1. KAPITEL – Das Amt, wo die Zeit stirbt 8:42 Uhr. Mein Kind schläft im Kinderwagen, meine Haare sind fettig, der Kaffee ist kalt – aber immerhin weint noch niemand. Noch nicht. Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Der Ort, an dem Hoffnung und Formulare gemeinsam sterben. Ich trete ein. Der Nummernautomat spuckt nichts aus. Leer – wie mein Konto am Monatsende. Die Sachbearbeiterin schaut mich an und sagt mit einem Gesichtsausdruck wie bei einer Beerdigung: „Der Drucker funktioniert leider nicht.“ Und ich denke: Ja, dieser Tag ist schon jetzt im Eimer. Nur dass sie dafür wenigstens bezahlt wird. Neben mir versucht eine Frau mit drei Kindern, irgendwelche Dokumente zusammenzuhalten. Das kleinste liegt schreiend auf dem Boden. Ich bin nur hier wegen einer Bestätigung. Oder wegen zwei Unterschriften. Oder was weiß ich. Ich habe alle Briefe zehnfach ausgedruckt – denn ich habe gelernt: Hier reicht es nicht, etwas dabei zu haben. Man braucht auch das, was niemand verlangt hat. Mein Kind regt sich. Natürlich jetzt. Es zuckt, stöhnt, strampelt. Eine Mitarbeiterin mahnt mich: „Bitte nicht hier stillen, das ist kein Wartebereich für Babys.“ Ich denke: „Das hier ist auch kein Land für Babys.“ Aber ich sage nichts. Noch nicht. Ich bin noch zivilisiert. Noch. Nach 25 Minuten wird jemand aufgerufen. Nicht ich. Die alte Dame hinter mir, die nur kurz was fragen wollte. Drei Fragen, zehn Minuten Antwortzeit. Ich sitze da, mit einem Blatt Papier in der Hand – und einem Leben im Wartemodus. Dann endlich bin ich dran. Die Sachbearbeiterin schaut mich an, als hätte ich ihre Mittagspause unterbrochen. Ich reiche ihr meine Unterlagen. Sie blättert durch, gibt mir eines zurück: „Das ist nicht gestempelt.“ Aber das ist eine Kopie – von ihnen! Antwort: „Gilt trotzdem nicht.“ Ich werde heimgeschickt. Neuer Termin. Neues Formular. Neue Geduld. Aber mein Kind ist wach und quengelig. Meine Tasche schwer. Und mein Nervenkostüm? Komplett erschöpft. Ich trete nach draußen. Mein Kind lächelt mich an. Die Sonne scheint. Die Parkuhr längst abgelaufen. Und ich denke nur eines: „Morgen versuche ich’s wieder.“ 2. KAPITEL – Die E - Card, die sagt, dass du nicht existierst Freitagnachmittag, 15:08 Uhr. Mein Kind hat Fieber. Heißes Gesicht, rote Wangen, und da ist ein komischer Punkt am Bein. Ich bleibe ruhig. Noch. Der Kinderarzt hat offen. Wir gehen hin. Ich melde mich an. Name, Geburtsdatum, Adresse – während ich rede, läuft mir schon der Schweiß runter. Mein Kind schreit wie am Spieß. Die Dame an der Rezeption schaut auf den Bildschirm, dann zu mir: „Ihre Versicherung ist derzeit inaktiv.“ Boom. Ich denke zuerst an einen Tippfehler. Falscher Name? Systemfehler? Aber nein. Laut Datenbank ist mein Kind nicht versichert. Eineinhalb Jahre alt. Ich bin die Mutter. Wir leben in Österreich. Ich bekomme GYES. Ich fülle ständig Formulare aus. Also ja: wir haben Anspruch. Aber laut System? Nur ein Datensatz: „nicht versichert.“ Ich frage den Arzt: „Und was jetzt? Behandeln Sie ihn nicht?“ Antwort: „Nur wenn Sie bar bezahlen.“ Er sagt das, als wäre das völlig normal. Ich weine nicht. Noch nicht. Wir gehen heim. Mein Kind hat immer noch Fieber. Ich rufe bei der ÖGK an. Nach 28 Minuten in der Warteschleife meldet sich jemand: „Es fehlt die Karenz - Bestätigung Ihres Partners und der Arbeitsvertrag.“ Ich sage: „Aber er lebt nicht mehr bei mir. Warum ist das relevant?“ Antwort: „Er ist noch bei Ihnen verknüpft.“ Und das war’s. Ich schreibe eine E - Mail. Keine Antwort. Ich rufe nochmal an. Neue Person. Neue Version. Einer sagt, die E - Card fehlt. Einer sagt, es ist ein Systemfehler. Ein anderer meint, ein Update reicht. Ich will nur eins: Dass mein krankes Kind behandelt wird. Drei Tage, zwei Heulanfälle und eine Beschwerdemail später: Versicherung wieder aktiviert. Der Arzt sagt nun: „Ja, jetzt ist grün.“ Grün. Als wäre ich eine verdammte Ampel. Und mein Kind? Dem geht’s inzwischen besser. Sein kleiner Körper hat den Virus längst besiegt – noch bevor das System überhaupt aufgewacht ist. Denn er lebt nicht von Bürokratie. Sondern von Muttermilch und Liebe. Und davon steht in keiner Datenbank etwas. Kapitel 3 – Kinderbetreuungsgeld, Chaosgeld oder was auch immer Irgendwann... da stimmte etwas nicht. Das Kinderbetreuungsgeld kam nicht. Aber das passiert ja manchmal, oder? Verspätungen, Nachberechnungen, Österreich, Bürokratie – ich hab nicht sofort Panik geschoben. Dann kam die nächste Ohrfeige: Mein Kind bekam Fieber. Wir gingen zum Arzt. Wir meldeten uns an. Und dann – das Gesicht der Assistentin war die offizielle Mitteilung: „Es tut mir leid, aber Ihre Versicherung ist nicht aktiv.“ Wie bitte?! Ich hab nichts verstanden. Kein Brief. Keine E - Mail. Kein „Sehr geehrte Frau, Ihre Versicherung ist beendet.“ Einfach – puff – ich war weg. Ich, die Mutter. Und damit auch das Kind. Gestern noch versichert, heute nur noch ein Fehler im System. Im Kopf ging sofort die Panik los. Und dann kam mir der Gedanke: Was, wenn ich selbst etwas falsch gemacht hab? Ah ja – ich hatte vor kurzem einen Antrag auf Beihilfe eingereicht. Einfach so. In der Hoffnung auf ein bisschen Unterstützung. Und das hat wahrscheinlich alles durcheinandergebracht. Ich hab bei der ÖGK angerufen. Telefonieren. Warten. Weiterverbinden. Schließlich meinte jemand ganz großzügig: „Wahrscheinlich hat der Antrag einen neuen Prozess ausgelöst. Nicht alle Unterlagen waren da, also wurde die Versicherung automatisch deaktiviert.“ Also: Ich frage um Hilfe. Sie nehmen dafür was anderes weg. Gesagt hat aber niemand was. Und mein Kind sitzt inzwischen beim Arzt, der Bildschirm zeigt rot, und ich... hab einfach keine Worte. Dann ging das Chaos los. Neue Dokumente. Neue Einreichungen. Neue Telefonate. Das System bewegte sich erst, als ich weinend darum bat, dass jemand endlich hinsieht. Nach einer einzigen Beschwerde - Mail – plötzlich war alles wieder „aktiv“. Meine e - Card war grün. Das Geld kam zurück. Und das System... schwieg. Als wäre nichts passiert. Aber ich wusste: Es war etwas passiert. Es fehlte nicht nur das Geld. Es fehlte das Vertrauen. Und das kann man nicht einfach neu beantragen. Kapitel 4 – Ein System, das nicht für dich da ist Man denkt, in einem entwickelten Land läuft die Verwaltung wie am Schnürchen. Man reicht ein Formular ein – man bekommt eine Antwort. Fehlt etwas – wird man benachrichtigt. Irgendwas stimmt nicht – ein Brief kommt. Nicht in Chaosterreich. Hier erfährst du erst, dass etwas schiefgelaufen ist, wenn’s schon brennt. Zum Beispiel: beim Arzt, wo du plötzlich keine Versicherung mehr hast. Oder wenn das Kinderbetreuungsgeld ausbleibt und du nicht weißt, warum. Und dann stehst du da. Mit Kind, mit Rechnungen und dem ewigen Gedanken: „Bin ich jetzt dumm... oder ist es wieder mal das System?“ Manchmal kommt Post. Manchmal nicht. Wenn du nachfragst, heißt es: „Das ist bereits in Bearbeitung.“ Was genau? Keine Ahnung. Denn keiner hat gesagt, dass überhaupt etwas fehlt. Dann beginnt das Spiel: Anrufen. Mailen. Noch mal alles schicken. Noch mal warten. Ein neuer Sachbearbeiter, ein neues System, ein neues „Bitte haben Sie Geduld.“ Geduld?! Wenn ich zwei Wochen gebraucht hab, bis jemand überhaupt gemerkt hat, dass ich nicht versichert bin? Wenn mein Kind nicht behandelt wird, weil es im System gar nicht existiert? Und wenn mal ein Fehler passiert – dann bist du schuld. Wenn sie dir was streichen – deine Schuld. Wenn du was nicht gelesen hast, das sie nie geschickt haben – deine Schuld. Wenn das System keine Rückmeldung gibt – auch deine Schuld. Das Beste ist, wenn ein Beamter dann sagt: „Das ist beim anderen Amt, wir haben da keinen Einblick.“ Moment mal. Österreich. Ein Land. Und trotzdem: jedes Amt hat sein eigenes System, seine eigene E - Mail, seinen eigenen Ablauf – und keiner spricht mit dem anderen. Wie ein Familienessen, wo jeder etwas mitbringt, aber keiner weiß, was gegessen wird. Und du stehst mittendrin. Mit einem Baby, einer Deadline, einer eingefrorenen e - Card – und einem Kaffee, den du schon dreimal aufgewärmt hast, aber er ist trotzdem kalt. Kapitel 5 – Der Kaffee, der immer kalt ist Jeden Morgen versuche ich es. Ehrlich. Ich will doch nur einen Kaffee. Warm. In Ruhe. Kein Luxus, kein Spa - Wochenende, keine Massage. Nur. Einen. Warmen. Kaffee. Erster Versuch: Ich mache ihn. Kaum ist er fertig, kippt mein Kind die Schublade aus – genau die mit Scheren, Kochlöffeln und allen verlorenen Schrauben dieser Welt. Ich stelle den Kaffee beiseite. Zu schade zum Verschütten. Ich rette die Wohnung. Kaffee vergessen. Zweiter Versuch: Ich greife wieder zur Tasse. Aber da seh ich einen merkwürdigen Fleck am Hals des Kindes. Panik. Google. Nach zehn Minuten: nur Banane. Kaffee? Schon lauwarm. Dritter Versuch: Ich stelle ihn in die Mikrowelle. Dann fällt mir ein: Die Waschmaschine ist fertig. Wenn ich jetzt nicht aufhänge, hab ich morgen nichts zum Anziehen. Kaffee bleibt stehen. Hat jetzt einen komischen Geruch, aber noch trinkbar. Vierter Versuch: Ich setze mich endlich hin. Ruhe. Das Kind blättert friedlich in einem Buch. Ich greife zur Tasse – und das Telefon klingelt. Ein Amt. Kinderbetreuungsgeld. Versicherung. Fehlendes Formular. Und ich... starre meinen Kaffee an. Wieder nicht getrunken. Fünfter Versuch: Jetzt nur noch aus Prinzip. Ich wärme ihn nochmal auf. Setze mich. Kind klettert auf mich. Telefon klingelt. Postbote klingelt. Und ein Gedanke schießt mir durch den Kopf: Vielleicht ist kalter Kaffee besser. Wenigstens ist er immer gleich. Kapitel 6 – Der Haushalt, der nie fertig ist Es gibt diesen Mythos: Wenn eine Frau „zu Hause mit dem Kind“ ist, dann hat sie den ganzen Tag Zeit. Zeit zum Putzen, Kochen, Sortieren, die Handtücher nach Farben zu falten und dazu noch ein gesundes Mittagessen mit herzförmiger Gurke zu servieren. Die Realität? Wenn ich es schaffe, eine Waschladung zu machen und einen Apfel zu essen, ist das schon ein Sieg. Morgens beginne ich mit dem Abwasch. Das Kind kippt währenddessen wieder die Schublade mit den Kochlöffeln aus, kriecht in den Wäschekorb und versucht, mit Klopapier „Kekse zu backen“. Ich schaffe zwei Teller. Der Rest stirbt im Geschirrkrieg. Nächster Versuch: Wäsche. Ich starte die Maschine. 30 Minuten später klingelt das Telefon – ein Amt, ein Formular, eine „notwendige Aktualisierung“. Ich lege auf, will aufhängen – aber das Kind hat sich mit Banane eingerieben. Überall. Banane auf dem Kopf, am Bauch, am Windelbereich, Gemotze. Die nasse Wäsche bleibt. Muss morgen nochmal gewaschen werden. Und so geht es immer weiter. Ein endloser Kreislauf, bei dem ich ständig fast etwas erledige – aber eben nur fast. Manche Socken räume ich an einem Tag dreimal zurück in den Schrank, bis sie endlich dortbleiben. Ein anderes Mal kippt der Putzeimer um – aber ich wische nicht mehr nach, weil ich denke: Technisch gesehen ist es jetzt sauber. Kochen? Ein eigenes Genre. Gesund, schnell, günstig, kindgerecht? Wähl zwei davon. Der Rest ist Illusion. Die Realität: Reis, irgendein Gemüse, ein Stück Käse – das das Kind sowieso wieder ausspuckt. Und natürlich will es genau dann essen, wenn der Ofen gerade aus ist und ich fast gesessen hätte. Abends, wenn es endlich schläft, schaue ich mich um. Keine Ordnung. Kein Duft. Kaum saubere Wäsche. Aber das Kind ist glücklich. Und ich? Müde. Aber kein Versager. Denn dieser Haushalt hat kein Pinterest - Niveau. Aber er hat Echtheit. Und Überleben. Und vielleicht... reicht das ja. Kapitel 7 – Stille Tage, stille Menschen In Österreich ist alles leiser. Die Häuser. Die Straßen. Die Menschen. Nicht, weil alle gleichgültig wären – sondern weil hier einfach alles anders läuft. Im Wohnhaus klopft niemand an die Wand. Nicht aus Wut. Sondern weil es einfach nicht üblich ist. Man grüßt sich, man lächelt – und geht weiter. Keine Fragen. Keine Neugier. Und oft: keine Gespräche. Und doch frage ich mich manchmal im Stillen: Sehen sie mich eigentlich? Sehen sie, wie mein Alltag aussieht? Wie ich mit Kleinkind lebe, mit Listen im Kopf, mit dem Kind auf dem Arm und dem Einkauf in der anderen Hand? Sehen sie, wie ich versuche, alles irgendwie zu schaffen? Oder sehen sie nur: „Das Kind schreit manchmal.“, „Der Windeleimer steht noch draußen.“ Ich bin nicht allein. Mein Partner ist da, mein Kind, meine Familie steht hinter mir. Aber manchmal – da wünscht man sich keinen Ratschlag, kein Mitleid. Nur einen menschlichen Moment. Ein freundliches Lächeln im Treppenhaus. Eine einzige Frage an der Post: „Alles in Ordnung bei Ihnen?“ Aber weißt du was? Ich erwarte das nicht mehr. Ich will nicht österreichisch oder ungarisch sein. Ich will einfach nur leben. So gut ich kann. Leise. Menschlich. Und überlebend. Kapitel 8 – Die Wohnung, die nicht mir gehört... aber die ich bezahle Diese Wohnung ist nichts Besonderes. Kein Neubau, kein Luxus, kein Smart - Home. Nur ein Ort, an dem wir leben. Wo Babysocken auf der Heizung trocknen, wo ich nachts im Halbschlaf mit dem Kind auf dem Arm umherlaufe und morgens der erste Gedanke ist: Wie lange schaffen wir das noch? Die Miete: 1000 Euro. Nicht verhandelbar. Kein Spielraum. Punkt. Auf dem Mietvertrag stehen zwar beide Namen, aber wenn es um Unterstützung geht, zählt nur eines: das Einkommen. Mein Partner arbeitet in Liechtenstein. Dort ist das Gehalt normal – aber auf dem österreichischen Papier: zu hoch. Jedes Mal, wenn ich um Hilfe bitte, kommt dieselbe Antwort: „Das Einkommen des Partners übersteigt die zulässige Grenze.“ Niemand fragt, dass ich mit dem Kind zuhause bin. Dass mein Kleingewerbe kein Geld bringt, nur Ausgaben. Dass die Lebenshaltungskosten nicht in Liechtenstein, sondern in der Realität stattfinden. Auf dem Papier ist alles einfach. Im echten Leben: ein ständiger Balanceakt. Und wenn ich sage, dass das Kinderbetreuungsgeld nicht reicht, kommt der Vorschlag: „Suchen Sie sich eine günstigere Wohnung.“ Als ob man mit einem Kleinkind und zwei offiziell gemeldeten Personen einfach so irgendwo einziehen könnte. Als ob es in Feldkirch leerstehende Wohnungen wie Sand am Meer gäbe. Ohne Warteliste, ohne Referenzen, ohne 3 - fache Kaution. Und mit viel Glück. Diese Wohnung ist kein Luxus. Aber sie ist unser Zuhause. Wir schlafen nicht auf der Couch – aber wir trinken auch keinen Sekt auf der Terrasse. Wir leben einfach hier.