Geschlechterklischees Die Frau im Krieg Eine Kolumne von Thomas Fische r Die Zahl der Bellizismus-Expertinnen scheint in den letzten Monaten stark angestiegen zu sein. Stimmt es etwa gar nicht, dass Frauen »von Natur aus« das Friedliche wollen und verkörpern? Themensuche Man (oder sagen wir: ich) könnte heute etwas über den in der vergangenen Woche einmal mehr konstatierten und beklagten »Gender-Pay-Gap« sage n , Rechtliches oder Rechtssoziologisches. Oder über die Ansicht, dass es grob ›ungerecht‹ wäre, wenn man den sogenannten Solidaritäts(?)-Zuschlag auf die Einkommens- und Körperschaftssteuer nach dem Ende des gleichnamigen »Pakts« auch für die »Spitzenverdiener« abschaffen würde (der Reichtum beginnt hier bei 65.000 € zu versteuerndem Einkommen). Oder über die interessante Diskussion zum ›Thema Wehrpflich t gegen Russlan d und überhaupt‹ (mit dem Unterthema ›Ein sinnvolles Leben für die Jugend‹). Andererseits lockt natürlich das Thema ›Kampfflugzeuge heute oder morgen, wenn ja: wozu?‹ Vielleicht erinnert sich der eine oder andere, mit überdurchschnittlichem Langzeitgedächtnis ausgestattet, noch daran, was vor etwa drei bis vier Wochen zwei der Lieblingsmantras der tausendköpfigen Sicherheitsexpertenschar gewesen sind: Erstens, dass auf der Stelle 14 deutsche Leopard-Panzer erforderlich seien, um die russische Offensive im Frühjahr stoppen und zum Gegenangriff übergehen zu können. Zweitens, dass die ahnungsvolle Warnung, als Nächstes würden dann wohl Kampfflugzeuge gefordert, eine Nebelbombe von realitätsfernen Friedensillusionisten sei, da die Frage ernsthaft niemand stelle. Ach, so schnell vergeht die Zeit! Die Tinte unter der Panzerlieferungs-Zustimmungs-Mail war noch nicht trocken, da orderte ein berüchtigter Vizeaußenminister aus Kie w ein paar kostenlose U-Boote (zum Glück nicht die Gorch Foc k !), und sein Präsident begann die Dauerwerbesendung »Kampfflugzeuge her!« Nach rund einer Woche läuft diese Kampagne, so scheint mir, recht gut. Täglich mehrmals wird berichtet, der »Druck nehme zu«, was damit belegt wird, dass jemand anderes dasselbe gesagt habe. Erste deutsche Forscherinnen finden die Idee super (Claudia Major, »Stiftung Wissenschaft und Politik«, im DLF); ein »No« des US-Präsidenten wird als »zurzeit nicht« gedeutet, die Regierung Frankreichs und der Niederland e überlegen schon mal, was sich machen lässt. Themenauswahl Auch das wäre ein schönes Thema für einen Sicherheitsexperten wie mich. Man müsste es natürlich noch anreichern mit ein paar Untermenüs: ›Flugverbotszone‹, ›Ausschalten der russlandgestützten Luftabwehr‹, ›Krim‹, ›weitreichende Raketen‹ usw., aber dann landen wir am Ende wieder bei der Frage nach dem strategischen Ziel; und diese Frage hört die Hälfte der Leser nicht gern oder meint, bei richtiger moralischer Einstellung und möglichst häufiger Verwendung martialischer Vokabeln sei sie überflüssig. Ich sage Ihnen: Das täuscht. Die Frage, ob, wie, wie schnell und von wem ein Luftkrieg im Großraum Charkiw – Belgorod – Rostow gewonnen werden soll, wurde zuletzt fast verdrängt von der Frage nach dem Bruttogehalt der baerbockschen Visagistin und dem Etat ministerieller Leibfotografen (»Bild«, 25.01.: »Die Frisur sitzt« – Da können die Kommissionspräsidentin, der Hofreiter Toni und der Kolumnist nur lachen!). Aber das wäre, Boris Johnson’ s Coiffeurkosten hin oder her, nun wirklich unter dem couture-mäßigen Niveau des transatlantischen Bündnisses. Außerdem soll man über die Putzsucht der Herrscher nicht höhnen, sondern sie als puren Respekt der Regierenden vor ihrem lieben Volk und der Quote ansehen und wertschätzen. Zehn Millionen fürs flächen- und pickeldeckende Minister-Visagieren sind gerade mal 12 Cent pro Bürger und Jahr. Das muss drin sein. Thema: Frau und Krieg Aber da nähern wir uns, fast zwangsläufig, dem Thema: ›Die Frau im Krieg‹. Schwierig, schwierig! Äußerst heikel! Soziologisch eigentlich recht gut erforscht, gleichwohl eine Frage auf der Schwelle zwischen Paradies und Hölle, seit die deutsche Mutter dem geliebten Sohn nicht mehr zum 16. Geburtstag die erste Uniform schenkt (»SA-Mann Brand«, Deutschlan d 1933, Regie: Franz Seitz sen.). Man kennt sie ja, die stets Erleidende, von Kriegsbraut über Kriegerwitwe bis Mutter Courage. »Frieden braucht Frauen«, schrieb die derzeitige Bundesaußenministerin noch vor Kurzem (Instagram, 31.10.2020) und meinte damit vermutlich weder F-16-Pilotinnen noch schusselige Plappermäulchen mit »Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland«. Was ist jetzt eigentlich schlimm, schlimmer und am schlimmsten: Die Bezahlung von Schminkspezialisten oder eine außenministerielle Erklärung im Europarat, Deutschland sei im Krieg gegen Russland? Die Frage ist ernst gemeint, auch wenn sie auf den ersten Blick albern wirkt: Im Moment scheint mir erregungsmäßig nichts unmöglich, und die Bewegungen der öffentlichen Diskussionen erinnern mich gelegentlich ein wenig an die Lehren und praktischen Übungen von Herrn Prof. Timothy Lear y , US A . Auch diese entstammten, entgegen weitverbreiteter Ansicht, nicht den LSD-Biografen der »Byrds« oder von »Vanilla Fudge«, sondern der militärpsychologischen Forschung der US-Army. Befände man sich nicht auf einem Traum-Trip, müsste ein Außenminister, der entgegen ausdrücklicher Festlegung seiner Regierung auf internationaler Bühne verkündet, sein Land befinde sich im Krieg mit einer Großmacht, zu entlassen sein. Hier aber, am Rand eines großen Kriegs, scheint zu gelten, was Lennon/McCartney 1967 sangen : »Picture yourself in a boat on a river With tangerine trees and marmalade skies. Somebody calls you, you answer quite slowly, A girl with kaleidoscope eyes« ( The Beatle s : Lucy in the sky with diamonds, Yellow Submarine 1967) Die Themensuche spitzt sich also zu. Ich sage das Folgende also vielleicht einfach nur, weil mir in dieser Woche nichts einfällt, was Ihnen vielleicht wichtiger sein könnte. Da scheiden Kolumnen über die in iranischen Gefängnissen Gefolterten, in Pakista n Massakrierten, in Äthiopie n Verhungernden aus. Außerdem könnten sie als Verharmlosung von jeweils irgendetwas anderem angesehen werden, und das wollen wir Kriegsbeobachter ja nicht. Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass die Zahl der bellizistischen Frauen hierzulande frappierend stark gestiegen scheint. Ich bin 1953 geboren und in einer Kultur aufgewachsen, in welcher die Behauptung als gesetzt galt, Frauen seien »von Natur«, »aus Erfahrung« oder qua Soziologie bestimmt, geneigt oder geeignet, das Friedliche in der Welt zu artikulieren und zu verkörpern. Für diese These ist, solange ich denken kann, eine beeindruckende Zahl von Argumenten, Beweisen und Theorien aufgeboten worden, von der Primatenforschung über die neolithische Wende bis zur psychoanalytisch inspirierten Ethnologie, stets begleitet vom feminin klagenden Sound des »Sag’ mir, wo die Blumen sind« Die »Soldatenmütter« und »Soldatenfrauen«, die den Verblendeten oder Gezwungenen weinend nachwinken, die Frauen, die vor den Präsidentenpalästen der Welt Rechenschaft fordern für die verlorenen, vermissten, getöteten Partner und Söhne, sind – »Mutter Courage« hin oder her – Standardrollen in der von mir wahrgenommenen Wirklichkeit des (stets fernen) Kriegs gewesen. Und wer könnte sich nicht an die kerzentragenden Urmütter weltweiter Friedensbewegunge n erinnern? Seit einem Jahr muss man darüber neu nachdenken. Der stramm bellizistische Sound der Personen Strack-Zimmermann (ohne Worte), Högl (zehn Jahre Arbeitsministerium, seither Militär-»Expertin«: »Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Riesenfehler«, 2020), Baerbock (»Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland«), Göring-Eckardt (FDJ-Sekretärin a.D.: Es ist »notwendig, dass eine (...) Bewegung gegen den Krieg zustande kommt (...) (Das) bedeutet keineswegs, dass das Prinzip der Gewaltfreiheit zur Disposition steht« [1992]) oder Keul (die Staatssekretärin trat 1999 aus Protest gegen den Kosov o -Einsatz aus der Partei aus, 2006 aber zwecks Kandidatur wieder ein) ist für einen wie mich, der die Biografien über Jahrzehnte betrachten durfte, bemerkenswert. Die Medienlandschaft steht da nicht zurück: Die Anzahl der Militär-, Kriegs-, Strategie- und Haubitzenexpertinnen in den Redaktionen scheint mir in den vergangenen 12 Monaten geradezu explodiert. Vorabend-»Moderatorinnen« und Nachrichtenvorleserinnen sind eingeschwungen in den Klang einer gewendeten neuen Zeit: Kein Panzertyp ist uns fremd, kein Kriegsratschlag zu naiv, keine Suggestivfrage zu schlicht. Andererseits: Man hört seltsam wenig über die Frau als Kämpferin. Ich sah vor zwei Tagen eine Personality-Reportage über eine ukrainische Scharfschützin. Sie zeigte uns ihre Scharfschützinnen-Uniform mit Stretcheinsatz (wegen Schwangerschaft). Das war natürlich toll, aber ja auch wieder nur Schneiderinnen- und Hebammenkram! Im Übrigen begegnet der hiesigen Infanterieexpertin und Verhandlungs-»Skeptizistin« – gern Absolventin von Studiengängen der Politik + Theaterwissenschaft (für alle Fälle) mit Praktika in Brüsse l und Chicag o / Illinoi s , meist Mitglied eines superwichtigen »Thinktanks«, also irgendeines Lobby-Raumschiffs – die ukrainische Frau im Krieg aber wie gewohnt durchweg als Opfer. Reportagen über weinende Frauen, tapfere Großmütter, durchhaltende Bräute sind nach meiner Wahrnehmung etwa um einhundert Prozent häufiger als solche über männlich verzweifelte Feiglinge, schluchzende Verwundete, eingesperrte Deserteure. Wir fragen: warum? Themenausblick Wenn die vorgenannten subjektiven Beobachtungen stimmen würden, ergäben sich eine Reihe von interessanten Folgefragen. Ausgangspunkt: Warum und mit welchem Hintergrund erklären uns Menschen, die noch vor Kurzem schworen, alles Militärische sei Ihnen genetisch, soziologisch und biografisch ganz fremd, wie »wir« die Krim zurückerobern können und warum wir das angeblich müssen? Ich will wahrlich nicht bestreiten, dass der Mensch als Individuum lernfähig ist (bei der Gattung will ich mich da mal nicht festlegen). Aber so schnell, so hoch spezialisiert und so gegen die seit 105 Jahren identitätsbegründende »Natur«? Denn die hierzulande letzte große Mütter- und Liebsten-Begeisterung dürfte 1918 endgültig beendet gewesen sein (’39 – ’45 war propagandistisch anders angelegt). Wenn also die Frau als Mensch, bevor sie Kämpferin wird (Im-Krieg-Ministerin, Redenschwingerin, Panzerschlachtexpertin, Scharfschützin, Drohnensteuerin, Bomberpilotin, Russen-Vernichterin), gar keine Naturschwelle überwinden muss, sondern widerstandslos dem Ruf der Moral und der Lehre des von Clausewitz folgt: Hat das dann nicht vielleicht am Ende Auswirkungen auf die wissenschaftliche Erforschung des Frau- Seins als solche? Muss die Aggressionslehre neu geschrieben, zumindest aber einmal jeweils ein Querschnitts-Referat in AA und BMFSFJ eingerichtet werden? Etwas gefühliger ausgedrückt, liebe Empathiker: Sagt uns oder Ihnen die Darstellung einer hochschwangeren Scharfschützin irgendetwas? Notfalls stellen Sie sich das als Ikone oder in Öl auf Leinwand von Jan Breughel d. Ä. vor, äußerstenfalls als Gauguin. Ich spreche hier selbstverständlich nur von den ewigen, also »westlichen« (von wo aus?) Werten. Die Volksbefreiungsarmee (PLA) des nächsten großen Feindes im Fernen Osten hat das schon immer anders gesehen. Man könnte jetzt natürlich probeweise sagen: alle Frauen an die Front! Unsereins beschränkt sich derweil auf die Trümmermännchen und Bauklötzchen-Rolle und aufs Singen ( Göring-Eckard t : »Frieden finde ich am Sonntagmorgen in der Kirchenbank«) erbaulicher Weltanalysen: Ach, Nicole (1982) !