Universitätsverlag Göttingen Umstrittene Sammlungen Vom Umgang mit kolonialem Erbe aus Kamerun in ethnologischen Museen Anne Splettstößer Göttinger Studien zu Cultural Property, Band 15 Anne Splettstößer Umstrittene Sammlungen Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz erschienen als Band 1 5 in der Reihe „Göttinger Studien zu Cultural Property“ im Universitätsverlag Göttingen 2019 Anne Splettstößer Umstrittene Sammlungen Vom Umgang mit kolonialem Erbe aus Kamerun in ethnologischen Museen Die Fälle Tange/Schiffschnabel und Ngonnso‘/Schalenträgerfigur in Deutschland und Kamerun Göttinge r Studie n zu Cultural Property , Band 15 Universitätsverlag Göttingen 2019 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.d nb .de> abrufbar Gedruckt mit Hilfe der Deutschen Forschungsge meinschaft (DFG) und Mitteln der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Georg - August - Universität Göttingen Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den Göttinger Universitätskatalog (GUK) bei der Niedersächsischen Staats - und Universitätsbibliothek Göttingen (http://www.sub.uni - goettingen.de) erreichbar. Es gelten d ie Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Satz und Layout : Steffen Herrmann Umschlaggestaltung: Jutta Pabst Coverabbildung: „ Ngonnso‘/Schalenträgerfigur “ im Depot der Afrikaabteilung in Dahlem, Ethnologisches Museum Berlin, Staatliche Museen zu Be rlin - Preußischer Kulturbesitz Foto : Anne Splettstößer © 2019 Universitätsverlag Göttingen http://univerlag.uni - goettingen.de ISBN: 978 - 3 - 86395 - 405 - 5 DOI: https://doi.org/10.17875/gup2019 - 1155 eISSN: 2512 - 6342 „Göttinger S tudien zu Cultural Property“ / “ Göttingen Studies in Cultural Property ” Reihenherausgeber Regina Bendix Kilian Bizer Brigitta Hauser - Schäublin Gerald Spindler Peter - Tobias Stoll Editorial Board Andreas Busch, Göttingen Rosemary Coombe, Toronto Ejan Mackaay, Montreal Dorothy Noyes, Columbus Achim Spiller, Göttingen Bernhard Tschofen, Zürich Homepage http://gscp.cultural - property.org Meinen drei Sonnen Manjula Ma Devi Zoë & Ella-Anjali Ananda & Ma Inhalt Vorwort ......................................................................................................... 13 1 Einleitung ........................................................................................... 15 1.1 Fragestellung und Aufbau der Arbeit .................................................... 19 1.2 Dingverständnis – Einleitung ............................................................... 22 1. Appadurai, Kopytoff: The Social Life of Things ................................. 25 2. Gell: Art and Agency ........................................................................ 31 3. Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) .................................................... 35 4. Zwischenfazit .................................................................................. 39 1.3 Feldzugang und Methodik ................................................................... 40 1. Feldzugang ...................................................................................... 40 2. Methoden ....................................................................................... 49 1.4 Der rechtliche Rahmen von Rückgabeforderungen – „An international limbo“? .................................................................... 57 1. Völkerrecht – internationale Konventionen und deren Wirkspektrum ................................................................................ 59 2. Soft law und Vereinte Nationen ....................................................... 63 3. Zwischenfazit .................................................................................. 70 2 Einführung: Ethnologische Museen und die Debatte um Rückgabe 73 2.1 Schlaglichter der Geschichte ethnologischer Museen Deutschlands mit Fokus auf Berlin und München ..................................................... 78 2.2 Der Umgang mit Dingen im Museum heute: Sammeln – Bewahren – Erforschen – Ausstellen .................................. 88 1. Sammeln ......................................................................................... 91 2. Ausstellen und Vermitteln ............................................................... 102 3. Bewahren ........................................................................................ 113 4. Erforschen – „Das Meiste ist halt im Verborgenen“ ......................... 119 2.3 Die Rückgabefrage in ethnologischen Museen Deutschlands ................ 124 1. Ergebnisse aus Feldforschung und Literatur .................................... 124 2. Argument gegen Rückgabe ............................................................. 129 2.4 Zwischenfazit ....................................................................................... 136 10 Inhalt 3 Häuptlingtum – „Eine Geschichte von Anpassung, Kreativität, Widerstandsfähigkeit und Behauptung“ ........................................... 139 3.1 Geschichte des Häuptlingtums in Kamerun mit Schwerpunkt Duala und Nso‘ ........................................................ 141 1. Die Duala am Vorabend des Kolonialismus .................................... 141 2. Die Nso‘ am Vorabend des Kolonialismus ....................................... 148 3. Kolonialismus und Häuptlingtum in Deutsch-Kamerun 1884–1914 ..................................................................................... 152 4. Kolonialismus und Häuptlingtum in Britisch / Französisch-Kamerun 1919–1960 ..................................... 159 5. Unabhängigkeit des Kamerunischen Nationalstaates und Häuptlingtum ................................................................................. 163 3.2 Häuptlingtum in Kamerun heute ......................................................... 165 1. Duala .............................................................................................. 170 2. Nso‘ ................................................................................................ 177 3.3 Zwischenfazit ....................................................................................... 181 4 Das umstrittene Erbe – der Tange / Schiffschnabel ............................ 185 4.1 Eine Reise von Douala nach Deutschland und zurück? Die kulturelle Biographie des Tange / Schiffschnabel ............................. 189 1. Der „Dezemberaufstand“ 1884 und die Inbesitznahme des Tange ... 189 2. Die Person Max Buchner und die „Schenkung“ des Tange .............. 193 3. Das Leben des Tange / Schiffschnabel 1884 bis heute ....................... 195 4. Der Hergang der Rückgabeforderung ............................................. 209 4.2 Der umstrittene Erbe und Reaktionen auf seine Forderung .................. 220 4.3 Ein Ding – divergierende Dingverständnisse ........................................ 235 1. Tange: Geburt – Hochzeit – Tod ..................................................... 235 2. Kommodifizierung und Singularisierung ........................................ 244 3. Eigentumsfragen ............................................................................. 248 4. Bewahren ........................................................................................ 251 5. Wissenspluralismus ......................................................................... 255 6. Schlaglichter der agency des Tange / Schiffschnabel ............................ 268 4.4 Zwischenfazit ....................................................................................... 276 5 Die kulturelle Biographie der Ngonnso‘/ Schalenträgerfigur ........... 281 5.1 Begegnungen zwischen Nso‘ und Deutschen und die Inbesitznahme der Ngonnso‘ / Schalenträgerfigur ..................... 283 5.2 Das Leben der Ngonnso‘ / Schalenträgerfigur im Museum von 1903 bis heute ............................................................................... 288 Inhalt 11 5.3 Der Hergang der Rückgabeforderung ................................................... 299 1. „I was the one that named that object Ngonnso‘“ – Prof. Kishani ... 299 2. „The likes of me are a spent force in these matters“ – Prof. Tangwa . 301 3. Paul Mzeka ..................................................................................... 304 4. NSO‘DA – Nso‘ Development Association .................................... 305 5. Die Osnabrücker Psychologinnen und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – „Wir haben nie in Frage gestellt, dass es hierhin gehört“ ........................................................................................... 313 5.4 Der Fon und die Rückgabeforderung – „The power of the Fon would be greatly enhanced“ ................................................................. 325 5.5 Ein Ding – divergierende Dingverständnisse ........................................ 329 1. Wissenspluralismus ......................................................................... 331 2. Kommodifizierung und Singularisierung ........................................ 335 3. Bewahren ........................................................................................ 338 4. Schlaglichter der agency der Ngonnso‘ / Schalenträgerfigur ............... 343 5.6 Zwischenfazit ....................................................................................... 349 6 Fazit .................................................................................................... 353 6.1 Vergleich der Fälle ................................................................................ 353 6.2 Ausblick ............................................................................................... 359 7 Quellen ............................................................................................... 363 7.1 Interviews ............................................................................................ 364 1. Deutschland ................................................................................... 364 2. Kamerun ......................................................................................... 365 7.2 Archivalien ........................................................................................... 367 1. Briefe .............................................................................................. 367 2. E-Mails ........................................................................................... 368 3. Andere Quellen ............................................................................... 369 7.3 Literaturverzeichnis .............................................................................. 370 8 Anhang ............................................................................................... 397 8.1 Texttafel 1 im Museum Fünf Kontinente, 2011 ................................... 398 8.2 Texttafel 2 im Museum Fünf Kontinente, Datum unbekannt .............. 399 8.3 Texttafel 3 im Museum Fünf Kontinente, 12.05.2016 ......................... 401 8.4 Abbildungsverzeichnis .......................................................................... 402 Vorwort Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie der Universität Göt- tingen (2011–2016) und Mitglied der DFG Forschergruppe Cultural Property (2011– 2014) war ich im ethnologischen Teil des Projektes G4 Umstrittene Sammlungen. Divergierende Ansprüche auf Eigentum in Debatten und Verhandlungen 40 Jahre nach der Verabschiedung der UNESCO-Konvention über rechtswidrigen Kulturgütertransfer unter Leitung von Prof. Dr. Hauser-Schäublin (Ethnologie) tätig, welches gemein- sam mit Prof. Dr. Stoll (Völkerrecht) beantragt wurde. Ich danke der DFG für die Finanzierung dieser Arbeit. Mein Dank gilt auch meiner Doktormutter Brigitta Hauser-Schäublin, ohne die diese Arbeit nicht entstanden wäre. Meine Forschung begann im Sommer 2011 und endete im September 2016 mit Einreichung der Dissertationsschrift. Mehrmonatige Feldforschung führte ich 2012 und 2013 sowohl im Museum Fünf Kontinente, München, dem Ethnologischen Museum Berlin sowie an unterschiedlichen Orten in Kamerun vor allem in Douala und Kumbo durch. Meine Forschung in München wurde ermöglicht und über die Jahre stets unterstützt von Christine Kron, die 2017 völlig unerwartet aus dem Leben schied. In Berlin war ich aufgrund von früheren Forschungsschwerpunkten der Ab- teilung Süd / Südostasien unter Kurator Roland Platz und in München der Abteilung Ozeanien unter Kuratorin Michaela Appel zugeordnet. Stefan Eisenhofer unter- stützte meine Forschung nach Kräften. Ihnen allen gilt mein Dank stellvertretend 14 Vorwort für alle MuseumsmitarbeiterInnen, mit denen ich zusammenarbeiten durfte. In den unterschiedlichen Feldern in Deutschland führte ich etwa 40 Interviews. In Douala war ich Gast der Stiftung AfricAvenir International. Mein Dank gilt Prinz Kum’a Ndumbe stellvertretend für alle in die Tange-Forschung involvierten Gegenüber. In Kumbo danke ich dem Fon der Nso‘ HRH Sehm Mbinglo sowie in Osnabrück Bettina Lamm stellvertretend für alle in die Ngonnso‘-Forschung invol- vierten Gegenüber. In Kamerun führte ich etwa 40 Interviews mit VertreterInnen von ICOM Kame- run, UNESCO, dem Kultusministerium Kameruns, der deutschen Botschaft und mit Angehörigen der außerhalb von Douala und Kumbo lebenden Eliten, die in beide Fälle involviert waren. Allen kooperierenden Institutionen und deren Mit- arbeiterInnen in Deutschland und Kamerun gilt mein Dank. Alle verwendeten Zitate in dieser Arbeit wurden den Gegenübern auf deutscher Seite erneut vorgelegt und von ihnen schriftlich zur Veröffentlichung freigegeben. Alle Zitate Kum’a Ndumbes wurden vertraglich für die Publikation autorisiert. Bei allen anderen Zitaten wurde der Veröffentlichung mündlich zugestimmt. Ohne die immense Unterstützung von Johanna Kühn und Anne Clausen wäre die Arbeit nicht geworden was sie ist. Und ich auch nicht. 1 Einleitung Another related area is that of the history and nature of the major art and archeology collections of the Western world, whose formation represents extremely complex blends of plunder, sale, and inheri- tance, combined with the Western taste for the things of the past and of the other. [...] The current controversies [...] raise all the moral and political delicacies that come into play when things get diverted, several times over, from their minimal, conventional paths and are transferred by a variety of modes that make their history of claims and counterclaims extremely difficult to adjudicate. (Appadurai 1986a:27) Ein Teil der Dinge in ethnologischen Museen 1 des Globalen Nordens wurde zu Ko- lonialzeiten auf unterschiedliche Art und Weise gesammelt. Im Zuge postkolonialer Debatten wird der Ruf nach Rückgabe (einiger) dieser Dinge laut, vor allem wenn sie im Zuge von Raub oder Plünderung angeeignet wurden. 2 Die während Jahr- 1 Ich verwende die Bezeichnung ethnologisches Museum für oftmals unter dem Namen „Völker- kundemuseum“ gegründete Museen wie in München (umbenannt in Museum Fünf Kontinente 2014) oder Berlin (umbenannt in Ethnologisches Museum 2000). Den Begriff Völkerkundemuseum verwende ich nur, wenn es dem Gebrauch der Akteure oder der jeweiligen Zeit entspricht, etwa im Fall von den historischen Bezeichnungen der Völkerkundemuseen in Berlin und München. 2 In dieser Arbeit verwende ich in Anlehnung an internationale Organisationen wie die UNESCO den Begriff der Rückgabe (return) und nicht Begriffe wie Restitution (restitution) und Repatriierung (repatriation) : „At UNESCO’s General Conference in 1978, an important distinction between the two institutions of ‚restitution‘ and ‚return‘ was made. [...] ‚restitution‘ was to be used ‚in case of illicit appropriation‘ during war as provided by the 1954 Hague Convention or during times of peace [...]. 16 1 Einleitung zehnten oder Jahrhunderten in den Museen bewahrten Dinge werden sowohl von den Museen als auch von den Nachfahren der Herkunftsgesellschaften zuweilen als ihr kulturelles Erbe identifiziert. 3 Sie werden zu umstrittenen Dingen zwischen den Nachfahren der Herkunftsgesellschaften oder Nachfolgestaaten und den Museen des Globalen Nordens. 4 Im Vergleich zu der Anzahl und Virulenz von Rückgabedebatten in den Siedlerstaaten gibt es in Deutschland (bisher) nur wenige Rückgabeforderun- gen an ethnologische Museen, so dass Erfahrungen und auch Forschungsergebnisse auf Seiten aller beteiligten Akteure fehlen. 5 In der vorliegenden Arbeit mit dem Titel Umstrittene Sammlungen. Vom Umgang mit kolonialem Erbe aus Kamerun in ethnologischen Museen. Die Fälle Tange / Schiff- schnabel 6 und Ngonnso‘ / Schalenträgerfigur 7 in Deutschland und Kamerun untersuche ich zwei Rückgabeforderungen aus Kamerun an ethnologische Museen in München und Berlin, die beide seit Ende der 1990er Jahren verhandelt werden. Anhand der Conversely, the term ‚return‘ applied to ‚cases where objects left their countries of origin prior to the crystallization of national and international law on the protection of cultural property‘. It explicitly referred to ‚transfers of ownership‘ made from the colonial territories to the colonial powers [...]“ (Jakubowski 2015 : 158–159). Für weitere Ausführungen zu diesen Begrifflichkeiten verweise ich auf Kowalski (2005) und Stamatoudi (2011 : 14–19). 3 In dieser Arbeit verwende ich das deutsche Äquivalent Herkunftsgesellschaften für source communi- ties . Beide Bezeichnungen suggerieren einen zeitlich losgelösten Kontext, aus dem Dinge stammen können, einen „Ursprung“ oder eine „Quelle“. Diese Problematik thematisiere ich, indem ich bei den teilweise vor 130 Jahren hergestellten Dingen, die heute zurückgefordert werden, von den Anspruch- stellern durchgängig als „Nachfahren der Herkunftsgesellschaften“ spreche. 4 Diese Rückgabeforderungen betreffen fast ausschließlich öffentliche Museen und kaum die an „Ethnographica“ reichen weltweiten Privatsammlungen, die sich weitestgehend einer (rechtlichen) Kontrolle entziehen und deren Inhalte öffentlich wenig bekannt sind. Rückgabeforderungen von Dingen in deutschen Museen allgemein betreffen primär Dinge aus europäischen Ländern (vor allem Türkei, Griechenland und Italien), die Resultate von Raubgrabungen antiker Dinge sind. Für eine Analyse der Rückgabe unter anderem der hethitischen Sphinx von der Stiftung Preußischer Kultur- besitz an die Türkei verweise ich auf Hauser-Schäublin (2013). 5 Die im Forschungszeitraum mit großem öffentlichem Interesse begleiteten Fälle wie der Fall Gurlitt haben meiner Beobachtung nach staatliche Institutionen und (ethnologische) Museen weiter für das Forschungsthema sensibilisiert, obwohl sie nicht explizit die Problematik des kolonialen Erbes an- sprechen. 6 Die Nutzung der Dingbezeichnung Schiffschnabel oder Tange orientiert sich an dem Gebrauch der Akteure. So ist im Museumskontext meist von Schiffschnabel die Rede während die Gesprächspartner in Kamerun und postkoloniale Initiativen den indigenen Dualabegriff Tange nutzen. Ist dies nicht klar abgrenzbar, verwende ich Tange / Schiffschnabel, um den beiden Bezeichnungen gleiches Recht einzuräumen. Bei der Schreibweise habe ich mich in Anlehnung an Wilcox und Rücksprache mit Valère Epee und Jean-Pierre Félix-Eyoum für Tange statt der an das Französische angelehnten Schreib- weise Tangué entschieden, setze den Begriff jedoch nicht kursiv. 7 Die Nutzung der Dingbezeichnung Schalenträgerfigur oder Ngonnso‘ orientiert sich an dem Ge- brauch der Akteure. So ist im Museumskontext zumeist von Schalenträgerfigur die Rede während die Gesprächspartner in Kamerun und deren deutsche Unterstützer den indigenen Nso‘-Begriff Ngonn- so‘ nutzen. Ist dies nicht klar abgrenzbar, verwende ich Ngonnso‘ / Schalenträgerfigur, um beiden Bezeichnungen gleiches Recht einzuräumen. 1 Einleitung 17 Analyse dieser beiden Fälle möchte ich einen Beitrag zur der in Deutschland an Bedeutung gewinnenden Debatte über den Umgang mit und der Rückgabe von kolonialem Erbe leisten. Beide Forderungen werden von kamerunischen traditionellen Eliten – einem Prinz der Bele Bele aus Douala und dem Fon 8 der Nso‘ aus Kumbo – individuell und nicht vom Staat Kamerun an ethnologische Museen in München und Berlin gestellt. 9 Bei dem einen Fallbeispiel handelt es sich um den Tange oder Schiffschnabel, ein hölzernes, bemaltes Bootsornament aus Kamerun, welches vor Ort als Herrschafts- zeichen galt und gilt und in der deutschen Kolonialzeit 1884 als Kriegsbeute durch Max Buchner, Arzt und stellvertretender Konsul des Deutschen Kaiserreiches, nach München kam. Das Museum Fünf Kontinente München als staatliche Einrichtung sieht sich als rechtmäßiger Eigentümer der „Schenkung“, der das „Objekt“ seit fast 130 Jahren bewahrt. Der sich als Erbe verstehende Prinz Kum’a Ndumbe III. (fortan Kum’a Ndumbe) der Bele Bele, einer Sublineage der Duala, aus Kamerun fordert die Rückgabe der „Königsinsignie“ seines Großvaters Kum’a Mbape (1846–1916) seit den 1990er Jahren. Der Prinz und seine Unterstützer sehen den Tange als sakrales „Instrument“, dessen Kraft vor Ort in Douala gebraucht werde und sich nur dort entfalten könne, nicht aber im Museum Fünf Kontinente. Die Rückgabeforderung Kum’a Ndumbes wurde 1999 und 2010 vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst als zuständiger Behörde, welche die staatlichen Museen Bayerns verwaltet, abgelehnt. 10 Nachdem fast zwanzig Jahren seit der ersten Forderung vergangen waren, kam es im Jahre 2016 zum ersten Treffen zwischen dem Rückfordernden Kum’a Ndumbe, MuseumsvertreterInnen und staat- lichen Vertretern der BRD (u. a. des Auswärtigen Amtes) im Museum Fünf Kon- tinente in München. Bei dem zweiten Fallbeispiel handelt es sich um die Ngonnso‘ oder Schalen- trägerfigur, eine hölzerne, mit Kauris bedeckte Standfigur, die in Kumbo als Abbild oder Verkörperung der Gründerahnin der Nso‘ gilt und in der deutschen Kolonial- 8 Fon ist die Bezeichnung eines Herrschers aus dem Kameruner Grasland, welche auch mit der Bezeichnung „König“ gleichgesetzt wird. Die Bezeichnung „Kameruner Grasland“ geht auf die deutsche Kolonialzeit zurück und war inspiriert vom überall wachsenden Savannengras (Chilver und Kaberry 1967 : 123). Das Grasland umfasst die Savannenregion aus vulkanischen hohen Plateaus, die im Westen Kameruns in den Regionen Nordwest und West liegt: „[...] the concept of ‚Grassfield‘ really corresponds to an identifiable cultural area extending approximately from the southern edge of the high plateaus to the Tikar plain in the north“ (Monga 2000 : 735). 9 Ich verwende Duala für die Bezeichnung der Gesellschaft und Sprache sowie Douala für die Be- zeichnung der Stadt am Fluss Wouri, welche mit ca. 1 514 978 Einwohnern die größte Stadt Kameruns und Hauptstadt der Region Littoral ist. Ich verwende die Schreibweise Nso‘ für die Gesellschaft und Kumbo für die Hauptstadt mit Sitz des Hauptpalastes des Fon. Kumbo ist die Hauptstadt des Bui Department der anglophonen Region Nordwest mit 322 877 Einwohnern. Die Bevölkerungszahlen entnahm ich der Annuaire Statistique du Cameroun 2006 des Institut National de la Statistique du Cameroun (http://www.statoids.com/ycm.html <08.01.2019>). 10 Von 1998–2013 lautete der Name Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst. Wenn nicht anders angegeben, verwende ich die momentan gültige Bezeichnung. 18 1 Einleitung zeit unter nicht mehr eindeutig zu klärenden Umständen 1902 durch den preußi- schen Offizier Kurt von Pavel nach Berlin kam. Das Ethnologische Museum Berlin als Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – Staatliche Museen Berlin sieht sich als rechtmäßiger Eigentümer der „Schenkung“. Die Rückgabeforderung des Erbes seines Großvaters Seembum II (1875–1907) des Fon der Nso‘ wurde 2011 in einem Brief, verfasst vom Vizepräsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – Staatli- che Museen Berlin als zuständiger Institution, abgelehnt. In beiden Fällen ist also eine Rückgabe (bisher) nicht erfolgt, so dass meine Analysen die prozesshaften Dynamiken der Aushandlungen thematisieren und seit Beginn der Forschung 2011 begleiten. Dabei werfen beide Fälle eine Vielzahl von Fragen auf, die ich im interdisziplinären Rahmen der Forschergruppe etwa mit den Kollegen des Völkerrechtes, der Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie und Ethnologie bearbeitet habe. 11 Weitere für diese Arbeit elementare Anleihen konn- te ich bei den Disziplinen der Geschichtswissenschaft (auch Kunstgeschichte) und Museologie machen, so dass im Ergebnis eine interdisziplinäre Arbeit entstanden ist, die das komplexe, alle diese Disziplinen tangierende Thema der Rückgabe nicht nur aus einem disziplinären Fokus heraus beleuchtet. 11 Die fruchtbare Zusammenarbeit über die Problematik der Rückführung von mobilem Kulturgut zwischen Brigitta Hauser-Schäublin und den im Projekt tätigen Fellows Lyndel V. Prott und Keiko Miura konzentrierte sich regional auf Kambodscha und inhaltlich auf Fragen nach illegalem Kultur- gütertransfer (Hauser-Schäublin 2016, Hauser-Schäublin und Kim 2016, Miura 2015, Miura 2016), die UNESCO 1970 Konvention und deren Auswirkungen auf den Kulturgütertransfer sowie einzelne Fallbeispiele, die im Forum UNESCO - Intergovernmental Committee for Promoting the Return of Cultural Property to its Countries of Origin or its Restitution in Case of Illicit Appropriation ver- handelt wurden (Hauser-Schäublin 2013). Im Ergebnis wurde 2016 von Brigitta Hauser-Schäublin und Lyndel V. Prott der Band Cultural Property and Contested Ownership: The Trafficking of Artefacts and the Quest for Restitution herausgegeben (Hauser-Schäublin und Prott 2016a) mit einer gemeinsam verfassten Einleitung der Herausgeberinnen (Hauser-Schäublin und Prott 2016b). Von den beiden Fällen aus Kamerun abgesehen verfolgte ich im Rahmen des Projektes gemeinsam mit den Kollegen des Völkerrechts die Auswirkungen des Kulturgüterrückgabegesetzes, welches die UNESCO 1970 Konvention in der BRD implementierte. Dabei untersuchte ich im soeben benannten Band konkret den sich seit den 1990er Jahren entfaltenden „Patterson-Fall“, bei dem es um eine auf 100 Millionen US$ geschätzte Sammlung prä-kolumbischer Kunst geht, die 2008 vom Bayerischen Landeskriminal- amt in München sichergestellt und durch Lateinamerikanische Länder von Kunsthändler Leonardo Patterson zurückgefordert wird (Splettstößer 2016). Für einen Rückblick auf Cultural Property und den Eigentumsbegriff in den Forschungen der Forschergruppe verweise ich auf den im Abschluss- band der Forschergruppe Kultur als Eigentum. Instrumente, Querschnitte und Fallstudien erschienen Artikel (Hauser-Schäublin und Lankau 2015). Eine Einführung zur interdisziplinären Forschung im dynamischen Feld von Cultural Property geben Bendix und Groth (2015). Ein weiteres Ergebnis der interdisziplinären Zusammenarbeit, in diesem Fall zwischen Ethnologie und Völkerrecht, ist der im Abschlussband erschienene Artikel über den Schutz beweglicher materieller Kulturgüter (Splettstößer und Tasdelen 2015).