1 Kommentar zu: FARLEY M et al., Männer in Deutschland, die für Sex zahlen – und was sie uns über das Versagen der legalen Prostitution beibringen Originaltext der Farley-Studie: https://prostitutionresearch.com/wp- content/uploads/2022/11/Freier-Germany-11-8-22.pdf Thomas Schmitt 2023 Kontakt: [email protected] Vorbemerkung Dieser Kommentar versteht sich als ein „Kurzkommentar“, der nur auf die wichtigsten systematischen Probleme und Mängel dieser Studie aufmerksam machen soll. Es ist nicht beabsichtigt, ähnlich einem Peer Review Satz für Satz und Absatz für Absatz zu analysieren und zu kommentieren, da dies zu einer Abhandlung führen würde, die länger wäre als das Original, um das hier geht. Zunächst sollten sich Leser der Studie darüber im Klaren sein, dass alle AutorInnen AbolitionistInnen und VertreterInnen des Sexkaufverbots sind, so dass von vornherein eine neutrale Herangehensweise an das Thema und die Befragungen ausgeschlossen war. Die Studie ist interessengeleitet und damit eine Form von Lobbyarbeit. Dies ist als solches aber den StudienautorInnen nicht vorzuwerfen und auch keinesfalls verwerflich; das kann und darf man tun und ist grundsätzlich in Ordnung. Es muss den Lesern und vor allem den (politischen) Entscheidungsträgern 2 aber klar sein, dass sie hier keine neutrale und ergebnisoffene wissenschaftliche Studie präsentiert bekommen, sondern ein Lobbypapier von einer Gruppe von AutorInnen mit einer vorgefassten Meinung. Diese vorgefasste Meinung wird an sehr vielen Stellen deutlich, von denen hier nur ein paar Beispiele genannt seien: Begriffe wie „Menschen zu kaufen“ (S.9) bzw. „Frauen in der Prostitution zu kaufen“ (S. 24), „ein menschliches Wesen zu sexuellen Zwecken zu kaufen“ (S. 36), die Bezeichnung von Betreibern von Prostitutionseinrichtungen in Deutschland als „legale Zuhälter“ (S.29/30), „die hartnäckige Weigerung von Männern, Frauen in der Prostitution als Menschen anzusehen“ (S. 44) oder die Bezeichnung von Prostitutions-Aussteigerinnen als „Überlebende der Prostitution“ (S. 9), so als führe Prostitution (in Deutschland) in einer relevanten Anzahl von Fällen zum Tode, was aber dann nicht durch entsprechende Zahlen aus Deutschland belegt wird, abgesehen von einem Einzelfallbericht aus Südwestdeutschland 2016 (Seite 14). Bezeichnend sind auch Unterstellungen wie: „Die bis ins Detail organisierte kriminelle Zusammenarbeit zwischen Geschäftsmännern, Medienstars, sozialen Influencern und Politikern bildet die Grundlage für die legale Prostitution in Deutschland.“ (S. 31). Spätestens hier müssten sich Politiker fragen, ob sie diese Abhandlung als Grundlage für ihre Entscheidungen berücksichtigen können? Eine Abhandlung, die den Politikern selbst „organisierte kriminelle Zusammenarbeit“ unterstellt? „Die Geschäftsmänner investieren große Summen in legale Bordelle … und fordern von den Zuhältern hohe Gewinne.“ Was soll uns dieser Satz sagen? Die Zuhälter sollen den Geschäftsmännern hohe Gewinne bezahlen (also Zuhälter als Opfer?), oder wollen die Geschäftsmänner, dass die Zuhälter selbst hohe Gewinne (also für die Zuhälter selbst) erwirtschaften? Es muss also klar sein: dies ist ein Lobbypapier von AutorInnen mit einer bereits im Vorfeld absolut fest fixierten und nicht mehr revidierbaren Grundeinstellung, und in diesem Tenor ist die Studie verfasst, und unterscheidet sich damit von einem neutralen, ergebnisoffenen wissenschaftlichen Studiendesign, das eine konkrete Nullhypothese formuliert, die verifiziert oder falsifiziert wird. Im Folgenden seien nur einige wichtige Kritikpunkte herausgearbeitet: I. Freierzitate Es soll hier den StudienautorInnen ausdrücklich keine Manipulation unterstellt werden, sondern es wird schon davon ausgegangen, dass diese zum Teil völlig unfassbaren, menschen- und frauenverachtenden, schockierenden, durch nichts zu rechtfertigenden Aussagen tatsächlich gefallen sind. 3 Aber wie aus dem Methodenteil der Abhandlung zu entnehmen ist, wurden diese Aussagen nicht aufgezeichnet, sondern handschriftlich von den Interviewerinnen aufgeschrieben, dann ins Englische übersetzt, und später für die hier diskutierte deutsche Publikation wieder ins Deutsche zurückübersetzt – also 3 Transferschritte, bei denen sich Ungenauigkeiten einschleichen können (vgl. S. 17). Besonders bei den längeren Zitaten erkennt der Leser unschwer, dass diese so nicht wörtlich in einem mündlichen Interview formuliert worden sein können. So spricht niemand in einem mündlichen Interview. Das kann kein wörtlicher Originaltext sein. Grundsätzlich ist eine dreifache Transkription bei so sensiblen Aussagen, wo es auf die exakte Formulierung ankommt, an sich schon problematisch (authentisch wäre nur die direkte wörtliche Wiedergabe eines Mitschnittes), aber dies ist umso problematischer, wenn die AutorInnen und sonstigen MitarbeiterInnen des Projektes nicht neutral, sondern voreingenommen und lobbyistisch sind. Da besteht zumindest ein Risiko, dass die letztendlich in der Arbeit gedruckten Zitate verschärfter und vor allem „pointierter“ ausfallen, als es tatsächlich von den Freiern gesagt wurde. Dabei sei noch einmal betont: der Grundtenor der Aussagen soll hier nicht bestritten werden und es soll hier den AutorInnen nicht unterstellt werden, sie hätten Aussagen erfunden oder etwas dazu gedichtet. Es kann aber bei dieser Gemengelage (3 x Transkription, voreingenommene AutorInnen) nicht ausgeschlossen werden, dass die Aussagen, wie sie gedruckt wurden, „schärfer“ herüberkommen, als es von den Freiern wörtlich gesagt und gemeint gewesen sein könnte. Aussagen zu derartigen Themenkomplexen sind auch immer im Kontext der Mimik und Gestik des Sprechenden zu sehen, mit denen er solche Aussagen in ihrer Wirkung modulieren (also auch relativieren) kann. Das ändert aber nichts daran, dass viele dieser Aussagen menschen- und frauenverachtend und schockierend sind, selbst wenn nur der „Tenor“ stimmt und keine wortgetreue Wiedergabe erfolgt ist. Wenn 96 Freier mit jeweils mindestens 250 Fragen (!) konfrontiert wurden, hat man ca. 24.000 Antworten, ein riesiger Pool. Fast alle „Zitate“ (mit ganz wenigen Ausnahmen) lassen Freier in einem (sehr) schlechten Licht erscheinen, die beim unvoreingenommenen Leser eine gerade schockierende Wirkung auslösen – kurz gesagt: alle Freier sind schlimme Schweine, toxische Persönlichkeiten, Vergewaltiger. Es bleibt aber offen, ob alle befragten Freier in dieser Art und Weise denken und so mit den Prostituierten umgehen oder so über sie denken? Sind diese Aussagen überhaupt repräsentativ für die Gesamtheit der befragten 96 Freier? Hier kommt wieder zum Tragen, dass die AutorInnen nicht neutral sind, sondern Lobbyarbeit für ihre Ziele betreiben. Wenn ein neutrales, ergebnisoffenes Autorenteam eine solche Zitatesammlung präsentiert hätte, wäre diese Auswahl anders zu werten, weil dann nicht zu befüchten wäre, dass für Freier belastende Zitate positiv selektiert worden sein könnten. Bei einem abolistionistischem Autorenteam ist, vorsichtig gesagt, das Risiko sehr groß, dass aus einer Fülle von Zitaten die „schlimmsten“ zum Abdrucken ausgewählt wurden, während Zitate, die ein positiveres Licht auf die betreffenden Freier werfen würden, bewusst unterschlagen werden. 4 Und hier komme ich zum ersten Punkt, den ich als schweren Methodenfehler werte. Wenn man im Rahmen einer Studie detaillierte persönliche Face-to-Face- Interviews mit einer überschaubaren Anzahl von Personen führt (und 96 sind überschaubar), und diese dann in vielfacher Weise „wörtlich“ zitiert (mit den o.g. Einschränkungen des dreimaligen Transkripts), dann ist es üblich, dass man kenntlich macht, welche Zitate von demselben Interviewten stammen, idealerweise indem man die Interviewten einfach durchnummeriert (Freier Nr. 1, 2, 3 …). Damit werden weder Datenschutz noch Persönlichkeitsrechte verletzt. Es wird erkennbar, welche Aussagen derselben befragten Person zuzuordnen sind. Bei 96 Befragten ist das absolut praktikabel. Es muss hier davon ausgegangen werden, dass diese wichtige Kennzeichnung der Zitate bewusst unterschlagen wurde, damit alle befragten Freier in einem sehr schlechten Licht erscheinen. So bleibt es unklar, ob vor allem die schlimmsten und verachtungswürdigsten Zitate von einigen wenigen Freiern stammen (einige Freier dieser Studie hatten ja auch einen schwerkriminellen Hintergrund bis hin zu Totschlag und Mordversuch außerhalb des Paysex, siehe unten), oder ob diese Aussagen repräsentativ für alle 96 befragten Freier sind? Darüber wird die Leserschaft im Dunklen gelassen, und es ist davon auszugehen, dass dies bewusst geschah, indem von einer in einer solchen Interviewstudie üblichen Methodik abgewichen wurde. Wir wissen aufgrund dieses eindeutigen methodischen Mangels daher nicht, auf wie viele der 96 Befragten sich die „schlimmen“ Zitate verteilen, und damit wissen wir auch nicht, welchen Grad an Repräsentativität diese Zitate- Sammlung überhaupt für sich in Anspruch nehmen kann? Schließlich ist es eine von Lobbyisten gesteuerte Auswahl aus ca. 24.000 Antworten! Nur nebenbei sehr erwähnt, dass nicht bei allen Zitaten erwähnt ist, ob sie von einem Freier des deutschen Studienarms oder aus einem anderen Land stammen. Das ist deshalb problematisch, weil Freier mit einem anderen kulturellen Hintergrund und/oder aus einem anderen rechtlichen Rahmen (was Prostitution betrifft) möglicherweise auch anders denken und eine andere Einstellung haben. Die Zweifel an der Repräsentativität der Zitatauswahl werden massiv dadurch verstärkt, dass eine andere Freierbefragung aus Deutschland zu ganz anderen Ergebnissen gekommen ist (LANGANKE et al.: Was Freier wollen – sexuelle Gesundheit aus Sicht der Kunden). Die Ergebnisse sind noch nicht publiziert, wurden aber Ende 2017 im Rahmen eines Fachvortrages öffentlich bekannt gegeben (Abstract hier auf S. 19: https://docplayer.org/132553044-Forschung-zur- sexarbeit.html). Die Befragung war in der genannten Studie bei weitem nicht so detailliert, erfolgte als Online-Befragung und inkludierte immerhin 149 Freier. Der Aufwand dieser Studie war natürlich wesentlich geringer, aber der Wert einer Studie misst sich nicht allein an dem betriebenen Aufwand an Personal und Stunden. Die Probandenzahl liegt um 55 % höher; die anonyme Online-Befragung via Fragebogen mit zusätzlichem Kommentarfeld für Freitext ermöglichte dank völliger Anonymität noch objektivere Antworten als dies bei Face-zu-Face-Interviews möglich ist. Der ganz entscheidende Punkt ist aber: die Befragten erhielten kein Honorar. Der Zeitaufwand für die Befragten war gering, es gab daher keine Zugangshürden im Sinne von Zeitaufwand oder Anfahrt, es gab aber auch keinen Benefit für die Teilnahme in Form eines 5 Honorars. Wir haben es hier also mit einer wesentlich geringeren Verzerrung bei der Entscheidung für oder gegen die Teilnahme an der Befragung zu tun als bei FARLEY et al., die von ihren Probanden einen hohen Zeiteinsatz (ca. 1,5 Stunden) (S. 20) zzgl. Anreise erwarteten, im Gegenzug Fahrtkosten und – vor allem problematisch – ein in der Höhe nicht genanntes Honorar erstatteten. Welche Motivation hat ein Freier, sich dieser sehr eingehenden und unangenehmen intimen Befragung zu unterziehen, außer das Honorar zu erhalten? Man beachte den Umfang von 250 Fragen, mit denen die Freier konfrontiert wurden. Ist ein solch umfangreicher Interviewansatz vernünftig oder nur insofern zielführend, dass man auf diese Weise in der Gesamtheit 24000 Antworten erhält, aus denen man sich dann die allerschlimmsten und schockierendsten aussuchen kann, um – ohne Zuordnung der Zitate zu konkreten, nummerierten Freiern – den Eindruck erwecken zu können, diese schlimmen Zitate repräsentieren die gesamte Freierschaft? II. Participation Bias Sind die 96 befragten Freier aus München und Karlsruhe repräsentativ für die deutsche Freierschaft insgesamt? Es wurde oben schon angedeutet: So etwas ist natürlich nur gegen ein adäquates (in der Höhe nicht genanntes***) Honorar möglich (vgl. S. 19), und im Grunde genommen ist es eine Umkehrung der Verhältnisse. Wendet man die Diktion und Terminologie der AutorInnen hier auf die Interviews an, dann wären diese bezahlten Interviews eine Form von „Freierkauf“. „Freierkauf“ ist keine wissenschaftlich akzeptierte Methodik, weil sie von vornherein einen Bias schafft, da nur diejenigen Freier für solche Interviews „kaufbar“ sind (in der Diktion der AutorInnen), die es nötig haben, sich das anzutun. Also „Zeit gegen Geld“ (wie in der Prostitution), der Unterschied besteht nur darin, dass es nicht um sexuelle Handlungen, sondern sehr intime Befragungen ging. Es ist sicherlich individuell unterschiedlich, von Person zu Person und Partner zu Partner, was als belastender angesehen wird: Vollzug von Intimitäten oder intime Befragungen? Das wird sich nicht generell beantworten lassen, das muss jeder für sich entscheiden. ***Letztendlich spielt es aber auch keine entscheidende Rolle, wie hoch das Honorar war. Auch wenn es vielleicht nur 30 oder 50 Euro gewesen sein mögen (zzgl. Fahrtkosten) und das Interview 1,5 Stunden dauerte, kann das – bar auf die Hand – für manchen Freier lukrativer sein als zwei oder drei bezahlte Überstunden auf seiner Arbeit zu leisten, davon Steuern und Sozialabgaben zu bezahlen, und das Geld landet auf dem gemeinsamen Familienkonto. Genau diese Freierbezahlung ist aber ein weiteres essentielles Problem dieser Studie. Welche Motive hat ein Freier, an einer solchen Studie unter diesen Bedingungen teilzunehmen (finanzielle Not? Geldbedarf für weitere Abenteuer im Paysex? Bargeld auf die Hand, über das er verfügen kann, ohne seiner Ehefrau Rechenschaft ablegen zu müssen, wie im Falle von Geld auf dem gemeinsamen Konto?). So etwas zieht natürlich bevorzugt Freier an, die sich selbst in prekären 6 Lagen befinden. Ist das nicht dasselbe, was immer den Prostituierten unterstellt wird? Freier aus prekären Lagen sind aber nicht repräsentativ für die Gesamtheit der Freierschaft – eher das Gegenteil. Wie groß muss die „sexuelle Not“ sein, wenn man trotz prekärer Finanzlage Sexdienstleistungen nutzt? Ist es nicht naheliegend, dass man unter diesen Umständen genau jenen Freiertyp sucht und findet, den die StudienautorInnen brauchten, weil er in ihr Weltbild passt und ihnen die abschreckenden Zitate liefert, die sie für ihre abolitionistische Studie wünschten und suchten? Wir haben also ein doppeltes Repräsentativitätsproblem: da aufgrund eines schweren methodischen Mangels die Interviewpartner nicht nummeriert wurden, wissen wir nicht, ob die angegebenen „schlimmen“ Zitate repräsentativ für alle 96 befragten Freier sind, oder nur für eine (kleine?) Subgruppe von diesen, und der Rest der befragten Freier das völlig anders (und „freundlicher“) sieht? Das ist das Repräsentativitätsproblem auf Mikro-Ebene, durch einen simplen methodischen Mangel bedingt, der leicht zu beheben gewesen wäre, wenn man dies gewollt hätte. Man hat es also offenbar bewusst nicht gewollt. Ein weiteres Repräsentativitäts-Problem besteht auf der Makroebene: dass sich für diese zeitaufwendigen und unangenehmen Interviews nach menschlichem Ermessen nur Freier fanden, die sich wegen des Honorars dafür „kaufen“ ließen. Aus z.B. Telefon- oder Marketinginterviews z.B. der Marktforschung weiß man doch aus eigener Erfahrungen, dass ein paar Fragen noch interessant und angenehm sein mögen, irgendwann aber Ermüdung, Frustration und Lustlosigkeit einsetzen oder das Telefonat abgebrochen wird, wenn die Fragerei kein Ende nimmt. Das geht dann eben nur gegen ein adäquates Honorar, und dann stellt sich direkt die Frage, welcher Mann es nötig hat, sich dem zu unterziehen? Wir haben es in dieser Studie daher mit einem ganz massiven Participation Bias zu tun, um nicht das böse Wort „Männerkauf“ oder „Freierkauf“ erneut zu bemühen. Auch die demographischen Daten der Teilnehmer können Hinweise auf einen Participation Bias liefern. Das Durchschnittsalter (45 Jahre) und Medianalter (47 Jahre) ist höher als in den Studienarmen aus anderen Ländern – vielleicht war ein Teil der Teilnehmer in Deutschland altersarbeitlos, Rentner oder Frührentner und hatte daher eher Zeit für ein so ausgedehntes Interview, aber auch einen höheren Bedarf für das entsprechende Honorar? Auffällig ist das geringe Durchschnittsalter bei der ersten Inanspruchnahme von Paysex (22 Jahre). Dies entspricht nicht den Erfahrungen aus Umfragen in Freierforen, wo sich eher ein altersmäßig gestreckter Verlauf abzeichnet: gut die Hälfte (52,4 %) stieg bis 25 Jahre ein, der Rest zum Teil deutlich später (9,2 % über 50 Jahren), vielleicht im Zusammenhang mit Lebenskrisen oder sexuellen Krisen und somit im Kontext von partnerschaftlichen oder sexuellen Defiziten oder Nachholbedarf des alternden Mannes (Midlife-Crisis) (Basis n = 313 Teilnehmer; Stand 13.9.2023, Rheinforum). Diese Verteilung des Einstiegsalters aus der Forumsumfrage ist mit einem Durchschnitts-Einstiegsalter von 22 Jahren aus der Farley-Studie rein mathematisch völlig inkompatibel, so dass dieser Befund erste Zweifel an der Repräsentativität der 7 Teilnehmer aus der Farley-Studie aufkommen lässt. Das junge durchschnittliche Einstiegsalter in den Paysex kontrastiert auch in der Farley-Studie mit dem vergleichsweise hohen Durchschnittsalter der Befragten. Offensichtlich gab es in der Studienpopulation keine oder sehr wenige „Späteinsteiger“, was allein schon gegen Repräsentativität spricht. Bemerkenswert ist auch, dass 21 % der Teilnehmer angaben, dass sie Arbeitslosengeld oder Hartz IV erhielten. Freier in prekären Verhältnissen sind sicher eher bereit, sich einer solchen Befragung gegen Geld zu unterziehen (s.o.). Umgekehrt ist anzunehmen, dass für diese „armen“ Freier eine erhöhte Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie aufgrund ihrer sehr engen finanziellen Ressourcen Prostitutionssegmente aufsuchen, mit denen ein durchschnittlich situierter Freier womöglich nie in Berührung kommt oder für sich auch gar nicht in Erwägung ziehen würde (Stichwort: „Billigstrich“). Dies mag dann manche geschilderten dramatischen Erlebnisse, auch in der Interaktion Prostituierte/Zuhälter, erklären, die in Prostitutionsbetrieben, die im Rahmen des Sexkaufverbots sofort verschwinden würden, undenkbar wären. Unplausibel sind die Darstellungen zu der Frage, wo der Paysex stattfindet (30 % Innenräume, 33 % Außenräume – was ist mit den restlichen 37 %? Keine Angabe? Gemischt drinnen/draußen?). Diese Tabelle wäre durch kein Peer Review einer Fachzeitschrift gekommen. Und diese Frage ist durchaus relevant, vor allem wenn man dies in Bezug setzt zu der hohen Quote von Freiern, die Zeugen von Misshandlungen von Prostituierten durch Zuhälter geworden sind, oder solches vermuten (z.B. aufgrund blauer Flecke). Es ist schon wichtig zu wissen, ob der Paysex der befragten Freier in ordentlichen und angemeldeten Prostitutionsbetrieben erfolgte (und dort solche Erfahrungen gemacht wurden?), also in Betrieben, die mit dem Sexkaufverbot unmittelbar und mit 100 % Sicherheit aufgelöst würden, oder in Settings wie z.B. Drogenstrich/Billigstrich oder anderen „privaten Settings“, im „Untergrund“, im „Unsichtbaren“, also letztendlich unter Umständen, die durch das Nordische Modell nicht verschwinden würden, sondern, ganz im Gegenteil, als Ausgleich für den Verlust der ordentlichen und angemeldeten Prostitutionsbetriebe expandieren würden, weil es sonst keine Alternativen mehr für die (ja weiterhin legalen) Prostituierten gibt, wo sie ihre Leistungen anbieten könnten? Wenn man ein Sexkaufverbot fordert und dies mit einer Studie hinterlegen will, ist es essentiell, zu unterscheiden, wie die Lage in den Prostitutionsbetrieben ist (und was die Freier, die diese Betriebe aufsuchen, denken), und wie die Lage in den Settings ist, die durch das Nordische Modell nicht in ihrer Existenz beseitigt, sondern letztendlich gefördert würden, weil sie die einzige Möglichkeit für die verbleibenden Prostituierten darstellen, ihre Leistungen anzubieten? Gibt es Unterschiede in der Persönlichkeit und Einstellung der Freier zwischen diesen Settings? Das wäre eine wichtige Frage gewesen. Diese Kernfrage wird mittels einer diffusen und mathematisch nicht stimmigen Tabelle 12 verschleiert. War eine solche Differenzierung unerwünscht? Hat sie nicht in das Weltbild der AutorInnen gepasst? Die Verteilung der Freier auf Singles (44 %) versus Partnerschaft/Ehe (56 %) ist dagegen durchaus plausibel und in Einklang mit Umfragen in Freierforen. Hier stellt sich aber die Frage, warum die Studie gerade an diesem Punkt so kurz greift? Wenn 8 man wirklich etwas über die Motive der Freier erfahren will (und nicht nur „böse“ Sätze hören will, die man dann zitieren kann, um die Leserschaft zu erschrecken), wäre es wichtig gewesen, hier noch eine einzige Frage mehr zu stellen, und zwar an die Freier in Partnerschaft, warum sie dennoch Paysex nutzen? Diese Frage wurde von den AutorInnen entweder nicht gestellt oder nicht ausgewertet. Wäre da etwas herausgekommen, was man nicht wissen wollte? Es gibt also verschiedene Aspekte, die Zweifel an der Repräsentativität der Freierschaft dieser Studie geben, aber man sollte diese zunächst nur als vorsichtige Hinweise, als Indizien verstehen. Der „Knaller“ ist aber die kriminologische Geschichte der Teilnehmer. Wobei man ja noch nicht einmal sicher sein kann, ob alle Freier ihre Vorstrafen korrekt angegeben oder manches verschwiegen haben – je gravierender das Vergehen, umso größer das Risiko des bewussten Verschweigens oder auch unbewussten Verdrängens. 31 % der befragten 96 Freier waren schon verhaftet worden, 39 % waren schon wegen Straftaten verurteilt worden. Dabei gehen die StudienautorInnen selbst davon aus, dass die Anzahl der Verhaftungen und Verurteilungen wahrscheinlich unterschätzt wurde (!). „Nur eine geringe Anzahl von Männern in jeder Stichprobe gab an, Straftaten begangen zu haben oder dafür verurteilt worden zu sein. (S. 48)“. 11 der 96 Freier hatten Gewaltdelikte gegen Frauen begangen, 27 tätliche Angriffe und Körperverletzung, 2 Morde, 1 x organisierte Kriminalität (S. 48). Unter 11 „Gewaltdelikten gegen Frauen“ ist allerdings keine einzige Vergewaltigung; sie teilen sich auf in „5 x Erhalt eines Kontaktverbotes“, 2 x öffentliches Urinieren, 2 x sonstige Erregung öffentliches Ärgernisses, 2 x Einschüchterung von Zeugen, 4 x Sachbeschädigung. In der Summe macht das sogar 15 Delikte (die offenbar von 11 Freiern begangen wurden), die Assoziation mit „Gewalt gegen Frauen und damit typisch verbundene Verbrechen“ bleibt aber unklar. Insgesamt 4 % waren wegen Mord oder Mordversuchs verurteilt worden (2 x Totschlag, 2 x versuchter Mord oder Totschlag). Bemerkenswert sind auch: 5 x Einbruchs-/Wohnungsdiebstahl, 4 x unbewaffneter Raub, 2 x schwerer Raub, 8 x Drogenhandel/-import. 16 x Betäubungsmittelverstöße (Besitz von Drogen und Utensilien). Mit was für einer Studien-Population haben wir es zu tun, wenn z.B. 4 % eine Historie von versuchtem oder vollzogenem Totschlag/Mord haben? Und haben diese Männer nach Absitzen der Strafe und sozialer Ächtung noch genug Geld für Paysex? Sind sie wegen ihrer prekären Lage daher besonders anfällig für den „Männerkauf“, wie er für diese Studie erfolgte? Aber eben auch für Paysex in (Billig-)Settings, in denen mit Prostituierten so umgegangen wird (von Freiern, Zuhältern und Menschenhändlern), wie es die Zitate darstellen? Ist das repräsentativ für die Freierschaft, die wir z.B. in den Studios, Clubs, Bordellen, von einer Hausdame geführten Privathäusern und angemeldeten 9 Wohnungspuffs sehen, die alle mit dem Nordischen Modell sofort und am ersten Tag verschwinden werden? Oder ist das eher repräsentativ für die Freierschaft, die sich nach Einführung des Sexkaufverbots sexuelle Dienstleistungen im Verborgenen, im Heimlichen, im Untergrund beschafft, also dort, wo Zuhälter wirklich gebraucht werden, weil ihnen dort wichtige organisatorische/logistische Funktionen zukommen, die bisher von den Prostitutionsbetrieben, die dann nicht mehr existieren (also den sogenannten „legalen Zuhältern“ in der Diktion von FARLEY et al.), erbracht wurden? Die Strafhistorie der befragten Freier (wobei immer zu bedenken ist, dass das ja nur das Minimalszenario ist, weil zu vermuten ist, dass gar nicht alle Straftaten genannt und viele auch von den Betroffenen psychisch verdrängt wurden) ist damit ein klares Indiz für einen Participation Bias. Umso gravierender wirkt sich vor diesem Hintergrund der oben schon angesprochene methodische Mangel aus, dass die Zitate nicht bestimmten nummerierten Freiern zugeordnet wurden und damit unklar bleibt, ob die „schlimmen“ Zitate auf eine mehr oder weniger kleine Subgruppe der befragten Freier entfallen oder auf ihre Gesamtheit. Das Bild eines guten, netten, frauenorientierten Freiers, dem es an seinem auf Gegenseitigkeit beruhenden Erleben (das auch der Dienstleisterin Spaß macht) ankommt, darf in dieser Studie gar nicht erst aufkommen. So ergab beispielsweise die Auswertung sowohl einer Umfrage wie auch von „Fickberichten“ eines Freierforums, dass bei ca. 40 – 60 % aller Paysex-Kontakte Cunnilingus praktiziert wird. Dies geschieht ja in der Regel nicht, weil der Freier das für sich selbst besonders erregend findet, sondern um auch der Partnerin einen gewissen Genuss zu bieten oder sich z.B. für einen Blowjob zu „revanchieren“ (wie es oft in Foren formuliert wird) und hat vor allem einen hohen symbolischen Charakter, indem es eine gewisse „Symmetrie“ zwischen den Sexpartnern schafft. Dass ein Teil der Prostituierten das jetzt nicht wirklich genießt, ist eine andere Frage; aber es zeigt zumindest die Einstellung der Freier gegenüber Paysex im allgemeinen und der betreffenden Sexpartnerin im konkreten Fall, dass es ihm wichtig ist, einen Beitrag zu leisten, von dem er ausgeht, dass es der Frau gefällt. Fazit: Der deutsche Arm der Farley-Studie hat weder auf Mikro-Ebene noch auf der Makro- Ebene Anspruch auf Repräsentativität. Auf der Mikroebene bleibt unklar, auf wieviel Prozent der Freier sich die „schlimmen“ Zitate verteilen, auf der Makroebene haben wir eine ausgeprägte Participation Bias, die man bei Adaptation der Begrifflichkeiten der AutorInnen als „Männerkauf“ oder „Freierkauf“ bezeichnen könnte. Darüberhinaus wird in keiner Weise klar, ob es Unterschiede gibt zwischen Freiern, die Prostitution in Einrichtungen wahrnehmen, die mit dem Nordischen Modell mit Gewissheit verschwinden würden, und Freiern, die sich Dienstleisterinnen an Orten suchen, wo die Schutzmechanismen der Einrichtungen (Registrierung obligatorisch, gesundheitliche Beratung obligatorisch, Betreiberhaftung, soziale Kontrolle durch Betreiber, Personal, Security, soziale Kontrolle durch Kolleginnen) entfallen und daher Prostitution in völlig anderer, unregulierter und unkontrollierter Weise (allenfalls kontrolliert durch „Beschützer“/Zuhälter) ausgelebt werden kann. 10 Man kann kurz zusammenfassen: sehr viel Aufwand (gigantisch!) für – im Endeffekt - … nichts! Der gigantische Aufwand, der hinter der Studie steckt, ist beeindruckend, einschließlich des enormen weltweiten Literaturstudiums und der vielen „Hilfskräfte“, die neben den StudienautorInnen und Interviewerinnen ebenfalls noch im Einsatz waren. Das nutzt aber alles nichts, wenn im praktischen Teil der Studie die Methodik versagt. Wenn man einmal von der Voreingenommenheit der AutorInnen absieht, ist hier als entscheidender Punkt schief gelaufen, dass der Fragenkatalog so extrem aufgebläht wurde, dass es nur möglich war, Teilnehmer gegen Geld zu akquirieren, womit man einen gravierenden Participation Bias generiert und sich – in der eigenen Diktion – jetzt „Männerkauf“ oder „Freierkauf“ vorwerfen lassen muss. Man hätte mit viel weniger Aufwand viel mehr erreichen können. Man hätte in größere Prostitutionsbetriebe gehen können und dort anonym kurze Interviews mit Freiern führen können (z.B. Viertelstunde oder 20 Minuten). In Clubs und Bordellen, wo sich die Männer oft stundenlang aufhalten, gibt es immer „Leerlaufzeiten“, wo sich die Männer umschauen, Fernsehen gucken, essen, unterhalten oder auch für so ein Interview zur Verfügung stünden. 96 Männer hätte man da schnell zusammen; auf ein paar unterschiedliche Locations in verschiedenen Städten (wegen der deutschlandweiten Repräsentativität!) verteilt, hätten sich mit geringem Aufwand Hunderte (!) Interviews führen lassen können. Die Betreiber müssen natürlich einwilligen, und das ist schwer, wenn da jemand voreingenommen mit abolitionistischem Hintergrund kommt; man sollte schon einen neutralen, ergebnisoffenen und wissenschaftlichen Hintergrund haben, wenn man solche Studien betreibt. Aber in solchen geordneten und regulierten Betrieben hätten FARLEY und ihre Mitarbeiterinnen wohl eine zu geringe Chance, auf Freier zu treffen, die dem Bild entsprechen, das sie sehen wollen, das in ihr Weltbild passt, und das sie – mit schockierenden Zitaten hinterlegt – dann präsentieren können? III. Fazit Aufgrund dieser grundlegenden Mängel vor allem der Repräsentativität erübrigt sich eine detaillierte Analyse und Diskussion der Studienergebnisse. Wenn die Methodik (hier: Rekrutierung der Freier, Präsentation der Zitate und fehlende Zuordnung zu individuellen Interviewpartnern) nicht stimmt, ist jeglicher weitere Aufwand, der sich auf den Ergebnissen aufbaut, vergebliche Mühe. Dabei werden die Ergebnisse ausdrücklich nicht in Zweifel gezogen, mit gewissen Einschränkungen bezüglich der wörtlichen Wiedergabe der Zitate nach dreifacher Transkription. Aber auch die statistisch solide ausgewerteten und formal korrektesten Ergebnisse nutzen nichts, wenn die zugrunde liegende Methodik (hier: Repräsentativität) mangelhaft ist. Selbst statistische Auswertung und Regressionen gehen dann ins Leere. Sie mögen rechnerisch richtig sein, aber wertlos, weil das Ausgangsmaterial für die Datenverarbeitung nicht aus einer repräsentativen Stichprobe stammt. 11 Die Autorinnen geben selbst zu (S. 53): „Möglicherweise gibt es bisher unbekannte Unterschiede zwischen Männern, die sich auf Werbeanzeigen zur Beteiligung an Forschungsprojekten im Allgemeinen und besonders an solchen zu sexuellen Einstellungen und Verhaltensweisen melden, und Männern der Allgemeinbevölkerung einschließlich der Sexkäufer. Es ist praktisch unmöglich, für Studien zu Prostitution eine zufällige Stichprobe an Teilnehmern zu erreichen. Dennoch versuchten wir, eine so weit aufgestellte Stichprobe wie möglich zu berücksichtigen und schlossen niemanden aus.“ Dass die Honorierung ein weiteres verzerrendes Elemente darstellen dürfte, verschweigen sie an dieser Stelle. Man könnte es kurz so zusammenfassen: man untersucht in der „Forschung“ die unteren Segmente der Prostitution mit ihren Freiern (Participation Bias) und den damit verbundenen spezifischen Verhältnissen, --- um daraus Forderungen an die deutsche Politik abzuleiten, die zielgenau und treffsicher die oberen und mittleren Segmente der Prostitution (Prostitutionsbetriebe mit ihrer finanziell solventeren Freierschaft, registrierten und beratenen Prostituierten, Betreiberhaftung, sozialen Kontrolle, Security usw.) vernichten, --- während die prekären Verhältnisse im unteren Segment des Paysex, außerhalb der behördlich überwachten Betriebe, bestehen bleiben bzw. durch die Einwanderung von Prostituierten aus den ehemaligen Betrieben in diese Bereiche noch verschärft werden. Denn nach dem Schließen der Prostitutionsbetriebe bleiben den Frauen nur drei Alternativen: Abwanderung ins Ausland, um dort Paysex anzubieten; Ausstieg aus dem Paysex (falls sie Alternativen haben, die ihren Vorstellungen oder finanziellen Ansprüchen entsprechen), oder Abwanderung in jene prekären „unteren“, unkontrollierten Segmente, in denen Zuhälter naturgemäß eine große Rolle spielen – sei es als Manager, der Kunden anwirbt, als „Beschützer“ im Sinne von „Security“, oder als simpler Ausbeuter. Mit anderen Worten: wer das Nordische Modell fordert, stärkt jene abscheulichen Verhältnisse, die von Freiern dieser Studie aus eigenem Erleben geschildert wurden. IV. Ergänzende Anmerkungen IV.1 Rassismus der Freier Geradezu absurd ist die Unterstellung, Freier wären rassistisch, u.a. „weil deutsche Sexkäufer Frauen nach der Helligkeit oder Dunkelheit ihrer Haut aussuchen und dabei eine rassistische Hierarchisierung nach Hautfarbe vornehmen.“ (S.5 ). „Von den 96 deutschen Freiern, die wir befragten, gaben 57 % an, dass sie eine prostituierte Frau aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit/Nationalität aus 12 gewählt haben.“ (S. 37). Die AutorInnen synonymisieren dabei ethnische Zugehörigkeit mit Rasse und verklausulieren dies mit der Formulierung „ethnische Zugehörigkeit/race“. So wird aus einem Freier, der Frauen einer bestimmten ethnischen Zugehörigkeit favorisiert, unmittelbar ein Rassist. Das Problem ist nur: der Begriff „Rassismus“ ist an Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit gebunden. Wikipedia: „Rassismus oder Rassenideologie ist eine Weltanschauung, nach der Menschen aufgrund äußerlicher Merkmale oder negativer Fremdzuschreibungen, die übertrieben, naturalisiert oder stereotypisiert werden, als „Rasse“, „Volk“ oder „Ethnie“ kategorisiert und ausgegrenzt werden.“ (Hervorhebungen durch mich; man beachte die Und-Verknüpfung mit dem Wort „ausgegrenzt“). „Der Begriff des Rassismus überlappt mit dem der Fremdenfeindlichkeit und lässt sich oft nur ungenau von diesem unterscheiden.“ Rassismus ist also mit Ausgrenzung verbunden und überlappt sich stark mit Fremdenfeindlichkeit. Was hat das mit Freiern zu tun, die Frauen bestimmter nicht-deutscher Ethnien favorisieren? Wo sind die Kriterien der Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit, wo bleiben die übertriebenen und stereotypisierten negativen (!) Fremdzuschreibungen? In diesem Fall geht es doch, wenn überhaupt, um positive (!) Fremdzuschreibungen. Wenn man einen rassistischen deutschen Freier „konstruieren“ wollte, so müsste dies ein Freier sein, für den nur Dienstleisterinnen deutscher Ethnie infrage kommen, und zwar nicht (!), (a) weil er der Fremdsprachen wenig mächtig ist und daher auf eine einwandfreie Kommunikation auf Deutsch wert legt, und auch nicht (!), (b) weil er davon ausgeht, dass deutsche Prostituierte mit höherer Wahrscheinlichkeit aus Spaß am Sex diesen Job ausüben, weil sie anderenfalls, wenn finanzielle Probleme dahinter stünden, sich auf das deutsche soziale Netz verlassen könnten, sondern ausschließlich wegen des „Deutschseins“ an sich. So einen Freier könnte man als rassistisch bezeichnen. Haben FARLEY et al. auch nur einen solchen Freier unter ihren 96 Interviewten gefunden? Dass – bei der Befragung der Freier nach präferierten Nationalitäten – deutsche Frauen an erster Stelle stehen, mag einfach den Verständigungsmöglichkeiten geschuldet sein. Wer schlechte Englischkenntnisse hat, wird sich mit deutschen Prostituierten am besten verständigen können. Und offenbar spielt die Kommunikation mit den Prostituierten also doch eine Rolle – entgegen der Vorstellung der AbolitionistInnen, dass die Freier die Frauen sowieso nur auf Körperöffnungen reduziert sehen (Mund, Vagina, Anus) (vgl. S. 40). Denn dann würde die Verständigung keine Rolle spielen. Gerade weil nur ein kleiner Anteil der Prostituierten der deutschen Ethnie zugehörig ist, sind es doch gerade die Freier, jedenfalls die große Mehrheit der Freier, die ausländerfreundlich, -tolerant und migrationsoffen sind. Für sie ist es ein Normalzustand, im Club, Bordell, Privathaus auf Frauen unterschiedlichster 13 Nationalitäten und Ethnien zu treffen. Nirgendwo ist Multikulti so etabliert wie im Paysex, und wer als Freier nationalistisch oder rassistisch denkt, wird große Schwierigkeiten haben, eine für ihn passende Paysex-Partnerin zu finden. Gerade der Paysex in Deutschland ist ein Feld großer multikultureller Akzeptanz, Toleranz, Verständnis und Interaktion verschiedener Nationalitäten oder Ethnien. Viele Freier haben erst durch den Paysex erfahren, wie die Lebensverhältnisse und Problemlagen in neuen EU-Ländern wie z.B. Bulgarien und Rumänien sind – Länder, an die sie sonst kaum denken würden und über die der deutsche Durchschnittsbürger kaum etwas (oder gar nichts) weiß. Der „durchschnittliche Freier“ dürfte hier deutlich weitergehende Kenntnisse haben als der „durchschnittliche Bundesbürger“. Irgendwelche von den Freiern aufgezählte „Länderpräferenzen“ werden von FARLEY et al. direkt als Rassismus interpretiert. Zunächst einmal: den Frauen steht nicht aufs Gesicht geschrieben, aus welchem Land sie kommen, und ihre Künstlernamen (Alibinamen) sagen dazu auch nichts aus. Den Pass müssen sich die Freier nicht zeigen lassen, es sei denn, sie haben den Eindruck, die Frau könnte jünger als 18 Jahre sein (selbst dann reicht auch die Vorlage des Alibi-Hurenpasses). Die allermeisten Frauen in der Prostitution stammen sowieso aufgrund gesetzlicher Regelungen und Hindernisse für Nicht-EU-Bürger aus der EU. Die Festlegung auf ein konkretes Land anhand der äußerlichen Erscheinung, womöglich noch stark geschminkt oder solariums-gebräunt, dürfte sehr schwierig bis unmöglich sein. Erst wenn man mit der Frau spricht, kann man erfahren, wo sie herkommt. Es wird von FARLEY et al. weiterhin ein Gradient von heller zu dunklerer Haut konstruiert, dass die befragten Freier hellhäutige Frauen bevorzugen. Das gilt dann auch als rassistisch. Warum lassen sich denn manche Prostituierten im Solarium bräunen, trotz der damit verbundenen Gesundheitsrisiken? Und aus Freierforen ist erkennbar, dass für einen Teil der Freierschaft lateinamerikanische Frauen, für andere Freier schwarze Frauen eine besondere Anziehungskraft ausüben und gezielt aufgesucht werden. Die Geschmäcker und sexuellen Präferenzen der Partnerwahl – ob für eine dauerhafte private Partnerschaft oder eine Sexpartnerschaft auf kurze Zeit – sind eben verschieden. Hätten alle Frauen immer den gleichen Männertyp präferiert und alle Männer den gleichen Frauentyp (und alle, die diesen Idealen nicht entsprechen, hätten keine Chance auf Sex gehabt), sähen jetzt alle Menschen fast gleich aus, weil sich der präferierte männliche und präferierte weibliche Morphotyp in der Evolution des modernen Menschen genetisch fixiert hätten. Das ist aber glücklicherweise nicht der Fall (gewesen), deshalb haben wir die breite morphologische Diversität der Menschheit und damit eben auch eine große Auswahlmöglichkeit. Aus diesen Präferenzen bei der Wahl der Sexpartner(innen) konstruieren die AutorInnen nun Rassismus bei Freiern. Nirgendswo legen die AutorInnen aber dar, dass sie selbst alle Männer (sofern die AutorInnen heterosexuell sind) oder alle Frauen (sofern sie lesbisch sind) zum exakt gleichen Ausmaß sexuell attraktiv finden, dass es also ihnen daher im Grunde völlig egal wäre, mit wem sie Sex hätten (vorausgesetzt, die AutorInnen haben überhaupt Sex, wovon man nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgehen kann). 14 Solange die AutorInnen aber nicht vorangehen und selbst von sich darlegen, dass sie alle Menschen des präferierten Geschlechts gleichermaßen sexuell attraktiv finden, wie können sie dann von den Freiern fordern, dass sie alle Frauen unabhängig von ihrer Ethnie, Herkunft, ihres Aussehens bzw. „Morphotypus“ bzw. dem Gradienten der Hautfarbe über alle in Europa und darüber hinaus verbreiteten Tönungen hinweg gleich attraktiv finden müssten, und ansonsten wären sie Rassisten? Präferenzen bei der sexuellen Partnerwahl sind also jetzt rassistisch? Jede Frau muss die exakt eine gleichgroße Chance haben, von einem Freier als potenzielle Sexpartnerin erwählt zu werden? Die AutorInnen verwickeln sich damit aber auch in einen tiefen Widerspruch. Einerseits wird den Freiern unterstellt, dass sie die Frauen nur als ein Objekt sehen, auf Geschlechtsorgane und Körperöffnungen reduziert, also wie einen Gegenstand, der benutzt wird, und dann wird sich plötzlich darüber aufgeregt, dass die Freier individuelle Präferenzen bei der Auswahl der Geschlechtspartnerinnen entwickeln, und das dieses Thema offenbar den Freiern sogar wichtig ist? Also sehen die Freier doch den Menschen, die Person, die Persönlichkeit, das gesamte Wesen der Frau als eine Einheit, die insgesamt zu ihren Vorstellungen und Erwartungen „passen“ muss, und reduzieren sie eben nicht nur auf Geschlechtsorgane und bestimmte Sexpraktiken. Gerade wenn die Freier wählerisch sind (in der Diktion der Autorinnen: rassistisch), wird doch deutlich, dass sie in der Frau, mit der sie Sex haben möchten, eben doch mehr sehen als ein reines Geschlechtsorgan für die Ausführung einer bestimmten Sexpraktik. Wie konnte den AutorInnen dieser eklatante Widerspruch zu der sonstigen Tenorierung ihrer Arbeit nicht auffallen? Die Freier als rassistisch zu titulieren und damit in die rechte Ecke zu stellen, gilt den AutorInnen offenbar als ein so wichtiges Propagandamittel, dass sie den offensichtlichen Widerspruch gegenüber ihrer Grundhaltung zum Verhältnis von Freiern/Prostituierten für diesen Zweck der Rassismus-Propaganda sogar inkauf nehmen. Das hat auch funktioniert: bei der Vorstellung des Buches „Sexkauf – eine rechtliche und rechtsethische Untersuchung der Prostitution“ (MACK/ROMMELFÄNGER) im Sommer 2023 wurde in begleitenden Presseberichten gern erwähnt, dass Sexkauf „rassistisch, klassistisch und sexistisch“ sei. IV.2 Unpersönlicher Sex Auch der Begriff des „unpersönlichen Sex“ zieht sich wie ein roter Faden durch die Studie, ohne exakt zu definieren, was damit gemeint ist (z.B. S. 39/40). Ist ein One-Night-Stand dagegen persönlicher Sex? Wird nicht gerade von den Freiern immer eingefordert, eine gewisse (emotionale) Distanz zu den Prostituierten zu wahren, nicht ungebeten nach ihrem Privatleben zu fragen und nicht in Liebeskaspersyndrom oder Stalking zu verfallen? Ist es nicht geradezu eine Art „Ehrenkodex“ unter Freiern, die Prostituierten nicht von sich aus nach ihrem Privatleben und womöglich intimen Lebensumständen zu befragen, es sei denn, 15 dass die Frau von sich aus ein Gespräch dazu anfängt, was man dann natürlich aufgreifen kann und auch empathisch sollte? Also die Frau zunächst als Dienstleisterin zu sehen, so wie man auch nicht die Masseurin, Ergotherapeutin oder Ärztin nach ihrem Privatleben ausfragen würde? Und genau diese Distanziertheit, die eher dem (emotionalen und psychischen) Schutz der Prostituierten dient, wird nun den Freiern als „unpersönlicher Sex“ vorgeworfen. Wäre FARLEY lieber, alle Freier wären Liebeskasper? Wozu das führt, sieht man bei dem einzigen Prostituiertenmord aus Deutschland, der in der Farley-Studie thematisiert wurde. Unpersönlicher Sex heißt, solange dieser Begriff nicht genau definiert ist, nicht zwangsläufig „respektlos“. Die Distanzwahrung seitens des Freiers, quasi im Sinne des „Ehrenkodex“, ist eher ein Ausdruck des Respektes, eben nicht von sich auch in die Privatsphäre der Prostituierten eindringen zu wollen (auch wenn der Freier aus Empathie oder Neugierde das gern täte), es sei denn, die Frau öffnet sich von sich aus, was im Laufe der Zeit mit Stammkunden häufig passiert … oft wohl dosiert in kleinen Schritten, wie es der Frau angenehm ist und wie sie es möchte. In dieser Frage, Nähe vs. Distanz, „führt“ quasi die Prostituierte ihren Kunden. Sie hat das Heft der Hand. IV.3 Vergewaltigung Ebenfalls wie ein roter Faden durch die Studie zieht sich das Thema „Vergewaltigung“ im Sinne einer Assoziation zwischen der Inanspruchnahme von Sexdienstleistungen und der Bereitschaft, Vergewaltigungen zu begehen, sowie eines „kulturellen Vergewaltigungsmythos“, dem die Freier unterlegen seien (z.B. S. 43). Interessant ist nur: obwohl die befragten Freier ein umfangreiches Strafregister aufweisen, darunter 4 x vollzogener oder versuchter Mord/Totschlag, erfolgte keine einzige Verurteilung wegen Vergewaltigung. Wie passt das zusammen? IV.4 Lizenzierung der Bordelle Wie kommen FARLEY et al. darauf, dass eine Lizenzierung der Bordelle nach dem ProstSchG nur selten geschieht (S. 12)? Den Begriff Lizenzierung kennt das ProstSchG zwar nicht, aber den Begriff „(Betriebs-)Erlaubnis“, und ohne eine solche kann kein Bordell betrieben werden. Auf welcher Datenbasis behaupten FARLEY et al., dass im November 2022 – mehr als 5 Jahre nach Inkrafttreten des ProstSchG – die Mehrzahl der Bordelle noch immer keine Betriebserlaubnis hätte, aber trotzdem weiter betrieben würden? Was wird hier dem Staat, den Behörden an Versagen unterstellt? Was sagen Landräte und Oberbürgermeister zu diesen Behauptungen, denn die Betriebserlaubnis erfolgt ja auf kommunaler Ebene? Haben sie alle versagt? Wollen sich Landräte und Oberbürgermeister so von FARLEY vorführen lassen? 16 IV.5 Kondome Zu Seite 12: „Das Gesetz von 2017 verpflichtet Sexkäufer zur Nutzung von Kondomen, aber stellt keine Finanzierung oder Methode der Umsetzung zur Verfügung.“ Dazu: §24 (2) ProstSchG: … Der Betreiber einer Prostitutionsstätte, eines Prostitutionsfahrzeugs oder einer Prostitutionsveranstaltung hat dafür Sorge zu tragen, dass in den für sexuelle Dienstleistungen genutzten Räumen während der Betriebszeiten eine angemessene Ausstattung mit Kondomen, Gleitmitteln und Hygieneartikeln jederzeit bereitsteht. IV.6 Toxische Männlichkeit Auch das ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch die Studie zieht, und einer der Gründe für den aufgeblähten Fragenkatalog, weil die Interviewerinnen feststellen wollten, in welchem Umfang bei ihren Probanden „toxische Männlichkeit“ vorliegt. Selbst wenn man das Konzept der „toxischen Männlichkeit“ akzeptiert – quasi als (psychiatrische?) Diagnose oder als ein Persönlichkeitsmerkmal, und selbst wenn diese Diagnose statistisch mit dem Risiko von Vergewaltigungen, Akzeptanz von Vergewaltigungs- und Prostitutionsmythen, Pornokonsum, sexueller Aggression sowie Inanspruchnahme von Sexarbeit statistisch korreliert ist (S. 43 ff.), was ändert das Sexkaufverbot daran? Die toxische Männlichkeit entsteht ja nicht als Folge der Inanspruchnahme von Sexdienstleistungen, sondern ist ein in der individuellen Entwicklung, spätestens in der Pubertät, erworbenes Persönlichkeitsmerkmal. Das Nordische Modell therapiert keine toxische Männlichkeit. Wer dieses Persönlichkeitsmerkmal hat, wird weiter seinen Sex suchen und auch bekommen. Männer mit toxischer Männlichkeit dürften kaum in langfristig stabilen Beziehungen leben … können also eine Menge Risiken eingehen – einschließlich erwischt und bestraft zu werden. Deutschland ist dann zwar offiziell „sauber“ (keine Prostitutionsstätten mehr) … aber die Freier mit toxischer Männlichkeit werden weiterhin aktiv und unterwegs sein: innerhalb Deutschlands und die ängstlicheren im Ausland. Und sie werden ihre „toxische Männlichkeit“ im Untergrund-Paysex höchstwahrscheinlich in aggressiverer Weise ausleben, als dies zurzeit in den ordentlichen und genehmigten Prostitutionsbetrieben mit all ihren Sicherheitsmechanismen (bis hin zum verpflichtenden Notfallknopf in den Verrichtungszimmern) möglich ist. Selbst wenn man also akzeptiert, dass es unter den Freiern auch Männer mit dem Merkmal „toxische Männlichkeit“ gibt, ist es umso wichtiger, die Ausübung der Prostitution in überwachte Einrichtungen mit entsprechenden Sicherheitsstandards 17 zu kanalisieren – und eben nicht in die Illegalität, ins Unsichtbare, in den Untergrund, ins Private. Es wird nicht gelingen, auch nicht im Nordischen Modell, Männer mit toxischer Männlichkeit vom Paysex abzuhalten. Ganz im Gegenteil: diese Gruppe wird sich am wenigstens abschrecken lassen, und ihr Prozentsatz unter den unter dem Nordischen Modell noch aktiven Freiern wird steigen. IV.7 Anzeige von Menschenhandel „Bei deutschen Sexkäufern war es unwahrscheinlicher als bei solchen in anderen Ländern mit illegaler (sic!) Prostitution, dass sie eine Anzeige wegen Menschenhandel erstatten“. (S. 53) Wenn Zuhälterei und Menschenhandel in Deutschland so offen für Freier sichtbar und erkennbar sind wie die Zitate vor allem auf Seite 27 ff. (als Beispiel) zeigen, dann brauchen wir niedrigschwellige und gut organisierte, für die Freier anonyme Strukturen, diese Dinge zu melden. Und die müssen auch gut und niedrigschwellig kommuniziert werden. Wenn die Freier das (angeblich) alles sehen und wissen, warum macht sich der Staat die Freier dann nicht zu Verbündeten im Kampf gegen diese inakzeptablen, grausamen Missstände? In diesen Freiern, die so etwas mitbekommen, steckt somit ein gewaltiges „Potenzial“, was man nutzen sollte. Wie die LANGANKE-Studie zeigte (s.o.), hielten die befragten Männer „das freiwillige Anbieten sexueller Dienste“ … „insgesamt für eine Grundvoraussetzung“. Was nutzt es, wenn es irgendwo eine Hotline gibt, die kein Freier kennt? Was nutzt es, wenn Freier fürchten, Post nachhause geschickt zu bekommen, wenn sie etwas melden? Wenn sie nicht wissen, dass sie auch anonym melden könnten? Man könnte doch alle Prostitutionsbetriebe und andere –einrichtungen, Kontaktseiten für Paysex, Freierforen usw. verpflichten, auf der Startseite ihrer Homepage auf diese Hotline hinzuweisen, ähnlich verbindlich wie die Pflicht zum Impressum? Eine solche Verpflichtung wäre ein viel geringerer Eingriff „zulasten“ dieser Einrichtungen als das Schließen dieser Einrichtungen und Foren als Folge des Nordischen Modells. Die Erfahrungen der Freier aus dieser Studie mit Zuhälterei und Menschenhandel schreien gerade danach, dass sich der Staat die Freier zu Verbündeten macht um dieses Wissen und ihren Erfahrungsschatz auszuschöpfen. Notfalls könnte man Regelungen schaffen, dass Freier, die eindeutig Zeugen einer solchen eindeutigen Situation werden und dies nicht melden, sich schuldig machen ähnlich wie in Fällen unterlassener Hilfeleistung oder Gaffern bei Unfällen? Die Polizei könnte „Schulungsvideos“ für Freier erstellen, auf youtube laden, worauf Freier achten sollen und wie sie sich selbst verhalten sollen (Meldewege usw.). Die o.g. Seitenbetreiber könnten neben dem Verweis auf die Hotline verpflichtet werden, auf dieses „Schulungsvideo“ zu verlinken. Das wäre eine sehr große Hilfe! 18 Vielleicht muss man sogar noch kreativer werden und Freier belohnen, wenn sie der Polizei Informationen liefern, die in der betreffenden Angelegenheit wirklich hilfreich und entscheidend waren, einen Zuhälter oder Menschenhändler dingfest zu machen? Eine Prämie, wie sie ja in anderen Kontexten auch ausgeschrieben wird („für Hinweise, die zur Ergreifung des Täters führen, ist eine Belohnung von …. Euro ausgesetzt“). Da die Prämiierung nicht direkt bei der Meldung, und erst recht nicht bei einer anonymen Meldung per Hotline erfolgen kann, setzt die Möglichkeit zum Erhalt einer Prämie natürlich voraus, dass sich der Freier irgendwie zu erkennen gibt und eine Kontaktmöglichkeit geschaffen wird, wie er informiert wird bzw. selbst nach einer bestimmten Zeit nachfragen kann, ob er eine Prämie erhält. In der digitalen Welt ist so etwas heute auch datengeschützt und „ohne Brief nachhause“ möglich. Es muss ja auch nicht jeder Freier an diesem Prämiensystem teilnehmen, es ist eine Option, ein Angebot. Das Engagement der Freier soll sich lohnen … nicht nur die Teilnahme an 90-minütigen Interviews mit 250 Fragen. Das Autokennzeichen des Zuhälters oder Menschenhändlers, der gerade eine Prostituierte verprügelt hat, könnte da viel einträglicher sein … Warum werden zur Ergreifung anderer Straftäter manchmal sehr großzügige Prämien ausgesetzt, und Freier, die entscheidend zur Ergreifung eines Zuhälters/Menschenhändlers beitragen, bekommen nichts? Ist die Ergreifung es Zuhälters/Menschenhändlers dem Staat so wenig wert? Das – laut dieser Studie umfassende – Wissen der Freier zu konkreten Umständen von Zuhälterei und Menschenhandel abzuschöpfen – ein enormes Potenzial, einen Schatz, den man heben sollte. Man muss es nur richtig machen und nicht so wie bisher. Der Kreativität sind da keine Grenzen gesetzt. Im Nordischen Modell funktioniert das nicht. Ganz im Gegenteil: wenn die amtlich kontrollierten und erlaubten Prostitutionsbetriebe verschwunden sind, wird sich die Prostitution genau in jene Szene verlagern, in der diese Verhältnisse typischerweise herrschen. Ja, es ist sehr peinlich, dass nur 1 % der Freier seine Beobachtungen gemeldet hat, wenn 55 % der Freier Zuhälterei und Menschenhandel laut eigener Aussage beobachtet (!) (und nicht nur vermutet!) haben. Aber dann muss man hinterfragen, warum das so ist? Das wäre doch eine der nächstliegenden Fragen für die Interviews gewesen. Diese wichtige Frage wurde – trotz 250 Fragen – nicht gestellt, jedenfalls wird nicht darüber berichtet, dass die Frage gestellt worden wäre und welche Ergebnisse sie geliefert hat. Viel wichtiger war es den Autorinnen, mit Dutzenden von Fragen tief in die Psyche der Befragten einzudringen, um ihren Grad an „toxischer Männlichkeit“ und ihre „Verwaltigungsmythen“ zu erforschen. Dass Männer, die Paysex in Anspruch nehmen, ein überdurchschnittliches Interesse an Sex haben, damit auch mehr Pornographie konsumieren, mehr Sexpartnerinnen in ihrem Leben haben, liegt doch auf der Hand? Dazu braucht man nicht Dutzende von Fragen, um das statistisch zu korrelieren und Regressionsanalysen anzustellen. Viel wichtiger wäre gewesen zu erfahren, warum 98 % derjenigen Männer, die (angeblich) Zeugen von Zuhälterei oder Menschenhandel wurden, also ihn real „beobachteten“, dies nicht meldeten? 19 Diese Frage wäre der „Knaller“ der Studie gewesen und extrem hilfreich für die Politik. Aber das passt natürlich den AutorInnen nicht ins Konzept, da sie ja von der Politik das Nordische Modell verlangen. Dass sie dann die Freier nicht mehr zum Verbündeten des Staates machen können, versteht sich von selbst. Man hat die Freier gefragt, welche Strafen sie davon abhalten würden, Sex zu kaufen. Hier wollte man der Politik helfen, ihren Strafkatalog fürs Sexualstrafrecht zu formulieren. Das passte ins Konzept. Aber die sich extrem aufdrängende Frage an die Freier, warum sie das beobachtete Geschehen nicht gemeldet haben … die wurde entweder gar nicht gestellt, oder, falls sie gestellt wurde, passten die Antworten den Autorinnen nicht in ihr Konzept und wurden daher nicht ausgewertet und publiziert. Um es nochmal zu betonen: die Ergebnisse der Freierbefragung, insbesondere zum Komplex beobachteter Menschenhandel/Zuhälterei, schreien geradezu danach, die Freier zu Komplizen des Staates (der Polizei) zu machen und sie für ihre Hilfe und Zuarbeit zu belohnen, anstelle sie zu bestrafen! Wenn das so zutrifft, wie es die Studie berichtet, haben diese Freier (jedenfalls die Subgruppe von Freiern, die Grundlage dieser Studie war) ein enorm wertvolles Wissen, von dem die Polizei selbst nur träumen könnte. Welche Schlussfolgerungen ziehen FARLEY et al. daraus? S. 55: „Das Wissen von Sexkäufern über das Sexgewerbe wird derzeit von Strafverfolgungsbehörden kaum genutzt, obwohl es sehr wahrscheinlich wertvolle Informationen dazu beisteuern würde. Ausgehend von dem umfassenden Wissen der Sexkäufer zu Zuhältern, Zwangssituationen, Menschenhandel, organisiertem Verbrechen und anderen Gewaltverbrechen gegen Frauen in der Prostitution wäre die Befragung von Sexkäufern zu diesen Vergehen für die Strafverfolgung sinnvoll. Das umfangreiche Wissen seitens der von uns interviewten Männer zu Menschenhandel in die Prostitution legt den Verfasserinnen dieses Berichts nahe, dass Strategien, die darauf ausgelegt sind, Informationen durch Freier zu erhalten bei Ermittlungen zu Menschenhandel erheblich angebrachter sind, als die ungerechte und weitgehend ineffektive Praxis der Befragung prostituierter Frauen, die oft unter der Kontrolle eines Zuhälters stehen und denen gegenüber mit extremer Gewalt für ihre mögliche Kooperation mit der Polizei gedroht wird.“ Bis dahin klingt das alles sehr vernünftig! Und jetzt die Wende: „Bei einer Verhaftung wegen kriminalisierten Sexkaufs wären Freier höchst motiviert, mit den Behörden zu kooperieren und ihr weit reichendes Wissen zu Zuhältern, Menschenhandelsnetzwerken sowie allgemeine Informationen über das Funktionieren des Menschenhandels für die Sexindustrie beizusteuern.“ Das hätte zur Folge, dass sich Freier unter dem Nordischen Modell gezielt solche Frauen (mit „Menschenhandels-Hintergrund“) aussuchen würden, damit sie dann im Verhaftungsfall „wertvolle“ Informationen ausplaudern können, um mit geringerer Strafe davon zu kommen als Freier, die selbstbestimmte Prostituierte aufsuchen (die „just for fun“ oder um sich finanziellen Luxus zu gönnen im Paysex arbeiten), die 20 dann schwerer bestraft würden, weil sie keine „wertvollen Informationen“ liefern können. Prostituierte mit sichtbarer Menschenhandels-Historie wären also für die Freier rechtlich weniger riskant als freiwillig, womöglich aus Spaß, Nymphomanie oder Luxusliebe arbeitende Prostituierte? Einen solchen Zustand möchten FARLEY et al. wirklich herbeiführen? Im Sinne von: Freier, sucht Euch die Menschenhandels-Opfer aus, dann kommt Ihr gut bei weg, wenn Ihr verhaftet werdet! Dann könnt Ihr Euer Wissen gegen Straferlass oder eine symbolische minimale Strafe, die Euch nicht wehtut, eintauschen! Hütet Euch vor den selbstbestimmten Prostituierten, die sind gefährlich! Wenn Ihr da verhaftet werdet, habt Ihr nichts in der Hand, was euch mildernde Umstände einbringt! Dann schlägt die Härte des Gesetzes voll zu!
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