Quelle: Die Zeit Die Zeit Teil 1- Claus Vogt: Der Robin Hood von Bad Cannstatt Claus Vogt vom VfB Stuttgart ist ein Präsident, der den Fans aus dem Herzen spricht. In der Datenaffäre gilt er als Aufklärer. Doch die Ungereimtheiten häufen sich. Von Marc Brost, Oliver Fritsch und Arne Storn Das ist der erste Teil unserer Serie House of Stuttgarts. Alle weiteren Folgen finden Sie auf unserer Serienseite. In einem abgeschiedenen Tal, gut eine halbe Stunde mit dem Auto von Stuttgart entfernt, lebt in einem Dorf ein Mann, der einen der angesehensten Posten im deutschen Fußball erobert hat, obwohl ihn noch vor wenigen Jahren niemand in der Fußballwelt kannte. Seit er diesen Posten innehat, tut dieser Mann sehr viel dafür, ihn zu behalten. Viel mehr jedenfalls, als die Öffentlichkeit bislang weiß. Claus Vogt heißt er, ist 51 Jahre alt und Unternehmer. Seine Firma Intesia ist im Facility Management tätig, das ist ein neudeutscher Begriff für eine nicht ganz so angesehene Tätigkeit. Auf schwäbisch sagt man: Es isch a Drecksg’schäft. Auf Hochdeutsch heißt das, Intesia kümmert sich unter anderem ums Saubermachen und Beseitigen, um Gebäudereinigung und Müllentsorgung. House of Stuttgarts Ein Datenskandal eskaliert beim VfB Stuttgart zur Führungskrise. Aber will der Präsident Claus Vogt wirklich aufklären? Welche Rolle spielen die verschwiegenen Ermittler? Warum hat Thomas Hitzlsperger so viele Sympathien verspielt? Eine Schlacht um falsche Fährten und die Frage, wem der Profifußball gehört. Das ist House of Stuttgarts, eine exklusive Rechercheserie von ZEIT ONLINE in vier Folgen: Teil 1: Der Robin Hood von Bad Cannstatt Teil 2: Die Schattenspieler Teil 3: Der Anfänger Teil 4: Das Vogt-Land Claus Vogt wohnt in Glashütte, einem Ortsteil des Städtchens Waldenbuch, im idyllischen Siebenmühlental, irgendwo auf dem Weg zwischen Stuttgart und Tübingen. In Waldenbuch steht auch die große Fabrik eines bekannten Schokoladenherstellers. Und manchmal, wenn der Wind gutsteht, weht ein leichter Schokoduft bis nach Glashütte. Newsletter “Was jetzt?” – Der tägliche Morgenüberblick Starten Sie mit unserem sehr kurzen Nachrichten-Newsletter in den Tag – von Montag bis Samstag. Hier, in einem Neubau am Hang, wohnt Claus Vogt. Er ist der Präsident des VfB Stuttgart. Und dass er hier wohnt, ist für alle deutlich zu sehen. Weiße und rote Lampions sind rund ums Haus angebracht, am großen Fahnenmast flattert die Fahne des Vereins. Wer näher kommt, sieht das geschmiedete Vereinswappen neben der Eingangstür. Für eine Gegend, in der die Menschen für gewöhnlich eher verbergen, wer sie sind und was sie haben, ist das ein ungewöhnliches Haus. Denn hier zeigt einer, was er liebt – und wer er ist. Vogt ist nämlich nicht nur Unternehmer, sondern vor allem Fußballfan. In seiner Firma in Böblingen gibt es ein Zimmer voller Devotionalien: signierte Mannschaftsfotos, Originaltrikots, alte Klappstühle aus dem Stadion. Der grasgrüne Teppichboden erinnert an einen Fußballrasen. Aber Vogt ist kein gewöhnlicher Fan, denn er geht nicht einfach nur ins Stadion oder hat einfach nur eine Dauerkarte. Vogt ist ein Aktivist. Er liebt den Fußball nicht nur, sondern er will ihn auch verändern. Er sehnt sich nach den alten Zeiten, würde am liebsten die Champions League abschaffen und den Europapokal der Landesmeister wiederhaben. Er will, dass der Fußball wieder nah bei den Leuten ist – und sich dafür vom Großkapital mit seinen Business Seats entfernt. "Wenn der VfB das vierte Trikot in der Saison auflegt, würde ich einwenden: Drei sind auch genug", sagte Vogt vor vier Jahren in einem Interview mit ZEIT ONLINE, als noch keine Rede davon war, dass er einmal Präsident werden würde. Manche Leute aus dem Profigeschäft halten ihn für naiv. Vielen Fans jedoch, auch denen von anderen Vereinen, spricht Vogt aus dem Herzen. Ohne Vogts Vita lässt sich die spektakuläre Auseinandersetzung, die in Stuttgart stattfindet, nicht verstehen. Es geht dabei um nichts weniger als grundsätzliche Fragen, die sich in vielen Vereinen stellen oder stellen werden: Was muss man mitbringen, um heutzutage einen Profiklub erfolgreich zu führen? Und wer entscheidet eigentlich darüber, was man mitbringen muss? Im Stuttgarter Stadtbezirk Bad Cannstatt, beim Verein für Bewegungsspiele von 1893, ist über diese Fragen ein Machtkampf ausgebrochen, in dem Vogt, der Präsident, eine entscheidende Rolle spielt. Der Fußballaktivist will den VfB in eine ganz bestimmte Richtung verändern – seine Richtung, eine bessere, inhaltlich, auch personell. Einige in Stuttgart sprechen schon vom "Vogt-Land", manche tun dies mit einer sorgenvollen Stimme. Davon wird in den weiteren Kapiteln dieser Geschichte noch die Rede sein. Claus Vogt ist dabei nicht allein, er hat ein kleines Heer aus Getreuen, von denen er einige aus einer Initiative kennt, die sie zusammen gegründet haben. FC PlayFair! heißt sie. Ihr Ziel ist es, "die immer weiter fortschreitende Kapitalisierung des Profifußballs in die richtigen Bahnen und einen vernünftigen Rahmen" zu lenken. So steht es auf der Homepage des FC PlayFair!. Die Initiative ist 2017 nicht zufällig entstanden, denn immer mehr Fans betrachten die kommerziellen Entwicklungen im Profifußball sehr kritisch. Der FCPlayFair! greift diese Stimmung auf. In den Umfragen, die er mit der Onlineausgabe des Kicker durchführte, stimmte eine große Mehrheit beispielsweise dem Befund zu, dass hohe Ablösesummen den Fußball kaputt machen. Der Verein erhielt Aufmerksamkeit und Unterstützung, etwa durch Cem Özdemir von den Grünen. Von den Bundesliga-Bossen um Christian Seifert wurde der FC PlayFair! aber nicht ernst genommen, weil seine Umfragen nicht repräsentativ sind und der akademische Anstrich der Publikationen manchmal etwas aufgedonnert wirkt. Was die Firma Esecon genau macht, will sie nicht verraten. Selbst Fachleute haben nie von ihr gehört. Beim VfB Stuttgart wurden die Ermittler Teil eines größeren Spiels. Teil 2 Das ist der zweite Teil unserer Serie House of Stuttgarts. Alle weiteren Folgen finden Sie auf unserer Serienseite. Das Haus in der Dernburgstraße 59 im Berliner Stadtteil Charlottenburg wirkt alles andere als prächtig. Auf manchen Schildern neben der Eingangstür stehen Namen von Firmen, die es nicht mehr gibt. Über einer Klingel hat jemand per Klebestreifen den Namenszug "Esecon" angebracht. Hier, im dritten Stock dieses etwas heruntergekommenen Hauses, sitzt jene Firmengruppe, die in einer der spektakulärsten Auseinandersetzungen des deutschen Fußballs eine zentrale Rolle spielt. Kanzleien wie Esecon tauchen meist da auf, wo es Missstände und schmutzige Geheimnisse gibt. Sie prüfen Dokumente, sichten Mails und befragen Mitarbeiter. "Forensische Untersuchungen" nennt sich das. Es ist ein heikles Geschäft und in der Regel sind die Auftraggeber darauf erpicht, mithilfe dieser Firmen ihre Skandale möglichst intern zu regeln. Wer Esecon engagiert, befindet sich in einer Situation wie jemand, der sich aus der eigenen Wohnung ausgeschlossen hat: Etwas ist schiefgelaufen, es ist peinlich, eine Lösung muss her, am besten sofort. Also ruft man den Schlüsseldienst, auch wenn Zweifel bestehen, wie seriös die Firma ist, die dann kommt und die Tür aufmacht. Sicher ist nur, dass es teuer wird. Am Ende ist man viel Geld los. Und der Schlüsseldienst zieht weiter, zum nächsten Kunden in Not. In Stuttgart sollte die Firmengruppe einen unglaublichen Datenskandal aufklären. Mitarbeiter des VfB hatten die Namen, Adressen und Telefonnummern von Mitgliedern an eine Werbeagentur weitergereicht, um Stimmung für die Ausgliederung der Fußballsparte in eine Aktiengesellschaft zu machen. Offenbar dachten einige im Verein, dieses umstrittene Vorhaben sei nur durchzusetzen, wenn man Mitglieder manipuliert. Sie ignorierten Vorschriften, vielleicht sogar Gesetze. Als die Affäre im Herbst 2020 durch eine Recherche des Kickers publik wurde, fühlten sich all jene Fans bestätigt, die seit Jahren vehement die Kommerzialisierung des Fußballs kritisieren. Es war klar: Jemand musste nachforschen, wie es dazu kommen konnte. Der VfB beauftragte Esecon. Laufen: "Ein Marathon ist zwölf Kilometer zu lang" Die private Unternehmensgruppe trat in Stuttgart bald auf wie die Staatsanwaltschaft. Doch viele Dokumente, die ZEIT ONLINE vorliegen, zeigen, dass Esecon alles Mögliche war – nur nicht die Staatsanwaltschaft. Denn die Ermittler pflegten eine auffällige Nähe zu einer entscheidenden Person im Machtkampf beim VfB, dem Vereinspräsidenten Claus Vogt, den sie auch strategisch berieten, wie interne Dokumente zeigen (Der Robin Hood von Bad Cannstatt). Auffällig ist auch, dass von Esecons Arbeit in bestimmten Medien immer nur das an die Öffentlichkeit drang, was dem VfB-Präsidenten Vogt in die Hände spielte, während viele Informationen, die Vogts Gegner entlasteten, verborgen blieben. Ein viel größeres Spiel Was sich in Stuttgart, beim Verein für Bewegungsspiele von 1893, seit Monaten abspielt, ist viel größer als die Aufklärung einer Datenaffäre. Es ist eine Auseinandersetzung, deren Bedeutung weit über den VfB hinausreicht, weil um ganz grundsätzliche Fragen gerungen wird, die sich in vielen Vereinen stellen oder stellen werden: Was muss man können, wer muss man sein, um einen Proficlub zu führen? Und wer entscheidet darüber, wer die Chefs sind – die Mitglieder oder die Investoren? In Stuttgart ist über diese Fragen ein Machtkampf entbrannt. Auf der einen Seite steht der Präsident des Vereins, Claus Vogt, der zum Zeitpunkt der Datenaffäre noch nicht im Amt war und der unter den Fans großes Ansehen genießt. Auf der anderen Seite stehen all jene, die beim VfB schon vor Vogt das Sagen hatten. In Stuttgart nennt man sie "die alten Seilschaften". Mitten im Konflikt befindet sich der CEO der ausgegliederten Profiabteilung, der junge Vorstandsvorsitzende, Thomas Hitzlsperger, ein ehemaliger Spieler. Als im Herbst 2020 der Datenskandal beim VfB ans Licht kam, eskalierte der Konflikt über die Führung und künftige Ausrichtung des Clubs. Fortan galt Vogt – auch dank der Ermittlungsergebnisse von Esecon – als Aufklärer und aufrechter Kämpfer gegen die dunklen Mächte der Vergangenheit. Doch die Ermittler von Esecon, das zeigen die ZEIT ONLINE vorliegenden Dokumente, halfen Vogt nicht einfach nur dabei, die Datenaffäre aufzuklären. Sie hatten offenbar eine andere Rolle, zumindest wurde sie ihnen im Laufe der Zeit zuteil. Mit ihren Untersuchungen konnte der VfB- Präsident das eigentliche, viel größere Spiel in Stuttgart für sich entscheiden. Teil 3 Thomas Hitzlsperger: Der Anfänger Thomas Hitzlsperger war ein Liebling der VfB-Fans. Bis er in einem offenen Brief über den Präsidenten wütete. Der lässt zweifeln, ob er als Führungskraft taugt. Das ist der dritte Teil unserer Serie House of Stuttgarts. Alle weiteren Folgen finden Sie auf unserer Serienseite. Aus 25 Metern volley ins Netz – viel spektakulärer als Thomas Hitzlsperger kann man seinen Verein nicht zur Meisterschaft schießen. Mit ihm verbinden VfB-Fans den letzten Höhepunkt des Vereins, sein Tor am 19. Mai 2007 werden sie immer vor Augen haben. Letzter Spieltag der Saison 2006/2007, der Tabellenführer aus Stuttgart liegt gegen Energie Cottbus zu Hause in Rückstand, als Hitzlsperger mit seiner Spezialität, dem harten Linksschuss, den Ausgleich erzielt und ein ganzes Stadion zum Leben erweckt. Eine einstudierte Variante, wie er später verraten wird. Nach dem Abpfiff ist der VfB Deutscher Meister, zum fünften und auf absehbare Zeit letzten Mal. Gut dreizehn Jahre später, am 12. Dezember 2020, geht Borussia Dortmund zu Hause gegen Stuttgart 1:5 unter. Die jungen Aufsteiger aus Schwaben begeistern mit Kontern. Hitzlsperger, inzwischen Vorstandschef des VfB, twittert von der Tribüne: "Ich könnte Konfetti kotzen." Dafür sammelt er mehr als 8.000 Likes. Alles scheint gut. Aber genau dieser Überschwang wird ihm bald zum Verhängnis. Rund drei Wochen später, am 30. Dezember, tut Thomas Hitzlsperger etwas Ungewöhnliches. Er schreibt einen offenen Brief. In dem bricht alles aus ihm heraus, was sich über Monate angestaut hat. Vier bitterböse Seiten. Hitzlsperger kotzt kein Konfetti, sondern die ganze Wut über Claus Vogt heraus. Er schreibt, dass der Präsident dem Verein "massiv" schade und sein "Profilierungswunsch" die "Existenz des ganzen Vereins" bedrohe. Vogt komme "intern seinen Informationspflichten nicht nach" und sensible Daten würden "allzu oft bei Dritten außerhalb des VfB" landen. Von seinen Zielen habe Vogt "so gut wie nichts umgesetzt". Wenn einem Präsidenten "die Fähigkeit oder der Wille" fehle, sein Amt "nicht im eigenen Interesse, sondern ehrlich und verlässlich" auszuüben – "dann verkommt die Charakterisierung des Fan-Präsidenten zur Pose". Hitzlsperger kündigt sogar an, als Vereinspräsident kandidieren zu wollen. Er will nichts weniger als die Gewaltenteilung beim VfB aufheben, denn es ist fraglich, ob die Satzung erleubt, sowohl Vorstand der AG als auch Präsident des e.V. zu sein. Und das alles, um Vogt loszuwerden. Es ist eine Kampfansage. In diesem Moment wird deutlich, wie groß die Auseinandersetzungen beim VfB wirklich sind. Wie heftig – und wie lange schon – hinter den Kulissen ein Konflikt ausgetragen wird, von dem die Öffentlichkeit bis dahin allenfalls eine Ahnung hatte. Alle wissen nun, dass der innerste Zirkel des Vereins nicht zusammenarbeiten kann. Auf der einen Seite steht der Präsident, Claus Vogt, der unter den Fans großes Ansehen genießt, weil er ihnen den Verein, ja, den Fußball zurückgeben will. Der zu ihnen sagt: Ich bin einer von euch ("Der Robin Hood von Bad Cannstatt"). Vogt hat sich scheinbar ganz allein mit der Gegenseite angelegt, einer mächtigen Gruppe im Hintergrund, die den Verein aus Sicht der Fans seit langem in ihren Fängen hat. In Stuttgart nennt man sie: "die alten Seilschaften." Zweifel an der Führungskraft Hitzlsperger Und Hitzlsperger, der Chef der ausgegliederten Profiabteilung, der junge Vorstandsvorsitzende der VfB AG? Nach seinem Brief glaubt in Stuttgart niemand mehr, dass er zwischen beiden Lagern steht. Vielmehr wirkt er auf einmal wie eine Marionette der alten Seilschaften. Wie jemand, den die im Hintergrund wirkenden Alten nach vorne auf die Bühne geschoben haben, damit er für sie den Präsidenten wegschafft. Den Mann, den die Fans so sehr lieben. Dabei lieben die Fans – bis zu seinem Brief – auch Hitzlsperger. Der DFB-Botschafter für sexuelle Vielfalt steht ja gerade nicht für die alte Fußballwelt und das Kapital, sondern für Fan-Nähe und Diversität, also auch für die Werte der Vogt-Anhänger. Mit dem Brief zeigt Hitzlsperger aber eine unbekannte, bis dahin unvorstellbare kalte Seite. Auch deswegen ist die Enttäuschung so groß, bis heute. Der Brief macht obendrein starke und grundsätzliche Zweifel an der Führungskraft Hitzlsperger deutlich. So handelt kein Konzernchef. Es ist ein unerhörter Angriff auf den von Mitgliedern gewählten und ehrenamtlichen Präsidenten. Offensichtlich fällt es ihm auch schwer, Leuten im persönlichen Austausch die Meinung zu sagen. Denn das Schlichtungsgespräch mit Claus Vogt, das die beiden acht Tage zuvor geführt haben, ist weniger konfrontativ verlaufen. Und viele Mitglieder halten es für eine Anmaßung, dass sich Hitzlsperger von ihnen zum Präsidenten wählen lassen will – und sie ihren Liebling Claus Vogt aus dem Amt jagen sollen. Neben dem Vorstandsvorsitz ist das Präsidentenamt der wichtigste Führungsjob in einer Fußball-AG. Denn der Vereinspräsident ist zugleich Vorsitzender des AG-Aufsichtsrats – und damit oberster Kontrolleur des Vorstandschefs. Und deswegen geht es im Stuttgarter Machtkampf auch um weit mehr als nur eine Personalie. Beim VfB wird um ganz grundsätzliche Fragen gerungen, die sich im Profifußball in vielen Vereinen stellen oder noch stellen werden: Was muss man mitbringen, um heutzutage einen Profiklub erfolgreich zu führen? Muss man selbst Fußballprofi gewesen sein? Und wer entscheidet am Ende darüber, wer den Klub führt – die Vereinsmitglieder oder die Investoren? Teil 4 Mitgliederversammlung beim VfB Stuttgart: Das Vogt-Land Vor der Mitgliederversammlung herrscht ein Scheinfriede in Stuttgart. Es ist aber kaum vorstellbar, dass Claus Vogt und Thomas Hitzlsperger auf Dauer zusammenarbeiten. Von Marc Brost, Oliver Fritsch und Arne Storn 16. Juli 2021, 11:01 Uhr Das ist der vierte Teil unserer Serie "House of Stuttgarts". Alle weiteren Folgen finden Sie auf unserer Serienseite. In der Schlacht von Stuttgart regierte kaltes Kalkül. Zwei Lager bekämpften sich mit Anwälten, Gutachten, schwarzen Listen, offenen Briefen. Doch es ging auch um große Gefühle. Zwei Gesprächspartner, mit denen ZEIT ONLINE im Zuge der Recherche sprach, weinten. Ein dritter lehnte eine Anfrage ab, weil ihn das Thema VfB zu sehr aufwühle. Ein Fußballverein ist eben nicht nur ein Wirtschaftsunternehmen oder ein Arbeitgeber, sondern Herzenssache. Es kann sein, dass es bald wieder emotional wird. Denn dem Frieden in Stuttgart ist nicht zu trauen. Dass die beiden Widersacher Claus Vogt und Thomas Hitzlsperger ihren Streit beigelegt haben, glaubt so gut wie niemand. "Das Wichtigste für uns beide wird sein, dass wir es schaffen, dass da nichts zurückbleibt", sagte Vogt auf einer gemeinsamen Pressekonferenz im März. Ein Verein könne auch funktionieren, "wenn sich zwei Leute nicht grün sind", sagte Hitzlsperger. Ihr Lächeln wirkte angestrengt. Einiges spricht dafür, dass Thomas Hitzlsperger nicht auf Dauer mit demjenigen zusammenarbeiten will, dem er noch vor Kurzem Kompetenz und Integrität absprach. Für den Moment ist Vogt der Sieger. Verloren hat Hitzlsperger, der durch seinen offenen Brief, in dem er Vogt persönlich attackierte, stark an Ansehen eingebüßt hat. Verloren haben erst recht die alten Seilschaften, die den Verein in die Zweite Liga gestürzt hatten. In diesem Kampf versagten ihre erprobten Techniken des Machterhalts (Der Anfänger). . Mehrere Mitarbeiter des VfB Stuttgart haben zwischen 2016 und 2018 Daten der Mitglieder an einen externen Dienstleister gegeben, um die öffentliche Meinung zugunsten einer Auslagerung der Profisparte zu beeinflussen. Sie taten dies ohne rechtliche Grundlage, gegen Vorschriften und gute Sitten. Der Verein zahlte für sein Versagen 300.000 Euro Bußgeld, ganz gewiss zu Recht. Ob die Verstöße fristlose Kündigungen rechtfertigen, ist allerdings eine andere Frage. Das werden Gerichte beantworten. Diese Verstöße wurden auch mithilfe der Firma Esecon zu personellen Änderungen genutzt (Die Schattenspieler). Manches weist zudem darauf hin, dass das Vogt-Lager früher von der Datenaffäre und ihrem Eskalationspotenzial gewusst haben könnte, als es zugibt. Vogt hatte jedenfalls weit vor der Veröffentlichung des Kickers Kontakt zu einer Person aus dem Esecon-Kosmos. Überhaupt haben die Dunkelmänner von Esecon an ihrem Mandat sehr viel verdient. Der Schaden dieser Affäre, der ihrer Aufklärung und des Streits an der Spitze geht für den VfB Stuttgart in die Hunderttausende. Einer Antwort des Vereins auf eine Anfrage von ZEIT ONLINE ist zu entnehmen, dass der VfB zwar optimistisch ist, dass eine Versicherung die entstandenen Kosten "zu einem überwiegenden Anteil" übernehmen werde, diese Zahlung aber noch nicht in Gänze erfolgt sei. Und obwohl Ergebnisse aus einem Gutachten, das Vogt selbst veranlasste, der verbreiteten Lesart und seiner Darstellung widersprechen, es habe vereinsintern große Widerstände gegeben, mussten in Stuttgart viele Leute gehen, was die Position von Vogt gestärkt und die seiner Gegner geschwächt hat. All das geschah kurz vor einem Ereignis, das den VfB Stuttgart auf Jahre prägen wird. Am 18. Juli, an diesem Sonntag also, hält der Verein endlich seine wiederholt verschobene Mitgliederversammlung für 2021 und 2020 ab. Dort wird über alle entscheidenden Posten abgestimmt: den Präsidenten, den Rest des Präsidiums sowie den Vereinsbeirat. Vogt hat einen Gegenkandidaten: Pierre-Enric Steiger. Der Unternehmer ist Mitglied des VfB- Freundeskreises, aber einen Namen in der Fußballbranche hat er nicht. Er ist die Hoffnung der alten Seilschaften. Vogts Mastermind Doch der Favorit ist Claus Vogt. Er, der bisher nur für eine Übergangszeit gewählt worden war, kann für vier Jahre im Amt bestätigt werden. Als Kopf des Präsidiums würde er dann maßgeblich darüber entscheiden, wen der Verein in den Aufsichtsrat der AG entsendet. Als Chef des Wahlausschusses kann Vogt auch noch beeinflussen, wer auf der Versammlung überhaupt in den Vereinsbeirat gewählt werden kann – der ihn, den Präsidenten, doch eigentlich kontrollieren soll. Läuft alles glatt, kann sich Vogt ein Umfeld schaffen, in dem er auf Jahre hinaus die bestimmende Person ist. Wird der VfB also zum Vogt-Land? Vogt selbst bestreitet, weitere Umbauarbeiten zu planen. Er sagt, mit Hitzlsperger weiterarbeiten zu wollen. Viele in Stuttgart prophezeien hingegen, dass Hitzlsperger nach Vogts Wiederwahl irgendwann hinschmeißen könnte. Und im Verein, der vom monatelangen Machtkampf erschöpft ist, sind noch viele Posten unbesetzt. In Stuttgart kursieren verschiedene Szenarien. Der Name eines Vertrauten Vogts, der für Höheres bereitstehe, kommt in vielen vor: André Bühler, Vogts Mitgründer vom FC PlayFair!, zurzeit stellvertretender Chef des Beirats. Bühler tritt seriöser auf als Vogt. So wurde Bühler 2017, als Vogt einstimmig durchfiel, in den Vereinsbeirat gewählt. Seitdem ist sein Einfluss in diesem Gremium gewachsen. In seinen Publikationen befasst sich der Professor von der Hochschule Nürtingen-Geislingen mit den ökonomischen Entwicklungen des Profisports. Da liest man Thesen, die bei kritischen Fans gut ankommen: "Das Fußballbusiness ist in weiten Teilen ein mittlerweile krankes System." Sein Wikipedia-Eintrag attestiert seinen Aufsätzen "mediales Aufsehen". Bühler gilt als Vogts Mastermind. Früher schlug Bühlers Herz für den Handball. Leute von Frisch Auf Göppingen erinnern sich an einen jungen Mann, der in der Loge auftauchte und dessen Karriereabsichten früh zu erkennen waren. Im Internet kritisierte Bühler damals viele Jahre das Management des Vereins. Sein Pseudonym war in Göppingen ein offenes Geheimnis: "Highness". Das ist Englisch und heißt Hoheit. André Bühler möchte Neues in den Profifußball einbringen, doch das Prinzip "Mehr Sein als Schein" ist dort in mehr als ausreichendem Maße längst vorhanden.
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