Josef Isensee Das Grundrecht auf Sicherheit Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e. V. Berlin Heft 79 w DE _ G 1983 Walter de Gruyter · Berlin · New York Das Grundrecht auf Sicherheit Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates Von Josef Isensee Vortrag gehalten vor der Berliner Juristischen Gesellschaft am 24. November 1982 - Erweiterte Fassung - w DE G 1983 Walter de Gruyter · Berlin · New York Dr. jur. Josef Isensee Professor für Öffentliches Recht an der Universität B o n n CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Isensee, Josef: Das Grundrecht auf Sicherheit : zu d. Schutz- pflichten d. freiheitl. Verfassungsstaates ; Vortrag gehalten vor d. Berliner Jur. Ges. am 24. November 1982 / von Josef Isensee. - Erw. Fassung. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. - (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft e.V. Berlin ; H. 79) I S B N 3-11-008916-4 N E : Juristische Gesellschaft (Berlin, West): Schriftenreihe der Juristischen... © Copyright 1983 by Walter de Gruyter & Co., vormals G . J . Göschen'scne Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung, Georg Reimer, Karl J. Tnibner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany Satz und Druck: Saladruck, Berlin 36 Bindearbeiten: Verlagsbuchbinderei Dieter Mikolai, Berlin 10 Imprimis autem paci necessarium est, ut unusquisque in tantum prote- gatur contra caeterorum violentiam, ut possit secure vivere, hoc est, ne habeat causam justam metuendi a caeteris, quamdiu ipse alios injuria nulla affecerit. Tutos quidem reddere homines a mutuis damnis, ita ut laedi, vel occidi injuria non possint, impossibile est; neque ergo cadit in deliberatio- nem. Sed ne sit metuendi causa justa, prospici potest. Securitas enim finis est, propter quem homines se subjiciunt aliis; quae si non habeatur, nemo intelligitur se aliis subjecisse, aut jus se arbitrio suo defendendi amississe. Neque ante intelligendus est quisquam se obstrinxisse ad quicquam, vel jus suum in omnia reliquisse, quam securitati ejus sit prospectum. Thomas Hobbes Inhalt Einleitung Seite Klischees im Vorfeld: Freiheit und Sicherheit als Antinomie - Rechtsstaat als Staatsabwehr - in dubio pro libertate 1 Erster Abschnitt: Das staatstheoretische und das ideengeschichtliche Fundament 3 1. Thomas Hobbes : die Staatslegitimation durch Sicherheit 3 2. John Locke: Sicherheit vor dem Hüter der Sicherheit 5 3. Der aufgeklärte Staat Preußen: Sorge für die Sicherheit als Staats- pflicht 7 4. Das liberale Ideal: die Reduzierung der Wirksamkeit des Staates auf den Sicherheitszweck 10 a) Der klassische Bildungs-und Wirtschaftsliberalismus 10 b) Die Kritik an der liberalen Alleinlegitimität des Sicherheits- zwecks 11 5. Sicherheit als Gegenstand der klassischen Menschenrechtserklä- rungea 12 a) Amerikanische Verfassungen des 18. Jahrhunderts 12 b) Verfassungen der französischen Revolution 14 6. Sicherheit als Selbstverständlichkeit des freiheitlichen Staates 15 Zweiter Abschnitt: Sicherheit in der Teleologie des Verfassungsstaates 17 1. Drei Legitimationsschichten: die bürgergerichtete, die staatsge- richtete, die soziale Sicherheit 17 2. Dauer und Unablösbarkeit der Fundamentalsicherheit 18 3. Karl Marx: Das Menschenrecht auf Sicherheit - „die Versiche- rung des Egoismus" 20 Dritter Abschnitt: Sicherheit als staatsrechtlicher Begriff: thematisches Verständnis, sachliche und sprachliche Abgrenzungen 21 1. Zusammenhang Sicherheit und Freiheit 21 2. Sicherheit als status positivus libertatis 21 3. Grundrechte als Substrat der Sicherheit 22 4. Grundrechtliche Sicherheit und Friedenspflicht des Bürgers 23 5. „Freiheit von Furcht" 25 6. Furcht und Vertrauen als staatskonstituierende Kräfte 26 Vierter Abschnitt: Der status positivus libertatis im Grundgesetz 27 1. Die Wiederentdeckung des Bundesverfassungsgerichts: grundrechtliche Schutzpflichten 27 a) Das Recht auf Leben als Schutz des Lebens 27 b) Konkretisierungen: Abwehr des Terrorismus - Schutz vor Immissionen 28 c) Analogien: Schutz vor ausländischer Gewalt - diplomatischer Schutz - Asyl bei „privater" Verfolgung 30 2. Das dogmatische Defizit der Staatsabwehrdoktrin 31 3. Die Gesamtheit der grundrechtlichen Schutzpflichten: das Grundrecht auf Sicherheit 33 Fünfter Abschnitt: Die juristische Gestalt der grundrechtlichen Schutzpflichten und des Grundrechts auf Sicherheit 34 1. Das Rechts-Dreieck Staat-Störer-Opfer 34 a) Grundrechts-Ambivalenz und Verwaltungsakt mit Doppel- wirkung 34 b) Grundrechts-Ambivalenz und Drittwirkung der Grundrechte 35 c) Gerichtlicher Rechtsschutz und grundrechtliche Schutzpflich- ten 36 2. Inhalt und Reichweite der grundrechtlichen Schutzpflichten 37 a) Die Gefahrenschwelle 37 b) Mittel des Schutzes 38 c) Das Auswahlermessen des Gesetzgebers und die Direktiven der Verfassung 39 d) Das unvermeidliche Restrisiko 41 3. Verweisung auf das Gesetz 42 a) Vorbehalt des Gesetzes 42 b) Das gesetzesmediatisierte Grundrecht auf Sicherheit 44 4. Der Grundrechtsstatus des Eingriffsbelasteten 44 a) Die Rechte anderer als allgemeine Grenzen der Grundrechte 44 b) Status-negativus-Grundrechte des Störers und des Nichtstö- rers 45 c) Grundrechtskoordination als Aufgabe des Rechtsstaates 46 d) Die Wertlosigkeit der Formel „in dubio pro libertate" 47 5. Der Grundrechtsstatus des Schutzbedürftigen 48 a) Grundrechtliche Abwehr eines oktroyierten Schutzes 48 b) Der Vorteil des Schutzbegünstigten: Grundrechtsreflex oder subjektives Recht? 49 c) Der gesetzlich vermittelte Schutzanspruch 50 d) Der Anspruch auf gesetzgeberisches Handeln 51 e) Das (formelle) subjektive Recht auf ermessensfehlerfreie Ein- zelfallregelung 51 f) Die grundrechtliche Legitimation des Anspruchs auf polizeili- chen Schutz 52 6. Schutzpflicht und Ermessen - das Opportunitätsprinzip des Poli- zei- und Ordnungsrechts 53 a) Das legitime Entschließungsermessen der Verwaltung 53 b) Grundrechtliche Ermessensrichtlinien 54 Sechster Abschnitt: Die gefährliche Alternative: Selbsthilfe 56 1. Der Schutzverweigerungs-Notstand 56 2. Die grundrechtliche Legitimation von Notwehr und Nothilfe 57 3. Die Keule des Kohlhaas 59 Einleitung Klischees im Vorfeld: Freiheit und Sicherheit als Antinomie - Rechtsstaat als Staatsabwehr - in dubio pro übertäte Der Bürger hoffe auf Unmögliches - so eine gängige Meinung - , wenn er vom Staat Freiheit und zugleich Sicherheit erwarte. Denn die eine lasse sich nur auf Kosten der anderen verwirklichen. Der unvermeidliche Preis der freiheitlichen Verfassung, so heißt es, sei die Einbuße an Sicherheit. Bei Annahme eines solchen Widerspruchs der Werte stellt sich die Parteinahme für die Freiheit als „liberal" dar, während die für die Sicherheit den Stempel „konservativ" erhält. Das Motto einer „liberal" firmierenden Rechtspolitik lautet demgemäß „in dubio pro liberiate". Es markiert den Vorrang der Selbstbestimmung des Bürgers vor der Fremd- bestimmung des Staates. Doch es wird auch dort bemüht, wo der Private die rechtlichen Schranken seiner Selbstbestimmung durchbricht, die Rechte anderer gefährdet oder verletzt und seine Konflikte gewalttätig austrägt. In der Rechtspolitik gilt als „liberal", der Gefährung der Sicher- heit Optimismus entgegenzubringen und der Störung Toleranz; konkret heißt das : auf die Ankündigung einer bürgerbedrohlichen, gewaltgeneig- ten Demonstration mit gesteigertem Glauben an das Gute im vermumm- ten Menschen zu antworten, dem Straßenkrawall und der Hausbesetzung mit Verständnis und Nachsicht zu begegnen, aber empfindlich auf staatli- che Eingriffe zum Schutze der Rechtsgüter zu reagieren und darauf zu drängen, die polizeiliche Gefahrenabwehr abzulösen durch die Erfor- schung der sozialen Ursachen, denen die Gefahren entspringen. Die Obrigkeitsallergie regt sich bei der Rasterfahndung nach Terroristen wie beim „polizeilichen Todesschuß" gegen Geiselnehmer zur Rettung der Geiseln. „In dubio pro libertate" tönt zum Rückzug des Staates vor der privaten Gewalt (soweit die Gewalt sich „progressiv" gewandet) - als Schamade des Rechtsstaates. Die Rechtspolitik des „laissez faire, laissez passer" sieht sich bestätigt im Verfassungsrecht, und zwar in einer Deutung, die ich der Kürze halber die Staatsabwehrdoktrin nennen möchte. Die Rechtsstaatlichkeit des Grundgesetzes erscheint einzig als ein System von Vorkehrungen zur Abwehr staatlichen Handelns. Sie begrenzt die möglichen Maßnahmen des Staates zur Wahrung der Sicherheit, aber sie begründet und gewährlei- stet sie nicht. Die Sicherheit als staatsforderndes Prinzip erscheint gerade- 2 zu als Gegensatz zu den staatsabweisenden Grundsätzen des Rechtsstaa- tes, insbesondere zu den Grundrechten. Die Grundrechte des klassisch-liberalen Typus, die das Grundgesetz enthält, schirmen den status negativus des Bürgers ab. Die Grundrechte bieten Schutz vor der Staatsgewalt. Doch die Sicherheit, um die es hier geht, bedarf des Schutzes vor dem Bürger. Die privaten Rechtsgüter, um deren Unversehrtheit es geht - Leben und Gesundheit, Freiheit und Eigentum - werden zwar auch von den Grundrechten erfaßt, doch unter anderem Aspekt. Denn die Grundrechte begrenzen die Macht des Staates, nicht aber die Freiheit des Bürgers. Im Gegenteil: sie konstituieren diese Freiheit. Die liberalen Grundrechte sind somit angelegt auf Abwehr des staatli- chen Eingriffs. Die Sicherheit aber, die der Staat gewährleistet, ruft im Konfliktfall nach diesem Eingriff. Die Sicherheit kollidiert also mit den grundrechtlichen Eingriffsverboten. Sie wirkt notwendig grundrechtsbe- schränkend und freiheitsmindernd. So jedenfalls die Staatsabwehrdoktrin. In dieser Sicht erschöpfen sich die liberalen Grundrechte im status negativus. Außerhalb ihrer Reichweite liegen die positiven Leistungen des Staates, damit auch seine Maßnahmen zum Schutz des Bürgers. Der status positivus gilt nicht als Thema der Verfassung, sondern als Sache des einfachen Gesetzes: des Polizei- und Ordnungsrechts, des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts und des jeweils korrespondierenden Verfah- rensrechts. Das Freiheit-Sicherheits-Syndrom, an dem die Rechtspolitik leidet, scheint sich also dahin aufzulösen, daß die bloß gesetzlich geregelte Staatsaufgabe Sicherheit im Konfliktfall den Freiheitsgarantien der Verfas- sung zu weichen habe. Also am Ende: „in dubio pro libertate" als Verfassungsgebot ? Doch in der Welt der „liberalen " Klischees waltet nicht Konsequenz. Der verdrängte Sicherheitszweck bricht mit gesteigerter Gewalt an die Oberfläche im Umweltschutz. Die rechtspolitische Stumpfheit schlägt um in hochgradige Sensibilität, vor allem wenn es sich um Gefahren der Kernenergie handelt. Hier herrscht die Angst. Es mag dahinstehen, ob und wie weit diese begründet oder unbegründet, echt oder künstlich ist; auf jeden Fall ist sie politisch mächtig und politisch ausbeutbar. Die furchtgeleitete Rechtspolitik läßt sich nicht auf Abwägungen der Sicher- heit mit der Freiheit ein. Sie findet sich nicht zum Kompromiß mit widerstreitenden Belangen, wie den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, der Energieversorgung oder des technischen Fortschritts. Die Atomangst duldet kein Restrisiko, mag es auch noch so entfernt und noch so gering sein. Der partielle Sicherheitszweck, den der ökologische Zeitgeist be- glaubigt hat, erhebt sich zum absoluten Wert, der keine konkurrierenden und relativierenden Werte neben sich leidet. 3 Es fragt sich, ob die rechtspolitischen und die verfassungsdogmatischen Klischees der genaueren verfassungsrechtlichen Analyse standhalten. Die verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe bedürfen ihrerseits der Vorprü- fung an ihren staatstheoretischen Voraussetzungen. Zuerst also der Gang zu den Müttern des freiheitlichen Verfassungsstaates: zu den präpositiven Fundamenten, auf denen das positivrechtliche Normengebäude der Ver- fassung ruht; zu den Legitimationsideen, von denen die Institutionen des geltenden Staatsrechts abhängen. Erster Abschnitt: Das staatstheoretische und das ideengeschichtliche Fundament 1. Thomas Hobbes: die Staatslegitimation durch Sicherheit Am Anfang aller Legitimationsgründe steht die Sicherheit. Sie rechtfer- tigt den modernen Staat gegenüber seiner Fundamentalalternative, der Anarchie, in dem ersten der zahllosen Rechtfertigungsprozesse, denen er sich seit Anbruch der Neuzeit vor dem Tribunal der politischen Vernunft unterziehen muß. Die philosophische Rechtfertigung gibt im 17. Jahrhundert Thomas Hobbes: Die natürliche Situation des Menschen ist die Furcht, von seinesgleichen getötet zu werden. Seinesgleichen: das sind seine gebore- nen Feinde, selbstsüchtig, wölfisch, gewalttätig - wie er selbst. Ein jeder beansprucht das Recht auf alles; deshalb ist jedermann rechtlos. Es herrscht der Krieg aller gegen alle. Die Vernunft aber entdeckt das Mittel, diesen Krieg aufzuheben und die Ursache der Todesfurcht zu beseitigen: die Erschaffung des künstlichen Menschen, des Leviathan Staat, dessen Macht jedweder anderen Macht überlegen ist, und der deshalb befähigt ist, die Gewalt, die Private gegeneinander anwenden, in Schach zu halten, die Schrecknisse, die sie sich zufügen, zu bändigen durch den Uber- Schrecken, der von ihm ausgeht. Die Feinde des status naturalis einigen sich, ihre Waffen dem Staat auszuhändigen, um die gegenseitige Bedro- hung aufzuheben, ihn als Garanten ihrer Sicherheit voreinander einzuset- zen und sich ihm zu unterwerfen. Der Staat, und allein er, hat von nun an noch das Recht, physische Gewalt auszuüben. Der status civilis, der den natürlichen Kriegszustand ablöst, besteht darin, daß die Menschen ihre Konflikte nicht mehr mit eigener Faust austragen können und wollen. Gewaltverzicht und Gehorsam machen den Bürger. Doch der Verzicht auf private Gewalt ist nicht bedingungslos. Die Unterwerfung steht unter Vorbehalt. Sie gilt nur, solange der Staat willens und mächtig ist, die Sicherheit des Bürgers, den Sinn seiner Existenz, zu gewährleisten. Der Staat, der nicht die Macht besitzt, zu schützen, besitzt auch nicht das Recht, Gehorsam zu verlangen. Hobbes ist Realist genug, 4 um dem Staat nicht die perfekte Sicherheit des Bürgers in jedwedem Einzelfall abzuverlangen. Aufgabe des Staates und Legitimation seiner Existenz ist die Herstellung einer Gesamtordnung der Sicherheit: der Zustand des effektiven Bürgerfriedens. Hobbes faßt seine Philosophie der Sicherheit in wenigen Sätzen seiner Schrift „De Cive" zusammen: „Zum Frieden ist vor allem notwendig, daß jeder gegen die Gewalttätigkeit der übrigen so weit geschützt werde, daß er sicher leben kann, d.h., daß keiner einen gerechten Grund habe, andere zu fürchten, solange er selbst ihnen kein Unrecht zufügt. Allerdings ist es unmöglich, die Menschen gänzlich vor gegenseitigen Schädigungen zu schützen, so daß sie weder durch Unrecht verletzt noch getötet werden können; darauf darf es hier also nicht ankommen. Dagegen kann man Vorsorge treffen, daß kein gerechter Grund zur Furcht bestehe. Denn Sicherheit ist der Zweck, weshalb die Menschen sich anderen unterwerfen; und wenn diese nicht erlangt werden kann, so gilt die Unterwerfung unter andere nicht als geschehen und das Recht der Selbstverteidigung kraft Urteils in eigener Sache nicht als verloren. Denn man kann nicht annehmen, daß jemand eher sich zu etwas verpflichtet oder sein Recht auf alles aufgegeben habe, als bis für seine Sicherheit gesorgt ist 1 ." Das philosophische Modell spiegelt geschichtliche Realität: die Geburt des modernen Staates aus den Leiden der Bürgerkriege des 16. und 17.Jahrhunderts. Der Staat in seiner modernen Form als souveräne Entscheidungs- und Handlungseinheit ist die institutionelle Überwin- dung des Bürgerkrieges. Er stellt den Bürgerfrieden her dadurch, daß er das Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit 2 aufrichtet und den Bürgern das Recht wie die Macht nimmt, Richter und Gerichtsvollzieher in eigener Sache zu sein. Die Sicherheit, die aus der staatlichen Friedensordnung hervorgeht, wird von Hobbes für das Leben des Individuums und seine körperliche Unversehrtheit gefordert. Eine Generation später wird Locke das Eigen- tum als das besonders schutzwürdige Gut hervorheben, eineinhalb Jahr- hunderte später Kant die Freiheit. Doch es ist kein Zufall, daß das physische Dasein an die Spitze der politischen Wertskala rückt. Der rein diesseitsbezogene Mensch, Maß der neuzeitlich-säkularen Staatsphiloso- phie, kennt kein ärgeres Übel als den Tod. Der Staat als Nützlichkeitsver- 1 Thomas Hobbes, Elementarum Philosophiae Sectio Tertia, De Cive (Endfas- sung), 1647, Caput VI, 3. Vergleichbare Formulierung in: Leviathan, 1651, II/21. 2 Kategorie des Gewaltmonopols: Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (1922), Studienausgabe, Tübingen 1964, 2.Halbbd., S. 1043. Dazu näher mit Nachweisen: Josef Isensee, Die Friedenspflicht der Bürger und das Gewaltmonopol des Staates, in: Festschrift für Eichenberger, 1982, S. 23-40. 5 anstaltung vernunftbegabter Egoisten bewährt sich zuvörderst darin, das Elementarbedürfnis nach Schutz des Lebens und der körperlichen Unver- sehrtheit zu befriedigen 3 . Er vermag nicht, persönliche Ehre und vaterlän- dischen R u h m als Ausgleich für die Hingabe des Lebens anzubieten. Er kann auch nicht auf den Himmel als Lohn des irdischen Leidens verwei- sen. Transzendente Heilswahrheiten und religiöse Heilsziele haben ihre Legitimationskraft eingebüßt, die ihnen in der politischen O r d n u n g des Mittelalters eigen war. Die religiöse Grundlage der politischen Einheit ist in der Reformation zerborsten. Das Staatliche, hineingezogen in die Glaubensspaltungen und Glaubenskämpfe, gewinnt erst wieder festen Boden dadurch, daß es seine religiösen Bande kappt. Religion ist nun- mehr Bürgerkriegspotential. Die Konsequenz für Hobbes besteht darin, daß sich auch die Religion dem staatlichen Friedensgaranten zu unterwer- fen hat, der über ihre irdische Gefährlichkeit oder Harmlosigkeit wie über die sonstigen Fragen der Sicherheit souverän entscheidet 4 . Frieden ist nur noch ein weltlich Ding. Die Staatskonstruktion, die H o b b e s mit der ihm eigenen moralischen Kaltblütigkeit und philosophischen Radikalität entwirft, wird dauerndes Ärgernis bleiben. U n d doch hat das politische Denken bis heute keinen Weg gefunden, der an H o b b e s vorbei leitet, ohne sich ins Utopische zu versteigen, und keinen Weg, der hinter ihn zurückführt, ohne ins Chaos abzugleiten. D o c h geschichtsmächtigen, schöpferischen Widerspruch löst die schroffe Alternative aus, vor die H o b b e s seine Leser f ü h r t : zu wählen zwischen dem absoluten Bürgerkrieg und dem absoluten Staat. H o b b e s begnügt sich nicht damit, dem Herrscher nur soviel Gewalt zu überlassen, wie z u m Schutz der Bürger vor wechselseitigen Ubergriffen erforderlich ist. Er grenzt die staatliche Herrschaft nicht ein. Doch er weiß, daß der, welcher Macht genug hat, alle zu beschützen, auch Macht hat, alle zu unterdrücken: „ N a m qui satis habet virium ad omnes protegendos, satis quoque habet ad omnes opprimendos 5 ." 2. John Locke: Sicherheit vor dem Hüter der Sicherheit In dem Maße, in dem die Friedensordnung des modernen Staates sich durchsetzt und der Staats-Leviathan die Furcht der Bürger voreinander aufhebt, wird er selbst zum Gegenstand ihrer Furcht. Der H ü t e r der 3 " . . . iuris naturalis fundamentum primum est, ut quisque vitam et membra sua quantum potest tueatur." (Hobbes, De Cive, I, 7). 4 Grundsätzlich zur säkularen Natur des modernen Staates: Emst-Wolfgang Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation (1967), in: Staat, Gesellschaft, Freiheit, 1976, S.42—64. 5 Zitat: De Cive, Caput VI, 13 (Annotatio). 6 Sicherheit erscheint nunmehr als ihre Bedrohung. Das neue, das liberale Bedürfnis richtet sich auf Sicherheit vor dem Staat. Sicherheit vor dem Staat bedeutet Freiheit. Ihr grundlegender Theoretiker ist John Locke. Locke spottet der Verabsolutierung des Bürgerfriedens: „Wem erschie- ne es nicht als ein bewundernswerter Friede zwischen dem Mächtigen und dem Ohnmächtigen, wenn das Lamm seine Kehle dem herrischen Wolf widerstandslos zum Zerreißen darböte! Die Höhle des Polyphem gibt uns ein vollkommenes Beispiel für einen solchen Frieden und eine solche Regierung. Odysseus und seine Gefährten brauchten nichts anderes zu tun, als sich stillschweigend verschlingen zu lassen'." Mit Locke setzen Differenzierungen und Abwägungen ein zwischen Sicherheit durch den Staat und Sicherheit vor dem Staat. Er entwirft Vorkehrungen zum Schutz der Rechte des Menschen gegenüber dem Staat: Repräsentation, Gewaltenteilung, Bindung der Staatsgewalt an das vorgegebene natürliche Recht und an das selbstgesetz- te positive Recht. Der Bürger erhält das Widerstandsrecht als das äußerste Mittel der Verteidigung seiner natürlichen Rechte gegen die Tyrannis. Das Menschenbild nimmt freundliche Züge an; das Wölfische ist nicht mehr zu erkennen. Im vorstaatlichen Zustand gilt bereits das Recht, und zwar das natürli- che Vernunftrecht. Es enthält das Gebot der Selbsterhaltung und das Verbot, andere zu schädigen: „Wie ein jeder verpflichtet ist, sich selbst zu erhalten . . . , so sollte er aus dem gleichen Grund, wenn es seine Selbster- haltung nicht gefährdet, nach Möglichkeit auch die übrige Menschheit erhalten. Er sollte niemanden seines Lebens oder dessen, was zur Erhal- tung des Lebens dient: seiner Freiheit, seiner Gesundheit, seiner Glieder oder seiner Habe berauben oder sie beeinträchtigen - es sei denn, um an einem Verbrecher Gerechtigkeit zu üben 7 ." Doch das naturrechtliche Gebot des „neminem laedere" schafft noch kein friedliches Nebeneinan- der der Menschen. Es grünt kein anarchisches Paradies. Furcht und Zwietracht herrschen, weil jedermann der parteiische Interpret seiner natürlichen Rechte ist. Das Naturrecht allein vermag den Frieden nicht zu ' John Locke, Two Treatises of Government, The Second Treatise, 1690, Chap. X I X , 228. 7 John Locke , ( N 6), II 6. - Aus der naturrechtlichen Maxime des „neminem laedere" wird von Christian Wolff das „Recht der Sicherheit" als ein angeborenes Recht des Menschen abgeleitet: „Da nun niemand beleidiget werden darf . . . , so hat ein jeder Mensch von Natur das Recht, nicht zu leiden, daß er von einem anderen beleidiget werde; und dieses Recht, das von Natur einem jeden, er sey wer er wolle, zukömmt, wird das Recht der Sicherheit (jus securitatis) genannt; welche Sicherheit in der Befreyung von der Furcht, beleidiget zu werden, bestehet." (Grundsätze des Natur- und Völkerrechts, 1754, §§89, 95). 7 gewährleisten. Es bedarf der Instanz, die es im Streitfall verbindlich interpretiert. Zunächst ist die Frage zu beantworten „quis iudicabit"? - die juristische Urfrage, die Hobbes gestellt hat und der Locke sich nicht entzieht; dann erst wird Rechtsordnung möglich. Am Anfang also herrscht auch für Locke Krieg, weil die Einzelnen in ihrer Bedrängnis keinen unparteiischen Richter anrufen können, der ihnen zu ihrem Recht verhelfe 8 . Der Mensch in der vorstaatlichen Welt absoluter Herr seiner selbst, dem Größten gleich und niemandem Untertan, verzichte auf seine anarchische Freiheit, schreibt Locke, weil ihm die Sicherheit fehle und er fortwährend den Ubergriffen anderer ausgesetzt sei. Die Unsicherheit lasse den Menschen bereitwillig den Zustand aufgeben, „der bei aller Freiheit voll ist von Furcht und beständiger Gefahr". Und nicht ohne Grund verlange er danach, sich zu einer Gesellschaft mit anderen zu verbinden - zur gegenseitigen Sicherung ihres Lebens, ihrer Freiheit und ihres Eigentums: "to unite for the mutual Preservation of their Lives, Liberties and Estates, which I call by the general Name, Property''". Die Freiheitsphilosophie Lockes ersetzt nicht die Sicherheitsphiloso- phie Hobbes. Sie baut vielmehr auf ihr auf und bildet sie weiter. Sie legt einen neuen Legitimationsgrund auf den vorgefundenen. Anders ausge- drückt: Locke sieht weiter als Hobbes, weil er auf seinen Schultern steht. Die neue Erkenntnis, die er erschließt, besteht darin, daß Sicherheit um einen niedrigeren Preis zu erhalten ist als das Opfer der Freiheit; daß nicht allein der absolute, sondern auch der rechtsgebundene und machtbe- grenzte Staat den Frieden zu gewährleisten vermag; daß bürgerliche Sicherheit und bürgerliche Freiheit zusammenfinden können. 3. Der aufgeklärte Staat Preußen: Sorge für die Sicherheit als Staatspflicht Die Sicherheit geht in jenen Kodex der Pflichten ein, der die Verfassung Preußens im 18. Jahrhundert bildet. Dem Untertanen obliegt die Pflicht des „neminem laedere". Das Korrelat ist die Pflicht des Herrschers, die Gesetze aufrechtzuerhalten. König Friedrich der Große formuliert in seinem politischen Testament von 1768 den Sicherheitsauftrag: „... die Gesetze sollen allein regieren, und die Pflicht des Souveräns beschränke sich darauf, sie zu schützen. Sicherheit für Vermögen und Besitzungen ist die Grundlage jeder Gesellschaft und einer guten Regierung. Dieses Gesetz gilt für den Souverän wie für den letzten Untertan; ersterer muß darüber wachen, daß es befolgt wird und mit der größten Strenge die 8 Locke, (N 6), IX 20, 21. 9 Locke, (N 6), IX 123 (Hervorhebungen im englischen Original). δ Beamten bestrafen, die dagegen verstoßen 10 ." Hier leuchtet ein Leitgedan- ke preußischer Aufklärung auf: die Verbindung des Sicherheitszwecks mit dem Gesetz. Sicherheit liegt im Gesetz, dem Regierende und Regierte unterworfen sind. Der Herrscher hat das Gesetz zu vollziehen, der Untertan hat dem Gesetz zu gehorchen. „Man präge es sich fest ein, daß die Aufrechterhaltung der Gesetze die einzige Ursache war, welche die Menschen bewegen konnte, sich einem Oberherrn zu unterwerfen. Denn das ist der wahre Ursprung aller Souveränitätsrechte. Ihr Inhaber war der erste Diener des Staates 11 ." Carl Gottlieb Svarez lehrt in den Vorträgen, die er dem preußischen Kronprinzen (dem späteren König Friedrich Wilhelm III.) in den Jahren 1791/92 hält, der erste Zweck des Staates sei, „jeden einzelnen in seiner natürlichen Freiheit zu schützen, soweit damit die Freiheit aller bestehen kann. Dieser Zweck begreift nicht nur den Schutz gegen die Beunruhi- gung von Mitgliedern der Gesellschaft, sondern auch von anderen außer ihr oder auch von auswärtigen Feinden unter sich 12 ". Daraus folgt für den Staat die Aufgabe, die Rechtssphären der Bürger abzugrenzen sowie feste und allgemein geltende Regeln für die Kollisionsfälle aufzustellen. Aus dem Sicherheitszweck ergeben sich wechselseitige Rechte und Pflichten des Untertanen und des Regenten. Dem Untertan obliegen die Pflichten zum Gesetzesgehorsam und die Friedenspflicht, die Pflicht nämlich, „das natürliche Recht der Selbstverteidigung nicht mit eigener Gewalt, sondern nur durch den Staat und die von diesem gesetzten Obrigkeiten auszuü- ben". Die Pflichten des Regenten aber bilden Einschränkungen seiner Gewalt: „Er muß die natürliche Freiheit seiner Untertanen nur so weit einschränken, als es notwendig ist, um die Sicherheit aller zu schützen und aufrechtzuerhalten 13 ." Die Staatsaufgabe Sicherheit geht hier ihre unauflösbare Verbindung mit dem freiheitsschonenden Ubermaßverbot ein. Daraus erfolgt für das Verwaltungsrecht („Polizeirecht"), daß der Gesetzgeber behutsam vorgeht, „damit er nicht verleitet werde, der Freiheit seiner Bürger unnütze Fesseln anzulegen und sie in dem ungehin- derten Gebrauch und Genuß des Ihrigen bloß zum einseitigen Vorteil 10 Zitiert nach: R. Dietrich (Hg.), Politische Testamente der Hohenzollern, 1981, S. 257. 11 Friedrich der Große, Essai sur les formes de gouvernement et sur les devoirs des souverains, 1777. 12 Carl Gottlieh Svarez, Kronprinzenvorträge (1791/92), in: Vorträge über Recht und Staat (hrg. von H. Conrad und G. Kleinheyer), 1960, S. 7-10. Vgl. auch den Vortrag „Über den Zweck des Staates" (1791), ebda., S. 640-642. 13 Kronprinzenvorträge ( N 1 2 ) , S. 10. Konsequenz des staatsrechtlichen Satzes für das Polizeirecht: ebda., S. 39. 9 einiger ihrer Mitbürger einzuschränken 14 ". Der Staat kann dem Bürger ein Opfer an persönlicher Freiheit nur abverlangen, wenn der Nachteil, der abzuwenden ist, überwiegt. Er darf nicht um der Sicherheit willen pauschale Verbote treffen, wo differenzierte Vorsichtsmaßregeln ausrei- chen, also nicht etwa alle Gewerbe, die mit Feuer arbeiten, aus der Stadt verbannen, um den größtmöglichen Schutz vor Feuerbrunst zu erreichen. Solange es daher „nur noch im geringsten zweifelhaft ist, ob der Vorteil des Ganzen, der durch die Einschränkung der Freiheit bewirkt werden soll, den Schaden, welchen das Ganze oder auch nur einzelne dadurch leiden, überwiege, solange darf sich der Staat zu solchen Einschränkungen nicht entschließen". Die aufklärerischen Prinzipien gehen ein in das von Svarez entworfene „Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten" von 1794. Sie bilden nicht nur den staatstheoretischen Hintergrund der Einzelregelungen über die Rechte und Pflichten des Staates zum Schutz seiner Untertanen. Sie werden auch ausdrücklich als Rechtsgrundsätze kodifiziert. 51 D e r Staat ist für die Sicherheit seiner Unterthanen, in Ansehung ihrer Person, ihrer Ehre, ihrer Rechte, und ihres Vermögens zu sorgen verpflichtet. Í 2 D e m Staate k o m m t es also zu, zur Handhabung der Gerechtigkeit, zur Vorsorge für diejenigen, welche sich selbst nicht vorstehen können, und zur Verhütung sowohl, als Bestrafung der Verbrechen, die nöthigen Anstalten zu treffen 15 Der Staat erfüllt seine Pflicht, für die Sicherheit zu sorgen über die Gerichtsbarkeit, aber auch über die Polizei. Die Aufgabe der letzteren wird in § 10 II 17 A L R klassisch definiert: „Die nötigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung und zur Abwendung der dem Publiko, oder einzelnen Mitgliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das A m t der Policey." Das Allgemeine Landrecht beschränkt den Staat nicht auf die Gefah- renabwehr. Doch diese gewinnt den Vorrang unter den konkurrierenden Zielen. Hier finden sich die ersten Ansätze (allerdings auch nur Ansätze) 14 „Grundsätze des Polizeirechts" im Rahmen der Kronprinzenvorträge ( N 1 2 ) , S. 485—489 (dieses Zitat und die nachstehenden S. 4 8 6 f.). 15 § § 1 , 2 II 17 A L R . 10 dazu, daß die Sicherheit sich zum Gegenprinzip der Wohlfahrtsvorsorge entwickelt und jene aus dem Kreis der legitimen Staatszwecke verdrängt 16 4. Das liberale Ideal: die Reduzierung der Wirksamkeit des Staates auf den Sicherheitszweck a) Der klassische Bildungs- und Wirtschaftsliberalismus Sicherheit im Rahmen der Erforderlichkeit ist auch das Konzept Wil- helm von Humboldts, der die Grenzen der Wirksamkeit des Staates abzustecken versucht. Doch er zieht die Grenzen um vieles enger. Er läßt überhaupt nur noch die Sicherheit als Staatszweck gelten, und zwar die polizeiliche Sicherheit im Innern, wie die militärische Sicherheit nach außen. Der Staat dürfte keinen Schritt weiter gehen, als zur Sicherstellung der Bürger „gegen sich selbst und gegen auswärtige Feinde notwendig ist 17 ". Ausgeschlossen wird damit die staatliche Sorge für die Wohlfahrt der Untertanen, nach heutigem Sprachgebrauch also: das soziale Staats- ziel. In dieser Absage an den Sozialstaat des aufgeklärten Absolutismus begegnen sich Humboldt und Kant. Kant weist dem Staat allein die Aufgabe zu, Koordinator gleicher Bürger nach einem allgemeinen Gesetz der Freiheit, Wächter über die Grenzen der Freiheit, kurz: Garant der Sicherheit zu sein 18 . Der deutsche Rechtsstaat, der bei Humboldt und Kant seine archetypische, reine Idealgestalt annimmt, ist der ausschließ- lich sicherheitsorientierte Staat. Die Reduzierung der Staatszwecke auf den Sicherheitszweck macht die Liberalität des Staates aus. Die (innere wie äußere) Sicherheit ist die einzige Kompetenz, die vor dem eifersüchti- gen, sensiblen Anspruch der Individualfreiheit bestehen kann. Humboldt und Kant, in denen die liberale Staatstheorie deutscher Prägung gipfelt, zielen darauf ab, den Bereich der Staatstätigkeit einzuen- 16 Der Vorrang des Sicherheitszweckes wird von Svare ζ in den Kronprinzenvor- trägen als Grundsatz formuliert: „Zu Einschränkungen, welche zur Abwendung gemeiner Störungen und Gefahren abzielen, hat der Staat ein stärkeres Recht als zu solchen, wodurch bloß der Wohlstand, die Schönheit oder andre dergleichen Nebenvorteile für das Ganze befördert werden sollen" (N12, S. 487). - Zur Abwendung des Staats vom Wohlfahrtszweck, die mit dem ALR, allerdings noch vorsichtig, einsetzt: Hans Maier, Die ältere deutsche Staats- und Verwaltungslehre (Polizeiwissenschaft), 4966, S. 244—248. Zum Polizeigedanken im Aufklärungs- zeitalter: Kurt Wolzendorff, Der Polizeigedanke des modernen Staates, 1918, S. 54-86. 17 Wilhelm von Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksam- keit des Staates zu bestimmen, 1792. 18 Vgl. Immanuel Kant, Uber den Gemeinspruch. Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. 1793, A 232-270; ders., Die Metaphy- sik der Sitten, Der Rechtslehre Zweiter Teil, 1797, §§44, 45.