140 Jahre Diamant-Räder: Vom DDR-Kult zur globalen Marke Ein Diamant-Rad war der Hit zu DDR-Zeiten. Doch wie geht es dem Radproduzenten aus Chemnitz heute? Ein Blick von 1885 bis 2025. de er doch 2022 Europas drittbester Zweiradmechaniker. Als Jugendlicher hat er bereits die Leidenschaft fürs Radfahren ent- deckt. Mit seiner Mutter und einem Diamant-Rad fuhr er von Berlin bis an die Ostsee. „Ich geh’ hier gern auf Arbeit.“ Denn das Essen in der Kan- tine kostet durch die Firmenunter- stützung maximal 3,50 Euro, und die Belegschaft kann sich immer kosten- los ein Diamant- oder Trek-Rad aus- leihen. In der Werkhalle sind viele Sprachen zu hören. „Ohne polnische und tschechische Beschäftigte hätte ich keine Chance, hier eine Ferti- gung zu verrichten“, sagt Schmidt. 40 Prozent der Belegschaft kom- men nicht aus Deutschland. „Aber es gibt auch viele, die seit ihrer Lehre hier sind.“ Solche Leute wie Illig eben. Der Geschäftsführer holt ein Rad mit goldbraunem Rahmen hervor. Es ist das Jubiläumsrad. 140 Jahre feiert Diamant dieses Jahr. Das Rad kostet 1600 Euro. Es ist eine Mischung aus Mountainbike und Rennrad. Nor- male Diamant-Räder starten bei rund 1000 Euro. Besonders das Zing- E-Bike für rund 3000 Euro erfreut sich großer Beliebtheit. Der Preisgrenze ist kein Ende ge- setzt. Schmidt hält ein Rad mit wei- ßem Rahmen in der Hand, rote und gelbe Punkte sind darauf gespren- kelt: das Trek Madone Slr. Eine Ko- pie vom Original, das dieses Jahr auf der Tour de France mehrere Sprints mit Jonathan Milan gewonnen hat. Schmidt hebt es lächelnd hoch, wie eine Feder. Es wiegt rund sieben Ki- logramm. In der Schweiz ist Diamant beliebter als in Deutschland Doch wie beliebt ist Diamant in Deutschland eigentlich? Bleibt es eine Ostmarke? In den neuen Bun- desländern ist der Hersteller bei 70 Prozent der Bevölkerung bekannt. Im Westen liegt die Markenbe- kanntheit bei 25 Prozent. Deshalb verkauft Diamant pro Kopf auch mehr Räder im Osten, aber in absolu- ten Zahlen erzielt der Hersteller deutlich mehr Absatz in den alten Bundesländern und im Ausland. Was besonders ist: In der Schweiz ist Diamant beliebter als in Deutsch- land. Während das Unternehmen die Werksfläche in Hartmannsdorf in diesem Jahr verdoppelt hat, werden in Waterloo schon neue Räder für die Zukunft entwickelt. Der 58-jährige Tilo Illig aber hat immer noch sein DDR-Diamant-Rad. Chemnitz. Für Zweiradmechaniker Tilo Illig hat sich in den vergangenen 43 Jahren vieles geändert. Als er im September 1982 seine Lehre beim Chemnitzer Radproduzenten Dia- mant antrat, hatten die DDR-Räder, die durch Illigs Hand liefen, noch keinen Elektroantrieb. „Damals ha- ben wir damit die Speichen noch zentriert“, so der 58-Jährige und zeigt auf einen daumengroßen Zent- rierschlüssel. Jetzt speicht und fi- xiert Illig innerhalb von wenigen Mi- nuten das Diamant-Rad per Maschi- ne. Doch wo steht die bekannte Ost- marke heute? Ist sie mit der Über- nahme durch die US-Amerikaner verschwunden wie so viele? Oder hat sie die Wendezeit erfolgreich überlebt? „Wir sind genau genom- men keine Ostmarke“, beginnt Ge- schäftsführer Mirco Schmidt. Denn entstanden ist das Werk 1885, als Deutschland noch nicht geteilt war. Die Erfinder Wilhelm und Friedrich Nevoigt hatten sich eigentlich auf Spinnmaschinen spezialisiert, dann aber entwickelten sie das, was heute zu jedem Fahrrad gehört: die Dop- pelrollenkette. Mit dem durchdach- ten Zweirad eroberten sie den deut- schen Markt. Nur im Zweiten Weltkrieg muss- ten sie kurzzeitig für die Rüstungs- industrie produzieren. Dafür setzte Diamant auch Zwangsarbeiter ein. In der DDR rollten dann aber wieder bis zu 180.000 Räder vom Band. Die Beschäftigtenzahl wuchs auf 1500. Diamant galt als angesehen – auch, weil Täve Schur als erster Deutscher die Friedensfahrt auf einem Dia- mant-Rad gewann. Wer ein Diamant hatte, war was wert „Wir haben tausend Räder pro Tag in drei Schichten gebaut“, erinnert sich Illig. Die Marke war beliebt und heißt begehrt. Wer ein Diamant-Rad hatte, war etwas wert. Das weiß auch der jetzi- ge Geschäftsführer Mirco Schmidt, der in Thüringen aufgewachsen ist. Doch nach der Wende waren die Zeiten schwer. Illig erinnert sich an drei Wochen Kurzarbeit und Entlas- sungen. Die Ossis wollten lieber Westräder als die DDR-Kultmarke. Die Nachfrage brach ein. Dia- mant geht an das Schweizer Unter- nehmen Villiger. Das aber konzent- rierte sich mehr auf Zigarren als auf Räder. Von Luisa Zenker „Es war das Beste, was passieren konnte, dass Diamant 2002 an Trek ging“, so Geschäftsführer Schmidt. Der US-amerikanische Konzern Trek produziert Räder, Helme, Tri- kots, Fahrradklingeln, Schutzble- che. Über 6000 Menschen beschäf- tigt er weltweit. Heute herrscht daher reger Be- trieb in der Werkhalle in Hartmanns- dorf bei Chemnitz. Halb fertige Fahrräder fliegen an Greifarmen durch die Luft. Es wird geschraubt, zentriert, montiert. Nur der Rahmen wird nicht mehr selbst geschweißt und lackiert. 2018 gab man die La- ckiererei auf. Zu teuer und zu viel Aufwand, heißt es von der Ge- schäftsführung. Die Konkurrenz in Asien kann es günstiger. Deshalb kommen auch die meisten Teile wie Rahmen, Schaltung oder Lenker von dort und werden hier zusammengebaut. Nur der Elektromotor ist noch von einem deutschen Produzenten: Bosch. 500 Mitarbeiter produzieren heu- te 800 Räder pro Tag. 130 Modelle von Diamant, Electra und Trek rollen über das Band. „Jedes Diamant-Rad kommt aus unserer Fabrik in Hart- mannsdorf.“ Der Fokus liegt auf Trekking-, City- und E-Bikes. Und das Unternehmen kann sich sehen lassen. 2024 gehörte es zum Top-Arbeitgeber. Über 30 Azubis werden dort zu Zweiradmechatroni- kern ausgebildet. Eine ihrer ersten Aufgaben: ein altes DDR-Diamant- Rad zusammenschrauben. Da muss- te auch Tim Kohlbach durch. Der 25- Jährige steht in der Lehrwerkstatt und bildet jetzt selbst als Meister die Azubis aus. Können muss er es, wur- Das Diamant-Fahrradwerk wird 140 Jahre: Geschäftsführer Mirco Schmidt mit dem Jubiläumsrad 140. FOTO: JÜRGEN LÖSEL Bereits 1927 fuhr man Rennen mit Diamant. REPRO: JÜRGEN LÖSEL Jedes Diamant- Rad kommt aus unserer Fabrik in Hartmannsdorf. Mirco Schmidt, Geschäftsführer der Diamant-Fahrradwerke SACHSEN 8 Sächsische Zeitung Mittwoch, 15. Oktober 2025