Politische Eliten in Salzburg 2 Geschichte der italienischen Literatur in Österreich 1 Alfred Noe Die italienische Literatur in Österreich Teil I Von den Anfängen bis 1797 Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar Politische Eliten in Salzburg 4 Gedruckt mit der Unterstützung durch: Umschlagabbildung: Zuschauerraum zur Aufführung von Il Pomo d’oro ; Kupferstich von Franz Geffels, aus dem Libretto 1667 . ÖNB Wien. Umschlaggestaltung: Michael Haderer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78730-3 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. 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Der italienische Humanismus in Österreich . . . . . . . . . . . . . . 27 I. 1 Francesco Petrarca in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ^ 28 I. 2 Enea Silvio Piccolomini in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. 3 Die Humanisten an den Höfen und Universitäten. . . . . . . . . . . . . 56 I. 4 Die Panegyrik für Maximilian I. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. 5 Die Späthumanisten zwischen Wien und Prag . . . . . . . . . . . . . . . 72 II. Der Petrarkismus und die Akademiebewegung in Österreich . . 79 II. 1 Petrarkismus und protestantischer Adel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 II. 2 Die Rezeption der Madrigalistik an den Höfen. . . . . . . . . . . . . . . 87 II. 3 Barocke Akademien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Die religiöse Literatur von der Gegenreformation zur katholischen Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 III. 1 Reformorden aus Italien und ihre Volksmissionen . . . . . . . . . . . . . 101 III. 2 Die kontemplative Literatur für Laien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. 3 Die katholische Frühaufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 IV. Die italienische Improvisationskomödie . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 IV. 1 Italienische Truppen in Österreich und Böhmen. . . . . . . . . . . . . . 143 IV. 2 Die Commedia dell’arte im österreichischen Musiktheater ^ des 17 . und 18 . Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 IV. 3 Italienische Texte der deutschen Wanderbühne in Österreich . . . . . 188 V. Die literarische Selbstdarstellung des Kaiserhofes im Barock 199 V. 1 Die Bedeutung der Historiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 V. 2 Die Funktion der kaiserlichen Hofdichter . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 V. 3 Geistliche Musikdramen und Oratorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 V. 4 Die Rezeption des italienischen Musiktheaters zu Beginn ^ des 17 . Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 V. 5 Serenaden, Kammerfeste und andere Kleinformen . . . . . . . . . . . 274 V. 6 Ballette und Einleitungen zu Balletten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 V. 7 Aufzüge und Rossballette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 V. 8 Musikalische Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 V. 9 Faschingsopern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 V. 10 Opern zu Geburts- und Namenstagen im Kaiserhaus . . . . . . . . . . 334 V. 11 Opern zu Geburten im Kaiserhaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 V. 12 Hochzeitsopern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 VI. Die italienische Aufklärung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . 385 VI. 1 Die Kontakte der italienischen Frühaufklärer zum Wiener Hof . . . . 393 VI. 2 Die geistlichen Libretti der Generation vor Metastasio . . . . . . . . . 399 VI. 3 Die weltlichen Libretti der Generation vor Metastasio . . . . . . . . . 419 VI. 4 Pietro Metastasio – der Hofdichter als Monument . . . . . . . . . . . 449 VII. Von der Spätaufklärung zur Frühromantik . . . . . . . . . . . . . 489 ^ VII. 1 Von Metastasio zu Goldoni . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 VII. 2 Die neuen Leidenschaften im Libretto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 VII. 3 Die italienischen Reformbewegungen und Österreich . . . . . . . . . 524 Inhaltsverzeichnis 6 VIII. Die Verbreitung der italienischen Literatur . . . . . . . . . . . 531 VIII. 1 Die Drucker italienischer Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 VIII. 2 Das Libretto als wichtigste Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 VIII. 3 Übersetzungen in das Deutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 VIII. 4 Die Präsenz in den Bibliotheken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 IX. Verzeichnis der Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 Riassunto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 Personen- und Titelregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 725 Inhaltsverzeichnis 7 Einführung Das Konzept der Nationalliteraturen, wie es das 19 . Jahrhundert auf der Grund- lage des romantischen Gedankengutes und im Zeichen der politischen Weltsicht nach den napoleonischen Kriegen hervorgebracht hat, postuliert eine ideale Kon- gruenz von Staat, Sprache und Kultur, welche innerhalb eines einheitlichen Terri- toriums die kollektive Identität der zugehörigen Bewohner sichern soll. Die aus dem humanistischen Bildungsbegriff entsprossene Idee der Weltliteratur als universale Republik der Intellektuellen wird damit abgelöst und durch eine genetisch bedingte, mystifizierte Identifikation der gemeinsamen Herkunft ersetzt, welche die Zuge- hörigkeit nicht mehr am erworbenen Bewusstsein einer gemeinsamen kulturellen Tradition, sondern an den gemeinsamen ererbten Wurzeln einer Gruppe oder einer Region misst. Kultur verliert damit ihren ursprünglichen Wert als schöpferische Ab- grenzung gegenüber der Barbarei und als Kommunikationsbasis einer nach immer höherer Zivilisation strebenden Elite, um zu einem ideologischen Instrument der Führung dieser Elite innerhalb einer politisch definierten Gruppe zu werden. Die Bestrebung nach einer nationalen Identifikation über die spezifisch eigene Kultur manifestiert sich besonders deutlich in der italienischen Einigungsbewegung des Risorgimento, das – mangels einer gemeinsamen staatlichen Identität – in den zahlreichen Territorien ein kollektives Bewusstsein einer einheitlichen Sprache und Kultur setzen möchte. Propagiert von meist aus dem Exil agierenden Intellektu- ellen und getragen vom gebildeten Bürgertum der Städte, steht dieses politische Streben nach einem Nationalbewusstsein am Beginn des künftigen Einheitsstaates und einer alle Territorien der Halbinsel umfassenden Sprache und Kultur. Die aus den politischen Konflikten resultierende Abgrenzung nach außen und gleichzeitige Vereinheitlichung nach innen schließen jeden Kompromiss bezüglich sprachlicher und kultureller Überschneidungen mit anderen Nationen aus, sodass die noch in den Darstellungen von Crescimbeni, 1 Quadrio 2 oder Tiraboschi 3 erwähnte italieni- sche Literatur in Wien verleugnet werden muss. Sowohl abweichende Minderheiten 1 Giovan Mario Crescimbeni: Commentarii intorno alla sua Istoria della Volgar Lingua. Bd. III. Rom 1702 2 Francesco Saverio Quadrio: Della Storia e della Ragione d’ogni Poesia. 4 Bde. Bologna 1739 3 Girolamo Tiraboschi: Storia della letteratura italiana. Bde. 27 – 29 . Mailand 1782 Einführung 10 im eigenen Land als auch verwandte Sprachinseln in anderen Staaten gefährden dieses Konzept von einer Nation in einem Staat mit einer Sprache und einer Kul- tur. Am deutlichsten tritt diese Auffassung von nationaler Literatur als schöpferi- sche Leistung eines Volkes wohl in der berühmten Storia della letteratura italiana von Francesco De Sanctis zu Tage, welche zeitgleich mit dem Abschluss der politischen Einigung Italiens 1870 – 71 erscheint. Die italienische Literatur außerhalb Italiens genießt erst wieder in der Litera- turwissenschaft des ausgehenden 20 . Jahrhunderts zunehmend ihre verdiente Auf- merksamkeit, sobald nämlich die kulturelle Analyse der verschiedenen Formen des äußeren und inneren Postkolonialismus an Bedeutung gewinnt. Imperialismus und Nationalismus werden in gleicher Weise für die kulturelle Entfremdung der außerhalb und innerhalb des staatlichen Territoriums Unterdrückten oder Marginalisierten verantwortlich gemacht und als ideologische Konstrukte entlarvt. Damit eröffnet sich auch ein neuer Blick auf den Begriff der Nationalliteratur, welcher zunehmend als Hindernis für die Beschäftigung mit der Vielfalt der Kultur und ihrer Geschichte in Erscheinung tritt. Fragen nach der eventuellen nationalen Zugehörigkeit einer aus einem anderen Kulturkreis zugewanderten Autorin oder eines in einer transna- tionalen Sprache schreibenden Autors lenken den Blick auf die historischen Formen von internationaler Kulturproduktion: auf Latein und in der ‚Volkssprache‘ schrei- bende Humanisten werden in ihrem gesamten Schaffen entdeckt, in anderen Regio- nen wirkende Dichter als Bestandteil der eigenen Tradition akzeptiert und Vorgänge der kulturellen Migration als bereichernd anerkannt. Nach dem noch auf ganz Europa ausgerichteten, lateinischen Mittelalter (vgl. dazu den programmatischen Titel von Ernst Robert Curtius: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Bern 1948 ) strebt die italienische Literatur unter der spirituellen Führung von Dante Alighieri ab dem 14 . Jahrhundert nach der Begründung einer spezifisch eigenen Tra- dition auf der Basis einer erst zu definierenden Sprache, wie das in Dantes De vulgari eloquentia abgehandelt wird. Der parallel dazu entstehende und sich im Laufe des 15 . Jahrhunderts über ganz Europa ausbreitende Humanismus wird die erste große Außenwirkung dieser Bestrebungen darstellen, wodurch eine kulturelle Vormacht- stellung Italiens begründet wird, die über die Schäferdichtung und den Marinismus bis an den Beginn des 17 . Jahrhunderts verteidigt werden kann. Die nachfolgenden Modelle der spanischen, französischen und englischen Literatur variieren im Sinne von imitatio und aemulatio die aus Italien empfangenen Einflüsse, ohne sie wesentlich in Frage zu stellen. In den historischen Überblicken der jüngeren Forschung wird diesen vielfältigen Rezeptionsströmen durchaus Rechnung getragen. In dem von Luciano Formisano 11 Einführung koordinierten Band La letteratura italiana fuori d’Italia (Rom 2002 ), dem zwölften der monumentalen Storia della letteratura italiana unter der Leitung von Enrico Malato, wird in erster Linie die Wirkung der italienischen Literatur auf anderssprachige Gebiete, vor allem England, Frankreich und Spanien dargestellt. Die in Bezug auf Produktion von italienischer Literatur außerhalb Italiens vermutlich herausragende Region, nämlich Österreich bzw. die Länder der Habsburgermonarchie, welche über beinahe 500 Jahre vom Frühhumanismus bis zum Ersten Weltkrieg quantita- tiv und qualitativ die reichhaltigste Tradition aufweist, wird darin nur unzureichend gewürdigt. Dieses in der Forschung leider noch weit verbreitete Bild soll durch die vorliegende Geschichte der italienischen Literatur in Österreich korrigiert werden. Immerhin wird die außergewöhnliche Position des Wiener Hofes, der das Italie- nische zumindest von der Mitte 17 . bis zur Mitte des 18 . Jahrhunderts als offizi- elle Sprache der Repräsentation nach außen und nach innen als familiäre Sprache der kulturellen Kommunikation verwendet, inzwischen uneingeschränkt aner- kannt: „Soltanto alla corte viennese l’italiano assume la funzione di lingua ufficiale, diventando strumento espressivo dell’ élite di una zona assai vasta, che ne risente l’autorità.“ 4 Zu den wichtigsten Grundlagen des vielfältigen Kulturtransfers zwischen den österreichischen Ländern und den italienischen Territorien zählen ohne Zweifel die zahlreichen dynastischen Verbindungen zwischen den Habsburgern und den Herrscherfamilien Italiens. Sieht man von der 1315 geschlossenen Ehe zwischen Herzog Leopold I. und Gräfin Katharina von Savoyen ab, da dieses Gebiet wohl erst viel später den italienischen Staaten zuzuordnen ist, so beginnt die Heiratspolitik in Richtung Italien mit der von Herzog Rudolf IV. vorbereiteten und 1366 gefeierten Hochzeit seines Bruders Leopold III. mit Viridis Visconti von Mailand. Die ehelichen Verbindungen der wichtigsten Linien der Habsburger mit italienischen Fürstenhäusern vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution sind: 1366 Herzog Leopold III. und Viridis Visconti von Mailand; 1494 Kaiser Maximilian I. und Bianca Maria Sforza von Mailand; 1549 Katharina und Herzog Franz III. Gonzaga von Mantua, 1561 Eleonora und Herzog Wilhelm Gonzaga von Mantua; 1565 Barbara und Herzog Alfons II. von Este und Ferrara; 4 Harald Hendrix: Persistenza del prestigio nell’età della crisi. In: Luciano Formisano (Hg.): La lettera- tura italiana fuori d’Italia. = Enrico Malato (Hg.): Storia della letteratura italiana, Bd. XII. Rom 2002 , S. 437 – 482 ; hier S. 442 Einführung 12 1565 Johanna und Großherzog Franz I. Medici von Toskana; 1582 Erzherzog Ferdinand II. von Tirol und Anna Katharina Gonzaga von Mantua; 1608 Marie Magdalene mit Großherzog Cosimo II. Medici von Toskana; 1622 Kaiser Ferdinand II. und Herzogin Eleonora Gonzaga von Mantua; 1626 Erzherzog Leopold V. von Tirol und Großherzogin Claudia von Medici; 1646 Erzherzog Ferdinand Karl von Tirol mit Großherzogin Anna Medici von Toskana; 1649 Isabella Klara mit Herzog Karl III. Gonzaga von Mantua; 1651 Kaiser Ferdinand III. mit Herzogin Eleonora Gonzaga von Mantua; 1760 Kaiser Josef II. mit Herzogin Maria Isabella von Bourbon-Parma; 1768 Karoline mit König Ferdinand I. von Bourbon-Neapel; 1769 Maria Amalie mit Herzog Ferdinand von Bourbon-Parma; 1771 Erzherzog Ferdinand mit Herzogin Marie Beatrix von Modena-Este; 1789 Marie Therese mit König Viktor Emanuel I. von Sardinien; 1790 Kaiser Franz II. mit Prinzessin Marie Therese von Bourbon-Neapel; 1797 Klementine mit König Franz I. von Bourbon-Neapel. Diese dynastisch motivierten Eheschließungen bedingen natürlich intensive kul- turelle Beziehungen und ökonomische Verflechtungen zwischen den jeweiligen Staaten, aber auch die fallweise daraus resultierenden Verwicklungen in territoriale Konflikte sowie militärische Bündnisse, welche nicht immer zur wechselseitigen Sympathie beitragen. Eines der bedeutendsten Zeugnisse für das frühzeitige Inte- resse an italienischer Sprache und Kultur in Österreich stellt der 52 Blatt im Format 14 x 20 cm umfassende Kleindruck des Vocabularius bzw. Vocabolista italo-tedesco in Wien um 1482 durch den Drucker von Dy history von Sand Roccus , also vermutlich Stephan Koblinger, dar. 5 Die aus den wechselseitigen wirtschaftlichen und dynastischen Beziehungen re- sultierenden politischen Interventionen der Habsburger in Italien erleben zunächst in der Frühen Neuzeit – vor allem unter Karl V. und Ferdinand I. – ihren Höhe- punkt, während sich die administrative Präsenz im Königreich Neapel 1707 – 34 und in der Lombardei beinahe während des gesamten 18 . Jahrhunderts ( 1714 – 97 ) als besonders wichtig für wechselseitige Beeinflussungen herausstellt, bevor diese durch die italienische Einheitsbewegung des 19 . Jahrhunderts unter völlig neuen Voraus- setzungen stehen. 5 Vgl. das vollständige Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek Ink. 2 .G. 63 bzw. das Fragment in der Bibliothek von Stift Zwettl. 13 Einführung Die geistigen Strömungen des Humanismus, des Barock und der Aufklärung, wel- che in diesem Band ihre gebührende Würdigung finden sollen, werden in ihrem Vordringen aus den italienischen Gebieten nach Österreich durch diese dynasti- schen Beziehungen maßgeblich gefördert und verwurzeln sich nachhaltig durch die mehr oder weniger lange Zuwanderung italienischer Literaten in die Kulturzentren, allen voran Wien. Deren Aktivitäten in den habsburgischen Gebieten sind in der Forschung unzulänglich und unsystematisch dokumentiert, 6 weil ihre Produktion in einem fremden Land für fremde Herrscher mit den Vorstellungen von einer Natio- nalliteratur, wie sie das 19 . Jahrhundert entwirft, unvereinbar sind. Sie finden in der österreichischen Literatur keine Berücksichtigung, weil die Werke nicht in der Lan- dessprache abgefasst sind, und sie tauchen kaum in den italienischen Darstellungen auf, weil sie keinen Beitrag zur nationalen Tradition leisten. Der Humanismus, der von Francesco Petrarca um die Mitte des 14 . Jahrhunderts in Norditalien begründet wird, dringt nur mit geringer Verspätung in die österreichi- schen Länder vor, wie das eine vermutlich in Tirol entstandene Teilübersetzung des moralphilosophischen Monumentalwerks De remediis utriusque fortunae bezeugt. Im Œuvre Petrarcas, das dank der persönlichen Kontakte des Autors mit dem kaiserli- chen Hof in Prag das Interesse führender Kreise nördlich der Alpen auslöst, finden sich die konstitutiven Elemente des Humanismus, der die intellektuellen Strukturen des Mittelalters im Laufe des 15 . Jahrhunderts hinter sich lassen und eine deutliche geistesgeschichtliche Wende einleiten wird: a) Die Kritik an der atomisierenden Naturwissenschaft und an den an Logik orien- tierten Spekulationen der Scholastik und das zunehmende Interesse für die aus menschlichen Leistungen gewonnene Erfahrung machen die bis dahin vernach- lässigte Historie zur magistra vitae und in der Folge zu einer Leitdisziplin des Wissenschaftsbetriebes. 6 Vgl. Markus Landau: Die italienische Literatur am österreichischen Hof. Wien 1879 . – Umberto De Bin: Leopoldo I imperatore e la sua corte nella letteratura italiana. Triest 1910 . – Elisabetta Carlotta Salzer: Tea- tro italiano in Vienna barocca. In: Rivista italiana del Dramma II. 2 ( 1938 ), S. 47 – 70 ; Commediografi italiani a Vienna. In: Rivista italiana del Dramma II. 2 ( 1938 ), S. 269 – 296 ; Il teatro allegorico italiano a Vienna. In: Rivista italiana del Dramma III. 1 ( 1939 ), S. 65 – 84 ; Epoca aurea del teatro italiano a Vienna. In: Rivista ita- liana del Dramma III. 1 ( 1939 ), S. 161 – 187 ; Le grandi rappresentazioni del teatro italiano a Vienna barocca. In: Rivista italiana del Dramma III. 2 ( 1939 ), S. 155 – 190 . – Franz Hadamovsky: Barocktheater am Wiener Kaiserhof. Mit einem Spielplan ( 1625 – 1740 ). (Jahrbuch der Gesellschaft für Wiener Theaterforschung Nr. 7 , 1951 – 52 ) Wien 1955 , S. 7 – 117 . – Herbert Seifert: Die Oper am Wiener Kaiserhof im 17 . Jahr- hundert. Tutzing 1985 . – Erika Kanduth: Italienische Dichtung am Wiener Hof im 17 . Jahrhundert. In: Alberto Martino (Hg.): Beiträge zur Aufnahme der italienischen und spanischen Literatur in Deutschland im 16 . und 17 . Jahrhundert. Amsterdam 1990 , S. 171 – 207 . – Otto G. Schindler: Mio compadre Imperatore. Comici dell’arte an den Höfen der Habsburger. In: Maske und Kothurn 2 – 4 , Jg. 38 ( 1997 ), S. 25 – 154 Einführung 14 b) Die aus gerechtfertigter curiositas resultierenden, persönlichen Einsichten in die Natur (insbesondere 1336 die Besteigung des Mont Ventoux durch Petrarca) führen zur Entstehung des literarischen Reiseberichts als Mittel der Erschlie- ßung des Buches der Welt, in dem gleichermaßen Zeichen der Allgegenwart Gottes wie der menschlichen Kultur (Denkmäler der Antike, Erforschung frühe- rer Texte) zu finden sind. c) Die daraus abgeleitete Kritik an den früheren Autoritäten bereitet zweifellos eine neue Erfahrungswissenschaft und eine persuasivere Darstellung ihrer Ergebnisse vor. d) Auf die Arbeit mit Texten übertragen, begründet diese Haltung die humanisti- sche Philologie, für die Petrarca mit seiner Livius-Edition, seinen Handschrif- tenfunden und seinem Gutachten über das österreichische Privilegium maius die Grundlagen schafft. e) Die Verbindung von Wissen, Weisheit und Beredsamkeit, die – ebenfalls gegen frühere Ausbildungsmodelle gerichtet – aus der Rhetorik einen zentralen Bereich der Verarbeitung und Vermittlung menschlicher Erfahrung macht, wodurch der Erwerb der eloquentia nicht mehr als technische Fertigkeit, sondern im Sinne Ci- ceros als copiose loquens sapientia (wortreich redende Weisheit) angestrebt wird. Petrarca reklamiert daher für sich die von Cato überlieferte Definition des Red- ners als vir bonus dicendi peritus (aufrechter, redegewandter Mann). f) Zentral ist darüber hinaus Petrarcas Wahl der später vom Humanismus wegen ihrer persuasiven Kraft bevorzugten Ausdrucksmittel des Briefes und des Dia- logs, die sich einer Argumentation der rhetorischen Überzeugung und nicht des logischen Beweises bedienen. g) Wichtig ist auch die Gattung der Autobiographie, die als ideale Verschmelzung von doctrina, virtus und eloquentia Zeugnis vom Ergebnis des studium und der Kraft der litterae ablegt. h) Schließlich gehört auch die diglossive Funktionalstilistik, die eine klare Trennung zwischen den Ausdrucksebenen vorsieht (die Volkssprache wird nur dem emoti- onalen Bereich der Liebeslyrik gerecht, prestigereichere Genres haben sich der aemulatio in Latein zu stellen), zu den Grundlagen der neuen Geistesströmung, die ohne Zweifel früher und intensiver als bisher in der Forschung angenom- men in den deutschsprachigen Ländern die Aufmerksamkeit der Kulturträger erweckt. Mit den ab dem Beginn des 15 . Jahrhunderts einsetzenden Studienaufenthalten deutschsprachiger Studenten an den Universitäten Bologna, Padua, Pavia und Peru- 15 Einführung gia, durch die ersten Berufungen italienischer Professoren an die bestehenden bzw. in dieser Zeit neu gegründeten Bildungsinstitutionen nördlich der Alpen und nicht zuletzt dank der europaweiten Kontakte während der beiden großen Konzile von Konstanz ( 1414 – 18 ) und Basel ( 1431 – 37 , bzw. seine Fortsetzung bis 1443 in Ferrara, Florenz und Rom) werden die in Norditalien weiter entwickelten Prinzipien des Pe- trarca-Humanismus in den interessierten Kreisen der noch vorwiegend kirchlichen Intellektuellen der deutschsprachigen Länder verbreitet. Die in der ersten Hälfte des 15 . Jahrhunderts zu beobachtende Verlagerung der Zentren des italienischen Huma- nismus in die Toskana und an den päpstlichen Hof in Rom sowie die programmati- schen Veränderungen innerhalb des lateinischen und des sich ausbreitenden volks- sprachlichen Humanismus werden in den deutschsprachigen Gebieten erst mit einer letztlich bis auf mehrere Jahrzehnte anwachsenden Verspätung wahrgenommen. Die für eine erste nachhaltige Rezeption des Humanismus in Österreich entschei- dende Persönlichkeit ist ohne Zweifel Enea Silvio Piccolomini, welcher durch seine Position am Hof von Friedrich III., durch seine Reformvorschläge für die Universität Wien und durch seine Kontakte zu führenden Klöstern des Landes eine bisher in der Forschung vermutlich zu wenig gewürdigte Auseinandersetzung mit den in Ita- lien entstandenen Ideen bewirkt. Piccolomini vermag die seit Petrarca entscheidend perfektionierte lateinische Stilistik, die humanistische Historiographie im Dienste der Führungsschichten, die nach dem großen Vorbild in Petrarcas Senilium XIV, 1 für Francesco da Carrara ausgearbeitete Fürstenerziehung sowie die Techniken der Rhetorik und der Briefliteratur an die österreichische Geisteselite zu vermitteln. Piccolomini verfasst während seiner Tätigkeit für Friedrich III. auch das erste bedeutende Werk der italienischen Literatur auf österreichischem Gebiet: seine His- toria de duobus amantibus zeigt nicht nur die ebenfalls von Italien ausgehenden lite- rarischen Innovationen der neuen Gattung Novelle in einer modernen lateinischen Expressivität, sondern spielt gleichzeitig mit dem inhaltlichen Motiv eines kulturel- len Austausches zwischen dem Ursprungsland des römischen Imperiums und des- sen seit Karl d. Gr. nach Norden verlegten Reich deutscher Nation. Umrahmt von einem Sendschreiben an einen väterlichen Freund des Autors in der Toskana schil- dert die Erzählung von der leidenschaftlichen Liebe des deutschsprachigen Adeligen Euryalus zu der in Siena verheirateten Lucretia. In einer seit Francesco Petrarca und Giovanni Boccaccio etablierten Tradition werden die Gegensätze zwischen natür- lichen Trieben und moralphilosophischen Leitlinien in einer von unterhaltsamen Überraschungen durchsetzten Handlung dargelegt und mit Hilfe eines tragischen Endes der zu stärkerem Leid fähigen Figur zu einem belehrenden Schluss gebracht. Piccolomini gelingt mit dieser sowohl im Original als auch in einer wenige Jahre Einführung 16 später entstandenen deutschen Übersetzung zirkulierenden Novelle wohl durch die beispielhafte Kombination von Petrarca-Humanismus und Boccaccios Erzähltradi- tion ein faszinierendes literarisches Zeugnis seiner Zeit. Er setzt damit den Anfang einer über drei Jahrhunderte anhaltenden und überaus reichen Produktion entschei- dender Texte der italienischen Literaturgeschichte auf österreichischem Boden. In der Erziehung von Erzherzog Maximilian sowie in den Ende des 15 . Jahr- hunderts einsetzenden Berufungen italienischer Intellektueller an Kaiserhof und Universität zeigen sich schließlich die konkreten Auswirkungen von Piccolominis Einfluss. Die lateinische Panegyrik für die in Wien und Prag residierenden Herr- scher des 16 . Jahrhunderts ist wohl noch von dessen Rezeption geprägt, auch wenn sich dieser höfische Humanismus von Gelehrten und Künstlern weniger auf litera- rischem Gebiet als in einem allgemeinen Kulturprogramm der Bücher- und Kunst- sammlungen sowie der öffentlichen Repräsentation manifestiert. Diesen ebenfalls von den italienischen Modellen der Hofkultur ausgehenden Bestrebungen einer sich vom mittelalterlichen Schwertadel emanzipierenden Füh- rungsschicht kommen die Organisationsformen der Akademiebewegung und das literarische Konzept des Petrarkismus entgegen. Die in einem von Pietro Bembo konzipierten Programm der spielerischen Abwandlung von Petrarcas Canzoniere be- stehende Strömung des Petrarkismus erlaubt auch interessierten Amateuren eine respektable Beteiligung am Literaturbetrieb, ja lädt geradezu ein, die Bausteine der literarischen Konvention im Rahmen eines höfischen Gesellschaftsspieles immer wieder neu zu ordnen. Durch die Kombination dieses poetischen Konzepts mit der in den letzten Jahrzehnten des 16 . Jahrhunderts über die italienischen Fürstenhöfe nach Österreich vordringenden Schule der Madrigalistik intensiviert sich die Rezep- tion der italienischen Lyrik im Original und bereits auch in Übertragungen, was der erste Druck einer Liedersammlung in Wien 1582 bezeugt. Neben der Nachahmung italienischer Akademietraditionen am Wiener Kaiser- hof, wo aus dem Petrarkismus hervorgegangene Thematiken mit der stilistischen Brillanz des barocken Konzeptismus verbunden werden, scheint für Österreich vor allem bemerkenswert, dass diese kulturellen Aktivitäten auf den Gebieten der Li- teratur und Musik von der seit der Reformation sich vertiefenden Abneigung der protestantischen Kreise gegen jeglichen italienischen Einfluss unberührt bleiben. Besonders die reformatorischen Intellektuellen Niederösterreichs rund um Johann Wilhelm von Stubenberg und seine Schülerin Catharina Regina von Greiffenberg arbeiten an einer möglichen Verbindung von südländischer Literaturtradition und ihrer konfessionellen Orientierung, womit sie allerdings in einer zunehmend von der italienischen Gegenreformation geprägten Atmosphäre scheitern müssen. 17 Einführung In Österreich führt die von den Auseinandersetzungen des 30 jährigen Krieges we- sentlich beschleunigte katholische Gegenreformation zu einem vermehrten Auftre- ten der italienischen Bettel- und Predigerorden sowie einer stärkeren Präsenz des hier ebenfalls von Italienern dominierten Jesuitenordens. Prominente Vertreter dieser Ordensgemeinschaften wie Marco d’Aviano engagieren sich in den österrei- chischen Ländern sogar in den politischen und militärischen Konflikten ihrer Zeit. Bereits ab der Herrschaft von Ferdinand II. betreiben diese Reformorden eine of- fensive Volksmission, die geeignete Praktiken der Religiosität aus Italien übernimmt und an lokale Verhältnisse anzupassen versteht. Dazu zählt vor allem die sich in ita- lienischem Original sowie in italienischen und deutschen Übersetzungen spanischer und französischer Werke verbreitende Andachtsliteratur für Laien. Sowohl von den kirchlichen als auch von den politischen Autoritäten gefördert, erleben diese kontem- plativen Texte in neuen Gattungen wie dem Katechismus, Texten zur Christus- und Marienverehrung, Heiligenleben sowie Darstellungen des vorbildlichen christlichen Lebens von (noch) nicht kanonisierten Personen und schließlich Schriften über bzw. für Laienbewegungen einen erstaunlichen Aufschwung. Diese verschiedenen Be- trachtungsbücher für Laien begleiten die öffentlichen Zeremonien des Kirchenjah- res durch eine individuelle Meditation und tragen so dazu bei, die Beherrschung der italienischen Sprache als unverzichtbare Fähigkeit der österreichischen Führungs- schicht zu etablieren, was überdies durch wichtige Eheschließungen im Kaiserhaus sehr bestärkt wird. Die Bindung der Staatsreligion an Rom, die engeren dynastischen Beziehungen, das Vordringen der künstlerischen Programme des Barock vor allem aus Italien und das bereits aus dem Humanismus hervor gegangene Interesse an der italienischen Literatur machen aus Sprache und Kultur der Apenninenhalbinsel zen- trale Elemente der kulturellen Entwicklung in Österreich. Es hat sich im Laufe der jüngeren Forschung auch herausgestellt, dass zumin- dest Anstöße zur Rezeption der französischen Aufklärung im Laufe des 18 . Jahrhun- derts wichtigen Impulsen der von Italien nach Österreich vermittelten katholischen Frühaufklärung zu verdanken sind. Die Schriften von Ludovico Antonio Muratori spielen hier eine ebenso große Rolle wie die Gruppe italienischer Intellektueller rund um die Hofbibliothek in Wien. Besonders in der für den Kaiserhof verfassten italienischen Literatur spiegeln sich die wesentlichen Vorstellungen wider von einem aufgeklärten Absolutismus nicht mehr nur von Gottes Gnaden, sondern auch als eine Verpflichtung gegenüber dem anvertrauten Volk und seinem Wohlergehen. Das führt zu der kuriosen Situation, dass unter dem Zeichen dieses cattolicesimo illuminato in ihren Heimatländern meist von den kirchlichen Institutionen verfolgte Italiener in Wien Schutz finden und wichtige Werke der politischen Aufklärung Italiens Vertre- Einführung 18 tern der österreichischen Führungsschicht gewidmet sind. Es bilden sich am Wiener Kaiserhof, in Böhmen sowie an den Universitäten Salzburg und Innsbruck sogar halbprivate Gesellschaften, die sich mit den genannten Konzepten auseinanderset- zen, ihre Verbreitung unterstützen und ihre Umsetzung in politische Maßnahmen in den von Österreich regierten Gebieten fördern. Ab den letzten Jahrzehnten des 16 . Jahrhunderts werden die zentraleuropäischen Länder von der Begeisterung für die italienische Improvisationskomödie erfasst, welche durch z.T. berühmte Truppen zunächst bei höfischen Veranstaltungen und später auch in Tourneen durch die größeren Städte bekannt wird. Diese ab dem 18 . Jahrhundert als Commedia dell’arte bezeichnete, äußerst dynamische Form des Unterhaltungstheaters mit einer kaum wechselnden Konstellation von charakteris- tischen Masken in einem relativ stereotypen Handlungsablauf fasziniert vor allem durch die Professionalität der oft akrobatisch agierenden Schauspieler, die in ihrer mimischen Spontaneität selbst sprachliche Hindernisse bei einem das Italienische bzw. dessen Dialekte nur teilweise beherrschenden Publikum zu überwinden wissen. Die jüngere Forschung hat nachgewiesen, dass die lange Zeit tradierte Überzeu- gung von einer nur marginalen Bedeutung in den süddeutschen Gebiete nicht rich- tig ist, denn ab der 1568 anlässlich der Fürstenhochzeit in München von Orlando di Lasso geleiteten Darbietung sind in den folgenden zwei Jahrhunderten regelmäßig Aufführungen in den Ländern der österreichischen Monarchie nachweisbar, werden Texte kopiert und fließen Motive aus der Commedia all’improvviso in die Programme der Bildenden Künste ein. Auch wenn es keine dem Théâtre italien in Paris vergleich- bare Institution gibt, kann dennoch von einer breiten Präsenz und tiefen Wirkung der italienischen Truppen auf die Entwicklung des Unterhaltungstheaters bei Hof, in den Städten und auf den Jahrmärkten ausgegangen werden. Spezifische Figuren und Themen der österreichischen Volkskomödien des 18 . Jahrhunderts gehen ohne Zweifel auf diesen mit der Rezeption der deutschen Wanderbühne vermischten Ein- fluss der Commedia dell’arte zurück. Dabei ist ausdrücklich zu betonen, dass aus ökonomischen Gründen die litera- risch relevanten Formen dieses Unterhaltungstheaters zunächst unter dem Schutz der Führungsschicht stehen und erst allmählich eine Verschmelzung mit den viel- fältigen Formen der akrobatischen und musikalischen Belustigungen von einer wesentlich freieren Art vor sich geht. An zahlreichen Szenen und Figuren des ös- terreichischen Musiktheaters des 17 . und 18 . Jahrhunderts lassen sich Bekanntheit, Beliebtheit und Weiterentwicklung der italienischen Improvisationskomödie able- sen, deren regionale Verwurzelung bis in einzelne Bearbeitungen von Opernlibretti der Spätaufklärung nachweisbar ist. 19 Einführung Darüber hinaus muss an die entscheidende Bedeutung der Oper am Wiener Kai- serhof für die in der Forschung seit längerem bekannte Filiation italienischer Li- bretti über deren Bearbeitung für das deutsche Singspiel in Texte der Wanderbühne erinnert werden. In dieser Hinsicht sind Venedig und der österreichische Hof die wichtigsten Quellen für die Textbücher des norddeutschen Musiktheaters, welche ihrerseits von den Wandertruppen in ihrer spezifischen, meist gekürzten Form unter Hinzufügung von Spaßmacherfiguren und spektakulären Bühneneffekten zurückge- bracht und an lokale Verhältnisse angepasst werden. Aber das ist gewissermaßen nur ein Nebeneffekt der bedeutendsten Epoche italienischer Literatur in Österreich. Mit dem Ende des 30 jährigen Krieges setzt am Kaiserhof in Konkurrenz zum fran- zösischen Königshof eine künstlerische Produktion ein, in deren Zentrum das Wir- ken zahlreicher italienischer Musiker und Literaten steht, deren Werke in ihrem Umfang und in ihrer Qualität auch von der italienischen Forschung wohl aus his- torischen Gründen noch immer unterschätzt werden. Aus den oben erwähnten, im Humanismus entstandenen Modellen abgeleitet, entwickelt sich neben der meist in lyrischen Kleinformen abgefassten Panegyrik vor allem die Historiographie zu ei- nem zentralen Instrument der Selbstdarstellung des barocken Herrschers, dessen kriegerische Taten, persönliche Qualitäten und Mäzenatentum auf Grund der inter- nationalen Ausrichtung dieser Propaganda in lateinischen oder italienischen Texten glorifiziert werden. Der zunehmend national konzipierten Identität des französi- schen Hofes wird ein wesentlich vielfältigeres, aus der katholischen Universalität ab- geleitetes Selbstverständnis gegenüber gestellt, das nicht zuletzt von der politischen Notwendigkeit einer mitteleuropäischen Allianz gegen die in dieser Zeit konstante Bedrohung durch das Osmanische Reich geprägt ist. In diesem Rahmen beginnt ab der Herrschaft von Leopold I. die Bedeutung der kaiserlichen Hofdichter zu steigen, deren Aufgabe darin besteht, die Festprogramme des Hofes mit den entsprechenden Texten zu versorgen. Über zumindest fünf Ge- nerationen bis in das beginnende 19 . Jahrhundert folgen einander in dieser Position prominente italienische Autoren, deren Tätigkeit in Wien einen entscheidenden Abschnitt ihrer Karriere darstellt. In unterschiedlichen Konstellationen bringen diese italienischen Hofdichter, welchen ein für die Übersetzung ihrer Werke verant- wortlicher deutschsprachiger Schriftsteller zugeordnet wird, eine in ihrer Quantität beeindruckende Anzahl von Werken (in den Jahren 1671 – 1700 im Durchschnitt 11 pro Jahr) hervor, die in ihren Inhalten und in ihrer stilistischen Qualität den in Ita- lien verfassten Texten ohne jeden Zweifel gleichzusetzen sind. Innerhalb dieser reichhaltigen Produktion stehen natürlich ab der Mitte des 17 . Jahrhunderts auf Grund einer von Innsbruck aus einsetzenden, intensiven Re-