Michaela Wolf Die vielsprachige Seele Kakaniens Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918 B öh l au Ve r l ag Wi e n · Köl n · We i m ar Gedruckt mit der Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschafltischen Forschung Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d nb.de abrufbar. ISBN 978 3 205 78829 4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http ://www.boehlau verlag.com Umschlagabbildung: Ethnographische Karte der österrreichischen Monarchie, 1856 © ÖNB Wien, Sign. Nr. E 21.711 G Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor und säurefrei gebleichtem Papier. Gesamtherstellung : Wissenschaftlicher Bücherdienst, 50668 Köln Für Karl Inhalt Dankesworte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 erstes K apitel Zur soziologischen Verortung von Translation . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation . . . . . . . 19 2. Translationswissenschaft: »going social«? . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Z w eites K apitel K.(u.)k. »going postcolonial« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Die Verortung der »habsburgischen Kultur« . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Der »cultural turn« und seine Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 3. Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen . . . . . . . . . 40 4. Das Konzept der »kulturellen Übersetzung« . . . . . . . . . . . . . . . 45 5. Der Versuch einer Übersetzungstypologie . . . . . . . . . . . . . . . . 54 »Polykulturelle Kommunikation und Translation« . . . . . . . . . . . . 54 »Transkulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Dr it tes K apitel Das habsburgische Babylon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die kakanische Variante der Multikulturalismus Debatte . . . . . . . . 62 2. Zählt der Staat Häupter oder Zungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Sprachpolitik zur »Annäherung der Volksstämme« . . . . . . . . . . . . 73 4. Die »Vielsprecherei« auf dem Buchmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . 77 V iertes K apitel Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1. »Polykulturelle Kommunikation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 »Habitualisiertes Übersetzen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 8 Inhalt »Institutionalisiertes Übersetzen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. »Polykulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Kontakt zwischen Behörden und Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . 120 Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Die Übersetzung von Gesetzestexten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im Kriegsministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 3. Die Ausbildung von Dragomanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis . . . . . . . . . 188 Fünf tes K apitel Theoretischer Aufriss eines habsburgischen »Übersetzungsraumes« . . . . 194 Sechstes K apitel »Prompt, zu jeder Tageszeit«: der private Übersetzungssektor . . . . . . . . 202 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung . . . . . . . . . . 202 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von Positionierungskämpfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 Siebtes K apitel Der »Nutzen fürs geistige Leben«: Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Regelnde Faktoren einer Übersetzungspolitik . . . . . . . . . . . . . . 217 Zensur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 Urheberrechtsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Konzessionspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Staatliche Kultur und Literaturförderung . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Literaturpreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Achtes K apitel »Übersetzen am laufenden Band«. Eine Übersetzungsstatistik . . . . . . . 236 1. Einzeldaten der Übersetzungsbibliografien . . . . . . . . . . . . . . . . 240 »Polykulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 »Transkulturelle Translation« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Gesamtauswertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 3. Übersetzen zwischen Sucht und Entwöhnung . . . . . . . . . . . . . . 257 Inhalt 9 Neuntes K apitel Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . 263 1. Österreichisch italienische Wahrnehmungen . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Italienische Übersetzungen im deutschsprachigen Raum . . . . . . . . 281 3. Die Metamorphosen des »Übersetzungsfeldes« . . . . . . . . . . . . . 298 Soziale Felder und ihre Funktionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Die Dynamisierung der bourdieuschen Felder . . . . . . . . . . . . . . 303 Paratexte – das »Beiwerk des Buches« . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 Der habsburgische Vermittlungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen Vermittlungsraumes« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Zehntes K apitel Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen . . . . . . . . . . . . 392 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 Grafiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 Dankesworte Als ich die Recherchen für die nun überarbeitete und im Druck vorliegende Habilitationsschrift in Angriff nahm und die ersten Forschungskonzepte ent wickelte, war mir bald klar, dass der Weg zum Ziel ein langer werden würde. Es wurde mir auch bewusst, dass ich – als ausgebildete Translationswissenschaftle rin und Romanistin – ohne geschichtswissenschaftliche Begleitung auf meiner weiten Reise in das sprachen und völkerverworrene Kakanien Gefahr laufen würde, vom rechten Weg abzukommen. Dass ich schließlich so viele Menschen, denen ich viel Geduld und Rat abverlangte, in meinen Forschungsprozess invol vieren würde, war nicht geplant. Ihnen allen gilt es nun, Dank zu sagen. Ich denke, dass ich auf der Suche nach meinem Quellenmaterial den MitarbeiterInnen der von mir konsultier ten Bibliotheken mit meinen sonderbaren, zuweilen exzentrischen Wünschen die meisten Schwierigkeiten bereitet habe. Sie versorgten mich unermüdlich mit Literatur und wiesen mir wieder Wege zu unkonventionellen und unbüro kratischen Lösungen. Im Fokus meiner wissenschaftlichen Ambitionen stand naturgemäß die Universitätsbibliothek Graz : Sowohl die Abteilung für Sonder sammlungen, die mir stets freundschaftliche Hilfe anbot, als auch die Fernleihe, die ungewöhnliche Geduld bei der Suche nach »gerade dieser Ausgabe« übte, hielten meinen Belastungsproben stand. Des Weiteren habe ich den Mitarbei terinnen und Mitarbeitern der Österreichischen Nationalbibliothek, der Uni versitätsbibliotheken in Wien, Salzburg und Innsbruck, des Haus , Hof und Staatsarchivs, der Bibliothek des Justizpalastes sowie Pater Nerses Sakayan von der Bibliothek der Mechitharisten in Wien zu danken. In Deutschland genoss ich die freundliche Beratung der Staatsbibliothek Berlin und der Bayerischen Staatsbibliothek München. Besonders wertvoll waren mir Einzelgespräche, seien es solche mit meinen Studierenden, die mir mit ihrem oft noch ungetrübten Blick auf die Dinge wichtige Anregungen gaben, seien es solche mit den Kolleginnen und Kollegen des eigenen Instituts. Insbesondere waren für mich Gespräche mit Erich Prunč und Nadja Grbić von Bedeutung. Im Wiener Kontext erwiesen sich eingehende Gespräche mit Mary Snell Hornby, Waltraud Heindl, Michael Mitterauer und Günter Müller als außergewöhnlich fruchtbar. 12 Dankesworte Was wäre die Wissenschaft heutzutage ohne die Technik ? In diesem Zusam menhang habe ich Stefani Arnold herzlich zu danken, die mir für den Grund stock meines Korpus die für meine Arbeit ausschlaggebenden Daten des Pro jekts der »Bibliographie der deutschen Übersetzungen aus dem Italienischen von 1730 bis 1990« zur Verfügung stellte. Was die technische Assistenz im All gemeinen und die Erstellung der vielen Grafiken und der Tabellen im Beson deren anlangt, konnte ich mich auf Rat und vor allem Tat von Rainer Rössler, Gernot Hebenstreit und Rafael Schögler stützen. In all den mühsamen vergangenen Jahren war mir die Anteilnahme meiner Eltern und die Freude und Aufmerksamkeit, die sie der Arbeit ihrer »Jüngsten« schenkten, eine besondere Stütze. Ebenso war mir die bedingungslose Freund schaft von Helga Lackner eine unerschöpfliche Quelle an moralischer Unter stützung. Ohne das Wiener Domizil von Werner Hörtner wären meine zahllo sen Aufenthalte in Wien schwer durchführbar und um vieles weniger anregend gewesen. Karl Kaser schließlich danke ich dafür, dass er als Fachfremder immer wieder geduldig meinen Ausführungen über die verschiedenen Knotenpunkte, die ich zwischen der sozialen Praxis bei Pierre Bourdieu und kulturwissen schaftlichen Fragestellungen im Verlauf meiner Arbeit zu erkennen glaubte, folgte und mir darüber hinaus mein Auge für »balkanische« Zusammenhänge mit meiner Arbeit schärfte. Graz, November 2011 Einleitung Eine vor allem in den Geisteswissenschaften existente, nicht zuletzt durch ver schiedene »turns« verstärkte interdisziplinäre Forschung stellt zum einen beste hende Paradigmen und vermeintliche Eindeutigkeiten auf den Prüfstand und eröffnet zum anderen die Chance, in den Grenzbereichen und Überschneidungs zonen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen produktive Forschungsfel der zu schaffen, die innovatives Potenzial besitzen und die wissenschaftliche Erkenntnis vorantreiben. Dies scheint zumindest für den Bereich der Transla tionswissenschaft konstitutiv – und zwar im doppelten Sinn, ist doch nicht nur ihr Objektbereich in den Kontaktzonen »zwischen den Kulturen« angesiedelt und somit unterschiedlichen Kontextualisierungskonstellationen und Kommu nikationsstrukturen ausgesetzt, sondern auch die Disziplin selbst : Es sind vor rangig die weit gefächerten, vielfältige Kommunikationsformen umfassenden Themenkomplexe der Translationswissenschaft, die durch ihr breites Spektrum die Erhaltung einer (oft vordergründig angestrebten) disziplininternen Kohä renz infrage stellen ; durch das Verharren in den eigenen disziplinären Grenzen werden auch wesentliche Forschungsprobleme systematisch eingeschränkt. Die Translationswissenschaft ist vielmehr gerade aufgrund ihrer thematisch multi perspektivischen Ausgewiesenheit auf Grundlagen aus anderen Wissenschafts feldern nicht nur zwingend angewiesen, sondern hat auch seit Langem erkannt, dass sowohl Impulse aus anderen Disziplinen als auch konstruktive Kooperation mit anderen Wissenschaftszweigen für sie von zentraler Bedeutung sind. Den deutlichsten Bezugsrahmen stellten bisher die Sprachwissenschaft und die Li teraturwissenschaft dar, zu denen freilich auch aus wissenschafts und diszip linhistorischen Gründen Abgrenzungsbemühungen bestehen ; in weiterer Folge sind Kulturwissenschaften und Sozialwissenschaften verstärkt ins Blickfeld ge raten. Nicht zuletzt bedingt durch diese Entwicklungen erlebte die Translati onswissenschaft seit den Neunzigerjahren des 20. Jahrhunderts eine Konjunktur neuer, über die Grenzen der Disziplin hinausweisender und diese Grenzen aus reizender Fragestellungen. Die weitreichendsten Impulse für Veränderungen in den Denkrichtungen der Translationswissenschaft gingen zweifelsohne von der sogenannten »kultu rellen Wende« am Beginn der Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts aus. Dieser 14 Einleitung Paradigmenwechsel, der insgesamt in den Geistes und Naturwissenschaften einen entscheidenden Wandel in den Konzepten, Modellen und Verfahren mit sich gebracht hat, bedeutete für die Translationswissenschaft eine nachhaltige Erweiterung des Beobachtungsrahmens und die Erarbeitung von Fragenstel lungen, die zunächst vor allem bei der Erforschung von Übersetzungsprakti ken Problemkomplexe wie historische Zusammenhänge, kontextuelle Situation oder Translationskonventionen zu berücksichtigen begannen und den Makro Kontext des Forschungsgegenstandes des Translats in den Vordergrund rückten. Wurden in einem ersten Schritt kulturelle »Transfer« probleme noch haupt sächlich als kulturspezifische Einzelprobleme abgehandelt, so wurde diese Di mension bald auf die Diskursebene ausgeweitet und schließlich im Zuge einer kultur wissenschaftlichen Neubestimmung der Translationswissenschaft auf jene Verfahren bezogen, die explizit repräsentationskritisch Machthierarchien in frage stellen und die Konstruktionsmechanismen des »Anderen« freilegen. Diese Loslösung von textfixierten und auf Harmonie im Sinne von »Völker verständnis« abgestellten Betrachtungsweisen vermag nicht nur starre Zuord nungen aufzubrechen und asymmetrische Transferverhältnisse freizulegen, sondern fokussiert gleichzeitig auf jene Übersetzungskonstellationen, die »Übersetzung als interaktives soziales Geschehen konkretisieren« (Fuchs 1997 : 319). Dadurch wird der Blick auf die kulturellen und sozialen Kodierungen ge lenkt, die das translatorische Phänomen in besonderem Maß ausweisen : Ver mittlungsprozesse sind nicht nur in kulturelle, sondern auch in gesellschaftliche Gefüge eingebunden, die sowohl das Aushandeln kultureller Differenzen im plizieren als auch die Auslotung der in den Übersetzungsvorgang involvierten Handlungsformen. Vermittlungsfiguren stehen folgerichtig als eine Art »ver bindendes Gewebe« zwischen den Kulturen und sind in ihren jeweiligen Ent stehungskontexten in soziale Netzwerke eingebunden, die sie als konstruierende und konstruierte Subjekte erscheinen lassen. Diese Einsichten lassen im Kiel wasser der »kulturellen Wende« zwei große Fragenkomplexe virulent erschei nen : Zum einen ergeben sich daraus ernsthafte Konsequenzen für den Begriff der Übersetzung und damit für den Objektbereich der Translationswissenschaft. Zur Konzeptualisierung eines Übersetzungskonzepts, das einer Auffassung von Kultur als identitäts und traditionssichernde Instanz entgegenwirkt und viel mehr die dynamischen Veränderungen thematisiert, die durch kontinuierliche Begegnungsmomente hybride Befindlichkeiten schaffen, erscheint es erfor derlich, das Potenzial eines metaphorisch konzipierten Übersetzungsbegriffes (Stichwort : »kulturelle Übersetzung«) zum Einsatz zu bringen, der nicht nur die kulturellen Überschneidungssituationen des translatorischen Prozesses the Einleitung 15 matisiert, sondern in dessen Rahmen auch die TranslatorInnen als TrägerInnen kultureller Dynamik zu Wort kommen lässt und darüber hinaus unter Einbe ziehung postkolonialer Denkfiguren die Probleme kultureller Repräsentation und damit den Konstruktcharakter von Übersetzung zu erschließen vermag. Andererseits ist ein Forschungsfeld der Translationswissenschaft angesprochen, das erst im vergangenen Jahrzehnt ins Blickfeld der Forschung geriet und noch viele Forschungsfragen bereithält : Die »Translationssoziologie« nimmt sich vor allem der Aufarbeitung jener Problemfelder an, die Übersetzen und Dolmet schen als soziale Praxis und symbolisch vermittelter Interaktionen ansehen, de ren Implikationen es im Detail auszuleuchten gilt. Der Prozess des Übersetzens ist dementsprechend durch das Zusammenwirken von zwei Ebenen bedingt, die das »Soziale« und das »Kulturelle« in unterschiedlichem Ausmaß umfassen : Zum einen handelt es sich um eine strukturelle Ebene, deren Konstituenten u.a. Macht, Herrschaft, Staatsinteressen, Religion, ökonomisches Interesse sind ; zum anderen geht es um die Ebene der in den Translationsprozess involvierten AkteurInnen, die ihrerseits diese Strukturen internalisiert haben (Stichwort : Habitus) und im Rahmen ihrer Handlungsspielräume (kulturell bedingte In teressen, Widerständlichkeiten etc.) auf bestehende strukturelle Verhältnisse im Kontext ihrer kulturell konnotierten Werthaltungen, Weltsichten u.a.m. reagie ren und gleichzeitig auf die Strukturen zurückwirken. Der plurikulturelle Raum der Habsburgermonarchie bietet sich als Folie für die Erforschung der hier angerissenen Fragen gerade aufgrund seiner komplexen ethnischen Zusammensetzung, die zur Bewältigung (auch) alltäglicher Kommu nikationsprobleme kreative Lösungspotenziale erforderte, besonders an. Für den gewählten Zeitraum zwischen 1848 und 1918 gilt des Weiteren, dass sich in die sen Jahrzehnten die einzelnen »Nationalitäten« der Monarchie untereinander in starken Konkurrenz bzw. Abhängigkeitsverhältnissen befanden, die bestehende Kommunikationsordnungen auf den Prüfstand stellten und die Konstruktion von Selbst und Fremdbildern stärker vorantrieben als in den Jahrzehnten davor. Das Phänomen der Übersetzung, das hier in dem skizzierten, weit gefassten Begriff verstanden wird, diente nicht nur als Verständigungsmittel zwischen den Kulturen der Habsburgermonarchie und als Medium kulturellen Transfers mit »anderen« Kulturen, sondern – und so lautet die These der vorliegenden Studie – trug gerade aufgrund der vielfältigen Formen seiner Manifestation in hohem Maß zur Konstruktion der Kulturen des habsburgischen Raumes bei. Für die Bearbeitung dieser Fragen bedarf es eines pluralen methodischen Konzepts. Es wird in zwei Analyseschritten vorgegangen, die einander ergän zen und die nicht zuletzt durch die Auswahl des Korpus mitbestimmt werden. 16 Einleitung In einem ersten Schritt wird der Frage nachgegangen, wodurch im Kommuni kationsraum der Habsburgermonarchie die durch »Übersetzung« im weitesten Sinn generierten kulturellen Konstruktionen bedingt waren ; zu diesem Zweck wird eine Übersetzungstypologie erstellt, die die Bandbreite der translatorischen Handlungen, die für die Kommunikation in und mit der Habsburgermonarchie konstitutiv waren und die zu diesen kulturellen Konstruktionen beitragen, zu er fassen vermag. Umfangreiche Archivstudien stellen unter anderem die Grund lage für dieses Unterfangen dar. Die Typologisierung der verschiedenen Über setzungsformen erfolgt vor dem Hintergrund des »habsburgischen Babylon«, also der Praxis der Sprachverwendung im Kontext der aufkommenden Natio nalitätenkonflikte und der nicht zuletzt daraus resultierenden sprachrelevanten Gesetzgebungen. Neben den als »habitualisiertes Übersetzen« (in asymmetri schen Bezugsrahmen erfolgte Kommunikation auf der Grundlage von Zwei und Mehrsprachigkeit) bzw. »institutionalisiertes Übersetzen« (differenzierter Umgang mit Sprachenvielfalt auf gesetzlicher Basis, also Schule, Heer, Beam tInnenwesen) zu bezeichnenden Handlungsfeldern werden jene Bereiche näher behandelt, wo die translatorische Tätigkeit explizit kulturkonstruierend operiert. Hier wird die Übersetzung von Gesetzestexten (Stichwort : »Redaktionsbureau des Reichsgesetzblattes«, »Terminologiekommission«) ebenso beleuchtet wie das Übersetzen im Ministerium des Äußern (»Sektion für Chiffrewesen und translatorische Arbeiten«) und im Kriegsministerium (»Evidenzbureau«) ; des Gleichen wird dem literarischen Übersetzen und der Ausbildung von »Dra gomanen« ausreichend Platz eingeräumt. Eine präzise Konzeptualisierung des translatorischen »Vermittlungsraumes« kann jedoch nur auf der Basis methodi scher Grundlagen rekonstruiert werden, die akteurInnenbezogen die einzelnen Konstruktionsprozesse auszuleuchten imstande sind. In einem zweiten Analy seschritt wird dieses Vorhaben mittels der Kultursoziologie von Pierre Bourdieu konkretisiert, die kritisch beleuchtet und aufgrund mangelnder Instrumenta rien, die vor allem dem Kriterium der Vermittlung gerecht werden können, durch kulturwissenschaftliche Kategorien dynamisiert wird. Das im engeren Sinn translatorische Korpus, das diesen Untersuchungen zugrunde gelegt wird, umschließt im Rahmen der Texte, die im Zeitraum zwi schen 1848 bis 1918 in Verlagen der Habsburgermonarchie erschienen, einen Makro und einen Mikrokontext. Auf der Makroebene wird eine quantitative Analyse von 14 Übersetzungsbibliografien angestellt, die unter anderem die Di versifizierung der Verhältnisse von kultureller Produktion und Leseverhalten im Untersuchungszeitraum widerspiegeln. Diese Untersuchung stellt den Rahmen für die Detailanalyse deutschsprachiger Übersetzungen aus dem Italienischen Einleitung 17 dar, die nach Parametern wie Genre, Verlagsort, Publikationsart, Geschlecht der AutorInnen bzw. ÜbersetzerInnen u.a. untersucht werden ; die Daten der in der Habsburgermonarchie produzierten Übersetzungen werden in einigen ausge suchten Parametern mit jenen der im Deutschen Reich im gleichen Zeitraum publizierten Übersetzungen aus dem Italienischen korreliert. Die Übersetzun gen beschränken sich bei Weitem nicht auf literarische Texte, sondern umfassen überdies kunsthistorische und religiöse/theologische Schriften sowie zahlreiche naturwissenschaftliche (darunter medizinische, psychologische oder kriminal psychologische) und geisteswissenschaftliche (vorrangig philosophische, kultur historische und literarische) Fachtexte. Die Auswahl der Jahre 1848 bis 1918 für den Zeitraum der Untersuchung soll nicht ausschließlich als Start und Endpunkte bestimmter Entwicklungen (etwa im literarischen oder wissenschaftlichen Feld) gesehen werden – dies ist in Anbetracht der Vielfalt an Untersuchungsbereichen, die hier zur Diskussion stehen, auch gar nicht möglich –, sondern markiert in erster Linie historische Zäsuren : Gilt das Jahr 1848 – auch in kritischer Sicht – als nachhaltiger Wende punkt in der politischen und sozialen Ordnung der habsburgischen Geschichte, kennzeichnet 1918 das Ende der Habsburgermonarchie und damit des hier untersuchten plurikulturellen Kontextes der Übersetzungstätigkeit. Revolutio näre Prozesse, auch wenn sie nie richtig zur Entfaltung kommen können oder im Laufe der Zeit größtenteils ihre Spannkraft verlieren, bewirken zumeist das Aufkommen neuer TrägerInnenschaften und die Umverteilung von Kompeten zen in staatlichen und privaten Institutionen, was auch auf die translatorische Tätigkeit nicht ohne Auswirkungen bleibt. Spezifisch für das italienisch habs burgische Verhältnis bedeutet das Jahr 1848 einen markanten Einschnitt in die italienischen Unabhängigkeitsbestrebungen, deren Auswirkungen im Detail zu untersuchen sein werden. Ein erweiterter Übersetzungsbegriff, wie er in der vorliegenden Arbeit ver wendet wird, eröffnet ein breites Feld der gesellschaftlichen und politischen Pra xis. Um weiterhin ihrer gesellschaftspolitischen Rolle gerecht zu werden, muss sich die Translationswissenschaft mit den hier angerissenen und im Kontext des »translatorischen Vermittlungsraums« der Habsburgermonarchie abgehan delten Fragen auseinandersetzen und sie für sich fruchtbar machen. In diesem Zusammenhang gilt es, breite Vorstellungen von Translation verstärkt in die Herausforderungen pluriethnischer Gemeinschaften wie etwa die Europäische Union einzubringen und über den noch immer weithin verbreiteten dienenden Charakter von Übersetzen und Dolmetschen hinauszugehen. Die Habsbur germonarchie kann in diesem Sinn als Experimentierstelle für die EU wirken, 18 Einleitung sowohl in sprachpolitischer Sicht, aber auch im Hinblick auf die Statuszuwei sung von Sprachen und die funktionale Gestaltung komplexer mehrsprachiger Situationen. Wenn in einem solchen Umfeld TranslatorInnen nicht ausschließ lich »für den Markt« arbeiten sollen und als transkulturelle VermittlerInnen zur Bewältigung von Kommunikationskonflikten betrachtet werden, dann eröffnen sich neue Tätigkeitsfelder, in denen Translator und Translatorin »für die Gesell schaft« arbeiten und dabei aktiv und eigeninitiativ Akzente setzen. Auf Kakanien bezogen würde das unter anderem bedeuten, einen dynamischen Umgang mit dem kulturellen Erbe weiterzuentwickeln und es in die Widersprüchlichkeiten neuer Kontexte zu integrieren, um die Metamorphosen des Übersetzungsfeldes wirksam mitgestalten zu können. er stes K a pitel Zur soziologischen Verortung von Translation Yet no translator or institutional initiator of a translation can hope to control or even be aware of every condition of its production. (Venuti 1998 : 3) Mit diesem Zitat weist Venuti im Kontext des Entwurfs einer »ethics of diffe rence«, die jenen »scandals of translation« entgegenwirken soll, die dem Bild von Übersetzung in der Gesellschaft in historischer und aktueller Perspektive zuset zen, nachdrücklich auf die Problematik der gesellschaftlichen Verflechtung von Translation hin und stellt gleichzeitig die Werte und Institutionen infrage, die das Phänomen der Übersetzung bestimmen. Die Positionierung des Sozialen in der wissenschaftlichen Betrachtung von Translation erscheint vor allem durch die soziale Gebundenheit des Phänomens der Translation und der AkteurInnen des wissenschaftlichen Feldes besonders dringlich. Die Ausleuchtung des trans lationswissenschaftlichen Forschungsfeldes auf diese Fragen hin ist somit ein prioritäres Anliegen. 1. Wissenschaft und Gesellschaft im Kontext von Translation In seiner Wissenschaftskritik stellt Hartmut Heuermann fest, dass die heute ge übte Wissenschaft weder ein konturierbares Menschen noch ein definierbares Gesellschaftsbild besitzt (Heuermann 2000 : 12). Damit signalisiert er, dass die zeitgenössische Wissenschaftstheorie weder dem Menschen als Individuum bzw. Subjekt gerecht wird noch die Kategorie des Humanen innerhalb größe rer Einheiten wie der Gesellschaft ausreichend berücksichtigt. Aus historischen Ansätzen, die sich mit dem Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft be fassten, ist ersichtlich, dass das wissenschaftliche Wissen stets von Metawissen überformt war, in dem kulturelle Traditionen als Stifter oder auch Hüter über geordneter »Wahrheiten« fungierten und für lange Zeit durchaus inspirieren den Charakter hatten (ibid.: 61). Das Bekenntnis gegenüber übergeordneten Einheiten, sei es gegenüber dem Staat, einer Religion, einer philosophischen Richtung, stand stets im Vordergrund und hatte auch im akademischen Bereich, wo das kulturelle Gesamtwissen als Legitimationskraft der Wissenschaft galt,