1 Eine Abhandlung ü ber Belange der Meere und des himmlischen Gefildes Zusammengestellt in allergrößter Sorgfalt und e rgänzt durch Beschreibungen lehrreicher Art u nd auch eine Vielzahl von Lithographien. Gefasst in vielerlei Abschnitte und noch genauer unterteilt. Verfasst durch Kapitän Lazalantin der „Litheth“ u nd von selbigem auch vielfach revidiert. Im 5024. Jahr nach dem Ende der Amulettkriege u nd dem 26. Jahr nach der Thronbesteigung u nseres geliebten Königs Hilgorad I. Ap Mer. Verfasst, verlegt und gedruckt in der Hafenstadt - Brandenstein zu Siebenwind – 2 Trage allzeit auf den Lippen: „Ventus zur Ehr‘, Xan zur Wehr!“ 3 Inhaltsverzeichnis Erstens: Betreffend die göttlichen Wesen, ihre Erscheinung und Zuständigkeiten, sowie ihnen darzubringende Opfer und Gebete. ..................... 8 Zweitens: Betreffend die göttlichen oder geisterhaften Erscheinungen und Wesen, die dem Leser auf See begegnen und widerfahren mögen. ................ 13 Das Lithethsfeuer. ................................ ................................ ................................ .... 13 Moniang, die Schweigsame. ................................ ................................ ..................... 14 Der Albatros. ................................ ................................ ................................ .............. 15 Der Wal. ................................ ................................ ................................ .................... 15 Die Seeschlange. ................................ ................................ ................................ ...... 16 Der Kraken. ................................ ................................ ................................ ............... 17 Die Inselschildkröten. ................................ ................................ ................................ 18 Der Leviathan und seine Fischmenschen. ................................ .............................. 19 Die Rusalka. ................................ ................................ ................................ ............. 21 Die Gattung der Meerjungfrauen. ................................ ................................ .............. 21 Die Undinen. ................................ ................................ ................................ ............. 24 Der Vogel Rokh. ................................ ................................ ................................ ....... 25 Alkonost und Sirin. ................................ ................................ ................................ ... 25 Der Nachtrapp. ................................ ................................ ................................ ......... 26 Die ehernen Vögel. ................................ ................................ ................................ ... 26 Die Watrmama. ................................ ................................ ................................ ........ 27 Der Klabautermann. ................................ ................................ ................................ 27 Piratenkönig “Eugenius”. ................................ ................................ .......................... 28 Die Geisterschiffe. ................................ ................................ ................................ .... 28 Der Schimmelreiter. ................................ ................................ ................................ ... 32 Die Wasserpferde. ................................ ................................ ................................ ..... 33 Die Wandelwasser. ................................ ................................ ................................ ... 34 Drittens: Als Intermission eine Sammlung erbaulichen Liedguts, das im Repertoire jedes Seemanns nicht fehlen darf und soll. ................................ ..... 36 4 Viertens: Eine Auflistung der Bauarten solcher Schiffe, die üblicherweise auf den Meeren angetroffen werden können. ................................ ................................ 50 Fünftens: Über das Handwerk zur See, die Werkzeuge der selbigen Handwerker und auch betreffend alle Männer einer Schiffsbesatzung. ............ 56 Sechstens: Über den Kampf zur See in seinen drei Eigenheiten, ergänzt durch Beispiele anzuwendender Formationen und ihrer Abläufe. ............................... 72 Zur Strategie. ................................ ................................ ................................ ............. 72 Zur Taktik: Grundlagen. ................................ ................................ ............................. 72 Zur Taktik: Der Vorteil des Windes. ................................ ................................ ........... 73 Zur Taktik: Eine Auswahl an Manövern. ................................ ................................ .... 74 Zur Taktik: Lug, Betrug und Täuschung. ................................ ................................ ... 77 Zum Geschützkampf. ................................ ................................ ................................ 78 Zum Enterkampf. ................................ ................................ ................................ ....... 79 Siebtens: Über alle Arten der Bestimmung von Ort und Zeit zur See, mithilfe einer Reihe von Hilfsmitteln und theoretischen Überlegungen. ... 81 Ein Vorwort. ................................ ................................ ................................ .............. 81 Das Grundsätzliche. ................................ ................................ ................................ .. 81 Die Navigation mithilfe des Windes. ................................ ................................ ........ 82 Das Wolkenlesen. ................................ ................................ ................................ ..... 83 Die Navigation nach der Strömung. ................................ ................................ .......... 84 Die Navigation nach den Kindern des Vuchalem. ................................ ..................... 84 Die Navigation nach den Schwingen des Rilamnor. ................................ ................. 85 Die Koppelnavigation. ................................ ................................ ............................... 86 Tücken der Navigation. ................................ ................................ ............................. 87 Achtens: Über die Kunst der Viktualien, das heißt, die Mannschaft eines Schiffes mit Nahrung und Getränk zu versorgen. ................................ ........ 93 Ein Vorwort. ................................ ................................ ................................ ............... 93 Der Schiffszwieback. ................................ ................................ ................................ 95 Das Salzfleisch. ................................ ................................ ................................ ......... 95 Der Stockfisch. ................................ ................................ ................................ .......... 96 Der Alkohol. ................................ ................................ ................................ ............... 96 Burgoo. ................................ ................................ ................................ ...................... 99 Erbsenpudding. ................................ ................................ ................................ ......... 99 5 Strudel. ................................ ................................ ................................ ...................... 99 Labskaus. ................................ ................................ ................................ .................. 99 Neuntens: Über Manöver zum Ankern und Anlegen, sowie den Landgang und eine Beschreibung der größeren Hafenstädte. ................................ ... 101 Das Ankern. ................................ ................................ ................................ ............. 101 Das Anlegen. ................................ ................................ ................................ ........... 102 Angekommen – die Hafenstädte. ................................ ................................ ............ 103 Entfernungstabellen. ................................ ................................ ............................... 109 Zehntens: Über das Recht zur See und die Gepflogenheiten guter Seemannschaft. ................................ ................................ .............................. 111 Vorwort zum Gesetz der Meere ................................ ................................ .............. 111 Artikel I: Die Pflicht zur Medizinischen Versorgung ................................ ................. 111 Artikel II: Die Pflicht zur Fürsorge um Passagiere ................................ ................... 111 Artikel III: Die Pflicht zur Hilfe in Seenot ................................ ................................ .. 111 Artikel IV: Die Bergung ................................ ................................ ............................ 112 Die Gute Seemannschaft ................................ ................................ ........................ 112 Elftens: Über die Heilkunde zur See. ................................ ............................ 113 Die Leiden ................................ ................................ ................................ ............... 113 Und ihre jeweiligen Kuren ................................ ................................ ....................... 114 Die operative Versorgung ................................ ................................ ........................ 115 Heilmittel und ihre Zusammensetzung ................................ ................................ .... 116 Zwölftens: Glossar all jener seemännischen Begriffe, die nicht im übrigen Werke zur Genüge erklärt oder erwähnt wurden. ................................ ........ 118 Anhang: Sonstiges Karten - und Informationsmaterial. .............................. 142 6 Abbildungs verzeichnis Abbildung 1: Die Heimsuchung. ................................ ................................ ................................ .............................. 8 Abbildung 2: Das Gesicht der "Litheth". Galionsfigur des nach ihr benannten Schiffes, aus den Händen der Meisterschnitzerin Melerwen. ................................ ................................ ................................ ................................ 9 Abbildung 3: Licht - und Sagengestalten über der Geistersee. ................................ ................................ ............. 13 Abbildung 4: Die verschiedenen Walarten. 1 – Norlandwal; 2 – Mörderwal; 3 – Glattwal; 4 – Pottwal; 5 – Narwal; 6 – Blauwal; 7 – Furchenwal; 8 – Weißer Wal. ................................ ................................ ................................ ..... 15 Abbildung 5: Eine Seeschlange in Ruhe. ................................ ................................ ................................ .............. 16 Abbildung 6: Eine neugierige Seeschlange im Kielwasser eines Schiffes. ................................ ........................... 17 Abbildung 7: Der furchtbare Kraken, bei seiner zerstörerischen Tat. ................................ ................................ ... 17 Abbildung 8: Der Krautrücken, oder Riesenschildkröte (nicht maßstabs - getreu dargestellt). .............................. 18 Abbildung 9: Der Leviathan weicht vor dem gerechten Zorn der Götter. ................................ .............................. 19 Abbildung 10: Die Rusalka. ................................ ................................ ................................ ................................ ... 21 Abbildung 11: Verführung durch die Meerjungfrauen. ................................ ................................ .......................... 22 Abbildung 12: Die Töchter des Drac. ................................ ................................ ................................ .................... 23 Abbildung 13: Undinen in liebender Umarmung. ................................ ................................ ................................ .. 24 Abbildung 14: Der Vogel Rohk, größer als jedes Schiff. ................................ ................................ ....................... 25 Abbildung 15: Die Alkonost. ................................ ................................ ................................ ................................ .. 25 Abbildung 16: Der Klabautermann. ................................ ................................ ................................ ....................... 27 Abbildung 17: Ein Geisterschiff. ................................ ................................ ................................ ............................ 30 Abbildung 18: Die Shabai von der Bittersee vor Al - Gahad. ................................ ................................ .................. 31 Abbildung 19: Der Schimmelreiter, oder Deichfürst. ................................ ................................ ............................. 32 Abbildung 20: Ein Wasserpferd mit seinem glücklosen Opfer. ................................ ................................ ............. 33 Abbildung 21: Heiterkeit in der Mannschaftsmesse. ................................ ................................ ............................. 36 Abbildung 22: Eine Bark. ................................ ................................ ................................ ................................ ...... 50 Abbildung 23: Eine Bireme. ................................ ................................ ................................ ................................ .. 50 Abbildung 24: Eine Brigantine. ................................ ................................ ................................ .............................. 51 Abbildung 25: Die Brigg. ................................ ................................ ................................ ................................ ....... 51 Abbildung 26: Ein Drachenboot mit nortravischen Seeräubern läuft aus. ................................ ............................ 52 Abbildung 27: Die "Frouwe" der Reederei Stolzwetter zu Venturia. ................................ ................................ ..... 52 Abbildung 28: Eine Galleasse. ................................ ................................ ................................ .............................. 53 Abbildung 29: Ein Katamaran mit endophalischen Wilden. ................................ ................................ .................. 53 Abbildung 30: Ein Klipper vor Anker im Hafen von Venturia. ................................ ................................ ................ 54 Abbildung 31: Eine Kogge. ................................ ................................ ................................ ................................ ... 54 Abbildung 32: Ein Schoner. ................................ ................................ ................................ ................................ .. 55 Abbildung 33: Die Sloop. ................................ ................................ ................................ ................................ ...... 55 Abbildung 34: Signalflaggen. ................................ ................................ ................................ ................................ 58 Abbildung 35: Der Bootsmann an Deck. ................................ ................................ ................................ ............... 60 Abbildung 36: Die richtige Art, die Bootmannspfeife zu greifen. ................................ ................................ ........... 61 Abbildung 37: Der Zimmermann in seiner standesüblichen Kluft. ................................ ................................ ........ 63 Abbildung 38: Das Handwerkszeug des Matrosen. ................................ ................................ .............................. 64 Abbildung 39: Wie man Leinen spleißt. ................................ ................................ ................................ ................ 65 Abbildung 40: Die üblichen Knoten. ................................ ................................ ................................ ...................... 66 Abbildung 41: Das Rigg einer Brigg. ................................ ................................ ................................ ..................... 68 Abbildung 42: Das Rigg einer Brigg, fortgesetzt. ................................ ................................ ................................ .. 69 Abbildung 43: Das laufende Gut des Rahsegels einer Unterrah. ................................ ................................ ......... 70 Abbildung 44: Das Rangieren in Linie. ................................ ................................ ................................ .................. 74 Abbildung 45: Wenden und Halsen. ................................ ................................ ................................ ..................... 75 Abbildung 46: Die Retirade. ................................ ................................ ................................ ................................ .. 75 Abbildung 47: Das Führen der Linien gegen den Versuch eines Durchbruchs. ................................ ................... 76 Abbildung 48: Das Dubliren. ................................ ................................ ................................ ................................ 76 Abbildung 49: Das Forcieren. ................................ ................................ ................................ ............................... 77 Abbildung 50: Eine Steinschleuder, oder 'Treibendes Werk'. ................................ ................................ ............... 78 Abbildung 51: Der Kompass in schematischer Darstellung. ................................ ................................ ................. 81 7 Abbildung 52: Das Logscheit. ................................ ................................ ................................ ............................... 82 Abbildung 53: Eine Karte der sieben Winde. ................................ ................................ ................................ ........ 82 Abbildung 54: Eine Sturmeswolke über dem Festland. ................................ ................................ ........................ 83 Abbildung 55: Strömungsnavigation, ein Beispiel. ................................ ................................ ................................ 84 Abbildung 56: Eine Tafel häufiger Land - und Seevogelarten. ................................ ................................ .............. 84 Abbildung 57: Wie ein Stern angepeilt wird. ................................ ................................ ................................ ......... 85 Abbildung 58: Wie ein Kurs alleine anhand einer Handgeste bestimmt wird. ................................ ....................... 85 Abbildung 59: Ein Sextant. ................................ ................................ ................................ ................................ .... 86 Abbildung 60: Ein Schiff in Seenot. ................................ ................................ ................................ ....................... 87 Abbildung 61: Ventus. Gleichermaßen zerstörerische Naturgewalt und Wind in unseren Segeln. ...................... 88 Abbildung 62: Bei blanken Masten. ................................ ................................ ................................ ...................... 89 Abbildung 63: Tabelle der Gefahrenzeichen. ................................ ................................ ................................ ........ 91 Abbildung 64: Eine Schautafel zur sachgerechten Handhabung des Senklots. ................................ ................... 92 Abbildung 65: Darstellung einer Schiffsküche. ................................ ................................ ................................ ..... 93 Abbildung 66: Zwieback. Nicht dargestellt: Käfer. ................................ ................................ ................................ 95 Abbildung 67: Stockfisch in verschiedenen Arten der Zubereitung. ................................ ................................ ..... 96 Abbildung 68: Eine Maß Dünnbier. ................................ ................................ ................................ ....................... 97 Abbildung 69: Fichtensprossen, wie sie gesammelt werden sollen. ................................ ................................ ..... 98 Abbildung 70: Die Destillation von Arrack. ................................ ................................ ................................ ............ 98 Abbildung 71: Ein Stockanker. ................................ ................................ ................................ ............................ 101 Abbildung 72: Wie ein Schiff fachgerecht festgemacht wird. ................................ ................................ .............. 102 Abbildung 73: Der Hafen von Venturia im Jahre 25 n.H. ................................ ................................ .................... 107 Abbildung 74: Die Sternenkarte des Magus Toran Dur von der königlichen Akademie der arkanen Künste zu Siebenwind. ................................ ................................ ................................ ................................ ........................ 142 8 Erstens: Betreffend die göttlichen Wesen, ihre Erscheinung und Zuständigkeiten, sowie ihnen darzubringende Opfer und Gebete. Zu Beginn einige Auszüge aus der Schriften- sammlung der Ecclesia Elementorum, die zu- sammenfassen, welcher Art, Natur und Anzahl die göttlichen Geschöpfe des Ventus und Xan sind, beginnend mit den Wesenheiten im Gefolge des Windherren und fortfahrend mit den Ge- schöpfen der Gezeitenherrin. Beschränkt auf sol- che W esen, die für einen Seemann von Interesse sind. Vuchalem: „Vuchalem ist der Urvater aller Vögel und Wesenheiten, welche sich in den Himmels- reichen bewegen. Vuchalem ist der Herr der Frei- heit und der Stellvertreter Ventus im Bereich der Wesenheiten der Winde. Dazu gehört alles, was sich in die Gefilde der Lüfte emporhebt , auch die Tänzer der Winde gelten zu seiner Schar. Vucha- lem ist stets der unendlichen Freiheit ausgesetzt. Er liebt es, frei zu sein, und sich in den Wogen seines Vaters zu bewegen. Man munkelt, dass man Vuchalem schon einmal gesehen hat, in der Gestalt von Vögeln. Einige sagen, er sei ein schneeweißer gewaltiger Adler, dessen Schwingen so rein und weiß schimmern, dass man die Augen abzuwenden gezwungen ist. Andere sagen wiederrum, dass er in Gestalt eines wundersamen prächtigen Schwanes gesichtet wurde, dessen Anblick ei- nes von Herzen schwärmen und die Schönheit preisen lässt. Aber es gibt auch andere Gerüchte, dass er einfach nur in Gestalt von einem bunten Regenbogen oder einem angenehmen Windzug umherzieht. Er genießt mit jeder Woge sei ne Freiheit.” Zephrion: „Zephrion ist Vuchalems erster Sohn. Aus seinem Geschlecht entstanden die Vögel und die Wesenheiten, die über die Meere fliegen würden. Zephrion beschreibt man als einen sehr wechselhaften Zeitgenossen. Er soll so ruhig sein wie eine ruhige See, aber er soll auch so stürmisch sein wie die stärkste Windrose. Zephrion wacht über all jene Diener Ventus, all jene Wesen, die sich in den Himmeln über dem Meer befinden. Man sagt sich, dass er oft die Gestalt einer gewaltigen Möwe annimmt und fast spiele- risch die Schaulustigen, die ihn einmal zu Gesicht bekommen umfliegt.” Litheth : „Ventus erschuf aus den kräftigsten Stürmen und den mildesten Brisen Litheth. Sie sollte herrschen über die milden Brisen und die starken Stürme. Und genauso wech- selhaft ist auch ihr Verhalten. Mal ist sie aufbrausend wie ein stürmischer Orkan und manchmal einfühlsam wie eine milde Brise. Man sagt sich, dass ihre Gestalt die eines eigenartigen Fabelwesens sein soll. Sie soll aussehen wie ein anmutiger Leopard und Abbildung 1 : Die Heimsuchung. 9 doch wie ein Greif, wie ein gewaltiger Vogel dessen Fe- dern mehr ein Flaum oder Fell sind oder doch beides? In ihrem Haar und um ihre Augen sollen Blitze funken und um sie herum soll stetig Wolken aus dichtem Nebel sein. Sie ist die Herrscherin über die Winde und die Wol- ken und Ventus trug ihr auf, einen Stamm der Titaneij ihm zu Ehren zu führen, auf dass jene Titaneij ihm zu Ehren die Winde und Wol- ken mit Litheth gemeinsam beherrschen würden.” Namikleris: „Ein Wesen welchem die Aufgabe zuteilwurde , über die Gewässer der Süße und die Gewässer der Salze zu regieren. Doch die Gewässer, die Artenvielfalt und die Masse waren so gigan- tisch , dass Namikleris wiederum seinen vier Kindern die Wesenheiten der Meere überliess und so nur über jene Gewässer wachen und regieren sollte. Im silbrig zahlrei- chen Schwirren eines Fischschwarms tritt Mammnollum in Erscheinung, Ahnherr aller Fische. Im Wesen ist er eng verwandt mit Nnaal, dem alle Wale und Delphine entspr an- gen, die Ventusatem brauchen. Linjacha schuf die Schlangen und Aale der Gewässer, Borbla die im Wasser lebenden Echsen und Kröten. Viele Erzählungen gibt es über ihr korallengleich farbenreiches Schuppenkleid.” Dies fasst zusammen die großen Wesenheiten, den Horwah der Viere gleich, die Xan und Ventus damit beauftragten, über die Meere Tares zu wachen. In gleichem Maße sind sie überall präsent, wie es das Privileg der Göttlichen ist, und bewohnen daher zu- gleich d ie Fjorde des Norlands, die Küsten von Meerfest im Norden oder Al - Gahad im Süden und natürlich auch das Meer der Sieben Winde, das in der Fremde jenseits Sie- benwinds in die Westersee übergeht. Die Gunst dieser Geschöpfe bestimmt über den Ausgang jeder Fahrt, denn bedingt durch ihre ständige Präsenz ist es gewiss, dass sie von dem Schiff und seiner Mann- schaft wissen. Der gleichmütig freie Vuchalem mag entscheiden, im Spiel die Kunstfer- tigkeit der Mannschaft zu messen , während seine temperamentvolle Schwester Litheth einem Schiff eine Probe in Form eines plötzlichen Sturmes zukommen lassen mag. Mammnollum muss gewillt sein, einem Fischkutter einen Teil seiner Kinder zu überlas- sen und würde andernfa lls veranlassen, diesen in die kalten Tiefen herabzerren zu las- sen, wie es das sichere Schicksal xanlästerlicher, gieriger Raubfischer ist. Abbildung 2 : Das Gesicht der "Litheth". Galionsfigur des nach ihr benannten Schiffes, aus den Händen der Meis- terschnitzerin Melerwen. 10 Wünscht man ihre Gunst, ist es unerlässlich, Opfer zu erbringen. Der rechte Zeitpunkt ist leicht zu bemessen: Bitten für eine sichere Fahrt verbindet man mit einem Opfer zu Beginn, frommer Dank für die sichere Heimkehr erfolgt mit einem Opfer danach. Dazwi- schen erfordern plötzliche Notlagen oft auch kleinere Opfer. Nachfolgend ist aufgeführt, was diesen göttlichen Wesen gefallen wird. Allgemeine Opfergaben Ventus Duftkräuter, Saphire, Musik und Gesang Xan Öle, Tinkturen, Opale, Perlen und Silber Vuchalem Papierdrachen, Windspiele und feine Stoffe Zephrion Vogelfutter, eine Schälchen Wasser Litheth Kupfer und Eisen, Speere und Pfeile, Melodien Namikleris Farbige Öle, Getränke, Fruchtessenzen Dabei sollte wohl überlegt sein, in welcher Reihenfolge die Opfer erfolgen und welchem Wesen welche Menge und Güte an Opfergaben gegeben wird, sodass kein Neid oder Zwist daraus erwachsen. Zuvor ist auch zu erwägen, welche Gefahren zu erwarten sind. Braut sich, beispielsweise, bereits am Horizont ein Sturm zusammen, so sollte man ent- sprechend Litheth und Ventus jeweils ein größeres Opfer bringen. Aus ferneren Winkeln des Reiches erreichen uns immer wieder Geschichten von Opfern ganz anderer Art. Die wilden Bewohner der Mahad - Inseln, der Inselkette im tiefsten Sü- den Endophals, sind dafür berüchtigt, zu jeder Felawende ein menschliches Opfer dar- zubie ten. Häufig gewählte Opfer sind Piraten oder fernreisende Kaufmänner, die när- rischerweise den Kontakt mit diesem barbarischen Volk gesucht haben. Es ist nicht ab- schließend geklärt, ob diese Opfer Xan oder ihrer dunklen Widersacherin, der Ersäuferin, gelten Ähnlich selten sind Berichte von Seemännern, die sich selbst vom Tod in den reißenden Fluten bewahren wollten, indem sie Namikleris ihren Dienst für einhundert Götterläufe versicherten. Die Lebenszeit wird dabei als Opfer angeboten und zumeist dankend an- ge nommen, denn die göttlichen Wesen messen den Seelen und Herzen der Sterblichen einen hohen Wert zu. Ab diesem Augenblick wurde nie wieder etwas von diesen verlo- renen und verschollenen Männern gehört, sodass ihr endgültiges Schicksal ungewiss ist und unbeka nnt bleiben wird. Anzunehmen ist, dass sie sich den Kindern des Namikleris angleichen und in Xans Fluten eine neue Wahlheimat finden. Zusammenfassend gibt es viele Möglichkeiten und Anlässe, eine Vielzahl verschiedener Opfer darzubringen. Darüber hinaus gab es im geschichtlichen Rückblick, in Auszügen dargestellt, Beispiele für Opfer fast jeder Art. Entscheidend ist allein das rechte und fromme Herz hinter der freiwilligen Gabe des Dargebrachten. Dann, und nur dann, wird auch die nächste Fahrt mit der Gunst der Göttlichen geschehen. In der großen Auswahl kann man leicht den Überblick verlieren, gerade unter Berücksichtigung der einzelnen 11 Feiertage, sodass viele Schiffe einen oder gar mehrere Schiffspriester mitführen, die in dieser Arbeit geschult sind. Man muss jedoch kein Schiffspriester sein, um ein Gebet zu sprechen. Es gibt regelmä- ßige Gebete, beispielsweise zu Ebbe und Flut oder zum Wechsel der Windrichtung, um den Gezeiten unsere fortwährende Bewunderung auszudrucken. Davon abzugrenzen sind die kurzen, inbrünstigen Stoßgebete, die in einer Notlage erfolgen und in ihrer Wort- wahl zumeist beliebig sind. Die Anrufungen eines Elements oder die Segnungen, die unter anderem dazu dienen, in echte Zwiesprache mit den Kindern des jeweiligen Ele- ments zu tret en, werden besser den Geweihten überlassen. Die folgenden Beispiele sind als Vorschläge für Form und Inhalt der jeweiligen Gebete zu sehen, können aber bei Bedarf auch exakt übernommen werden. Ein Gebet zum Beginn einer Reise, gerichtet an Xan und zu sprechen, wenn man zu- sammen mit der Flut ausläuft. “Xan, die alle Gezeiten mit wohlbedachter Hand fügt; die mit sanftem Gemüt die Strömungen führt und lenkt; Mit der Flut trag auch aus hinaus auf deinem Leib, Treue Seelen, geborgen in deiner Hand und voll frischen Mutes. Und mit der Flut lass uns auch bald wiederkehren.” Zur erfolgreichen Heimkehr nach der Reise kann das obige Gebet wiederholt und fol- gendermaßen ergänzt werden. “Treue Seelen, geborgen in deiner Hand und voll frischen Mutes sind wir, Und mit der Flut hast du uns wiederkehren lassen in die Heimat. Nun senkt den Anker, Männer, vertäut das Schiff! Unsere Herzen aber lassen wir weit draußen auf der See, Fortgetragen von deinen Gezeiten, umspült von deinen Strömen.” Ein Stoßgebet in Sturmesnot oder zu befürchtendem Schiffbruch. “Xan, hol mich nicht zu dir! Ventus, zeig Erbarmen! Litheth, strecke mich nicht nieder! Namikleris, reiße mich nicht hinfort!” Eine Bitte um frischen Wind und guten Kurs bei vorherrschender Flaute. “Vuchalem, Den Schwingen deiner Kinder, Weitgespannt und weiß, Sind diese Segel gleich. Mit gleichem Sinnen Erhaschen sie den Ventusatem. 12 Lass uns es dir gleichtun, Auf Wogen und durch Brisen getragen.” Eine Bitte, gerichtet an Xan, falls das Wasser in den Fässern schal oder faul wird oder in sonstiger Weise die Mannschaft vom Durst geplagt wird. “Xan, Regenbringerin, Gezeitenfügende, Nebelwebende, Lebensquell, Freudenbrunnen, Wasserschöpfende, Wir bitten dich: Befeuchte unsere Kehlen, lösche unseren Durst, Erquicke unsere Seelen, erfrische unsere Leiber.” Diese wenigen Gebete dienen nur als erste Vorschläge, wie man die göttlichen Wesen ansprechen oder anrufen sollte. In den gegebenen Texten sind gewisse gemeinsame Abschnitte erkenntlich. So ist man gut beraten, wenn man auf diverse Titel und Bezeich- nungen für die Götter zurückgreift. Diese Bezeichnungen sind kurze Lobpreisungen für bestimmte Aspekte, die wir an diesen Wesen schätzen, und sind Ausdruck unserer An- erkennung und Hochachtung. Im folgenden Abschnitt werden einige dieser Namen zur Verwendung in Ge beten aufgelistet. Anschließend erfolgt eine klare Formulierung der Bitte oder eine nicht allzu wortreiche Nachricht, die den Göttern gelten soll. Im Rahmen eines täglichen Gebets würde an dieser Stelle noch einmal ein Dank an die Götter folgen, während ei n Schiffspriester die meditative Annäherung an sein Element bevorzugen würde. Beispiele für preisende Bezeichnungen im Gebet Ven- tus Wolkengekrönter, Lebenshauch, Sternenmaler, Hirte der Stürme, Sturm und Drang, Rückenwind einsamer Wanderer , Astraelsgeleit, Nimmermü- der. Xan Regenbringerin, Säerin der Gischt, Gezeitenfügende, Nebelweberin , Le- bensquell, Freudenbrunnen, Wasser schöpfende, S chuppenknüpferin, Fluten- bringerin. 13 Zweitens: Betreffend die göttlichen oder geisterhaften Erscheinun- gen und Wesen, die dem Leser auf See begegnen und widerfahren mögen. Zusammenfassend wurde zuletzt genauer erörtet, welche göttlichen Wesen es gibt und welche Opfergaben und Gebete pro- bate Mittel sind, um zu gewährleisten, dass sie einem frommen Seefahrer gewo- gen sind. Im folgenden Kapitel befassen wir uns mit einer Sammlun g diverser Be- obachtungen und anderweitiger Erfah- rungsberichte, die erahnen lassen, welche Phänomene dort draußen auf der See zu finden sind. Der geneigte Leser möge die folgende Auflistung als Nachschlagwerk verstehen und bei Bedarf um seine eige- nen Notize n am Rand ergänzen. Das Lithethsfeuer. “Auf dem Verdeck, in jeglicher Kajüte flammt’ es Entsetzen; bald zerteilt’ es sich und brannt’ an vielen Stellen; auf dem Mast, an Stang’ und Bugspriest flammt’ es abgesondert, floss dann in eins...” “Und bald erschien das Lithethsfeuer, das w ir so erhofft hatten. Am Bugspriet und Großmast ließ es sich nieder, derweil der Fockmast verloren war, und schenkte uns die Hoffnung Auf ruhigere Winde und eine sichere Heimkehr.” “Rundherum, rundherum im Ringelreihen tanzten die todbringen Feuer des Nachts; Die Wasser, wie die Öle einer Hexe, Brannten grün und blau und weiß.” - Aus den Berichten einiger Seemänner. Bei dem sogenannten Lithethsfeuer handelt es sich um eine äußerst seltene Erschei- nung. Wie den obenstehenden Berichten zu entnehmen ist, handelt es sich um ein Abbildung 3 : Licht - und Sagengestalten über der Geistersee. 14 fahles, bläuliches Leuchten, das kaum aus unserer Sphäre der Sterblichen herrühren kann. Es verbrennt und verkohlt nicht und hinterlässt auch keinen Ruß, bevor es wieder verschwindet. Dabei gibt es einen Laut von sich, der klingt, als ob man unablässig ein Schwert schnell durch die Luft bewegen würde. Immer schon galt es als Omen, doch war nie schlüssig zu entscheiden, wie denn diese Erscheinung zu werten sei. So heißt es einerseits, dass das Erscheinen des Lithethsfeuer nur im Rahmen eines mächtigen Gewitters geschehen kann. Dann bedeutet es, dass in Kürze die beleuchte- ten Stellen von Blitzen getroffen werden und das Schiff dem Untergang geweiht ist. Hier wirkt es so, als wäre das Feuer der erbarmungslose Blick der Sturmherrin, die ihre ver- heerende Aufmerksamkeit auf die unglückliche Mannschaft gerichtet hat. Andererseits folgten dem Lithethsfeuer auch schon ein Abklingen des tobenden Gewitters und eine Befriedu ng der himmlischen Gefilde. Diese zwei sehr unterschiedlichen Ausgänge liegen vermutlich in der Zwiespältigkeit der Litheth und ihres Vaters, Ventus, begründet. So ist das Lithethsfeuer ein Omen unklarer Bedeutung. Es ergeht die Empfehlung, mit einem Gebe t oder Opfer (wie im vorherigen Kapitel beschrieben) die wankelmütigen Winde zu besänftigen. Moniang, die Schweigsame. Die folgende Sage stammt aus der Zeit der Amulettkriege vor mehr als fünftausend Göt- terläufen und spielt sich im Teil Falandriens ab, der später Malthust werden sollte. Dort in einem Dorf an der Küste wurde ein Mädchen geboren, das bei ihrer Geburt nicht s chrie und auch sonst nie klagte oder weinte, was ihr den Beinamen einbrachte, unter dem sie heute noch bekannt ist. Aus der Kindheit dieser Sagengestalt ist noch bekannt, dass ihr Vater und ihre zwei Brüder allesamt Fischersleute waren. Oft soll sie in ro ten Gewän- dern am Ufer gestanden haben, um auf die Rückkehr der Männer zu warten. Auch schwamm sie gern im Meer und bewies dabei großes Geschick. Nun kam es eines Tages zu einem plötzlichen Sturm. Die tiefschwarze Wolkendecke entfaltete sich über dem Meer und peitschte Wellen von vielen Schritt Höhe auf. Moniang befand sich in ihrer heimatlichen Hütte und war am Webstuhl eingeschlafen. Sie träumte d avon, dass ihre Brüder und ihr Vater sich in ärgster Seenot befänden und mit Gewiss- heit in den kalten, wütenden Fluten ihr Ende finden würden. Im Traum fügte sie es so, dass sie ihnen, einen nach dem anderen, die Hand reichte und sie in Sicherheit brachte. Doch bevor sie dazu kam, die Hand ihres Vaters zu greifen, da wachte sie aus ihrem Traum auf, denn ihre Mutter hatte sie wachgerüttelt, um sie für ihre nachlässige Faulheit zu rügen. Am nächsten Tag fand man die drei Brüder am Ufer, ohne ihr Fischerboot, und die Be- wohner des Dorfes sprachen von göttlicher Gnade und einem Wunder. Bald brachten sie Geschenke zu der von Xan erwählten Moniang und begannen, sie zu verehren. Der Vater jedoch blieb verschollen. Es heißt, dass das schweigsame Mädchen im zarten Alter von vierzehn Götterläufen zu Tode kam, als sie die Sehnsucht nach ihrem Vater nicht länger ertrug und hinausschwamm auf die dunkle See, um ihn dort zu suchen. 15 Sie kehrte nicht zurück und gilt seitdem als Patronin der Schiffsbrüchigen und jener, die sich in Seenot befinden oder einen Geliebten an die wankelmütige See verloren haben. Der Albatros. Der Albatros ist ein großer bis sehr großer Vogel mit einer Spannweite der Flügel von etwa zwei bis drei Schritt. Er ist leicht an seinem ausgeprägten, kantigen Schnabel zu erkennen und besitzt ein weißliches Gefieder, das am Rücken und der Oberseite der S chwingen dunkelgrau bis braun sein kann. Die Albatrosse ernähren sich zumeist von den Kindern des Namikleris und legen dabei große Strecken über die Meere zurück, sodass sie auch fern aller Küsten noch regelmäßig gesichtet werden können. Wacker hält sich die Sage, dass diese stolzen Vögel dem Gefolge des Morsan angehö- ren. Denn Raben, die bevorzugten Geschöpfe des Totengottes, können nicht die langen Flugstrecken leisten, die nötig sind, um eine Seele auf der hohen See zu bergen. Statt- desse n sind es die Albatrosse, die die Seelen zu Galtor geleiten, der sie dann schließlich in die unbekannte Sphäre seines Vaters Morsan trägt und dort zur Ruhe bettet. Da ein Albatros also die Seele eines verstorbenen Seemanns trägt und in sicherem Ge- wahrsam hat, ist es ein lästerlicher Frevel, diese Vögel zu jagen, zu fangen oder gar zu erlegen. Wer solch eine Tat begeht, dem ist das triste Los beschieden, dass seine Se ele nicht geholt werden wird, und stattdessen als unglücklicher Geist vom Zeitpunkt des To- des an bis zum Ende dieser Sphäre heimatlos über die Meere spuken muss. Es sei jedem Seemann ans Herz gelegt, sich das Buch “Der Alte Matrose” von einem hochge- schätzt en Herren Freiligrath, verlegt in Venturia, zuzulegen. Darin wird das Schicksal eines solchen Frevlers dargestellt. Der Wal. Alle Wale sind Kinder des Nnaal, der wie- derum ein Sohn des Namikleris ist, der aus Xan entsprungen ist. Als göttliche Kreatu- ren sollen sie also auch in dieser Aufzäh- lung erwähnt werden. An erster Stelle muss erwähnt werden, dass diese Ge- schöpfe wahre Vorb ilder der Gutmütigkeit und Großzügigkeit sind. Nur in größter Not bedrohen sie ei