Arbeiten und Texte zu Slawistik ∙ Band 23 (eBook - Digi20-Retro) Verlag Otto Sagner München ∙ Berlin ∙ Washington D .C. Digitalisiert im Rahmen der Kooperation mit dem DFG- Projekt „Digi20“ der Bayerischen Staatsbibliothek, München. OCR-Bearbeitung und Erstellung des eBooks durch den Verlag Otto Sagner: http://verlag.kubon-sagner.de © bei Verlag Otto Sagner. Eine Verwertung oder Weitergabe der Texte und Abbildungen, insbesondere durch Vervielfältigung, ist ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlages unzulässig. «Verlag Otto Sagner» ist ein Imprint der Kubon & Sagner GmbH. Wolfgang Kasack Die russische Literatur 1945-1976 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access A R B E I T E N U N D T E X T E ZUR SLAVISTIK • 23 H E R A U S G E G E B E N V O N W O L F G A N G KASACK 000 4 6 9 0 3 W o l f g a n g Kasack Die russische Literatur 1945 - 1976 mit einem Verzeichnis der Übersetzungen ins Deutsche 1945 1979 ־ l. v • • * 1 9 8 0 M ü n c h e n • V e r la g O t t o S a g n e r in K o m m i s s i o n Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access £ У 0 . / 1 4 г л ( <11 In dieser kurzgefaßten Geschichte der russischen Literatur von 1945-1976 wird diese als sprachlich konstituierte Kunst aufgefaßt, also weder auf russische **Sowjetliteratur“ (die zum jeweiligen Zeitpunkt in der UdSSR anerkannte Lite- ratur) beschränkt noch grundsätzlich in eine in der Sowjetunion und eine außer- halb dieser veröffentlichte Literatur gespalten• Der Textteil dieser Studienausgabe wurde dem "Neuen Handbuch der Literaturwis- senschaft״ * Gesamthrsg. Klaus von See, Bd. 21 "Literatur nach 1945 I" Hrsg. Jost Hermand, Wiesbaden: Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion 1979« in freund- lichem Einvernehmen mit dem Verlag entnonmen. Weitere slavistische Beiträge die ses Handbuches sind auf Seite 52 verzeichnet. Das Verzeichnis der Übersetzungen (Seite 53-68) erfaßt in größtmöglicher Voll־ stándigkeit die in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz verlegte ins Deutsche übersetzte russische Literatur der Jahre 1945-1979. ich danke Frau Marianne Wiebe, M.A. und weiteren Mitarbeitern und Studenten des Sia vischen Instituts der Universi tát zu Köln für die sorgfältige Unterstützung. Für Durchsicht des Textteiles, Lesen der Korrekturen und Betreuung der Publika- tion danke ich Frau Dr. Irmgard Lorenz. Ergänzende Informationen zu den Autoren, auch bibliographische Hinweise auf Se- kundärliteratur, enthält mein "Lexikon der russischen Literatur ab 1917", Stutt gart: Alfred Kröner 1976. Köln, April 1980 W.K. f Baytriadho ן StaBtfibfbttothek I M õ n rtie n 4 j Textteil und Abbildungen © by Akademische Verlag 3 gesellschaft Athenaion Wiesbaden Verzeichnis der Übersetzungen ( 5 ) by Wolfgang Kasack Alle Rechte Vorbehalten ISBN 3 87690 154 5 Gesamtherstellung Walter Kleikamp • Köln Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 IN H A L T VORBEMERKUNG 7 1945 - 1953 Reideologisierung, Antikosmopolitismus, Konfliktlosigkeit, Stalinkult 8 Nachkriegsaufbau lo Krieg, Revolution und Vergangenheit 13 Zwischenmenschliche Beziehungen 17 1964 ־ 1953 Freiheitlicher Aufbruch und konservative Repression 18 Wahrheit über die Vergangenheit 21 Die Gegenwart in der Literatur 26 % Allgemeinmenschliche Probleme 30 1976 ־ 1964 Zweiteilung der Literatur 32 Nähere und fernere Vergangenheit 37 Gegenwartsprobleme 4 2 Nichtrealistische und satirische Literatur 44 Allgemeinmenschliche Fragen 47 ANMERKUNGEN 50 LITERATURHINWEISE 51 VERZEICHNIS DER ÜBERSETZUNGEN Russische Literatur 1945-1979 in der Bundes- republik Deutschland, Österreich und der Schweiz 53 69 NAMENREGISTER Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access Il ■ I I I I * ין и т ו Ът Г43 с й й І ж 0 i5 í « נ י k i » * * 4 f t * * * * . נ-י־מi l l '/ Иг* I- i • ‘*«V? Ь # 1 * • f * 1 1 ►#יי! S ffc u ״ f * Л 1 * ז r < * у п п УЙМ No * i і Г е ! ל * * * ׳ * ! ; .* ím h J ы י*Uh J ״ ־ ״ • tte m ^ tv Ã ç • ( tø i £ * M 3 H H Í1 # W v jP N | » m ■!PAI - « r f Mm 1 * Л ь ^ н й г й ' ^ ״ L! 1 ' 3 ■ I ו ► ili ׳ * w l! 1 г в а Я ^ ו 4 ׳ І Ч ѵ ì * \ІЫѴ I t ЛЬ> n r t li 4 i ך 'lì * . 1г Л И " ו 1 Г г Г 1 1 - i L i ■ ' Wtfc ęĄM l » ! ! б м ѵ п ■ ! : к ш 1 ]M ttK H f ч « # w * a u í » > « * * » ! * л ! t * '6 m • 40 • т П ^ з д ф * * m m u w h ^ ״ ! ׳ i f cf c* 1 * ѵ і л и ^ й Р - г а д И и ׳ ч . ־Ш ^ іа А Н Ч Ѵ МЛ s iiä M W Ü v * 5 , '׳C å k v * t п и >1 {»■ n j M . • ? jji W M è ™ 1>м4 E / І И ° Г»Я!2Я>ЙИ«К• ■ д а , і ״ il j r t־ j ו־ו î - . t f י ־ - י י t ־ ג ! H l- ו ♦ [i :: r i I I I I ו ר ו 7п*. Il I I 1 , " 1 ו י ו I ih I ־ # ״ ■ Й * 1 1 5> • ï * V ,0 Г .׳u a i ^ t W **■» i t i j ^ ! ■ Л ! *־‘ л * r e j a s ״ I -, 2- ־ J \ l \ í Я f . No .V i יו^׳• 1 3 II л ь К- r T i Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 VORBEMERKUNG Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutet in der Entwicklung der russischen Literatur des 20. Jahrhunderts einen wesentlichen Einschnitt. Die Perioden dieser Literatur sind auch sonst durch politische Faktoren bedingt: 1917 durch die O ktoberrevolution, 1932 durch die von der Partei angeordnete Schaffung eines Einheits-Schriftstellerverbandes als eine der vielen Maßnahmen zur Zentralisierung der Macht, 1953/56 durch Stalins Tod oder den 20. Parteitag, der die Entstalinisicrung einleitete, 1964 durch ChruŠččvs1 Abset- zung. D ie Entw icklung der russischen Literatur von 1945-1976 soll im folgenden in drei Phasen - 1953 und 1964 als Einschnitte - betrachtet werden, wobei jeweils einem allgc־ meinen Überblick eine Darstellung nach Thcmenbereichen folgen wird. D ie Abhängigkeit der russischen Literatur ab !917 von der P olitik ist eine Folge des Anspruches der Kommunistischen Partei der UdSSR, die Literatur zu leiten. Die Auswir* kung dieses Anspruches war großen Schwankungen unterworfen. Sie reichte bis zur Her- abwürdigung der W o rtku n st zum reinen Propagandainstrument, doch wurde in anderen Phasen ein eigener künstlerischer Ausdruck bis hin zur Z e itk ritik geduldet. Der zen- trale B egriff fü r diese Literatur, die das eigene gesellschaftliche System bestätigen muß, ist der 1932 geprägte des »Sozialistischen Realismus«. Er verbindet m it dem Prinzip der »Parteilichkeit«, also Unterordnung unter die Weisungen der Kommunistischen Partei, die Forderungen nach einer idealistischen Zukunftsschilderung, einer leichten Verstand- lichkeit bei breiten Volksmassen und einer grundsätzlichen Einordnung in marxistisch- materialistisches Denken. Die U nm öglichkeit einer einheitlichen geistigen Ausrichtung aller Menschen einer Sprache oder eines Gesellschaftssystems findet einerseits Ausdruck in vielen W erken, die in der Sowjetunion veröffentlicht w u r d e n , ohne d e n Prinzipien des soziali* stischcn Realismus voll zu entsprechen, und andererseits in dem vor allem seit 1959 zu- nehmenden Phänomen einer Verbreitung literarischer W erke außerhalb des sowjetischen, von einer Zensur kontrollierten Verlagswesens, teils in Abschriften (Samisdat), teils in westlichen Verlagen. Die Spaltung der russischen Literatur hat m it der Revolution 1917 begonnen. Seitdem schwankt auch das Selbstverständnis, was zur »Sowjetliteratur« gehört, w eil je nach der politischen Generallinie einzelne Autoren oder W erke anerkannt, abge- lehnt, verurteilt oder rehabilitiert wurden. N u r das jeweils politisch Anerkannte gehört zur »Sowjetliteratur«, wobei der Begriff die Literatur vieler Sprachen, die auf dem Territo* riu m der UdSSR gesprochen werden, umfaßt. Der Begriff »russische Literatur« aber ist sprachlich bedingt, eindeutig und unveränderlich, er greift über politische Grenzen hin- weg und umfaßt die literarischen Werke der nichtrussischen Völker in der Sowjetunion n ur dann, wenn sie von zweisprachigen Autoren stammen. 7 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 00 0 4 6 9 0 3 1945 - 1953 Reideologisicrung, Antikosm opolitism us, K onfliktlosigkeit» S ta linku lt Um den K a m p f gegen das nationalsozialistische Deutschland erfolgreich zu bestehen, hat- te die sowjetische Führung zwei grundlegende taktische Zugeständnisse machen müssen: Außenpolitisch hatte sic eine Allianz m it den ideologischen Gegnern» den »Kapitalisten«, schließen müssen, innenpolitisch war sie genötigt, auch nichtkom m unistischen Kräften, z. B. der orthodoxen Kirche, einen Freiraum einzuräumen. So war im Kriege von man- chen lange Z e it unterdrückten Schriftstellern wie Anna Achmatova, Boris Pasternak oder Andrej Platonov etwas publiziert worden. D ie Nachkriegszeit ist von der Rückkehr zu den ideologischen Prinzipien der Vorkriegszeit bestimmt. Stalin verkündete die neue Par- teilinie der Rückkehr zur alten bolschewistischen K o n fro ntatio n zwischen Sozialismus und Kapitalismus in einer Rede vom 9. 2. 1946 2. D ie Rückwendung im Bereich der Ideologie wurde durch den Parteierlaß vom 14. 8. 1946 0 ium alach >Zvezda< / >Leningrad< (Uber die Zeitschriften »Zvezda« und »Leningrad«) eingelcitet. Der Erlaß und die begleitenden Reden des Leningrader Parteisekretärs und Politbürom itgliedes Andrej Ždanov machten deutlich, daß nicht nur diese beiden Leningrader Organe des Schriftstellerverbandes wegen Veröffentlichung »ideologisch schädlicher Werke« angegriffen wurden, sondern daß nun- mehr jede nichtpolitische Literatur verboten werden sollte. » (.. .) unsere Zeitschriften, ob sic wissenschaftlich oder literarisch sind, können nicht apoli* tisch sein. . . . Sic sind ein mächtiges M itte l des Sowjetstaates bei der Erziehung der So- wjctmcnschcn, insbesondere der Jugend. (. . . ) D ie K ra ft der S ow jctlitcratur, der fortschritt- liebsten Literatur der W e lt, besteht darin, daß sic eine Literatur ist, die keine anderen Interessen hat und keine anderen Interessen haben kann als die des Volkes, die des Staa- tes«3. Die beiden in dem Erlaß unflätig beschimpften Autoren, Anna Achmatova und M ichail ZoSčenko, waren sowohl als Personen als auch als Vertreter bestim m ter literarischer Hai- tungen gemeint: Achmatova stand fü r die gesamte russische L yrik, die nach geistigen, auch metaphysischen Werten suchte, die Grundfragen menschlichen Seins wie Liebe, Leid und Tod darstclltc und sich nicht in der Propagierung von Pravda-Parolcn erschöpfte, Zošccnko stand für jegliche satirische Darstellung und Ironie, ja fü r jede realistische Dar- Stellung der sowjetischen W irk lic h k e it überhaupt. Ein weiterer Erlaß 0 repertuare dram ati - foskich teatrov i merach po ego uluïlentju (Über das Repertoire der Schauspielhäuser und Maßnahmen zu seiner Verbesserung) vom 26. 8. 1948 betonte die antiwcstliche K om - ponente der revidierten Literaturpolitik, indem er die Schädlichkeit ausländischer bourgeoi- ser Theaterstücke anprangerte. Die p rim itive Vorstellung der Funktionäre von Literatur w ird in dem Befehl deutlich, »in jedem Jahr mindestens zwei bis drei neue, ideologisch und künstlerisch hochqualifizierte Stücke aufführen zu lassen«, als ob wahre K unst durch Anordnung entstünde. Analog erfolgte am 10. 2. 1948 eine V erurteilung der bedeutend- sten russischen Kom ponisten Sergej ProkoPev, D m itri] Šostakovič und Aram ChaČaturjan wegen angeblicher Kakophonie, Dekadenz, Lösung vom Volkslied und volksfeindlichem Formalismus. Neben dem B egriff des *Formalismus«, der auf die literaturwissenschaftlich sehr fruchtbare, nichtmarxistische »Formale Schule« der zwanziger Jahre m it Boris 8 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 Èjchenbaum, V ik to r Šklovskij, Ju rij Tynjanov zurückgeht und in der negativen Abstempe- lung nun zur U nterdrückung jeglichen künstlerischen Experiments diente, wurde 1947 der B egriff des »Kosm opolitism us« als einer »reaktionären Ideologie« eingefuhrt, die cs wag* te, geistige Leistungen des nichtkomm unistischen Westens anzuerkennen. Unter dem Schlagwort des »Kampfes gegen die wurzellosen Kosmopoliten« wurden namhafte Litera- turwissenschaftler ebenso bekäm pft wie Schriftsteller, wobei sich die Aggression vor allem gegen Juden richtete. D ie Partei forderte die Darstellung des heldenhaften Kampfes und Sieges der Sowjetar- mee im Kriege und des erfolgreichen Wiederaufbaus. D ie Grundvorstellung des sozialisti- sehen Realismus, daß Literatur dem Menschen einen anzustrebenden Idealzustand als päd- agogisches V o rb ild zu bieten habe, führte dazu, daß alle wahren Probleme jener Jahre da- mals keinen literarischen Niederschlag fanden. Nachdem der H a u p tko n flikt der frühen Sowjetliteratur zwischen dem »Alten« (Vorrevolutionären) und dem »Neuen« (Nachre- volutionären) ebenso erschöpft war wie der K o n flik t der K riegsliteratur zwischen Roter Armee und Feind, fü hrte die ideologische K onstruktion in der Nachkriegszeit zu der An- sicht, daß es in der sowjetischen Gesellschaft nur noch den K o n flik t zwischen dem »Gu- ten und dem Besseren« und später dem »Besseren m it dem Ausgezeichneten« geben kön- nc. Erst als die U nhaltbarkeit dieser lebensfernen Forderungen bewußt wurde, erfand man Um die Person von Iosif Stalin entwickelte sich ab 1937 ein K ult, der zum 70. Geburtstag 1949 ei- nen H öhepunkt erreichte. W ie der D iktator in zahllosen Skulpturen und Gemälden dargestcllt wur- de, so suchten sich viele Schriftsteller in immer wieder neuen panegyrischen W erken zu übertreffen. D er 20. Parteitag 1956 leitete eine offene Kritik an seinem »Personenkult« ein, der aber ab 1965 eine Gegenbewegung folgte. Diese Fotom ontage von Stalin und seinem Sohn stam m t aus der Sowjet- union und wurde in Michail šem jakins »Apollon 77« (Paris) veröffentlicht. 9 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 1952 den B e g riff der »Theorie der K onfliktlo sigke it«, die nun als schädlich galt, ohne daß eine D arstellung der wahren Probleme gestattet worden wäre. D ie sowjetische Literatur erfuhr ab 1946 einen außerordentlichen Niedergang (vgl. »Pravda« 7. 4. 1952). Namhafte Schriftsteller waren zum Schweigen verurteilt, charakter- lose und unbegabte Autoren produzierten massenweise schematische Werke, die der Be- stätigung des politischen Weges und der Verherrlichung des »Führers« (vozd’ ), Io s if Sta- lin, dienen sollten. Der »positive Held«, die Idealgestalt, die alle Probleme löst, alle H in- demisse spielend nim m t, jede N orm übererfüllt, kein Privatleben, sondern nur Dienst an der kom m unistischen Gesellschaft kennt und selbstverständlich nicht zu den einfachen Arbeitern, sondern zu den Parteifunktionären gehört, bestimmte die Literatur. D er Führer- k u lt im Kleinen spiegelte den S talinkult im Großen. In vielen Stalingedichten wurde Stalin als der alles Sehende, alles Hörende, alles Lenken- de, um jeden Besorgte, allmächtige »Führer« und »Herr« (chozjain) vergöttert. So schrieb Aleksandr P ro k o f’cv von Stalin, dessen W o rt die ganze W e lt lauscht, der auf alle Fragen eine A n tw o rt weiß (S talin prosto govorit s narodom - Stalin spricht einfach m it dem V olk, 1949), so schrieb N iko ła j GribaČev im Gedicht V o id ju (D em Führer, 1945): » .. . Genosse Stalin, unser lieber Vater N im m hin die Lieb* vom großen V o lk! • • • W ie Brandung schlägt sic an des Krem ls W and, Verstum m et nie, ist im m er da. О großer Führer! H ö r dein Land, W ie es d ir Dank sagt, fern und nah.«4 So tat sich Vsevolod ViŠnevskij 1949 m it einer Geschichtsfälschung im Drama (und F ilm ) zu Stalins 70. Geburtstag hervor: Nezabyvaemyj /9 /9 ־ / (Das unvergeßliche Jahr 1919), so bemühten sich die Romanschriftsteller, ihren positiven Helden in einer Szene beim Gespräch m it dem genialen Führer zu zeigen. »Der Personenkult fesselte die Ent- w icklung des geistigen Lebens im Lande und die schöpferische A k tiv itä t der sowjetischen Menschen« s. Nachkriegsaufbau Zentrales, von der Partei verlangtes Thema der sowjetischen Literatur von 1945 bis 1953 war das Thema des Wiederaufbaus des Landes unter Führung der Kom m unistischen Par- tei. Als Handlungsschema ergab sich folgendes: Von der Front kehrt ein bewährter, orden- geschmückter O ffizie r in die Heim at zurück (nach dem K rieg oder verwundet im K rieg, ins eigene D o r f oder w ohin die Partei ihn befiehlt), sehnt sich nach wohlverdienter Erho- lung oder neuem Einsatz an der Front, erkennt aber bald - nach innerer Ü berwindung - die N o tw e n d ig ke it der M ith ilfe beim Wiederaufbau. N ic h t alle begreifen den W e itb lic k des Helden, eine rückständige Person in führender Stellung leistet W iderstand, sucht indi- viduelle Wege. D er Held aber strebt unter Führung der Partei auf die einzig m ögliche Lö- sung zu, die er gemeinsam m it dem K o lle k tiv , alle Zögerer und Zw eifler überzeugend, rasch erreicht. N u n w in kt ihm auch das G lück in der Liebe. In dieses Schema lassen sich sogar die bekanntesten Romane jener Jahre cinordnen, die, m it Stalinpreisen ausgezeichnet, teilweise auch in spi teren Jahren ihre Anerkennung nicht Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 verloren. Petr Pavlenko, der während der Revolution als Politkommissar tätig war, läßt in S fM 'e (d. Das G lück, 19476) eine solche Handlung 1944-1946 auf der K rim spielen und be- zieht etwas Kriegsleid m it ein, beschreibt die Umsiedlung der Kubankosaken (ver- schweigt aber den G rund: Stalins Liquidierung der K rim tataren), schmäht die Rolle der Engländer und Amerikaner im Kriege und läßt seinen ehemaligen Obersten Voropaev als Sekretär des Parteigebietskomitees unverm ittelt Stalin persönlich begegnen. Das G lü ck, das der optim istische T ite l verkündet, entsteht unter Stalins Führung im Dienst am K o l- lektiv durch die Parteiführer. Z u einem der meistgepriesenen Schriftsteller jener Peiiode wurde Semen Babaevskij m it seinem Roman KavaUr zohtoj zvtzdy (d. Der R itter des Goldenen Sterns, 1947-48) und sei* ner zweiteiligen Fortsetzung Svet nad zemtej (d. Licht auf Erden, 1949/1950). D ie Verfäl- schung der W irk lic h k e it hat hier das unvorstellbare Ausmaß des »geradezu blasphemi- sehen Kitsches«7 erreicht. Statt der großen N o t in der Landwirtschaft angesichts der »ver- brannten Erde«, der fehlenden Männer, des Mangels an Saatgetreide und Baumaterial, der törichten Einmischung von Nichtfachleuten der Partei bietet Babaevskij großes Pseudo- СОЮЗ СОВЕТСКИХ СОЦИАЛИСТИЧЕСКИХ РЕСПУБЛИК ЕСТЬ СОЦИАЛИСТИЧЕСКОЕ государство Р А Б О Ч И Х И К Р Е С Т Ь Я Н . Eine der Hauptforderungen des Sozialistischen Realismus ist die Darstellung des »positiven Helden«. Idcalgestalten ohne Zweifel, ohne Makel, die alle persönlichen W ünsche und see־ lischcn Regungen in den Dienst des Staates stellen, wurden der K un st oktroyiert. 1946-1952 beherrschten sic Literatur und K un st und bedingten mit der LJnglaubwürdigkcit ihres Han- delns und ihrer Charaktere ei- nen 1954/56 auch sowjetischer* scits bedauerten Tiefpunkt der Sowjetliteratur. A uf dem Plakat V iktor S. Ivanovs von 1945 sind Arbeiter und Bauer hcroenhaft idealisiert; in der Literatur bi!• deten nicht Menschen aus dem Volke die Idealgcstaltcn, son- d em deren Parteiführer in Indu- strie und Landwirtschaft. 11 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access Wohlergehen und kleinere Pseudokonflikte. Als »Lackierung der W irk lic h k e it« wurden solche Machwerke des sozialistischen Realismus nach 1954 eine Zeitlang angeprangert. Ä hnliche Verurteilung erfuhren in der Nachstalinperiode die ebenfalls stalinpreisgekrön- ten Verserzählungen N iko ła j Gribaččvs Kokhoz B otievik (K olchos Bolschewik, 1947) und Vesna v >Pobede< (F rühling im Kolchos »Sieg«, 1948)*. O ft dienten solche W erke zur Illustrierung aktueller Parteibeschlüsse. So beschrieb Aleksej K o ie vn iko v nach dem obigen Schema in dem Roman Ž ivaja vada (d. Belebendes Wasser, 19M)), wie ein makelloser positiver Held durch Befolgung eines ZK-Beschlusses des Februar-Plenums 1947 »Uber Maßnahmen zur Hebung der Landwirtschaft in der Nachkriegspcriode« ein neues Bewässerungssystem in der Steppe durchsetzt und blühende Obstgärten schafft. Neben den illusionistischen W erken zum Landwirtschaftsaufbau standen die ähnlich schematischen W erke im Bereich der Industrie, die sogenannten »Produktionsromane«. Aleksandr Vološin versuchte in Zemlja Kuzneckaja (Land um Kusnezk, 1949) darzustel- len, wie der erste Nachkriegsfunfjahresplan im Bergbau durch neue technische Methoden unter Führung der Partei e rfü llt wird. D ie billige Idealisierung und konstruierte H andlung, die lebensfernen Dialoge und die gekünstelte Sprache blieben angesichts der parteigemäßen Aussage seinerzeit unkritisiert (Stalinpreis Zw eiter Klasse fa r 1949). OPga Berggol’c, die während des Krieges durch ihre Gedichte vom Leid und W ille n zum Durchhalten der be- Г А £ Л Щ r 4 ГЩ ז ! 1 Viktor S. Ivanov, cin wegen seiner Kriegsplakate m it dem Stalinpreis ausgezeichneter K ünstler der UdSSR, der bis in die Gegenwart offizielle Anerkennung genießt, propagierte 1948 die Parteilo- sung: »Den Fünfjahrplan erfüllen wir in vier Jahren«. In gleicher W eise wurden die Schriftsteller als »Ingenieure der menschlichen Seelen• (Stalin) für die Parteipropaganda eingesetzt. Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 lagerten Leningrader Bevölkerung bekannt geworden war, wählte wie viele andere das W olga-Don*Bauprojekt als Thema fü r lyrische Gestaltung (N a stalingradskoj zemle - A u f Stalingrader Boden, 1952), M arietta Šaginjan setzte ihre publizistische Industrieprosa fo rt, die m it einem Fünfjahresplanroman 1930 angefangen hatte, und behandelte den Bau neuer Eisenbahnstrecken (Po dorogam p ja tile tk t - A u f den Strecken des Fünfjahrplans, 1947). Besonders nachhaltig wurde V asilij Azaevs Roman Daleko ot M oskty (d. Fern von Mos- kau, 1948) propagiert, der vom Bau einer Erdölleitung im Femen Osten zu Kriegsbeginn handelt, aber den zeitgemäßen Erziehungsauftrag der Partei e rfü llt: D ie berechnete Bau- zeit von drei Jahren w ird unter Leitung der Partei von den im K o lle k tiv vereinten fort- schrittlichcn K räften in einem Jahr gegen die an ausländische A utoritäten glaubenden Geg- ner bewältigt. Erst in der Nachkriegszeit wurde das W e rk wegen seiner künstlichen zwi- schenmenschlichen Beziehungen, dem Verkündigen von Parteilosungen statt Dialogen, • • dem Übermaß an Industrieterm inologie und dem unkünstlcrischen Behelf, die Darstcl- lung seelischer Vorgänge durch Berichte darüber zu ersetzen, scharf kritisiert. Zu den aktuellen ideologischen Fragen schrieb unter anderem Sergej M ichalkov b illig e Propagandastücke. In Ja cholu domoj (d. Ich w ill nach Hause, 1949) agitiert er gegen die Engländer für eine R ückführung der im Westen befindlichen Russen9, in lt ja G o livin 9 (d. 1 1ja G o lovin und seine W andlung, 1949) liefert er seinen antiamerikanischen Beitrag im Geiste des A ntikosm opolitism us. Der schematische G ru n d k o n flik t zwischen dem positiven Helden, der, an das V o lk ge- bunden, im Glauben an die Partei, von dieser gelenkt und im K o lle k tiv stehend, sich all- mählich durchsetzt, und dem negativen, der, ich-bezogen, dem Russischen entw urzelt, a u f verlorenem Posten käm pft, liegt Leonid Leonovs Russkij les (d. Der russische W ald, 1953) zugrunde. Leonov folgte m it diesem Roman Stalins A u fru f zum K a m p f gegen den Raub- bau am W ald, schrieb daran von 1948 bis 1953, verlegte die Handlung aber in die erste Kriegszeit und g r if f bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück. D er Streit zwischen zwei Forstwissenschaftlern um die richtige W aldnutzung (Raubbau oder vor- ausschauendc rücksichtsvolle N utzung) bildet nur eine einzige Schicht des verschlunge- nen Werkes. Seine Spezifik erhält es durch das Bestreben, den W ald zum Symbol fü r Ruß- land und sein V o lk , ja fü r den ewigen Kreislauf des Lebens überhaupt zu erheben. D ie seltsame Verflechtung von M ythos und Naturalismus, von psychologisch unglaubhaften Szenen, p rim itive r Schwarz-W eiß-Zcichnung und Ansätzen zur Forderung ethisch lauterer M itte l hat kein gültiges K unstw erk entstehen lassen. K rieg, Revolution und Vergangenheit Der Zweite W eltkrieg blieb in der ersten Nachkricgsphasc eines der zentralen Themen der russischen Literatur. In viele der W erke zum Thema des Wiederaufbaus war es einbezo- gen, auch in Leonid Leonovs Russkij les. Als eines der w ichtigsten Kriegsbücher dieser Z e it g ilt Aleksandi Fadeevs M olodaja gvardija (d. D ie junge Garde, 1945). In diesem seit 1943 entstandenen Roman schildert er den spontanen W iderstand einer Komsomolzengruppe in dem von deutschen Truppen be- setzten Krasnodon, veranschaulicht lebendig Erfolge und Mißerfolge der jungen Men- sehen. Fadeev war zu jener Z e it M itg lied des Z K und wurde nach dem Parteierlaß von 1946 Generalsekretär des Schriftstellerverbandes. Dennoch traf auch ihn 1947 die scharfe K r itik der neuen Parteilinic, sein Roman unterstreiche nicht die führende Rolle der K om - 13 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access munistischen Partei. 1951 kam das W e rk in angcpaßter Fassung heraus. In ähnlichem Sin* ne mußten auch Valentin Kataev Za vlast ' Sovetov (F ü r die M acht der Sowjets, 1951 - d. In den Katakomben von Odessa) und V asilij Grossman Za pravoe delo (Für die gerechte Sa- che, 1952 - d. W ende an der W o lg a ) umarbeiten. Sehr aufschlußreich fü r solche retrospektive Geschichtsschreibung in der Sowjetunion ist das Schicksal des ursprünglich dokumentarischen Berichts von Petr Veršigora, dem Kom m andeur der 1. Ukrainischen Partisanendivision, L ju d i $ h u o j sovcsfju (Menschen m it reinem Gewissen, 1 9 4 5 /4 6 - d. Im Gespensterwald) vom Entstehen der Partisanenver- bände im Sommer 1941 bis zur Vereinigung m it der regulären Armee 1944. In der Erstfas- sung veranschaulicht er das tatsächlich selbständige und nicht koordinierte, o ft w illk ü r- liehe Vorgehen von Partisanengruppen im von Deutschen besetzten Hinterland. Spätere, mehrfach veränderte Fassungen verfälschen dieses B ild zu einem von Anfang an von Stalin und der Partei planmäßig gelenkten m ilitärischen Vorgehen. W ährend der Entstalinisie- rung fielen fast alle Erwähnungen Stalins der Zensur zum Opfer. Der Roman wurde seiner zentralen Fragestellung, was der einzelne fü r den Sieg getan habe, beraubt l°. Aus eigener Beobachtung stam m t das ebenfalls noch vor dem Parteierlaß von 1946 er- schienenc sehr menschliche Kriegsbuch von Vera Panova S putniki (d. W eggefährten, 1946), in dem sic vom A llta g in einem Lazarettzug berichtet. In dem durch eine symme* trische S tru ktur geschlossenen Roman erfaßt sic das Kriegsgeschehen von Anfang bis Schluß, verbindet das Leid der Gegenwart m it Exkursen in die Fricdenszcit und versteht es, ihre H auptfiguren lebenswahr im beruflichen Einsatz und persönlichen G efühl zu zcichnen. Der A llta g an der Front war das Neue, was V ik to r Nekrasov in seinem Roman V oko- pach S talingrada (d. In den Schützengräben von Stalingrad, 1946) in die russische K riegsli- teratur brachte. Der üblichen abstrakten Heroisierung der sowjetischen Truppen und der parteigemäßen Einordnung in den »historischen Prozeß« stellte er eine D arstellungsform entgegen, die ab 1956 unter dem B eg riff der »Schützengrabenwahrhcit« zu einer neuen W elle der K rieg slitcra tur führen sollte. Nekrasov schildert den K rieg aus der konkreten, realistischen Perspektive eines Pionieroffiziers, läßt Flucht und A n g riff, E rfolg und N ie- derlage, Einsatz und Langeweile einander ablösen, meidet weder Schmerz noch Grauen des Krieges, ja schildert auch offen einen rücksichtslos gegen die eigenen Leute falsch ־han delnden sowjetischen O ffizier. So tra f das Buch bald auf scharfe K r itik , und die nächste Buchausgabe nach 1947 durfte erst 1958 erscheinen. Dann aber blieb cs eines der beriihm - testen sowjetischen Kricgsbücher (120 Ausgaben in 30 Sprachen), bis Nekrasov Partcikri- tik auf sich zog und 1974 nach Paris ausrcistc. Typisch fü r die K ricg slite ra tu r nach 1946 sind die W erke von Boris Polevoj und M i• chail Bubcnnov. Polevoj, Abgeordneter des Obersten Sowjets, versuchte in seiner Erzählung Povtst 0 ״ nastojaftem leloveke (d. D er wahre Mensch, 1946) ein B ild vom besonderen und überlegenen Sowjetmcnschen zu entwerfen. Angelchnt an N ik o ła j O stro vskij, stellt er ei• nen Piloten dar, der nach Verw undung und Beinam putation m it H ilfe von Parteifunktio- nären neuen Lebenswillen gew innt und schließlich wieder als P ilo t eingesetzt w ird. V o r keiner Schwierigkeit schreckt er zurück, jedem Z w eifel begegnet er m it dem H inw eis »Aber ich bin ein Sowjctmensch«. Das b illig didaktische W e rk lag schon 1954 in 2,34 M illion en Exemplaren vor und w ird ständig neu aufgelegt. Bubennov gestaltet in seinem Roman Belaja benza (d. D ie weiße Birke, 1947) den Rückzug 1941 bis zur W ende vor Moskau. Den Helden läßt er von einem Soldaten, der Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 (verwerfliches) M itle id m it Gefangenen hat, unter E influß der Partei zu einem Käm pfer der Armee des Sozialismus reifen. Erstmals t r it t bei ih m auch ein Verräter aus den eigenen Reihen in einem Kriegsbuch auf. H öhepunkt bildet eine Begegnung des positiven Helden m it Stalin, die den Beginn des Gegenangriffs der Roten Armee un m ittelb ar anzeigt. D ie T riv ia litä t kom m t auch im Lächerlichmachen des Gegners zum Ausdruck, das die Lei- stung der eigenen Truppen im G runde schmälert. Der zweite T e il des Romans wurde nach 1953 wegen K o n flik tlo s ig k e it und Personenkult kritisie rt. Eines der zentralen Themen der sowjetischen V orkriegsliteratur, R evolution und Bür* gerkrieg, fand auch ab 1946 weitere Darstellungen. K onstantin Fedin, 1921 M itg lie d der Serapionsbrüder und ab 1959 Leiter des Schriftstellerverbandes, schrieb in dieser Z e it den zweiten T e il seiner T rilo g ie zu diesem Thema, Neobyknovennoe leto (d. Ein ungewöhnlicher Sommer, 1948). Das in Saratov spielende Geschehen des Jahres 1919 kreist um die Proble- me des Verhältnisses der Intelligenz zur R evolution und der Rolle der K unst. Es ist, in A nlehnung an T o ls to j, m it vielen Handlungssträngen und historischen Kom m entaren breit entw ickelt und in Abweichung von der historischen W ahrheir parteigemäß a u f eine ф * Überbetonung der Rolle Stalins und eine Leugnung der Existenz T ro c k ijs abgestellt. W ährend Fedin einen Stalinpreis Erster Klasse fü r 1948 erhielt, fand G eorgij Markovs Re* volutionsdarstellung von Sibirien Strogovy (d. D ie Strogows, 1946), ein typischer Familien- roman der Stalinzeit, m it einem Stalinpreis D ritte r Klasse fü r 1951 weniger Anklang. Zahlreiche Autoren wandten sich angesichts der Themcnbeschränkung durch die Zen- sur historischen Romanen zu. A ls Stepan Z lo b in seine Ehrenrettung der ehemaligen russi- sehen Kriegsgefangenen 1946 nicht veröffentlichen konnte ( Propavlie bez vesti - D ie Ver- m ißten, 1962), kehrte er zu seinen historischen Studien über die Bauernaufstände des 17. Jahrhunderts zurück und legte m it Stepan Razm (d. Der Adler vom D on, 1951) einen der besten russischen historischen Romane vor. E rg ib t ein B ild der Epoche, keine zeitgemäße Überzeichnung einer Führerpersönlichkeit. In jenen Jahren veröffentlichte O l’ga Fors ei- nen Dekabristenroman Pervency svobody (D ie ersten der Freiheit, 1950; d. »1825«), faßte Ivan N o v ik o v ältere Studien in P u lkin v izg n a n ii (d. Puschkin in der Verbannung, 1947) zusammen. Unter den Emigranten setzte Aldanov die Reihe seiner historisch-psychologi- sehen Romane unter anderem m it einer Balzac-Darstellung Povest9 0 smerti (Erzählung vom Tode, 1953) fort. A uch im Bereich des Dramas kam cs zu einer Belebung der historischen Themen (Aleksandr Štejn, Boris Lavrenev, Vsevolod Ivanov, K onstantin Paustovskij und andere). Aus dem betrachteten Zeitraum liegen auch einige w ichtige Lebenserinnerungen älterer Schriftsteller vor, aber sie sind nicht zwischen 1946 und 1953 in der Sowjetunion erschie- nen. Konstantin Paustovskij, der ab 1955 zu einem der bedeutendsten Schriftsteller in der Sowjetunion wurde, veröffentlichte 1945 den ersten Band seiner später sechsteiligen Povest* о žizn i (d. Erzählung vom Leben) Datekie gody (d. Ferne Jahre). Er ist von der fü r diesen A u to r typischen epischen Selbständigkeit der K apitel, der einfachen, abgewogenen und klaren russischen Sprache bestim m t. Schwerpunkte bilden menschliche Begegnungen, Li- teratur und N atur. Paustovskij gestaltet eigenes Erleben und Denken, versucht keine Interpretation einer Epoche. Das Dichterische überwiegt das Historische. Ganz anderen Charakter hat der eine Band Vospommanija (Erinnerungen, 1950) von Ivan B unin, der in Paris erschien. H ier geht es fast nur um U rteile über andere Schriftstel- 1er, kaum um persönliches Erleben, die m it einer ungewöhnlichen Schärfe gefällt werden. Bunin, der sich zu Lev T olstoj und A n ton Cechov bekannte, wiederholte im A lte r seine 15 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 000 4 6 9 0 3 kompromißlose A blehnung aller experimentierenden und revolutionierenden D ic h te r sei- ner Jugend (von Aleksandr B lok bis V la d im ir M ajakovskij, K onstantin Bal’m ont bis Ser- gej Esenin) und seine V erurteilung des sowjetischen Systems und aller Anhänger wie Maksim G o r’k ij. Bei B unin stehen die Erinnerungen neben seinem dichterischen W erk, bei Paustovskij verkörpern sie das Eigentliche seines dichterischen und menschlichen Ta- lents. Zwischenmenschliche Beziehungen Es gehörte zum Erziehungsauftrag der Partei an die Literatur, daß bis 1953 der einzelne Mensch m it seinen individuellen Sorgen und Freuden aus der D ich tu n g verbannt werden mußte. N u r als Schräubchen im parteigelenkten Getriebe hatte der Mensch Platz im lite- rarischcn W erk. Einige wenige Ausnahmen verdienen um so mehr Beachtung. Paustovskij hat in jenen Jahren einige seiner schönsten Erzählungen veröffentlicht, wie N 0 F v Oktjabre (d. Eine N acht im O ktober, 1946), Telegramma (d. Das Telegramm, 1946) und Kordon »273 * (d. Forsthaus »273«, 1948), die frei von jeglicher P o litik m it zartem Gespür zwischen- menschliche Beziehungen und N aturverbundenheit andeuten. Sie bilden einsame Licht- blicke in dem eintönigen Grau der gleichgeschalteten Literatur. Die Lyrik insgesamt war zwar beherrscht von Einheitsverscn zum Lobe Stalins und zur Illustrierung der P arte ip olitik, wie sic von den am meisten anerkannten Lyrikern M ichail Isakovskij, K onstantin Sim onov und Aleksandr Tvardovskij sowie minderbegabten wie Evgenij D olm atovskij, N ik o ła j G ribačēv-oder V asilij Lcbcdcv-Kumač verfaßt wurden. Es gab jedoch auch wenige Ausnahmen. Jaroslav Smeljakovs Kremlëvskie e li (D ie K rcm lfich - ten, 1948) hoben sich »von dem H intergrund einer oberflächlichen und im G runde ge* fühlsloscn Em otionalität« 1 1 ab, brachten ihm schärfste V erurteilung wegen »Blok-Stim* mung«, Pessimismus und Todesthem atik. N ik o ła j Zabolockij konnte, 1946 aus Lagerhaft und Verbannung zurückgekchrt, einen Band Stichotvorenija (Gedichte, 1948) veröffent- liehen, in dem er Fragen nach der Stellung der D ich tu n g in einer von der Ratio gestalteten N a tu r, nach A u fric h tig k e it, nach dem Sinn des Todes aufw irft. Das unter anderem von M ichail Lukonin vernichtend angegriffene W e rk war »vielleicht das bedeutendste dichteri* sehe Ereignis der Jahre 1945-1948« 12, ein Beweis, daß auch die scharf kunstfeindliche Po- litik wahre D ich tu n g n ich t ganz unterdrücken konnte, ja, daß sie in Ausnahmefällen sogar publiziert wurde. Links: Hier hat der emigrierte Dichter Aleksej Remizov den Gor’kij-K u lt angeprangert, der seit dessen Rückkehr aus der Emigration unverändert anhält (wobei Gor'kijs kritische Haltung zur gewalt- samen Machtergreifung verschwiegen wird). Die Schriftanordnung, die senkrecht gelesen an die nach Gor’kij benannte Stadt und an die seinen Namen tragenden Plätze und Straßen erinnert, mahnt (oben quer) mit »GPU« an die geheime Staatspolizei, die Beherrscherin aller Bereiche des geistigen Lebens. 17 Wolfgang Kasack - 9783954794270 Downloaded from PubFactory at 01/10/2019 05:47:40AM via free access 00 0 4 6 9 0 3 1953 - 1964 Freiheitlicher Aufbruch und konservative Repression Stalins Tod am 5. 3. 1953 gab durch die zeitweilige Verunsicherung der Partei- und Regie* rungsspitze den liberalen Kräften H offnung und gewisse M öglichkeiten zur Entfaltung. Nach dem T ite l eines kurzen Romans von I l’ ja Erenburg Ottepel' (d. Tauwetter, 1954) spricht man von der »Tauwctterperiode«, deren einzelne Phasen und jeweiligen frostigen Reaktionen die kulturelle Entwicklung bis 1964, also bis zu Chruščēvs Sturz, bestimmten. Das Bestreben, sich von der stalinschen G e w a ltp o litik zu lösen, verband verschiedenartige Kräfte des Landes, letztlich blieb aber die Angst der Staatsvertreter entscheidend, eine Zu- lassung kritischer und freier Meinungsäußerung in Literatur und K u n st würde zur K r itik an der Partei und dem politischen System selbst werden. Drei Abschnitte kann man in diesem Jahrzehnt unterscheiden. Sic werden jeweils durch politische Ereignisse cingcleitet: Stalins T od 1953, 20. Parteikongreß im Februar 1956 und 22. Parteikongreß im O ktober 1961. »A ufrichtigkeit, das ist cs, was (. . .) fehlt«. M it dieser Feststellung leitete ein bis dahin wenig bekannter Schriftsteller und Jurist, V la d im ir Pomcranccv, einen theoretischen Bei- trag über die Lage in der Literatur ein, den die Z e itsch rift »N ovyj mir« 1953 (H e ft 12) ab- druckte. Er hatte die Meinung aller einer wahren Literatur verpflichteten K räfte ausge- sprachen, die von nun an Beiträge zur »A ufrichtigkeitsliteratur« leisteten. Zunächst riefen ältere Schriftsteller wie Paustovskij und Erenburg in Essays über Literatur die eigent* liehen, künstlerischen Prinzipien der W o rtk u n s t in Erinnerung und erteilten dam it den an- tiliterarischen, nur politischen Forderungen des sozialistischen Realismus eine A b fu h r13. Einzelne pseudoliterarischc W erke der Stalinperiode, z. B. die stalinpreisgckröntcn, verlo- genen W erke von Babaevskij, wurden von ihrem Ehrenpodest gerissen. Eine D arstellung der tatsächlichen gesellschaftlichen und persönlichen Probleme wurde ebenso verlangt wie eine Besinnung auf die nichtpolitischen, rein menschlichcn Themen der D ichtung. D ie Forderung nach A u frich tig ke it lie f parallel zu dem Anspruch auf individuelle Äußerung des Dichters. A lle solche im Wesen der K u n st begründeten Forderungen wurden von konservativen Kräften m it großer Schärfe angegriffen. Die verwaltungsmäßigen Maßnahmen waren ebenfalls widersprüchlich. Fadeev wurde als stalinistischer Generalsekretär des Schriftstellerverbandes abgelöst (er nahm sich 1956 das Leben), die Redaktion von »Novyj m ir« aber wegen liberaler A rtik e l zerschlagen. Nach zwanzig Jahren berief man 1954 wieder einen Schriftstellerkongreß ein, doch konn־ ten nur wenige liberal eingestellte Schriftsteller d o rt sprechen. A m deutlichsten form ulier* te Veniamin Kaverin, was man sich unter den gegebenen Verhältnissen als Mindestfrei* heiten der Literatur vorstellte: » . . . m it einer selbständigen K r itik , die n ich t alle W erke nach einheitlichem Schema be- handelt, m it mutigen Redaktionen, die sich schützend vor ihre Autoren stellen, m it Schriftstellern, die in er