Ays ̧e Uygun-Altunbas ̧ Religiöse Sozialisation in muslimischen Familien Globaler lokaler Islam Ays ̧e Uygun-Altunbas ̧ , geb. 1977, studierte Erziehungswissenschaften und Soziologie in Heidelberg und promovierte an der Fakultät für Bildungswis- senschaften der Universität Duisburg-Essen. Ays ̧e Uygun-Altunbas ̧ Religiöse Sozialisation in muslimischen Familien Eine vergleichende Studie Dem Fachbereich Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen zur Erlangung des akademischen Grades Dr. phil. vorgelegte Dissertation unter dem Originaltitel »Religiöse Sozialisation und religiöse Erziehung in muslimischen Familien« Erschienen im transcript Verlag 2017 Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bear- beitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Me- dium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative Commons Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfor- dert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut- schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Ays ̧e Uygun-Altunbas ̧ Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Serge Zimniy, fotolia.com Satz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4047-2 PDF-ISBN 978-3-8394-4047-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de Inhalt Danksagung | 11 I. Einleitung | 13 II. Religiöse Sozialisation und religiöse Erziehung in muslimischen Familien | 19 1. Muslime in Deutschland | 19 1.1 Die Ausgangslage in Zahlen und Fakten | 20 1.2 Muslimische Familien | 22 1.3 Die Religiosität von Muslimen | 26 1.4 Muslimische Organisationen und Vereine | 29 2. Stand der Forschung | 34 2.1 Religiöse Sozialisation in der Forschung | 34 2.1.1 Religiöse Sozialisation in Familien – Ergebnisse aus Expertisen, Berichten und Untersuchungen | 35 2.1.2 Das Aufwachsen in muslimischen Familien – Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen | 46 2.1.3 Zusammenfassung | 61 2.2 Religiöse Sozialisation in anderen Kontexten | 68 2.2.1 Im Kontext von außerschulischen Bildungseinrichtungen | 68 a) Außerschulische religiöse Bildungseinrichtungen in Moscheen und Vereinen | 69 b) Erfahrungen der Jugendlichen mit religiösen Bildungseinrichtungen | 71 2.2.2 Muslimische Kinder und Jugendliche im Kontext institutioneller Bildungseinrichtungen | 74 a) Empirische Ergebnisse zu den Erfahrungen mit dem Islam im schulischen Kontext | 76 b) Islamischer Religionsunterricht (IRU) an deutschen Schulen | 82 c) Muslimische Kinder in Kindertagesstätten und Kindergärten | 85 2.2.3 Peergroups, Freundschaften und das Verhältnis zu Andersgläubigen | 88 2.2.4 Die Medien | 93 2.3 Schlussfolgerungen und Forschungsleitfragen | 95 3. Analytischer Bezugsrahmen | 102 3.1 Was ist religiöse Sozialisation? | 103 3.1.1 Religiöse Sozialisation als eine Dimension der allgemeinen Sozialisation | 103 3.1.2 Sozialisation | 105 a) Sozialisation: einige Grundannahmen zum Sozialisationsprozess | 105 b) Sozialisation als produktive Verarbeitung der Realität | 108 3.1.3 Religiöse Sozialisation in der Familie | 112 a) Sozialisation und Erziehung | 113 b) Was ist Erziehung? Eine Annäherung an die Begriffsbestimmung | 114 c) Was ist religiöse Erziehung? | 117 d) Exkurs: normative Grundüberlegungen zur religiösen Erziehung im Islam | 119 3.1.4 Die Entstehung von Religiosität im Rahmen der Sozialisation | 125 a) Was ist Religiosität? Zur operationalen Definition von Religiosität | 125 b) »Dimensionen der Religiosität« nach Glock als heuristisches Analyseinstrument | 126 3.2 Folgerungen für den Untersuchungszusammenhang | 131 III. Empirische Untersuchung | 135 1. Methodik | 135 1.1 Die Begründung der Erhebungsmethode | 135 1.2 Das Erkenntnisinteresse/Erläuterungen zum Interviewleitfaden | 136 1.3 Die Auswahl der Probanden und Probandinnen | 141 1.4 Die Beschreibung der Untersuchungsgruppe | 143 1.5 Die Datenerhebung (Planung und Durchführung) | 145 2. Auswertung der Interviews | 148 2.1 Arbeitsschritte der Auswertung | 148 2.2 Die Auswertungsmethode | 150 2.3 Die Typenbildung | 153 3. Typologie religiöser Erziehungsvorstellungen | 155 3.1 Religiöser Erziehungstyp, der nach Sinn und Orientierung strebt – »Idealisten« | 155 3.2 Religiöser Erziehungstyp, bei dem die Einhaltung von religiösen Vorschriften von zentraler Bedeutung ist – »Ritualisten« | 168 3.3 Religiöser Erziehungstyp, der Identität und Persönlichkeit in den Vordergrund stellt – »Identitätssucher« | 176 3.4 Religiöser Erziehungstyp, der sich ethischen Grundsätzen verpflichtet – »Ethiker« | 184 4. Die Religiöse Erziehung in den Familien | 202 4.1 Religiöse Erziehung in den Familien der »Idealisten« | 204 4.1.1 Die Religiosität in den Familien der »Idealisten« | 204 4.1.2 Die Erziehungsmethoden und Erziehungsstile in den Familien der »Idealisten« | 218 4.2 Religiöse Erziehung in den Familien der »Ritualisten« | 229 4.2.1 Die Religiosität in den Familien der »Ritualisten« | 229 4.2.2 Die Erziehungsmethoden und Erziehungsstile in den Familien der »Ritualisten« | 242 4.3 Religiöse Erziehung in den Familien der »Identitätssucher« | 249 4.3.1 Die Religiosität in den Familien der »Identitätssucher« | 249 4.3.2 Die Erziehungsmethoden und Erziehungsstile in den Familien der »Identitätssucher« | 258 4.4 Religiöse Erziehung in den Familien der »Ethiker« | 265 4.4.1 Die Religiosität in den Familien der »Ethiker« | 265 4.4.2 Die Erziehungsmethoden und Erziehungsstile in den Familien der »Ethiker« | 286 5. Religiöse Sozialisation in anderen Kontexten | 302 5.1 Bedeutung und Stellenwert der Sozialisationsinstanzen | 302 5.1.1 Das Verhältnis der »Idealisten« zu den Sozialisationsinstanzen | 303 5.1.2 Das Verhältnis der »Ritualisten« zu den Sozialisationsinstanzen | 306 5.1.3 Das Verhältnis der »Identitätssucher« zu den Sozialisationsinstanzen | 307 5.1.4 Das Verhältnis der »Ethiker« zu den Sozialisationsinstanzen | 310 5.2 Religiöse Erziehung in außerschulischen Bildungseinrichtungen | 312 5.2.1 Religiöse Bildungsangebote und -inhalte, die die Kinder der »Idealisten« wahrnehmen | 314 5.2.2 Religiöse Bildungsangebote und -inhalte, die die Kinder der »Ritualisten« wahrnehmen | 318 5.2.3 Religiöse Bildungsangebote und -inhalte, die die Kinder der »Identitätssucher« wahrnehmen | 323 5.2.4 Religiöse Bildungsangebote und -inhalte, die die Kinder der »Ethiker« wahrnehmen | 325 5.3 Muslimische Kinder und Jugendliche im Kontext von institutionellen Bildungseinrichtungen | 329 5.3.1 Wahrnehmungen und Erwartungen der »idealistischen« Eltern | 330 5.3.2 Wahrnehmungen und Erwartungen der »ritualistischen« Eltern | 344 5.3.3 Wahrnehmungen und Erwartungen der »Identitätssucher« | 352 5.3.4 Wahrnehmungen und Erwartungen der »Ethiker« | 360 5.4 Peers, Freundschaften und deren Einfluss auf die religiöse Sozialisation | 371 5.4.1 Peers und Freundschaften – die »Idealisten« | 372 5.4.2 Peers und Freundschaften – die »Ritualisten« | 375 5.4.3 Peers und Freundschaften – die »Identitätssucher« | 377 5.4.4 Peers und Freundschaften – die »Ethiker« | 378 5.5 Der Einfluss der Medien auf die religiöse Sozialisation | 381 5.5.1 Der Umgang mit den Medien – die »Idealisten« | 382 5.5.2 Der Umgang mit den Medien – die »Ritualisten« | 386 5.5.3 Der Umgang mit den Medien – die »Identitätssucher« | 389 5.5.4 Der Umgang mit den Medien – die »Ethiker« | 392 5.6 Die religiöse Sozialisation in einer pluralistischen Gesellschaft | 396 5.6.1 Die religiöse Sozialisation in der Gesellschaft – die »Idealisten« | 397 5.6.2 Die religiöse Sozialisation in der Gesellschaft – die »Ritualisten« | 403 5.6.3 Die religiöse Sozialisation in der Gesellschaft – die »Identitätssucher« | 408 5.6.4 Die religiöse Sozialisation in der Gesellschaft – die »Ethiker« | 412 6. Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse aus der Untersuchung | 418 6.1 Die Typen religiöser Erziehung | 419 6.2 Religiöse Erziehung/Religiosität in den Familien | 425 6.3 Religiöse Sozialisation in anderen Kontexten | 434 6.3.1 Religiöse Erziehung in außerschulischen Bildungseinrichtungen | 434 6.3.2 Muslimische Kinder im Kontext von institutionellen Bildungseinrichtungen | 437 6.3.3 Die Peers, Freundschaften und deren Einfluss auf die religiöse Sozialisation | 439 6.3.4 Der Einfluss der Medien auf die religiöse Sozialisation | 441 6.3.5 Die religiöse Sozialisation in einer pluralistischen Gesellschaft | 443 IV. Schlussfolgerungen | 447 V. Literatur | 459 VI. Anhang | 471 Anhang 1: Interviewleitfaden | 471 Anhang 2: Die Untersuchungsgruppe nach Typenzuordnung/ Angaben über Kinder der Interviewten | 476 Anhang 3: Tabelle (1) Religiöse Erziehungstypen und die Einflüsse auf die religiöse Sozialisation | 477 Tabelle (2) Spezifika der religiösen Erziehung in der Familie/ Ausprägungen der Religiosität in der Familie nach religiösen Erziehungstypen | 480 Danksagung Ich möchte mich bei allen Personen, die auf vielfältige Art und Weise zur Entstehung dieser Arbeit beigetragen haben, bedanken. Danken möchte ich meiner Doktormutter Prof. Dr. Ursula Boos-Nünning für die engagierte und fachlich fundierte Betreuung dieser Dissertation. Mit der Erforschung der »re- ligiösen Sozialisation« begab ich mich auf ein wissenschaftlich anspruchsvol- les interdisziplinäres Forschungsfeld. Ihr breites Wissen und ihr Erfahrungs- schatz waren wichtige Wegweiser, um die vorliegende Thematik in einer sehr eigenständigen Weise zu bearbeiten. Nicht zuletzt gilt ihr mein besonderer und aufrichtiger Dank für das Interesse, das sie in mir für das Thema der Erforschung von »Religiosität« geweckt hat. Ohne die Erfassung und Charak- terisierung dessen hätte das alleinige Aufzeigen religiöser Sozialisationsvor- gänge nicht die notwendige Tiefe erreicht, die jenseits des gestellten wissen- schaftlichen Anspruchs zu meiner inneren Zufriedenheit beigetragen hat. Mein herzlicher Dank gilt auch Prof. Dr. Margit Stein für die Begutachtung dieser Arbeit, die doch keinen geringen Umfang aufweist. Danken möchte ich ihr für ihr sorgfältig erarbeitetes Gutachten und das mir entgegengebrachte Vertrauen, um diese Arbeit letztlich »mit Auszeichnung« zu versehen. Dan- ken möchte ich auch Prof. Dr. Harry Harun Behr, der mir vor allem zu Be- ginn meiner Dissertation eine wichtige Stütze hinsichtlich religionspädago- gischer Fragestellungen gewesen ist. Dem Forschungszentrum für Religion und Gesellschaft (forege) und der DITIB möchte ich für die nötige finanzielle Unterstützung danken, mittels derer ich auch stets an meine Verantwortung erinnert wurde, diese Arbeit zu einem guten und gelungenen Abschluss zu bringen. Schließlich möchte ich mich vor allem bei den Eltern bzw. den Inter- viewteilnehmer(inne)n bedanken, die diese Untersuchung mit ihrer freund- lichen Unterstützung erst ermöglicht haben. Meinem Ehemann Ahmet Altunbaş möchte ich für seine Geduld, seine Motivation und die Ermutigungen in den schwierigen Phasen auf dem Weg zu dieser Arbeit danken. Danken möchte ich ihm auch für die Wertschätzung, die er für meinen wissenschaftlichen Werdegang auf bringt. I. Einleitung Die seit dem Beginn der Migration einsetzende verstärkte Präsenz der Musli- me in Deutschland hat die wissenschaftliche Forschung mit unterschiedlichen Themenstellungen und Schwerpunkten beschäftigt. Hierbei war die Religiosi- tät der Muslime, insbesondere in den letzten zwei Jahrzehnten, Gegenstand vieler Untersuchungen. Die Studien beschreiben hier mit unterschiedlichen wissenschaftlich-theoriegeleiteten Ansätzen und angewandten Methoden Ein- stellungs- und Verhaltensmuster der muslimischen Bevölkerung, die sich in Deutschland mit einer aktuell geschätzten Zahl von etwa vier Millionen in einer Minderheit befinden und momentan bereits in der vierten Generation in diesem Land leben. Die wissenschaftlichen Untersuchungen konzentrie- ren sich auf Muslime verschiedenen Alters und Geschlechts und rücken dabei ihren Fokus sowohl auf Jugendliche als auch auf Erwachsene. Die Entstehung von Religiosität, die in Form von religiöser Erziehung oder Sozialisation an sie herangetragen wurde, wird in diesen Untersuchungen jedoch kaum themati- siert bzw. nur am Rande aufgegriffen. Auch kommen die befragten Probanden und Probandinnen nicht in ihren Rollen als Väter oder Mütter zu Wort, die es erlauben würden, Rückschlüsse auf ihre Familienreligiosität als Folge und Re- sultat religiöser Sozialisationsprozesse zu ziehen. Daher rückt die vorliegende Untersuchung erstmalig »Familien« in den Fokus der Betrachtung, mittels derer die Perspektive muslimischer Eltern aufgegriffen und Aussagen über die religiöse Erziehung und Sozialisation ihrer Kinder getroffen werden sollen. Damit stellt sich auch die Frage, über welchen »muslimischen« Bevölke- rungsteil oder welche »muslimischen Familien« von der Gesamtheit der in Deutschland lebenden Muslime in dieser Untersuchung gesprochen wird. Oder anders gefragt: Was verbirgt sich hinter dem Attribut »muslimisch«, wenn die statistische Erfassbarkeit der Muslimen insgesamt Probleme birgt und damit Aussagen über die zahlenmäßige Präsenz der Muslimen erschwert werden (vgl. Boos-Nünning 2015)? Die begriffliche Verwendung »muslimisch« erweist sich als irreführend, wenn keine angemessene Beschreibung bzw. Be- stimmung dessen, über wen oder was gesprochen wird, erfolgt ist (vgl. Spiel- haus 2013). Dabei zeigt sich, dass die alleinige Religionszugehörigkeit (»Mus- lim«) als Kriterium, ohne Angaben über eindeutige religiöse Bezüge,wie z.B. Religiöse Sozialisation in muslimischen Familien 14 das persönliche Verhältnis des Einzelnen zur Religion und damit zu seiner Re- ligiosität, nicht ausreicht, um generalisierbare Aussagen über »Muslime« ins- gesamt treffen zu können. 1 Diese Problematik betrifft nicht zuletzt auch einige Expertisen über »muslimische Familien«, die im Forschungsstand näher be- trachtet werden. Gerade vor diesem Hintergrund ist es wichtig, zu bestimmen, auf welche Gruppe innerhalb der muslimischen Bevölkerung sich die Dissertation konzen- triert. Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit muslimischen Familien bzw. Eltern mit türkischem Migrationshintergrund. Sie erkundet sowohl die religiöse Erziehung in den Familien, als einen Bestandteil des religiösen So- zialisationsprozesses, als auch den Einfluss weiterer Sozialisationsinstanzen auf die religiöse Entwicklung von muslimischen Kindern und Jugendlichen; sie be- rücksichtigt dabei mit ihrer qualitativen Vorgehensweise subjektive Deutungs- muster von muslimischen Eltern, die einen türkischen Migrationshintergrund 2 aufweisen. Es sind Eltern der zweiten Generation 3 , die zum Teil in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und dem Islam mit sunnitischer Ausrichtung angehören. Zudem sind unter ihnen Mütter oder Väter, die kürzlich, bedingt durch Heirat, nach Deutschland eingewandert sind. Folglich wurden die Inter- views zum Teil auch auf Türkisch geführt. Es befinden sich unter ihnen auch Mütter, die über pädagogische Hochschulabschlüsse verfügen. Als Expertinnen haben sie eine hohe Reflexionsbereitschaft bzgl. der in der Untersuchung an- gesprochenen Themenbereiche, die sich zugleich in einer hohen Artikulations- freudigkeit äußert. Die Bereitschaft von Pädagoginnen, an dieser Untersuchung teilzunehmen, war hoch, bildete es doch einen gewissen Reiz, sich wissenschaft- lich mit dem vorliegenden Thema zu befassen. Jedoch lag es im Interesse dieser Arbeit, möglicherweise auch weniger wissenschaftlich fundierte Einstellungen zuzulassen, sodass die Zahl der Pädagoginnen niedrig gehalten wurde. 1 | Vgl. Kap. II.1.1. 2 | Die Beschränkung der Untersuchungsgruppe auf Menschen und Muslime mit türki- schem Migrationshintergrund erfolgte vor dem Hintergrund, dass sich im Islam – je nach kultureller Prägung – sehr unterschiedliche Formen von Religiosität entwickelt haben (vgl. Karaka ş o ğ lu-Aydın 2000:7). Auch spielte der persönliche Erfahrungshintergrund der Ver- fasserin dieser Arbeit eine wichtige Rolle, die aufgrund ihrer Zugangsmöglichkeiten (das Beherrschen der türkischen Sprache, das Aufwachsen in religiösen Gemeinden mit tür- kischer Prägung, Erfahrungen im Umgang mit religiösen Themen) (vgl. hierzu III. 1.3) ein größtmögliches Verständnis für die vorliegende Thematik zu erzielen suchte. 3 | Es ist mir durchaus bewusst, dass der Begriff »Generation« in der Migrationsfor- schung umstritten ist, da aktuell durch Heirat bedingte Migrantinnen und Migranten auch als Zuwanderer der ersten Generation bezeichnet werden. Folglich sind hier die Kinder der ersten Migrantinnen und Migranten gemeint, die etwa zu Beginn der 1960er-Jahre nach Deutschland eingewandert sind. I. Einleitung 15 Die Auswahl der Untersuchungsgruppe erfolgte nach verschiedenen vorab festgelegten Kriterien, wie z.B. nach dem Alter eines Elternteils, das zwischen 21-45 Jahren betragen sollte. Stellvertretend für die gesamte Familie wurde jeweils ein Elternteil, entweder Vater oder Mutter, einer Familie befragt. Ein grundsätzliches Interesse für die Weitergabe einer religiösen Erziehung an die eigenen Kinder war die wesentlichste Voraussetzung für die Teilnahme an den Interviews. Damit wollte man gewährleisten, dass sowohl ein breites Spektrum an religiösen Erziehungsvorstellungen mit ihren norm- und hand- lungsleitenden Prinzipien als auch die Darstellung unterschiedlicher sozialisa- tionsrelevanter Einflüsse, die die Religiosität von muslimischen Kindern und Jugendlichen maßgeblich beeinflussen, aufgezeigt werden. Erst die Erfassung der Zieldimension einer religiösen Erziehung und damit der Bedeutung von religiöser Erziehung für Eltern ermöglicht eine wissenschaftlich fundierte Einordnung religiöser Erziehungsvorstellungen in Form einer Typenbildung. Es gilt daher, zu überprüfen, welche Formen religiöser Erziehung bzw. welche religiösen Erziehungstypen ermittelbar sind und wie sich diese jeweils zu den verschiedenen Sozialisationseinflüssen und Sozialisationsinstanzen verhalten. Demzufolge ist das Ziel dieser Untersuchung, herauszufinden, welchen fördernden oder hemmenden Einfluss andere zentrale Sozialisationsinstan- zen neben der Familie als primärer Sozialisationsinstanz, wie außerschulische Bildungseinrichtungen (Moscheen oder ähnliche Bildungseinrichtungen), Schulen oder Kindertagesstätten, die Peers, Medien und Gesellschaft, auf die religiöse Sozialisation von muslimischen Kindern ausüben. Ausgehend von diesem Erkenntnisinteresse, lassen sich folgende forschungsleitende Fragen bestimmen: • Welche Erziehungsziele verbinden muslimische Eltern mit ihrer religiösen Erziehung im familiären Rahmen? • Welche Formen religiöser Erziehung lassen sich hieraus ableiten? • Wie äußert sich ihre subjektiv vermittelte religiöse Erziehung in ihrer (Fa- milien-)Religiosität? • Welche Merkmale und Eigenschaften hat ihre Religiosität und in welchen Dimensionen wird diese deutlich und sichtbar? • In welcher Art und Weise vermitteln sie ihre Religion an ihre Kinder? • Welche Rolle und welchen Stellenwert nehmen die oben aufgeführten So- zialisationsinstanzen für die religiöse Sozialisation ihrer Kinder ein? • Welche fördernden oder hemmenden Effekte gehen von ihnen aus? Die Untersuchung gliedert sich in mehrere Teile: In Kapitel II wird zunächst ein (Teil 1) Überblick über die Ausgangssitua- tion von Muslimen bzw. muslimischen Familien in Deutschland gegeben. Die- ser zeigt die Besonderheiten und Strukturen der Muslime in Deutschland und in spezifischer Weise der Muslime mit türkischem Migrationshintergrund auf. Religiöse Sozialisation in muslimischen Familien 16 Dabei sollen einige sozialstrukturellen Merkmale von Migrationsfamilien dar- gestellt und ein Bezug zu ihrer Religiosität hergestellt werden. Zudem wird die Bedeutung von muslimischen Organisationen und Vereinen näher erörtert. Der Forschungsstand (Teil 2) besteht aus einer kritischen Analyse der Se- kundärliteratur, die das Thema der religiösen Sozialisation und religiösen Er- ziehung bei Muslimen und im Speziellen in muslimischen Familien tangiert bzw. in den meisten Fällen nur kurz skizziert. Auch wenn es kaum Untersu- chungen zu dieser Thematik gibt, die die religiöse Sozialisation in den Fami- lien aufzeigen, konnten anhand von verschiedenen Quellen die Erziehungs- wirklichkeit, die Religiosität und einzelne Aspekte der religiösen Sozialisation in muslimischen Familien rekonstruiert werden. Es existieren a) Experti- sen, Rezeptionsberichte bzw. Literaturanalysen oder b) Untersuchungen, die – wenn auch in sehr geringem Umfang – die Sicht der Eltern auf religiöse Erziehungsvorstellungen wiedergeben oder c) Untersuchungen über die Reli- giosität von Jugendlichen, aus denen hervorgeht, wie die elterliche Erziehung von ihnen wahrgenommen wurde und wie sie ihre zukünftige religiöse Erzie- hung ausrichten wollen. Schließlich konnten damit immer nur Teilaspekte der religiösen Erziehung und Sozialisation in Familien thematisiert werden. Die vorliegende Untersuchung beabsichtigt jedoch eine umfassende, verschiede- ne Sozialisationskontexte berücksichtigende Darstellung von Ergebnissen, die die religiöse Sozialisation in muslimischen Familien aus der Perspektive von Eltern wiedergibt. Der Forschungsstand zur religiösen Sozialisation in ande- ren Sozialisationskontexten 4 (auch: Sozialisationsinstanzen) beinhaltet einen Überblick über den Stellenwert und die Bedeutung dieser Einrichtungen für die religiöse Sozialisation. Im analytischen Bezugsrahmen (Teil 3) werden die Begrifflichkeiten auf- geführt, die der Bestimmung von Untersuchungsbereichen und den zentra- len Untersuchungskategorien dienen. Da theoretische Ansätze zur Erklärung der religiösen Sozialisation von Muslimen noch nicht entwickelt sind, wurde hier insbesondere darauf geachtet, die Begrifflichkeiten und Definitionen von »Sozialisation« oder »religiöser Sozialisation« so allgemein wie möglich wie- derzugeben, um sie für eine sozialwissenschaftliche Analyse und Auswertung brauchbar zu machen. Die »religiöse Erziehung« bildet eine weitere zentra- le Untersuchungskategorie, deren Erforschung in der vorliegenden Untersu- chung einem erziehungswissenschaftlichen Verständnis 5 zugrunde liegt. So 4 | Die Begriffe »Sozialisationsinstanz« und »Sozialisationskontext« werden hier syno- nym verwendet. Der Begriff »Sozialisationskontext« zielt stärker auf ein Umfeld ab, so- dass er im weiteren Verlauf dieser Studie bevorzugt verwendet wird (vgl. Erläuterungen in Kap. II. 3.1.2). 5 | Die Untersuchung der religiösen Erziehung greift schließlich auch in den Fachbe- reich der islamischen Religionspädagogik über, der einen interdisziplinären Zugang I. Einleitung 17 werden in dieser Untersuchung auch (deskriptiv) normative Grundüberle- gungen zur religiösen Erziehung im Islam wiedergegeben, die zum besseren Verständnis des Forschungsgegenstandes beitragen sollen. Zur Erfassung von Kennzeichen und Merkmalen der (Familien-)Religiosität, als Ausdruck einer subjektiv vermittelten religiösen Erziehung, wird außerdem Glocks mehrdi- mensionaler Ansatz der Religiosität herangezogen. Dieser hat die Funktion eines heuristischen Analyseinstrumentes. Kapitel III bildet den Kern der vorliegenden Arbeit. Es umfasst die empi- rische Untersuchung zur religiösen Sozialisation und religiösen Erziehung in muslimischen Familien. Zu Beginn wird die Methodik der Arbeit vorgestellt, um die Vorgehensweise in der Untersuchung aufzuzeigen. Es wurde zunächst anhand der Zieldimension einer religiösen Erziehung, die als Untersuchungs- kategorie dem analytischen Bezugsrahmen (Teil 2 im zweiten Kapitel) zu entnehmen ist, eine Typisierung der in der Untersuchungsgruppe vorgefun- denen religiösen Erziehungsvorstellungen vorgenommen. Die Ermittlung von religiösen Erziehungstypen ermöglichte in einem weiteren Schritt, vor dem Hintergrund der in Kapitel II aufgeführten Erkenntnisse aus dem For- schungsstand bzw. der Sekundärliteraturanalyse und des analytischen Be- zugsrahmens, eine Untersuchung der religiösen Erziehung und Religiosität in den Familien und zu weiteren Untersuchungsbereichen bzw. Sozialisations- kontexten. So konnten sowohl Ergebnisse über typspezifische Merkmale und Kennzeichen der Religiosität, über Methoden und Vermittlungsformen der religiösen Erziehung in den Familien, als auch über das Verhältnis und die Einstellungen der religiösen Erziehungstypen zu den anderen Sozialisations- kontexten verzeichnet werden. Am Ende der Untersuchung wird schließlich eine typübergreifende Zusammenfassung der Ergebnisse aus der empirischen Untersuchung wiedergegeben. In Kapitel IV werden Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen abgeleitet und es erfolgt ein Ausblick auf mögliche weiterführende Untersuchungen. zum Forschungsgegenstand nahelegt. So erscheint der Bezug zu den islamischen Wissenschaften oder ein Theologiebezug allein schon aufgrund der Normativität einer religiösen Erziehung folgerichtig. Im Vergleich dazu ist diese Arbeit eher sozialwissen- schaftlich ausgerichtet, weist jedoch auch eine religionswissenschaftliche und reli- gionspädagogische Komponente auf. II. Religiöse Sozialisation und religiöse Erziehung in muslimischen Familien 1. M usliMe in D eutschl anD In diesem Kapitel wird zunächst die Ausgangssituation der Muslime geschil- dert. Da die vorliegende Studie sich auf die Situation der türkischstämmigen Muslime mit sunnitischer Ausrichtung des Islams konzentriert, wird bei der Beschreibung der Fokus auf diese Gruppe gerichtet. Die Merkmale dieser Gruppe werden nach den für die vorliegende Studie bedeutsamen Kriterien beschrieben. Es geht zunächst darum, sich einen Überblick über die zahlenmäßige Prä- senz von Muslimen und im Speziellen von Muslimen mit türkischem Migra- tionshintergrund in Deutschland zu verschaffen. Die statistische Erfassbarkeit von muslimischen Familien birgt jedoch einige Probleme, sodass sozialstruk- turelle Daten über sie vorwiegend aus Untersuchungen zu türkischen Migra- tionsfamilien entstammen. Ein Blick auf die Religiosität der Muslime mit türkischem Migrations- hintergrund zeigt, welche Aspekte des Islams für diese von Bedeutung sind. Schließlich werden die Organisationsstrukturen von Muslimen vorgestellt. Neben den religiösen Dachverbänden, die sich im Migrationsverlauf etabliert haben, werden die Rolle und die Funktionen der ihnen zugehörigen religiösen Gemeinden aufgezeigt. Sie gelten als Orte, in denen ein nicht unbedeutender Teil der religiösen Sozialisation von Kindern und Jugendlichen stattfindet und mit denen die Mehrheit der befragten Eltern dieser Untersuchung in Verbin- dung steht.