Analyse und Nachverdichtungsansatz für eine heranwachsende Gesellschaft in der Studentenstadt Freimann Zukunft Studentenstadt Masterthesis von Johann-Tariq Schlingensiepen Lehrstuhl für städtische Architektur | TU München Masterthesis von Johann-Tariq Schlingensiepen Wintersemester 2022|2023 Technische Universität München Lehrstuhl für städtische Architektur Professor Dietrich Fink Betreuung durch Jana Hartmann Inhalt Analyse und Nachverdichtungsansatz für eine heranwachsende Gesellschaft in der Studentenstadt Freimann Zukunft Studentenstadt Teil 1 - Bestand Schwarzplan 2 Geschichte 4 Lageplan 8 Bauabschnitte 10 Dichte, Wohnformen, Leerstand 12 Gemeinschaftseinrichtungen 14 Erdgeschossgrundriss 16 Regelgeschoss und Untergeschoss 18 Höhenprofile 20 Freiflächen und Bebauung 24 Grenzen 26 Ethnologie und städtische Merkmale 28 Humboldtsches Bildungsideal 29 Haustypologien 30 Teil 2 - Entwurf Probleme und Maßnahmen 49 Städtebauliche Nachverdichtung 50 Schwarzplan 52 Lageplan 54 Höhenprofile 56 Das aneignungsfähige Erdgeschoss 60 Nutzungen und Freiflächen 62 Regelgeschosse 63 Das neue Haus in der Studentenstadt 66 Kriterien für das neue Haus in der Studentenstadt 69 Literaturverzeichnis 76 Abbildungsverzeichnis 77 Bestand 1 Abstract Die Studentenstadt Freimann im Norden Münchens ist das größte Wohnheim Deutschlands mit fast 2500 Plätzen. Das Ensemble aus freistehenden Baukörpern liegt neben dem Englischen Garten an der U-Bahn Linie U6. Damit ist sie vorteilhaft an die beiden Universitätsstandorte Garching Forschungszentrum und den Stadtcampus angebunden. Aufgrund schwerwiegender Gebäudemängel ist die Studentenstadt seit 2 Jahren zur Hälfte leergezogen. Das von Lang und Pogadl geplante einzigartige Areal aus unterschiedlich hohen, freistehenden Baukörpern hat seinen Ursprung in den 50er Jahren. Es sollte eine Antwort auf die schon damals bestehende Wohnungsknappheit geben und auch einen Ort der Völkerverständigung und der Selbstentfaltung sein. Schon seit der Entstehung wurde das Konzept der studentischen Heimselbstverwaltung gefördert. Die Studierenden betreiben die Einrichtungen selbstständig und bieten ein attraktives Angebot von sozialen Aktivitäten an. Dieses wird innerhalb der baulichen Struktur ständig erweitert. So haben sich über die Jahrzehnte Cafés, Bars, Ateliers und andere Einrichtungen entwickelt, welche das Viertel zu einem selbstständigen kleinen Dorf innerhalb Münchens machen, das wie ein souveränes System funktioniert. Die Studentenstadt wurde von Architekten geplant und ist durch die Bewohner:innen stetig gewachsen. Bis heute erfreut sich das Wohnheim großer Beliebtheit. Die hohen Häuser des Viertels stehen leer und der Wohnraummangel Münchens wird stetig größer. Inzwischen ist die unzureichende Sanierung des Areals Thema in der Politik geworden. In den nächsten Jahren soll die Studentenstadt in Bauabschnitten saniert und im Anschluss um etwa 1000 Plätze erweitert werden. Ein Gesamtplan fehlt bisher. Ein zukünftig geplanter städtebaulicher Wettbewerb soll eine Antwort auf die Frage geben, wie an diesem Standort nachverdichtet werden kann. Währenddessen befinden sich 15.000 junge Menschen auf der Warteliste des Studentenwerks, welche auf der Suche nach einem Wohnplatz sind, Tendenz steigend. Die folgende Arbeit soll zeigen, wie sich 2000 weitere Wohnplätze nachverdichten lassen, wodurch die Gesamtanzahl auf 4500 Plätze steigt. Dies entspricht mit knapp 600 Bewohnern pro Hektar der doppelten Bewohnerdichte Manhattans. Die Bewohner:innen, welche größtenteils bei Einzug zum ersten Mal selbstständig leben lernen, verbringen hier einen prägenden Teil ihres Lebens: Den Lebensabschnitt der eigenen zwanziger Jahre. Die ungewöhnlich hohe Dichte an Studierenden, die hier wohnen, umfasst ein großes Potenzial an Kreativität und Kommunikation. Diese soll inbesondere durch das architektonische Konzept getragen werden. Das souverän funktionierende, von den Studierenden selbstverwaltete Viertel, bietet die Chance, sich neben der akademischen Ausbildung persönlich weiterzuentwickeln. Hier können sich Persönlichkeiten entwickeln, die später in der Lage sind, eigenverantwortlich Aufgaben in Staat und Gesellschaft, in familiären und sozialen Beziehungen zu erfüllen, sowie Verantwortung für das Leben, möglicherweise auch für andere, zu übernehmen. Ziel dieser Thesis ist es zu zeigen, wie die städtebauliche Situation gelöst werden kann und was das einzelne Haus im städtebaulichen Gesamtkontext, sowie im Inneren leisten muss, um die Vision einer jungen verantwortungsvollen Gesellschaft in hoher Dichte zu ermöglichen. Teil 1- Bestand Bestand 3 2 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Schwarzplan M 1:15.000 0km 1km 4km Bestand 5 4 Geschichte Errichtet wurde die Studentenstadt gemäß einer Vision von Prof. Egon Wiberg, ehemaliger Rektor der Ludwig- Maximilians-Universität München, die er im Jahr 1958 zum ersten Mal vor geladenem Kreis äußerte. Um der steigenden Wohnungsnot der Studierenden an den damals stark wachsenden Münchner Hochschulen zu begegnen, brauchte es eine große studentische Siedlung. Genauso wichtig war Rektor Wiberg aber einen Ort zu schaffen, der die Studierenden positiv für das Leben prägt und insbesondere durch das Zusammenleben von deutschen und ausländischen Studierenden der Völkerverständigung dient. Auch Gemeinschaftsflächen verschiedener Art waren daher von Anfang an vorgesehen. Verwirklicht wurden sie bereits im ersten Bauabschnitt unter anderem in Form der Saalvorbauten der Hochhäuser 1 und 4, der Kellerräume der kleineren Atriumshäuser 2, 3, 5 und 6 und der Dachterrasse von Haus 1. Bereits ein halbes Jahr nach der Rede von Prof. Wiberg wurde durch den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Hanns Seidel ein Grundstück des Freistaats von 80.000 Quadratmetern am Englischen Garten zur Vefügung gestellt. Es sollte zunächst in mehreren getrennten Bauabschnitten bis zu einer Kapazität von ca. 1.500 1 Wohnplätzen bebaut werden. Realisiert wurden in einem ersten Abschnitt von 1961 bis 1963 die Häuser 1 bis 6 mit ca. 740 Wohnplätzen. Finanziert wurden sie durch umfangreiche öffentliche Zuschüsse von Bund und 1 vgl Wirsing | 1963 | S. 87 Freistaat und eine Reihe von privaten Spenden. Die größte und wichtigste Spende in Höhe von einer Million D-Mark kam dabei von der durch einen deutsch-amerikanischen Unternehmer gegründeten Max Kade Foundation. Aus diesem Grund tragen noch heute die Häuser 1, 4 und 9 die Namen von jeweils Max Kade, Egon Wiberg und Hanns Seidel. Kleiner Häuser tragen die Namen anderer Spender. 2 2 vgl. UAM | 000 050/13653 | S. 88-95 Abb. 1: Ursprüngliche Planung der Studentenstadt Bestand 7 6 In einem zweiten Bauabschnitt entstanden von 1966 bis 1968 die Häuser 7 und 8 mit zusätzlichen ca. 1 10 Wohnplätzen. Anschließend wurde Anfang der 1970er Jahre entschieden vom ursprünglichen Entwurf abzuweichen und anstatt 1.500 insgesamt 2.500 Wohnplätze anzustreben. Gebaut wurden von 1971 bis 1973 das 21-stöckige Haus 9 sowie Haus 10 mit zusammen fast 700 Wohnplätzen. 1974 bis 1975 folgten die Häuser 1 1 bis 14 mit weiteren fast 1.000 Plätzen, bis eine Kapazität von 2.500 Wohnplätzen tatsächlich erreicht wurde. 3 Während dieser vierten Bauphase wurden jedoch anders als früher kaum Gemeinschaftsflächen realisiert, weshalb unter anderem das 440 Bewohner fassende Haus 12 (aufgrund seiner Farbe auch das Orange Haus genannt) selbst zwei Jahre nach dem Erstbezug noch komplett ohne Gemeinschaftsräume war. Erst nachträglich wurden zu diesem Zweck vorhandene Kellerräume umgewidmet 3 vgl. Wirsing | 2007 | S. 26 Abb. 4: Haus 1 1962 mit Vorbau für Gemeinschaftsflächen: Tanzsaal, Sitzungssaal und Tischtennisraum Abb. 2: Luftaufnahme der Studentenstadt München 201 1 und u. a. die Kellerkneipe “Potschamperl” (bairisch, der Nachttopf) gegründet. Die nach Weiße-Rose-Mitglied Hans Scholl benannte Sporthalle entstand auch erst in den Jahren 1976 bis 1977. In den ersten Jahren der Studentenstadt war das Leben vergleichsweise streng reglementiert. Frauen und Männer wohnten in getrennten Häusern bzw. Stockwerken und vom Studentenwerk eingesetzte sogenannte Heimleiter wachten über die nächtliche Besuchszeitbeschränkung. Letztere wurde allerdings schon 1967 abgeschafft. Im Zuge der 68er-Bewegung wurde 1969 die Geschlechtertrennung aufgehoben und 1970 wurden die Heimleiter durch von den Bewohner:innen gewählte Haussprecher:innen ersetzt. Nach und nach entstand so in den Häusern eine umfangreiche, stark föderal geprägte Heimselbstverwaltung, die nunmehr zugleich auch durch StuSta-weite Gremien vernetzt ist. Eine zentrale Aufgabe dieser Heimselbstverwaltung stellt dabei der Betrieb der verschiedenen Gemeinschaftseinrichtungen dar. 4 4 vgl. Gierke | studentenstadt-muenchen.de | Stand 22.3.2022 Abb. 3: Bauabschnitt 1: Atriumhäuser 2 und 3 Abb. 5: Bauabschnitt 3: Haus 9 Bestand 9 8 Lageplan M 1:2000 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION 0m 100m 500m Bestand 1 1 10 Bauabschnitte M 1:1500 Bauabschnitt 1 Altstadt 1963 Bauabschnitt 3 Neustadt 1973 3a 3b 5a 4 8 7a 7b 7c 9 6a 6b 6c 1 16 3c 14 19 10 12 1 1 Halle 13 Parkdeck Verwaltung Kita U6 Studentenstadt Ungererstraße Grasmeierstraße Englischer Garten 18 17 5b 3d 5c 2d 2c 2b 2a micro compact homes von Horden 2005 und interne Hausnummern Bauabschnitt 2 Altstadt 1968 Bauabschnitt 4 Neustadt 1975 Bestand 13 12 Dichte, Wohnformen, Leerstand VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Die Studentenstadt hat mit 300 Personen pro Hektar eine Dichte, die sich deutlich von der Umgebung abhebt und vergleichbar mit den Innenbereichen von Großstädten wie etwa New York ist. Nach der locker bebauten ersten Entwicklungsphase der Studentenstadt in den sechziger Jahren zeigte sich schnell, dass der Standort eine deutlich höhere Dichte zulässt. Die Erweiterung in den siebziger Jahren wurde deutlich höher und dichter geplant. Die Bebauung an der Ungererstraße bildet sich durch hohe Scheiben aus, die den Lärm der Autobahn abfangen. Zum englischen Garten hin wird sie dann flacher und geht in diesen über. Die Altstadt (Bauphase 1 und 2) ist noch aus den 60er Jahren mit Gemeinschaftsküchen und Bädern ausgestattet. Inzwischen hat sich der Trend in Deutschland zu vollausgestatteten Appartments mit Küchenzeile und Bad gewendet. Die wirtschaftlichste Typologie ist dabei die zweiflügelige Erschließung mit Gang in der Mitte. Derzeit stehen wegen Gebäudemängeln 1400 Wohnplätze leer. Haus 1 1 mit 246 Wohnplätzen wird derzeit saniert und wird voraussichtlich im Mai 2023 fertiggestellt und bezogen. Für die übrigen Häuser fehlt derzeit noch ein Großteil der Finanzierung. Einzelappartment mit Küche und Bad Familienwohnungen Einzelzimmer mit Gemeinschaftsküche + Gemeinschaftsbad Einzelzimmer + Bad + Gemeinschaftsküche + Gemeinschaftsküche Wohngruppe + Gemeinschaftsküche + Gemeinschaftsbad Bezogen | in Betrieb Leerstand VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION 205 196 25 20 25 25 20 20 20 20 20 20 20 20 20 25 25 25 7 5 5 58 126 180 432 246 615 5 20 20 Bewohner: 2472 Areal: 7,87 Hektar Dichte: 300 Bew./ha GFZ: 1,1 GRZ: 26% Bewohnerzahlen Leerstand: 1500 Wohnplätze Wohnformen Bestand 15 14 Zu den selbstverwalteten Einrichtungen zählten bis vor kurzem mehrere interne Kneipen und Bars, das Café „Brotladen“, mehrere kleiner Getränkeläden, eine Sporthalle mit Kraftraum, eine Sauna, mehrere Werkstätten, sowie Waschmaschinen-, Musikübungs- und Veranstaltungsräume. Auf jedem Stockwerk der großen und kleinen Häuser befinden sich kleinere Gemeinschaftswohnzimmer. Eine Vielzahl entsprechender Ämter sorgt für deren Betrieb. Diese werden durch demokratisch legitimierte Stockwerks- und Hausversammlungen gewählt. Vom Kulturbüro des Studentenwerks unterstützte Tutor:innen ergänzen regelmäßig das Angebot der Einrichtungen durch kulturelle und gesellige Veranstaltungen, gelegentlich auch in Zusammenarbeit mit den Betreibern der Einrichtungen. Jede der Gemeinschaftseinrichtung ist über viele Generationen selbstorganisiert gewachsen und insbesondere einige der Größeren wie das “Potschamperl” im Orangen Haus und das “Bistro” in Haus 13 (das Rote Haus) sind sehr durch ihre individuelle Kultur geprägt, zugleich jedoch untrennbar mit dem Gesamtkonstrukt Studentenstadt verknüpft. Die Mitwirkenden der Einrichtungen verstehen sich dabei in erster Linie nicht als Gemeinschaftseinrichtungen Abb. 6: Cafe Brotladen im Haus 4 Vorbau Beschäftigte eines Betriebs sondern als Mitglieder einer großen Gemeinschaft, die von gemeinsamen Events aber vor allem von dem alltäglichen Zusammensein in der jeweiligen Kneipen lebt. So sind diese Gemeinschaften mit Ihren Einrichtungen unter anderem wichtiger Bestandteil der Organisation des studentischen Kleinkunstfestivals „StustaCulum“. Für den täglichen Betrieb gibt das jeweilige Haus nur grobe Rahmenbedingungen vor. Eigene Ideen z.B. für Mottopartys oder Umgestaltungen der Gasträume, können einfach auszuprobiert und weiterentwickelt werden. Für eine gewisse Stabilität sorgen festgelegte professionelle Abläufe sowie die Tatsache, dass die jährlich neu gewählten Hauptverantwortlichen aus der Mitte der Gemeinschaft kommen und in der Regel schon eine gewisse Zeit vor Beginn der eigenen Amtszeit in der jeweiligen Einrichtung mitgewirkt haben müssen. Bedingt durch vergleichsweise kurze Amtszeiten von ein bis maximal zwei Jahren und der zugrundeliegenden Flexibilität entwickeln sich die Einrichtungen dennoch stetig weiter. Somit bilden sowohl die einzelnen Einrichtungen als auch die Studentenstadt als Ganzes soziale Experimentierfelder. Auch für die Bewohner:innen tragen die Einrichtungen insgesamt einen essentiellen Teil zur Wohnzufriedenheit und Lebensqualität bei. Sie bilden einen wichtigen Teil der kulinarischen Nahversorgung. So hat beispielsweise das „Potschamperl“ täglich wechselnde, multikulturelle, warme Tagesgerichte zum Selbstkostenpreis angeboten. Mindestens so wichtig ist aber auch der soziale Beitrag, den die Gemeinschaftsflächen liefern. Man muss sich nicht extra verabreden. In der Einrichtung trifft man auf bekannte Gesichter oder begegnet neuen Menschen, die als Studierende und Bewohner:innen der StuSta eine ähnliche Lebenssituation haben wie man selbst. Da die Mitwirkenden der Einrichtungen auch außerhalb ihrer Schichten häufig in den Einrichtungen anzutreffen sind, verschwimmt oft die Trennung zwischen Thekenkräften und Besuchern und der Bereich um die Theke entwickelt sich zum Zentrum der sozialen Interaktion. Durch den räumlich fließenden Übergang zwischen Küche und Theke im „Potschamperl“ war es auch der Küchenkraft stets möglich daran Teil zu haben. Allgemein lässt sich festhalten, dass die Zimmer und Apartments der StuSta klein sind und die Bewohner auf die Begegnungsflächen wie die Bars und Kneipen oder auch die kleineren Gemeinschaftsräume auf den Stockwerken angewiesen sind und sie wie gemeinsame belebte Wohnzimmer nutzen. Abb. 8: StuStaCulum Festival 2022 Atrium Bühne Abb. 7: Kade Disko im Keller des Max Kade Vorbaus Bestand 17 16 W O N S Erdgeschossgrundriss M 1:2000 Stockwerks Wohnzimmer Einrichtung mietbar Einrichtung Öffentlich Verwaltung U6 Studentenstadt Ungererstraße A9 Grasmeierstraße Englischer Garten Tennis Fußballplätze Festwiese Atrium Sporthalle Kita Saal Café Saal Saal Gastro Lesesaal 0m 100m 500m Bestand 19 18 Regelgeschoss und Untergeschoss M 1:2500 Stockwerks Wohnzimmer Regelgeschoss Untergeschoss Einrichtung mietbar Einrichtung Öffentlich Verwaltung 0m 0m 100m 100m 300m 300m GETRÄNKEVERKAUF KADE DISKOTHEK EGONS BAR BISTRO BAR SAUNA POTSCHAMPERL BAR HAUSMEISTERWERKSTATT GETRÄNKEVERKAUF GETRÄNKEVERKAUF GETRÄNKEVERKAUF GETRÄNKEVERKAUF GETRÄNKEVERKAUF WERKSTATT WERKSTATT VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Bestand 21 20 Höhenprofil Nord-Süd M 1:1000 0m 50m 200m Max-Plank-Gelände Grasmeierstraße Bestand 23 22 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Höhenprofil West-Ost M 1:1000 0m 50m 200m Ungerestraße Englischer Garten Bestand 25 24 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Das Ensemble besteht aus freistehenden Baukörpern und Gruppen, die eine Vielzahl von verschiedenen Freiflächen ergeben. Dadurch wird trotz hoher Dichte ein großzügiger Grünausgleich geschaffen. Sie unterscheiden sich grundsätzlich in Abstandsgrün und größeren sowie kleineren Grünflächen. Das Abstandsgrün, welches den Übergang von der Zuwegung zum Gebäude darstellt, lockert die Gebäude untereinander auf. Gleichzeitig ist es an vielen Flächen nicht aktiv nutzbar, weil sich die Fenster der Wohneinheiten direkt davor befinden. An Stellen an denen sich an der Fassade keine Wohnungen befinden, oder zumindest nicht unmittelbar, werden die Flächen von den Bewohner:innen oftmals als Vorgärten benutzt. Freiflächen und Bebauung M 1:4000 400m 0m 100m Hier findet man kleinere Sitzgelenheiten, Hochbeete und Grill- sowie Lagerfeuerplätze, die in den Jahren von den Bewohner:innen geschaffen wurden. Die Gebäude befinden sich in der Regel versetzt zueinander, was verhindert, dass man von der eigenen Wohneinheit direkt in ein anderes Zimmer blicken kann. Der Freiraum verengt und vergrößert sich stets beim Durchschreiten des Areals, wodurch sich immer neue Blickbezüge für den Betrachter erschließen. Dies bewirkt unter anderem, dass sich die Studentenstadt als Ganzes nicht von einem Ort erfassen lässt und größer und „verschachtelter“ wirkt, als sie eigentlich ist. So kommt es, dass man auch nach längerer Wohnzeit immer wieder einen neuen Ort entdeckt. Zwar haben vor allem Personen, die nicht ortskundig sind ihre Schwierigkeiten bei der Orientierung, dafür wirkt das Ensemble alles andere als beengt und monoton. Der Übergang von einer Freifläche zur anderen wird durch Schneisen zwischen den Gebäuden geprägt, wodurch sich einzelne Orte klar identifizieren lassen. Eine der beiden größten Rasenflächen ist das Atrium, welches zur Mitte hin durch umlaufende Sitzstufen abfällt und sich dadurch innerhalb strukturiert. Die andere ist die Festwiese, welche zwar keine innere Struktur aufweist, dafür aber freier in der möglichen Nutzung ist. Beide Flächen erfreuen sich großer Beliebtheit. Seit den Leerzügen hat sich das Zentrum vom Dichte Baumgrenzen Öffentliche Grünflächen Vorgärten Atrium Festwiese Abstandsgrün Blick auf die Sporthalle am Atrium Außenraum des Areals Atrium auf die Festwiese verlegt, da die hohen Häusern inzwischen leergezogen sind. Zum StuStaCulum Festival werden die beiden Freiflächen für große Bühnen benutzt. Bestand 27 26 Bewohner Die Studentenstadt ist gesellschaftlich begrenzt. Alle Bewohner:innen sind Studierende im frühen Erwachsenenalter. Das spricht von einer gewissen Homogenität, wobei hier mit etwa 60% ein hoher Anteil von Austauschstudieren anderer Nationalitäten wohnt, was wiederum von einer Heterogenität im Inneren spricht. Dies ist ein deutlich höherer Anteil als in der Umgebung. Der ursprüngliche Grundgedanke der Völkerverständigung lässt sich hier ablesen. Westen Der Bereich grenzt sich stark von seiner Umgebung ab. Zum einen mit einer deutlich höheren Dichte. Zum anderen mit Grenzen, die sich auf allen Seiten befinden. Im Westen trennt die Ungererstraße und die Autobahn die Bebauung von der Umgebung ab. Dort befindet sich auch der U- und Busbahnhof „Studentenstadt“. Der kurze Zuweg, der beim Aufgang zur Ubahn anfängt, mündet entlang des Parkdecks relativ schnell bei den ersten Häusern. Anders als zum Beispiel im Olympiadorf, wo der Hauptzugang durch eine Brücke und eine Ladenstraße zelebriert wird, taucht man in der Studentenstadt weniger prätentiös in das Wohnviertel ein. Der natürliche Zugang durch die Schneisen zwischen den Häusern passiert passiv. Norden Im Norden finden wir eine deutlich härtere Trennung. Das Nachbargrundstück, auf dem sich das Max-Planck- Institut befindet, wird durch eine Dichte Baumgrenze und einer Mauer abgeschnitten, sodass es praktisch keine Sichtbezüge von der Studentenstadt her gibt. Von oben hingegen wirkt das Institut vom Architekten Sep Ruf fast so als würde es mit seiner Schottenbauweise dazugehören. Osten Im Osten wird das Ensemble mit den 9 stöckigen Häusern 1 und 4, sowie den kleineren Atriumshäusern zum Englischen Garten hin flacher. Durch die Schneisen kommt man zu den Autoparkplätzen, von denen man in die Parkanlage eintreten kann. Süden Im Süden endet das Grundstück mit dem wenig genutzten Abstandgrün, welches sich neben der Grasmeierstraße wiederfindet. Auf der anderen Seite der Straße ist ein Gebiet mit Ein- und Mehrfamilienhäusern. Nicht selten gibt es Lärmbeschwerden der Nachbarfamilien. Grenzen Sicht von der Ungererstraße auf die Studentenstadt Sicht von der A9 Richtung Süden. Das Hans-Seidel-Hochhaus ragt über die Lärmschutzbrüstung Bestand 29 28 Die Ethnologie ist eine empirische und vergleichende Sozialwissenschaft, die versucht die Sozialstruktur von Gesellschaften abzubilden. Aufgrund der Homogenität nach außen hin, sowie die gewisse Heterogenität im Inneren, muss diese bei den Überlegungen zu neuen städtebaulichen Layern in Betracht gezogen werden, um die Studentenstadt mit Ihren Stärken und Schwächen verstehen zu können. Die Einrichtungen dürfen offiziell nur von den Bewohner:innen genutzt werden. Dadurch werden sie und die Heimselbstverwaltung weiterhin nach außen abgegrenzt. Dies verstärkt die Grenzen: „Die Auffassung des Städtischen als performativer Raum folgt der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion um den Begriff des Raums, die mehr als zuvor auf die subjektive Dimension, das Raumempfinden abhebt“ 1 Eine Ausnahme sind die Vereine, die manche Einrichtungen nach außen wahrnehmbar und mitgestaltbar machen, wie etwa der Verein Kulturleben, der jährlich das in Deutschland größte von Studenten organisierte Festival StuStaCulum organisiert. Die Vielfalt an ökonomisch angelehnten Einrichtungen, freien Gemeinschaftsräumen und Ämtern in der Heimselbstverwaltung, sowie den Vereinen stellt ein großes Angebot dar. Diese Art von Konzentration an Einrichtungen ist typisch für Städte. 2 Mit den vorhandenen räumlichen Grenzen erhöht sich die Dichte und die Betrachtung der Studentenstadt als abgeschlossenes System. Trotzdem bewegt sich durch die hohe Wechselrate der Bewohner:innen die Grenze nach außen hin, wodurch ehemalige Bewohner:innen oft noch ein Teil der Gemeinschaft sind oder Freunde von Bewohner:innen zu Besuch in die Studentenstadt kommen. Bei der städtebaulichen Nachverdichtungsplanung ist 1 Wulf | 2001 | S. 19 2 vgl. Wirth | 1938 | S. 44f dabei zu beachten, dass es verschiedene Lebensweisen gibt, die unterschiedlich mit der Studentenstadt interagieren. Nach eigenen Beobachtungen ergeben sich verschiedene Grundtypen an Bewohnern:innen: Es gibt Bewohnern:innen, die die Studentenstadt lediglich als Schlaf und Essensplatz nutzen und Ihr Sozialleben außerhalb und an den Hochschulen verbringen. Andere nehmen regelmäßig das Angebot der Tutoren, der Heimselbstverwaltung und der Einrichtungen wahr. Ein Teil dieser bringt sich dabei auch selbst mit ein, übernimmt Verantwortung und erweitert das Angebot. Viele nehmen dies als Möglichkeit der Selbstentwicklung wahr, weil es in der Studentenstadt einfacher ist in dem Lebensabschnitt Studium Verantwortung zu übernehmen und sich selbst zu verwirklichen. Vergleichen könnte man die Heimselbstverwaltung mit den Fachschaften an den Universitäten, die ebenso ein starkes Gruppen- und Verantwortungsgefühl ausbilden. Gleichwohl gibt es viele Menschen, die isoliert auf Ihrem Zimmer leben, die auf dem Gang beim Grüßen wegschauen und die es nicht schaffen die erste Grenze zur Sozialisation zu überschreiten, die oftmals das Beisammensein im Stockwerkswohnzimmer ist. In der Studentenstadt kann man genauso leicht Anschluss finden, wie man einsam sein kann. Ethnologie und städtische Merkmale Das Ziel der akademische Ausbildung von jungen Erwachsenen ist die fachliche Qualifizierung. Für die Studierenden ist der Einstieg in die Lebensphase Studium eine weitreichende Umstellung des Lebens. Zum einen besteht es aus der räumlichen Nähe zur Universität, zum anderen aus dem Leben abseits der Hörsäle. Die vom Studium bestimmten Tagesabläufe, das Entwickeln neuer sozialer Kontakte und das in der Regel niedrige Einkommen mit einhergehender finanzieller Abhängigkeit bestimmen das Leben der Studierenden. Somit kann man vom „Lebensraum Hochschule“ sprechen. 1 In diesem Gesamtkonstrukt dieser Lebensphase ist die Forschung und Lehre untrennbar von den sozialen Lebensbedingungen der Studierenden. Im Sinne der Chancengleichheit in unserem Bildungswesen, müssen die sozialen Rahmenbedingungen bereitgestellt werden. Die Schaffung von sozialem Raum trägt dabei unmittelbar zur Leistungsfähigkeit der Bildungseinrichtungen bei und damit zum Bildungssystem im Gesamten. Die Qualität der Ausbildung durch Lehrende und Einrichtungen allein reicht nicht, denn die Attraktivität des sozialen Lebens erhöht und stabilisiert die Motivation und die Leistungsfähigkeit der Studierenden, die unsere Zukunft bedeuten. 2 „Ziel der akademischen Ausbildung kann hierbei nicht sein, allein Berufsqualifikation, Fachwissen und Intellektualität zu vermitteln. Vielmehr geht es im Humboldt‘schen Sinne um ein umfassendes, ganzheitliches Bildungsziel, welches den gesamten Menschen im Blick hat und darauf zielt, Persönlichkeiten sich entwickeln zu lassen, die später in Staat und Gesellschaft, in Familie und Vereinen und in den jewei ligen sozialen Beziehungen imstande sind, eigenverantwortlich Aufgaben zu erfüllen und Lebensverantwortung, möglicherweise auch für andere, zu übernehmen.“ 3 1 vgl. Berner | 1987 | S .9-18 2 Mutius | 1944 | S. 12 3 Mutius | 1944 | S. 12 Das Schaffen von Wohnraum für Studierende ist eine Voraussetzung für das Studium. Gerade in Ballungsräumen wie München, wo Mieten hoch und Wohnungen knapp sind, lässt sich der staatlich geförderte Studentenwohnungsbau nicht wegdenken. Der verfügbare Wohnraum beeinflusst die Studienortswahl, den Erfolg im Studium und die Dauer bis zum Abschluss. 4 „Neben dieser klassischen ‚Unterbringungsfunktion‘ hat der Studentenwohnraumbau auch eine akademische Bildungsfunktion‘” 5 In den USA zum Beispiel wird diese Idee in Form des „Campus“ fest in das Bildungswesen integriert und ist eine Selbstverständlichkeit. In der Bundesrepublik Deutschland wurde in den 50er und 60er Jahren besonders Wert auf den sozialen Raum ergänzend zur Universität gelegt. Noch heute sehen wir die Überbleibsel der damaligen Überlegungen in Form von Wohnheimstutoren:innen und Haussprechern:innen. Doch hat seitdem die reine wirtschaftliche Unterbringungsfunktion immer mehr Aufmerksamkeit bei den Wohnheimsträgern gekriegt und die soziale Funktion ist immer mehr in den Hintergrund gerückt. So findet man in der Förderungsrichtlinie für Wohnheimsbau des Bayerischen Staates die Angabe 1m 2 /Bewohner:in Gemeinschaftsfläche herzustellen. Oftmals findet sich diese in der Realität ohne umgesetztes Konzept wieder: z.B. in einem schlecht nutzbaren abgeschlossenen Wohnzimmer mit vorgeschriebener Mindestmöbelierung. Wenn wir eine Leistungsstarke Gesellschaft auf den Weg in die Zukunft schicken wollen, dann müssen wir uns wieder Gedanken machen, wie wir die jungen Erwachsenen auf dem Weg im Studium unterstützen und deren Persöhnlichkeit fördern, sowie Entfaltungsmöglichkeiten bieten, statt sie einfach nur „auszubilden“. 4 vgl. Stellungsnahme des 171. Plenums der Hochschulretorenkonferenz | 1993 | S. 3 5 Vgl. Berner | 1987 | S. 12 Humboldtsches Bildungsideal Bestand 31 30 Haustypologien VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION M 1:500 Haus 1 | Max Kade Haus Abb. 9: Haus 1 1962 mit Vorbau für Gemeinschaftsflächen: Tanzsaal, Sitzungssaal und Tischtennisraum 0m 10m 50m Erdgeschoss Steckbrief Fertigstellung 1962 Architekt Lang und Pogadl Sanierung 2001 Architekt Christoph Maas Bewohner 196 Zimmertyp Einzelzimmer mit geteiltem Bad und Küche Vorbau Sitzungssaal Tanzsaal Diskothek im Keller Das Max Kade Haus wurde im ersten Bauabschnitt fertiggestellt. Die geschlossene Bauweise mit seiner zwei dimensionalen Fassade lässt es wie einen Block in der Landschaft stehen. Es wird durch den Vorbau mit seinen Gemeinschaftsflächen ergänzt. Auf Balkone wurde aus Kostengründen verzichtet. In den Ecken des Gebäudes befanden sich damals Doppelzimmer, die nach der Sanierung bis heute als Einzelzimmer genutzt werden. Auf der Dachterrasse befand sich damals ein Dachterrassencafé, welches nach der Brandschutzreform schließen musste. Ein 2. Fluchtweg fehlt. Die Oberkante des Daches befindet mit 25m über der Hochhausgrenze. Bestand 33 32 Haustypologien Haus 4 | Egon Wiberg Haus M 1:500 VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION 0m 10m 50m Erdgeschoss Das Egon Wiberg Haus 2010 saniert und mit zweitem Fluchtweg ergänzt Steckbrief Fertigstellung 1962 Architekt Lang und Pogadl Sanierung 2010 Architekt Christoph Maas Bewohner 180 Zimmertyp Zimmer mit eigenem Bad und geteilter Küche Vorbau Café Sitzungssaal Veranstaltungssaal Bar im Keller Das Egon Wiberg Haus war baugleich mit dem Haus 1. Es wurde 10 Jahre später saniert und die Zimmer wurden mit eigenen Bädern ausgestattet, wodurch neue Zimmer in die alten Badbereiche gebaut werden konnten. Außerdem wurde auf der Südseite ein zweiter Fluchtweg im Freien ergänzt. Die Nutzungen des Vorbaus haben sich bis heute ständig geändert. Auf der Südseite dessen befindet sich ein kleiner angebundener Platz, der für Veranstaltungen oder spontane Treffen benutzt wird. Bestand 35 34 Haustypologien Haus 13 | Rotes Haus M 1:500 0m 10m 50m Erdgeschoss VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION VECTORWORKS EDUCATIONAL VERSION Im Roten Haus ereignete sich im Februar 2021 ein Brand in der Kellersauna, seitdem ist das Haus leergezogen Steckbrief Fertigstellung 1975 Architekt Lang und Pogadl Bewohner 180 (derzeit leergezogen) Zimmertyp Appartments mit eigener Küche und Bad Gemeinschaftsräume im Keller Bar Getränkeladen Werkstatt Sauna Das Rote Haus ist das niedrigste Hochhaus der Neustadt mit seinen 20 Metern. Es wurde mit Balkonen ausgestattet, welche durch den massiven Beton schwer wirken. Im Keller haben die Studierenden nach und nach mehrere buchbare und öffentliche Einrichtungen über die Jahrzehnte hinweg geschaffen. Der Spalt zwischen dem Roten und dem Orangenen Haus war vor den Leerzügen der am meisten genutzte Zugang zu der Studentenstadt. 2021 brannte es im Keller im Bereich der Sauna, wobei eine Bewohnerin ums Leben kam. Seitdem ist das Haus leergezogen und ein Versicherungsfall. Bis heute kann die Ursache des Brandes nicht gefunden werden.