Universitätsverlag Göttingen Patrick Feuerstein Viele Wege führen nach Indien Reorganisation von Arbeit im Zuge der Internationalisierung der IT-Industrie Patrick Feuerstein Viele Wege führen nach Indien This work is licensed under the Creative Commons License 3 .0 “by - nd”, allowing you to download, distribute and print the document in a few copies for private or educational use, given that the document stays unchanged and the creator is mentioned. You are not allowed to sell copies of the free version. erschienen im Universitätsverlag Göttingen 2012 Patrick Feuerstein Viele Wege führen nach Indien Reorganisation von Arbeit im Zuge der Internationalisierung der IT-Industrie Universitätsverlag Göttingen 2012 Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar. Autorenkontakt Patrick Feuerstein e-mail: pfeuers@gwdg.de Dieses Buch ist auch als freie Onlineversion über die Homepage des Verlags sowie über den OPAC der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek (http://www.sub.uni-goettingen.de) erreichbar und darf gelesen, heruntergeladen sowie als Privatkopie ausgedruckt werden. Es gelten die Lizenzbestimmungen der Onlineversion. Es ist nicht gestattet, Kopien oder gedruckte Fassungen der freien Onlineversion zu veräußern. Satz und Layout: Patrick Feuerstein Umschlaggestaltung: Franziska Lorenz Titelabbildung: Margo Bargheer unter Verwendung einer wordle.net Grafik © 2012 Universitätsverlag Göttingen http://univerlag.uni-goettingen.de ISBN: 978-3-86395-067-5 Inhaltsverzeichnis Abbildungsverzeichnis 9 Danke 11 1 Einleitung 13 1.1 Die Debatte über IT-Offshoring: Internationalisierung und Industrialisierung von IT-Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.2 Fragestellung der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.3 Empirisches Design und methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . 25 1.4 Zum Aufbau der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2 Variierende Internationalisierungswege im IT-Bereich 33 2.1 Das „Global Delivery Model“ der IT-Dienstleister . . . . . . . . . 33 2.2 Die Herausbildung verteilter Entwicklungsmodelle bei Software-Herstellern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.3 Internationalisierungswege und Reorganisationsmodi . . . . . . . 43 3 Indien als Offshore-Standort 47 3.1 Der Boom der indischen IT-Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3.2 Der indische Markt für IT-Arbeitskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . 52 3.3 Indischer Arbeitsmarkt und Reorganisationsmodi . . . . . . . . . 56 4 Reorganisationsmodi: Varianten betrieblicher Arbeitsprozess- kontrolle 63 4.1 IT-Industrialisierung: ein grundlegender Strategiewechsel . . . . . 64 4.2 Managementstrategien zwischen „verantwortlicher Autonomie“ und „direkter Kontrolle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 4.3 Betriebliche Kontrolle: zur strategischen Gestaltung von Aktivitätsfeldern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.3.1 Aufgabenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4.3.2 Kontrollstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.3.3 Kooperationsstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.3.4 Arbeitsmarktbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 4.4 Reorganisationsmodi zwischen variierenden Internationalisie- rungswegen und indischem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . 79 5 „It’s like making a car“ – Kontrolle von Arbeit beim indischen IT-Dienstleister ServiceTec 83 5.1 Das Profil von ServiceTec . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 5.2 ServiceTecs globales Geschäftsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.3 „Jack of all trades and master of none“ – Betriebliche Kontroll- strategien bei ServiceTec im Entwicklungszentrum in Bangalore 95 5.3.1 Aufgabenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 5.3.2 Kontrollstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 5.3.3 Kooperationsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5.3.4 Arbeitsmarktbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5.4 Zusammenfassung und Bewertung der bei ServiceTec verfolgten Kontrollstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 6 „Struggle for Ownership“ – Arbeit und Kontrolle bei der deutschen Produktfirma NovoProd 171 6.1 Das Profil von NovoProd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 6.2 Global verteilte Entwicklung bei NovoProd . . . . . . . . . . . . . 174 6.3 Betriebliche Kontrollstrategien bei NovoProd im Entwicklungs- zentrum in Bangalore . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.3.1 Aufgabenorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 6.3.2 Kontrollstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6.3.3 Kooperationsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6.3.4 Arbeitsmarktbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 6.4 Zusammenfassung und Bewertung der bei NovoProd verfolgten Kontrollstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 7 Zusammenführung und Ausblick: Die heterogene Reorganisation von IT-Arbeit im Zuge ihrer Internationalisierung 271 7.1 Zwischen Wissensarbeit und Industrialisierung – Zur Entwick- lung von IT-Arbeit im Zuge ihrer Internationalisierung . . . . . . 276 7.2 Betriebliche Reorganisationsmodi zwischen globalen Geschäfts- modellen und den Arbeitsmärkten der Standorte . . . . . . . . . . 280 7.3 Zur zukünftigen Untersuchung betrieblicher Reorganisations- modi im Zuge der Internationalisierung der IT-Industrie . . . . . 289 8 Anhang 291 8.1 Interviews bei ServiceTec . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 8.2 Interviews bei NovoProd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Literatur 295 Abbildungsverzeichnis 1.1 Reorganisationsmodi unter Einfluss von Verlagerungsvarianten und Arbeitsmarkt des Offshore-Standortes . . . . . . . . . . . . . . 25 3.1 Umsatzwachstum der indischen IT-Industrie von 1997 – 2009 . . 48 3.2 Zielregionen der indischen IT-Exporte . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3.3 Umsatz der indischen IT-Industrie nach Branchensegmenten von 2004 - 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.4 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen der indischen IT-Industrie von 2002 – 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.1 Managementstrategien, Aktivitätsfelder und strategische Dimen- sionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 4.2 Betriebliche Kontrolle zwischen Geschäfts- und Verlagerungsmo- dellen und indischem Arbeitsmarkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.1 Wasserfall-Modell der Softwareentwicklung . . . . . . . . . . . . . 97 Danke Die vorliegende Arbeit ist 2011 als Dissertation an der Georg-August-Universität Göttingen angenommen worden. Ich bin froh, jetzt, da die Arbeit beendet ist, die Gelegenheit zu haben, mich bei all jenen zu bedanken, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ganz praktisch ist hier zunächst die Deutsche Forschungs- gemeinschaft (DFG) zu nennen, die das Forschungsprojekt am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI), aus dem heraus diese Dissertation entstan- den ist, von 2006 bis 2009 finanzierte. Gleichermaßen unverzichtbar war die Gesprächsbereitschaft unserer zahlreichen GesprächspartnerInnen: den indischen und deutschen Beschäftigten in den unter- suchten Unternehmen, aber auch der zahlreichen BranchenexpertInnen in Indien und Deutschland. Ihnen sei für ihre Geduld und Bereitschaft zur Teilnahme an dieser Studie ganz herzlich gedankt. Ebenso herzlich möchte ich mich auch bei meinen KollegInnen am SOFI be- danken, die diese Arbeit über die Jahre bei vielen Gelegenheiten diskutiert und kritisch kommentiert haben. Ganz besonders herauszuheben ist dabei natürlich Volker Wittke – mein Doktorvater – der mich mit seinen anregenden Hinweisen und kritischen Fragen stets unterstützte, sowie meine Kollegin Nicole Mayer- Ahuja, die mir in der täglichen Projektarbeit den Rücken frei hielt und immer ein offenes Ohr und gute Ratschläge hatte, wenn ich mich verrannt hatte. Aber auch unseren studentischen Hilfskräften Jannis Bullian, Nina Hoyler, Anne Hunke- Wormser und Katharina Zöller möchte ich für ihren Einsatz und ihre Geduld beim Transkribieren unserer Interviews ganz herzlich danken. Den Teilnehme- rInnen des Promotionskolloquiums am SOFI möchte ich für ihre konstruktive Kritik und die guten Hinweise in den vielen Sitzungen danken, die wir zusammen hatten. Doch es ist nicht nur die praktische und fachliche Unterstützung, für die ich mich an dieser Stelle bedanken möchte. Ein ganz besonderer Dank geht auch an all diejenigen, die mich in den letzten Jahren persönlich unterstützt haben. 12 Danksagung Das sind meine engen Freunde, auf die ich immer zählen kann, meine Familie, die mir stets eine „Fluchtmöglichkeit“ bietet, um den Kopf frei zu kriegen und neue Kraft zu sammeln, und schließlich in ganz besonderem Maße meine Frau Lotte, die mir in einem mehr als turbulenten Lebensabschnitt trotz schwieriger Umstände immer zur Seite stand und mich immer wieder aufgebaut hat, wenn ich zweifelte oder nicht weiter wusste. Ihnen allen ist diese Arbeit gewidmet, weil ich ohne sie kaum die Kraft gehabt hätte, diesen Schritt zu machen. 1 Einleitung 1.1 Die Debatte über IT-Offshoring: Internationalisierung und Industrialisierung von IT-Arbeit Betrachtet man die gegenwärtig geführte Debatte über die Verlagerung von hochqualifizierter Dienstleistungsarbeit in der Software-Entwicklung und den IT-Dienstleistungen aus den kapitalistischen Zentren in die aufstrebenden Nied- riglohnregionen der kapitalistischen Semi-Peripherie, so scheinen sich seit Ende der 90er Jahre große Veränderungen zuzutragen. Viele Autoren sind sich einig, dass sich die IT-Industrie in einer „neuen Entwicklungsphase“ befinde (u.a. Boes und Schwemmle 2004; Kämpf 2008; Aspray, Mayadas und Vardi 2006; Sahay, Nicholson und Krishna 2003; Herbsleb und Moitra 2001; Oecking, Jahnke und Kiehle 2009), einige Autoren sprechen gar von einer „Revolution“ (Meyer 2006). Worin diese grossen Veränderungen gesehen werden, fasst eine Karikatur pointiert zusammen, die eine Bildersuche bei Google nach dem Terminus „IT- Offshoring“ als einen der ersten Treffer präsentiert: Ein Mann liegt weit zurückgelehnt auf seinem Schreibtischstuhl, die Füße auf dem Tisch, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und mit einem entspannten Gesichtsausdruck. Das Schildchen auf seinem Schreibtisch weist ihn als „Star-Entwickler“ aus. Vor seiner Bürotür stehen zwei weitere Männer, im Gegensatz zu dem Mann am Schreibtisch tragen sie Anzüge und sind so als Vertreter des Managements erkennbar. Die beiden sind in ein kleines Gerangel verwickelt, in dem sie beide versuchen, als erster das Büro des „Star-Entwicklers“ zu betreten. Der eine Mann fleht dabei den anderen an: „Bitte, bitte - lass mich derjenige sein, der ihm sagt, dass wir seinen Job ausgelagert haben!“ Diese kleine Szene zeigt sehr anschaulich die beiden wesentlichen Aspekte, die im Zusammenhang mit der Verlagerung von IT-Arbeit gegenwärtig nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch von wissenschaftlicher Seite diskutiert werden. 14 Einleitung Zunächst spielt die Karikatur auf die konkrete Gefährdung von Arbeitsplätzen in den kapitalistischen Zentren an, die in der Karikatur in Form der unmittelbar bevorstehenden Kündigung auftaucht. Dies stellt für den IT-Bereich eine Neue- rung dar, da die Arbeitsplätze in dieser Branche lange als schwer verlagerbar und damit im Vergleich zu Arbeitsplätzen in anderen Industriesektoren als gesichert galten. Dementsprechend aufgeregt waren die Reaktionen, als kurz nach der Jahrtausendwende die ersten Hochrechnungen von Unternehmensberatungen über die Zahl potentieller Jobverlagerungen veröffentlicht wurden. Für diese Studie steht jedoch ein anderer Aspekt im Zentrum der Aufmerksam- keit, der in der Karikatur mindestens ebenso deutlich zu Tage tritt. Die Freude der beiden Managementvertreter, die sich darum reissen, dem „Star-Entwickler“ die Kündigung zu überbringen, verweist nur zu deutlich auf eine veränderte Machtverteilung zwischen Beschäftigten und Management. Die Körperhaltung des Entwicklers verweist (sicherlich übertrieben darge- stellt) auf zentrale Annahmen über Arbeit im IT-Bereich 1 . Die Branche befindet sich gewöhnlich im Fokus von Studien, die sich in unterschiedlicher Weise mit post-fordistischen Arbeitsformen beschäftigen. Unabhängig davon, ob eine ge- sellschaftliche Entwicklung hin zu einer Wissens- oder Informationsgesellschaft behauptet wird (Willke 1998, Heidenreich 2003, Castells 1996), ob die „New Economy“ mit ihrem „New Workplace“ der „Old Economy“ und deren taylo- ristischen Arbeitsformen gegenübergestellt wird (einen guten Überblick bieten dazu Thompson und McHugh 2002), Untersuchungsfeld ist immer auch die IT-Industrie, in der die angeblich „neuen Formen“ von Arbeit untersucht werden. Arbeit in der IT-Industrie komme demnach dem Idealtypus wissensintensiver, kreativer Tätigkeiten besonders nahe, weshalb ihrer konkreten organisatorischen Gestaltung weitreichende Konsequenzen für die Zukunft der Arbeit beigemessen werden. Durch die spezielle Qualität von IT-Arbeit, ihren wissensintensiven und kreativen Charakter, entzöge diese sich „traditionellen“ Formen der ma- nageriellen Kontrolle, worunter meist Formen bürokratischer oder direkter 1 Das, was in dieser Arbeit im folgenden unter IT-Industrie (gleiches gilt für Begriffe wie IT- Arbeit, etc.) verstanden wird, bildet gemäß der Definition des Branchenverbandes BITKOM nur einen Unterbereich der Informations- und Telekommunikationsbranche (ITK) ab. Innerhalb dieser wird vom BITKOM zwischen den beiden Unterbereichen Informationstechnik und Telekommunikation unterschieden. Der Fokus dieser Studie ist auf den Bereich der Informa- tionstechnik und innerhalb dieses Bereiches auch ausschließlich auf die Segmente Software und IT-Dienstleistungen gerichtet. Es sind diese Bereiche, die im Fokus der Debatte über IT- Offshoring stehen, wohingegen die Verlagerung von Arbeit im dritten vom BITKOM definierten Branchensegment, dem der IT-Hardware, bereits eine lange Geschichte aufweisen kann (vgl. dazu z.B. Lüthje 2006). Die Debatte über IT-Offshoring 15 Kontrolle (vgl. z.B. Boes und Baukrowitz 2002, auch Smith und McKinlay 2009) verstanden werden. Das Management sei angeblich nicht in der Lage, den Ar- beitsprozess ähnlich weitreichend zu durchdringen und zu modellieren, wie in anderen, weniger kreativen oder wissensintensiven Bereichen, wie z.B. der Auto- mobilindustrie (vgl. auch Kalkowski und Mickler 2005). Vielmehr fänden sich bei Tätigkeiten im IT-Bereich Formen der Arbeitskontrolle, die nach Friedman mit dem Begriff der „verantwortlichen Autonomie“ gefasst werden können (Fried- man 1977). Gekennzeichnet seien diese Formen durch den großen Handlungs- und Verantwortungsspielraum, der den Beschäftigten bei der Verrichtung ih- rer Arbeitsaufgaben gelassen wird (Alvesson 2004, Boes und Baukrowitz 2002, McKinlay und Smith 2009). Statt Bearbeitungsschritte kleinteilig vorzuschreiben, verlasse sich das Management weitgehend darauf, dass die Beschäftigten selbst entscheiden, wie sie ihre Arbeit effizient erledigen (u.a. Töpsch, Menez und Malanowski 2001, Heidenreich und Töpsch 1998). Voraussetzung dieser Art der Arbeitskontrolle ist Eigeninitiative der Beschäf- tigten, sowie deren Bereitschaft, die Ziele des Managements zu ihren eigenen zu machen. In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze diskutiert, mit denen Unternehmen versuchen, dies sicherzustellen, seien es leistungsbezogene Bewertungssysteme, die das Profit-Interesse des Betriebes mit den Eigeninter- essen der Beschäftigten verknüpfen (Töpsch, Menez und Malanowski 2001), die Inszenierung von Firmenkultur (Kunda 1992), die Machtverhältnisse ver- schleiert, oder auch einfach der bloße Rückgriff auf die ohnehin vorhandene professionelle, schwerpunktmäßig arbeitsinhaltliche Motivationsstruktur von Hochqualifizierten (Kotthoff 1997). Gemein ist allen Ansätzen, dass es sich um Formen der „indirekten“ Einflussnahme handelt, die den Beschäftigten im Ar- beitsprozess hohe Grade der Selbstorganisation und -steuerung lässt (Voß und Pongratz 1998). Entsprechend wird das Selbstverständnis der hochqualifizierten IT-Beschäftigten häufig als das des „Kunsthandwerkers“ charakterisiert, das die in- tegrierten Tätigkeitsprofile, die damit verknüpften großen Verantwortungs- und Dispositionsspielräume sowie die in diesen Arbeitsformen grundsätzlich erfor- derliche Kreativität und Selbstorganisationsfähigkeit der Beschäftigten reflektiere (Janßen 2005; Adler 2006). Grundsätzlich werden IT-Beschäftigten aufgrund der spezifischen Kontrollformen hohe Primärmachtpotenziale (Crozier und Fried- berg 1979) zugeschrieben, die sich aus einem erheblichen impliziten Wissen über den Arbeitsprozess speisen, Beschäftigte schwer ersetzbar und damit ihre Jobs sicherer machten. 16 Einleitung Glaubt man nun den Studien, die sich mit der Verlagerung von Arbeit im IT-Bereich – dem IT-Offshoring – beschäftigen, so hat sich diese Situation grund- sätzlich gewandelt. Zum einen straft die im Laufe der 90er Jahre einsetzende Verlagerungsdynamik im Bereich der IT-Dienstleistungen und der Softwareentwicklung die Annahme Lügen, dass sich hochqualifizierte Dienstleistungsarbeit nicht global verlagern lasse. Immerhin erproben auch IT-Unternehmen zunehmend die neuen Mög- lichkeiten der Verlagerung 2 und entwickeln globale Produktionsmodelle, mit der sowohl Lohnkostenunterschiede zwischen Regionen genutzt als auch neue Gruppen von Arbeitskräften erschlossen werden können. Die Beschäftigten in den Hochlohnregionen der kapitalistischen Wirtschaft konkurrieren dadurch in zunehmendem Maße auch im Bereich der hochqualifizierten Tätigkeiten mit Beschäftigten in den aufstrebenden Niedriglohnregionen um ihre Jobs. Damit scheint sich zum anderen auch das Machtverhältnis zwischen IT-Be- schäftigten und Management im Arbeitsprozess zugunsten des Managements zu verschieben. Der Grund dafür ist die Veränderung zentraler Strukturmerk- male der Branche, die in der Literatur häufig unter dem Stichwort der „IT- Industrialisierung“ gefasst werden (z.B. Walter, Böhmann und Krcmar 2007; Boes, Kämpf und Trinks 2005; Brenner u. a. 2007). Obwohl je nach Autoren im Detail unterschiedliche Definitionen dessen kursieren, was unter „Industrialisie- rung“ gefasst wird, bzw. wie weit in diesem Bereich auf einen an den „klassischen Industrien“ geprägten Industrialisierungsbegriff rekurriert werden kann, so kann die folgende von Walter, Böhmann und Krcmar (2007) vorgenommene Definition als weitgehend typisch für die Debatte angesehen werden: „Industrialisierung basiert also auf technischem und organisatorischem Fortschritt, ist durch Automatisierung der Produktion charakterisiert und führt dadurch zu signifikant sinkenden Kosten für die zentralisierte, spezia- lisierte und global verteilte Produktion standardisierter Produkte.“ (ebd., S.2; für eine etwas andere Formulierung, siehe Brenner u. a. 2007) Dieser Definition folgend, besteht Industrialisierung im wesentlichen in Verände- rungen (vorwiegend Standardisierungsprozessen) auf den Ebenen der technischen Grundlagen, der Produkte bzw. Leistungen und der organisatorischen Prozesse im IT-Bereich (vgl. Kämpf 2008, S.65; Boes 2004, S.45 ff; siehe auch Sahay 2003): 2 Die neuen Verlagerungsmöglichkeiten basieren auf einer Reihe von Veränderungen im tech- nischen, wirtschaftlichen und politischen Bereich, die sich in den letzten Jahren durchgesetzt haben. Für nähere Ausführungen siehe z.B. Aspray, Mayadas und Vardi 2006, Boes 2004 oder Boes und Schwemmle 2004 Die Debatte über IT-Offshoring 17 Auf der technischen Ebene betrifft dies vor allem das Aufkommen und die Durchsetzung von (offenen) Technologiestandards hinsichtlich Programmier- sprachen, Netzwerkprotokollen u.ä. (Boes und Trinks 2006, S.88). Dies mache es in der Folge möglich, Software unabhängig der verwandten technologischen Plattform für eine größere Zahl von Systemen zu entwickeln und auch entspre- chend zu betreuen. Diese Entwicklung bringe somit einen separaten – von der Hardware unabhängigen – Software-Bereich überhaupt erst hervor (ebd.), indem Software unabhängig der eingesetzten Rechnerarchitektur entwickelt und von vielen Nutzern auf unterschiedlichen technologischen Plattformen eingesetzt werden könne. Die technische Standardisierung ermögliche damit in der Folge auch eine Standardisierung der angebotenen Produkte und Leistungen . Boes und Trinks (ebd.) sprechen in diesem Zusammenhang auch von der Ablösung des Paradigmas der Individualsoftware durch das der Standardsoftware, „ [ ... ] welche stets ein universales Konzept für die Lösung eines verallge- meinerbaren Problems enthält. Dieses Standardprodukt wird in mehreren Anpassungsschritten in eine Lösung für den Kunden überführt.“ (S. 89, vgl. auch Walter, Böhmann und Krcmar 2007, S. 2f) Die Durchsetzung des Paradigmas der Standardsoftware habe nach Ansicht der zi- tierten Autoren weitreichende Konsequenzen für die Akteure in der IT-Industrie. Zunächst beinhalte sie eine Umorientierung der Anwender. Statt benötigte IT- Systeme für individuelle Bedürfnisse entwickeln zu lassen, könnten diese zuneh- mend auf verfügbare und meist kostengünstigere Standardsoftware zurückgrei- fen. Dies bedeute damit auch eine Umorientierung der Anbieter von Software. Statt kundenindividuelle Software zu entwickeln, würden Standardprodukte entwickelt, die anschließend an eine große Zahl von Kunden vertrieben werden könnten. Schließlich entstehe durch diese Veränderungen auch ein ganz eigener Markt für IT-Dienstleistungsunternehmen, die sich auf die Implementierung, Wartung und ggf. kundenspezifische Anpassung der Standardprodukte an die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse spezialisierten. Wenn die Anwender zuneh- mend Standardsoftware einsetzen, könnten auch Dienstleistungsunternehmen entsprechend standardisierte Leistungen und Lösungen anbieten. Dies bilde in der Folge den Hintergrund dafür, dass Anwenderunternehmen zunehmend vorher intern erbrachte Leistungen auch an externe Dienstleister auslagerten (Outsourcing), da die externen Dienstleister bei der Leistungserbringung durch zunehmende Spezialisierung und Standardisierung auch Skaleneffekte erzielen können und dementsprechend häufig kostengünstiger seien als die vormals in- 18 Einleitung ternen IT-Abteilungen der Anwenderunternehmen (vgl. Taubner 2001, Brenner u. a. 2007). Die bei den Akteuren der IT-Industrie aufscheinenden Veränderungen im Zuge der Durchsetzung des Paradigmas der Standardsoftware, führten demnach in der Folge zu einer neuen, die Branche dominierenden Arbeitsteilung. Hat schon die Trennung von Hard- und Software-Sektor im Zuge der Standardisierung der technischen Grundlagen zu einer vertikalen Desintegration der die IT-Industrie lange Zeit dominierenden vertikal integrierten IT-Großunternehmen geführt 3 , so führe die Standardisierung der Produkte und Leistungen zu einer weiteren Differenzierung des Software-Sektors, mit den Herstellern von standardisierten Software-Produkten auf der einen und IT-Dienstleistern, welche diese Produkte in eine kundenspezifische Lösung überführen und zudem im Betrieb betreuen, auf der anderen Seite 4 Die Standardisierung der technischen Grundlagen, sowie der Produkte und Leistungen biete schließlich den IT-Unternehmen (sowohl der Standardsoftware- Hersteller als auch den IT-Dienstleistern) die Möglichkeit, auch die eigenen Prozesse und Arbeitsabläufe zum Gegenstand von Rationalisierungs- und Stan- dardisierungsbemühungen zu machen (Boes 2004, S. 48, Kämpf 2008, S.64). Gemeint ist damit der Versuch, den Erstellungsprozess von Software – aber auch von spezialisierten Dienstleistungen – in einer neuen Art und Weise zu organisieren. Die erwartete Richtung der Reorganisationsbemühungen der Unternehmen ziele dabei nach Lage der Literatur zentral darauf ab, die Arbeitsprozesse z.B. durch standardisierte Tools und Entwicklungsumgebungen, aber auch durch veränderte Managementstrategien, weitreichend zu standardisieren und zu for- malisieren. Sei für die frühere Phase der IT-Industrie – wie ausgeführt – das Bild des Software-Entwicklers als „Kunsthandwerker“ prägend gewesen, so sollten Entwickler in industrialisierten Arbeitsprozessen eher Spezialisten sein, die mit klaren und robusten Prozessen Software arbeitsteilig entwickeln (Meyer 2006). Dieser Argumentation zufolge würden in der Folge nicht nur die für Entwickler 3 Dieser Prozess wird in der Literatur mit dem Begriff des „Wintelismus“ (Borrus und Zysman 1997) bezeichnet. Der Begriff des Wintelismus beschreibt dabei als Wortzusammensetzung aus den beiden Namen „Windows“ und „Intel“ die angesprochene Trennung von Hard- und Softwaresektor. 4 Eine separate Dienstleistungsfunktion ist in der Form nicht neu in der IT-Industrie, jedoch wurde diese früher entweder als zusätzlicher Service von Großcomputerherstellern geleistet, oder von den Anwenderunternehmen intern durch eigene Abteilungen erbracht. Neu ist demnach ein separates Marktsegment mit auf diesen Bereich spezialisierten Unternehmen (vgl. Boes 2004).