quellen. Britta Kägler überprüfte im Hauptstaatsarchiv München eine wichtige Signatur und half in der Bayerischen Staatsbiblio- thek. Jakob Buchetmann und Paul Dvořak beschafften Kopien und Bücher aus Wiener und Berliner Archiven und Bibliotheken. Andrea Sommer- Mathis gab mir eine Kopie ihrer sehr nützlichen Liste der Nuntiaturberichte in der Biblioteca Apostolica Vaticana und dem Archivio Segreto Vaticano. Hans-Georg Aschoff und Alexander Koller schickten mir eine Reihe von Artikeln zu norddeutschen bzw. römischen Aspekten. Brigitte Lernet und Walter Kalina ließen mir ihre noch ungedruckten Dissertationen zukom- men, Kerstin Weiand ihre seinerzeit noch ungedruckte Staatsexamensarbeit über die Politik Hessen-Kassels, Holger Gräf Publikationen v.a. zur hessi- schen Geschichte, Gerhard Immler sein Buch über die bayerische auswär- tige Politik, Arne Karsten v.a. sein Buch über Bernardino Spada. Václav Bůžek sandte mir eine ganze Reihe wichtiger tschechischer Publikationen. Géza Pálffy schenkte mir u.a. das Buch Magyarország Főméltóságai , das ich sonst nicht konsultiert, aber ebenfalls schmerzlich vermisst hätte. Péter Dominkovits übersandte zahlreiche Kopien von Quellen aus dem Stadtar- chiv Ödenburg sowie Kopien ungarisch-lateinischer Literatur. Das mir aus seiner Hand zugekommene Werk Magyar Törvénytár erlaubte die Lektüre der Beschlüsse der ungarischen Reichstage. Gabrielle Lobmeyer, Barbara Stollberg-Rilinger, Lucien Bély, Enrique Corredera Nilsson, Martin Papen- heim, Gérard Sabatier, René Vermeir und Antonio di Vico bereicherten den Text durch wertvolle Hinweise, Friedrich Polleroß und Hannes Scheucher vornehmlich durch ihre kunsthistorische Expertise. Péter Dominkovits gab nicht allein Materialien, er las zudem die Ungarn betreffenden Passagen Korrektur, prüfte und ergänzte insbesondere ungarische, kroatische und slowakische Personen- und Ortsnamen. Arne Karsten prüfte die Konsistenz der sehr moderaten ‚Normalisierung‘ der italienischen Zitate. Meine Frau Carla kennt das Buch auswendig und strich nicht nur Nebensätze vierten und fünften Grades. Den ganzen Text bzw. große Teile gelesen haben zudem meine Mutter Elisabeth Hengerer, Britta Kägler, Barbara Kröger, Renate Schreiber, Karin und Walter-Siegfried Kircher sowie Bruno Weber. Ihnen allen verdanke ich Anregungen, Korrekturen, Verbesserungen und die Ermutigung zum Kürzen. Sven Jüngerkes half in den zwischen Microsoft® 10 DANKSAGUNG und Endnote® aufgerissenen Klüften. Stefan Mayr las am Ende den gesam- ten Text und redigierte, eine unschätzbar wertvolle Hilfe, die Anmerkungen. Eva-Maria Pollerus und Klaus Hubmann organisierten 2008 in Graz einen Studientag zu Ferdinand III., bei dem die Idee der Einspielung der beilie- genden CD entstand, und sie realisierten dieses schöne Projekt, dessen Vollendung abzuwarten sich gelohnt hat. Der Kartograph Volker Schniepp erstellte die Karte und die genealogische Tafel, aus selbstlosem Interesse an der Sache. Brüssel, im April 2010 Der Umstand, dass dieses Buch länger wurde als geplant, machte die Bei- bringung eines erheblichen Druckkostenzuschusses und damit ein langwie- riges Antrags- und Begutachtungsverfahren erforderlich. Dafür, dass er sich als Antragsteller für diesen Band eingesetzt hat und dass er trotz so knapper Zeit das Manuskript gründlich las und mir Verbesserungsvorschläge und Korrekturen übermittelte, bin ich Thomas Winkelbauer zu größtem Dank verpflichtet. Dem österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftli- chen Forschung (FWF) danke ich sehr für seine großzügig gewährte Unter- stützung, der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs für die Auf- nahme des Bandes in ihre Schriftenreihe, Doris Haslinger vom FWF und Doris A. Corradini von der Kommission für die sehr erfreuliche Zusammen- arbeit. Schließlich half erneut Stefan Mayr, adaptierte die Formalia und erstellte das Register. Konstanz / Bratislava, im November 2011 Mark Hengerer Für Carla 12 1. DER WEG ZUM KAISERTHRON 1608–1636 1.1 Nachgeborener Prinz einer Nebenlinie der Habsburger In der Mitte des Monats Mai im Jahr 1608 rechnete man in Graz damit, dass Maria Anna, die Frau des Erzherzogs Ferdinand, in einigen Tagen ein Kind gebären würde, und man hoffte inständig auf einen Sohn. Drei Kinder hatte sie seit ihrer Eheschließung im Jahr 1600 schon zur Welt gebracht. Nur ein Sohn hatte überlebt. Auch Anfang Juni rechnete man mit einer bal- digen Geburt. Als sie Anfang Juli noch immer nicht niedergekommen war, wurde klar, dass man sich bei der Ermittlung des Geburtstermins verrech- net hatte. 1 Erst weitere zwei Wochen später, zwischen dem 12. und 13. Juli, war es soweit: um 12 in der Nacht gebar die Herzogin in anderthalb Stun - den einen Sohn . Eine andere Quelle führt aus, die Geburt sei am Anfang der ersten Stunde nach der Mitte jener Nacht, die dem Tag des 13. Juli vor - ausging , gewesen. Die so lange erwartete Geburt verlief glücklich, Mutter und Kind überlebten. Da die Kindersterblichkeit damals immens hoch war, beeilte man sich und bat am gleichen Tag den Gesandten des Papstes am Grazer Hof in die Burg. Dieser taufte am 13. Juli, einem Sonntag, das Kind auf den Namen Ferdinand Ernst. 2 Die Namen für das Kind waren Programm: Ferdinand hießen der Vater, der Innerösterreich regierte, und der Urgroßvater, der von 1556 bis 1564 als Ferdinand I. Kaiser gewesen war. Den Namen Ernst hatte ein jüngerer Bruder Kaiser Rudolfs II. getragen, der Statthalter in den Niederlanden gewesen war; auch ein jüngerer Bruder des Vaters trug diesen Namen, der Ordensritter Maximilian Ernst. Der Name ließ an einen Dienst für die Familie ohne eigenes Fürstentum denken, aber auch an die Thronfolge, sollte der ältere Bruder vor ihm sterben. Mit regierenden Häusern Europas wurde das Kind durch die Taufpaten verbunden, das polnische Königs- paar Sigismund III. und Konstanze. Vertreten wurden diese beiden durch zwei Geschwister sowohl der polnischen Königin als auch des regierenden Erzherzogs Ferdinand: durch Erzherzog Maximilian Ernst und Erzherzogin Magdalena, die später Großherzogin von Toskana werden sollte. Hineingeboren wurde Erzherzog Ferdinand Ernst in eine weit verzweigte Dynastie. Sie stellte den im Reich regierenden Kaiser Rudolf II. Dieser war wie der Vater des Neugeborenen ein Enkel Kaiser Ferdinands I. Hinter diesem wiederum stand eine spektakuläre Ahnenreihe: Königin Johanna von Kastilien und Aragon und ihr Mann Philipp der Schöne; dessen Mutter 1. DER WEG ZUM KAISERTHRON 1608–1636 14 Maria war die Erbtochter Karls des Kühnen von Burgund, dessen Vater Kaiser Maximilian I. Dieser war ein Sohn jenes Kaisers Friedrich III., der die Grazer Hofburg hatte erbauen lassen. Der erste römische König, den diese Dynastie gestellt hatte, war Rudolf I. gewesen, geboren 1218. Es gab in Europa Dynastien, die sich längerer Herrschaft rühmen konn- ten, aber weltweit hatte keine andere so viele Länder. Das gewaltige Erbe hatten die Kinder Johannas und Philipps auf eine spanische und eine öster- reichische Linie aufgeteilt, die sich wiederum in eine kaiserliche und die steirische Linie teilte. Der Vater des Neugeborenen war Haupt der Letz- teren und regierte die Herzogtümer Steiermark, Kärnten und Krain, die Grafschaft Görz und etwas Küstenland um Triest und Fiume. Die spanische Linie regierte große Teile von Süd-, Mittel- und Nordamerika, die iberische Halbinsel und einige kleine Teile Nordafrikas, dazu Sizilien und Neapel sowie das Herzogtum Mailand. Die kaiserliche Linie regierte neben dem ungarischen Königreich mit den Nebenländern Kroatien und Slawonien das Königreich Böhmen mit den Nebenländern Mähren, Schlesien und den Lausitzen und die beiden Länder Österreich ob und unter der Enns, also eine „monarchische Union monarchischer Unionen von Ständestaaten“. 3 Die den Habsburgern treu gebliebenen Provinzen der Niederlande regier- ten Erzherzog Albrecht und die spanische Königstochter (Infantin) Isabella, die Grafschaft Tirol mitsamt einer Reihe von Herrschaften in Schwaben, im Elsass und am Oberrhein ein Erzherzog als Statthalter; die kaiserliche und die steirische Linie wechselten sich dort in der Landesverwaltung ab. So heterogen diese riesige Herrschaft auch war: manchen erschien sie als erdrückend, dem König von Frankreich etwa, vielen Reichsfürsten und besonders den vielen Rittern, Freiherren und Grafen in den Ländern der österreichischen Habsburger, die sich in Opposition zu den Habsburgern befanden. Im Reich war es mit einer Regierung im engeren Sinne nicht weit her, und auch gegenüber den Ständen hakte es, besonders bei den konfes- sions- und kirchenrechtlichen Aspekten von Herrschaft. Gerade hier aber wurde dem Neugeborenen eine Bestimmung zugesprochen: Der Vater bat nach der Taufe den Nuntius um den Segen des Papstes für sich, die Mutter und das Knäblein (putto), das geboren sei als neuer Diener Seiner Heiligkeit und des Heiligen Stuhls 4 Erzherzog Ferdinand Ernst, der spätere Kaiser Ferdinand III., war so vom Tag seiner Geburt an Partei im Konfessionskon- flikt, der das Reich bald in einen Krieg riss. 1.1 NACHGEBORENER PRINZ EINER NEBENLINIE DER HABSBURGER 15 Das Geburtsjahr 1608 – Krise monarchischer Herrschaft Werfen wir einen kurzen Blick auf dieses Reich. Es war kein kompakter Territorialstaat, sondern ein Verbund einer Vielzahl von Personen, die Inhaber sehr unterschiedlicher Herrschaftsrechte waren. Sieben Kur- fürsten, die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier sowie der Markgraf von Brandenburg, der Herzog von Sachsen, der Pfalzgraf bei Rhein und der König von Böhmen, wählten den römischen König, der als Kaiser regierte. Daneben gab es etwa 300 geistliche und weltliche Reichsfürsten, Reichsäbte und Reichsprälaten, Reichsgrafen, Reichsfreiherren, Reichsritter, sogar einige Reichsdörfer und dazu eine große Zahl v.a. ökonomisch bedeuten- der Reichsstädte, die außerhalb ihrer Mauern oft beachtliche Herrschafts- rechte oder gar Territorien hatten und diese fast wie selbständige Länder regierten. Die Kurfürsten (aber nicht der König von Böhmen), Reichsfürs- ten und Reichsstädte hatten Sitz und Stimme beim gesetzgebenden Reichs- tag, der alle paar Jahre einberufen und seit dem 16. Jahrhundert meist in Regensburg abgehalten wurde. Zwischen den Reichstagen versuchten Deputationen der Reichsstände Probleme zu lösen. Viele Reichsangelegen- heiten regelten die Kurfürsten auf Kurfürstentagen ohne Mitsprache der anderen Reichsstände. Es gab mehrere Reichsgerichte, die beiden höchsten waren, mit umstrittener Zuständigkeit, das von den Reichsständen domi- nierte Reichskammergericht sowie der kaiserliche Reichshofrat. Gegliedert war das Reich zudem in zehn Reichskreise. Wichtig waren diese v.a. für die Wehrverfassung. Auch die Reichskreise waren ständisch geordnet; in ihren Körperschaften waren auch Grafen und Ritter vertreten. Im Norden reichte das heterogene Gebilde bis zur Eider und umfasste Holstein. Im Westen reichte es etwa von Antwerpen bis Nizza und umfasste die Herzogtümer Brabant, Luxemburg und Lothringen, die Freigrafschaft Burgund, die Bünde und Eidgenossen der heutigen Schweiz und Savoyen. Im Süden grenzte es an den Kirchenstaat und die große Stadtrepublik Vene- dig und umfasste die anderen norditalienischen Fürstentümer und Stadt- republiken; den Reichstag beschickten diese aber nicht. Im Osten grenzte das Reich an die Länder der ungarischen und polnischen Krone und reichte ungefähr von der nördlichen Adria bis Pommern. Das Königreich Böhmen mit seinen Nebenländern Mähren, Schlesien und den Lausitzen gehörte zum Reich, die staatsrechtliche Bindung aber war sehr lose und umstritten. Volle Unabhängigkeit vom spanischen König und vom Reich beanspruch- ten sieben der 17 niederländischen Provinzen, die sich zu den Vereinigten Niederlanden zusammengeschlossen und gegen ihren Landesherrn, der auch spanischer König war, erhoben hatten. 1. DER WEG ZUM KAISERTHRON 1608–1636 16 Das Geburtsjahr Ferdinands III. markiert aus einer Reihe von Gründen eine tiefe Zäsur in der Geschichte des Reiches. Der Reichstag konnte sich aus konfessionspolitischen Gründen im Jahr 1608 erstmals nicht auf einen gemeinsamen Abschluss einigen. Der Augsburger Religionsfriede von 1555, den König Ferdinand I. und die Reichsstände ausgehandelt hatten und der nach langen Kämpfen das konfessionell gespaltene Reich beruhigt und eine Phase der Koexistenz von Katholiken und Lutheranern ermöglicht hatte, hatte ausgedient. Zugespitzt hatten sich die Probleme v.a. durch die soge- nannte zweite Reformation, das Vordringen des Kalvinismus. Dem stellte sich der inzwischen regenerierte Katholizismus entgegen. Wie vor 1555 der reichsrechtliche Status der Lutheraner war nun der Status der Kalvinisten umstritten. Gestritten wurde v.a. darüber, was mit den Kirchengütern geschehen sollte, die nach 1552 der katholischen Kirche von weltlichen, vornehmlich kalvinistischen Herrschaftsträgern entzogen worden waren, denn die Rechtslage war unklar. 1555 hatte man zwar die bis 1552 vollzo- genen Säkularisationen legalisiert, aber es war offen geblieben, was danach zulässig sein sollte: Durften die Stadträte von Reichsstädten über die Kon- fession der städtischen Untertanen bestimmen? Durften weltliche Fürsten Kirchengut einziehen, das von ihren Territorien umschlossen war? Durften Geistliche die ihnen von der Kirche anvertrauten Territorien als eigenen weltlichen Besitz behalten, wenn sie Lutheraner oder Kalvinisten wurden? Die Katholiken sahen in dem 1555 ergangenen Verbot dieser Praxis, dem sogenannten Geistlichen Vorbehalt, einen Schutz vor dem weiteren Verlust geistlicher Territorien – die Protestanten dagegen sahen darin eine unzu- lässige Einschränkung der den Fürsten garantierten Konfessionsfreiheit und fuhren mit der Einziehung von Kirchenbesitz fort. Es war nun gerade der Vater Ferdinands III., der als Vertreter Kaiser Rudolfs II. beim Reichstag von 1608 verlangte, dass die nach katholischer Auffassung inzwischen eingetretenen Verstöße gegen die Vorschrift über den Geistlichen Vorbehalt rückgängig gemacht würden. Dazu waren die Protestanten, die so ihre Territorien erweitert hatten, nicht bereit, und beide Seiten nicht zu einem tragfähigen Kompromiss. Der Grazer Nuntius schrieb nach einem mit Erzherzog Ferdinand über den Reichstag geführ- ten Gespräch, dieser habe persönlich Anklang gefunden; auch die Häreti - ker hätten nichts anderes sagen können, als dass er zu katholisch sei. 5 Die Brisanz der Situation war damit unterschätzt. Die katholischen Reichskam- mergerichtsassessoren verweigerten Urteilen seit 1608 ihre Unterschrift, da ein Protestant Gerichtspräsident (Kammerrichter) geworden war. Die Funktionsfähigkeit der Reichsinstitutionen war damit 1608 fast zerstört. Zudem hatte es bereits seit den 1580er-Jahren mehrere kriegerische Kon- flikte im Reich gegeben, zuletzt die bayerische Besetzung von Donauwörth 1.1 NACHGEBORENER PRINZ EINER NEBENLINIE DER HABSBURGER 17 im Jahr 1607. Das protestantische Lager spaltete sich zudem in Lutheraner und Kalvinisten, 6 die sich mitunter feindlicher gegeneinander verhielten als Katholiken und Lutheraner. Das ließ die Katholiken auf den Gedanken verfallen, in den Kurien des Reichstags ihre Stimmenmehrheit auszuspie- len. Als sie versuchten, gegenüber dem früheren Prinzip der Herbeiführung einer allgemeinen Einigung die Verbindlichkeit der Mehrheitsentscheidung durchzusetzen, entwickelten die Protestanten das einzig mögliche Abwehr- instrument: das Verhindern eines einmütigen rechtskräftigen Abschluss- dokuments, des sogenannten Reichsabschieds, durch Abreise unter Protest. Bald nach dem Reichstag von 1608 wurde zum politisch-konfessionellen Knoten der militärische geschürzt. Nur wenige Tage nach dem Auseinan- derbrechen des Reichstags erfolgte die Bildung einer Militärallianz einiger protestantischer Reichsstände: die Union. An ihrer Spitze stand der kalvi- nistische Kurfürst von der Pfalz. Dass dies ein Defensivbündnis sein sollte, glaubten die geistlichen Kurfürsten von Mainz, Köln und Trier, einige katholische Bischöfe und der Herzog von Bayern nicht und gründeten im folgenden Jahr ein eigenes Militärbündnis unter bayerischer Führung: die Liga. Das tiefe Misstrauen verschärfte sich zu existentieller Angst und führte Union und Liga schon bald im Streit um das Erbe des Herzogs von Kleve, Jülich und Berg beinahe in einen Krieg. 7 Die Existenz von Union und Liga stellte eine militärische Infrastruktur bereit, motivierte weitere Rüstungen und begünstigte schließlich die Ausweitung des böhmisch-pfäl- zischen Krieges von 1618 bis 1620 auf das Reich. Der Bischof von Speyer beispielsweise baute 1615 eine Festung, denn er fühlte sich von seinen protestantischen Nachbarn bedroht, von Kurpfalz, Württemberg und dem Markgrafen von Baden. Diese sahen die Festung ihrerseits als Bedrohung und zerstörten sie 1618. Der Bischof baute die Festung wieder auf und schuf mit der Philippsburg einen Angelpunkt des Dreißigjährigen Krieges. Auch in den Ländern der Habsburger markiert das Jahr 1608 eine tiefe Zäsur, die für Leben und Politik des gerade geborenen Erzherzogs Ferdinand Ernst in gleich mehrfacher Hinsicht entscheidend sein sollte. Sie zeigt, warum Ferdinand II. und Ferdinand III. im Dreißigjährigen Krieg so verbissen um ihre Landeshoheit und ihr Recht, die Konfession der Unter tanen zu bestimmen (Reformationsrecht), gekämpft haben, gegen die eigenen Landstände und gegen andere Herrscher. Ohne das Zusammenwir- ken von Krieg, Steuern und Konfession darzulegen, kann man nicht klären, wie der Krieg entstand, an dessen Ende das Reich Ferdinands III. anstelle von 15 bis 21 Millionen nur noch 10 bis 13 Millionen Einwohner hatte. Wir müssen ein wenig ausholen. Die Verteidigung gegen den Eroberungskrieg des Osmanischen Reiches erforderte im 16. Jahrhundert den Aufbau und den Unterhalt eines 1. DER WEG ZUM KAISERTHRON 1608–1636 18 Festungsgürtels von der Adria bis weit nach Nordostungarn. Das Reich half dabei zwar mit Geld, die Habsburger aber, deren Länder unmittel- bar betroffen waren, brauchten zudem noch Steuergelder aus ihren eige- nen Territorien. Steuern wurden in dieser Zeit indes nicht direkt von den Untertanen an die landesfürstliche Verwaltung gezahlt, denn die Bau- ern waren zunächst einmal Untertanen der vielen Ritter, Freiherren und Grafen, der Äbte und Bischöfe sowie schließlich Untertanen von Städten. Diese Grundherren hatten sich bereits im späten Mittelalter zu den soge- nannten Ständen zusammengeschlossen. Diese Stände handelten bei den Landtagen mit den Landesfürsten die Landesangelegenheiten aus und es war ihre landständische Verwaltung, welche die für den Krieg aufzubrin- genden Steuern einbrachte und diese an den Fürsten abführte. Im Verhältnis zum Fürsten waren nicht die Bauern, sondern die Land- stände Schuldner bewilligter Steuern. Steuern aber waren an die Zustim- mung der Belasteten geknüpft, denn sie waren und sind ein Eingriff in das Eigentumsrecht. Die Stände stellten für die Bewilligung von Steuern daher vor allem zwei Bedingungen: dass die Steuergelder nötig waren und dass sie dem Land insgesamt zugute kamen. Das war bei Geld, das für Verteidi- gung aufgebracht wurde, der Fall. Andere Forderungen wiesen die Stände meist ab. So konnten die Stände irgendwann nicht ohne Grund meinen, dass sie selbst an erster Stelle es waren, die das Land schützten: mit ihrem Geld vor den Osmanen, mit ihrem Widerstand gegen anmaßende Landes- herren. 8 Die mit erheblichem Repräsentationsaufwand überhöhte Herrschaft der Landesfürsten, auch das wurde am Ende des 16. Jahrhunderts deutlich, war die Funktion eines komplexen Gefüges wechselseitiger rechtlicher Bindungen. Zumal im unklaren Gemenge unterschiedlicher Rechtsquel- len, des alten Herkommens einerseits und des wiederentdeckten römi- schen Staatsrechts andererseits, war das für viele unbefriedigend. Die Stände begannen von eigener Regierung zu träumen, die Landesfürsten von der Lösung alter rechtlicher Bindungen. In dieser als Krise wahrge- nommenen Konstellation kristallisierten sich fast überall in Europa drei grundsätz liche Optionen für die Zukunft heraus: das von der friedlieben- den Mehrheit gewünschte Weitermachen-wie-gehabt, die von einer stän- dischen Minderheit ersehnte Ständeregierung und die von vielen Fürsten an gestrebte ungeteilte Landeshoheit. Zur Verschärfung des Gegensatzes trugen Landesfürsten und Stände bei, indem sie diesen mit der Auseinandersetzung um konfessionelle Rechte verbanden. 9 Fürsten aller Konfessionen sahen sich in der Regel als gottgewollte Herrscher eben dort, wo ihr Land war. Die Verknüpfung der beiden Annahmen, sie seien von Gott eingesetzte Fürsten und sie 1.1 NACHGEBORENER PRINZ EINER NEBENLINIE DER HABSBURGER 19 seien als solche für das Seelenheil ihrer Untertanen verantwortlich, legi- timierte nach der von den Reichsständen 1555 anerkannten Auffassung das Recht aller Fürsten, die Konfession ihrer Untertanen zu bestimmen, seien sie katholisch oder lutherisch; ob es für kalvinistische Fürsten galt, war umstritten. Wer als Untertan konfessionelle Autonomie beanspruchte, musste im Zweifel das Land verlassen. Dieser Grundsatz galt aber nicht unbeschränkt. In den meisten Ländern der österreichischen Habsburger setzten die Stände im 16. Jahrhundert als Bedingung für Steuerleistungen weitgehende konfessionelle Autonomierechte durch: eigene Kirchen, Pre- diger, Schulen, Druckereien. Es bildete sich dadurch ein grundherrliches protestantisches Kirchenregiment heraus, das der Adel durch Zusammen- schlüsse zu einem landständischen Kirchenregiment hin entwickelte. Diese Entwicklung bezog die Stadtbevölkerung und die Bauern mit ein. Vorbild- charakter hatten die von den protestantischen Reichsfürsten geführten Landeskirchen. Der politischen Brisanz dieses Prozesses waren sich die protestantischen Adeligen bewusst und sie schlossen gerade deshalb am Anfang des 17. Jahrhunderts über die Grenzen der verschiedenen Länder hinweg Schutzbündnisse. Aus Sicht der Habsburger lief das auf eine Art von Staat im Staat hinaus. 10 Landeskirchliche Modelle gab es in unterschiedlichen Ausprägungen mitt- lerweile vielerorts: in Europa gleichsam führend England mit der anglikani- schen Kirche, Frankreich mit der römisch-katholischen, praktisch von Rom aber weitgehend unabhängigen Kirche, bei den protestantischen Reichs- fürsten, aber auch bei katholischen Nachbarn wie Bayern, bei ihren eigenen evangelischen landständischen Untertanen. Die Habsburger konnten dieses Modell lange nicht in ähnlicher Weise entwickeln. Stärker als viele andere Fürsten mussten sie sich in Kirchenfragen mit den Amtsträgern der römi- schen Kirche, vom Papst bis zu den in den Landständen gleichfalls vertrete- nen Prälaten, arrangieren. Vor allem aber hatten sie kaum noch katholische Untertanen, denn die allermeisten hatten sich während der Reformation lutherischen und kalvinistischen Predigern zugewandt. Wo die Habsbur- ger oder die katholischen Landstände den Untertanen Katholizismus vor- schrieben, gingen sie zum Gottesdienst auf den Gütern derjenigen Adeligen, die sich wie sie zum neuen Glauben bekannten. Diese Praxis nannte man Auslauf . Er musste den Habsburgern vorkommen wie das Gegenstück der Prozession und repräsentierte die Anziehungskraft des evangelischen Glau- bens deutlich. Regelmäßig etwa besuchten am Anfang des 17. Jahrhunderts mehrere tausend Einwohner Wiens den evangelischen Gottesdienst auf dem Besitz der Freiherrn von Jörger vor den Toren der Stadt. Wenn man fragt, warum die Habsburger nicht zum Protestantismus übertraten (Kaiser Maximilian II. war sich da nicht mehr ganz sicher), stößt