Rights for this book: Public domain in the USA. This edition is published by Project Gutenberg. Originally issued by Project Gutenberg on 2020-05-03. To support the work of Project Gutenberg, visit their Donation Page. This free ebook has been produced by GITenberg, a program of the Free Ebook Foundation. If you have corrections or improvements to make to this ebook, or you want to use the source files for this ebook, visit the book's github repository. You can support the work of the Free Ebook Foundation at their Contributors Page. The Project Gutenberg EBook of Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten, by Richard Schaukal This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you'll have to check the laws of the country where you are located before using this ebook. Title: Leben und Meinungen des Herrn Andreas von Balthesser, eines Dandy und Dilettanten Author: Richard Schaukal Release Date: May 3, 2020 [EBook #62006] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK LEBEN UND MEINUNGEN *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net Anmerkungen zur Transkription Der vorliegende Text wurde anhand der 1907 erschienenen Buchausgabe so weit wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Ungewöhnliche und heute nicht mehr gebräuchliche Schreibweisen bleiben gegenüber dem Original unverändert, sofern der Sinn des Texts dadurch nicht beeinträchtigt wird. Rechtschreibvarianten wurden nicht vereinheitlicht, wenn die jeweiligen Formen mehrmals bzw. gleich oft im Text vorkommen. Die Nummer des Buchexemplars (414) wurde im Original von Hand auf die Buchseite gestempelt. Das Inhaltsverzeichnis wurde der Übersichtlichkeit halber vom Bearbeiter an den Anfang des Texts verschoben. Abhängig von der im jeweiligen Lesegerät installierten Schriftart können die im Original gesperrt gedruckten Passagen gesperrt, in serifenloser Schrift, oder aber sowohl serifenlos als auch gesperrt erscheinen. ANDREAS VON BALTHESSER LEBEN UND MEINUNGEN DES HERRN ANDREAS VON BALTHESSER EINES DANDY UND DILETTANTEN MITGETEILT VON RICHARD SCHAUKAL ZWEITE VERBESSERTE AUFLAGE MÜNCHEN UND LEIPZIG BEI GEORG MÜLLER 1907 Die erste Auflage dieses Buches war in 830 numerierten Exemplaren, davon 30 auf Bütten, hergestellt worden. Diese zweite veränderte Auflage umfaßt 1010 numerierte Exemplare, davon 10 vom Autor signierte Exemplare auf echt van Geldern. Der Preis eines solchen gebundenen Luxusexemplares beträgt 15 Mark. Dieses Exemplar trägt die Nummer CARL BARON BAMBERG in aufrichtiger Freundschaft Wien, im Sommer 1906 R. Sch. A vrai dire, je ne suis rien moins que sûr d’avoir quelque talent pour me faire lire. Je trouve quelque fois beaucoup de plaisir à écrire, voilà tout. Henri Beyle (1835). (Vie de Henri Brulard.) INHALT. Seite Ouvertüre: Herr von Balthesser hält einen Vortrag vor wißbegierigen jungen Leuten (nach der offenbar ironischen Schilderung eines wohl nicht ganz objektiven Zeugen) 1 Selbstbiographie Herrn von Balthessers 15 Andreas von Balthesser über den „Dandy“ und Synonima 19 Andreas von Balthesser an die Gräfin F. 31 Andreas von Balthesser spricht mit einem Literaten über die Gesellschaft, die Künstler und ihr Gehaben und das Selbstverständliche 43 Andreas von Balthesser spricht mit einem andern Literaten über das Monokel, über Witze, liebenswürdige Sonntagsplauderer und die deutsche Prosa 57 Herr von Balthesser spricht mit einem bescheidenen jungen Schriftsteller über Bücher 67 Andreas von Balthesser über die Betrachtung von Gemälden 75 Was Andreas von Balthesser gelegentlich über das Gespräch zu bemerken hatte 83 Glossen zur Psychologie der Kleidung 87 Herr von Balthesser gibt seine Anschauungen vom Verkehr zum besten 93 Über Vernünftige, Snobs und Beflissene 103 Antibarbarus. (Eine ungedruckte „Erwiderung“, die sich in Herrn von Balthessers Papieren vorgefunden hat. Anlaß dazu mag irgend ein Zeitungsartikel gegeben haben, der das Recht des deutschen Touristen, in Touristenkleidung an der Hoteltafel zu erscheinen, etwas herausfordernd zu verteidigen unternommen haben dürfte) 107 Herr von Balthesser phantasiert über das Thema „Die Dame“ 119 Einiges aus Andreas von Balthessers leider nicht gesammelten Sinnsprüchen und Glossen 133 Vom Aristokratischen 165 Andreas von Balthessers unrühmliches Ende 173 OUVERTÜRE HERR VON BALTHESSER HÄLT EINEN VORTRAG VOR WISSBEGIERIGEN JUNGEN LEUTEN (NACH DER OFFENBAR IRONISCHEN SCHILDERUNG EINES WOHL NICHT GANZ OBJEKTIVEN ZEUGEN) H Herr Andreas von Balthesser, der im geheimen sehr berühmte Dichter des „Perseus“, der „Androgyne“, des „Korybanten“, eingeladen, in dem akademischen Zirkel der „Intelligenten“ einen seiner geneigten Wahl überlassenen Vortrag zu halten, erschien in dem verräucherten Klublokal des Hotels Pinsch, mit der ihm eignen nachlässigen Eleganz gekleidet, um die schmalen rasierten Lippen das ein wenig moquante und gleichzeitig hilflose Lächeln, das er an sich so liebte, leicht vornübergebeugt, hastig und verspätet. Er hatte einen Freund mitgebracht, den er mit stark auswärts gedrehtem Daumen der Linken dem Vorsitzenden präsentierte, Viktor Grafen Melinges, Gesandtschaftsattaché, einen bei ungewöhnlich hohem Wuchs fabelhaft magern, mit der farblosen verlebten Miene und den eckigen Bewegungen der Gliedmaßen an einen Knaben gemahnenden Menschen, der nun, die linke Hand in der Hosentasche, einen leutseligen Rundgang um die nicht eben sauber gedeckte Tafel mit kurzen raschen Schritten und knappen ruckweisen Verbeugungen vor den zumeist von ihren Sitzen emporschnellenden Konviven absolvierte. — Andreas von Balthesser, vom Vorsitzenden an seine Seite gebeten, hob das Monokel aus der rechten Augenhöhle, hielt es einen Moment mit steifem Unterarm aufmerksam vor sich hin, faßte das dünne Glas dann zwischen zwei Finger der Linken, entnahm mit der Rechten dem Frack — die beiden waren, wie man flüsternd auffing, unmittelbar von einem Diner gekommen — ein ungeheuer großes Taschentuch, entfaltete es, putzte das Monokel umständlich blank, und indem er sich, sein Glas wieder vorm Auge, mit einer leichten Verbeugung gegen die ihm voll schlecht verhehlter Neugier zugekehrten Gesichter wendete, sagte er halblaut und etwas näselnd: „Meine Herren! Sie haben mich durch Ihren sehr geehrten Vorsitzenden, Herrn Dr. Robert Schaffer, in liebenswürdigster Weise eingeladen, Ihnen in einem sogenannten Vortrag etwas über Kunst zu sagen. Das heißt, nicht wahr, Sie hatten, aus ebenso liebenswürdiger Artigkeit gegen meine dem Fixierten nicht eben geneigte Natur, meiner Stimmung die Wahl des Gegenstandes dieses sogenannten Vortrages überlassen. Aber Sie meinen mit Fug erwarten zu dürfen, daß ich über das Thema Kunst zu sprechen nicht geringe Lust verspüren würde. Nun könnte ich Ihnen ja in der bei Ihnen beliebten Weise einen Exkurs über Stephane Mallarmé oder Emile Verhaeren oder Oskar Wilde oder Tooroop abspinnen. Es wäre mir die, wie Sie annehmen, erwünschte Gelegenheit geboten, mein durch die Erfassung der flüchtigsten Nüancen gesteigertes Wissen um diese oder jene Erscheinung der Kunst oder Literatur vor Ihnen als der urteilsfähigsten Hörerschaft glänzen zu lassen. Ich gestehe gern, daß ich an derlei Sermonen ein nicht wohl abzuleugnendes Gefallen hatte, als ich mich noch in jenem Stadium der Referentenlust befand, die Ihrer Periode, der des beflissenen Studiums, — denn ich sehe doch zumeist Juristen der letzten drei bis vier Semester vor mir — so wesenhaft ist. Und fast war ich“ — er nahm das Monokel aus der rechten Augenhöhle, hielt es mit steifem Unterarm aufmerksam vor sich hin und setzte es nach einer Pause wieder ein; der Vorsitzende rückte höflich seinen Stuhl noch ein wenig weiter links von ihm ab — „fast war ich, als ich mich Ihrer Einladung in diesen Tagen entsann, entschlossen, ein solches Thema, vielleicht um mir Ihre Sympathien zu sichern, heute hier zu tradieren. Da ich Sie nun aber vor mir sehe, junge Leute mit Brillen und Zwickern, mit wüsten Bärten und übernächtigen Augen, mit ungesunder gelber Gesichtsfarbe, und Sie mir im Geiste verhundertfacht denke als eine Herde von eifrigen Bücherlesern und eine lebendige Nomenklatur von allerlei sogenannten modernen Doktrinen und Termini, bin ich von einer, wie Sie sagen würden, perversen Lust angewandelt, über die Dichtkunst, von deren Beherrschung ich manche nicht unerhebliche Proben geliefert zu haben glaube, einige wenige offenbar sakrilegische Worte zu sagen. Meine Herrn“, — er lehnte sich zurück, schlug langsam ein Bein über das andre und starrte in die zuckende Gasflamme auf dem gußeisernen Arm vor ihm, so daß das Monokel wie ein toter Stein glänzte — „meine Herrn, diese Ihre Beschäftigung mit der Dichtkunst und den Dichtern erscheint mir als ein Zeichen, ein jämmerliches Zeichen von Unkultur. Sie werden jetzt in Ihrem Innern heftig erschrecken oder sich entrüsten oder mit vermeintlicher Ironie sich mir entziehen. Ich versichere Ihnen ehrlich, daß mich das nicht im geringsten berührt.“ Das Auditorium rückte mit verlegen lächelnden Mienen an den Stühlen. Man konnte bemerken, daß einer den andern gleichsam niedriger einschätzte. „Ich bin nämlich Ihrer Auffassung dessen, was Sie Kultur zu nennen belieben, so fern wie ein Gestirn. Ich weiß nicht, ob Sie recht haben oder ob ich recht habe. Es ist mir auch nicht darum zu tun, zu erfahren, wer ‚recht hat‘. Ich empfinde in diesem Moment nur die durch nichts niederzuhaltende Lust, Ihnen zu sagen, daß das alles, was Sie in Anspruch nimmt, aufregt, das, in dessen Besitz Sie sich über die andern erhaben fühlen, mir im Grunde so gleichgültig ist wie dieses — übrigens äußerst unappetitliche halb geleerte Bierglas vor mir.“ Er stellte das Glas energisch vor seinen linken Nachbar, dessen Auge an dem Rande des Glases wie bezaubert haften blieb. „Ob einer von Ihnen ein Gedicht, das ist eine willkürliche und offenbar eitle Zusammenstellung von unzulänglichen Worten des sogenannten Sprachschatzes, in einer vom Herkömmlichen abweichenden Weise zustande bringt oder nicht, ob er seine minderbemittelten Wünsche an das Leben in gleich langen oder verschieden langen Verszeilen in einer obskuren Revue drucken läßt oder sie seiner Hausbesorgerin, während er der Verschlafenen das Sperrgeld einhändigt, in kürzerer Fassung mitteilt: die Kultur hat mit dem einen so wenig zu schaffen wie mit dem andern. Sie sind heute noch immer, dank der bequemen und einschläfernden Werkelei unsrer ‚führenden Geister‘, als da sind: Gelehrte, Dichter, Zeitungschreiber, in einer Art von Traumwandelei befangen. Es ist nicht meine Sache, den öffentlichen Anrufer zu spielen. Ich fände das wie alles Laute geschmacklos. Ich sage daher diese unfreundlichen Dinge fast wie Salonaperçus, und ich sage sie Ihnen, da ich ganz genau weiß, ich werde Ihnen zum Schlusse doch nur eine angenehme Stimulation bereitet haben, und Sie werden, jeder in seiner Weise, als von etwas Merkwürdigem und Interessantem über meine Worte Bekannten und Unbekannten gegenüber sprechen, meist sehr willkürlich und ohne jeglichen Zusammenhang mit Ihren wahren Empfindungen, weil Sie sich das ja bereits zur chikanösen Manier herangebildet haben. Kurz, ich halte diese meine Aperçus für durchaus ungefährlich, hier in einem Kreise von unverbesserlichen Bücherlesern, deren keiner aus innerer Unfähigkeit heraus das wahre Wesen meiner Anschauungen auch nur zu ahnen, geschweige zu erfassen selbständig genug ist.“ — Hier entstand ein Gemurmel die Tafel entlang. Man war verlegen, im Grunde Hier entstand ein Gemurmel die Tafel entlang. Man war verlegen, im Grunde sogar ein wenig ungehalten, hinwiederum aber doch des Eindrucks dieser eigenartigen Worte nicht sicher und befand, es wäre jedenfalls geschmackvoller, sich solcher malitiösen Witze zu freuen, als sich darüber zu ärgern. Andreas von Balthesser wechselte gelassen die Stellung seiner Beine, strich sich mit der Linken leise, leicht, fast zärtlich über das sorgfältig geglättete dunkle Haar seines Hinterhauptes, bat plötzlich mit einem höflichen Lächeln, wobei er ihn kaum anblickte, den Vorsitzenden, Herrn Dr. Schaffer, um die Erlaubnis, sich eine Zigarette anzünden zu dürfen, erhielt diese Erlaubnis, kam ihr nach, wobei aller Blicke auf die schmale fein gerippte silberne Zigarettenbüchse mit dem aufgesetzten gräflichen Doppelwappen gerichtet waren, und fuhr, sich zurücklehnend und nur von Zeit zu Zeit der über den langgeschlitzten beweglichen Flügeln leicht gebogenen Nase duftige Rauchschleier entlassend, die Augen wieder an die Gasflamme gehängt, in seinen halblauten, an Worten kaum verweilenden Erörterungen also fort: „Wenn ein schlanker Mensch mit stahlharten elastischen Sehnen, bekleidet mit einem roten Frack aus weichem Tuch und schneeweißen Bridges, die vom Knie abwärts keine einzige Falte werfen, die Arme eng und doch leicht an den Leib gehalten, in den Bügeln eines galoppierenden Jagdpferds steht, oder wenn eine junge Dame sich während eines unbefangenen Gespräches — Sie, meine Herrn, wissen freilich nicht, was ein unbefangenes Gespräch ist, und wenn ich Sie jetzt darum fragte, würden Sie mir irgend einen dänischen Autor nennen, bei dem Sie eines gefunden zu haben meinten, — wenn eine solche junge Dame von großer Familie (denn nur die haben die natürliche Begabung zu den Ihnen gänzlich versagten unbefangenen Gesprächen); sie ist ohne Apprehension gekleidet (die jungen Damen, die Sie kennen, sind erstens keine Damen, zweitens sind sie nicht gekleidet, sondern mehr oder weniger geschmacklos kostümiert) — wenn eine junge Dame“ (er schloß das linke Auge, das Monokel stand starr und leuchtete) „sich während eines unbefangenen Gespräches erhebt, ihrem Gegenüber Tee einzuschenken, den der lautlos eingetretene schwarz livrierte Bediente, in weißem Porzellan auf silberner Platte angerichtet, mit behutsam auseinanderlegenden Handgriffen vor sie niedergesetzt hat, — sehen Sie, das zum Beispiel sind Dinge, die mir Kultur bedeuten. Solche Dinge zu zeigen, mit notwendigerweise aufdringlichen Worten, sie Menschen zu zeigen, denen sie nichts Verwandtes anregen, ist — Unkultur. Und, sehen Sie, wenn einer sich an seinen Schreibtisch setzt oder sich im Bette neben einer zuckenden Kerzenflamme aufrichtet, um mit einer Stahlfeder oder mit einem Taschencrayon auf ein Stück Papier, auf einen Briefumschlag ein mit einem Taschencrayon auf ein Stück Papier, auf einen Briefumschlag ein Gedicht zu schreiben, sei es nun eine tastende Mitteilung oder eine absichtliche Verschleierung seiner Gefühle oder gerade gegenwärtigen Gedanken, das ist — Unkultur. Und Menschen, die derlei oft und mit Beifall zuwege gebracht haben, gewöhnen sich daran, hierin eine außerordentlich merkwürdige Sache zu sehen, und das ist Unkultur in Permanenz. Was aber die Leute betrifft, die in mit um einiger Gedichte willen etwas wie einen Gleichgesinnten voraussetzen zu dürfen glauben: ich versichere Ihnen, unter tätowierten Insulanern ist mir wohler... Ich bekomme täglich Briefe von allerlei Skribenten des In- und Auslandes, die mich auf verschiedentliche, mit ihren Meinungen angefüllte Revuen und Bücher aufmerksam machen. Ich aber lese beileibe nicht diese Bücher und Revuen, sondern z. B. die Bekenntnisse des heiligen Augustinus oder in einer vergleichenden Grammatik der romanischen Sprachen, und dann gehe ich in einen Klub von angenehmen Sportsleuten, die bei Wagneraufführungen ihre Logen leer stehen lassen, oder ich reite stundenlang in den Praterauen. Daß mir dabei vielleicht Alexander der Große einfällt, wie er im Bade liegt oder wie ihn ein Feldherr reizt mit Einwürfen oder wie er sich von zwei Mädchen die Künste der Liebe mit anmutigen Bewegungen aller Gliedmaßen vorführen läßt, dafür kann ich nichts. Es ist so, als ob ich, der ich einen Reiz der Nasenschleimhaut verspürte, zu meinem Taschentuche griffe, wie jetzt“, (er tat es) „und mich schneuzte“ (er tat es). „Und eigentlich sollte man, wenn man gut und lange geschlafen und sich darauf, nach einem lauwarmen Bad in einer glänzend weißen Wanne, mit der liebenswürdigen Sorgfalt angekleidet hat, die eines der zehn Gebote der Selbstachtung ausmacht, wohlgepflegten Kindern zusehen, die Reifen schlagen, oder im Garten die Bäume bewundern, die Blüten treiben, oder am gleitenden Wasser liegen auf einer weichen englischen Decke und sein Spiegelbild in den Wellen haschen wie weiland Adonis. Aber man muß jedenfalls tadellos rasiert sein.“ Hier ließ Herr von Balthesser eine Pause eintreten, die sich so sehr in die Länge zog, daß einige der Versammelten in aller Bescheidenheit und mit möglichster Vermeidung von Geräuschen etwas Weniges von den längst erkalteten Fleischspeisen zu verzehren unternahmen, die man schon vor geraumer Frist vor sie hingestellt hatte. SELBSTBIOGRAPHIE HERRN VON BALTHESSERS H Herr von Balthesser, der Dichter der „Androgyne“, von einer großen polyglotten Revue aufgefordert, sein Leben in einer Skizze niederzuschreiben, lieferte auf drei mit dem kleinen aufgesetzten weißen Wappen geschmückten zartlila Briefbogen in enger steiler Schrift nachstehende Mitteilungen: „Ich bin in Rom geboren, als mein verstorbener Vater dort bei der Botschaft war. Man sagt mir, daß ich einen mit dünnem blondem Haar bedeckten spitz auslaufenden Schädel besessen und, ohne zu schreien, wie das bei den Kindern üblich ist, mich in die Welt gefunden hätte. Ich habe mich von den landläufigen Gymnasialstudien nicht abhalten lassen, die Dichter und Philosophen der vorzüglich in Betracht kommenden Sprachen, die Kirchenväter und die großen Historiker zu lesen. Mit 15 Jahren schrieb ich eine kleine Studie über den Neuplatonismus, die von der schwedischen Akademie preisgekrönt wurde. Mein um ein Jahr älterer Bruder war damals mit der so amüsanten Lektüre des Cooperschen Lederstrumpf beschäftigt, die ihm in einer Ausgabe für die reifere Jugend von unsrer guten Mama zu Weihnachten war geschenkt worden. Sonst wüßte ich nichts aus meinem Leben zu berichten, das für Leser Ihres Journals von Interesse sein könnte. Denn daß ich einige größere Reisen unternommen, bei einem Dragonerregiment gedient habe, im auswärtigen Amte mich auf die diplomatische Carrière vorbereite und im Winter fast täglich außer Haus speise, dürfte Ihnen nicht von Belang scheinen, was ich vollkommen billige.“ ANDREAS VON BALTHESSER ÜBER DEN „DANDY“ UND SYNONIMA M Man nennt mich einen Dandy. Die Bezeichnung will ich gelten lassen. Aber die Meinung ist falsch. Ich bin ein Dandy. (Freilich noch einiges mehr; aber das Äußerlichste an mir, die für die Menschen sichtbare ‚Zwiebelschale‘ meiner Persönlichkeit ist das Dandytum.) Die Leute fassen jedoch den Begriff ganz oberflächlich auf; dies ist wörtlich zu nehmen: sie begreifen nur seine Oberfläche. Man verwechselt den Dandy mit dem Gecken, dem fat. Wenn Kurzsichtige in mir einen Gecken zu erblicken meinen und ihre primitive Erfahrung in dem Begriffe Dandy endgültig festzulegen, also zu begraben unternehmen, — denn Begriffe begraben das Leben der Erscheinung, während sie anderseits den Gedanken gleichsam erstarren machen, und man braucht solche Krystalle zu Zwecken des vereinfachten Verkehrs — dann sehen die Menschen an mir nichts als etwa den tadellos geschnittenen Rock, den niemals gesprungenen Lack meiner Schuhe, den täglich frisch gebügelten Zylinder und dergleichen Zeichen, die ihren vom empörten Gefühl des Unvermögens getrübten Augen als die Merkmale eines Gecken gelten müssen, weil sie selbst nicht imstande sind, sich auch nur menschlich zu kleiden, geschweige denn die Nüancen der guten Toilette zu begreifen. Daß sorgfältige Kleidung ihren Träger keineswegs zum Gecken stempelt, wird man Menschen von so dürftiger Anschauung niemals klar zu machen vermögend sein. Der Mann, der etwas auf sich hält, im Geistigen wie im Physischen, wird ebenso seinen Intellekt wie seine Nägel pflegen, seine Wäsche ebensowenig wie seine Gedanken vernachlässigen, aber bei all seiner Korrektheit — denn dies ist das gültige Wort — niemals das Impromptu mißachten. Es ließe sich natürlich, pathetisch ausgedrückt, ein Eid darauf schwören, daß die Leute, die den Korrekten mit dem Elegant zu verwechseln blöde genug sind, keine Ahnung davon haben, was es heißt, das Impromptu nicht außer acht zu lassen, und hierin gerade liegt das Wesen des Dandisme. In diesem Sinne sage ich, daß man, wenn man mich einen Dandy nennt, etwas Richtiges ausspreche und doch etwas Falsches darunter verstehe. Ich bin ein Dandy, nicht weil ich korrekt bin, sondern weil ich bei aller Korrektheit niemals das Impromptu außer acht lasse. Der Korrekte, der es außer acht läßt, ist der Gentleman Der Dandy ist sich seiner Korrektheit bewußt. Auch der Gentleman ist nicht naiv. Aber der Dandy ironisiert sein Bewußtsein. Der Gentleman ironisiert weder sein Bewußtsein noch irgend etwas auf der Welt. Der Gentleman ist so korrekt, daß er der Ironie einfach unfähig ist, wie einer, der zum Beispiel — nicht schwimmen kann. Der Gentleman „kann nicht schwimmen“: er würde entweder untergehen — höchst korrekt untergehen — oder auf dem Wasser obenauf bleiben, wenn er sehr substanziös ist. Der Dandy ist jederzeit bereit zu schwimmen. Aber er trifft niemals Anstalten dazu. ‚Anstaltentreffen‘ heißt: der Beobachtung zugängliche Anstalten treffen, und der Dandy ist überhaupt nicht zugänglich, am allerwenigsten der Beobachtung. Es ist selbstverständlich, daß der Dandy sein Bewußtsein über alles stellt. Man wird einen Dandy niemals berauscht sehen, was dem korrektesten Gentleman, wenn das Getränk für ihn zu stark ist, passieren kann. Der Dandy vermeidet zu starke Getränke, womit nicht gesagt sein soll, daß er starke Getränke, sogar die stärksten, ausschlüge, — wenn er sie verträgt, was er weiß. Der Dandy weiß immer, was er verträgt. Der Dandy weiß auch immer, was der andre verträgt. Aber das hält ihn nicht ab, dem andern Dinge zuzufügen, die dieser nicht verträgt, was der Gentleman unfehlbar vermeidet. Der Dandy ist kein Poseur. Dieser Ausdruck stammt von der Bühne, ist also etwas Grelles, Lautes, Minderwertiges. Er ist dann in die Literatur gekommen und hat dort nicht an Erziehung gewonnen, wie denn überhaupt durch die Literatur die besterzogenen Begriffe verdorben werden. Mit dem Worte Poseur bezeichnet eine ‚höhere‘ Art von brutalen Beobachtern jene Seite des Dandytums, die ich Bewußtsein nenne. Eine Pose aber ist etwas Starres, etwas, das gewissermaßen nur von einer Seite gilt: auf der andern ist die Pose schon „Rückseite“, Soffittenquerholz, Futter. Der Dandy ist von allen Seiten gleich unverdächtig. Verdächtig ist er nur im Innern, — dem nämlich, der selbst die Seele eines Dandy hat. Den andern, Gentlemen und Nichtgentlemen, ist er nicht verdächtig, sondern entweder unangenehm oder angenehm. Das ist, wie alle Geschmacksachen, etwas ganz Persönliches. Was dem brutalen Beobachter am Dandy unangenehm auffällt, ist seine Vielfältigkeit , die Rundheit, die ihn reizt, weil er eben einseitig, einfältig, eckig ist. Der Dandy ist geschliffen. Er kann alle seine Facetten, indem er sich langsam dreht, erglänzen lassen. Er kann sie funkeln machen und — auslöschen. Aber sie bleiben immer geschliffen. Der Ungeschliffene haßt instinktiv den Dandy. Der Joviale möchte ihn hänseln, gutmütig ‚aufziehen‘. Von dem Dandy gleitet alles ab. Er ist glatt und immer höflich . Höflichkeit ist glatter als polierter Stahl. Gegen Höflichkeit kann selbst Freundlichkeit nicht ankämpfen. Freundlichkeit haucht die Facetten des Dandy an. Sie werden trüb. Aber nur für einen Moment. Der Dandy ist vor allem gegen sich selbst höflich. Er weiß, daß nur, wer sich selbst artig behandelt, zu leben versteht. Man darf nicht gegen sich selbst unartig sein, ist ein Prinzip des Dandy, — soweit ein Dandy etwas so Eckiges wie Prinzipien überhaupt an sich duldet. Der Dandy ist als Dandy nicht „auffallend“. Der Gentleman und der Dandy können auffallen. Auffälligkeit ist etwas Relatives. Wenn ein weißer Bäckerbursch unter Rauchfangkehrern erscheint, fällt er auf. Ein Reiter, der sich aus der Nobelallee in den Wurstelprater verirrt, fällt auf. Es ist sogar möglich, daß man ihn steinigt. Selbstverständlich spreche ich nicht nur von der Kleidung. Es ist überhaupt nicht oft genug zu betonen, daß die Kleidung — in einem höhern Sinn freilich, als die meinen, die davon nichts verstehen, — wenig in diesen Unterscheidungen besagt. Die meisten Leute, die sich über den Gecken entrüsten, der zu unpassender Gelegenheit z. B. einen grauen Zylinder und weiße Handschuhe trägt, ahnen nicht, daß der unscheinbare Herr daneben ein Dandy ist und mit ihnen den Gecken verachtet, sie selbst aber noch viel mehr, weil sie auch ihn als einen Gecken ansprechen würden, wenn er zufällig — in Renntoilette unter sie geriete. Wer einem jungen Mädchen die Hand küßt, darf als ein Mensch von schlechten Manieren gelten. Aber nicht jeder, der das unterläßt, ist ein Mensch von guten Manieren. Der Dandy hat die besten Manieren. Der Gentleman muß nicht unbedingt gute Manieren haben. Der Grandseigneur — ein Begriff der alten Zeit, der heute noch sehr gut anwendbar bleibt, leider aber nur noch selten würdige Repräsentanten findet — hat immer gute Manieren, und zwar einigermaßen pompöse. Der Grandseigneur kühlt die Luft ab. Es ist nur an ihm gelegen, sie wieder zu erwärmen. Und dies vermag der Grandseigneur wie kein andrer. Der Grandseigneur muß kein Gentleman, er mag ein Dandy sein, nie wird er ein Geck sein können Der Dandy läßt niemals das Impromptu außer acht. Das Impromptu ist das Flüchtigste, Feinste, gewissermaßen der Hauch einer Äußerung. Unter „Äußerung“ will ich nicht notwendigerweise eine Äußerung durch Worte verstanden wissen. Man kann sich durch Blicke und Handlungen, durch Unterlassungen „äußern“. Das Impromptu hat Ehrfurcht vor dem Moment. Es weiß ihm so zu begegnen, daß er liebenswürdig sich fügt. Ein Tausendstel einer Sekunde später — und der Moment hätte sich bereits zurückhalten lassen müssen, was unbedingt respektlos und sehr unliebenswürdig ist, wenn es auch sehr „herzlich“ sein mag. Der Dandy verfehlt nie den richtigen Moment. Er betont ihn nie, betont überhaupt nichts (am allerwenigsten seine Gegenwart), er läßt den Moment sogar verschleiert vorbeigehen, aber er verkennt ihn nie. Der Enthusiast verkennt häufig den Moment. Stößt er auf ihn, dann ist er unbedingt Sieger. Daß der Besiegte knirscht, ist dem Enthusiasten gleichgültig. Der Dandy ist niemals Enthusiast. Und seine Siege demütigen den Besiegten nie. Freilich sehen sie auch niemals nach einer — Niederlage aus, was dem Enthusiasten manchmal passieren kann. Denn der Enthusiast ist zumeist „gleich darauf“ niedergeschlagen. Diesen jähen Szenen- und Mienenwechsel kennt der Dandy nicht, das heißt an sich nicht. An den andern kennt er alles und richtet sich darnach ein. Wenn er keine andern Beziehungen hat, unterhält der Dandy um so freundlichere zu seinem Kammerdiener. „Dandy“ ist ein Begriff der ästhetischen, „Gentleman“ einer der ethischen Wertung.