MAINPOST Ausgabe vom 26.03.2011 Wie Hitler nach Steinach kam Die Bilder vom Steinacher Faschingszug 1952 wirken befremdlich: Zu sehen ist ein von Pferden gezogener Wagen, auf dem mit Hasendraht ein käfigartiger Verschlag errichtet ist, an dem Schilder mit den Aufschriften "Buchenwald" und "Dachau" zu sehen sind. Im Käfig sitzen vier Gefangene in Sträflingskleidung, ein Wärter in Uniform passt auf. Ein Auto mit Herren in mittelalterlich anmutender Richterrobe hat ein Schild "Standgericht". Einer der Gefangenen wird an einem Galgen aufgeknüpft - drumherum eine große Menschenmenge, die sich sichtlich amüsiert. Nur ein vielleicht zehnjähriges Mädchen scheint sich erschrocken etwas vor den Mund zu halten. Am Faschingsdienstag 1953 ist in Steinach abermals das Thema Nationalsozialismus an der Reihe. Hitler, Goebbels und Göring fahren durch den Ort und grüßen ihr Publikum. Dabei im dieses Mal größeren Zug ist eine "Deutsche Bundesarmee", eine Art Volkssturm, die aus zwei schneidigen Uniformträgern sowie Frauen und alten Leuten besteht. Im Zug fährt auch ein als russischer Panzer T34 gekennzeichneter Traktor mit kanonenartigem Aufbau mit. Heute völlig undenkbar Heute wäre Nationalsozialismus als Faschingsthema völlig undenkbar und makaber - zu Recht. Völlig sprachlos reagieren Nicht-Steinacher, wenn man ihnen zum ersten Mal die Bilder zeigt. Was ist damals bloß in die Steinacher gefahren? 1952 muss klar gewesen sein, was in den KZs in Dachau und Buchenwald vor sich gegangen war. Und dann ausgerechnet Steinach, das zu Beginn des Jahrhunderts noch eine größere jüdische Gemeinde hatte. Ausgerechnet Steinach, das Anfang April 1945 beim Vorrücken der Amerikaner durch Artillerie, Jagdbomber und Panzer noch zu etwa drei Vierteln zerstört wurde, wo kurz vor Kriegsende noch mindestens ein deutscher Fahnenflüchtiger mit Genickschuss hingerichtet wurde. Aber genau hier, im April 1945, liegt vielleicht die Erklärung für das aus heutiger Sicht seltsame Faschingstreiben. Hans Driesel vom Deutschen Fastnachtmuseum in Kitzingen sind solche Bilder oder Geschichten wie die vom Steinacher Fasching 1952 noch nicht untergekommen: "In der Form ist uns das überhaupt noch nicht bekannt." Er finde es "rückblickend betrachtet" geschmacklos, sagt aber auch: "Wir sagen immer leicht: Wie konntet ihr bloß?" Einer, der als Fotograf beide Faschingszüge miterlebt hat, ist Karl-Heinz Bauer aus Salz. Der gebürtige Steinacher, Jahrgang 1929, sagt: "Das war keine Verherrlichung, das war genau das Gegenteil." Dann erzählt er bewegt von seinen eigenen Erlebnissen rund um das hart umkämpfte Steinach, davon, dass er als 15-Jähriger selbst zum Fahnenflüchtigen wurde, als er, die Amerikaner waren schon in Wildflecken, als Hitlerjunge noch zum Kämpfen nach Garitz sollte. Vor der Feldgendarmerie, die ihn standrechtlich erschossen hätte, ist er in den Wald geflüchtet, um dort die Amerikaner abzuwarten. Bauer: "Das waren Befreier. Nur." Angst vor Repression Und er spricht von der Angst, die die Leute während der Nazizeit gehabt hätten - zuletzt vor dem Standgericht durch Feldgendarmerie und SS, davor vor der Gestapo. "Jeder hatte Angst gehabt, wenn er was verkehrt macht, landet er in Dachau." Von dieser Angst erzählt auch der Steinacher Walter Ziegler. "Wenn einer sich politisch feindlich verhalten hat, dann hat es geheißen: Du kommst nach Dachau", sagt Ziegler, geboren 1925. Auch er war beim Fasching dabei und sieht wie Bauer die beiden Züge als Art, die Angst aufzuarbeiten. Bauer kann sich zwar nicht mehr an die Gründe für das Faschingsthema 1952 erinnern, sieht aber das "Standgericht" als deutliches Zeichen, dass man nichts habe verherrlichen wollen, sondern für den Versuch, Angst zu bewältigen. Lange Faschingstradition Altbürgermeister Helmut Schuck erzählt, wie in den letzten Kriegstagen Leuten gedroht wurde, sie würden aufgehängt, wenn sie nicht spuren. So mussten sie etwa eine Panzersperre vor den anrückenden Amerikanern errichten. Steinach habe eine lange Faschingstradition. Spätestens 1919 habe es den ersten Faschingszug gegeben. Nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich eine Pause, der erste richtige Faschingszug sei wohl der mit dem KZ-Wagen und dem Standgericht 1952 gewesen. Genau wie seine Frau Ingrid kann sich Schuck noch gut an den Fasching damals erinnern, vor allem daran, dass Josef Wehner, von allen nur Seppele genannt, zum Schein aufgehängt wurde. Der damals knapp 40-Jährige Wehner sei ein Junggeselle gewesen, der gern dem Alkohol zugesprochen habe. "Das Seppele war immer für solche Späße zu haben", erinnert sich auch Jakob Stahl, der heute in Wollbach lebt. Der 81-jährige Steinacher Erwin Wehner war damals als ein wie eine Vogelscheuche gekleideter Henker Mitfahrer auf dem KZ-Wagen. Die beiden Brüder seiner Frau Theresia, geborene Burger, waren 1952, im Alter von Mitte/Ende 20, und in den Folgejahren federführend beim Fasching. Wie diese auf die Idee für das Faschingsthema kamen, das können die Wehners nicht mehr sagen. Aber wie alle anderen Augenzeugen und Beteiligten sehen sie darin keine Verherrlichung der Nazizeit oder gar eine Verhöhnung der Opfer. Vielmehr habe man sich über die Täter lustig gemacht, denen man ein Schnippchen geschlagen hat dadurch, dass man noch lebt, so formuliert es Altbürgermeister Schuck. Psychologe Heiner Vogel von der Uni Würzburg kann das nicht nachvollziehen. Er untersucht unter anderem Maßnahmen, die bei im Ausland traumatisierten Bundeswehrsoldaten zum Einsatz kommen. Er bezweifelt, dass beim Fasching 1952 ein Psychotrauma aufgrund der Geschehnisse im April 1945 verarbeitet wurde. Eine Erklärung für das Faschingsthema hat er nicht, findet es unverantwortlich. Für ihn stelle sich die Frage: "Haben sie wirklich kein Gefühl dafür gehabt, dass solche Vergleiche nicht für Karneval taugen? Oder haben sie wirklich nicht gewusst, was ein KZ wirklich war?" Nicht die einzige Hitler-Parodie Bleibt noch der Faschingsdienstag 1953, als Hitler, Goebbels und Göring auferstanden. Hitler-Parodien waren ein paar Jahre nach dem Krieg nichts Ungewöhnliches. Auf Bildern von einem Faschingszug in Röttingen Anfang der 1950er Jahre ist ebenfalls eine zu sehen. Ein Hinweis auf den Hintergrund des Steinacher Faschings 1953 und sogar des Vorjahrs könnte das Schild mit der Aufschrift "Deutsche Bundesarmee" sein. In jenen Jahren gab es in Deutschland hitzige Debatten, ob man nach der Naziherrschaft wieder eine eigene Armee gründen solle. In der Bevölkerung gab es massive Proteste und Demonstrationen gegen die Wiederbewaffnung. Am 8. Februar 1952, kurz vor Fasching also, stimmte der Bundestag trotz der Proteste der Neugründung einer deutschen Armee grundsätzlich zu. Es sollte aber noch bis 1955 dauern, bis die BRD die Bundeswehr bekam. Waren also beide Steinacher Faschingszüge unmittelbare und in der Form einzigartige Reaktionen auf die Wiederbewaffnungsdebatte? Wollte man womöglich zeigen, wohin das Ganze führen könnte, indem man die Schrecken und die Nazigrößen selbst satirisch darstellte? In Steinach hielt man nach der Zerstörung vermutlich nicht mehr viel von Militarismus. Der lahme russische Traktorpanzer etwa sollte 1953 wohl zeigen, dass vom Kommunismus, der als Hauptgrund für die Wiederbewaffnung bemüht wurde, keine Gefahr zu erwarten war. Eine wohl eindeutig als Parodie zu sehende Darstellung von Nazigrößen 1953 stützt auch die Aussagen der Augenzeugen des Faschings 1952, die den damaligen Faschingszug nicht als Verherrlichung des Nationalsozialismus oder Verhöhnung der Opfer verstanden wissen wollen. ONLINE-TIPP Bilderserien aus beiden Jahren unter http://badkissingen.mainpost.de
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