Negative Einkommensteuer, Lohnsubventionen und Langzeitarbeitslosigkeit F I N A N Z W I S S E N S C H A F T L I C H E S C H R I F T E N Alexander Spermann Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Langzeitarbeitslosigkeit und Langzeitsozialhilfebezug sind Kennzeichen struktureller Arbeitslosigkeit. Die leistungsfeindliche Ausgestaltung des Systems der Arbeitslosenunterstützung und der Sozialhilfe mit – ökonomisch betrachtet – exorbitant hohen „Spitzensteuersätzen“ auf die eigenen Verdienste von Hilfeempfängern trägt zur Verlängerung des Hilfebezugs bei. In dieser Arbeit werden Alternativen zum Status quo vorgestellt und kritisch diskutiert. Ein eigener Reformvorschlag – das Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose – wird entwickelt. Das Einstiegsgeld wird seit 1999 in Modellversuchen in 16 Städten und Kreisen in Baden-Württemberg und Hessen in der Praxis getestet. Alexander Spermann wurde 1962 in München geboren. Das Studium der Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Passau und Freiburg schloß er mit dem Diplom 1988 ab. Nach der Promotion 1992 und der Habilitation 1999 folgte die Ernennung zum Privatdozenten an der Universität Freiburg. 2000 gründete er die Firma Economic R & C, Wissenschaftliche Beratung und Projektevaluation, in München. F I N A N Z W I S S E N S C H A F T L I C H E S C H R I F T E N Alexander Spermann Negative Einkommensteuer, Lohnsubventionen und Langzeitarbeitslosigkeit Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Negative Einkommensteuer, Lohnsubventionen und Langzeitarbeitslosigkeit Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access FINANZWISSENSCHAFTLICHE SCHRIFTEN Herausgegeben von den Professoren Albers (t), Krause-Junk, Littmann, Oberhauser, Pohmer, Schmidt Band 104 ~ PETER LANG Frankfurt am Main• Berlin• Bern• Bruxelles • New York• Oxford• Wien Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Alexander Spermann Negative Einkommensteuer, Lohnsubventionen und Langzei tarbei tslosigkei t • PETER LANG Europäischer Verlag der Wissenschaften Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Open Access: The online version of this publication is published on www.peterlang.com and www.econstor.eu under the interna- tional Creative Commons License CC-BY 4.0. Learn more on how you can use and share this work: http://creativecommons. org/licenses/by/4.0. This book is available Open Access thanks to the kind support of ZBW – Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft. ISBN 978-3-631-75152-7 (eBook) Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Spennann, Alexander: Negative Einkommensteuer, Lohnsubventionen und Langzeitarbeitslosigkeit/ Alexander Spennann. - Frankfurt am Main ; Berlin; Bern; Bruxelles; New York; Oxford ; Wien : Lang,2001 (Finanzwissenschaftliche Schriften; Bd. 104) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Habil.-Schr., 1999 ISBN 3-631-36689-2 :fj Gedruckt auf alterungsbeständigem, säurefreiem Papier. ISSN O 170-8252 ISBN 3-631-36689-2 © Peter Lang GmbH Europäischer Verlag der Wissenschaften Frankfurt am Main 2001 Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Gennany 1 2 3 4 6 7 www.peterlang.de Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access V Vorwort Die vorliegende Arbeit ist eine unveränderte Version meiner im Jahre 1999 von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg akzeptierten Habilitationsschrift. Kernstück dieser Arbeit ist ein sozialpoliti- scher Reformvorschlag: das sogenannte Einstiegsgeld für Langzeitarbeitslose bzw. die zielgruppenorientierte negative Einkommensteuer. Das Einstiegsgeld erhöht - zeitlich befristet - die Leistungsanreize für langzeitarbeitslose Transferempfänger. Da die Wirkungsmechanismen eines solchen Eingriffes in der Realität äußerst komplex sind, wird für die probeweise Implementation auf Bundes- oder Landesebene plädiert, um empirische Erkenntnisse gewinnen zu können, bevor weitergehende Reformen des Transfersystems (wie die negative Einkommensteuer bzw. das Bürgergeld) verwirklicht werden. Der Reformvorschlag Einstiegsgeld wird nach einer ausführlichen Beschrei- bung der Ursachen der Langzeitarbeitslosigkeit und des Status quo für Trans- ferempfänger vor dem Hintergrund einer dogmengeschichtlichen Betrachtung der negativen Einkommensteuer als ein speziell auf die deutsche Institutionen abgestimmtes und deshalb unmittelbar in die sozialpolitische Praxis umsetz- bares Konzept entwickelt. Das Konzept ist keine Reißbrettarbeit, sondern das Ergebnis eines jahrelangen Diskussionsprozesses mit Betroffenen, Sozialhil- fepraktikern, Verbandsvertretern, Journalisten und Wissenschaftlern ver- schiedener Fachrichtungen. Damit wird diese Habilitationsschrift dem selbst gestellten Anspruch einer praxisrelevanten, interdisziplinär und polit-ökono- misch konzipierten Arbeit gerecht. In der Zwischenzeit wird das Einstiegsgeld in 16 Städten und Gemeinden in den Bundesländern Baden-Württemberg und Hessen im Auftrag der jeweiligen Sozialministerien experimentell getestet. Die Modellversuche sind zum Teil als soziale Experimente mit Kontrollgruppen konzipiert, was in den USA und Kanada üblich, in Deutschland jedoch ein Novum im Bereich der Arbeitsmarktforschung ist - sie werden vom Institut für Angewandte Wirt- schaftsforschung (IA W) in Tübingen unter meiner Mitarbeit evaluiert. Mit einer abschließenden Beurteilung ist im Jahre 2003 zu rechnen. Zwischen der ursprünglichen Idee zum Einstiegsgeld (l 994 ), der Realisierung der Idee und der Auswertung der Experimente werden dann fast zehn Jahre liegen. Nun bin ich selbst gespannt, welche Ergebnisse die Experimente in Baden- Württemberg und Hessen bringen werden. Ich bin dem Erstkorrektor - Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Hermann Francke - zu besonderem Dank für seine liberale Haltung verpflichtet. Im Gegensatz zu den meisten Professoren gab er keinen starren methodischen Rahmen für die Konzeption der Arbeit vor, statt dessen unterstützte er den eingeschlagenen Weg, erlaubte ein Höchstmaß an selbständigem Arbeiten - und sein Ego er- trägt es auch, nicht im Literaturverzeichnis zu erscheinen. Auch dem Zweit- korrektor - Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen - sei gedankt für seine intensive Beschäftigung mit der Arbeit. Seine kritischen Anmerkungen haben zur Ver- Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access VI besserung der Arbeit beigetragen. Meinen Kollegen Prof. Dr. Jochen Michaelis, PD Dr. Jürgen Jerger und PD Dr. Michael Pflüger danke ich herz- lich für ihre kritischen Kommentare über viele Jahre hinweg - sie haben durch zahllose warnende Hinweise dazu beigetragen, dass Anspruch und Wirklichkeit dieser Arbeit nicht zu weit auseinanderklaffen. Weiterhin be- danke ich mich bei zahllosen nationalen und internationalen Kritikern, Gut- achtern, Studenten und Praktikern, ohne deren Kommentare diese Arbeit nicht in dieser Differenziertheit vorliegen würde. Die Habilitationsschrift war sehr rechercheintensiv, vor allem wegen des hohen Aktualitätsgrads, der Vielfalt der involvierten Institutionen und des interdisziplinären Charakters. Ohne die jahrelange geduldige Unterstützung durch Dipl.-Vw. Pascal Krimmer und Dr. Christian Pohnke wäre diese Arbeit auch nach sechs Jahren nicht fertig geworden. Vielen Dank! Beide haben sich vom Forschen anstecken lassen: Christian wurde vom Erstkorrektor promo- viert, Pascal promoviert beim Zweitkorrektor. Wer sich für den weiteren Verlauf des Einstiegsgeldes interessiert, ist einge- laden, sich auf der Homepage des IA W (www.iaw.edu) oder auf meiner Homepage (www.economic-rc.com) zu informieren. München/Freiburg/Tübingen, im Februar 2001 Alexander Spermann Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Inhaltsverzeichnis VII Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis ............................................................... XI Kapitel I: Einführung ................................................................... I Kapitel 2: Arbeits-Fehlanreize im Sozialsystem und Langzeitarbeitslosigkeit .............................................................. 7 2.1 Zum Aufbau des Kapitels ....................................................................... 7 2.2 Umfang und Struktur der Langzeitarbeitslosigkeit.. ............................... 7 2.3 Einflußfaktoren auf die Dauer der Arbeitslosigkeit... ........................... 17 2.4 Fehlanreiz Nr. l: Das Problem des Lohnabstandes .............................. 18 2.4.1 Der Verlauf der Lohnabstandsdiskussion ...................................... 18 2.4.2 Die Interpretation des Lohnabstandsgebots ................................... 20 2.5 Fehlanreiz Nr. 2: Die Armutsfalle ........................................................ 25 2.5.1 Definition ...................................................................................... 25 2.5.2 Die Armutsfalle im Sozialhilferecht.. ............................................ 26 2.5.3 Die Armutsfalle im Arbeitsförderungsgesetz ................................ 31 2.6 Zusammenfassung ................................................................................ 36 Kapitel 3: Die Negative Einkommensteuer als beschäftigungs- politischer Lösungsansatz - Ergebnisse einer über fünfzigjährigen Diskussion ....................................................... 39 3.1 Wichtige Negativsteuerkonzeptionen im Rückblick ............................ 39 3.1. l Zur Auswahl der Negativsteuerkonzeptionen ................................ 39 3.l.2 Die Sozialdividende der Lady Rhys-Williams (1942/53) .............. 40 3.1.3 Das Armutslückenkonzept von Friedman (1962/68) ..................... 47 3.1.4 Die graduelle Integration von Tobin (1965/67) ............................. 51 3.2 Die Bürgergeld-Diskussion der neunziger Jahre .................................. 57 3.2.1 Das Bürgergeldkonzept von Mitschke ( 1994/95) .......................... 57 3.2.2 Kritik am Bürgergeld ..................................................................... 62 Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access VIII Inhaltsverzeichnis 3.2.2.1 Allokative Wirkungen ............................................................ 62 3.2.2.2 Fiskalische Wirkungen ........................................................... 72 3.2.2.3 Sonstige Wirkungen ............................................................... 77 3.3 Zusammenfassung ................................................................................ 80 Kapitel 4: Aktuelle Lohnsubventionsmodelle ............................. 85 4.1 Zur Auswahl der Lohnsubventionsmodelle .......................................... 85 4.2 Lohnsubventionen an Arbeitnehmer..................................................... 86 4.2.1 Der „Earned Income Tax Credit" .................................................. 86 4.2.2 Der „Family Credit" ...................................................................... 91 4.2.3 Die „Negative Wage Tax"(NWT) ................................................. 92 4.2.4 Kombi-Einkommensmodelle ......................................................... 96 4.3 Lohnsubventionen an Arbeitgeber ........................................................ 98 4.3.1 Traditionelle Lohnsubventionen .................................................... 98 4.3.2 Stundenlohnsubventionen ............................................................ l 04 4.3.3 Das „Benefit-Transfer Program" ................................................. 107 4.4 Lohnsubventionen und Arbeitspflicht ................................................ 111 4.4.1 „Welfare-to-Work"-Programme .................................................. 11 l 4.4.2 Das „Armutslückenkonzept" von Vaubel.. .................................. 118 4.5 Zusammenfassung .............................................................................. 122 Kapitel 5: Das „Einstiegsgeld" für Langzeitarbeitslose - ein Vorschlag zur Einführung einer zielgruppenorientierten negativen Einkommensteuer in Deutschland ........................... 125 5.1 Zum Aufbau des Kapitels ................................................................... 125 5.2 Bausteine des Einstiegsgeldes ............................................................ 126 5.2.1 Die Zielgruppe ............................................................................. 126 5.2.2 Das Anrechnungsverfahren ......................................................... 128 5.2.3 Die zeitliche Befristung ............................................................... 130 5.2.4 Die Kombination mit Einstiegstarifen ......................................... 130 5.2.5 Administrative Ausgestaltung ..................................................... 13 l 5.2.6 Das Darlehensmodell... ................................................................ 13 l Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Inhaltsverzeichnis IX 5.2.7 Zwei mögliche Varianten ............................................................ 133 5.2.8 Langfristige Lösungen ................................................................. 136 5 .3 Beschäftigungswirkungen des Einstiegsgeldes im Vergleich zum Status quo ............................................................................................... 136 5.3.1 Zur Auswahl des Analyseinstrumentariums ................................ 136 5.3.2 Das Einstiegsgeld im Einkommen-Freizeit-Modell ..................... 137 5.3.3 Das Einstiegsgeld im kompetitiven Arbeitsmarktmodell ............ 138 5.3.4 Das Einstiegsgeld im modifizierten Modell gleichgewichtiger Arbeitslosigkeit ................................................................................ 141 5.4 Diskussion des Einstiegsgeldes .......................................................... 149 5.4.1 Vergleich mit dem Status quo ..................................................... 149 5.4.2 Vergleich mit Lohnsubventionen an Arbeitnehmer. .................... 163 5.4.3 Vergleich mit Lohnsubventionen an Arbeitgeber. ....................... 165 5.4.4 Welfare-to-Work und Einstiegsgeld ............................................ 170 5.5. Zusammenfassung ............................................................................. 172 Kapitel 6: Schlußfolgerungen ................................................... 175 Literaturverzeichnis .................................................................. 181 Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Abbildungsverzeichnis XI Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Offizieller Bestand an Arbeitslosen und Arbeitslosen- quote in Westdeutschland (1980-1996) ........................... 8 Abbildung 2: Offizielle Entwicklung der Langzeitarbeitslosigkeit in Westdeutschland ( 1980-1996) ..................................... 9 Abbildung 3: Betroffenheit versus Dauer der Arbeitslosigkeit in West- deutschland ( 1980-1996) ............................................... 10 Abbildung 4: Anteil der Langzeitarbeitslosen an der Gesamtarbeitslosen nach OECD-Daten (1982-1996) .... 1 l Abbildung 5: Gesamte Sozialhilfeempfängerzahl und Empfänger laufender Hilfe zum Lebensunterhalt in Westdeutschland in l 000 (1980-1996) .......................... 13 Abbildung 6: Reale gesamte Sozialhilfeausgaben und reale Ausgaben der Hilfe zum Lebensunterhalt in Westdeutschland in Mrd. DM (1980-1996) ................................................... 14 Abbildung 7: Reale gesamte Sozialhilfeausgaben und reale gesamte Nettoausgaben in Westdeutschland in Mrd. DM (l 980- 1996) ............................................................................. 15 Abbildung 8: Armutsfalle im Sozialhilferecht - Alleinstehende ohne Kind ...................................................................... 29 Abbildung 9: Armutsfalle im Sozialhilferecht - Verheiratete mit zwei Kindern ................................................................. 30 Abbildung l 0: Armutsfalle im Arbeitsförderungsgesetz - "Durchschnittlicher" Langzeitarbeitsloser ohne Kind ... 34 Abbildung 11: Armutsfalle im Arbeitsförderungsgesetz - "Durchschnittlicher" Langzeitarbeitsloser mit zwei Kindern .......................................................................... 35 Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access XII Abbildungsverzeichnis Abbildung 12: Die Sozialdividende der Lady Rhys-Williams ( 1942/1953) ................................................................... 43 Abbildung 13: Das Armutslückenkonzept von Friedman ( 1962/1968) .49 Abbildung 14: Die graduelle Integration von Tobin (1965/67) (Ehepaar mit 3 Kindern) ................................................ 53 Abbildung 15: Das Bürgergeldmodell von Mitschke (1994/95) mit "Abschmelzungstarif' ................................................... 60 Abbildung 16: Die Armutsfalle im Sozialhilferecht im Einkommen- Freizeit-Modell .............................................................. 63 Abbildung 17: Die allokativen Wirkungen des Bürgergeldkonzepts von Mitschke ( 1994/95) mit "Abschmelzungstarif' im Einkommen-Freizeit-Modell .................................... 64 Abbildung 18: Der "Earned lncome Tax Credit" (EITC) ...................... 87 Abbildung 19: Der "Family Credit" ...................................................... 91 Abbildung 20: Die "Negative Wage Tax" (NWT) ................................ 93 Abbildung 21: Vergleich einer Negative Wage Tax mit einer kostenidentischen Negativen Einkommensteuer im Einkommen-Freizeit-Modell ......................................... 94 Abbildung 22: Das "Kombi-Einkommen" der CDU/CSU-FDP- Koalition vom 19.12.1997 ............................................. 97 Abbildung 23: Der "Targeted Jobs Tax Credit" (TJTC) ..................... 100 Abbildung 24: Die "Einkommenshilfe für niedrige Erwerbseinkommen" von Scharpf(l994) ...................................................... 105 Abbildung 25: Das "Benefit-Transfer Program" (BTP) von Snower (1994) .......................................................................... 109 Abbildung 26: Die nutzenniveau-neutrale Einführung des Armutslückenkonzepts von Vaubel (1996) im Einkommen-Freizeit-Modell ....................................... 120 Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Abbildungsverzeichnis XIII Abbildung 27: Die nettoeinkommens-neutrale Einführung des Armutslückenkonzepts von Vaubel ( 1996) ................. 121 Abbildung 28: Das "Einstiegsgeld" für Langzeitarbeitslose mit Einkommensobergrenze - Verheiratete mit zwei Kindem ........................................................................ 134 Abbildung 29: Das "Einstiegsgeld" für Langzeitarbeitslose als degressive Lohnsubvention - Verheiratete mit zwei Kindem ........................................................................ 135 Abbildung 30: Die Arbeitsangebotswirkung des Einstiegsgeldes im Einkommen-Freizeit-Modell .................................. 137 Abbildung 31: Die Beschäftigungswirkung des Einstiegsgeldes im kompetitiven Arbeitsmarktmodell... ....................... 139 Abbildung 32: Das modifizierte Modell gleichgewichtiger Arbeitslosigkeit (WS-PS-Modell) ............................... 143 Abbildung 33: Die Beschäftigungswirkung des Einstiegsgeldes im modifizierten Modell gleichgewichtiger Arbeitslosigkeit ........................................................... 148 Abbildung 34: Benefit-Transfer Program (BTP) als Arbeitgeber- Lohnsubvention und Einstiegsgeld als Arbeitnehmer- Lohnsubvention im Vergleich ..................................... 166 Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Einfohrung Kapitel 1: Einführung .,Die Verfestigung der Unterbeschäftigung in Form von Langzeitarbeitslosig- keit stellt zweifelsfrei die größte arbeitsmarktpolitische Herausforderung dar" (Franz 1995, S. 21). Die Verbreitung der Informationstechnologien verändert die Arbeitswelt auf dramatische Weise. Vielbeachtete Autoren befürchten das „Ende der Arbeit" (vgl. Rifkin 1995) durch den „Terror der Ökonomie" (vgl. Forrester 1997). Pessimisten vermuten, daß die „Zukunft des Kapitalismus" (vgl. Thurow 1996) ein „Kapitalismus ohne Arbeit" sein könnte (vgl. Beck 1997, 1998). Die Wirkungen des internationalen Standortwettbewerbs werden als „Globali- sierungsfalle" (vgl. Martin/Schumann 1996) beschrieben, die Wohlstand, De- mokratie und Sozialstaat gefährden. Gemeinsamer Nenner der aufgeführten Publikationen ist es, daß Bestseller-Autoren die Ängste der Menschen vor der ,,schöpferischen Zerstörung" (vgl. Schumpeter 1961) des marktwirtschaftli- chen Wettbewerbs mit reißerischen Buchtiteln vermarkten. Für eine sachliche Analyse des Zusammenhangs zwischen Arbeitsmarkt und sozialer Sicherung sind diese Werke wenig hilfreich. Die Ursachenanalyse ist wesentlich komplexer. Unstrittig ist, daß die Nach- frage nach geringqualifizierter Arbeit relativ zur Nachfrage nach qualifizierter Arbeit in den Industrieländern abgenommen hat. Arbeitslosigkeit und Lang- zeitarbeitslosigkeit treffen vor allem Geringqualifizierte. Einigkeit besteht in der wissenschaftlichen Diskussion, daß sowohl technologischer Wandel als auch internationaler Handel die Arbeitsmarktchancen Geringqualifizierter verschlechtern. Strittig ist jedoch die relative Bedeutung von Globalisierung und technologischem Wandel für die Arbeitsmarktchancen geringqualifizier- ter Arbeitnehmer (vgl. Landmann/Pflüger l 996). Die empirische Evidenz für Deutschland ist widersprüchlich. Fitzenberger (1997) kommt in einer empiri- schen Untersuchung mit Daten für Westdeutschland von 1975 bis 1990 zum Ergebnis, daß die Arbeitsmarktentwicklung für niedrigqualifizierte Arbeit- nehmer durch den Außenhandel bestimmt wurde, während Lücke ( 1997) für den Beobachtungszeitraum 1970 bis 1991 diese Hypothese verwirft. Rodrik ( 1997) betont die gestiegene Elastizität der Arbeitsnachfrage durch die inter- nationale Verflechtung: Arbeitnehmer verschiedener Nationalitäten können durch Auslagerungen von Produktionsstätten, Außenhandel und ausländische Direktinvestitionen leichter substituiert werden. Dadurch steigt die Verhand- lungsmacht der inländischen Arbeitgeber im Lohnverhandlungsprozeß, weil sie glaubwürdig mit der kostengünstigeren Produktion im Ausland drohen Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access 2 Einführung können. Die empirische Relevanz der These von der „disziplinierenden Wir- kung eines internationalen Arbeitskräftereservoirs" ist jedoch noch weitge- hend unklar. Wenn zum jetzigen Zeitpunkt die relative Bedeutung von Globalisierung und technologischem Wandel nicht abschließend geklärt werden kann, dann muß man für die Ursachenanalyse vielleicht die Vogelperspektive eines Wirt- schaftshistorikers einnehmen, der in hundert Jahren über das Phänomen nach- denkt, wie Paque (1997) vorschlägt. Der Wirtschaftshistoriker wird zwei lang- fristige Entwicklungen erkennen: Die Industrialisierung vom Anfang des 19. bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts, die von einem Trend zu einer gleicheren Einkommensverteilung begleitet wurde, weil geringqualifizierte Arbeitskräfte dank eines komplementären Kapitalstocks relativ hohe Löhne erzielen konnten. Die darauf folgende schleichende De-Industrialisierung machte diesen Prozeß wieder rückgängig, allerdings auf hohem Einkommens- niveau. Gering qualifizierte Arbeitnehmer erzielen in der Dienstleistungsge- sellschaft relativ niedrigere Reallöhne, weil ihre Arbeitsproduktivität bei ge- ringer Kapitalintensität der Dienstleistungen relativ geringer ist. Weitgehende Einigkeit besteht jedoch in der Literatur, wie unterschiedlich flexible Arbeitsmärkte auf diese exogenen Schocks reagieren. Üblicherweise wird zwischen einem „europäischen Szenario" mit unflexiblen Arbeitsmärk- ten und einem „amerikanischen Szenario" mit flexiblen Arbeitsmärkten unter- schieden. Der auch im europäischen Vergleich relativ unflexible deutsche Arbeitsmarkt (vgl. OECD 1997a,b) läßt geringere Beschäftigung, höhere Ar- beitslosigkeit und höhere Reallöhne im Niedriglohnsektor sowie eine relativ geringere Lohnspreizung zwischen den Löhnen hoch- und geringqualifizierter Arbeitnehmer im Vergleich zu flexibleren Arbeitsmärkten erwarten. Krugman (1994) bringt die unterschiedlichen Wirkungen auf den Punkt: ,,Europe Jobless, America Penniless". Technologischer Wandel und Globalisierung bei relativ unflexiblen Arbeits- märkten haben zur Erodierung des sozialversicherungspflichtigen Normalar- beitsverhältnisses geführt und damit die Grundlage des Sozial- und Wohl- fahrtsstaates europäischer Prägung in Gefahr gebracht. Hinzu kommt, daß die finanziellen Grundlagen des Sozialstaats durch seinen Erfolg in Frage gestellt werden. Daß der Anteil der alten Menschen in Deutschland, die Ansprüche an den Sozialstaat erworben haben, in der Zukunft weiter zunehmen wird, ist nicht nur die Konsequenz einer über fünfzigjährigen Periode ohne Krieg und der geringen Fertilitätsrate seit den siebziger Jahren, sondern auch das Ergeb- nis der gestiegenen Lebenserwartung dank der medizinischen Versorgung durch den Wohlfahrtsstaat. Zusätzliche Ausgaben kamen in den neunziger Jahren als Folgewirkungen der politisch gewollten Wiedervereinigung hinzu. Die von der Politik und den Tarifpartnern gewählte Transformationsstrategie bürdete den sozialen Sicherungssystemen hohe Lasten auf - mit der Konse- quenz steigender Steuer- und Abgabensätze. Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access Einfohrung 3 Der relative Arbeitsnachfragerückgang nach geringqualifizierter Arbeit, die Erodierung des Normalarbeitsverhältnisses, die relativ hohe Steuer- und Ab- gabenbelastung - alle diese Einflußfaktoren tragen dazu bei, daß insbesondere das Nettoeinkommen geringqualifizierter Arbeitnehmer mit Familien in die Nähe des Sozialhilfeniveaus abgesunken ist. Bei Verlust des Arbeitsplatzes werden institutionelle Regelungen, die in Zeiten der Vollbeschäftigung ge- schaffen wurden und lange Zeit unschädlich waren, plötzlich für die Arbeitsangebotsentscheidung relevant. Akut gewordene Fehlanreize des Sozi- alsystems gelten nach Ansicht des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundes- ministerium der Wirtschaft ( 1996a) und der Deutschen Bundesbank ( 1996a) als ein wichtiges Hindernis für die Überwindung von Langzeitarbeitslosigkeit. Vor diesem Hintergrund werden in der vorliegenden Arbeit die Wechselwir- kungen der bestehenden deutschen Grundsicherung in Form der Sozialhilfe sowie der Arbeitslosenunterstützung (Arbeitslosengeld und -hilfe) mit ver- schiedenen Segmenten des Niedriglohnsektors des Arbeitsmarktes betrachtet. Für die problemadäquate Behandlung dieses Problemfeldes ist eine detail- lierte institutionelle Analyse zwingend erforderlich. Nur die Froschperspek- tive erlaubt die Entwicklung eines - und das ist der Anspruch dieser Arbeit - realisierbaren Reformvorschlags, der auf die deutschen Institutionen abge- stimmt ist. Bisherige Reformvorschläge, die Negativsteuerkonzepte und Lohnsubventionen zur Abfederung des strukturellen und technologischen Wandels in einer globalisierten Welt empfehlen, sind zu allgemein gehalten (vgl. Feenstra u. Lewis 1994, Feenstra 1998, Mc Kinsey Global Institute 1997, Sachverständigenrat 1998). Die Betrachtung ausgewählter arbeitsrechtlicher und sozialrechtlicher Normen ist jedoch mit der Gefahr verbunden, daß andere Probleme mindestens glei- cher Dringlichkeit verdrängt werden (vgl. Lampert 1995, S. 512). Doch gibt es insbesondere dann keine Alternative zum wohlüberlegten Herauspicken ei- nes intensiv diskutierten Teilproblems, wenn - wie in diesem Themengebiet - sowohl die Diagnose als auch die Therapie umstritten sind. Dennoch ist sich der Autor bewußt, daß der in dieser Arbeit entwickelte Reformvorschlag in ein Gesamtkonzept für die Reform des Sozialstaates und des Arbeitsmarktes eingebettet werden muß. Im Rahmen dieser Arbeit kann noch nicht einmal ein Gesamtkonzept für die Reform der Sozialhilfe entwickelt werden, doch ist der hier zu entwickelnde Vorschlag einer zielgruppenorientierten negativen Ein- kommensteuer (,,Einstiegsgeld" für Langzeitarbeitslose) als Reform der be- stehenden sozialen Grundsicherung in Form der Sozialhilfe zu verstehen. In der Klassifikation von Hauser ( 1995a, S. 129f) handelt es sich um eine reine Sozialhilfestrategie. Soweit das Einstiegsgeld als Verbesserung der bestehen- den Regelungen im Arbeitsförderungsgesetz konzipiert ist, darf es als effizi- entere Ausgestaltung arbeitsmarktrechtlicher Regelungen interpretiert werden. Lampert (1995, S. 512) befürchtet weiterhin, daß falsche oder suboptimale Therapien gewählt werden, weil die Ursachenanalyse zu eingeengt betrieben Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access 4 Einftihrung wird. Sowohl bei der Darstellung der Problemanalyse als auch von Lösungs- ansätzen dominiert zwar auch in dieser Arbeit die allokative und fiskalische Analyse, doch hat der Autor versucht, der sozialpolitischen Dimension des Problems durch ein interdisziplinäres Literaturstudium Rechnung zu tragen. Wer als Ökonom über eine Ieistungsfreundliche Ausgestaltung des Transfer- systems nachdenkt, könnte unmittelbar zu dem Schluß kommen: Eine Welt ohne soziale Sicherung ist die anzustrebende first best-Welt, weil dann keine preisverzerrenden Steuern erhoben werden müssen. Anders formuliert: Wenn es keine Subvention für Freizeit gibt, dann werden alle Haushalte Arbeit an- bieten. In einer solchen Welt könnte die unsichtbare Hand des Marktes den Wohlstand der Nation maximieren, ohne von der öffentlichen Hand gestört zu werden. In dieser Arbeit wird jedoch nicht der Sozial- oder Wohlfahrtsstaat europäischer Prägung per se in Frage gestellt. Wenn man als Ökonom eine leistungsfreundliche Ausgestaltung des Transfersystems ohne generelle Ab- senkung des Transferniveaus vorschlägt, dann hält man offensichtlich eine staatliche Mindestsicherung auch aus ökonomischen Gründen für notwendig. Die Vorzüge einer staatlichen Grundsicherung gehen in der derzeitigen Dis- kussion über Ineffizienzen und Ungerechtigkeiten im Sozialstaat fast verlo- ren. Dabei ist weitgehend unstrittig, daß die Sicherung des sozialen Friedens und die Eindämmung von Kriminalität zu seinen wichtigsten Errungen- schaften zählt. Ein Blick in Länder mit kaum ausgebauten sozialen Siche- rungssystemen verdeutlicht das hohe Niveau an öffentlicher Sicherheit, das in Deutschland existiert. Einen systematischen Ansatz einer Theorie der Sozialpolitik entwickeln Bert- hold (1991, 1997) und Sinn (1994). Der Sozialstaat in einer Marktwirtschaft soll demnach die allokativen Unzulänglichkeiten auf den Arbeitsmärkten (schlechte Arbeitsbedingungen, mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz, unsi- chere Arbeitsplätze), auf den Kapital- und Versicherungsmärkten (Absiche- rung gegen die materiellen Folgen der Risikotatbestände Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Pflegebedürftigkeit und Alter) vermindern. Der Sozialstaat soll das Gut „Sicherheit" produzieren können. Da die Streuung des Lebens- einkommens eines Individuums nach der Geburt nicht voraussehbar ist, stellt die Existenz eines Wohlfahrtsstaates eine wohlfahrtssteigernde Versicherung dar, die Lebenskarrieren sicherer macht. Wie mit jeder Versicherung ist damit Einkommmensumverteilung von den Glücklichen zu den weniger Glücklichen verbunden. Umverteilung durch Besteuerung und Versicherung sind demnach zwei Seiten einer Medaille. Auf diese Weise erhöht der Wohlfahrtsstaat die Risikobereitschaft der Individuen. Das soziale Netz erlaubt es, daß Unterneh- mer ein höheres Risiko bei Investitionsentscheidungen eingehen können. Ob der Sozialstaat auch distributive Fehlentwicklungen (existierende Armut, soziale Ungerechtigkeiten, ungleich verteilte Handlungsrechte) beseitigen soll, ist dagegen fraglich. Nach Berthold (1997, S. 12f.) hat der Sozialstaat die „Aufgabe, die Güter 'Sicherheit' und 'Gerechtigkeit' bereitzustellen, wenn sie Alexander Spermann - 978-3-631-75152-7 Downloaded from PubFactory at 01/11/2019 07:40:14AM via free access