Anne Menzel Was vom Krieg übrig bleibt Kultur und soziale Praxis Anne Menzel (Dr. phil.) hat an der Freien Universität Berlin promoviert. Als Gastwissenschaftlerin und Freiberuflerin forscht sie zu ausländischen Direkt- investitionen, Entwicklungsstrategien und sozialen Konflikten in Sierra Leone. Anne Menzel Was vom Krieg übrig bleibt Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCom- mercial-NoDerivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de/. 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Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Anne Menzel, Bo Town (Sierra Leone), 2014, © Anne Menzel Satz: Justine Haida, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2779-4 PDF-ISBN 978-3-8394-2779-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de Inhalt Vorwort und Danksagung | 9 Abbildungsverzeichnis | 13 Abkürzungsverzeichnis | 15 1. Einleitung | 17 1.1 Die fragwürdige Treffsicherheit vermeintlich offensichtlicher Vorstellungen | 25 1.2 Ausblick: eine Alternative unter schwierigen Erkenntnisbedingungen | 29 2. Ein konfrontativer Forschungsansatz | 33 2.1 Sierra Leone und die Exkombattanten/Zivilbevölkerung-Trennlinie: ein typischer Fall | 35 2.1.1 Die intuitive Plausibilität eindeutig aufteilender Trennlinien | 38 2.1.2 Die zentrale Annahme radikal unterschiedlicher Erfahrungen | 45 2.1.3 Die geschlechtsspezifische Opfer-Intuition | 51 2.2 Die Feldforschungsfallauswahl: Sierra Leone, Bo Distrikt, Bo Town | 54 2.3 Die Feldforschung | 59 2.3.1 Teilnahme und Teilnahmebedingungen | 62 2.3.2 Interview- und Gesprächspartnerinnen und -partner | 69 2.3.3 Formale Interviews und informelle Gespräche | 71 2.3.4 Sprachliche und formale Darstellung des gesammelten Materials | 72 2.4 Die Struktur des Forschungsprozesses: drei Arbeitsschritte | 74 2.5 Inhaltlicher Auf bau der Arbeit | 79 3. Das Konzept unfriedlicher Beziehungen | 85 3.1 Anknüpfungspunkte beim müllerschen Unfrieden | 85 3.2 Unfrieden aus der Mikroperspektive | 89 3.3 Form und Inhalt unfriedlicher Beziehungen | 91 3.4 Unfriedliche Beziehungen und kriegerische Gewalt | 92 3.5 Unfriedliche Beziehungen und (il-)legitime Gewalt | 93 4. Die provisorische Prozessvorstellung | 95 4.1 Anknüpfungspunkte in der Sozialtheorie Pierre Bourdieus | 97 4.1.1 Habitus und Feld | 99 4.1.2 Drei handlungstheoretische Konsequenzen des Habitus | 103 4.2 Unfriedliche Beziehungen zwischen Exkombattanten und der Zivilbevölkerung | 108 5. Leben und Überleben im rebel war | 113 5.1 Kriegerische Gewalt von 1991 bis 2002: zentrale Ereignisse und Entwicklungen | 115 5.1.1 Die unerwartete Invasion | 126 5.1.2 Das Ende des APC-Regimes und die neue SLA | 131 5.1.3 Kontrollverluste, neue Allianzen und das sobel -Phänomen | 136 5.1.4 Reichtum an Menschen und die Autonomie der Kommandoeinheiten | 138 5.1.5 Die Formierung der Kamajors | 144 5.1.6 Die ›Sprache‹ der Geheimgesellschaften | 151 5.1.7 Wahlen unter Bedingungen kriegerischer Gewalt | 155 5.1.8 Der AFRC-Putsch und die Operation No Living Thing | 157 5.1.9 Der verlorene Fokus: Kamajor/ CDF-Gewalt gegen die Zivilbevölkerung | 167 5.2 Indiskriminierende Gewalt und Identifizierungsprobleme | 173 5.2.1 Verwirrung, Verkleidung, Spionage und Infiltration | 175 5.2.2 Die Gefahr tödlicher Missverständnisse | 178 5.3 Busch-Kreaturen, rebel -Gewalt und rivalisierende Interpretationen | 180 5.3.1 Die rationale Revolution | 185 5.3.2 Die Lumpen-Revolution | 188 5.3.3 Wut, Drogen, Zwang und Schamgefühle | 190 6. Die Wachsamen, die ›Gefährlichen‹ und die Ästhetik der Gefährlichkeit | 195 6.1 Gewalterwartungen und alltägliche Wachsamkeit | 203 6.1.1 ›Gefährliche junge Männer‹ und ehemalige Kämpfer | 205 6.1.2 ›Gefährliche‹ Land-Stadt-Migration | 211 6.1.3 »They are our brothers«: die Nichtdiskriminierungsstrategie | 214 6.1.4 Wahlkampfzeiten und political violence | 218 6.1.5 Political violence im März 2009 | 226 6.1.6 In Kwelu: »We don’t see it we just hear about it.« | 228 6.1.7 Diebe, armed robbers, Schutzmaßnahmen und Wachsamkeit | 231 6.1.8 Kamajors und ›gefährliche junge Männer‹ | 238 6.2 Die ›Gefährlichen‹ | 242 6.2.1 Bike riders | 243 6.2.2 Car wash boys | 255 6.2.3 Die Straßenkinder vom Jah Kingdom | 260 6.2.4 Arbeitslose junge Männer | 264 6.2.5 Ausblick: die 2012er Wahlen | 269 6.3 Die empirische Definition | 272 6.3.1 Unfriedliche Beziehungen zwischen Wachsamen und ›gefährlichen jungen Männern‹ | 273 6.3.2 Politiker | 281 6.3.3 ›Ungefährliche‹ Mädchen und Frauen | 282 6.3.4 Anonymität und Vertrautheit: unfriedensrelevante Unterschiede zwischen Bo Town und Kwelu | 289 6.3.5 Unfriedliche Beziehungen in Bo Town – und darüber hinaus | 291 7. Altes, Neues und Übriggebliebenes | 295 7.1 Unfriedliche Beziehungen im Vergleich | 298 7.1.1 Ehemalige Kämpfer versus ›gefährliche junge Männer‹ | 298 7.1.2 Die Abwesenheit eindeutiger Trennlinien | 300 7.1.3 Praxis-Handeln versus soziale Navigation | 302 7.1.4 Abwesende Kämpferinnen und weibliche Navigation | 307 7.1.5 Intuitive Gewalterwartungen und der Mangel an Anlässen zur Reflektion | 310 7.2 Plausibilitätsprobe Teil eins: Hinweise aus der Vorkriegszeit? | 314 7.2.1 Die Formierung der Auftraggeber | 317 7.2.2 Die Professionalisierung und Institutionalisierung von political violence | 321 7.2.3 Political violence und Widerstand | 323 7.2.4 Ein gemischtes Ergebnis: gewaltbereite soziale Navigation und die Lumpen-Avantgarde | 325 7.3 Plausibilitätsprobe Teil zwei: Hinweise aus der Nachkriegszeit? | 329 7.3.1 Nicht-intendierte Wirkungen von Peacebuilding | 329 7.3.2 Der Wahrheitsansatz | 333 7.3.3 Das unverbreitete Bild der verlorenen Generation | 339 7.3.4 »Forgive and Forget« | 341 7.3.5 Ein eindeutiges Ergebnis | 344 7.4 Die empirisch modifizierte Prozessvorstellung | 345 7.4.1 Was vom Krieg übrig bleibt | 346 7.4.2 Altes und Neues | 355 8. Fazit | 357 8.1 Eine Alternative zur Exkombattanten/Zivilbevölkerung-Trennlinie | 359 8.2 Konfrontativer und explorativer Bedarf | 365 Literatur | 369 Anhang | 395 Auflistung der geführten Interviews und der im Text zitierten informellen Gespräche | 395 Vorwort und Danksagung Dieses Buch ist eine nahezu unveränderte Version meiner Dissertation, die ich im August 2013 am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Uni- versität Berlin eingereicht habe. Eine inhaltliche Einführung erfolgt gleich, in den ersten beiden Kapiteln, in denen ich die der Arbeit insgesamt zugrundeliegende Problemstellung herleite und meinen Forschungsansatz erläutere. Als Vorwort will ich an dieser Stelle, bevor ich zur Danksagung komme, nur kurz einige An- merkungen zu der ›Zeitlichkeit‹ meiner Darstellungen machen, mit der ich schon in den langen Jahren der Arbeit an der Dissertation immer wieder gerungen habe. Diese Anmerkungen betreffen in erster Linie die Ergebnisse meiner Feldfor- schung in Sierra Leone: Das ›Problem‹ bestand und besteht weiterhin darin, dass soziale Realität nun einmal nicht stehenbleibt und empirische Darstellungen des- halb ständig Gefahr laufen, ihre Aktualität einzubüßen. Da sich an dieser ›Proble- matik‹ grundsätzlich nichts ändern lässt und sie ohnehin nie endgültig bewältigt werden kann, habe ich beschlossen, die Arbeit hier insgesamt auf dem Stand zu belassen, auf dem ich sie im August 2013 eingereicht habe. Zugleich möchte ich aber betonen, dass ich die empirisch definierten unfriedlichen Beziehungen (Ka- pitel 6), deren Definition hier auf Feldforschungsmaterial aus dem Jahr 2009 basiert, auch weiterhin im Großen und Ganzen für aktuell halte; zwar hätte ich nach jüngeren Feldforschungsaufenthalten in Sierra Leone (im September und Oktober 2013 und von Januar bis März 2014) sicher diverse Details hinzuzufügen und zu aktualisieren, dabei würden sich jedoch keine drastischen Änderungen an Form und Inhalt der empirisch definierten unfriedlichen Beziehungen ergeben. Diese Einschätzung muss allerdings unter dem Vorbehalt stehen, dass die politi- schen und sozialen Folgen der Ebola-Epidemie, die seit einigen Monaten in Sierra Leone (und in Liberia und Guinea) grassiert, im Moment noch gar nicht abzu- sehen sind. Es ist gut denkbar, dass im Zuge der Epidemie die Art von Krisenzeit entstehen kann, in der bewährte Wahrnehmungs-, Bewertungs- und Handlungs- schemata nachhaltig erschüttert werden und aus der soziale Beziehungen neu oder zumindest neu konfiguriert hervorgehen und übrig bleiben. In den Jahren der Arbeit an meiner Dissertation habe ich nicht nur viel In- spiration und unterschiedliche Formen von Unterstützung erfahren, ich habe Was vom Krieg übrig bleibt: Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone 10 außerdem gerade denjenigen, die mir am nächsten stehen, einiges zugemutet. Mein besonderer Dank gilt deshalb an erster Stelle meinen Eltern, Marieluise und Bernhard Menzel, die mich während meiner 2009er Feldforschung in Sierra Leone jeden Tag besorgt angerufen haben. Ich bin mir bewusst, dass ich ihnen Ängste und schlaflose Nächte bereitet habe, und ich rechne es ihnen umso höher an, dass sie keine Abneigung gegen meine Forschung entwickelt haben. Ganz im Gegenteil: Durch ihre Liebe, ihr Interesse an meiner Arbeit und ihre unerschüt- terliche Zuversicht, dass ich sie ganz bestimmt eines Tages zu Ende bringen wer- de, haben sie mir immer wieder neue Kraft gegeben. Ich kann mich an Wochen erinnern, in denen meine Mutter mir fast täglich mit einer großzügigen Dosis ihres unerschütterlichen Optimismus den Rücken gestärkt hat; und gerade in der ›Abschlussphase‹, die sich letztlich über ein gutes Jahr hinzog und in der ich manche Kapitel wohl zum zehnten, elften und zwölften Mal – und jedes Mal ver- meintlich abschließend – überarbeitet habe, hat mein Vater schier unermüdliche Lesebereitschaft bewiesen. Er hat sich intensiv mit meinen Überarbeitungen aus- einandergesetzt und mir zu jeder neuen Version wertvolles Feedback gegeben. Ich weiß nicht, wie die beiden in ihrem ohnehin randvollen Alltag die Zeit dazu gefunden und die nötige Geduld aufgebracht haben. In jedem Fall bin ich ihnen zutiefst dankbar. Für ihre wissenschaftliche und moralische Unterstützung danke ich mei- nen beiden Betreuern, Sven Chojnacki und Thorsten Bonacker. Sven Chojnacki ist überhaupt für das Zustandekommen dieser Arbeit mitverantwortlich. Er hat mich gleich nach meinem Studium ermutigt, meine Forschungsidee hartnä- ckig zu verfolgen und mich von anfänglichen Rückschlägen bei der Finanzie- rungssuche nicht von ihr abbringen zu lassen. Für das dreijährige Promotions- stipendium, das ich schließlich erhalten habe, danke ich der Studienstiftung des deutschen Volkes . Mein Dank gilt außerdem der FAZIT-Stiftung , die mir eine Ab- schlussfinanzierung und einen Druckkostenzuschuss für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt hat. Für ihre großartige Unterstützung bei der Vorbereitung auf meine Feldfor- schung danke ich Thardy Mansaray, die eine fantastische Krio-Lehrerin, kultu- relle Übersetzerin und Freundin ist. Als ich Thardy auf der Suche nach einer Krio-Lehrerin – Krio ist die gemeinsame Verkehrssprache in Sierra Leone – im Jahr 2008 kennenlernte, war sie erst vor wenigen Wochen aus der sierra-leoni- schen Hauptstadt Freetown nach Berlin gezogen und ihre neugierig-analytische Perspektive auf das Leben in Berlin hat viel dazu beigetragen, mich für kulturelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu sensibilisieren. Ich danke auch Thardys Familie in Sierra Leone, vor allem Sunkari Sesay, Brigadier Sesay, Ramatulai Se- say und ganz besonders Abu Bakarr Koroma. Sie haben mir den Einstieg in meine Feldforschung sehr erleichtert und vor allem Abu Bakarr hat mir in den ersten Tagen und Wochen aus einigen selbstverschuldeten Notlagen herausgeholfen, in die ich geraten war, weil ich mich nicht auskannte und trotzdem alles selbst und alleine machen wollte. Vor wor t und Danksagung 11 Es fehlt mir an angemessenen Worten, um auszudrücken, wie dankbar ich den vielen Menschen in Sierra Leone bin, die mit mir gesprochen und sich be- müht haben, mir Einblicke in ihr Leben zu ermöglichen. Danke, danke, danke! Ganz besonders zu Dank verpflichtet bin ich Adama, Dumbuya, Mohammed und Sheriff, die Leserinnen und Lesern im Text noch häufig begegnen werden. In der ›Originalversion‹ dieser Danksagung vom August 2013 hatte ich noch geschrie- ben, dass ich hoffe, Adama, Dumbuya, Mohammed und Sheriff bald wiederzu- sehen. Einige Tage später bekam ich die Zusage für einen freiberuflichen For- schungsauftrag, der mich im September 2013 endlich wieder nach Sierra Leone führte; daran anschließend erhielt ich noch einen weiteren Auftrag, der mir einen Forschungsaufenthalt von Januar bis März 2014 ermöglichte. Mittlerweile haben wir uns also endlich wiedergesehen. Für ihre Lesearbeit sowie für viele inspirierende Diskussionen, kritische Kom- mentare und für ihre Freundschaft danke ich Johanna Drost und Rike Mieth. Johanna hat meine Dissertation von Beginn an begleitet und über die Jahre in re- gelmäßigen Abständen geduldig meinen abendfüllenden Spontanvorträgen (oder Tiraden) gelauscht, die mir immens dabei geholfen haben, meine Argumente zu entwickeln und auf den Punkt zu bringen. Rike Mieth danke ich außerdem ganz besonders dafür, dass sie diese Arbeit, kurz bevor ich sie zum ersten Mal abgeben wollte (der Prozess zog sich dann noch über ein Dreivierteljahr und viele weitere Überarbeitungen hin), im Ganzen kommentiert und korrekturgelesen hat. Abschließend danke ich Markus Jentsch. Auch ihm habe ich mit meiner fre- netischen Arbeitsweise über die letzten Jahre einiges zugemutet, und er ist den- noch an meiner Seite geblieben. Berlin im August 2014, Anne Menzel Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Sierra Leone im regionalen Kontext | 36 URL: http://d-maps.com/carte.php?num_car=36689&lang=en (01.06.2014). Abbildung 2: Sierra-leonische Distrikte | 42 URL: http://d-maps.com/carte.php?num_car=27764&lang=en (01.06.2014). Abbildung 3: Sierra-leonische Städte | 55 URL: http://d-maps.com/carte.php?num_car=4922&lang=en (01.06.2014). Abbildung 4: Unfriedliche Beziehungen im Vergleich | 297 Abkürzungsverzeichnis AFRC Armed Forces Revolutionary Council APC All People’s Congress BBC British Broadcasting Corporation BPRM Bo Peace and Reconciliation Movement BRU Bike Riders Union BRDA Bike Riders Development Association CAW Children Associated with the War CIA Central Intelligence Agency CDF Civil Defense Forces COIN Counterinsurgency DDR Disarmament, Demobilization and Reintegration DFID Department for International Development ECOMOG Economic Community of West African States Military Observer Group ECOWAS Economic Community of West African States GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (bis 2011 GTZ) GTZ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit HANCI Help A Needy Child International HIV Human Immunodeficiency Virus HRW Human Rights Watch ICG International Crisis Group IDP Internally Displaced Persons ISU Internal Security Unit LURD Liberians United for Reconciliation and Development NATO North Atlantic Treaty Organization NGO Non-Governmental Organization NPFL National Patriotic Front of Liberia NPRC National Provisional Ruling Council OHCHR Office of the High Commissioner for Human Rights OHR Office of the High Representative in Bosnia and Herzegovina Was vom Krieg übrig bleibt: Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone 16 OSD Operational Support Division PTSD Post-Traumatic Stress Disorder PKK Partiya Karkerên Kurdistan PMDC People’s Movement for Democratic Change RUF Revolutionary United Front SLA Sierra Leone Army SLP Sierra Leone Police SLPP Sierra Leone People’s Party SSD Special Security Division TRC Truth and Reconciliation Commission UN United Nations UNAMSIL United Nations Mission in Sierra Leone UNDP United Nations Development Program UNHCR Office of the United Nations High Commissioner for Refugees UNIPSIL United Nations Integrated Peacebuilding Office in Sierra Leone USAID United States Agency for International Development 1. Einleitung Obwohl ich das Datum nicht mehr auf den Tag oder auch nur auf die Woche ge- nau angeben kann, erinnere ich mich noch sehr genau an die Situation, in der ich zum ersten Mal den Gedanken hatte, aus dem später die Ausgangsidee für diese Arbeit entstanden ist. Es war im Frühjahr 2005, als ich im Zuge meines Politik- wissenschaftsstudiums ein viermonatiges Praktikum bei dem Office of the High Representative in Bosnia and Herzegovina (OHR) absolvierte; bei der internationa- len Organisation, deren Aufgabe seit Kriegsende im Jahr 1995 darin bestehen soll, den sogenannten ›Friedensprozess‹ in Bosnien und Herzegowina zu überwachen und voranzutreiben (vgl. Chandler 2000; 2006; Gromes 2010). Mein Praktikums- platz war in der Stadt Mostar in einer Unterabteilung des OHR angesiedelt. Die Mitglieder dieser Abteilung – internationale Angestellte (überwiegend aus Mittel- und Westeuropa), lokale Angestellte (allesamt Mostarerinnen und Mostarer) und ich, die Praktikantin – versammelten sich jeden Morgen zu einer Abteilungsbe- sprechung. Bei diesen Besprechungen handelte es sich meist um recht kurze und nüchterne Angelegenheiten, die vor allem der Verteilung und Koordination von Arbeitsaufgaben dienten. In unregelmäßigen Abständen wurden sie jedoch durch Ansprachen verlängert, in denen der Abteilungsdirektor, ein britischer Ex-Militär, uns an den Kontext und an das übergeordnete Ziel der OHR-Mission in Bosnien und Herzegowina erinnerte. Der Direktor erklärte dann, es gehe um nicht mehr und um nicht weniger als darum, nach einem von ethnischem Hass befeuerten Krieg »the house of peace« zu errichten; und dieses Haus benötige zunächst ein sicheres Fundament, dann mehrere Stockwerke und schließlich ein Dach – wo- bei der Friedensprozess in Bosnien und Herzegowina sich seiner Diagnose zu- folge im fortgeschrittenen Stadium des Stockwerkbaus befand. Die Peacebuild- ing-Maßnahme, an deren Umsetzung das OHR im Frühjahr 2005 in Mostar in erster Linie arbeitete, bestand in der Wiedervereinigung der ethnisch getrennten Stadtverwaltungen. Seit dem Krieg operierten in Mostar zwei Stadtverwaltungen, eine kroatische für den Westteil der Stadt und eine bosniakische (›bosnisch-mus- limische‹) für den Ostteil (vgl. International Crisis Group [ICG]: 2003). Mir wurde die Aufgabe übertragen, zusammen mit einem lokalen Kollegen Sitzpläne für die einzelnen Büros einer zukünftig wiedervereinigten Stadtverwaltung zu erstellen. Was vom Krieg übrig bleibt: Unfriedliche Beziehungen in Sierra Leone 18 In jedem Büroraum sollten kroatische und bosniakische Beamte (und idealerwei- se auch serbische Beamte, so sich in der kleinen serbischen Minderheit in Mos- tar welche finden ließen) gemischt zusammensitzen. Ich machte mich zwar mit Eifer an die Arbeit, konnte zugleich aber das Gefühl nicht abschütteln, dass es sich bei dem Vorhaben, erwachsene Menschen an ihren Arbeitsstätten entgegen ihrer Präferenzen zusammenzusetzen, um ein wenig sinnvolles Unterfangen handelte. Ich vertraute meine Zweifel bald dem lokalen Kollegen an, der mit mir für die Sitzplanerstellung eingeteilt war. Er ignorierte meine zweifelnden Überlegungen zunächst einige Tage lang und wiegelte sie dann entnervt mit dem Hinweis ab, er selbst habe es grundsätzlich aufgegeben, in seiner Arbeit nach Sinn und Zweck zu suchen. Er fügte hinzu, es sei für lokale OHR-Angestellte ohnehin nicht emp- fehlenswert, sich mit kritischen Positionen aktiv einzubringen, wenn sie ihre für die bosnischen Verhältnisse ungemein gut bezahlten OHR-Jobs nicht verlieren wollen. Außer Hörweite internationaler Mitarbeiter gaben mir im Laufe meines Praktikums aber mehrere lokale OHR-Angestellte bereitwillig Auskunft darüber, dass sie das gesamte Wiedervereinigungsvorhaben für absehbar wenig aussichts- reich hielten. Die getrennten Stadtverwaltungen würden nach einer erfolgreichen Wiedervereinigung wohl bald zumindest informell wieder getrennt operieren, da es für eine dauerhafte Zusammenarbeit an gegenseitigem Vertrauen und an poli- tischem Willen fehle – eine Voraussage, die sich bewahrheitet hat (vgl. ICG 2009; 2012). Auch unter den nicht-OHR-angestellten Mostarerinnen und Mostarern, die ich im Laufe meines Praktikumsaufenthalts kennenlernte, war niemand der Auf- fassung, sich tatsächlich in einem fortschreitenden Friedensprozess zu befinden; sondern eher in einem Prozess repetitiver Stagnation, in dem sich an ethnischer Segregation, gegenseitigem Misstrauen, mangelhaften öffentlichen Dienstleistun- gen, Korruption und Arbeitslosigkeit in absehbarer Zeit wohl nichts ändern würde. In den morgendlichen Abteilungsbesprechungen und, zumindest insoweit ich es miterlebt habe, auch in anderen OHR-Beratungen, wurden solche Einschätzungen jedoch nie diskutiert. Der Fokus lag stattdessen stets unbeirrt auf der Umsetzung von Peacebuilding-Maßnahmen, die demnach unbedingt unternommen werden mussten, um den Friedensprozess (dessen Faktizität nie infrage gestellt wurde) vo- ranzutreiben. Während einer »house of peace«-Ansprache in einer morgendlichen Besprechung im April oder Mai 2005 kam ich endlich darauf, was genau mich an dieser Herangehensweise schon rein verfahrenslogisch irritierte: Es ging immer nur um Lösungen und nie um Probleme. Aus diesem Gedanken, der mich nach meinem Praktikum zunächst in einer Seminararbeit und dann in meiner Diplomarbeit zu Peacebuilding-kritischen Überlegungen angeregt hat, ist nach und nach die Idee entstanden, selbst den Ver- such einer nicht von vornherein lösungsfixierten, sondern stattdessen konfronta- tiven ›Problemanalyse‹ zu unternehmen. ›Problemanalyse‹ steht dabei in Anfüh- rungszeichen, weil jede Problemcharakterisierung sofort wieder Handlungsbedarf nahelegt und damit einen auch in akademischen Debatten und Kontexten ohnehin stets präsenten Lösungsdruck bestätigt; dieser impliziert, dass praxisorientierte 1. Einleitung 19 Untersuchungen von Peacebuilding-Maßnahmen für verantwortungsbewusste Forscherinnen und Forscher die alternativlose und drängende Forschungspriorität darstellen müssen (vgl. etwa Paris 2010). In der vorliegenden Arbeit bin ich jedoch gerade darum bemüht, mich diesem Druck so weit wie möglich zu entziehen. Statt mich der Untersuchung von Peacebuilding-Maßnahmen und dabei insbesondere der Erarbeitung von Verbesserungsvorschlägen (›lessons learned‹) zuzuwenden, konfrontiere ich eine der lösungsverwickelten Problemvorstellungen, die sowohl in der Peacebuilding-Praxis als auch in Peacebuilding-fokussierter Forschung we- nigstens implizit stets bereits enthalten sind und deren ›Lösungsverwicklung‹ da- rin besteht, dass sie perfekt zu bereits erdachten und praktizierten Peacebuilding- Maßnahmen passen. So suggerieren diese Vorstellungen, dass im Wesentlichen längst bekannt ist, zwischen wem und worin in Nachkriegskontexten die zentralen Probleme bestehen und wie sie entstanden sind. In meiner konfrontativen ›Prob- lemanalyse‹ stelle ich eine dieser Vorstellungen auf den Prüfstand. Dabei stütze ich mich empirisch auf Interviews, Gespräche und Beobachtungen, die ich von Ja- nuar bis Mai 2009 (sieben Jahre nach Kriegsende) über ethnographische Feldfor- schung im Süden von Sierra Leone und dort vor allem in der Stadt Bo gesammelt habe, sowie auf verfügbare Studien zur Vor-, Kriegs-, und Nachkriegszeit in Sierra Leone. Theoretisch knüpfe ich an die Sozialtheorie Pierre Bourdieus an. Diese knappen Verfahrenshinweise sollen an dieser Stelle vorerst genügen. Ich gehe weiter unten in der Einleitung zwar noch kurz etwas detaillierter auf meine Vorgehensweise im Forschungsprozess ein; zu ausführlichen Darstellungen und Begründungen, die dann unter anderem auch Erläuterungen zur Fall-, Methoden- und Theorieauswahl beinhalten, komme ich aber erst in Kapitel 2. Ich habe die aus- führlichen Darstellungen und Begründungen meiner Vorgehensweise nach meh- reren Unterbringungsversuchen ganz bewusst aus der Einleitung ›ausgelagert‹, da sie aufgrund ihrer zwar notwendigen, aber nichtsdestotrotz sperrigen Länge jeden üblichen Einleitungsrahmen gesprengt hätten und zudem selbst erst noch einiges an inhaltlichem Vorlauf brauchen, um gut nachvollziehbar und verständlich zu werden. An dieser Stelle geht es deshalb zunächst darum, eine Verständnisgrund- lage und einen generellen Bezugsrahmen zu schaffen. Im Folgenden verorte ich meine Ausgangsidee vor dem Hintergrund aktueller Forschungsstände zu Krieg und Peacebuilding, stelle meine zentralen Fragen und Erkenntnisziele vor und gebe einen groben Ausblick auf die Ergebnisse dieser Arbeit. Zwischen dem aktuellen Stand der Forschung zu kriegerischer Gewalt und der Forschung zu den sozialen Kontexten, in denen nach Kriegsende gelebt wird – zu Nachkriegskontexten –, klafft eine deutliche Lücke. Obwohl mittlerweile seit geraumer Zeit (spätestens seit Beginn der 2000er Jahre) zunehmend in den Blick genommen und empirisch untersucht wird, was genau in Kriegen eigentlich in sozialer Realität passiert, 1 werden die so erarbeiteten Einsichten in der überwie- 1 | Noch bis in die 1990er Jahre hinein wurde Kriegsforschung hingegen in erster Linie als Kriegs ursachen forschung betrieben. Überblicke zu der Entwicklung hin zu einem zuneh-