Krainhagen - Eine etwas andere Dorfgeschichte | 1 Sonderdruck aus: Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) Organist an der Stadtkirche St. Nikolai, Gesanglehrer am Kurfürstlichen Gymnasium und Komponist in Rint eln von Hans Huchzermeyer Herausgegeben vom Schaumburg - Lippischen Heimatverein e. V. Heimatbund der Grafschaft Schaumburg e. V Schaumburgische Mitteilungen 2 /201 9 Georg Schwedt 266 | Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 267 Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) Organist an der Stadtkirche St. Nikolai, Gesanglehrer am Kurfürstlichen Gymnasium und Komponist in Rinteln von Hans Huchzermeyer Adam Valentin Volkmar, der im kurhessischen Rinteln über 30 Jahre als Orga - nist un d Gesanglehrer die Geschichte der Kirchen - und Schulmusik prägte und auch über die Landesgrenzen hinaus hohe Anerkennung erfuhr, gehört heute zu den nahezu unbekannten Musike rpersönlichkeiten. Leben und Werk werden hier eingehend dokumentiert und ins Inter essefeld des Lesers gerückt. 1 Jugend und Ausbildung in Schmalkalden Adam Valentin Volkmar wurde am 6. März 1770 als Sohn des Zinngießers Joseph Volkmar (1722 - 1793) in der thüringischen Stadt Schmalkalden geboren. Die Vorfahren, alle Zinngießer von Beruf , lassen sich dort bis ins 16. Jahrhun- dert zurückverfolgen. Schmalkalde n, das damals an die 5.000 Einwohner hatte und als Exklave und Mittelpunkt der Herrschaft Schmalkalden bereits seit 1583 zu Hessen - Kassel gehörte, war wirtschaftlich seit dem Mittelalte r durch reiche 1 Helga B USCHMANN / Dagmar B USCHMANN , Chronik der Familie Volkm ar, Esslingen 1994 (Schreibmaschinen - Manuskript im Museum Rinteln). Beigefügt ist ein Konvolut von Briefen der Familien Volkmar und Buschmann. Eine anders gewichtete Darstellung des Lebens von Adam Valentin Volckmar wird ohne Beb ilderung abgedruckt im Hess ischen Jahrbuch für Landesge- schichte (Bd. 6 9 , 2019 , S. 141 - 168 ). Vgl. auch Stefan M EYER , Artikel: Volckmar, Adam Valentin, in: Hendrik Weingarten (Hrsg.), Schaumburger Profile: ein historisch - biographisches Handbuch, Teil 2, Bielefeld 2016, S. 268 - 272. Abbildung 1 Adam Valentin Volkmar. Abbildung 2 (linke Seite) St. Nikolai Kirche in Rinteln. Hans Huchzermeyer 268 | Erzvorkommen, Bergbau und eisenverarbeitendes Handwerk g eprägt. Da die Metallpfeifen der Orgel seit Jahrhunderten aus einer Legierung von Zinn und Blei gefertigt wurden, gossen Zinngießereien häufig auch die entsprechenden Zinnplatten für di e Pfeifenherstellung. Die Vermutung, A. V. Volkmar sei auf diese Weise bereits als Kind mit der Orgel und der Musik in Berührung ge- kommen, kann jetzt bestätigt werden. Denn zu dieser Zeit waren in Roßdorf, ein ca. 20 km westlich von Schmalkalden gelegener Marktflecken, die Orgel - und Klavierbauer Johann Valtin Rommel (1721 - 18 00) und sein Sohn Theodor Gab- riel Rommel (1750 - 1820) tätig, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die bedeutendsten Orgelbauer in Thüringen und der Rhön. 2 Mit dem Schließen ihrer W erkstatt verlagerte sich der Orgelbau der Region nach Ohrdruf (36 km ö stlich von Schmalkalden), wo 1792 Franz Georg Ratzmann (1771 - 1846) eine florie- rende Orgelbaufirma begründete. 3 Es dürfte kein Zweifel bestehen, dass Adam Valentin Volkmars Vater wie sein Bruder Joseph (1764 - 1843), der ebenfalls Zinngießer wurde, diese Org elbauwerkstätten mit Zinn belieferten, zumal in der Region kein weiterer Zinngießer ansässig war. Hinzu kam, dass zwischen den Familien Volkmar und Rommel direkte verwandtschaftliche Bezi ehungen be- standen. 4 Somit erhielt Adam Valentin Volkmar in Roßdorf u nd Ohrdruf seine profunden Kenntnisse im Orgel - und Klavierbau. Er wählte jedoch nicht den Beruf des Zinngießers oder Orgelbauers, sondern wählte einen anderen Berufs- weg. Die schulische Er ziehung erfolgte am lutherischen Lyceum in Schmalkal- den und Johann G ottfried Vierling (1750 - 1813), der Organist der Stadtkirche St. Georg, sorgte für eine gediegene musikalische Ausbildung im Orgel - und Kla- vierspiel sowie in der Kompositionslehre. Vierling selbst erhielt seine Schulaus- bildung ebenfalls an diesem Lyceum, se in Musiklehrer war der Schloss - und Stadtorganist Johann Nikolaus Tischer (1707 - 1774). Nach dessen Tode folgte er ihm als hauptamtlicher Stadtorganist nach. Vierling, der sich 1770 über ei n Jahr in Berlin zu Kontrapunkt - Studien bei Johann Philipp Kirnberge r aufhielt, schuf neben theoretischen Werken vor allem Orgelwerke und geistliche Vokalmusik, aber auch Kammermusikwerke. Angaben, Tischer sei Schüler von J. S. Bach gewesen und Vierling Sc hüler von C. Ph. E. Bach, lassen sich nicht belegen. 5 Noch in Sch malkalden entstanden die ersten Kompositionen von Volkmar, von denen bei Breitkopf in Leipzig 1796 eine Sammlung leichter Orgelstücke erschien, die er seinem Lehrer Vierling widmete. 2 Armin H EPP , Das Rosendorf Roßdorf vor der Rhön, Sondheim v. d. Rhön 1991, S. 48f., 62; Hermann F ISCHER / Theodor W OHNHAAS , Lexikon süddeutscher Orgelbauer, Wilhelmshaven 1994, S. 327; Uwe P APE (Hrsg.), Lexikon norddeutscher Orgelbauer. Bd. 1, Thüringen und U m- gebung, Berlin 2009, S. 232f. 3 Nikolaus E. P FARR , Die Orgelbauerfamilie Ratzmann aus Ohrdruf/Thür. und ihr Werk, Stein- heim/Main 1985f. 4 Armin H EPP , Häuser - und Geschlechterbuc h des Marktfleckens Roßdorf v. d. Rhön, Achern 1994, S. 93, 157. 5 Walter B LANKENBURG , Artikel: Vierling, Johann Gottfried, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hrsg. von Friedrich B LUME , Bd. 13, Kassel etc. 1966, Sp. 1609 - 1612; Lilian Pibernik P RUE TT , Artikel: Tischer, Johann Nikolaus, in: Die Musik in Geschichte und Gege nwart, hrsg. von Friedrich B LUME , Bd. 13, Kassel etc. 1966, Sp. 430 - 431. Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 269 Hofka pellmeister in Rotenburg an der Fulda Auf Empfehlung Vierlings trat Volkmar 1799 in die Dienste des Landgrafen Karl Emanuel von Hessen - Rotenburg (1746 - 1812) als Hofkapellmeister und Organist sowie als Musiklehrer der beiden Kinder, vor allem der Tochter K lo- tilde. Die Wintermonate verbrachte de r Hof in Frankfurt, wo Volkmar die Möglichkeiten fand, sich musikalisch weiter fortzubilden. Für die Hofmusik hatte er vielfältig, von der Kirchenmusik bis zum Theatergenre, zu komponie- ren. So schrieb er z. B. eine Pa ntomime für das Fürstliche Liebhaber - Th eater in Wildeck, im Nordosten Hessens im Jagdgebiet des Landgrafen gelegen, und Kirchenmusiken für einzelne Gemeinden dieser Region. Prinzessin Klotilde (1787 - 1869), die 1811 den Fürsten Karl August von Hohenlohe - Bar tenstein heiratete, dedizierte er Drey Sonatinen für das Klavier, mit Begleitung von Violine und Violoncell , gedruckt bei Johann André in Offenbach. Für das Singspiel Der gelöste Zauber , ein Monodrama mit Gesängen des Rotenburger Kanzleidirektors König ( bei Ettinger, Gotha 1800) schrieb er di e Musik. 6 Des Weiteren steuerte er einer Sammlung von lustigen Jagdliedern, die der damalige Rektor in Spangenberg Adam Zeiß (1779 - 1870) vertont und 1804 herausgegeben hatte, eigene Lieder bei. 7 Zwischen Volkmar und Z eiß, der ab 1817 bis zum Tode eine Pf arrstelle in Silixen (ca. 10 km südlich von Rinteln) bekleidete, entstand eine tiefe Freundschaft, die zeitlebens währen sollte. Organist an der Stadtkirche in Hersfeld 1804 wechselte Volkmar als Organist an die Stif ts - und Stadtkirche in Hersfeld, ein Ort, der mit mehr als 3.000 Einwohnern etwas kleiner war als Schmalkalden. Am 3. März 1805 heiratete er hier Anna Maria Philippina Zeiß (1777 - 1843), die Schwester von Adam Zeiß. Den Eheleuten wurden drei Kinder geboren: Sophie (1806), Gustav (1809) und Wilhelm (1812). Allerdings waren die ersten Ehejahre überschattet durch die französische Besetzung Hersfelds im Verlauf des vierten Koalitionskrieges. Als 1807 bei Tumulten mehrere italienische Soldaten verwundet und ein er erschossen wurde, gab Napoleon den Befehl, Hersfeld, das seinem vertriebenen Fürsten die Treue hielt, zu plündern und niederzubrennen. Vor allem dem badischen Major Ling von Lingenfeld gelang es, d iesen Befehl abzumildern, so dass nur der Anführer der R ebellion erschossen und einige wenige Häuser niedergerissen wurden. 8 In dieser schwierigen Zeit schrieb Volkmar seine Kantate Vertrau auf Gott 6 K ÖNIG , Der gelöste Zauber. Ein Monodrama mit Gesängen. Ettinger, Gotha 1800, zit. in: Johann Samuel E RSCH , Allgemeines Repertorium der Literatur: drittes Quinquennium für die Jahre 1796 bis 1800, 2. Band, XIV. 3055, Weimar 1807. 7 Adam Z EISS , Liedersammlung mi t Musik, bey Carl Wilhelm Ettinger, Gotha 1804. 8 J. S. E RSCH / J. G. G RUBER (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Zweite Section H - N, Siebenter Theil (hrsg. von G. Hassel und A. G. Hoffmann): Artikel Hersfeld, Leipzig 1830, S. 45 - 54, hier S. 53. Hans Huchzermeyer 270 | Aus einem Schreiben des Magistrats von Hersfeld an da s Kurfürstliche Consistorium in Kassel geht die besondere Wertschätzung hervor, die Volk- mar an seinem Wirkungsort entgegengebracht wurde. Wir können nicht umhin, Curfürstliches Consistorium untertänig zu be- richten, daß der Organist Volkmar, seitdem er hi er angestellt ist, sich sowohl durch seine Amtstreue, als durch seinen moralischen Charakter die allgemei- ne Liebe und Achtung sowohl seiner Vorgesetzten, als aller Einwohner dieser Stadt erworben hat. Er ist in seinem Fache ein vollendeter Künstler, der du rch sein schönes Spiel auf unserer schönen Orgel die reli giöse Erbauung in einem hohen Grade erhöht und belebt und hat sich auch dadurch um die Stadt ver- dient gemacht, daß er, weil er selbst des Orgelbauens kundig ist, die Orgel, deren Reparatur vor mehrer en Jahren die Stadt über 1000 Thaler kostete, in gutem St and erhält, sodaß die Stadt bis dahin noch keinen Heller Reparatur- kosten hat bezahlen müssen 9 Diese Mitteilung ist zudem Beleg, dass Volkmar im Orgelbau sehr sach- verständig war. Dass er zugleich aber auch ein versierter Klavierbauer war, geht aus Briefen hervor, die Heinrich Joseph Wassermann (1791 - 1838) am 27. Juli 1808 und am 12. September 1808 a n seinen Lehrer Michael Henkel in Fulda schrieb: 10 Vorgestern spazierte ich nach Hersfeld, wo ich Herrn Volkmar besuchte. Er war äußerst artig und besonders, da ich mich einen Schüler von Ihnen nannte. Nachdem wir einige Stunden mitsammen von verschiedene n nützlichen Gegenständen verplaudert hatten, zeigte er mir ein von ihm selbst verfertigtes, wirklich sehr gutes Forte - Piano. Er ist zugleich auch Orgelbauer. Un d später: [...] dabei hörte ich von meinem Freunde Volkmar, daß dieser seyn Forte - Piano mit Vergn ügen zu 8 Karolin verkaufen wird 11 Nach 13jähriger Tätigkeit in Hersfeld wechselte Volkmar 1817 in das noch kleinere schaumburgische Rinteln, um hier eine Lehre rstelle am neu eröffne- ten Kurfürstlichen Gymnasium und das Organistenamt an der Stadtpfarrkirc he St. Nicolai zu übernehmen. 9 Zit. in: B USCHMANN (wie Anm. 1), S. 5. 10 Axel B EER , Heinrich Joseph Wassermann (1791 – 1838): Lebensweg und Schaffen. Ein Blick in das Musikleben des frühen 19. Jahrhunderts . Hamburg 1991. Heinrich Joseph Wassermann, Gei- ger, Dirigent und Komponist, erhielt seinen ersten geregelten Unterricht ab 1802 bei M. Henkel in Fulda. Von 1807 - 1810 war er Geiger im Kurorchester in Bocklet sowie Lehrer und Geiger an den gr äflichen Höfen von Schlitz (von hier schrieb er seine Berichte über Volkmar) und Phi- lippsthal. Nach einem einjährigen Violinstudium bei L. Spohr bekleidete er unterschiedliche Stellungen in Meiningen, Zürich, Donaueschingen und Genf, um dann 1829 nach Base l als Di- rigent des Liebhaberkonzerts und als Musiklehrer zu gehen. - Der unerschlossene Briefwechsel zwischen Henkel und Wassermann befindet sich in der Hessischen Landesbibliothek Fulda (HLB Fulda, Nachlass Henkel, Hs. 48 B 78). 11 Der Karolin war eine süd deutsche Goldmünze von drei Goldgulden (11 Gulden). Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 271 Gründungsgeschichte des Kurfürstlichen Gymnasiums in Rinteln Rinteln, das seit 164 7 zur Grafschaft Hessen - Kassel gehörte, war Anf ang des 19. Jahrhunderts - der Landgraf von Hessen - Kassel war 1803 zum Kurfürsten erhoben worden - ein prosperierendes Städtchen mit rund 3.000 Einwohnern. Das Bild prägten die Behörden, die Garnison und insbes ondere die Universität. Hinzu traten ein blühe ndes Handwerk und ein lebhafter Handel, den die Lage an der Weser besonders begünstigte. Diese Idylle wurde gestört, als das Kurfür - stentum Hessen in den napoleonischen Kriegen erobert und im Frieden von Tilsit dem neu gegründeten Königreich Westphalen mit Kassel als Hauptstadt eingegliedert wurde. Napoleon ernannte seinen jüngsten Bruder Jérome zum König dieses Satellitenstaats des Französischen Kaiserreichs. Rinteln selbst wurde 1806 von den Franzosen kampflos erobert. Es bedeutete einen stattlichen wirts chaftlichen Schaden, als Jérome die Festungswerke schleifen und die Gar- nison verkleinern ließ. Noch bedeutender war jedoch der Aderlass für Rinteln, als er 1810 die Schließung der Universität verfügte. Vergebli ch hatten die Rin- telner Ratsherrn gebeten, weg en der hohen finanziellen Verluste für die Stadt von einer Schließung der Universität abzusehen. 12 Diese bestand seit 1610, als Graf Ernst zu Holstein - Schaumburg in Stadthagen das akademische Gymnasium illustre gründete. 13 Letztlich mussten von den im Königr eich Westphalen gele- genen Universitäten Marburg, Göttingen, Helmstedt, Halle und Rinteln im Rahmen der Verwaltungsreform von 1809 die Universitäten in Helmstedt und Rinteln ihre Lehrtätigkeit 1810 einstellen. 14 Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft 1 813 kehrte Kurfürst Wil- helm I. nach Kassel zurück und stellte den alten Rechtszustand von 1806 und somit das Kurfürstentum Hessen mit der Grafschaft Schaumburg 15 und der Herrschaft Schmalkalden als Exklaven wieder her. Die erneut gestellten Gesu- che der Mitg lieder der Ständeversammlung, die Universität Rinteln wieder zu begründen, wurden vom Landesherrn abgelehnt, da in dem jetzt kleineren Staatsgebilde Marburg als einzige Universität genüge. Der Kurfürst grif f jedoch einen bereits 1810 gemachten Vorschlag vo m „Municipal - Rath“ der Stadt Rin- teln auf, statt der Universität eine „Hohe Schule“ zu gründen, um die entstehen- den finanziellen Verluste zu kompensieren. Er beauftragte 1814 das Consistori- um in Rinteln, ent sprechende Gründungspläne zu entwickeln. Die Ausfü hrung oblag einem federführenden „Schul - Rath“. Dieser setzte sich aus zwei Theologen und zwei Juristen zusammen: Regierungs- rat Dr. Wiederhold 16 , Bürgermeister und Obergerichtsrat Casselmann, Super in - 12 Willy H ÄNSEL , Das Rintelner Gymnasium im Spiegel der Zeit 1817 - 1967, Rinteln 1967, S. 11 - 19. 13 Rudolf F EIGE , Das Akademische Gymnasium Stadthagen und die Frühzeit der Universität Rin- teln, Hameln 1956, S. 12 - 32. 14 Edward S CHRÖDER , Die Universität Rinteln, Rinteln 1927, S. 4 - 16; Gerhard S CHORMANN , Academia Ernestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser (1610/21 - 1810), Marburg 1982, S. 296 - 302. 15 Rinteln war Sitz einer Regierung, die 1848 zu einer Regierungsdepu tation herabgestuft wurde. 16 Ehemals Jura - Professor in Rinteln, ab 1816 Präsident der Regierung. Hans Huchzermeyer 272 | tendent und Consistorialrat Schmeißer als lutherischer s owie Professor Jaeger 17 als reformierter Geistlicher. Nach sorgfältiger Suche, auch über die Grenzen Kur - hessens hinaus, entschied man sich Anfa ng 1817 für Gottlieb Wiß (1784 - 1854) als Direktor und bestimmte anschließend in Kooperation mit ihm die weiteren Lehrer. Die beiden bisherigen kleinen Lateinschulen Rintelns, eine lutherische und eine reformierte Rektor - und Konrektor - Schule, verbunden mit einer Kantorschule als Elementarschule, wurden geschlossen und drei der Lehrer (Boclo, Weibezahn, Kilian) vom ne uen Gymnasium übernommen. Die feierliche Einweihung des aka - demischen Kurfürstlichen Gymnasiums, das im bisherigen Universitätsgebäude untergeb racht wurde, fand am 1. November 1817 statt. 18 Gottlieb Wiß , Sohn eines Pfarrers in Brotterode (Schmalkalden), st udierte in Leipzig von 1802 bis 1805 Theologie und Philologie. Hier wurde er zum Dr. phil. und 1822 zum Dr. theol. promoviert. 19 Ab 1805 war er Rektor der Lateinschule in Schmalkalden, bis er 1817 als Gymnasialdirektor nach Rinteln berufen wurde. Neubegr ündung der musikalischen Bildung Im Rahmen der modernen Schulentwicklung um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert, die sich zu nächst auf das höhere Schulwesen konzentrierte, schälte sich aus der Vielfalt der existierenden gelehrten Schulen das humanistisc he Gymnasium als die dominierende Schulgattung heraus. Hier wurde besonderer Wert auf die Vermittlung einer Allgemeinbildung un d der alten Sprachen gelegt. Diese Umwandlung der Lateinschulen in Gymnasien hatte aber zur Folge, dass dem Musikunterricht und s omit auch den im Gottesdienst mitgestaltenden Schulchören immer weniger Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Das Amt des Schulkantor s erfuhr sozial wie künstlerisch eine Abwertung und wurde vieler- orts nicht mehr besetzt, die Schulchöre verschwanden allmählich. Die Folgen waren zum einen ein Niedergang der evangelischen Kirchenmusik und zum anderen ein Nischendasein des Faches Gesang 20 an den Schulen. In den Lehr- plänen fand dieses Fach so gut wie keine Berücksichtigung. Im Rahmen der institutionellen Erneuerung un d Neubegründung der musikalischen Bildung, die Anfang des 19. Jahrhunderts beispielgebend von Preußen aus einsetzte, widmete m an sich zunächst der darniederliegenden Kirchen - und Schulmusik. Um den Mangel an qualifizierten Musiklehrern zu beheben, gehörte für den Elementar- schullehrer 21 ab jetzt die musikalische Ausbildung an den neu entstehenden, konfessionell gebundenen Seminare n zum Pflichtprogramm. In Kurhessen be- 17 Ehemals Professor für Griechisch in Rinteln. 18 H ÄNSEL (wie Anm. 12), S. 19 - 27. 19 L OEBER , Wiß , Kaspar Christoph Gottlieb, in : Allgemeine Deutsche Biographie 43 (1898), 546 - 547. H ÄNSEL (wie Anm. 12), S. 24. 20 Die Bezeichnungen „Gesangunterricht“ bzw. „Gesanglehrer“ waren bis zur Weimarer Republik üblich und wurden erst im Zusammenhang mit der Kest enberg - Reform durch „Musikunter richt“ bzw. „Musiklehrer“ ersetzt. 21 Der Terminus „Elementarschule“ wurde nach 1850 allmählich durch „Volksschule“ ersetzt. Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 273 standen derartige evangelische Lehrerbildungsanstalten seit 1781 in Kassel und seit 1805 in M arburg. Dagegen versäumte man es, ein vergleichbares Ausbil- dungsprofil für die gymnasialen Musiklehrer an den bestehenden Uni versitäten im gesamten deutschsprachigen Raum zu schaffen. Um diesem Missstand entgegen- zuwirken, wurden in Preußen, das hier die Fü hrung übernahm, die Akademischen Kirchenmusikinstitute in Breslau (1811), Berlin (1822) und Königsberg (1824) begründet. Von diesen entwickelte sich allerdings nur das Berliner Institut zur führenden musikpädagogischen Einrichtung, die international Breite nwirksamkeit und Modellcharakter erzielte. Hier erfolgte nun für das ganze 19. Jahrhundert die Ausbildung von Musiklehrern an Gymnasien und Lehrerseminaren sowie von Kirchenmusikern in Preußen. Allerdings ließen sich die Probleme der musikali- schen Ausbildu ng an den Gymnasien durch das Fehlen zeitgemäßer Ausbildungs- konzepte und einer zu kurzen Ausbildungsdauer häufig nur unzureic hend lösen. Mit der Einstellung des Gesanglehrers Volkmar durch Direktor Wiß und den Schulrat wurde die Musik in den Fächerkanon d es Gymnasiums aufgenommen und damit der schulische Musikunterricht, der seit längerem auch in Rinteln ruhte, wie- derbelebt. Damit wurden die Ideen der Humanisierung durch den Gesangunterricht, wie sie Wi lhelm v. Humboldt, Carl Friedrich Zelter, Johann H. Pe stalozzi, Johann G. Herder u.a. formuliert hatten, aufgegriffen. Sie bewiesen mit diesem Schritt große Voraussicht, setzten sie sich doch mit dieser Maßnahme in Kurhessen an die Spitze der schulpolitisc hen Erneuerung, die auch die Musik als Lehrgegenstand in den Blickpunkt nahm. In der Haupt - und Residenzstadt Kassel (mit fast 30.000 Einwoh- nern) fand dagegen die Musik in den Lehrplänen des renommierten Lyceum Fride- ricianum 22 in den Jahren 1814, 1823 und 1829 keine Berücksichtigung. 23 Und selbst noch 1832 moni erte eine von der kurhessischen Regierung im Dezember 1831 in- stallierte Obere Unterrichtskommission im Revisionsbericht über das Kasseler Ly- zeum das Fehlen eines Lehrplanes und des Gesangs als Unterri chtsfach. Somit wur- den erst nach 1830 in Kurhessen im Zu sammenhang mit der Reform des Gymnasi- alwesens auch Pläne zur Reaktivierung des schulischen Musikunterrichts erörtert, während in den preußischen Gymnasien der Gesangunterricht bereits 1813 zum obligat en Fach wurde und die „Unterrichtsverfassung der Gymnasi en und Stadt- schulen“ von 1816 den ersten Lehrplan enthielt. 24 Die Obere Unterrichtskommission Kurhessens 25 konzipierte erst im September 1832 eine Gymnasialordnung, die auch die Musik wieder in den Fä cherkanon aufnahm: 26 22 Ab 1835 firmierte das Lyzeum als staatliche Anstalt unter der Aufsicht des Kurfürstlichen In- nenm inisteriums mit neuem Namen als Kurfürstliches Gymnasium. 23 Wilfried H ANSMANN , Albrecht Brede und Johann Wiegand: Erfolg und Scheitern zweier Musik- lehrerkarrieren. Ein Beitrag zur Musikpflege an den höheren Schulen Kassels im 19. Jahrhundert, Kassel 1994, S. 8f. 24 Eckard N OLTE (Hrsg. ), Lehrpläne und Richtlinien für den schulischen Musikunterricht in Deutschland vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Eine Dokumentation, Mainz 1975, S. 17, 79f. 25 Die Mitglieder waren: Konsistorialrat Wiß aus Rinteln, Schulrat Sundheim, S eminarinspektor Vogt aus Kassel sowie die Landtagsabgeordneten und Mitglieder des Unterrichtsausschusses Vilmar, Müller und Jordan. Staatsarchiv Marburg 16/VI, Kl. 16, 2. Zit. in: H ANSMANN (wie Anm. 23), S. 17. 26 Staatsarchiv Marburg 16/VI, Kl. 16, Nr. 6 . Zit. in: H ANSMANN (wie Anm. 23), S. 17f. Hans Huchzermeyer 274 | Direktor Wiß wirkte als Mitglied de r Oberen Unterrichtskommission auf- grund seiner 15 - jährigen Erfahrung in Rinteln federführend bei der Konzeption der Gymnasialordnung Kurhessens und der inhaltlichen Ausgestaltung des Un- terrichts mi t. Durch die enge Zusammenarbeit mit Volkmar besaß er ebenf alls eine besondere Expertise im Bereich der Schulmusik. In Rinteln selbst entwickelte sich das akademische Gymnasium unter seiner Leitung zu einer der führenden wissenschaftlichen Anstalten in Kurhessen, die Schüler aus dem gesamten Hessen, aber auch a us Hannover, Hamburg, Bremen und Lübeck besuchten. 27 Der große Ruf, der Wiß vorausging, führte dazu, dass er ab 1820 wiederholt Berufungen an Gymnasien in Minden, Soest und Lübeck sowie zum Oberpfa rrer in Schmalkalden erhielt. Durch Gehaltserhöhungen und di e Auflösung des Schulrats (1833), was jetzt für Wiß die alleinige Leitung der Schule bedeutete, wusste das kurhessische Ministerium seinen Weggang aus Rinteln zu verhindern. Des Weiteren wurde Wiß 1832 Mitglied der Ständever- sammlung in Kassel und 1836 Vors itzender der Schulkommission für Gymnasi- alangelegenheiten sowie Commissarius für die praktische Prüfung der Lehr- amtskandidaten. Letztlich verließ er 1839 Rinteln, um als Oberpfarrer und Oberkonsis torialrat bis zu seinem Tode 1854 in Fulda tätig zu werden. 28 Gymnasialer Gesanglehrer und Organist an der Stadtkirche Mit der Etablierung eines humanistischen Gymnasiums auf der Basis von zwei Lateinschulen betrat man in Rinteln 1817 Neuland. Auch wenn bereits einige Gymnasien in Kurhessen existierten (Kassel, Marburg, Hanau, Fulda, Hersfeld), so gab es für diese Schulart noch keine verbindlichen Bildungspläne. Direktor Wiß und der vierköpfige Schulrat mussten somit den Entwicklungsprozess selbst in die Hand nehmen. Sie stellten das Lehrerkollegium zusammen, be- stimmten den Fächerkanon, wobei Latein und Griechisch sowie Rel igion im Zentrum des Unterrichts standen, aber auch die neuen Sprachen Berücksichti- gung fanden, und legten die Lehrpläne und Lernziele fest. Bereits 1819 veröf- fentlichte Wiß die Gründungsgeschi chte des neuen Gymnasiums und die Bio- graphien der neun Lehrer. 29 27 So machten in den ersten Jahrzehnten am Kurfürstlichen Gymnasium Rinteln eine ganze Reihe im Nachhinein bekannter Persönlichkeiten ihre Reifeprüfung: so der Politiker Carl Wilhelm Wip- permann (1819), der Philol oge Franz von Ditfurth (1821), Gustav und Wilhe lm Volkmar (1828), der Literat Franz von Dingelstedt (1831), der Politiker Friedrich Oetker (1831), der Altphilologe Rudolf Westphal (1845) sowie der Maler Christian Kröner (1852) neben vielen anderen. 28 L OE BER (wie Anm. 19), S. 546 - 547; H ÄNSEL (wie Anm. 12), S. 24. 29 Dir. D. W Iß , Ueber das Churfürstliche Gymnasium zu Rinteln, in: Kritische Bibliothek für das Schul - und Unterrichtswesen, Erster Jahrgang. Erster und Zweiter Band oder Erster bis Zwölfter Heft, bei J. D. Gerstenberg, Hildesheim 1819, S. 213 - 220. Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 275 Das erste Lehrerkollegium 1817/18 1. Prof. Dr. phil. (1822 Dr. theol.) Gottlieb Wiß, Erster Lehrer, geb. 1784 in Brotterode 2. Dr. phil. Ludwig Boclo, Erster Rektor, geb. 1783 in Ermsc hwerd 3. Dietrich Heinrich Weibezahn, Zweiter Rektor, geb. 1772 in Fischbeck 4. Dr. phil. Eduard Adolf Jacobi, Erster Konrektor, geb. 1796 in Jena 5. Friedrich Wilhelm Kilian, Zweiter Konrektor, geb. 1789 in Rodenberg 6. Dr. phil. Kaspar Garthe, Mathem atik und Physik, geb. 1796 in Frankenberg 7. Dr. med. Georg H. Ludwig von Manikowsky, Neuere Sprachen, geb. 1768 in Göttingen 8. Adam Valentin Volkmar, Singen, Rechnen (Organist), geb. 1770 in Schmalkalden 9. Georg Heinrich Stork, Zeichnen, Schönsch reiben, geb. 1793 in Kirn/Nahe. 30 Die Schule begann zunächst mit 54 Schülern, die von neun Lehrern, darunter Volkmar und Stork als „unstudierte“ Lehrer, unterrichtet wurden. Da es nur die Klassen Quarta bis Sekunda gab (1833 kamen die Quinta und erst 187 5 die Sexta hinzu), musste die Vorbereitung der Schüler für das Gymnasium an ande- rer Stelle erfolgen. In Rinteln übernahmen diese Aufgabe zumeist die Rektoren (Theologen) der Bürgerschule. 31 In der Wahl Volkmars zum gymnasialen Gesanglehrer (in dieser früh en Phase des Gymnasialwesens gab es einen Fachlehrer für Musik noch nicht) dürfte relativ schnell Einvernehmen erzielt worden sein. Direktor Wiß, der aus der Schmalkal- dener Region stammte und dort zuvor Schulrektor war, konnte sich hier aus erster Hand übe r Volkmar informieren, hielt dieser doch stets intensiven Kontakt zu seiner Vaterstadt, und hier besonders zu Vierling. Positive Auskünfte werden sicher auch von Victor Amadeus (1779 - 1834), a b 1812 neuer Landgraf von Hessen - Rotenburg, und seiner Schwester Clotilde, seinen ehemaligen Schülern, sowie von der Geistlichkeit in Hersfeld, seiner letzten Wirkungsstätte, gegeben worden sein. Das oben zitierte Schreiben des Hersfelder Magistrats an das Consis- torium in Kassel, in dem sich eine ausgezeichnete Beurteil ung der Gesamtpersön- lichkeit Volkmars findet, wird ebenfalls in Rinteln vorgelegen haben. Volkmar strebte in Rinteln eine Tätigkeit als gymnasialer Lehrer an, obwohl er eine entsprechende g eregelte Ausbildung zuvor nicht absolviert hatte. Als „unstu- diert er“ Lehrer war es ihm daher überlassen, sich selbst um die Kenntnisse des Schulehaltens zu bemühen. Folglich dürfte er sich vorbereitet haben durch priva- ten Einzelunterricht bei einem Geistli chen oder einem Lehrer. Und da es noch keine festen Prüfungskrite rien gab, erhielt er durch eine „Prüfung“, das Definitori- alexamen, durch Direktor Wiß und den „Schulrath“ das Anrecht, in dieses öffent- liche Schulamt in Rinteln zu kommen. 30 H ÄNSEL (wie Anm. 12), S. 26 - 27. 31 H ÄNSEL (wie Anm. 12), S. 28 - 34. Hans Huchzermeyer 276 | Der Hauptgrund f ür Volkmar, aus seiner angesehenen Position in Hersfeld nach Rint eln zu wechseln, dürfte ein fi- nanzieller gewesen sein. Die Organisten, wie auch die meisten Elementarschulleh- rer, befanden sich fast im gesamten 19. Jahrhundert in einer schlechten ökonomi- sch en Lage mit einem Jahreseinkommen von etwa 100 Talern (das Existe nzmini- mum lag bei 141 bis 174 Talern pro Jahr). Nur unzureichend konnte eine derart ge- ringe Besoldung durch Bezug von Natura- lien und Stellung einer Dienstwohnung abgemildert werden. Sie waren daher auf Nebeneinkünfte angewiesen. Somit war in dieser Lage ih r Bestreben, die Ämter des Organisten/Kantors und des Lehrers zu verknüpfen. 32 Volkmar, der jetzt eine fünfköpfige Familie zu versorgen hatte, erhoffte nun für sich in Rinteln als Lehrer am Gymnasium und als Organist an der Stadtkirche eine besser dotierte Stellung. Volkmar zog im Oktober 1817 von Hersfeld nach Rinteln um, sein Mo biliar wurde auf Fulda und Weser mit dem Schiff transportiert. Er bezog das Stadtor- ganisten - und Küsterhaus gegenüber dem Südportal der St. Nikolai - Kirche. Am neu errichteten Gy mnasium war er am 12. September 1817 zum Lehrer in Schreiben, Rechnen und Singen ernannt worden. Hier ergab sich von Beginn an eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Direktor Wiß. Bereits für die erste Examensfeier des Gymnasiums am 9. März 1818 komponierte er die Kantate Heilig i st Gott mit einen Text von Wiß. In der Folgezeit dürfte er bei weite- ren Anlässen Texte und Choräle von Wiß vertont haben. So findet sich im Werkverzeichnis mit dem Hermannslied für vier Männerstimmen ein weiterer Text von Wiß (Cassel b ei Fischer). Zwei Grü nde veranlassten Volkmar, 1839 eine Sammlung von Kirchen - Melodien zu dem evangelischen Gesangbuche der Grafschaft Schaumburg so wie zu Wiß Gesangbuche für höhere und niedere Schulen nebst einigen liturgischen Antiphonien 33 herauszugeben 32 Rainer B ÖLLING , Sozialgeschichte der deutschen Lehrer. Ein Überblick von 1800 bis zur Gegen- wart, Göttingen 1983, S. 35f., 62 - 76. 33 A[ dam] V[alentin] V OLKMAR , Sammlung von Kirchen - M elodien zu dem evangelischen Gesang- buche der Grafschaft Schaumburg so wie zu Wiß Gesangbuche für höhere und niedere Schulen nebst einigen liturgischen Antiphonien, Rinteln und Leipzig 1839. Abbildung 3 Organistenhaus am Kirchplatz 4, Rinteln. Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 277 Wie er im Vorwort („Vorerinnerung“) schreibt, hatte er zum einen die Aufgabe erhalten, im evangelisch - lutherischen Ge- sang buch für die Grafschaft Schaumburg die Melodien, die zum Teil vergessen oder unbekannt waren, zu revidieren und zum anderen nahm Wiß in seinem 1838 her- ausgegebenen Gesangbuch für höhere und niedere Schulen 34 zahlreiche alte vor treffliche Melodien auf, welche in so vielen neuen Gesangbüchern, bei der fast gänzlichen Unkunde mancher Redactoren in kirchenmusikalischer Hinsicht, vermißt werden . Volkmars Absicht war es also, wertvolle alte Melodien zu neuem Leben zu erwecken. Zu diesem Zweck bot er Lehrern w ie Schülern der Grafschaft nicht nur die Texte, sondern auch die Noten an, denn die Melodien ohne Notenschrift den Schülern, durch das Eingeigen oder Vor- singen zu lehren, ist ein unvollständiger Unterricht (Vorerinnerung). Ergänzend zum Melodienbuch arbeit ete Volkmar ein vierstimmiges Choralbuch aus. Diese Aus - führungen lassen erkennen, dass auch Volkmar in der schulischen Musikerziehung (wie im 19. Jahrhundert die Regel) der Vokal - gegenüber der Instrumentalmusik eindeutig den Vorzug gab. Materielle Lag e Volkmar erhielt am 1. April 1822 bei einem jährlichen Gehalt von 100 Thalern eine Zulage von 50 Thalern, hinzu kamen immer wieder G ratifikationen von 6 bis 44 Thaler. Da er als Organist an St. Nicolai nochmals 100 Thaler erhielt, betrug sein festes Jahr eseinkommen 250 Thaler. Außerdem konnte er einen Acker vor der Stadt an der Weser bei Engern bewirtschaften, auch die Gewährung von Na tu- ralien konnte die Haushaltskasse entlasten. So bat Volkmar am 9. Oktober 1829 den Kurfürstlichen Schulrat, sich höchsten Ortes dafür einzusetzen, ihm acht Mal- ter Roggen als jährliche Zulage zu bewilligen. Als Begründung führte er an, ein Sohn studiere un d der andere werde zum Teil auswärts unterrichtet. 34 C[aspar] C[hristo ph] G[ottlieb] W Iß , Evangelisches Gesangbuch fü r höhere und niedere Schulen mit einer Auswahl liturgischer Antiphonen und alter Lieder nach classischen Melodien herausge- geben. (Hieran schließt sich ein Melodien - Buch von Volkmar), Leipzig 1838. Abbildung 4 Deckblatt der Sammlu ng von Kirchen - melodien, 1839. Hans Huchzermeyer 278 | Die akademischen Kollegen, wie z.B. C. Garthe und Dr. L. von Manikowsky, erhielten bei freier Wohnung ein Jahresgehalt von 300 Thalern im Jahre 1817/18, 1831 stieg das Gehalt bei Garthe auf 575 Taler, 183 4 bei Manikowsky auf 500 Taler. Direktor Wiß erhielt 1834 eine Entlohnung von 800 Talern, bei seinem Nachfolger C. E. Brauns wurde diese 1841 auf 1000 Taler erhöht. In der Folgezeit kam Volkmar wiederholt um eine Erhöhung seines anfäng - lichen Schulgehaltes nach (Grundgehalt 150 Thaler, Zulage 18 Thaler). Be son- ders störte ihn die Entlohnung des Zeichen - und Schreiblehrers Stork (Grundge - halt 200 Thaler, Zulage 50 Thaler), der trotz geringerer Stundenzahl fast 100 Tha - ler im Jahr mehr verdiente als er selbst. Entsprechend richtete Volkmar am 6. Sep - tember 1834 folgendes Gesuch an das Kurfürstliche Ministerium des Innern: Nach der bisherigen Einrichtung unseres Gymnasiums sollten in der Reihe der Lehrer auch ein Zeichen - und Gesangslehrer stehen. Indem man zue rst glaubt, ein Schullehrer könnte das Nöthige im Un terricht des Gesanges leisten, so sollte jener Gesanglehrer nicht allein Kantor heißen, sondern auch als sol- cher Schreiben und die Elemente des Rechnens lehren. Als ich aber zu dieser Stelle berufen wurde , nahm ich dieselbe nur unter der Bedingung an, von jenem Elementar - Unterricht befreit zu sein. Bald ergab sich auch, daß die musikali- sche Bildung eines gewöhnlichen Schullehrers nicht hinreiche, um einestheils den höheren Gesangunterricht in weiterer Ausd ehnung zu erteilen, die Bildung des Geschmackes durc h eine gehörige Auffassung der Kunst zu befördern, sowie nöthigenfalls Generalbaß - Lehre vorzutragen, anderntheils die nöthigen Musiken bei den verschiedenen Gymanasialfesten nicht allein bei ihrer Aufführ ung zu leiten, sondern auch nach Bedürfniß zu componieren. So ergab es sich, daß auch die Musiklehrer an den Gymnasien gebildete Künstler sein müssen, da sie einem besonderen Fache der Gymnasialbildung vorzustehen haben, wie dasselbe auch von den Zeichenle hrern allgemein gilt. Von demselben Grundsatz scheint auch Kürfürstliches Ministerium des Innern in der neueren Zeit ausgegangen zu sein. Zu diesem Begriff des Musiklehrers paßt aber wohl nicht mehr die bisherige Ordnung, nach welcher derselbe dem Zeichen lehrer hinsichtlich des Ranges und des Gehalte s um eine Stufe nachstand. Aber etwa die größere Anzahl von Stunden könnten diese nöthig machen? In Bezug hierauf ist aber zu bemerken, da ß gegenwärtig auf unserm Gymnasium nur 5 Zeichenstunden wöchentlich geha lten werden, wofür der Lehrer jährlich 200 Thl r. erhält. Dagegen werden 7 - 8 Musikstunden wöchentlich ertheilt, wie der Lektions - Katalog ausweist, zu denen noch die Hora am Schluß jeder Woche zu rechnen ist, in welcher der Musiklehrer den Gesang leitet. Ebe nso findet sich der eifrige Musiklehrer au- ßerd em noch besonders zu Probestunden vor festlichen Aufführungen nament- lich für Soloparthien veranlaßt, wie seine Gegenwart bei allen Schulfeierlich- keiten nothwendig ist. So ist er außer jener Überzahl von Stunden weit mehr beschäftigt, als der Zeichenlehrer. Nicht desto weniger erhalte ich nur 150 Thaler. Während dem der Zeichen- lehrer für 3 Schreibstunden, die ihm besonders übertragen sind, 50 Thlr. erhält, bekam ich für wöchentlich 4 Unterrichtsstunden im Genera lbaß für die ehema- Adam Valentin Vol(c)kmar (1770 - 1851) | 279 ligen Schullehrer - Eleven uns eres Gymnasiums jährlich nur 18 Thaler. Wäre also jene Besoldung des Zeichenlehrers normal, dann wäre im Verhältnis der bloßen Stundenzahl das Gehalt des so beschäftigten Musiklehrers bei der nied- rigsten Stufe 270 Thlr. Da aber die künstlerische Vorbildung des Musikers zu seinem Beruf als Lehrer ebenso schwierig, wenn nicht umfangreicher als die des Zeichenlehrers sein kann, so liegt wenigstens hierin kein Grund, den Zeichen- lehrer höher als den Musiklehrer zu st ellen. Noch weniger ist es die größere Wichtig keit der Sache, welche eine solche Unterscheidung motivieren könnte. Ich will nichts von der Macht der Tonkunst auf die Bildung des Gemüths, Erhe- bung und Läuterung des inneren Menschen reden; die Geschichte der Schulen, besonders der Reformation spricht zu stark und deutlich davon; auch die von der oberen Schul - Commission entworfene Gymnasialordnung erkennt es beson- ders an, welches dringende Bedürfnis für angehende Theologen der Musikun- terricht des Gymnasiums se i, was vom Zeichnen nicht erwähnt werden kann, da derselbe sich hier nicht einmal bis Prima erstreckt. Daß endlich der Gesangun- terricht mit bei weitem größern Schwierigkeiten zu kämpfen hat, als der im Zeichnen, welcher in der Anleitung des Einzelnen einfa ch genug fortschreitet, bedarf gewiß keiner Au seinandersetzung. [...] Daher wende ich mich mit der unterthänigsten Bitte an Kurfürstliches Ministerium des Innern: gnädigst im allgemeinen nicht die Gymnasiallehrer der Musik den Zeichenlehrern nachzustellen, da die frühere Anordnung diese bisher wenigste ns am hiesigen Gymnasium bestehenden Verhältnisses auf einer irri- gen, auch schon längst aufgehobenen Voraussetzung beruhte; während vielmehr die Wichtigkeit und Schwierigkeit der musikalischen Unterrichts eine Erhebung desselben erheischen würde; im besond eren aber gnädigst Rücksicht nehmen möge auf viele schmerzliche Entbehrungen in meinem 38jährigen Dienst im Vaterlande, wie namentlich auf darauf, daß ich bei der redlichsten, ja mit Auf- opferung verbundenen Erf üllung meines mich vielfach beschäftigenden Be rufes als Musiklehrer am hiesigen Gymnasium im Verhältnis der größeren Stunden- zahl um 100 Thlr. geringer, als der bei weitem jüngere und wenigstens gewiß nicht verdientere Zeichenlehrer besoldet war. In der Ho ffnung, daß Kurfürstliches Ministerium des Inn ern meine pflicht- schuldigste Vorstellung gnädig verzeihen und nicht ganz unberücksichtigt las- sen werde, verharrt Kurfürstlichen Ministeriums des Innern unterthänigster W. A. V. Volkmar 35 Da dieses Gesuch abgel ehnt wurde, stellte Volkmar am 29. Juni 1835 einen erneuten Antrag, sein Gehalt zu erhöhen. Am 19. August 1835 wurde auch dieses Gesuch zurückgewiesen mit der Begründung, Volkmar habe bereits ein höheres Gehalt als die Musiklehrer an allen anderen Gymnasie n Kurhessens. Er bekam jedoch eine Gratifikat ion von 30 Thalern. Erst am 28. März 1836 hatte Volkmar mit seinen Bemühungen Erfolg, sein Jahresgehalt betrug ab jetzt 200 Thaler. 35 Zit. in: B USCHMANN (wie Anm. 1), S. 12 - 14. Hans Huchzermeyer 280 | Stadtorganist Matthäus Müller; Hofkapelle Bückeburg Als Volkmar im Oktober 1817 die Stelle an der Nikolai - Kirche antrat, über- nahm er das Amt des bereits drei Jahre zuvor verstorbenen Organisten Mat- thäus Müller (um 1729 - 1814). Dieser war 1768 von St. Sixti in Northeim in die besser dotierte Stelle in Rinteln gewechselt. Allerdings lebte er auch hier in ärmlichen Verhältnissen im Gegensatz zum nachfolgenden Volkmar, der zwei Ämter bekleidete und somit etwas bessergestellt war. Neben seiner Tätigkeit als Organist unterrichtete Müller auch an der Universität R inteln musiktheoretisch e Fächer. Müller war verheiratet mit Eleonore Elisabeth, geb. Libius (um 1734 - 1801). Von den sechs Kindern erreichten die Söhne August Eberhard (1767 - 1817) und Adolph Heinrich (1772 - 1837), die beide auch von Johann Christoph Friedric h Bach (1732 - 1795) in B ückeburg unterrichtet worden waren, als Musiker einen höheren Bekanntheitsgrad. 36 Wie sein Vorgänger Müller informierte sich auch Volkmar über das Mu- sikleben in Schule und Stadt Bückeburgs und nahm mit dem Hofkapellmeister und einzelnen Musikern der Kapel le Kontakt auf. Seit 1807 regierte Fürst Georg Wil