Universitätsverlag Göttingen „Wir schützen unseren Park“ Aushandlungsprozesse von Räumen, Identitäten und Institutionen im Pendjari-Nationalpark (Benin) Sascha Kesseler Göttingen Series in Social and Cultural Anthropology Sascha Kesseler „Wir schützen unseren Park“ Dieses Werk ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 International Lizenz. erschienen als Band 9 in der Reihe „Göttinger Reihe zur Ethnologie – Göttingen Series in Social and Cultural Anthropology“ im Universitätsverlag Göttingen 2017 Diese Reihe ist eine Fortsetzung der „Göttinger Beiträge zur Ethnologie“ Sascha Kesseler „Wir schützen unseren Park“ Aushandlungsprozesse von Räumen, Identitäten und Institutionen im Pendjari-Nationalpark (Benin) Band 9 Göttinger Reihe zur Ethnologie - Göttingen Series in Social and Cultural Anthropology Universitätsverlag Göttingen 2017 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.dnb.de> abrufbar. “Göttingen Series in Social and Cultural Anthropology” Editors Prof. Dr. Elfriede Hermann Prof. Dr. Andrea Lauser Prof. Dr. Roman Loimeier Prof. Dr. Nikolaus Schareika Institute of Social and Cultural Anthropology Georg-August-Universität Göttingen Theaterplatz 15 D-37073 Göttingen Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den Göttinger Universitätskatalog (GUK) bei der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (http://www.sub.uni-goettingen.de) erreichbar. Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Satz und Layout: Steffen Herrmann Coverabbildung: Versammlung der Avigref im Anrainerdorf Batia; Sascha Kesseler © 2017 Universitätsverlag Göttingen http://univerlag.uni-goettingen.de ISBN: 978-3-86395-262-4 DOI: https://doi.org/10.17875/gup2017-1026 eISSN: 2512-6881 Allen, die mit mir geforscht haben. Inhalt Danksagung ................................................................................................. 11 Vorwort von Nikolaus Schareika ..................................................................... 13 Einleitung: Die soziale Produktion eines Nationalparks ........................... 17 1 Theoretischer Rahmen ....................................................................... 25 1.1 Verhandlungsprozesse und Macht ........................................................ 27 Verhandlungsprozesse .......................................................................... 27 Macht .................................................................................................. 29 1.2 Raum ................................................................................................... 31 Raum in der Sprache ........................................................................... 31 Raum in den Sozialwissenschaften ...................................................... 33 Raumkonstruktion .............................................................................. 33 Struktur und Handlung im Raum ....................................................... 35 Spacing und Syntheseleistung ............................................................... 35 Espace conçu – espace vécu – espace perçu ............................................... 39 Raum und Macht ................................................................................ 41 1.3 Werte, Normen, Institutionen .............................................................. 44 Die Verwaltung natürlicher Ressourcen und das Allmende-Problem ... 45 Effektivität und Stabilität von Institutionen ......................................... 48 Die Verknüpfung von Raum und Institution ....................................... 50 1.4 Identität ............................................................................................... 52 Die Konstruktion von Identität ............................................................ 52 Die Verknüpfung von Identität und Raum .......................................... 54 1.5 Zusammenfassung ............................................................................... 56 8 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ 2 Methoden und Forschungskontext ................................................... 59 2.1 Rahmenbedingungen, Forschungsregion und explorative Phase .......... 61 2.2 Vertiefung der Jagdthematik ................................................................ 69 Teilnehmende Beobachtung und Fallstudien ....................................... 73 Meine Rolle als Beobachter, Vermittler und Teilnehmer ...................... 75 2.3 Interpretation und Analyse der Daten .................................................. 78 3 Geschichte(n) der Pendjari ................................................................ 83 3.1 Vorüberlegungen zur Analyse der Geschichte ...................................... 85 Die longue durée ................................................................................... 88 Die longue durée und der Raum ........................................................... 89 Verbindungen von Geschichte(n) und Erinnerungen mit Räumen, Identitäten, Normen und Institutionen ................................................ 92 Erinnerungsorte ................................................................................... 96 3.2 Die vorkoloniale Zeit ........................................................................... 100 Migrations- und Siedlungsgeschichte(n) .............................................. 100 Firstcomer und latecomer ...................................................................... 102 Siedlungsgeschichte der Gulmanceba ................................................... 105 Busch und Dorf – bedrohliche Wildnis vs. behagliche Zivilisation ...... 112 Zusammenfassung und vertiefte Analyse ............................................. 120 3.3 Die koloniale Zeit ................................................................................ 121 Koloniale Eroberung und lokale Résistance ......................................... 121 Ausrufung des Pendjari-Nationalparks ................................................. 128 Exkurs: Die Ursprünge des Schutzgedankens und der Idee von ‚Nationalpark‘ ....................................................................... 129 Umgang mit den Schutzgebieten zur Kolonialzeit ................................ 140 Zusammenfassung und vertiefte Analyse ............................................. 145 3.4 Die Unabhängigkeit ............................................................................. 147 Fortführung der kolonialen Verwaltung .............................................. 147 Veränderung des Buschs ...................................................................... 154 Abwertung lokaler Autoritäten ............................................................. 155 Zusammenfassung ............................................................................... 157 3.5 Die partizipative Wende ...................................................................... 158 Der Cenagref und die Parkdirektion ..................................................... 164 Die Organisation und Funktion der Avigref ......................................... 169 Die Parküberwachung – s ervice de surveillance ..................................... 179 Éco-gardes in Batia ............................................................................... 189 Zusammenfassung und vertiefte Analyse ............................................. 206 3.6 Zusammenfassung des Kapitels ........................................................... 208 Inhalt 9 4 Jäger im Pendjari-Bogen .................................................................... 215 4.1 Die Jagd aus westlicher Perspektive ...................................................... 218 Jagd als Privileg der Elite ...................................................................... 218 Die koloniale Jagd ................................................................................ 221 Jagd als Krieg zwischen Kultur und Natur ........................................... 228 4.2 Jäger werden ........................................................................................ 230 Jägerfamilien und Klans ...................................................................... 230 Initiationsriten ..................................................................................... 232 4.3 Jagen lernen – Wissen austauschen ...................................................... 233 4.4 Jagdweisen ........................................................................................... 239 Chasse à la battue – Treibjagd ............................................................... 239 Chasse de nuit – Jagd in der Nacht ....................................................... 241 La grande chasse – Großwildjagd .......................................................... 243 4.5 Ökonomie der Jagd .............................................................................. 279 Prestigegewinn ..................................................................................... 279 Finanzieller Gewinn ............................................................................ 280 Exkurs zum Elfenbeinhandel ............................................................... 283 Motivation und Rechtfertigung ........................................................... 286 Kosten und Risiken ............................................................................ 288 4.6 Jagen, Heilen, Wahrsagen .................................................................... 290 4.7 Zusammenfassung ............................................................................... 292 5 Gründung einer Jägervereinigung .................................................... 297 5.1 Erste Schritte zur Jägervereinigung ...................................................... 298 5.2 Konflikte zwischen den Akteuren ........................................................ 304 Konflikte zwischen Jägern und Parkverwaltung ................................... 304 Konflikte zwischen der Parkdirektion und dem service de surveillance .. 314 Konflikte unter den Jägern ................................................................... 317 5.3 „Wahre Jäger“ – Zugehörigkeit zur Gruppe der lokalen Jäger ............... 319 Rückeroberung des öffentlichen Raums durch die Jäger ...................... 327 5.4 Die Umsetzung der Reform im Alltag ................................................. 329 Weitere Entwicklungen des service de surveillance ................................. 337 5.5 Zusammenfassung und Analyse ........................................................... 339 6 Schluss ................................................................................................ 355 7 Literatur ............................................................................................. 365 10 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ 8 Anhang ............................................................................................... 387 8.1 Abkürzungen ....................................................................................... 388 8.2 Glossar ................................................................................................. 390 8.3 Abbildungsverzeichnis ......................................................................... 395 8.4 Kartenverzeichnis ................................................................................ 397 8.5 Tabellenverzeichnis .............................................................................. 398 Danksagung Unzählige Personen haben mich in meinem Leben forschend begleitet. Ihnen allen gilt mein Dank für Hinweise, Entdeckungen, Gespräche, Begleitung, Übersetzung, einen Schlafplatz, ein Essen, Kritik, Aufmunterung, Ablenkung, Ideen, Korrektur, eine Umarmung und viele Dinge mehr... Sie alle aufzuzählen würde, obwohl es mir eine große Freude wäre, das Gleich- gewicht dieser Arbeit aufheben, weil es wohl mehr als 400 Seiten benötigen würde. In Gedanken und in meinem Herzen gehe ich die Liste aber immer wieder durch, sehe eine*n von Euch vor mir und bin dankbar dafür, dass er oder sie dabei waren. Eine Reihe ganz besonders involvierter Menschen möchte ich hier dennoch na- mentlich hervorheben und muss dabei eine willkürliche Grenze ziehen zu denen, die unerwähnt bleiben. Ich hoffe, dass ihr alle meine Dankbarkeit auch ohne explizite Erwähnung empfindet. Meinen Eltern danke ich für meine ersten forschenden Schritte, meiner Schwes- ter für das gemeinsame Suchen, Lucien Tentaga für seine Freundschaft und seine Hilfe im Feld, Aboubacar und Pascal Sambieni für ihre Welt, in die sie mich einge- führt haben, Beate und Matthias für ihr Zuhause und ihre (kritischen) Gedanken, Djafarou Tiomoko und Udo Lange für die Kooperation, Nikolaus Schareika für seine umsichtige Begleitung meiner Forschung und die konstruktiven Diskussionen, Thomas Bierschenk und Christian Meyer für das frühe Schüren meiner wissenschaft- 12 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ lichen Neugierde, Pierre-Yves Le Meur für Inspiration und einen besonderen Metho- denkurs, Roman Loimeier für die Zweitkorrektur und sein herzliches Willkommen in Göttingen, Bianca Volk für Freundschaft, Vergleichsmöglichkeiten, Diskussion und Kritik, Yves Hausser für seine Sicht auf die Jagd, Anne für die besonderen Fran- zösischstunden, Alice für einige Entdeckungen, Katinka für ihre Nähe, Denise für einen Zufluchtsort, Jann Duri für neue Sichtweisen, Tillmann für Anregungen und Ablenkungen, Paul, Laura, Fabian, Jannik, Valérie, Angelika, Damian, Mara, Anja, Verena, Volker, Gesa, Sina, Peter, Frau Ahlers, Susanne, Susan und viele weitere für Diskussionen, Korrekturen, gemeinsames Essen, Lachen und noch mehr. Die der Arbeit zugrundeliegende Forschung wurde im Rahmen des vom Bundes- ministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Forschungsverbunds BIOTA West Africa III und hier des Teilbereichs „Sozio-politische Dimension von Landnutzung und Artenschutz in Westafrika“ durchgeführt. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Projekts sowie den Geldgebern möchte ich ebenfalls danken. Vorwort Naturschutzgebiete wie Nationalparks und Biosphärenreservate, Naturschutzmaß- nahmen wie das Bekämpfen von „Wilderern“ oder Abgrenzen von Zugangsmöglich- keiten zu Ressourcen und Institutionen des Naturschutzes wie Forstgesetzte und Sanktionsverfahren führen Wissenschaftler und Laien immer wieder und allzu leicht in eine Falle, die in der Paradoxie dieser Schutzgebiete, Maßnahmen und Institutionen begründet liegt. Diese Mechanismen sollen eine vermeintlich „unbe- rührte Natur“ vom Einfluss kulturell und gesellschaftlich geprägten menschlichen Handelns abtrennen und sie auf diese Weise schützen und erhalten. Dabei sind aber diese Mechanismen selbst durch und durch kulturell, gesellschaftlich und politisch; der vom menschlichen Einfluss befreite und „Natur“ genannte Raum kann folg- lich nur eine Illusion sein; denn Form und Inhalt dieses Raumes sind ein Produkt menschlicher Intervention. Auch Ethnologen und andere Sozialwissenschaftler haben dieses Problem lange Zeit nicht konsequent aufgegriffen, und das obwohl die Brisanz der Thematik nicht erst seit der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UN- CED) 1992 in Rio de Janeiro offenkundig ist. In den neunziger Jahren erschienen erste wegweisende Aufsätze und Monographien, die aus der intensiv geführten De- batte um Natur-Kultur-Beziehungen und dem Feld der Politischen Ökologie kom- mend das Naturschutzgebiet zum Ort intensiver kultureller und sozialer Produktion 14 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ erklärten – einem Ort, der nicht nur aus natur-, sondern auch sozialwissenschaftli- cher Sicht als höchst ergiebig eingeschätzt werden kann. Die historische Arbeit von Roderick Neumann zu Ostafrika kann hier als wegweisend gelten. Neben theoretisch anspruchsvollen, empirisch ergiebigen und das Feld der ethnologischen Natur-Kultur-Debatte bereichernden Arbeiten schwoll allerdings insbesondere das Reservoir vermeintlich anwendungsbezogener, dabei aber sozial- wissenschaftlich wenig ergiebiger Projekt- und Forschungsliteratur zu den neuen Schlagwörtern community-based management und collaborative management an. Ge- nau hier setzt Sascha Kesselers Dissertation an. Sie greift das Problemfeld Naturschutz und Schutzgebietsverwaltung auf und formuliert dazu ein Forschungsprogramm, das zentrale Theoriefragen der Ethnologie und darüber hinaus der Sozialwissenschaften thematisiert und dafür geeignete grundlagenwissenschaftliche Begriffe und Untersu- chungsperspektiven informiert und reflektiert einsetzt. Über diesen Zugang gelingt es Sascha Kesseler dann allerdings auch, Ergebnisse und ein ethnologisches Wissen herauszuarbeiten, die für die praktische Aufgabe der partizipativen Verwaltung von Naturschutzgebieten in Afrika und darüber hinaus höchst relevant sind. In diesem Buch findet sich somit eine höchst gelungene Verbindung aus einer theoretisch gelei- teten und empirisch fundierten Grundlagenforschung mit einer praktisch verwert- baren und direkt umsetzbaren Anwendungsforschung. Die Arbeit trägt überdies zur Schließung einer Forschungslücke bei, weil sie sich in ethnographisch präziser Langzeitforschung – die empirischen Erhebungen fanden über einen Zeitraum von 19 Monaten in den Jahren 2008 bis 2010 statt – einem Schutzgebiet in Westafrika nähert. Im Gegensatz zum östlichen und südlichen Afri- ka gibt es wenig ethnologische Forschung zu den Naturschutzgebieten Westafrikas, und insgesamt sind klassische feldforschungsbasierte Langzeitstudien die Ausnahme. Kesseler widmet sich dem Pendjari-Nationalpark im Nordwesten der Republik Be- nin und untersucht ihn aus sozialkonstruktivistischer Perspektive als eine durch so- ziale und politische Praxis vollzogene Hervorbringung und damit als soziale Realität. Damit durchbricht Sascha Kesseler stark habitualisierte und hegemoniale Formen der Wahrnehmung unter Laien, Naturschützern und auch einigen Wissenschaft- lern, die Schutzgebiete über geometrisch gezogene Grenzlinien und eine kategoriale Klassifikation von Ressourcennutzungsmöglichkeiten und -verboten identifiziert. Er durchbricht damit ebenso eine politische Weltsicht, die ungeprüft eine weitgehende Übereinstimmung zwischen Regeln und deren Umsetzung annimmt und den Staat als eine alle soziale Realität umfassende Ordnung und nicht als eine von mehreren, gleichzeitigen und in Konkurrenz befindlichen Ordnungen begreift. Ausgangspunkt in Kesselers Untersuchung des Pendjari-Nationalparks sind folg- lich die mit diesem Schutzgebiet in Verbindung stehenden Akteursgruppen und die soziale Praxis, die diese Gruppen in Form von Kommunikation, Kooperation und Konflikt zusammenführt. Dabei beschränkt sich das Buch nicht auf eine dieser Ak- teursgruppen, sondern sucht gezielt nach den Schnittstellen zwischen verschiedenen Gruppen, die sie in Interaktion zusammenbringt. Auch wenn sich in Kesselers Arbeit Elemente einer akteureszentrierten Politikethnologie zeigen, so folgt sie doch nicht Vorwort 15 einem methodologischen Individualismus, bei dem der Untersuchungsschwerpunkt vornehmlich auf einer angenommenen und ahistorisch postulierten Interessenlage der Nutzenmaximierung der Akteure ruht. Vielmehr situiert Kesseler die Bevölke- rung der Pendjari-Region, die Jäger, die Förster, die éco-gardes (also aus lokaler Be- völkerung rekrutierte Wildhüter), die Parkleitung, die Sportjäger, die Naturschützer und die Entwicklungshelfer in dem historischen, geographischen und kulturellen Raum, in dem sie im Verlauf einer longue durée Wahrnehmungen, Klassifikationssys- teme, Werte, Normen, Identitäten und Institutionen entwickelt haben. Diese leiten die Akteure in ihrem aktuellen Handeln und werden in der Konfrontation mit dem Anderen selbst zum Gegenstand von Aushandlungen und Veränderung. Neben dem nichtprätentiösen, fundierten und für die Analyse und Formulierung wissenschaftlicher Ergebnisse produktiven Gebrauch theoretischer Begriffe profitiert die Arbeit von Sascha Kesselers überzeugenden Qualitäten als Feldforscher. Diese zeigen sich insbesondere in den präzisen Darstellungen ethnographischen Materials, die von sehr viel Spürsinn und Umsicht bei der Erfassung sozialer Situationen zeu- gen. Sascha Kesselers Forschung ist ein Beleg für die Stärke der teilnehmenden Be- obachtung, der Langzeitforschung und der für die Feldforschung charakteristischen engen Verbindung zwischen Forscher und Forschungspartnern. Kesseler nutzt diesen Forschungsstil nicht nur zur Arbeit mit den Jägern und bäuerlichen Dorfbewohnern der Pendjari-Region, sondern auch zur Erhebung von Daten aus dem Bereich der Parkverwaltung und der staatlichen Dienste. Wichtige Einsichten wurden möglich, weil der Autor Jäger, Förster und éco-gardes auf ihren – teilweise auch illegalen – Touren durch den Nationalpark begleitete bzw. Freizeit mit ihnen verbrachte (z. B. beim gemeinsamen Schauen von Fußballspielen). Die Vertrauensbasis, die bei sol- chen Gelegenheiten gelegt wurde, war zudem Voraussetzung für Einblicke, die bei Anwendung anderer Forschungsverfahren sicherlich verwehrt geblieben wären. Allerdings spannt Sascha Kesseler in seiner Untersuchung auch einen historischen Bogen – von der vorkolonialen Migrations- und Siedlungsgeschichte, über die Kolo- nialzeit und die Phase der frühen Unabhängigkeit hin zur partizipativen Wende, die die Voraussetzungen für die aktuelle Naturschutzgebietspolitik auf internationaler Ebene geschaffen hat. Damit zeigt er deutlich, wie im Verlauf und bedingt durch die Geschichte Sichtweisen, Raumvorstellungen, Identitäten und Institutionen aus- gebildet wurden, die das aktuelle Handeln der Akteure bzw. deren Interaktion und Kommunikation miteinander prägen und die aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit immer wieder zu Missverständnissen oder Interessenskonflikten führen. Besonders auffällig wird dabei der Kontrast im Naturverständnis der Bevölkerung des Pendjari- Bogens auf der einen und der Europäer auf der anderen Seite. Während die Natur für letztere einen eindeutigen Gegensatz zu Kultur und Gesellschaft bildet, ist sie für erstere ein Raum von Geistern und Möglichkeiten und notwendigerweise mit dem wirtschaftlichen, sozialen und rituellen Leben verbunden. Die lokalen Jägern bilden in dieser Forschung eine herausgehobene Gruppe von Akteuren. Sie nutzen den Park trotz entsprechender Verbote, Kontrollen und Strafen. Für die Förster und éco-gardes sind sie auf der einen Seite ein Feind – „Wilderer“ –, 16 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ den es unbarmherzig zu bekämpfen gilt; auf der anderen Seite kommt es aber auch in erheblichem Umfang zur Komplizenschaft zwischen Parkwächtern und Jägern, die sich miteinander an geltenden und bekannten Regeln vorbei und zum gegenseitigen Vorteil arrangieren, anstatt einen Fall von Wilderei zur Anzeige zu bringen. Kesseler zeigt, dass die Stigmatisierung der Jäger als „Wilderer“ selbst ein Produkt der kolo- nialen und postkolonialen Naturschutzpolitik ist, und nutzt die ethnographische Methode, um ein nichtnormatives und nichtanprangerndes Bild von dieser Gruppe zu zeichnen. Dabei erscheint die Jagd nicht nur als eine wichtige wirtschaftliche Einnahmequelle, sondern als eine in vielerlei Weise sozial bedeutungsvolle und in die gesellschaftlichen Strukturen der Region eingeschriebene Tätigkeit. Jäger sind beispielsweise Kulturheroen, die neue Siedlungsräume erschließen, koloniale Er- oberer bekämpfen, Ideale von Männlichkeit ausleben und die Schreine und Geister im Busch zum Wohle der Gemeinschaft aufsuchen. Mit der Etablierung der Natur- schutzzone wurde diese Form der mit lokalem kulturellen Sinn aufgeladenen Jagd kriminalisiert. Gleichzeitig wurde aber die europäische „Sportjagd“ zu einer legi- timen, Devisen bringenden und damit den Naturschutz indirekt fördernden Be- schäftigung erklärt. Obwohl sich die Jäger trotz dieser Einschränkungen in dem für sie nun illegalen Raum halten konnten, so haben sie in ihren Entfaltungsmöglich- keiten und damit in ihrem gesellschaftlichen Prestige deutlich gelitten. Kesseler kann aufzeigen, dass die Jäger aufgrund dieser schwierigen Situation an Alternativen und sogar an ihrer Einbeziehung in die Naturparkverwaltung interessiert waren. Diese ethnologische Auseinandersetzung mit dem Pendjari-Nationalpark gründet auf dem Postulat, dass die Wirklichkeit von Schutzgebieten und Naturschutzmaß- nahmen (z. B. Überwachung von Wildtieren, Schutz vor „Wilderern“) als soziale Praxis und damit als in sozialer Praxis und Interaktion hergestellte Strukturen, die auf diese Praxis zurückwirken, verstanden werden muss. Damit überwindet sie die Falle von Ethnozentrismus, der die kulturelle und historische Vielfalt von Naturauf- fassungen und -beziehungen verkennt, und von normativer Wissenschaft, die die Diskrepanz zwischen Plan und Wirklichkeit zum vorrangigen Forschungsproblem macht. Stattdessen gestattet eine konsequente und gekonnte Umsetzung der Me- thoden ethnologischer Feldforschung, die deutlich das feine Gespür des Forschers für soziale Zusammenhänge und Dynamiken erkennen lässt, den Nationalpark zu einem produktiven Feld sozialwissenschaftlicher Forschung zu machen. Göttingen, Dezember 2015 Nikolaus Schareika Einleitung: Die soziale Produktion eines Nationalparks „C’est à nous de protéger notre parc.“ (Es ist an uns, unseren Park zu schützen.) Nationalparks sind zu einem Phänomen von globaler Bedeutung geworden, in denen es um weit mehr als den Schutz von ‚Natur‘ oder ‚Biodiversität‘ geht. Im Jahr 2003 listen die Vereinten Nationen weltweit 3881 Gebiete als Nationalparks und über 12 Prozent der Landoberfläche unseres Planeten sind als Schutzgebiete im weiteren Sinne ausgewiesen (Chape et al. 2003: 21 ff.). In Benin mit seinen beiden großen Nationalparks „Pendjari“, auf den ich mich in dieser Arbeit konzentriere, und „W“ sind rund 28 Prozent der Staatsfläche als Schutzgebiete deklariert. 1 Neben der offen- sichtlichen ökologischen Dimension eines Nationalparks wird seine wirtschaftliche Bedeutung deutlich, wenn man die Fülle an natürlichen Ressourcen betrachtet, die durch ihn reglementiert und dadurch transformiert wird. Das Land oder besser die Landschaft mit ihren Hügeln, Wasserläufen, Pflanzen und insbesondere den Tieren stehen nicht mehr für die Land-, Forst- und Viehwirtschaft sowie die Fischerei und 1 Angabe der von der IUCN geführten World Database on Protected Areas: http://www.protectedpla net.net/; abgerufen am 15.4.2015. 18 Sascha Kesseler: „Wir schützen unseren Park“ Jagd zur Verfügung, sondern werden zu Ressourcen für den Tourismus und den in- ternationalen Naturschutz. Ein Blick auf die Besucherzahlen des Pendjari-National- parks und die finanzielle Unterstützung durch Organisationen des internationalen Naturschutzes sowie der Entwicklungszusammenarbeit zeigt sein wirtschaftliches Potential für ein Land wie Benin: Über 7000 Jagd- und Fotosafari-Touristen be- suchen jährlich den Pendjari-Nationalpark (Direction du Parc National de la Pend- jari 2009), 2 rund 136.000 € nahm der Park dadurch im Jahr 2008 ein (Lange 2008) und alleine die deutsche Entwicklungszusammenarbeit förderte die Parkverwaltung zwischen 1998 und 2006 mit knapp 13 Mio. € (BMZ 2006). 3 Über die wirtschaft- lichen und ökologischen Aspekte hinaus sind Nationalparks auch Projekte natio- naler und lokaler Identitätsbildung, wenn beispielsweise der Park als Naturerbe der Nation dargestellt wird oder sämtliche Bewohner 4 von Dörfern der Peripherie als ‚Anrainer‘ identifiziert werden. Nicht zuletzt ist ein Nationalpark, wie ich zeigen werde, auch ein Mittel zur Ausübung staatlicher Kontrolle in schwer zugänglichen Gebieten. Als Orte ökologischer, wirtschaftlicher und politischer Aushandlungen sind Schutzgebiete Brennpunkte der Konstruktion sozialer Realität und werden von West, Igoe und Brockington (2006: 252) daher als „rich sites of social production and social interaction“ bezeichnet. Des Weiteren sind sie Ursache und gleichzeitig Produkt von Verhandlungen, Konflikten und alltäglichen Interaktionen, durch die sie (re-)produziert und permanent gewandelt werden. Zwar sind der physische Raum des Parks und die in ihm befindlichen Ressourcen a priori vorhanden, aber erst durch den alltäglichen Umgang mit ihnen etablieren die im Park handelnden Akteure diese als spezifische und stets wandelbare Teile ihrer sozialen Realität. Die den Park konstruierenden Interaktionen finden sowohl zwi- schen den Menschen als auch zwischen den Menschen und der Umwelt statt. Aus soziokonstruktivistischer Perspektive wird deutlich, dass die Ausrufung eines Na- tionalparks per Gesetz, seine Absteckung mit Landmarken und seine Auszeichnung auf Karten (siehe auch Karte 1) lediglich technisch-administrative Teile des Prozesses sind, durch den diese Form des Ressourcenschutzgebietes in die Realität umgesetzt wird. Schon die Ausrufung eines Parks folgt, wie bereits erwähnt, nicht ausschließ- lich ökologischen Überlegungen, sondern ist, wie die Vertreter der politischen Öko- logie betonen, 5 immer auch ein wirtschaftliches, politisches und soziales Projekt. Die Produktion des Nationalparks als soziale Realität und die konstruierenden Inter- aktionen stehen im Zentrum meines Erkenntnisinteresses. Auf welche Weise pro- 2 Damit ist er einer der meistbesuchten Nationalparks in Westafrika. 3 Bierschenk & Elwert (1993) bezeichnen den Benin aufgrund seiner großen Abhängigkeit von externen Hilfsgeldern auch als „Rentier-Staat“. 4 Ich verwende in meiner Arbeit durchgehend das generische Maskulin, weil die Hauptakteure die- ser Arbeit aus der Parkverwaltung und die lokalen Jäger ausschließlich männlichen Geschlechts waren. Mit Bezeichnungen wie „Anrainer“ oder „Dorfbewohner“ sind explizit Menschen aller Geschlechter gemeint. 5 Einen Überblick über die politische Ökologie bieten Borgerhoff Mulder & Coppolillo (2005); Neumann (2005). Eine kurze Einführung findet sich in Schareika (2012).