Roald Dahl, 1916-1990, war Mitarbeiter der Shell Company in Ostafrika, im Zweiten Weltkrieg Pilot bei der Royal Air Force. Er schrieb folgende Kinderb ̧cher: ́Danny oder Die Fasanenjagdª (rotfuchs 315); ́Der Zauberfingerª (rotfuchs 422); ́James und der Riesenpfirsichª (rotfuchs 858); ́Sophiechen und der Rieseª (Deutscher Jugendliteraturpreis, rotfuchs 582); ́Hexen hexenª (rotfuchs 587); ́Die Zwicks stehen kopfª (rotfuchs 609); ́Der fantastische Mr. Foxª (rotfuchs 615); ́Matildaª (rotfuchs 855, M‰rz 97); ́Ottos Geheimnisª, 1991; ́Das Konr‰dchen bei den Klitzekleinenª, 1992; ́Die Giraffe, der Peli und ichª, 1993, u.a. 2 Roald Dahl Charlie und die Schokoladenfabrik Deutsch von Inge M. Artl ‹bersetzung der Verse von Hans Georg Lenzen Bilder von Michael Foreman digitalisiert von Vlad Rowohlt 3 rororo rotfuchs Herausgegeben von Ute Blaich und Renate Boldt F ̧r Theo 13. ñ15. Tausend Januar 1997 Verˆffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg, Juni 1995 ́Charlie and the Chocolate Factoryª: Copyright © 1964 by Felicity Dahl and the other Executors of the Estate of Roald Dahl Copyright © 1981, 1987 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Illustrationen: Copyright © 1985 by Michael Foreman Umschlagillustration: Uwe H‰ntsch Umschlaggestaltung: Nina Rothfos rotfuchs-comic Jan P. Schniebel Copyright © 1995 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany 1090-ISBN 3-499 20778 8 4 F ̧nf Kinder kommen in diesem Buch vor Augustus Glupsch, ein gefr‰fliger Junge Veruschka Salz, ein verwˆhntes M‰dchen Violetta Beauregarde, ein M‰dchen, das den ganzen Tag lang Kaugummi kaut Micky Schiefler, der den ganzen Tag nur fernsieht und Charlie Bucket, der Held des Buches 5 1 Hier kommt Charlie Diese beiden sehr alten Leute sind der Vater und die Mutter von Herrn Bucket. Sie heiflen Groflvater Josef und Groflmutter Josefine. 6 Und diese beiden sehr alten Leute sind der Vater und die Mutter von Frau Bucket. Sie heiflen Groflvater Georg und Groflmutter Georgine. Das hier ist Herr Bucket. Und das ist Frau Bucket. Sie haben einen kleinen Jungen, der Charlie Bucket heiflt. 7 Das hier ist Charlie. Wie gehtís? Wie stehtís? Er freut sich, dich kennenzulernen. Die ganze Familie ñ sechs Erwachsene und Charlie Bucket ñ lebte zusammen in einem kleinen Holzhaus am Rande einer groflen Stadt. Das Haus war viel zu klein f ̧r so viele Leute, und so war das Leben darin f ̧r alle miteinander ‰uflerst unbequem. Es gab nur zwei Zimmer und nur ein einziges Bett. In dem Bett durften die vier alten Grofleltern schlafen, weil sie so alt und m ̧de waren. 8 Sie waren so m ̧de, dafl sie niemals aufstanden. Groflvater Josef und Groflmutter Josefine lagen am einen Ende und Groflvater Georg und Groflmutter Georgine am anderen Ende. Herr und Frau Bucket und der kleine Charlie Bucket schliefen im Zimmer nebenan auf Matratzen, die sie abends auf den Boden legten. Im Sommer ging das noch, aber im Winter war es schrecklich, weil die ganze Nacht eisig kalte Luft ̧ber den Boden kroch. Sie konnten sich kein besseres Haus kaufen. Sie konnten sich nicht einmal ein zweites Bett leisten. Sie waren viel zu arm. Herr Bucket war in der Familie der einzige, der Geld verdiente. Er arbeitete in einer Zahnpastafabrik. Dort safl er den ganzen Tag und schraubte die kleinen runden Deckel auf die Tuben, nachdem sie mit Zahnpasta gef ̧llt worden waren. Aber ein Zahnpastatuben-Deckel-Zuschrauber wird schlecht bezahlt. Und ganz gleich, wie schwer er arbeitete und wie schnell er die Deckel draufschraubte, der arme Herr Bucket verdiente doch niemals genug, um auch nur die H‰lfte von allem zu kaufen, was so eine grofle Familie brauchte. Sie hatten nicht einmal genug Geld f ̧r anst‰ndiges Essen. Zum Fr ̧hst ̧ck gab es nur Brot und Margarine, zum Mittagessen Kartoffeln und Kohl und zum Abendessen Kohlsuppe... das war das einzige, was sie sich leisten konnten. Sonntags war es ein biflchen besser. Obwohl sie das gleiche aflen wie an den anderen Tagen, freuten sie sich alle auf den Sonntag, weil dann jeder noch ein zweites Mal nehmen durfte. Die Buckets verhungerten nicht gerade, aber sie hatten alle miteinander ñ die beiden alten Groflv‰ter, die beiden alten Groflm ̧tter, Charlies Vater, Charlies Mutter und vor allem der kleine Charlie selbst ñ von morgens bis abends ein gr‰flliches leeres Gef ̧hl im Magen. Charlie f ̧hlte den Hunger am schlimmsten. Sein Vater und 9 seine Mutter verzichteten oft auf ihren Anteil am Essen und gaben ihn Charlie, aber es war trotzdem nicht genug f ̧r einen heranwachsenden Jungen. Charlie sehnte sich verzweifelt nach etwas, was besser den Magen f ̧llte und besser s‰ttigte als Kohl und Kohlsuppe. Und am allermeisten sehnte er sich nach... SCHOKOLADE. Jeden Morgen auf dem Schulweg sah Charlie in den Schaufenstern ganze Berge von Schokoladentafeln. Er blieb immer wieder stehen, preflte die Nase an die Scheibe und starrte hinein, bis ihm das Wasser im Mund zusammenlief. Oft muflte er zusehen, wie andere Kinder Riegel sahniger Schokolade aus der Tasche zogen und wie Brot hinunterschlangen. Das war nat ̧rlich die reinste Folter f ̧r ihn. Charlie Bucket bekam nur ein einziges Mal im Jahr ein winziges biflchen Schokolade, n‰mlich zu seinem Geburtstag. Seine Eltern sparten monatelang daf ̧r, und wenn der grofle Tag kam, schenkten sie Charlie ein kleines T‰felchen Schokolade, das er ganz allein aufessen durfte. Und an jedem wunderbaren Geburtstagsmorgen legte Charlie seine Schokolade in ein Holzsch‰chtelchen und h ̧tete seinen Schatz, als w‰re es pures Gold. W‰hrend der n‰chsten paar Tage betrachtete er die Schokolade nur, r ̧hrte sie aber nicht an. Wenn er es dann aber schliefllich gar nicht mehr aushalten konnte, ˆffnete er vorsichtig die Verpackung. Er zog das Silberpapier nur an einer Ecke ein winziges biflchen zur ̧ck, damit ein winziges St ̧ckchen Schokolade herausguckte, und dann knabberte Charlie ein winziges H‰ppchen davon ab... nur gerade genug, um den herrlichen Geschmack auf der Zunge zu sp ̧ren. Am n‰chsten Tag knabberte er wieder ein winziges H‰ppchen ab und am ̧bern‰chsten Tag wieder, und so immer weiter. Auf diese Weise brachte Charlie es fertig, dafl seine winzige Tafel Schokolade einen ganzen Monat lang reichte. Aber ich habe euch noch nicht von der furchtbaren Sache erz‰hlt, die den kleinen Charlie mehr als alles andere qu‰lte. Es war noch viel, viel schlimmer als die Schokoladenberge in den 10 Schaufenstern oder mit ansehen zu m ̧ssen, wie andere Kinder Schokolade aflen. Es war wirklich die schlimmste Qual, die man sich vorstellen konnte: In dieser Stadt und fast in Sichtweite von dem kleinen Holzhaus, in dem Charlie lebte und seine Eltern lebten, stand eine RIESENGROSSE SCHOKOLADENFABRIK! Stell dir das vor! Und es war nicht einfach nur eine gewˆhnliche grofle Schokoladenfabrik. Es war die allergrˆflte und allerber ̧hmteste Schokoladenfabrik auf der ganzen Welt! Es war WONKAS SCHOKOLADENFABRIK, und sie gehˆrte Herrn Willy Wonka, dem grˆflten Erfinder und Hersteller von Schokolade und S ̧fligkeiten, der je gelebt hatte. Eine hohe Mauer umgab die ganze Fabrik, und man konnte nur durch ein m‰chtiges eisernes Tor hineingelangen. Aus den Schornsteinen quoll Rauch, und seltsame zischende Ger‰usche drangen tief aus dem Geb‰ude heraus. Und drauflen duftete es kilometerweit nach geschmolzener Schokolade! Was f ̧r ein himmlischer Duft! Auf dem Weg zur Schule und wieder nach Hause muflte der kleine Charlie Bucket jeden Tag zweimal an dem eisernen Tor der Schokoladenfabrik vorbeigehen. Und jedesmal ging er ganz, ganz, ganz langsam und reckte die Nase in die Luft und atmete den herrlichen Schokoladenduft tief ein. Oh, wie er diesen Duft liebte! Und wie er sich w ̧nschte, er d ̧rfte nur ein einziges Mal in die Schokoladenfabrik hineingehen und sich alles ansehen! 11 2 Herrn Willy Wonkas Schokoladenfabrik Abends, wenn Charlie seine w‰sserige Kohlsuppe gegessen hatte, ging er zu seinen Grofleltern, um sich von ihnen Geschichten erz‰hlen zu lassen. Danach sagte er ihnen gute Nacht. Die vier uralten Leute waren so runzlig wie getrocknete Pflaumen und so d ̧rr wie Bohnenstangen. Den ganzen Tag lang lagen sie in ihrem einzigen Bett, zwei an jedem Ende, mit ihren Nachtm ̧tzen auf dem Kopf, und verschliefen die Zeit, weil sie nichts Besseres zu tun hatten. Aber abends, sobald sich die T ̧r ˆffnete und Charlie hereinkam und sagte: ́Guten Abend, Groflvater Josef und Groflmutter Josefine, guten Abend, Groflvater Georg und Groflmutter Georgineª... dann setzten sich die vier alten Leute plˆtzlich auf, und ihre hutzeligen Gesichter strahlten vor Freude. Denn sie liebten den kleinen Jungen. Er war der einzige Lichtblick in ihrem Leben, und sie freuten sich den ganzen Tag auf seinen Besuch am Abend. Oft kamen auch Charlies Eltern herein, blieben an der T ̧r stehen und hˆrten den Geschichten der alten Leute zu. Und so war die ganze Familie gl ̧cklich und zufrieden beisammen, und eine halbe Stunde lang waren Armut und Hunger vergessen. Eines Abends fragte Charlie seine Grofleltern: ́Ist das wirklich wahr, dafl Wonkas Schokoladenfabrik die allergrˆflte auf der Welt ist?ª ́Ob das wahr ist?ª riefen alle vier Grofleltern gleichzeitig. ́Nat ̧rlich ist das wahr! Lieber Himmel, hast du das etwa nicht gewuflt? Sie ist ungef‰hr f ̧nfzigmal so grofl wie jede andere Schokoladenfabrik!ª ́Und ist dieser Herr Willy Wonka wirklich der beste 12 Schokoladenhersteller auf der Welt?ª ́Mein lieber Jungeª, sagte Groflvater Josef und richtete sich noch ein wenig hˆher in seinen Kissen auf. ́Herr Willy Wonka ist der erstaunlichste, der phantastischste und der auflergewˆhnlichste Schokoladenhersteller, den die Welt je gesehen hat! Ich dachte, jeder weifl das!ª ́Ich wuflte, dafl er ber ̧hmt und sehr t ̧chtig ist, Groflvater Josef, aber...ª ́T ̧chtig!ª unterbrach ihn der alte Mann. ́Er ist weit mehr als t ̧chtig! Er ist ein Genie, ein Zauberer! Er kann einfach alles machen, was er will... einfach alles! Stimmt das nicht, meine Lieben?ª Groflmutter Josefine, Groflvater Georg und Groflmutter Georgine nickten langsam mit dem Kopf und sagten: ́Das stimmt genau! Haargenau!ª ́Habe ich dir denn noch nie von Herrn Willy Wonka und seiner Schokoladenfabrik erz‰hlt?ª fragte Groflvater Josef. ́Nein, noch nieª, antwortete Charlie. ́Lieber Himmel, das ist ja unglaublich! Dann weifl ich wirklich nicht mehr, was mit mir los ist!ª ́Erz‰hlst du es mir jetzt, Groflvater? Bitte!ª ́Ganz gewifl! Setz dich zu mir aufs Bett und hˆre mir gut zu, mein Lieber.ª 13 Groflvater Josef war der ‰lteste von den vier Grofleltern. Er war sechsundneunzigeinhalb Jahre alt, und das ist ungef‰hr so alt, wie ein Mensch nur werden kann. Wie die meisten sehr, sehr alten Leute war Groflvater Josef zart und schwach, und tags ̧ber sprach er nur wenig. Doch am Abend, wenn sein geliebter Enkel Charlie zu ihm kam, dann schien Groflvater Josef auf wunderbare Weise wieder jung zu werden. Alle M ̧digkeit fiel von ihm ab, und er wurde so lebhaft wie ein Junge. ́Oh, das ist ein Mann, dieser Herr Wonka!ª rief Groflvater Josef. ́Hast du zum Beispiel gewuflt, dafl er persˆnlich ̧ber zweihundert Sorten gef ̧llte Schokoladenriegel erfunden hat? Und jede Sorte mit einer anderen F ̧llung und s ̧fler und sahniger und kˆstlicher als alles, was die anderen Schokoladenfabriken herstellen!ª ́Sehr richtig!ª warf Groflmutter Josefine ein. ́Und er verschickt seine Schokolade in alle L‰nder der Erde, nicht wahr, Groflvater Josef?ª ́So ist es, meine Liebe. Und auch an alle Kˆnige und Staatspr‰sidenten auf der ganzen Welt. Und er stellt nicht nur Schokolade her. O nein! Er hat noch viele andere phantastische Erfindungen gemacht, dieser Herr Wonka! Er hat ein Schokoladeneis erfunden, das Stunden und Stunden kalt bleibt, auch wenn es nicht im Eisschrank steht. Man kann es sogar einen ganzen Vormittag in der Sonne liegen lassen, und es l‰uft trotzdem nicht davon!ª ́Aber das ist unmˆglich!ª sagte der kleine Charlie und starrte seinen Groflvater ungl‰ubig an. ́Nat ̧rlich ist das unmˆglich! Es ist vˆllig absurd! Aber Herr Wonka bringt es fertig!ª rief Groflvater Josef. ́Ganz recht! Herr Wonka bringt so etwas fertig!ª stimmten die drei anderen Alten zu und nickten mit dem Kopf. Groflvater Josef fuhr fort, und er sprach sehr langsam, damit Charlie auch ja kein Wort entging: ́Herr Wonka kann 14 t ̧rkischen Honig machen, der nach Veilchen schmeckt, und Karamelbonbons, die alle zehn Sekunden die Farbe wechseln, wenn du sie lutschst, und Kaugummi, das niemals den Geschmack verliert, und Luftballons aus Bonbonmasse, die du riesengrofl aufblasen kannst, ehe du sie mit einer Nadel platzen l‰flt und aufschleckst. Er hat ein Geheimrezept, nach dem er wunderschˆne blaue, schwarzgefleckte Vogeleier macht: Wenn du eines davon in den Mund steckst, wird es nach und nach immer kleiner, und plˆtzlich sitzt ein winzig kleines Vˆgelchen aus rosa Zucker auf deiner Zungenspitze.ª Groflvater Josef hielt einen Augenblick inne und leckte sich langsam die Lippen. ́Mir l‰uft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich nur daran denke.ª ́Mir auchª, sagte Charlie. ́Erz‰hl bitte weiter.ª W‰hrend Groflvater Josef erz‰hlte, waren Charlies Eltern leise ins Zimmer gekommen. Sie standen an der T ̧r und hˆrten zu. ́Erz‰hl Charlie von dem verr ̧ckten indischen Prinzenª, schlug Groflmutter Josefine vor. ́Das gef‰llt ihm bestimmt.ª ́Du meinst, von Prinz Pondicherry?ª fragte Groflvater Josef und begann vor sich hin zu kichern. ́Komplett bekloppt!ª sagte Groflvater Georg. ́Aber sehr reich!ª bemerkte Groflmutter Georgine. ́Was hat er gemacht?ª fragte Charlie ungeduldig. ́Das werde ich dir gleich erz‰hlenª, sagte Groflvater Josef. 3 Herr Wonka und der indische Prinz 15 ́Prinz Pondicherry schrieb einen Brief an Herrn Wonka und bat ihn, die lange Reise bis nach Indien zu machen und ihm einen kolossalen Palast ganz aus Schokolade zu bauenª, begann Groflvater Josef. ́Und hat Herr Wonka das geschafft, Groflvater?ª ́Nat ̧rlich! Und was f ̧r einen Palast! Einhundert Zimmer, und alles war aus dunkler oder heller Schokolade gemacht. Die Ziegel waren aus Schokolade, der Zement, der sie zusammenhielt, war aus Schokolade, die W‰nde und die Decken waren aus Schokolade, die Teppiche, die Bilder, die Betten und die Mˆbel ñ alles war aus Schokolade, und wenn man im Badezimmer die Wasserh‰hne aufdrehte, kam heifle Schokolade heraus. Als der Palast fertig war, sagte Herr Wonka zu Prinz Pondicherry: <Es tut mir sehr leid, aber ich f ̧rchte, die Pracht wird nicht lange halten. Am besten, Sie fangen sofort an zu essen.> <Das kommt ̧berhaupt nicht in Frage! Ich werde doch nicht meinen eigenen Palast aufessen! Ich werde nicht einmal ein biflchen am Treppengel‰nder knabbern oder an den W‰nden lecken! Ich will in diesem Palast wohnen!> sagte Prinz Pondicherry. Nat ̧rlich behielt Herr Wonka recht, denn bald darauf kam ein besonders heifler Tag, und die Sonne brannte auf den Palast herab, und der Palast fing an zu schmelzen und sank dann ganz langsam in sich zusammen. Und als Prinz Pondicherry von seinem Mittagsschlaf aufwachte, schwamm er schon in einem groflen klebrigen braunen Teich aus Schokoladenbrei.ª 16 Der kleine Charlie safl ganz still auf dem Bettrand und starrte seinen Groflvater an. Er hatte die Augen so weit aufgerissen, dafl man das Weifle ringsherum sah. ́Ist das wirklich wahr, Groflvater, oder machst du dich ̧ber mich lustig?ª fragte er. ́Nat ̧rlich ist das wahr!ª riefen alle vier Grofleltern auf einmal. ́Das kann dir jeder best‰tigen!ª ́Und ich werde dir noch etwas erz‰hlen, das genauso wahr ist.ª Groflvater Josef beugte sich dicht zu Charlie hin ̧ber und senkte die Stimme zu einem geheimnisvollen Fl ̧stern. ́Niemand... kommt...jemals... heraus!ª ́Wo heraus?ª fragte Charlie. ́Und... niemand...geht...jemals... hinein!ª ́ Wo hinein?ª rief Charlie. ́In Herrn Wonkas Schokoladenfabrik, nat ̧rlich!ª ́Groflvater, was meinst du damit?ª 17 ́Ich meine die Arbeiter, Charlie.ª ́Arbeiter?ª ́In jeder Fabrik gibt es Arbeiterª, sagte Groflvater Josef, ́und jeden Morgen und jeden Abend strˆmen sie zum Fabriktor hinein und heraus... nur in Wonkas Schokoladenfabrik nicht! Hast du schon jemals auch nur einen einzigen Menschen dort hineingehen oder herauskommen sehen?ª Der kleine Charlie sah seine vier Grofleltern langsam und der Reihe nach an, und alle vier schauten ihn an. Ihre l‰chelnden Gesichter wirkten freundlich und gleichzeitig ganz ernsthaft. In keinem war irgendein Anzeichen daf ̧r zu entdecken, dafl sie sich ̧ber Charlie lustig machten. ́Nun, hast du schon mal jemanden hineingehen oder herauskommen sehen, oder nicht?ª fragte Groflvater Josef. ́Ich... ich erinnere mich nicht, Groflvater. Jedesmal, wenn ich an der Fabrik vorbeikomme, ist das eiserne Tor geschlossenª, stotterte Charlie. ́Siehst du!ª sagte Groflvater Josef. ́Aber es m ̧ssen doch Leute dort arbeiten...ª ́Keine gewˆhnlichen Leute, Charlie.ª ́Was f ̧r welche?ª ́Das ist es ja gerade... Da sieht man wieder, wie gescheit dieser Herr Wonka ist.ª ́Charlie, es ist Zeit zum Schlafengehenª, sagte seine Mutter von der T ̧r her. ́Bitte, Mutter, ich mufl nur eben noch hˆren...ª ́Morgen, Liebling.ª ́Ja, morgen abend erz‰hle ich dir den Rest der Geschichteª, sagte Groflvater Josef. 18 4 Die geheimnisvollen Arbeiter Am n‰chsten Abend erz‰hlte dann Groflvater Josef die Geschichte weiter. ́Weifl du, Charlie, es ist noch gar nicht so sehr lange her, da haben Tausende von Menschen in Herrn Wonkas Schokoladenfabrik gearbeitet. Aber eines Tages hat Herr Wonka plˆtzlich alle seine Leute bis auf den letzten Mann entlassen und ihnen gesagt, sie m ̧flten nach Hause gehen und kˆnnten nie wieder bei ihm arbeiten.ª ́Aber warum?ª fragte Charlie. ́Wegen der Spione.ª ́Spione?ª ́Ja. Die anderen Schokoladenfabrikanten waren neidisch auf Herrn Wonka, weil er die wunderbarsten S ̧fligkeiten herstellte. Deshalb schickten sie Spione aus, um ihm seine Geheimrezepte zu stehlen. Die Spione lieflen sich als gewˆhnliche Arbeiter in Herrn Wonkas Fabrik anstellen, und jeder von ihnen fand an seinem Arbeitsplatz heraus, wie die verschiedenen S ̧fligkeiten hergestellt wurden.ª ́Und dann sind sie zur ̧ck in ihre eigene Fabrik gegangen und haben dort alles verraten?ª fragte Charlie. ́So mufl es wohl gewesen sein, denn mit einem Male verkauften auch die anderen Schokoladenfabriken Eis, das nicht einmal in der Sonne schmolz, und Kaugummi, das niemals seinen Geschmack verlor, und Luftballons aus Bonbonmasse, die man ganz riesengrofl aufblasen konnte, ehe man sie mit einer Nadel platzen liefl und aufschleckte... Und so noch viele andere S ̧fligkeiten, die es bis dahin nur bei Herrn Wonka gegeben hatte. Und als Herr Wonka die Plakate der 19 Konkurrenz sah, raufte er sich den Bart und schrie: <Das ist schrecklich! ‹berall stecken Spione! Sie ruinieren mich! Ich mufl meine Fabrik schlieflen!>ª ́Aber er hat sie nicht geschlossen!ª sagte Charlie. ́Doch, er hat sie geschlossen. Er hat allen seinen Arbeitern gesagt, es t‰te ihm sehr leid, aber er m ̧sse sie alle entlassen und nach Hause schicken. Dann hat er das Fabriktor zugemacht und eine dicke Kette vorgelegt. Die Schokoladenfabrik lag plˆtzlich still und verlassen da. Die Schornsteine rauchten nicht mehr, die Maschinen drehten sich nicht mehr, und keine einzige Tafel Schokolade und kein einziger Bonbon wurde mehr gemacht. Keine Menschenseele ging durch das Fabriktor, und sogar Herr Wonka war spurlos verschwunden. Monate verstrichen, aber die Fabrik blieb geschlossen.ª Groflvater Josef fuhr fort. ́Die Leute sagten: <Der arme Herr Wonka. Er war so ein netter Mensch, und er hat so wunderbare S ̧fligkeiten gemacht. Jetzt ist er pleite; schade!> Dann geschah etwas ‹berraschendes. Eines schˆnen Tages stiegen fr ̧h am Morgen d ̧nne weifle Rauchs‰ulen aus den Fabrikschornsteinen! Die Leute blieben verbl ̧fft auf der Strafle stehen und staunten. <Was ist da los?> riefen sie. <In den ÷fen brennt wieder Feuer! Herr Wonka macht seine Fabrik wieder auf!> Sie liefen alle zu der Fabrik hin und rechneten damit, dafl das grofle Tor weit offen stehen und Herr Wonka seine alten Arbeiter willkommen heiflen w ̧rde. Aber das grofle eiserne Tor war noch immer verschlossen, und die Kette hing davor, und Herr Wonka war nirgendwo zu sehen. <In der Fabrik wird gearbeitet!> riefen die Leute. <Wir hˆren die Maschinen wieder laufen! Und auflerdem riecht es hier drauflen nach Schokolade!>ª Groflvater Josef beugte sich etwas vor und legte seine knochige Hand auf Charlies Knie. 20