INTERVIEW Politik > Irans Atomprogramm: Nahost-Analyst Guido Steinberg im Gespräch TEHERANS ATOMPROGRAMM Nahost-Analyst Guido Steinberg: "China hätte keine großen Probleme mit einer Nuklearmacht Iran" Arbeiter vor dem iranischen Kernkraftwerk Buschehr im Süden des Landes. Im stern-Gespräch spricht der Nahost-Experte Guido Steinberg darüber welche Rolle der Iran in Zukunft als Nuklearmacht spielen könnte © AP Photo/Mehr News Agency/Majid Asgaripour / Picture Alliance stern PLUS Gesellschaft Politik Panorama Kultur Lifestyl von Uli Rauss 26.07.2023, 17:11 • 5 Min. MERKEN Der Iran steht an der Schwelle zum Atombombenbau. Und die Regionalmächte Saudi-Arabien und Israel sind dabei, sich damit zu arrangieren. Das sagt Guido Steinberg, Islamwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik. Was hat das für Folgen für Europa? Und was brächte es, die Revolutionsgarden auf die EU-Terrorliste zu setzen? Die mehrmonatigen Proteste nach dem Tod der jungen Mahsa Amini in Gewahrsam iranischer Sittenwächter haben die Machthaber in Teheran nie wirklich in Gefahr bringen können. Das Regime sitzt fest im Sattel, nicht zuletzt dank des brutalen Einsatzes der iranischen Revolutionsgarden. Wie sind die einzuordnen? Sie verbinden innen- und außenpolitische Aufgaben, operieren militärisch, geheimdienstlich und politisch und kommandieren auch primitive Schlägertrupps. Die Revolutionsgarden sind besonders groß, etwa 125.000 Mann allein ihr Militär, dazu Hunderttausende Milizen. Die Garden sind die ideologische Armee eines ideologischen Regimes, ähnlich wie das die SS in Nazi-Deutschland war – mit dem Unterschied natürlich, dass es die Judenvernichtung in Iran nicht gibt. © Marc Darchinger Guido Steinberg Zum Apparat der Revolutionsgarden zählen die Quds- Brigaden – sie gelten als Teherans Terrorarm im Ausland. Die Quds-Brigaden sind eine Teilstreitkraft, die Verbündete im Ausland identifiziert, aufbaut, berät und unterstützt, teils über Jahre oder gar Jahrzehnte wie im Libanon, im Irak, im Jemen, in Syrien und in Afghanistan. Sie treten auf wie Spezialkräfte westlicher Armeen, aber auch als Geheimdienstler und Diplomaten. Irans Botschafter in Bagdad ist meist ein Quds-Offizier. Die Quds-Brigaden agieren oft wie nichtstaatliche Terroristen und arbeiten fast nur mit Terrororganisationen wie Hisbollah zusammen. Und sie verüben im Ausland eigenständig Terroranschläge, nicht zuletzt gegen israelische und jüdische Ziele. Der Islamwissenschaftler forscht seit Jahren bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin über die Zeitgeschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens mit den Schwerpunkten Persischer Golf, Islamismus und islamistischer Terrorismus. Er tritt als Gutachter für die deutsche Justiz in Terrorismusverfahren auf und ist Autor zahlreicher Fachbücher, unter anderem über den Machtkampf zwischen Iran und Saudi-Arabien am Golf. Anfang des Jahres verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, die Revolutionsgarden auf die EU- Terrorliste zu setzen. Was würde das bringen? Ich habe Verständnis dafür, wenn die Europäische Union sagt: Wir möchten ein Zeichen setzen. Symbolische Politik kann ja auch bedeutsam sein als Signal der Unterstützung für die Protestbewegung. Diplomatisch wäre eine solche Listung für den Iran eine Niederlage. Da viele Iraner, die etwas mit den Revolutionsgarden zu tun hatten oder haben, bei Botschaften, Konsulaten und Kulturzentren in der westlichen Welt beschäftigt sind, würde eine Listung deren Handlungsspielraum einengen. GEISELDIPLOMATIE INTERVIEW Ich bin trotzdem dagegen. Und zwar aus dem einfachen Grund, dass die Revolutionsgarden keine Terroristen sind. Terroristen sind substaatliche Gruppierungen. Die Revolutionsgarden sind reguläres Militär mit den dazugehörigen Strukturen, mit Uniformen und Epauletten, und reguläres Militär gehört nicht auf Terrorlisten. Als "terroristisch" kann man allerdings die Quds-Brigaden ansehen. Ihre Listung wäre methodisch sehr viel sauberer und würde uns den Vorwurf ersparen, dass wir einfach alle Bösen auf unsere Terrorliste setzen. Das machen die Russen, die Ägypter und die Vereinigten Arabischen Emirate; die Europäer sollten es nicht tun. Auch die USA haben die Garden auf ihre Terrorliste gesetzt. Warum sollte Europa nicht ihrem Beispiel folgen? Zumindest im Hinterkopf behalten muss man mögliche Reaktionen Irans: Als die Amerikaner die Revolutionsgarden listeten, setzte Teheran US-Militär auf ihre Terrorliste. Damit müssten wir dann auch für europäische Armeen rechnen. Jeder ehemalige Islamwissenschaftler Guido Steinberg: "Ich sehe keine Möglichkeit, Herrn Sharmahd über einen Deal aus dem Iran herauszuholen" Bundeswehrsoldat, der in die Hände der Iraner gerät, liefe Gefahr, als Terrorist verurteilt und im schlimmsten Fall auch hingerichtet zu werden. Wie funktioniert das Auslandsnetz der Revolutionsgarden in Deutschland und der EU? Das iranische Geheimdienstministerium und der Geheimdienst der Revolutionsgarden haben eine starke Präsenz in Europa. Sie haben Personal in den jeweiligen Botschaften, teils offiziell, teils inoffiziell. Die halten die Kontakte zu Unterstützern, beispielsweise Hisbollah- Mitgliedern aus dem Libanon, aber auch irantreuen Personen, die illegal in Europa sind und bereit für Anschläge – etwa im Fall eines israelischen Angriffs auf das Atomprogramm. Wir haben die Iraner in den letzten Jahren mehrfach am Werk gesehen. Es gab in der westlichen Welt Anschlagsversuche mit Kontakten in der Organisierten Kriminalität, aber eben auch den Herrn Assadollah Assadi, Mitarbeiter des Geheimdienstministeriums und als solcher als Diplomat in Wien akkreditiert, der dabei war, einen Terroranschlag nahe Paris zu organisieren. Die Blaue Moschee in Hamburg besteht fort, obwohl sie unseren Sicherheitsbehörden als eine Art illegale Geheimdienst- Residentur mit potenziell operativen Aufträgen gilt. Das Zögern der deutschen Politik in diesem Fall ist mir vollkommen unverständlich. Über der Frage nach dem richtigen Umgang mit Teheran schwebt die Bedrohung durch das Nuklear- und Raketenprogramm. Trotz einer Hinrichtungswelle gegen Oppositionelle laufen wieder Gespräche westlicher Vertreter mit dem Iran zum Nuklearthema. Wie nah ist die iranische Atombombe? Ganz klar ist, dass es das Atomabkommen von 2015 mit dem Westen nicht mehr geben wird. Einfach deshalb, weil die Iraner mittlerweile bei der Anreicherung viel weiter sind. Wir müssen davon ausgehen, dass sie genug spaltbares Material für einige Atombomben binnen kurzer Zeit produzieren können oder bereits haben. Der Iran steht kurz davor, Nuklearmacht zu werden. Die Frage ist, begnügen sich die Iraner damit, dass ihre Gegner wissen, dass sie in vielleicht ein oder zwei Jahren in der Lage wären, nukleare Sprengköpfe herzustellen und Raketen mit diesen zu bestücken? Oder aber gehen sie trotz aller Dementis in ihrem militärischen Programm weiter? Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Iraner ihr Programm gerade jetzt stoppen könnten. Sie haben seit 1987 zielgerichtet an einer nuklearen Bewaffnung gearbeitet und enorme Kosten, harte Sanktionen und eine weitgehende internationale Isolierung in Kauf genommen, um ihr Ziel zu erreichen. Zudem mehren sich die Hinweise, dass die Israelis vielleicht doch nicht angreifen werden. Die israelische Rhetorik klingt völlig anders. Wechselnde israelische Regierungen haben immer wieder gesagt, dass sie eine nukleare Bewaffnung Irans verhindern werden. Es ist auch weithin bekannt, dass die Regierung Netanjahu Pläne für einen Angriff in der Schublade hat. Es gibt aber eine Diskrepanz zwischen den öffentlichen Äußerungen, dass Israel eine nukleare Bewaffnung Irans nicht dulden wird, und den leiseren Tönen in Hinterzimmern, wo Fachleute Zweifel äußern, ob die Israelis militärisch überhaupt noch in der Lage sind, die Iraner weit zurückzuwerfen. Ganz einfach deshalb, weil sich viele Anlagen weit im Untergrund befinden. Die Amerikaner könnten den Israelis einen solchen Militärschlag ermöglichen oder selbst aktiv daran teilnehmen, doch es scheint im Moment so, als wollten sie das nicht. US-Präsident Joe Biden hat versichert, dass Iran keine Atombombe haben wird. Vor ein paar Monaten hätte ich immer noch gesagt, es wird diesen Angriff auf jeden Fall geben. Mittlerweile bin ich mir nicht mehr ganz so sicher. Ich kann mir trotz der Rhetorik Bidens durchaus vorstellen, dass ein Angriff ausbleibt und Iran in relativ kurzer Zeit eine vollwertige Nuklearmacht sein wird. Dafür sprechen auch die Entwicklungen der letzten Monate im Nahen Osten. Durch VATER DER ATOMBOMBE Oppenheimer entwickelte die Atomwaffe – und prägte das 20. Jahrhundert auf fürchterliche Weise. Nun wurde sein Leben verfilmt die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran geht ein ganz wichtiger Partner für eine Eindämmungspolitik gegenüber Iran verloren. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate lehnen einen Angriff öffentlich ab. China hat die Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Iran vorangetrieben, und wir können die Bedeutung dieses Schritts von China mitten in die Nahost-Politik gar nicht überschätzen. Weil man ihn auch so interpretieren könnte, als hielte jetzt China diplomatisch seine schützende Hand über Iran. Das verändert die Situation. Könnte China mit der iranischen Bombe oder der De- facto-Nuklearwaffenfähigkeit des Iran leben – und wenn ja, warum? China bezog klar Position gegen einen Atomwaffeneinsatz der Russen in der Ukraine. China sieht eine nukleare Bewaffnung Irans kritisch, was sich schon daran zeigt, dass es am Atomabkommen von 2015 beteiligt war. Doch macht es seitdem keine größeren Anstrengungen mehr, Iran an seinem Vorgehen zu hindern. Möglicherweise ist der Grund, dass dies die amerikanische Vorherrschaft am Golf beeinträchtigen würde. Dies spricht aus meiner Sicht dafür, dass sie keine großen Probleme mit einer Nuklearmacht Iran hätten. #THEMEN Iran • EU • Teheran • Europa • Revolutionsgarde • Atomprogramm • Berlin • Stiftung Wissenschaft und Politik • China • Libanon • Geheimdienst • Vereinigte Arabische Emirate • Israel • Saudi-Arabien MEHR ZUM THEMA Der stern sprach mit Guido Steinberg auch jüngst über die iranische Geiseldiplomatie. Das ganze Interview lesen Sie hier