Slavistische Beiträge ∙ Band 22 (eBook - Digi20-Retro) Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D .C. Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG- Projekt „Digi20“ der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner: http://verlag.kubon-sagner.de © bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages unzulässig. «Verlag Otto Sagner» ist ein Imprint der Kubon & Sagner GmbH. Karla Hielscher A. S. Puškins Versepik - Autoren-Ich und Erzählstruktur Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 í / Slavistische Beiträge Unter Mitwirkung von M. Braun, Göttingen * t P. Diels, M ünchen J. Holthusen, Bochum * E. Koschmieder, M ünchen • W. Lettenbauer, F reiburg/B r. J. Matl, Graz • F. VV. Neumann, Mainz • L. Sadnik-Aitzetmüller, S aarb rü ck en J. Schütz, Erlangen HERAUSGEGEBEN VON A. SCHMAUS, M Ü N C H EN Band 22 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access KARLA HIELSCHER A. S. Puškins Versepik Autoren-Ich und Erzählstruktur V E R L A G O T T O S A G N E R • M Ü N C H E N 1966 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access йвувгіѵ י: Staatsb^ * ־ * ׳ M : - j p י © 1966 by Verlag O rto Sagncr/München Abteilung der Fa. Kuban & Sagner, München Druck: ״L o g o s “ G m bH , München 19, Bothmerstr. 14 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access I N H A L T E r s t e r T e i l Die Bedeutung der Autorengestalt in der Erzählliteratur 1. Di e R olle der Autorengestalt in Literaturgeschichte und L ite ra tu r- th e o r ie ........................................................................................................... 7 2. A utoren-Ich und fik tiv e r Leser in der Erzählweise des hum oristi- sehen R o m a n s ............................................................................................ 17 3. Puskin und die E rzä h ltra d itio n Sternes und Byrons 23 Z w e i t e r T e i l Bedeutung und Wandel des Autoren-Ichs in Puskins Verserzählungen 1. D ie Lyzeumsfragmente ,Monach‘ und ,Bova‘ ...................................... 30 2. Ruslan und L j u d m i l a .............................................................................41 3. G a v riilia d a ............................................................. 62 4. D ie südlichen P o e m e .............................................................................71 5. G ra f N u l i n ............................................................................................79 6. D o m ik v K o lo m n e .............................................. 89 7. Zusammenfassende Übersicht und Exkurs zum Problem der Ironie 99 D r i t t e r T e i l Das Autoren-Ich im Versroman > Evgeni) Onegin с 1. Das A utoren-Ich als grundlegendes Strukturelem ent des Romans . 111 2. D ie A ufspaltung des Autoren-Ichs in verschiedene Erscheinungs- fo rm e n ........................................................................................................... 119 3. D ie Ursache einseitiger Deutungen des R o m a n s .............................. 134 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 4. D ie V erknüpfung der verschiedenen Erscheinungsformen des Autoren-Ichs und ihre F u n k tio n ..............................................................139 5. Zusammenfassende Beurteilung der Erzählweise des Romans 160 L ite r a tu r v e r z e ic h n is .....................................................................................163 N a c h w o rt............................................................................................................169 00046982 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 0 4 6 9 8 2 ļ S taa tsb ib lio th e k 1 M ünchen ER STER T E IL DIE BEDEUTUNG DER AUTORENGESTALT IN DER ERZÄHLLITERATUR Kapitel 1 D IE R O L L E D E R A U T O R E N G E S T A L T I N L IT E R A T U R G E S C H IC H T E U N D L IT E R A T U R T H E O R IE M it einem T ite l wie ,Die R olle des Erzählers‘ oder ,D ie Bedeutung der Autorengestalt‘ stellt man sich m itten hinein in die Auseinandersetzung, die seit längerer Z e it die literaturtheoretische Diskussion um Fragen des epischen Erzählens bestimmt. D ie Diskussion ist nicht abgeschlossen, verschiedene Meinungen stehen gegeneinander. A u f jeden Fall aber hat die Aufdeckung und Bearbeitung dieses Problemkreises einen neuen und fruchtbaren Zugang zum Verständnis der erzählenden Dichtung geöffnet, vielleicht sogar den Zugang, der der erzählenden Dichtung zu allererst und aus ih re r Eigen- gesetzlichkeit heraus zukom m t. In diesem Sinne als Methode, als ein M itte l, dem Verständnis von Puškins W erk näherzukommen, w ird das Problem in dieser A rb e it ver- standen. N ic h t als theoretische Frage, die Aufschluß über die S tru k tu r des epischen Erzählens an sich g ibt, interessiert hier die Autorengestalt, sondern als Untersuchungsmethode, als ein allzu wenig begangener Weg zum besse- ren Verständnis der Verserzählungen Puškins. D e r H a uptakze nt liegt also auf der konkreten Analyse der einzelnen Werke, nicht a u f der theoretischen D arstellung. T rotzdem sei an den A n fa ng ein skizzierender Ü berblick über die A r t der Problem stellung anhand einer kurzen wissenschaftsgeschichtlichen D a r- Stellung gestellt. D ie slavistische Forschung hat das Problem der Autorengestalt bis je tzt sehr vernachlässigt, ja zum T e il noch gar nicht als Problem erkannt, ob- w o h l gerade die russischen E rzä h llite ra tu r, z. B. m it ih re r beliebten und ver- 7 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 breiteten Form des ,skaz* ein anregendes Untersuchungsfeld bietet und die Bewußtheit beweist, m it der sich die Schriftsteller in der Praxis dieser Frage stellten. D ie formalistische Schule der zwanziger Jahre hat allerdings, wie zu allen interessanten Fragen der Form, auch zur Untersuchung dieses Problems Ansätze gefunden.1 Es blieb aber im ganzen nu r ein Randproblem. Der B egriff des ,Erzählers* oder der ,Autorengestalt‘ spielt in den Arbeiten der Formalisten keine Rolle. Das ist w o h l auch daraus zu erklären, daß die kurze Z e it der Blüte des Formalismus einfach nicht ausreichte, die Unmenge der anfallenden Probleme zu Ende zu diskutieren. Ehe man beginnen konnte, die allzu vereinzelten, allzu d iffiz ile n , a llzu trockenen Beobachtun- gen, die noch dazu alle Anfangsübertreibungen enthielten, m it einer leben- digen, historischen Betrachtung zu verbinden, kam die Z e it, in der jede Betrachtungsweise vom Problem der Form her ve rp ö n t w ar. Erst in den letzten Jahren finden sich in der sowjetischen Forschung wieder interessante Arbeiten zu Form problem en der L ite ra tu r, und auch die Frage des E r- Zählers, der Autorengestalt beginnt in den W erkinterpretationen beachtet zu werden.2 Soweit ich sehe, g ib t es aber keinerlei theoretische Auseinander־ Setzungen m it diesem Problem ,3 und auch in den gängigen Literaturtheorien w ird es übergangen. In der germanistischen und besonders in der anglistischen und amerika- nistischen Forschung ist das Problem der E rzählhaltung, der Fragenkreis des ,p o in t o f vie w ״, die Erzählergestalt inzwischen ein Zentralproblem ge- worden. D ie ersten theoretischen Äußerungen über die ,R olle des Erzählers' sind, soweit ich sehe, bei Jean Paul zu finden. E r, bei dem sich das Problem durch seine eigene Erzählweise regelrecht anbietet, hat sehr genau die überragende R olle einer Erzählergestalt erkannt, eines fik tiv e n Ichs, das den Roman erzählt und das in seinen eigenen Romanen die erste R o lle spielt. ״ In keinem K unstw erk offenbart sich das Innere des A utors heller und verständiger als im Rom an; eben w e il dieser geräumigere Formen, also den Ausdruck des Ich, zu lä ß t und der H e ld oder irgend Jemand am leichtesten zum A u to r zu 1 Besonders in den Arbeiten Boris Ë j c h e n b a u m s : Kak sdelana ״״Smel״ Gogolja. (״Poétika1919 (״ , und Illjuzija skaza. Neuabgedruckt in: Skvoz״ literaturu. ,s Gravenhage 1962. * Z. B. in den Arbeiten G. A. G u k o v s k i j s : Realizm Gogolja. Moskva/Lenin- grad 1959, und: PuŠkin i problemy realističeskogo stilja. Moskva 1957, u .a ., sowie in verschiedenen Untersuchungen zum »Evgenij Onegin*, die uns später im ein- zelnen beschäftigen werden. * Im Gegensatz dazu wird das Problem des ,lyrischen Helden״ genau gesehen und untersucht. Z .B . in: N . L. S t e p a n o v : Lirika Pužkina. Moskva 1959; L. G i n z b u r g : Puīkin i liričeskij geroj russkogo romantizma. In: Puškin. Issi, i mat. 4. M/L 1962, sowie auch in einigen Arbeiten V. V. Vinogradovs. 8 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access machen ist; auch w e il hier der A u to r mehr zwischen die Personen sprechen d a rf.“ 1 E r spricht von der ״U nentbehrlichkeit eines nie von der Bühne ab- tretenden Ichs5״ ; und in dem K a p ite l über humoristische S u b je ktivitä t in seiner ״ Vorschule der Ä s th e tik “ e rk lä rt er: ״ Daher spielt bei jedem H u m o - risten das Id i die erste R olle; w o er kann, zieht er sogar seine persönlichen Verhältnisse auf sein komisches Theater, w ie w o l nur, um sie poetisch zu vernichten . . . So muß der Leser einige Liebe, wenigstens keinen H a ß gegen das schreibende I d i m itbringen und dessen Scheinen nicht zum Sein machen.6״ Dazu ist ״ eine gewisse V e rtra u lich ke it m it ihm “ 7 die Voraus- setzung. Diese Aussage, die da ra uf hinweist, daß die Scheinrealität dieser Autorengestalt nicht als W irk lic h k e it aufgefaßt werden d a rf, macht k la r, wie genau sich Jean Paul theoretisch der F ik tiv itä t dieser Autorengestalt bewußt war. Auch die F un ktion ihres Verhältnisses zum Leser ist gedank- lieh genau erfaßt. Trotzdem ist a u ffä llig , in w ie wenigen, eigentlich nebensächlichen Be- merkungen das Problem in Jean Pauls dickbändiger Ä sth e tik dargelegt w ird . M an kann daraus nur schließen, daß das A u ftre te n einer faßbaren Autorengestalt, ih r Hineinsprechen in Ich -fo rm m it Reflexionen und A b - Schweifungen, in dieser Z e it durchaus nicht als eine problematische Erschei- nung aufgefaßt wurde, sondern eine solche Erzählweise als die natürlichste Sache von der W elt erschien und einer theoretischen Rechtfertigung nicht bedurfte. Erst in der zweiten H ä lfte des 19. Jahrhunderts, im Zusammenhang m it der E ntw icklung des Realismus und später des Naturalism us, begann das Problem in den theoretischen Überlegungen eine R olle zu spielen. Das Stre- ben nach Echtheit und O b je k tiv itä t der dargestellten W e lt in der Erzählung w a r die Grundlage fü r die Diskussion um sogenanntes subjektives und ob- jektives Erzählen. D ie H a u p tve rtre te r in dieser Diskussion waren O tto L u d w ig und Fried- rieh Spielhagen. O tto L u d w ig unterscheidet die eigentliche Erzählung, in der der E r- zähler sein Wissen um die Sache zu m otivieren hat, also faßbar als E rzähler bewußt gemacht werden muß, von der szenischen Erzählung, in der ״ die Lizenzen des D ram atikers w a lte n “ , und er g ib t der zweiten A r t, die also den Erzähler verschwinden läßt, den V orzug, obw ohl er aber auch die andere A r t noch als legitim e Erzählweise gelten lä ß t.8 4 Denkwürdigkeiten aus dem Leben Jean Paul Friedrich Richters. Hrsg. von Ernst Förster. Mündicn 1863, Bd. 4, S. 92. 5 Jean P a u l s Sämtliche Werke. Hrsg. von Eduard Berend, Weimar 1927ff. 3. Abteilung, Bd. 5, S. 128. c A .a .O . 1. Abt., Bd. 11, S. 119. 7 Ebd. S. 119 f. 8 Ich beziehe mit auf Oskar W a l z e l s Darstellung in: Das W ortkunstwerk. Leipzig 1926, S. 182 ff. 9 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 R adikaler sind die Theorien Friedrich Spielhagens.9 D e r Hauptgedanke, der alle seine theoretischen Schriften durchzieht,10 ist die konsequente A b- lehnung jeder als Person faßbaren Autorengestalt. Seine Idealvorstellung von der epischen O b je k tiv itä t fo rd e rt eine V eru rteilung jeder persönlichen Reflexion des Dichters, jeder direkten Charakterschilderung, ja sogar jeder gegenständlichen L o k a l- und Landschaftsbeschreibung. Eine direkte Ich- Einmischung ist eine Sünde gegen die Gesetze der E p ik. ״ Entscheidend ist die Erkenntnis, daß des epischen Dichters einziges Geschäft da rin besteht, handelnde Menschen darzustellen, die er nach seinem Bilde schuf und zu deren Verständnis es keiner abstrakten Schilderung bedarf, auch nicht der geringsten; keiner prosaischen E rklä ru ng, auch nicht eines Wortes, w eil sie sich selbst durch ih r H a nde ln schildern und erklären.“ 1 1 ״ Es g ib t nur eine Darstellungsweise; alles fü r, alles durch die Personen! D e r D ichter als solcher hat m it dem Leser schlechterdings nichts zu schaffen, hat ihm kein W o rt zu sagen, keines!“ 12 D er D ichter soll also v ö llig und spurlos verschwinden. Gegen die Ü bertreibung dieser Ansicht wendet sich schon W ilhelm Scherer in seiner ״P oetik13 ״, und auch O skar W alzel steht einer solchen Auffassung von E p ik kritisch gegenüber. A ber allgemein w a r um 1900 die Ansicht w e it verbreitet, daß jede Autoreneinmischung, ja jedes Bewußt- machen eines Erzählenden unzulässig sei.14 U n d O skar W alzel bestätigt, ״ daß w ir uns m it der Z e it derart an die Technik des szenischen Romans gewöhnt haben, daß w ir Erzählungen, in denen der D ialo g nicht v o r- herrscht, sondern der E rzähler erzählt und seine Menschen meist nur in in- direkter Rede sprechen läßt, m it mehr M ühe lesen.15 ״ M it Thomas M ann sieht W alzel den Abschluß dieses lange herrschenden Erzählbrauchs ge- kommen und konstatiert, daß wieder erzählt w ird , ״w ie alte gute E rzähl- kunst erzählt hatte“ 16. W alzel w ehrt sich mehr gefühlsmäßig, ohne seine Auffassung k la r zu begründen, gegen die damals herrschende M einung, daß das ,H ineinreden des Verfassers* eine zu verurteilende Lässigkeit des 9 M artha G e l l e r : Friedrich Spielhagens Theorie des Romans. Diss. Berlin 1917. 10 Für unsere Fragestellung sind wichtig: Beiträge zur Theorie und Technik des Romans. Leipzig 1883; Neue Beiträge zur Theorie der Epik und D ram atik. Leipzig 1897; Die epische Poesie und Goethe. Sonderabdruck aus dem Goethe- Jahrbuch Bd. 16, 1895. 11 Die epische Poesie und Goethe, S. 29. ״ Beiträge zur Theorie und Technik des Romans. S. 90. 13 Wilhelm S c h e r e r : Poetik. 1887, S. 246ff. 14 Vgl. dazu : H . K e i t e r u. T. K e l l e n : Der Roman. Geschichte, Theorie und Technik des Romans und der erzählenden Dichtkunst. Essen 19C8. 15 Oskar W a l z e l , a .a .O ., S. 198. « Ebd., S. 201. 10 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 46982 A utors sei. E r erkennt: ״ Es ist Lässigkeit, geboren aus einem starken Form - w ille n .“ 17 D ie Anregungen, die von W alzel ausgingen, hat eine Schülerin von ihm aufgenommen und verarbeitet und das grundlegende Buch geschrieben, das diese Fragen k lä rt und in seinen Grundansichten bis heute nicht überholt ist. Es handelt sich um das W erk K äte Friedemanns ״D ie R olle des Erzählers in der E p ik “ (1910). Sie beweist darin, daß ״ das Wesen der epischen Form gerade in einem Sichgeltendmachen eines Erzählenden besteht“ 18, denn ״ sowohl der m ünd- liehe B e ric h t. . . als auch das geschriebene Buch haben dies gemeinsam, daß es sich bei ihnen niemals um eine W irk lic h k e it erster O rdnung handelt, sondern immer um eine E r z ä h l u n g von Vorgängen, die sowohl w a hr wie erfunden sein können. Es gibt hier nur eine selbstverständliche W irk - lichkeit, nämlich die, daß erzählt oder geschrieben w ird .“ 19 , ״W irklich* im epischen S inne. . . ist zunächst überhaupt nicht der erzählte Vorgang, son- dern das Erzählen selbst.“ 20 Durch den Erzähler tre n n t sich die W e lt in Subjekt und O bjekt. E r ist das verbindende M edium . Das Wesen der epi- sehen Form im Gegensatz zur dramatischen besteht gerade im Darstellen des Erzählens, im M itdarstellen des Erzählenden, und es ist einfach ein Paradox, diesen Erzähler ausschalten zu wollen, denn ״ wie kann die Illu - sion einer Dichtung, die ihrer eigensten Form nach auf den Erzähler h in - weist, . . . dadurch gestört werden, daß man von diesem Erzähler etwas m e rkt“ 21. ״ Also nicht um einen außerhalb des Kunstw erks stehenden Schriftsteller handelt es sich, der seine Gestalten, denen er versäumt hätte, ein selbständiges Leben einzuhauchen, nachträglich zurechtrücken und erläu- tern müßte, sondern um den Erzähler, der selbst als Betrachtender zu einem organischen Bestandteil seines eigenen Kunstwerkes w ird .“ 22 K . Friedemann macht einsichtig, daß der S treit um subjektives und ob- jektives Erzählen gegenstandslos ist, w e il es einfach nicht stim m t, daß das Eingreifen des Erzählers ein mehr subjektives Erzählen b e w irk t. Gerade die Autoreneinschübe zeigen doch die Distanz des A utors zu der von ihm ge- schaffer.en Dichtungswelt. So kom m t es, ״ daß oft die äußerste S u b je ktivitä t der Form m it geistiger O b je k tiv itä t identisch ist, w e il der Dichter, der nicht vollkom m en in seinen Gestalten aufgeht, ihnen gegenübersteht, und w eil er dies Gegenüberstehen dadurch veranschaulicht, daß er sich selbst als D a r- stellenden in die Darstellung m it verw ebt“ 23. In dieser letzten Form ulie- 17 Ebd., S. 205. 18 Käte F r i e d e m a n n , a .a .O ., S. 3. 1e Ebd., S. 80. Ebd., S. 25. 21 Ebd., S. 27. « Ebd., S. 26. 53 Ebd., S. 6 11 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 rung deutet sich auch schon an, was von Friedemann noch nicht in seiner ganzen Bedeutung herausgearbeitet wurde, daß nämlich diese Erzählergestalt nicht m it dem w irklichen A u to r id e n tifiz ie rt werden d a rf, sondern eine fik tiv e Gestalt ist, die ein T e il des Fiktionsganzen ist. Ih re eingehenden Untersuchungen fließen zusammen in der Erkenntnis, daß ״ die Selbst- darstellung des Erzählers das wesentlichste Gesetz aller echt epischen D a r- stellungsweise istn 24. K . Friedemanns Ansichten haben lange Z e it gebraucht, um beachtet zu werden und sich auch in der Praxis der In te rp re ta tio n durchzusetzen. Erst in den letzten Jahren, besonders durch die bahnbrechenden A rbeiten W o lf- gang Kaysers, rückte das Problem der Erzählergestalt in den M itte lp u n k t der Aufm erksam keit. Kayser stellt die Frage so: ״W er erzählt den Ro- man?“ 25 Fußend auf den grundlegenden Erkenntnissen von K äte Friede- mann, greift er im m er w ieder die Fragenkreise um den ,Erzähler* auf. E r arbeitet stärker heraus, daß die E rzähler-, die Autorengestalt eine R olle ist, eine gedichtete, fik tiv e Gestalt, die in das Ganze der D ichtung hineingehört, die der fik tiv e n poetischen W e lt zugeordnet ist, und er stellt fest, daß zu diesem fik tiv e n E rzähler ein fik tiv e r Leser in einer ko rre la tiven V erbindung steht. Das Verdienst W olfgang Kaysers besteht v o r allem aber auch darin, als erster das Problem in seiner historischen W andlung gesehen zu haben. D er kurze, aber so im ponierend problem haltige A ufsatz über die ״ Entstehung und Krise des modernen Romans“ 26 lä ß t die Größe des Themas ahnen und die noch lange nicht ausgeschöpften M öglichkeiten, die die Untersuchung der Autorengestalt über form ale Aspekte hinaus auch fü r die W iderspiegelung der historischen und gesellschaftlichen W andlungen bieten könnte. Kayser zeigt, wie im Gegensatz zum Barockroman, in dem der E rzähler gleichsam als ein Anonym us spricht, der keinen eigenen S tandpunkt als Per- son hat und keinen K o n ta k t m it dem Leser sucht, der moderne Roman, der in seinen Anfängen repräsentiert w ird durch die Namen Richardson, Fiel- ding, Sterne, G eliert, W ieland und Goethe, geprägt ist durch einen person- liehen Erzähler, dadurch ״ daß ein durchgehend persönlicher E rzä h ler als V e rm ittle r h e rv o rtritt, der von sehr vielseitigem Wesen ist; daß das E r- zählte in mehrere Perspektiven gerückt und die Sprache dam it un tergründig w ird ; daß der Leser einbezogen w ird und m it A ufm erksam keit dabei sein muß, um das U ntergründige zu erfassen“ 27. Kayser sieht darin eine Spiege- lung der N euorientierung am In d ivid u u m , die das bürgerliche Z e ita lte r m it u Ebd., S. 245. 15 Wolfgang K a y s e r : Wer erzählt den Roman. In: Die Vortragsreise. Studien zur Literatur. Bern 1958, S. 82— 101. u Wolfgang K a y s e r : Entstehung und Krise des modernen Romans. 3 . Aufl. Stuttgart 1962. מ Ebd., S. 17. 12 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 46982 sich gebracht hat. D er persönliche E rzähler ist so sehr untrennbarer Bestand- te il, ja wesentlichste Substanz des Erzählens, daß die D e fin itio n des Romans bei Kayser lautet: ״D er Roman ist die von einem (fik tiv e n ) persönlichen E rzäh ler vorgetragene, einen persönlichen Leser einbeziehende Erzählung von W e lt, soweit sie als persönliche E rfahrung faßbar w ird .“ 28 V on einer solchen G runddefinition her ist es k la r, daß Kayser die Formen, die der Rom an nach dem ersten W e ltkrie g angenommen hat, als Krisenerscheinun- gen werten muß, jene Formen, die sich aus der Ablehnung des konventio- nelien Romanstils ergeben, der durch die betrachtende H a ltu n g und distan- zierende Überschau der persönlichen Erzählergestalt eine Sicherheit in der Erfassung der W irk lic h k e it vorspiegelt, an die niemand mehr glaubte. D ie A ngriffe gegen ein persönliches Erzählen begannen, wie w ir gesehen haben, schon in der zweiten H ä lfte des 19. Jahrhunderts, aber damals wurde nu r gefordert, daß der A u to r sich nicht bewußt in die Erzählung einmischt, daß er sich form al nicht bemerkbar macht. D ie M öglichkeit des über- schauenden Erzählens als solche w urde noch nicht angezweifelt. Im N a tu ra - lismus wurden dann die Techniken der erlebten Rede und des inneren Monologs ausgearbeitet, die den B lickp u n kt immer mehr vom A u to r weg in die Personen verlagerten; aber erst in unserem Jahrhundert ist das vö llig e Verschwinden des eigenwertigen Erzählers erreicht, das in der Forderung der V irg in ia W oolfe nach D arstellung des 'stream o f consciousness* seinen Ausdruck findet und in sogenannten Psychogrammen von einzelnen Personen v e rw irk lic h t w ird .29 Kayser sieht darin eine G efahr fü r die R om anform überhaupt. E r m eint, daß der Roman seines Wesens beraubt würde, wenn der Erzähler ganz daraus verschwände. ״D er Tod des Erzählers ist der Tod des Romans.“ 30 U ber diese Beurteilung des Phänomens kann man allerdings geteilter M einung sein. K la r ist aber, daß m it diesem Sachverhalt das H auptproblem der erzählenden L ite ra tu r der Gegenwart erkannt ist. D e r Begriff des fik tiv e n Erzählers als eines G rundbegriffes der Problem - kreise um die Ezählhaltung, den *point o f vie w ״, die Erzählergegenwart, ist denn auch inzwischen ein allgemein anerkannter und fruchtbar angewandter B e g riff geworden. Besonders die von Franz Stanzel geprägten Begriffe fü r die drei typischen Erzählsituationen haben sich durchgesetzt.31 Stanzel unterscheidet drei Grundschreibhaltungen, die sich natürlich im m er vermischen oder auch innerhalb eines Werkes abwechseln können: M Ebd., S. 26. » In letzter Zeit scheint sich in dieser Beziehung aber wiederum ein Wandel anzubahnen. Die Erzählergestalt kommt in anderer Form wieder zu ihrem Recht. Der Unglauben an die Faßbarkeit und Darstellbarkeit der Wirklichkeit w ird ge- zeigt, indem das Scheitern eines Erzählers bei seinem Versuch, Wirklichkeit dar- zustellen, zum Thema des Erzählens gemacht wird. (Vgl. etwa Uwe Johnson: Das dritte Buch über Achim. Frankfurt a. Main 1961.) Ä e Entstehung u. Krise des mod. Romans, S. 33. M Franz S t a n z e l : Die typischen Erzählsituationen im Roman. Wien 1955. 13 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 erstens die, w o der Ausgangspunkt die Gegenwart des Erzählers ist, das sogenannte ,auktoriale Erzählen4 , in dem der E rzähler eine greifbare Per- sönlichkeit ist, die durch Autoreneinschübe, bewertende Bemerkungen usw. h e rv o rtritt. Zweitens die Erzählweise in der Ich-Form , w o der Seinsbereich des Erzählers und der dargestellten W irk lic h k e it in eins zusammenfallen. Diese A r t ist selbstverständlich kein Gegensatz zum auktorialen Erzählen. U n d drittens eine Erzählweise, bei der die ordnende E rz ä h lk ra ft von einer Person der Erzählung ausgeht, w o der B lickp u n kt in sie verlagert ist, das sogenannte ,personale Erzählen‘, das in unserer Z e it üblich geworden ist. Stanzel weigert sich aber, in dieser A r t des Erzählens etwa eine V erfalls- erscheinung zu sehen, w ie Kayser das tut. A u f jeden F all sind auch fü r ihn der fik tiv e E rzähler und die dam it zusammenhängenden Erscheinungen an- erkannte und vertraute Begriffe, m it denen man arbeiten kann. In neuester Z e it w urde nun aber der Versuch gemacht, den Begriff des Erzählers und die Untersuchung der ,R olle des Erzählers‘ als irrig abzutun. K äte H am burger beschäftigt sich in ihrer großangelegten ״Lo gik der D ichtung“ , in der sie versucht, neue Gattungsunterscheidungen einzuführen, eingehend auch m it diesen Fragen.32 Es geht ih r darum , den ,impersonalen Funktionscharakter‘ des Erzählens zu beweisen und den personifizierenden B egriff des ,Erzählers‘ auszuschalten. D ie F ra g w ü rd ig ke it ihres Versuchs zeigt sich schon darin, daß sie dem B e g riff des Erzählers eine längst über- wundene Auffassung unterstellt, nämlich die Auffassung des Erzählers als echten Aussagesubjekts. D ie Erkenntnis, daß es sich bei dem Erzähler um eine fik tiv e , ins Fiktionsganze hineingehörende G estalt handelt, läßt sie ein- fach beiseite, oder, da sie doch nicht um hin kann, auf Kaysers Arbeiten kurz einzugehen, räum t sie zw a r ein, daß ״ die Beobachtungen dieser A rb e it (Entstehung und K rise des modernen Romans) als solche reiche Bestätigung der systematisch-synchronischen Verhältnisse bieten“ 33, die sie aufzudccken versucht, sie m oniert aber, daß der Term inus ,Erzähler‘ inadäquat sei. Von ihrer logischen Betrachtungsweise her ist das einleuchtend und konsequent, wenn auch eben, sobald man sich aus ih re r Argum entationskette löst, durch- aus nicht überzeugend. Ihre K r it ik an der Auffassung von der ,R olle des Erzählers‘ gründet sich auf folgende Gedankengänge: D er G ru n d fü r den ih re r M einung nach inadäquaten personifizierenden Term inus lie g t in der Verkennung des kate- gorialen Unterschieds zwischen historischem und fiktio n a le m Erzählen, und nur in Angleichung an den historischen E rzähler bzw . Berichter konnte der fiktion ale ,Erzähler‘ personifiziert werden. W ohl im historischen, nicht aber im fiktionalen Erzählen liegt nämlich ein S ubjekt-O bjekt-V erhältnis vo r. ״ Das Fiktionsfeld, der R om aninhalt ist nicht das O b je k t dieses Erzählens. Seine F ik tiv itä t, d. i. seine N ic h t-W irk lic h k e it bedeutet, daß es nicht unab- st Käte H a m b u r g e r : Die Logik der Dichtung. Stuttgart 1957. *ג Ebd., Fußnote S. 113. 14 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access hàngig von dem Erzählen existiere, sondern bloß i s t k ra ft dessen, daß es erzählt, d. i. ein P ro d u kt des Erzählens ist. Das Erzählen, so kann man auch sagen, ist eine F un ktion, durch die das Erzählte erzeugt w ird , die E r- z ä h lfu n k tio n , die der erzählende D ichter handhabt wie etwa der M ale r Farbe und Pinsel. Das heißt, der erzählende D ichter ist kein Aussagesubjekt, er erzählt nicht von Personen und Dingen, sondern er erzählt die Personen und D in g e .. . Zwischen dem E rzählten und dem Erzählen besteht kein Relations- und das heißt Aussageverhältnis, sondern ein Funktions- Zusammenhang.“ 34 Das bedeutet: Es ״ g ib t kein episches Ich, w eil das, was fälschlich so bezeichnet worden ist, das epische Erzählen, nicht wie das historische E r- zählen m it einem Aussagesubjekt zusam m enfällt.“ 35 ,Aussage‘ bedeutet bei K . H am burger also historische Wirklichkeitsaussage. Gerade an dieser Stelle w ird k la r, daß ihre in sich logische D arstellung an wichtigen Erkenntnissen vorbeigeht und deshalb einseitig ist. Denn daß der E rzähler des Romans kein Aussagesubjekt in K . Ham burgers Sinne ist, sondern eine Gestalt, die in das Fiktionsganze der D ichtung hineingehört, eben ein fiktives, erdich- tetes Aussagesubjekt, ist ja gerade die Erkenntnis der Auffassung von der ,R olle des Erzählers‘. Aus K . Ham burgers Ausführungen fo lg t also durch- aus nicht, daß, wenn ein echtes Aussagesubjekt fe h lt, nicht trotzdem ein fiktives Aussagesubjekt, eben ein ,Erzähler‘ in Erscheinung treten könnte. Daß sie an dieser Erkenntnis vorbeigeht, ja von ih re r Betrachtungsweise her Vorbeigehen muß, macht dann auch ihre folgende Auseinandersetzung m it den Begriffen ,subjektives‘ und ,objektives Erzählen‘ kla r. Ih re ganze A rg u - m entation gegen den persönlichen E rzähler baut sie auf dieser Auseinander- setzung a u f und bemerkt nicht, daß sie hier offene Türen einrennt, denn gerade diese Term inologie vom objektiven und subjektiven Erzählen ist von den V ertretern der Auffassung von der ,R olle des Erzählers‘ längst überwunden, oder wenn sie doch angewandt w ird , dann in einem Sinne, der die F ik tiv itä t beider Erzählweisen unterstreicht.3* ״D ie in sich ruhende H a ndlun g und das ,Eingreifen des Erzählers* lösen nur verschiedenartige Illusionen aus. Beide aber gehören der epischen F ik tio n an.“ 37 Gerade eine fik tiv e Erzählergestalt unterstreicht doch die von K . H am burger an ver- schiedenen Textbeispielen bewiesene Auffassung, daß es falsch ist, zwischen einer mehr objektiven oder mehr subjektiven Erzählweise zu unterscheiden, da in ״ allen Fällen ein F iktionsfeld erzeugt w ird , eine fik tiv e W e lt von Personen und Begebenheiten“ , nu r daß die Personen einmal mehr von außen und einmal m ehr von innen gesehen werden.38 34 Ebd., S. 74. 35 Ebd., S. 76. зв Vgl. z. В. Wolfdietrich R a s c h : Die Erzählweise Jean Pauls. München 1961. 37 E. L ä m m e r t : Bauformen des Erzählens. Stuttgart 1955, S. 68 f. 38 Käte H a m b u r g e r , a .a .O ., S. 83. 15 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 D ie Erkenntnis, daß der Erzähler eine erdichtete G estalt ist, die in das fik tiv e Ganze des Werkes hineingehört, macht gerade das Bewußtsein von der F ik tio n a litä t des epischen Erzählens überhaupt, auf das es K äte H am - burger ankom m t, besonders deutlich. D er Nachweis dieser F ik tio n a litä t ist ih r Hauptanliegen. D aß aber eben diese erdichtete Erzählergestalt ein Teil, der wesentlichste T e il dieser F ik tio n ist, kann sie von ih re r dichtungslogischen Betrachtungsweise her, die jede Ich־Aussage zu einer Wirklichkeitsaussage macht und deshalb den Ich-Rom an sogar in die N ähe der existentiellen G attung rückt, auch wenn ih r die F in gierth e it dieser Wirklichkeitsaussage w o h l bewußt ist, nicht zugeben. F ür sie ist ein E rzähler grundsätzlich von seiner logischen S tru k tu r her ein echtes Aussagesubjekt, das sie in Ablehnung jedes Subjekt-O bjekt-Verhältnisses im Erzählen nicht brauchen kann. A n - fechtbar ist auch diese idealistische G rundposition, die Verleugnung eines Subjekt-O bjekt-Verhältnisses in der erzählenden Dichtung. Eine Ausein- andersetzung m it diesem Problem, das in philosophische und erkenntnis- theoretische Fragenkreise fü h rt, w ürde über den Rahmen dieser A rb e it hinausgehen. Hingewiesen sei aber nu r auf die F ra g w ü rd ig ke it dieser Posi- tion, wenn man an die H e rk u n ft des epischen Erzählens aus dem m ünd- liehen Bericht denkt, oder wenn man sich den Schaffensprozeß des Schrift- stellers vorste llt, der doch irgendw ie eine Beziehung zu seinem S toff haben muß. U n d die U nm öglichkeit, Subjekt und O b je kt im W erk k la r zu trennen, spricht noch nicht gegen das Vorhandensein eines solchen Verhältnisses. D ie E rfindung einer Erzählergestalt oder einfach die vom D ichter gewählte E rzählhaltung als A u to r, die Perspektive, ist eine M öglichkeit, dieses V er- hältnis widerzuspiegeln, ihm eine bestimmte Form zu geben. A ber auch wenn man die G rundposition K äte Hamburgers versuchsweise hinnim m t, bleibt ihre kom prom ißlose Ablehnung des Begriffs des ,Erzählers* anfecht- bar. Sie kann den Erzähler, das A u toren-Ich nicht wegdiskutieren aus W erken, in denen eindeutig ein S ub jekt-O bje kt-V e rh ä ltnis i m W e r k s e l b s t d a r g e s t e l l t ist, in denen also der E rzähler ganz bewußt G estalt geworden ist und über das Erzählen und das E rzählte reflektiert, am allerwenigsten aus jenen W erken, aus denen speziell der B e g riff der Autorengestalt geschöpft wurde, aus den W erken der humoristischen E rzä h l- lite ra tu r nämlich. K . H am burger verwendet kluge und einsichtige Argum ente und U n te r- suchungcn darauf, zu beweisen, daß auch in Erzählweisen in der A r t der Romane Jean Pauls, ״w o der E rzähler m it Ich und W ir und Anreden an den Leser usw. greifb ar erscheint“ 39, die F ik tio n nicht gestört, sondern im Gegenteil gerade besonders k la r bewußt w ird . Das ist aber kein Beweis gegen den ,Erzähler4 , der als fik tiv e F igur in einer bestimmten Beziehung Ebd., S. 84. 16 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access zu der von ihm erdichteten W e lt steht, Spaß daran hat, diese erzählte W e lt zu schaffen und dem Leser in diesen Prozeß E inblick zu gewähren, der gleichsam auf einer zweiten Ebene ein künstliches S ubjekt-O bjekt-V erhältnis schafft, das eine künstlerische Spiegelung der kom plizierten R ealität dieses Verhältnisses ist. U n d gerade um diese fik tiv e , d ire k t Person gewordene Erzählergestalt, die die Grundvoraussetzung jedes humoristischen Erzählens ist, um das A u to re n -Id i soll es in dieser A rb e it gehen. N ich t das Problem des Erzählers als solches, sondern die ganz spezifische Erscheinungsform dieses Problems, w ie es sich in den W erken der humoristischen E rz ä h llite ra tu r niederschlägt, ist also der Gegenstand unserer A rb e it. Nach dem kurzen Ü berblick über die Diskussion des Problems in der Forschung sollen je tz t die uns interessierenden E rzählform en konkreter be- schrieben werden. Kapitel 2 A U T O R E N -IC H U N D F IK T IV E R LESER I N D E R E R Z Ä H L W E IS E DES H U M O R IS T IS C H E N R O M A N S In fast jedem T ext einer E r-E rzählung macht sich in irgendeiner Weise ein Erzähler bemerkbar. Es kann eine erdichtete Persönlichkeit als Erzähler, als Zeuge des Geschehens vorgeschoben sein, wodurch dann das Ganze in eine doppelte oder dreifache Perspektive und Zeitschichtung gerückt w ird . (Denken w ir etwa an Serenus Z eitbloom in Thomas Manns ״D o k to r Fau- stus״ .) Es können verschiedene Formen einer Rahmenhandlung die E r- Zahlung und den E rzähler m otivieren. Aber auch w o das nicht geschieht, wo der E rzähler nicht als Gestalt poetisch realisiert ist, kann sich der Erzählende nie ganz verleugnen. Sei es, daß er in einem gefühlsbetonten Wortgebrauch, sei es in teilnehmenden Wendungen und Interjektionen, die auch Vorkommen, ohne daß der E r- zähler als Person Gestalt gewinnt, m erkbar w ird . J u rij T yn ja n o v weist dar- auf h in ,1 daß in vielen Fällen der E rzähler als Person nu r ku rz eingeführt w ird , um den G attungstyp festzulegen, die bereits konventionell gewordene G attung ,rasskaz‘. Eine Erzählung beginnt etwa m it den W orten : N . N . zündete sich eine Zigarre an und begann zu erzählen. Danach beginnt die eigentliche Erzählung, in der der E rzähler fü r die E ntw icklung des Sujets 1 Jurij T y n j a n o v : Archaisty i novatory. Leningrad 1929, S. 37 f. 17 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 00046982 keinerlei R olle mehr spielt. H ie r ist der E rzähler n u r ״G attungsrudim ent“ , nur ״ das Signal fü r die G attung ,rasskaz‘ in dem bekannten literarischen System“ ,2 In solchen und ähnlichen Fällen ist es nicht sin nvoll, die ,Rolle des Erzählers‘ untersuchen zu w ollen, da das Erzählen als solches nicht be- w uß t m itdargestellt w ird und, w o es sich doch zeigt, mehr unbewußt, un- g e w o llt aus seiner Eigengesetzlichkeit heraus h e rv o rtritt. Diese Erscheinungs- form en des Erzählens sollen uns also hier nicht interessieren. A u d i nicht die Ich-Erzählung, in der dieses Ich durchgängig in die H a n d lu n g hineinge- hört, m ithandelnde oder beobachtende Person ist, und nu r etwa zu einem späteren Z e itp u n kt, von höherer W arte aus das Geschehen berichtet. Dieses Geschehen ist dann natürlich als W irklichkeitsbericht fin g ie rt, und die Per- spektive des Berichtenden muß in einer konsequenten Ich-Erzählung einge- engt sein. Zwischen einer eindeutigen E r-E rzählung m it in sich ruhender H a nd- lung ohne faßbare Erzählergestalt und einer eindeutigen Ich-Erzählung, in der die Persönlichkeit des Ich-Erzählers im Zentrum des Interesses steht, gibt es aber nun die verschiedensten Zwischenform en der E rzählhaltung, die natürlich auch in einem W erk vermischt auftreten können. In der Ich- Erzählung kann sich die Perspektive unm erklich weiten und immer näher an die H a ltu n g der Autorenallw issenheit heranrücken. In der Er-E rzählung kann in verschiedenen Abstufungen ein Erzählender durch Reflexionen oder Abschweifungen bewußt werden oder sogar m it Ich-Einschüben hervor- treten. D ie E r-E rzählung, in die ein Ich im m er w ieder abschweifend und deu- tend, erklärend oder spielerisch eingreift, ist die Erzählweise, die uns näher beschäftigen soll. Es ist die Erzählweise der humoristischen Romane. Sie ist bestimmt durch eine fik tiv e S u b je ktiv itä t.3 In einer solchen Erzählweise werden die M öglichkeiten der Ich- und der E r-E rzäh lung vereint. Daraus entsteht ein ständiges Gegeneinander von D istanz und Anteilnahm e, ein gewisser Schwebezustand zwischen diesen Gegensätzen,4 ein Spiel m it ihnen. Eine E r-H a n d lu n g , die einen fik tiv e n Sachverhalt und fik tiv e Personen darstellt, und ein Ich, das diese F ik tio n ab und zu scheinbar durchbricht, das ist die G rundkonstellation, die diese E rz ä h la rt bestimmt. ״ Das Problem des fiktio n a le n Erzählens w ird selbst als Problem in die Erzählung aufgenommen.“ 5 Denn dieses sich einmischende Ich mischt sich ja als A u t o r e n - , als V e r f a s s e r - I c h ein. Es spricht als D ichter, als * Ebd., S. 38. 3 Vgl. Wolfdietrich R a s c h , а. а. O. , S. 8 4 Vgl. dazu auch Beatrix B r a n d i - D o h r n : Der Einfluß Lawrence Sternes auf Jean Paul. Studie zum Problem des literarischen Einflusses. Diss. München 1964, S. 150 ff. 5 Käte H a m b u r g e r , а. а. O. , S. 89. 18 Karla Hielscher - 978-3-95479-377-8 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 09:49:42AM via free access 46982 Romanschreiber. Das Schreiben des Romans selbst, die Entstehung des Werkes ist das wichtigste Thema dieser Ich-Aussagen. D ie F iktio n sfo rm der E r- E rzählung w ird also im m er wieder gebrochen. D ie Zeitschichtung ist dop- p e lt oder sogar vielfach. Aus einer Erzählergegenwart, der ,Schreibtisch- zeit‘ ,6 heraus spricht ein A u toren-Ich über das E rzählte, über Probleme des Darstellens, nim m t w ertend Stellung zu den dargestellten Personen oder lä ß t sich von dem E rzählten zu langen Abschweifungen anregen und erzählt von sich selbst. Dadurch w i