Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hrsg.) Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland Die Reihe »Medienumbrüche« wird herausgegeben von Peter Gendolla. Rainer Geissler, Horst Pöttker (Hrsg.) Massenmedien und die Integration ethnischer Minderheiten in Deutschland Band 2: Forschungsbefunde Medienumbrüche | Band 30 Diese Arbeit ist im Kulturwissenschaftlichen Forschungskolleg 615 der Universität Siegen entstanden und wurde auf seine Veranlassung unter Verwendung der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Verfügung gestellten Mittel gedruckt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut- schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2009 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung: Susanne Pütz, Siegen; Kordula Röckenhaus, Bielefeld Satz: Sarah Hubrich Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1027-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License. Inhalt Rainer Geißler und Horst Pöttker E inleitun g......................................................................................................................7 Teil 1: Geschichte Horst Pöttker und Harald Bader Ges ch eiterte I nte g ration ? Polnis ch e Mi g ration und Presse im Ru h r g ebiet vor 1914 ....................................15 Sara h Hubri ch „T au z ie h en um F remdarbeiter “ Das Pressee ch o auf das deuts ch -italienis ch e Anwerbeabkommen von 1955 ..................................................................................47 Teil 2: Journalisten Rainer Geißler, Kristina E nders und Verena Reuter W eni g et h nis ch e Diversit ä t in deuts ch en Z eitun g sredaktionen ...............79 Miltiadis Oulios W es h alb g ibt es so weni g J ournalisten mit E inwanderun g s h inter g rund in deuts ch en Massenmedien ? E ine explorative Studie.............................................................................................119 Daniel Müller E instellun g en von J ournalisten in Be z u g auf i h re Rolle bei der I nte g ration et h nis ch er Minder h eiten E ine qualitative Befra g un g in Nordr h ein- W estfalen unter besonderer Berü c ksi ch ti g un g der Kriminalit ä tsberi ch terstattun g .....................145 Teil 3: Diskriminierung Horst Pöttker W ann werden Diskriminierun g sverbote von J ournalist ( inn ) en ak z eptiert ? E ine Untersu ch un g z um W iderspru ch von Mi g rantens ch ut z und Öffentli ch keitsauf g abe ..............................................161 Daniel Müller I nwieweit beri ch ten J ournalisten o h ne be g ründbaren Sa ch be z u g über die Z u g e h öri g keit von Straftatverd äch ti g en z u et h nis ch en Minder h eiten ? E ine in h altsanalytis ch e Untersu ch un g Dortmunder T a g es z eitun g en 2007............ 189 Cornelia Mo h r, Harald Bader und Malte W i c kin g „ Da weiß i ch immer s ch on, dass es ein Ausl ä nder war “ Z ur W irkun g der Ri ch tlinie 12.1 des Pressekodex.............................................. 217 Teil 4: Mehrheitsmedien Patri c k F i c k Der W andel der Darstellun g von Mi g ranten am Beispiel Sie g ener L okalmedien in den J a h ren 1996 und 2006 .................................. 235 Parisa J avadian Namin Die Darstellun g des I slam in den deuts ch en Printmedien am Beispiel von Spie g el und Bild ..................................................................... 271 Teil 5: Ethnomedien Daniel Müller Uyum statt ente g rasyon ? Z ur E uropa-Aus g abe der türkis ch en Z eitun g H ürriyet ....................................... 299 Harald Bader D e u t s ch e P re ss e und H ürriyet ........................................................................... 317 Kristina E nders und Anne W eibert I d e n tit ä t i m So c i al W e b Von der Bedeutun g der E t h ni z it ä t für den g esells ch aftli ch en E in g liederun g spro z ess im di g italen Medienumbru ch ......................................... 333 Au t o ri nn e n und Au t o re n ...................................................................................... 351 7 Rainer Geißler und Horst Pöttker Einleitung Dies ist der vierte Band, den das Projekt „ Mediale I nte g ration et h nis ch er Min- der h eiten “ im Sie g ener D F G- F ors ch un g skolle g 615 „ Medienumbrü ch e z u Be- g inn des 20. und am Über g an g vom 20. z um 21. J a h r h undert “ erarbeitet h at. Na ch einem Überbli c k über den F ors ch un g sstand 1 und z wei Dokumenta- tionen der vom Projekt veranstalteten internationen T a g un g en 2004 in Sie g en 2 und 2007 in Dortmund 3 le g en wir nun die E rtr äg e von empiris ch en T eilunter- su ch un g en vor, die in der z weiten P h ase des F ors ch un g skolle g s „ Medienum- brü ch e “ z wis ch en 2005 und 2008 im Ra h men des Projekts „ Mediale I nte g ra- tion et h nis ch er Minder h eiten “ dur chg efü h rt worden sind. Die h o h e Z a h l von 13 T eiluntersu ch un g en und deren Unters ch iedli ch keit mö g en überras ch en. W er jedo ch den Umbru ch des mittlerweile se h r fa c etten- rei ch en Diskurses über Mi g ration und I nte g ration in Deuts ch land berü c ksi ch - ti g t, der in den let z ten J a h ren statt g efunden h at, ist mö g li ch erweise weni g er verwundert. Als wir am 1. J uli 2002 mit der Arbeit im Projekt be g annen, h an- delte es si ch bei diesem Th ema no ch um einen s ch einbar mar g inalen, weni g öffentli ch e Aufmerksamkeit erre g enden Ge g enstand, mit dem si ch medien- und kommunikationswissens ch aftli ch e F ors ch un g – jedenfalls in Deuts ch land – bis da h in relativ weni g bes chä fti g t h atte und der au ch des h alb für ni ch t se h r komplex g e h alten wurde. Mittlerweile h at si ch das g edre h t: I nte g ration von Mi g ranten und was Medien da z u beitra g en können – das sind g erade z u Mode- t h emen g eworden, mit denen si ch t äg li ch Vortr äg e, Sendun g en und Kon g resse befassen, so dass die Viels ch i ch ti g keit dieser Probleme deutli ch g eworden ist. Man brau ch t h eute keine L asswell- F ormel me h r, um ein z use h en, dass die Be- deutun g von Medien für g esells ch aftli ch e I nte g rationspro z esse diverse E le- mente öffentli ch er Kommunikation betrifft, die es alle z u untersu ch en g ilt. Dieser Komplexit ä t versu ch en wir mit unseren F ors ch un g en g ere ch t z u wer- den und h aben uns des h alb ents ch lossen, einen bunten Strauß von etli ch en 1 Geißler, Rainer/Pöttker, Horst ( Hrs g ) ( 2005 ) : Massenmedien und die I nte g ration et h nis ch er Minder h eiten in Deuts ch land. Problemaufriss – F ors ch un g sstand – Biblio g rap h ie. Bielefeld. 2 Geißler, Rainer/Pöttker, Horst ( Hrs g ) ( 2006 ) : I nte g ration dur ch Massenmedien. Medien und Mi g ration im internationalen Ver g lei ch . Mass Media I nte g ration. Media and Mi g ration: A Comparative Perspe c tive. Bielefeld. 3 Geißler, Rainer/Pöttker, Horst ( Hrs g ) ( 2009 ) : Media, Mi g ration, I nte g ration. E uropean and Nort h Ameri c an Perspe c tives. Bielefeld. Rainer Geißler/Horst Pöttker | Einleitung 8 T eilstudien z u diversen Aspekten der Gesamtproblematik Mi g ration, I nte g ra- tion und Medien z usammen z ustellen. Auf diese W eise ist ein Bu ch entstanden, dessen Vielfalt L eserinnen und L esern ins Au g e sprin g en wird. Der bunte Strauß f ä llt ni ch t auseinander, weil i h n das Band des I nte- g rationskon z eptes z usammen hä lt, das wir am Anfan g des 2005 ers ch ienenen ersten Projektbu ch es erl ä utert h aben. 4 Kur z g esa g t g e h t es darum, dass die h ier z u g runde g ele g te Be g riffli ch keit weder dem Assimilations- no ch dem Se g re g a- tions-Kon z ept fol g t, sondern die I nte g ration moderner E inwanderun g s g esell- s ch aften als einen T yp von so z ialem Z usammen h alt verste h t, der im Sinne von „E in h eit in Vers ch ieden h eit “ ni ch t auf et h nis ch e Homo g enit ä t der Gesell- s ch aftsmit g lieder aus ist, sondern deren kulturelle Differen z en beste h en l ä sst und anerkennt. Gesells ch aft wird na ch diesem interkulturellen I nte g rations- be g riff mö g li ch trot z , oder besser: mit et h nis ch er Hetero g enit ä t. F ür die F ra g e, dur ch was die vers ch iedenen T eile der Gesells ch aft in dieser Vorstellun g z u einem Gan z en verbunden werden, spielen Medien und J our- nalisten eine wi ch ti g e Rolle: Sie können die diversen so z ialen Se g mente über- einander informieren, sie können den Respekt vor Mens ch enre ch ten und Ver- fassun g s g runds ä t z en fördern und sie können in jedem Se g ment die Sensibilit ä t für die F unktionalit ä t der anderen Se g mente we c ken. Ges ch ie h t das, spre ch en wir von i nterkultureller medialer Integration E ine wi ch ti g e Vorausset z un g dafür ist, dass Mi g ranten und et h nis ch e Minder h eiten ni ch t nur von den Medien an- g emessen pr ä sentiert werden, sondern darüber h inaus im Medienpersonal an- g emessen repr ä sentiert sind, au ch damit i h re besondere Si ch t auf die Me h r- h eits g esells ch aft öffentli ch werden kann. Obwo h l die an g emessene Repr ä sen- tation von Minder h eiten in den Medien besser mit der in liberalen Demo- kratien g arantierten Äußerun g sfrei h eit vereinbar ist als me h r oder weni g er ver- bindli ch e Re g ulierun g en der Medienin h alte, h apert es besonders beim Mi g ran- tenanteil an den Kommunikatoren. Der entspre ch ende Medienumbru ch h at no ch ni ch t statt g efunden, au ch wenn der so z iale Umbru ch von der Kultur- nation z ur E inwanderun g s g esells ch aft, der faktis ch l ä n g st voll z o g en ist, dank politis ch er Aktivit ä ten endli ch den erw äh nten Umbru ch des g esells ch aftli ch en Diskurses na ch si ch g e z o g en h at. Die 13 Aufs ä t z e dieses Bandes werden aber ni ch t nur dur ch den z entralen Be g riff der interkulturellen medialen I nte g ration z usammen g e h alten, wir h aben jeweils z wei oder drei von i h nen um eine von fünf Kate g orien des I nte g ra- tionsdiskurses g ruppiert: Ges chichte , Journalisten, Diskriminierung , Mehrheitsmedien und Ethnomedien 4 V g l. Geißler, Rainer/Pöttker, Horst ( Hrs g ) ( 2005 ) : Massenmedien und die I nte- g ration et h nis ch er Minder h eiten in Deuts ch land. Problemaufriss – F ors ch un g s- stand – Biblio g rap h ie. Bielefeld, S. 15-79. Rainer Geißler/Horst Pöttker | Einleitung 9 Die Kate g orie Geschichte ist konstitutiv für F ors ch un g en, die das Z iel h a- ben, Kulturp h ä nomene deutend z u verste h en oder urs ä ch li ch z u erkl ä ren, denn sol ch en von Mens ch en h ervor g ebra ch ten P h ä nomenen ist ei g entümli ch , dass sie einem W andel unterworfen sind, also Geworden h eit oder eben Ge- s ch i ch tli ch keit an si ch h aben. Kulturp h ä nomene lassen si ch ni ch t verste h en oder erkl ä ren, wenn man ni ch t weiß, woraus sie h ervor g e g an g en sind, wenn man also i h ren h istoris ch en Hinter g rund ni ch t kennt. W as den h istoris ch en Hinter g rund von Mi g rationsp h ä nomenen und I nte g rationsproblemen in Deuts ch land betrifft, h aben wir uns in Übereinstimmun g mit dem Kon z ept des Sie g ener kulturwissens ch aftli ch en D F G- F ors ch un g skolle g s „ Medien-um- brü ch e “ dem Umbru ch um die W ende vom 19. z um 20. J a h r h undert sowie ei- nem weiteren Umbru ch Mitte des 20. J a h r h underts z u g ewandt. Sowo h l der Um g an g der deuts ch en Presse mit den aus den Ost g ebieten des Rei ch s ins I ndustrierevier an R h ein und Ru h r z u g ewanderten Polen als au ch die Beri ch t- erstattun g über das deuts ch -italienis ch e Anwerbeabkommen von 1955 z ei g t, dass die inte g rationsfreundli ch e Auf g es ch lossen h eit g e g enüber Mi g ranten, von der Politikerinnen und Politiker h eute g ern spre ch en, in Deuts ch land weni g er T radition h at als es das neue deuts ch e Selbstverst ä ndnis als E inwanderun g s- g esells ch aft ei g entli ch verlan g t. Dass die ins Ru h r g ebiet z u g ewanderten Polen als et h nis ch e Gruppe in der L okalberi ch terstattun g deuts ch er Z eitun g en vor dem E rsten W eltkrie g kaum vorkamen, z ei g t ebenso wie die Be z ei ch nun g ita- lienis ch er Arbeitsimmi g ranten als „F remdarbeiter “ – ein Ausdru c k, der z uvor im NS-Re g ime g ebr ä u ch li ch g ewesen war –, dass die I dee der interkulturellen I nte g ration frü h er in unserem L and ni ch t auf besonders fru ch tbaren Boden g efallen ist. Offenbar pr ä g te bis ins let z te Drittel des 20. J a h r h underts h inein die I dee der et h nis ch h omo g enen Kulturnation die Haltun g g e g enüber – ökonomis ch dur ch aus notwendi g en und offi z iell erwüns ch ten – E inwanderer- g ruppen und et h nis ch en Minder h eiten. Das musste von diesen als diskrimi- nierend empfunden werden. I n einem L and, in dem die Medien no ch bis vor weni g en J a h r z e h nten Mi g ranten die kalte S ch ulter z ei g ten, kann es kaum ver- wundern, wenn I nte g rationsbemü h un g en auf so z iale W iderst ä nde stoßen und weni g er erfol g rei ch sind, als es Mens ch enre ch te und eine g edei h li ch e E ntwi c k- lun g der Volkswirts ch aft erfordern. I n der wissens ch aftli ch en und politis ch en Diskussion über die Rolle der Massenmedien bei der I nte g ration et h nis ch er Minder h eiten beste h t in z wis ch en au ch in Deuts ch land Konsens darüber, dass eine an g emessene Beteili g un g von J ournalisten mit Mi g rations h inter g rund an der Medienproduktion eine wi ch - ti g e, wenn au ch keine h inrei ch ende Vorausset z un g für eine an g emessene Pr ä - sentation der Minder h eiten in den Medien ist. Da h er befassen si ch z wei der drei Beitr ä g e unter der Kate g orie Journalisten mit diesem Problem. E ine T otal- er h ebun g unter allen deuts ch en T a g es z eitun g en, bei der die met h odis ch en Rainer Geißler/Horst Pöttker | Einleitung 10 S ch wieri g keiten einer sol ch en Analyse z uta g e treten, z ei g t, dass in einer g roßen Me h r h eit der Z eitun g sredaktionen die ein h eimis ch en J ournalisten unter si ch sind und dass die J ournalisten mit Mi g rations h inter g rund nur einen win z i g en Anteil unter allen Z eitun g sjournalisten ausma ch en. E ine weitere explorative Studie ski zz iert Bemü h un g en um und Mö g li ch keiten z u einer besseren Beteili- g un g von J ournalisten, die z u g ewandert sind oder aus einer Z uwandererfamilie stammen. Sie weist g lei ch z eiti g auf viele Barrieren h in, die einer sol ch en E nt- wi c klun g im W e g e ste h en können. W ie wi ch ti g F orts ch ritte in diese Ri ch tun g sind, ma ch t die Befra g un g von deuts ch en Z eitun g sjournalisten aus Nordr h ein- W estfalen im dritten Beitra g deutli ch : E inerseits se h en diese dur ch aus i h re besondere Rolle bei der I nte g ration der et h nis ch en Minder h eiten; andererseits re ch er ch ieren sie nur in Ausna h mef ä llen z ur Situation der Mi g ranten und z u deren Problemen, und nur weni g e h aben aus journalistis ch en Gründen den Kontakt z u Mi g ranten oder Mi g rantenor g anisationen g esu ch t. Die Beitr ä g e unter der Kate g orie Diskriminierung widmen si ch der F ra g e, ob si ch das g runds ä t z li ch e Verbot, in journalistis ch en Beri ch ten die et h nis ch e Z u g e h öri g keit von Straft ä tern oder -verd ä ch ti g en z u nennen, tats ä ch li ch inte- g rationsfördernd auswirkt oder mö g li ch erweise so g ar ein I nte g rations h emmnis darstellt. Alle drei Untersu ch un g en z ei g en, dass dieses Verbot aus diversen Gründen für I nte g rationspro z esse problematis ch ist: Das Publikum nei g t da z u, eine vermutete et h nis ch e Z u g e h öri g keit z u er g ä n z en, wenn die Beri ch terstat- tun g diese I nformation vorent h ä lt. Und es l ä sst si ch z ei g en, dass J ournalisten von fixierten F ormulierun g sverboten, die von einer Unmündi g keit des Publi- kums aus g e h en, weni g h alten und Antidiskriminierun g sre g eln dieser Art des- h alb au ch nur un g ern befol g en. E ine mit der journalistis ch en Öffentli ch keits- auf g abe besser vereinbare Alternative w ä ren eben medienpolitis ch e Anstren- g un g en, für me h r Vielfalt im Medienpersonal z u sor g en. W ie das g es ch e h en kann, w ä re von den nordamerikanis ch en E inwanderun g s g esells ch aften z u ler- nen, womit ein in Kür z e ers ch einender fünfter Band des Projekts „ Mediale I nte g ration et h nis ch er Minder h eiten “ si ch bes ch ä fti g en wird. 5 Die beiden I n h altsanalysen z u den Mehrheitsmedien vermitteln einen E in- dru c k davon, wie viels ch i ch ti g und au ch widersprü ch li ch si ch der Umbru ch des politis ch en Diskurses vom „ unerwüns ch ten Ausl ä nder “ z ur „ notwendi g en Mi g ration und I nte g ration “ in den deuts ch en Mainstreammedien nieder g e- s ch la g en h at. E ine erstmals dur ch g efü h rte Lä n g ss ch nittanalyse, die im Ge g en- sat z z u den bis h eri g en I n h altsanalysen die Ver ä nderun g en in den Medien- in h alten quantitativ erfasst, kann bele g en, dass si ch in z wei Re g ional z eitun g en die „ ne g ativ ver z errte “ Darstellun g der Mi g ranten z wis ch en 1996 und 2006 5 Geißler, Rainer/Pöttker, Horst ( Hrs g ) ( 2009 ) : Medien und I nte g ration in Nord- amerika. E rfa h run g en aus den E inwanderun g sl ä ndern Kanada und USA. Bielefeld. Rainer Geißler/Horst Pöttker | Einleitung 11 deutli ch ab g es ch w ä ch t h at. I nsbesondere in den viel g elesenen Re g ionalteilen werden Mi g ranten 2006 er h ebli ch aus g ewo g ener pr ä sentiert als z e h n J a h re z uvor und h ä ufi g er als en g a g ierte Bür g er und Na ch barn vor g estellt, die g ut in Gesells ch aft und W irts ch aft inte g riert sind. Anders sie h t es beim Um g an g der Bild-Z eitun g und des Spiegel- Ma g a z ins mit Muslimen und dem I slam aus. Au ch na ch z wei I nte g rations g ipfeln und z wei I slamkonferen z en h at si ch an der über- wie g end einseiti g -ne g ativen Darstellun g der Muslime und des I slam ni ch ts ver ä ndert. Reli g ion und An h ä n g er des I slam werden in beiden Medien weiter- h in in einer fremd- und andersarti g en, h ä ufi g g ewaltbereiten Bedro h li ch keit, insbesondere im Z usammen h an g mit fundamentalistis ch em I slamismus und T errorismus, pr ä sentiert – ein Bild, in dem si ch die g roße Me h r h eit der in Deuts ch land lebenden Muslime ni ch t wiederfinden kann. Offensi ch tli ch fü h rt der journalistis ch e Kontakt mit der „ konkreten Mi g rantenwirkli ch keit vor Ort “ im Re g ionalteil der Z eitun g en z u einer besseren medialen I nte g ration als die Bes ch ä fti g un g mit Mi g ration und I nte g ration aus der erfa h run g sdünnen jour- nalistis ch en F erne. I m let z ten T eil des Bandes über Ethnomedien sind z wei Beitr ä g e der türki- s ch en T a g es z eitun g Hürriyet g ewidmet. E ine I n h altsanalyse der t ä g li ch en E uro- pa-Seiten dieses Mediums er h ä rtet die me h rfa ch g e ä ußerte Kritik an den se g re g ativen T enden z en i h rer I n h alte. I m Ge g ensat z z u den russis ch spra ch i g en Printmedien bietet Hürriyet i h ren L eserinnen und L esern so g ut wie keine I nte g rations h ilfen an; stattdessen fordert das Blatt die Bewa h run g der türki- s ch en Kultur in Deuts ch land ein sowie eine kritiklose Unterstüt z un g der politi- s ch en Positionen der türkis ch en Re g ierun g . Die überre g ionalen deuts ch en T a- g es z eitun g en ne h men – wie der z weite Beitra g z ei g t – h ä ufi g von Hürriyet No- ti z . Sie kritisieren me h r oder weni g er s ch arf deren nationalistis ch en T ürkei- z entrismus und warnen davor, Hürriyet als Spra ch ro h r der türkis ch st ä mmi g en Mi g ranten in Deuts ch land an z use h en. Beide Studien kon z entrieren si ch auf ein problematis ch es E t h nomedium, das allerdin g s in seiner Bedeutun g als mö g li- ch es I nte g rations h emmnis ni ch t überbewertet werden darf. Denn die Re z i- pientenanalyse unseres Projektes ma ch t deutli ch , dass die desinte g rativen T en- den z en der türkis ch en E t h nomedien von einer g roßen Me h r h eit der türkis ch - st ä mmi g en Mi g ranten dur ch aus kritis ch dur ch s ch aut werden. 6 Der let z te Bei- tra g beleu ch tet s ch ließli ch eine neue F a c ette der E t h nomedien, die der di g itale Medienumbru ch mö g li ch g ema ch t h at – die Kommunikation über W ikis, Blo g s und Online-Portale, dur ch die si ch das W orld W ide W eb z um so g e- nannten So c ial W eb entwi c kelte. Das I nternet bietet den et h nis ch en Minder- 6 V g l. Geißler/ W eber-Men g es ( 2009 ) : Media Re c eption and I deas on Media I nte- g ration amon g T urkis h , I talian and Russo-German Mi g rants in Germany. I n: Geißler/Pöttker 2009, wie Anmerkun g 3, S. 27-43. Rainer Geißler/Horst Pöttker | Einleitung 12 h eiten einerseits neue Kommunikationsmö g li ch keiten, weil traditionelle Z u- g an g ssperren z ur medial h er g estellten Öffentli ch keit entfallen. Andererseits unterlie g t au ch der Z u g an g z um So c ial W eb – insbesondere der aktive I nter- net g ebrau ch – weiter h in deutli ch en Z u g an g sbes ch r ä nkun g en. Die F ra g e, wel- ch en konkreten Beitra g das So c ial W eb z ur intra- und interkulturellen Kom- munikation und z ur Ausbildun g h ybrider I dentit ä ten leisten kann, ist bis h er kaum untersu ch t und stellt eine Herausforderun g an die so z ialwissens ch aft- li ch e Medienfors ch un g dar. Die Heraus g eber danken denen, o h ne die dieses Bu ch ni ch t h ä tte ers ch einen können: allen seinen Autorinnen und Autoren 7 , den wissens ch aftli ch en und studentis ch en Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projekts „ Mediale I nte- g ration et h nis ch er Minder h eiten “ , L ars Bus ch baum, Sebastian Re h ba ch , San- dra Sta h l sowie den Mitarbeiterinnen in den Sekretariaten in Dortmund und Sie g en, An g elika S ch omann und C h rista Still, und der Deuts ch en F ors ch un g s- g emeins ch aft sowie dem Spre ch er des Sie g ener F ors ch un g skolle g s „ Medien- umbrü ch e – Medienkulturen und Medien ä st h etik z u Be g inn des 20. und im Über g an g z um 21. J a h r h undert “ , Professor Dr. Peter Gendolla. E in besonde- rer Dank g e h t au ch wieder an unsere Kolle g en in Nordamerika, Professor Dr. Au g ie F leras ( University of W aterloo, Kanada ) und Professor Dr. Kennet h Star c k ( University of I owa, USA ) , von denen wir me h r Anre g un g en er h alten h aben, als dieses Bu ch erkennen l ä sst. Dortmund und Sie g en im November 2008 Rainer Geißler und Horst Pöttker 7 Bei Dur ch si ch t des Autor ( inn ) enver z ei ch nisses könnte der E indru c k entste h en, dass es in Dortmund z wei Universit ä ten g ibt; das ist ni ch t der F all, die frü h ere Universit ä t Dortmund h at si ch z um 1. November 2007 in T e ch nis ch e Universit ä t umbenannt. Teil 1: Geschichte 15 Horst Pöttker und Harald Bader Gescheiterte Integration? Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914 W ie si ch Medien bei der I nte g ration ( oder Se g re g ation ) et h nis ch er Minder h ei- ten ver h alten, ist au ch in der Rü c ks ch au eine bedeutsame F ra g e. F rü h eres Ge- lin g en oder S ch eitern des Z usammenlebens erlaubt ni ch t nur h istoris ch es L er- nen, sondern vermittelt au ch met h odis ch e und be g riffli ch e S ch ä rfun g h euti g en Z u g an g s. Unser kulturwissens ch aftli ch er Z u g an g z ur I nte g ration von Arbeits- mi g ranten vor 100 J a h ren fra g t dana ch , wel ch en Beitra g Medien bei der Ver- bindun g der T eile einer Gesells ch aft z u i h rem Gan z en ( v g l. Pöttker 2005: 40f. ) leisten oder vers ä umen können. Das Beispiel der polnis ch en E inwanderer im Ru h r g ebiet ist umso me h r für diese F ra g e g eei g net, als die Ru h rpolen g ern, insbesondere von Politikern, als Bele g für g elun g ene I nte g ration h eran g e z o g en werden. 1 Do ch tau g en die Ru h rpolen z um Beweis erfol g rei ch er I nte g rations g es ch i ch te ? W ir wollen uns besonders auf die F ra g e kon z entrieren, wel ch e Rolle Medien, damals fast aus- s ch ließli ch die Presse, für die E ntwi c klun g des Ver h ä ltnisses z wis ch en deut- s ch er Me h r h eitsbevölkerun g und polnis ch spra ch i g er Minder h eit g espielt h a- ben. Dabei g e h t es uns darum, wie si ch die Medien von Me h r h eit und Minder- h eit der Herausforderun g Mi g ration stellen und inwiefern si ch Muster finden lassen, an h and derer h euti g e Medien Orientierun g finden können. 1 Fragestellung und Methode Das Standardwerk über die Ru h rpolen, die Habilitationss ch rift des So z ial- h istorikers C h ristop h Kleßmann ( 1978 ) , h at bereits vor drei J a h r z e h nten die F ra g e na ch der I nte g ration der polnis ch en Minder h eit ins Z entrum der Ana- lyse g estellt. Kleßmann nennt neben inte g rationsfördernden F aktoren wie der deuts ch en Staatsan g e h öri g keit der meisten Ru h rpolen, die ni ch t aus dem Aus- 1 So meinte Bundesta g spr ä sident Norbert L ammert: „ Die I nte g ration der vielen pol- nis ch en Ber g arbeiter ist damals ni ch t allein dur ch die Ökonomie g elun g en, son- dern, o h ne g roßarti g e staatli ch e Pro g ramme, dur ch die Kultur – dur ch die Spra ch e und g emeinsame reli g iöse Orientierun g en und kulturelle T raditionen “ („ Apokalyp- tis ch e E rfa h run g en “ 2006: 191 ) . Au ch die I nte g rationsbeauftra g te der deuts ch en Bundesre g ierun g , Maria Bö h mer, verweist auf Hu g enotten und Ru h rpolen als h istoris ch e Beispiele g elun g ener I nte g ration (z um Beispiel Bö h mer 2006: 212 ) Horst Pöttker/Harald Bader | Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914 16 land, sondern aus den a g raris ch en Ost g ebieten des damali g en Deuts ch en Rei ch s ins Ber g bau- und I ndustrierevier an der Ru h r ein g ewandert waren, au ch eine Rei h e von Umst ä nden und T enden z en, die desinte g rativ g ewirkt h aben, etwa der dur ch die T eilun g und fe h lende Staatli ch keit Polens das g an z e 19. J a h r h undert h indur ch an g e h ei z te polnis ch e Nationalismus, der auf deuts ch en C h auvinismus traf. Pointierter als in seiner Habilitationss ch rift h at si ch Kleß- mann sp ä ter z ur F ra g e des Gelin g ens oder Misslin g ens des I nte g rations- pro z esses g e ä ußert. Seine T h ese war dabei, dass die nationale polnis ch e Sub- kultur im Ru h r g ebiet z un ä ch st stabilisierend und lan g fristi g assimilatoris ch wirkte ( Kleßmann 1984: 487 ) 2 Kann man im F alle der Ru h rpolen wirkli ch von einem erfol g rei ch en I nte- g rationspro z ess spre ch en ? Dafür wird die F ra g e, wie viele der Mi g ranten und i h rer Na ch kommen in Deuts ch land g eblieben sind und wie viele ni ch t, das wi ch ti g ste Kriterium sein. Von der Antwort auf diese F ra g e h ä n g t dann die z weite ab, die au ch für die h euti g e Medienpraxis von h o h em I nteresse ist: W enn es si ch um einen g elun g enen I nte g rationspro z ess h andelt, dann können wir na ch na ch a h menswerten Strukturen und Praktiken in der damali g en Main- stream- und E t h nopresse s ch auen. Handelt es si ch bei den Ru h rpolen da g e g en um einen F all von fe h l g es ch la g ener I nte g ration, dann müssen wir unser Au- g enmerk auf Strukturen und Praktiken ri ch ten, die Medien und J ournalismus vermeiden sollten, wenn sie I nte g ration fördern wollen. E s ist uns ch wer ein z use h en, dass si ch unser Be g riff einer I nte g ration, dur ch die kulturelle Vers ch ieden h eiten z wis ch en den das Gan z e der Gesell- s ch aft bildenden Bevölkerun g sse g menten ni ch t an g etastet werden, vom Be g riff „ Assimilation “ , der kulturelle Homo g enit ä t z ur Bedin g un g von g esells ch aft- li ch er Gan z h eit ma ch t, wesentli ch unters ch eidet. No ch deutli ch er wird dieser Unters ch ied, wenn man den Be g riff der „I nterkulturellen medialen I nte g ra- tion “ verwendet, den wir spe z iell auf die T h ematik Medien und Mi g ration z u g es ch nitten h aben ( v g l. Geißler 2005: 73-76 ) . Diese Be g riffli ch keit ste h t aber ni ch t nur in Kontrast z um Kon z ept der Assimilation, sondern au ch z u dem der Se g re g ation b z w. z u Vorstellun g en, die im Hinbli c k auf Mi g ranten und et h nis ch e Minder h eiten auf die F ra g e na ch dem g esells ch aftli ch en Z usammen- h alt ver z i ch ten und stattdessen z um Beispiel allein den Be g riff der ( indivi- duellen oder kulturellen ) „I dentit ä t “ in den Mittelpunkt stellen. I n jedem I nte- g rationsansat z , au ch in unserem bewusst ni ch t auf Homo g enit ä t, sondern auf we ch selseiti g es W issen und Kommunikation über Vers ch ieden h eit h inwe g z ie- lenden Kon z ept h at die F ra g e Priorit ä t: W ie ist Gesells ch aft mö g li ch ? W ir verbinden sie allerdin g s mit der I dee, dass die I dentit ä t des I ndividuums oder 2 Ä h nli ch ar g umentieren Mi c us/ W alter ( 2006 ) – eine „ Parallel g esells ch aft “ tra g e z ur s ch rittweisen I nte g ration bei. Horst Pöttker/Harald Bader | Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914 17 der Gruppe z u respektieren ist. I n diese Betra ch tun g sweise spielt die Pr ä misse h inein, dass Gesells ch aftli ch keit, die die I dentit ä t von I ndividuen oder Grup- pen z erstört, auf die Dauer selbst keinen Bestand h aben kann. W as die Met h ode betrifft, passt sie si ch den Ge g enst ä nden der ein z elnen Abs ch nitte an. I m ersten Abs ch nitt, der Aufs ch luss g eben soll, ob die I nte- g ration der Ru h rpolen erfol g rei ch verlaufen ist oder ni ch t, analysieren und interpretieren wir bereits vor h andene Daten, Dokumente und L iteratur. I n den beiden fol g enden Abs ch nitten, die der Beri ch terstattun g der deuts ch en L okal- presse sowie der polnis ch en E t h nopresse nebst deren selektiver Überset z un g dur ch die deuts ch e Überwa ch un g sbe h örde g ewidmet sind, stellen wir E r g eb- nisse einer ei g enen, quantitativen und qualitativen I n h altsanalyse von h istori- s ch em Z eitun g smaterial vor. I m let z ten Abs ch nitt s ch ließli ch deuten wir diese Analyseer g ebnisse aus interaktionistis ch er Perspektive im Hinbli c k auf den die Ru h rpolen betreffenden I nte g rationspro z ess. Uns g e h t es dabei ni ch t um h istoris ch e Medienkritik, sondern um strukturelle E insi ch ten, aus denen S ch lüsse für die Ge g enwart z u z ie h en sind. 2 Polnische Migranten im Ruhrgebiet Von der Rei ch s g ründun g 1871 bis z um Be g inn des E rsten W eltkrie g s 1914 ver z e h nfa ch te si ch die Men g e der im Ru h r g ebiet g eförderten Steinko h le, w ä h - rend die Bele g s ch aft der Z e ch en um rund das Siebenfa ch e wu ch s. I m Ober- ber g amtsbe z irk Dortmund bra ch ten im J a h re 1870 52.160 Ber g leute 11.813.000 T onnen Ko h le h ervor, w ä h rend es im J a h re 1913 bereits 401.715 Ber g arbeiter und Grubenbeamte waren, die 110.765.000 T onnen förderten. Damit war der Hö ch ststand sowo h l des Produktionsumfan g s als au ch der Pro- duktivit ä t im Ru h rber g bau errei ch t, der z wis ch en 1914 und 1924 ni ch t wieder errei ch t wurde, am weni g sten unmittelbar na ch dem Krie g im J a h re 1919, als die F ördermen g e rapide auf weni g er als 70 Millionen T onnen der für wirt- s ch aftli ch en W iederaufbau und Reparationsleistun g en drin g end benöti g ten Ko h le sank ( v g l. Kleßmann 1978: 263f. ) Das I ndustrialisierun g swunder an der Ru h r w ä re ni ch t mö g li ch g ewesen, wenn ni ch t z wis ch en 1880 und dem E rsten W eltkrie g Hunderttausende von Polen aus den vier preußis ch en Ostprovin z en Posen, S ch lesien, W estpreußen und Ostpreußen um besserer L ebens ch an c en willen i h re Heimat verlassen h ä tten und ins westf ä lis ch e Ber g baurevier ( ebenfalls preußis ch ) ein g ewandert w ä ren. Über 99 Pro z ent der damali g en polnis ch en Mi g ranten besaßen die deuts ch e Staatsan g e h öri g keit, sodass für die I dentifi z ierun g dieser et h nis ch en Minder h eit neben dem ei g enen Geburtsort oder dem der E ltern wei ch e und Horst Pöttker/Harald Bader | Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914 18 we ch sel h afte Kriterien wie die Spra ch e oder die Reli g ion 3 h eran g e z o g en werden müssen. Keine g roßen Abwei ch un g en z ei g en si ch z wis ch en den Da- tenan g aben der deuts ch en und der polnis ch en L iteratur, au ch weil si ch die beiden Standardwerke von C h ristop h Kleßmann h ier, Krystyna Mur z ynowska ( 1979 ) da z um er h ebli ch en T eil auf dieselben Quellen stüt z en. 4 Un g ea ch tet diverser Uns ch ä rfen er g ibt si ch fol g endes g robes Bild: J a h r M e ns ch e n p oln i s ch er Ab s t ammun g P oln i s ch Sp re ch e nd e ( na ch K l e ß mann 1978 ) P oln i s ch Sp re ch e nd e ( na ch M u r z y no w ska 1979 ) 1870 10 1880 40 1890 122 32 36 1900 333 127 143 1910 497 274 304 ( preußis ch e Statistik ) 406 ( Provin z ialstatistik ) 1912 457 Abbildun g 1: Polen aus den deuts ch en Ostprovin z en im Ru h r g ebiet ( in T ausend ) 5 Neben der wesentli ch h ö h eren An g abe in der Provin z ialstatistik z ei g t si ch h ier eine g ewisse T enden z des deuts ch en Autors, die polnis ch e Bevölkerun g im Ru h r g ebiet kleiner z u s ch ä t z en als die polnis ch e Autorin. W enn man die z wis ch en 1910 und 1914 fort g eset z te Z uwanderun g sbewe- g un g berü c ksi ch ti g t, ist an z une h men, dass am Vorabend des E rsten W eltkrie g s z wis ch en 450.000 und 550.000 Mens ch en mit polnis ch em Mi g rations h inter- g rund in den preußis ch en Provin z en R h einland und W estfalen lebten, davon eine überw ä lti g ende Me h r h eit im Ru h r g ebiet. Als An h altspunkt kann man si ch etwa eine h albe Million Ru h rpolen am Hö h epunkt der Z uwanderun g merken, was dem Umfan g der jüdis ch en Minder h eit im g esamten Deuts ch en Rei ch ent- spra ch 3 Die polnis ch en Mi g ranten waren dur ch g e h end kat h olis ch , w ä h rend die ein h eimi- s ch en W estfalen jeweils z ur H ä lfte in Protestanten und Kat h oliken z erfielen. E ine Ausna h me bildete die in si ch g es ch lossene Gruppe der protestantis ch en, mo- nar ch istis ch ein g estellten Masuren aus Ostpreußen, die etwa ein Drittel der E in- wanderer stellte ( v g l. Kleßmann 1978: 262 ) 4 I m W esentli ch en die z entralen statistis ch en J a h rbü ch er für den Preußis ch en Staat einerseits und die verwaltun g sinternen Daten der Provin z en W estfalen und R h einland andererseits, wobei es z wis ch en offi z ieller preußis ch er Statistik und Provin z ialstatistik dur ch aus nennenswerte Abwei ch un g en g ibt. 5 Na ch Kleßmann ( 1978: 37, 260 ) und Mur z ynowska ( 1979: 25, 30f. ) Horst Pöttker/Harald Bader | Polnische Migration und Presse im Ruhrgebiet vor 1914 19 1890 1910 K rei s e i m R u h r g e b iet a b solu t % a b solu t % Re c klin g h ausen Stadt 716 5,1 12.404 23,1 Re c klin g h ausen L and 3.988 5,8 40.847 15,7 Dortmund Stadt 626 0,7 9.722 4,5 Dortmund L and 1.699 2,2 26.024 12,2 Bo ch um Stadt 1.120 2,4 6.269 4,6 Bo ch um L and 2.038 2,7 10.834 9,0 Gelsenkir ch en Stadt 1.930 6,9 15.065 8,9 Gelsenkir ch en L and 7.964 7,1 25.383 17,7 Herne Stadt 2.121 15,2 12.364 21,6 Hamborn Stadt 27 0,6 17.432 17,1 E ssen Stadt 211 0,3 3.805 1,3 E ssen L and 1887 1,2 17.699 6,4 Abbildun g 2: Polnis ch e Bevölkerun g ( o h ne Masuren und Doppelspra ch i g e ) in den polenrei ch sten Kreisen des Ru h r g ebiets 6 Die re g ionale Verteilun g der polnis ch en Z uwanderun g auf das Ru h r g ebiet war un g lei ch m ä ßi g . Das Z entrum der frü h esten polnis ch en Arbeitsmi g ration in den 1870er- J a h ren war Bottrop. Sp ä ter kon z entrierte si ch die polnis ch e Bevöl- kerun g auf die Re g ionen um Dortmund, Bo ch um, Gelsenkir ch en und E ssen, wobei der Anteil in den jeweili g en L andkreisen er h ebli ch h ö h er la g als in den St ä dten. E ine Ausna h me davon ma ch te Re c klin g h ausen, wo die Stadt 1910 mit 23,1 Pro z ent ( 12.000 ) den h ö ch sten polnis ch en Anteil aller Kreise des Ru h r- g ebiets über h aupt h atte, w ä h rend der Kreis Re c klin g h ausen L and mit 15,7 Pro- z ent relativ betra ch tet darunter la g . Absolut g ese h en lebten h ier mit 41.000 allerdin g s me h r Polen als in jedem anderen Kreis des Ru h r g ebiets, sodass Re c klin g h ausen eindeuti g den S ch werpunkt der polnis ch en Mi g ranten bildete ( v g l. Kleßmann 1978: 267 ) . Die Kreise Re c klin g h ausen Stadt und L and h atten 1910 z usammen 313.869 E inwo h ner, davon 53.251 Polen, also me h r als jeder se ch ste. 7 Und mindestens 10 Pro z ent der Ru h rpolen lebten kur z vor dem E rs- ten W eltkrie g in Re c klin g h ausen und Um g ebun g Hinsi ch tli ch der So z ialstruktur der polnis ch en Minder h eit ist bemerkens- wert, dass in der Anfan g sp h ase z war überwie g end unver h eiratete jun g e M ä n- ner oder ver h eiratete Ber g leute o h ne i h re F amilien z uwanderten. Die ras ch e Z una h me des weibli ch en Anteils an der polnis ch en Bevölkerun g im Ru h r- g ebiet z ei g t jedo ch , dass viele i h re Br ä ute oder F amilien bald na ch z ie h en ließen 6 Na ch Kleßmann ( 1979: 267 ) 7 E i g ene Bere ch nun g en na ch den An g aben bei Kleßmann ( 1979: 267 )