Umzug nach Deutschland nach § 22.2: Integration und gesellschafts-politische Aktivität (Bericht) Das Forschungsteam: Tatiana Kasimova – M.A., Soziologin, Mitarbeiterin der NGO „Horizonte“ Vladimir Kozlov – kand. oec nauk/Dr.oec, Spezialist für statistische Analysen Alexander Kukalev – kand. biol nauk/Dr. biol. sc., systems biology und data science Ekaterina Goriachenko – kand. phil nauk/Dr.phil, Spezialistin für humanwissenschaftliche Forschung September 2024 - März 2025 In Kooperation mit Inhalt Einleitung 3 Auswahl und Strategie der Datenerfassung 3 Literaturverzeichnis 4 Deskriptive Statistik 5 Hauptmerkmale von Inhaber:innen eines humanitären Visums 5 Gründe für die Beantragung, Voraussetzungen und Prozess der Erteilung eines humanitären Visums 7 Wohnortwechsel der Inhaber:innen humanitärer Visa innerhalb Deutschlands 9 Lebensbedingungen 10 Beherrschung der deutschen Sprache, angestrebte/s Studium/Weiterbildung in Deutschland 12 Berufstätigkeit, soziale Unterstützung und materielle Versorgung der Inhaber:innen humanitärer Visa 14 Politische Aktivität der Respondent:innen 15 Offene Frage: Probleme, Schwierigkeiten und Erwartungen der Respondent:innen 15 Grundlegende statistische Hypothesen 18 Gesellschaftspolitische Aktivität 18 Hypothesen zu den Unterschieden zwischen den Bundesländern und Ortschaften mit unterschiedlicher Einwohnerzahl 19 Nach Bundesländern: 19 Nach Einwohnerzahl des Wohnortes: 20 Hypothese: Kinder haben einen positiven Einfluss auf den Integrationsprozess 20 Hypothese: Das Niveau der Deutschkenntnisse hat einen positiven Einfluss auf den Integrationsprozess 21 Hypothese: Es besteht ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Ausbildung und dem Arbeitsbereich der Respondent:innen in Russland und der Integration in den deutschen Arbeitsmarkt 21 Hypothese: Die Wartezeit bis zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung und der Bewilligung von Transferleistungen verringert sich relativ zur Größe des Wohnorts 22 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 23 Literatur 25 Anhang 26 Einleitung Die vorliegende Studie entstand auf Initiative der Nichtregierungsorganisation Horizonte. Exilhilfe. Diese Organisation unterstützt russische zivilgesellschaftliche und politische oppositionelle Aktivisten und Kriegsgegner bei der Beantragung humanitärer Visa für Deutschland (nach § 22.2) und Frankreich. Die Studie wurde gemeinsam mit Forscher:innen des Projekts Academic Bridges durchgeführt, einem Team russischer Wissenschaftler:innen, die sich gegen den Krieg in der Ukraine positionieren. Ziel der Studie ist eine deskriptive Bestandsaufnahme der Situation russischer Staatsbürger:innen, die ein humanitäres Visum nach Paragraph 22.2 für die Bundesrepublik Deutschland erhalten haben, sowie eine Analyse ihrer typischen Anpassungs- und Integrationsmuster in Deutschland und des Niveaus ihrer gesellschaftspolitischen Aktivitäten (sowohl innerhalb Deutschlands als auch gegenüber Russland und Russ:innen). Im August 2024 wurde ein vierköpfiges Forschungsteam gebildet, welches gemeinsam mit der Leitung der Organisation „Horizonte – Exilhilfe“ die Aufgabenstellung und die Ziele der Forschung festlegte sowie als ersten Schritt die Pilotversion eines Fragebogens erstellte. Dieser Fragebogen wurde mithilfe des Online-Dienstes Google Forms an 20 Respondent:innen getestet, die nach unterschiedlichen Parametern (sozio-demographische Merkmale, Wohnregion in Deutschland, sozio-politischer Status usw.) ausgewählt wurden. Die Respondent:innen bewerteten die Verständlichkeit der Fragen sowie die Substantialität und Pragmatik der im Fragebogen angebotenen Antwortmöglichkeiten, Ihre Kommentare und Anregungen wurden gesammelt, und der Fragebogen auf der Grundlage der Testergebnisse fertiggestellt. Der endgültige Fragebogen besteht aus 46 Fragen. Er enthält auch eine offene Frage und die Möglichkeit, bei einer Reihe anderer Fragen eine gesonderte ausführliche Antwort zu geben. Auswahl und Strategie der Datenerfassung Die Umfrage wurde im Oktober 2024 gestartet. Die Fragebögen zur Datenerhebung wurden über die Chats und die Sozialen Netzwerke der Inhaber humanitärer Visa nach § 22.2 verteilt, und zwar sowohl in den allgemeinen Chats und Sozialen Netzwerken, als auch den themenspezifischen (z.B. den Chats parlamentarischer Abgeordneter oder den Chats Arbeitssuchender mit humanitären Visa) und regionalen Chats (also auf bestimmte Bundesländer und Städte begrenzte Chats). Zusätzlich kontaktierte die Leitung der Organisation „Horizonte-Exilhilfe“ eine Reihe anderer Organisationen mit dem gleichen Tätigkeitsfeld (z.B. Solidarus e.V., Quarteera e.V. u.a.) mit der Bitte um Unterstützung und Verteilung der Fragebögen in deren Chats und Sozialen Netzwerken. Die Reaktion sowohl dieser Organisationen als auch der Community der Inhaber:innen humanitärer Visa war insgesamt durchgehend positiv und konstruktiv. Im Ganzen wurden 341 ausgefüllte Fragebögen retourniert. Nach eineinhalb Monaten wurde die Befragung offiziell beendet. Relativ auf die zahlenmäßige Größe des fraglichen Personenkreises, die auf ca. 3000 Individuen geschätzt wird, ist die Menge der gesammelten ausgefüllten Fragebögen für eine aussagefähige Analyse vollkommend hinreichend. Vor der Auswertung der Daten fanden mehrere Vorbesprechungen des Forschungsteams statt, in denen gemeinsam mit den Leiter:innen des Projektes „Horizonte-Exilhilfe“ ein Plan für die Datenanalyse erarbeitet wurde. Auf der Basis des ermittelten deskriptiven Bildes wurden acht konkrete Hypothesen für die Analyse aufgestellt. Anschließend wurden die erfassten Daten bereinigt: Ausgesondert wurden die Daten von Respondenten:innen, die angegeben hatten, kein humanitäres Visum erhalten zu haben und/oder noch nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingereist zu sein, weiterhin die Daten von Personen, die zum Zeitpunkt der Befragung noch nicht volljährig waren (i.e. jünger als 18 Jahre), sowie nicht kongruente Fragebögen. Die endgültige Zahl der verwertbaren Fragebögen betrug 336. Die Auswertung der Fragebögen sollte mit der Software Stata erfolgen, deshalb wurden im Anschluss die Daten für die Anpassung in diese Software kodiert, auch wurden die Antwortoptionen in der Kategorie „Anderes“ systematisiert und kodiert (ein Teil davon wurde den vorhandenen Antwortoptionen zugeordnet), weiterhin wurde der größte Teil der Mehrfach-Antwortoptionen in binäre Variablen umkodiert (z.B. wurden 8 Antwortoptionen in 8 separate Variablen umkodiert). Die Kodierung wurde manuell durchgeführt und anschließend zweifach überprüft. Literaturübersicht Bei der Entwicklung des Fragebogens und der Aufstellung unserer Hypothesen stützten wir uns auf Daten, die bereits in früheren Forschungen zu Migrationsfragen gewonnen wurden. Dieser Studie am nächsten ist der Bericht „Russische Zivilgesellschaft in Deutschland: Probleme der Integration“ des Solidarus e.V., einem Zusammenschluss von Menschenrechtsaktivist:innen und Wissenschaftler:innen. Es handelt sich um eine 2023 publizierte Übersichtsstudie über die Empfänger humanitärer Visa und Visa für Freiberufler/Arbeitsvisa. Die in diesem Bericht konstatierten Probleme unter den Empfängern humanitärer Visa decken sich weitgehend mit den Daten aus unserem Fragebogen. Eine Studie von Jan Zerche (2024) präsentiert Daten zur sozialen Lage ukrainischer Flüchtlinge in Deutschland. Auf der Grundlage einer umfangreichen Befragung werden verschiedene Schlussfolgerungen gezogen und der erwartbare Erfolg von Integrationsprogrammen eingeschätzt. Ein interessantes Ergebnis dieser Studie ist die Tatsache, dass Männer aus der Ukraine häufiger mit Schwierigkeiten bei der Integration zu kämpfen haben als Frauen. Hinderlich wirken vor allem der begrenzte Zugang zu Beschäftigungsprogrammen und Sprachkursen sowie Probleme bei der Anerkennung von beruflichen Qualifikationen. Eine Studie von Kosyakova & Laible (2024) verdeutlicht, dass Persönlichkeitsmerkmale eine wichtige Rolle beim Spracherwerb im Gastland spielen. Offenheit für Erfahrungen, emotionale Stabilität und Gewissenhaftigkeit wirken sich positiv auf den Lernfortschritt beim Spracherwerb aus, was die Notwendigkeit eines individualisierten Ansatzes bei Integrationsprogrammen unterstreicht. Eine Studienreihe von Autoren des OutRush-Projekts (siehe Kamalov, Sergeeva, Zavadskaya, & Kostenko, 2023) analysiert die Erfahrungen russischer Migrant:innen, die das Land nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine verlassen haben. Eine Übersichtsarbeit (Sergeeva & Kamalov, 2024) zeigt, dass Migrant:innen trotz relativer Fortschritte bei der Eingewöhnung in die neue Umgebung mit institutionellen Barrieren, bürokratischen oder sprachlichen Problemen und Schwierigkeiten bei der Integration in den Arbeitsmarkt konfrontiert sind. Die Studie „Invisible costs of exiting autocracy“ (Sergeeva & Kamalov, 2025) befasst sich mit dem subjektiven Befinden von exilierten Russ:innen, mit Themen wie emotionalem Burnout und Verlustgefühlen. Die Autoren konstatieren ein hohes Maß an Ängsten und Depressionen in dieser Personengruppe, insbesondere bei solchen Personen, die sehr überstürzt und ohne Vorbereitung oder Unterstützung ausgereist sind. Die Studie „Far from Home“ (Ruseishvili, Sergeeva & Kamalov, 2024) behandelt Fragen der soziologischen Methodik im Kontext der Diaspora und regionaler Verteilung insbesondere am Beispiel der Migration nach Lateinamerika. Die Studie „Brain Drain from Russia after February 24th 2022“ (Korobkov u.a., 2022) befasst sich mit der massiven Abwanderung von Fachkräften, insbesondere aus dem akademischen und IT-Umfeld. Die Autoren konstatieren einen erheblichen Rückgang des wissenschaftlichen und technologischen Potenzials Russlands. Eine Studie von Lidén und Nyhlén (2022) verweist auf die Unterschiede in der Migrationspolitik auf kommunaler und regionaler Ebene. Dies muss bei der Analyse von Integrationsstrategien in verschiedenen Ländern berücksichtigt werden, auch in Schweden und Deutschland, wo sich die Politik von einem Bundesland oder einer Gemeinde zur anderen unterscheiden kann. Deskriptive Statistik Hauptmerkmale von Inhaber:innen eines humanitären Visums: Insgesamt wurden 336 Fragebögen ausgewertet, von denen 80,36% von den Hauptantragsteller:innen für humanitäre Visa und 19,64% von erwachsenen Familienmitgliedern beantwortet wurden. Aus den gewonnenen Daten geht hervor, dass 63,9% aller Respondent:innen nicht allein, sondern mit einem Partner und/oder Kind/Kindern kamen. Daraus folgt, dass die Zahl der Hauptantragsteller:innen überwiegt, was sich durch ihre größere Aktivität, Motivation und Integration in die Chats der Inhaber:innen humanitärer Visa erklärt. Die geschlechtsspezifische Zusammensetzung der Respondent:innen spiegelt die natürliche Verteilung wider, wobei der Anteil der nicht-binären Persönlichkeiten leicht erhöht ist: 42,26% Frauen, 53,87% Männer, 3,87% nicht-binäre Persönlichkeiten. Die Mehrzahl der Respondent:innen sind Menschen im jüngeren und arbeitsfähigen Alter (Grafik 1). Das Durchschnittsalter liegt bei 36,7 Jahren (zum Vergleich: In Russland liegt das Durchschnittsalter der Bevölkerung bei 41,1 Jahren, in Deutschland bei 44,6 Jahren). Grafik1. Verteilung de r Respondent:innen nach Alter Die ermittelten Daten spiegeln ein hohes Bildungsniveau der Antragsteller:innen für humanitäre Visa und ihrer Familienangehörigen: 63,99% der Respondent:innen verfügen über einen Hochschulabschluss oder akademischen Grad (oder ein Postgraduiertenstudium), weitere 16,96% über eine nicht abgeschlossene Hochschulausbildung. Wir merken an, dass ein bedeutender Anteil der Respondent:innen jünger als 25 Jahre alt ist (11,3%), viele von ihnen haben noch keine Berufsausbildung angefangen oder konnten sie noch nicht abschließen. Das Tempo der Anpassung und der Integration hängt sehr stark davon ab, ob die Respondent:innen allein oder mit Familie, insbesondere mit minderjährigen Kindern eingereist sind, so dass dieser Parameter für die Studie sehr wichtig ist. Nach den ermittelten Daten kamen 28,2 % der Respondent:innen mit minderjährigen Kindern, 31,5 % gaben an, Kinder im Vorschulalter zu haben (Mehrfachantwort möglich), 73,6 % gaben an, dass ihre Kinder deutsche allgemeinbildende Schulen mit Unterricht in deutscher Sprache besuchen (3,1 % von ihnen besuchen auch Unterricht in anderen Sprachen), 9,4 % gaben an, dass ihre Kinder sich gerade auf den Schuleintritt vorbereiten. Ein Faktor, der die Übersiedelung und die Anpassung in die neue Umgebung erschwert, sind vorhandene Haustiere. Ein Fünftel (22,32 %) der Respondent:innen gab an, mit Haustieren nach Deutschland eingereist zu sein. Von großer Bedeutung für Anpassung und Integration ist auch die Dauer des Aufenthalts im Gastland. Zum Zeitpunkt der Befragung lebten 35,71 % der Respondent:innen seit mehr als 1,5 Jahren in Deutschland, 38,98 % zwischen einem halben und 1,5 Jahren, 25,3 % zwischen einem Monat und einem halben Jahr. Die Mehrheit der Respondent:innen lebt heute in Nordrhein-Westfalen (21,13%), Bayern (13,69%), Niedersachsen und Baden-Württemberg (jeweils 8,93%). Nur 26,1% der Respondent:innen leben in den neuen Bundesländern. Wir gehen davon aus, dass dieses Ergebnis im Großen und Ganzen der tatsächlichen Verteilung der nach Deutschland mit einem Visum nach § 22.2 eingereisten Russ:innen entspricht (Grafik 2, für die numerischen Daten s. Anhang, Tabelle 1). Grafik 2. Verteilung der Respondent:innen auf die Bundesländer Gründe für die Beantragung, Voraussetzungen und Prozess der Erteilung eines humanitären Visums Die 4 Staaten, in denen Russ:innen am häufigsten ein Einreise-Visum beantragen und erhalten (also der Aufenthaltsort bei Beantragung), sind: Georgien (31,25 %), Russland (28,87%), die Türkei (10,71%) und Armenien (9,23 %). Tabelle 1 zeigt die Wartezeit bis zur Erteilung eines Visum nach der Beantragung bei einem Konsulat, Tabelle 2 stellt den Grad der Zufriedenheit dar bezüglich der Interaktion mit den Konsulaten im Zusammenhang mit der Antragstellung. Die durchschnittliche Zufriedenheitsquote lag bei 4,35. Tabelle 1. Wartezeit auf ein Visum nach Antragstellung in einem Konsulat < 1 Monat 1-2 Monate 2-3 Monate >3 Monate Wartezeit auf ein Visum 62.5% 21.7% 10.11% 4.4% Tabelle 2. Zufriedenheit mit der Kommunikation mit den Konsulaten 1 2 3 4 5 Grad der Zufriedenheit 2.68 % 3.87 % 9.82 % 23.51 % 60.12 % Hinsichtlich der Art der Aktivitäten, die die Gründe für die Ausreise aus Russland und die Beantragung eines humanitären Visums waren, ergibt sich folgende Verteilung (siehe Tabelle 3): 50,89% wählten die Option „Politiker:in, Polit-Aktivist:in“, 26,78% die Option „Mitarbeiter:in einer NGO oder gemeinnützigen Organisation“, 15,47% die Option ‚Journalist:in‘, 14,58% die Option „Angehörige:r der LGBTQ+-Community“, 13,39% die Option „Kulturschaffende:r und Kriegsgegner:in“. Tabelle 3. Art der Aktivitäten in Russland, die Ursache für die Ausreise war (mehrere Antworten möglich) Art der Aktivität Menge, % Politiker:innen/politische Aktivist:innen 50.89 Mitarbeiter:innen von NGO’s/zivilgesellschaftl. Organisationen 26.79 Familienmitglieder von Hauptantragstellern 18.15 Journalist:innen 15.48 Angehörige der LGBTQ+ Community 14.58 regierungskritische Kulturschaffende 13.39 regierungskritische Wissenschaftler:innen und Forscher:innen 3.87 In Russland arbeiteten unsere Respondent:innen in folgenden Bereichen (die beliebtesten): IT 19,64 %, Wissenschaft, Bildung 19,34 %, gemeinnützige Organisationen 22,32 %, PR, Marketing 22,91 %, Kultur 25 % (siehe Tabelle 4). Tabelle 4. Tätigkeitsbereiche der Respondent:innen in Russland (mehrere Antworten möglich) Tätigkeitsbereich Prozen t Kultur / Kunst/ Freizeitgestaltung 25 Gemeinnützige Organisationen 22.32 PR / Marketing / Medien 22.92 IT / Internet / Telekommunikation 19.64 Wissenschaft / Bildung 19.35 Handel 7.74 Rechtswesen 7.14 Öffentlicher (kommunaler) Dienst 6.85 ohne Arbeit, Hausfrau/mann / in der Ausbildung, Rentner:in usw 6.25 Industrie 5.65 Immobilien- / Baugewerbe/ Wohnungswesen 5.06 Banken / Versicherungswesen/ Finanzen 4.76 Transport / Logistik 3.87 Medizin 3.57 Energie / Automobilindustrie 1.19 Landwirtschaft 1.19 Tourismus 1.19 Strafverfolgungsbehörden 0.3 Sport 0.3 37,2% der Respondent:innen lebten in Moskau (weitere 3,27% in der Region Moskau), 24,11% in St. Petersburg (0,89% in der Region Leningrad). 34,52% lebten in anderen Regionen der Russischen Föderation. 77,68 % der Respondent:innen lebten vor ihrer Abreise in Städten mit mehr als 1 000 000 Einwohnern. Die Mehrheit der Respondent:innen (60,11 %) besitzt einen russischen Reisepass, dessen Gültigkeit noch bis zu 10 Jahren beträgt, bei weiteren 23,21 % beträgt die Gültigkeit bis zu 5 Jahren, bei 6,84% nur noch bis zu 2 Jahren. Weitere 9,82 % der Respondent:innen wählten andere Optionen, vor allem den Erhalt eines Ersatzpasses oder ein noch früheres Ablaufdatum des ausländischen Reisepasses. Die Mehrheit der Respondent:innen (81,84 %) erhielt ein humanitäres Visum mit Unterstützung von spezifischen Hilfs-Organisationen, die sie aktiv bei der Antragstellung, der Beschaffung von notwendigen Dokumenten unterstützten und bei allen damit zusammenhängenden Belangen, speziell im Kontakt mit dem deutschen Außenministerium, begleiten: InTransit, Horizonte-Exilhilfe, Quarteera e.V., EQUAL e.V., PostOst e.V,, Solidarus, Reporter ohne Grenzen, NxT; 8,92 % der Befragten nahmen die Unterstützung anderer Organisationen in Anspruch; 9,22 % beantragten ein humanitäres Visum eigenständig. Ortswechsel der Inhaber:innen humanitärer Visa innerhalb Deutschlands 30,06 % der Respondent:innen wechselten von ihrem Erstzuteilungsort an einen anderen Wohnort: Davon zogen 22,92 % an einen anderen Ort innerhalb desselben Bundeslandes, 7,14 % wechselten in ein anderes Bundesland (Details dazu s. Tabelle 2). Ein solcher Wechsel der Region ist für Inhaber:innen eines humanitären Visums eine komplizierte und schwierige Angelegenheit, in den allermeisten Fällen ist ein solcher nur möglich mit vorhandenem Arbeitsvertrag oder eines Studienplatzes. Auffällig ist, dass sich die verschiedenen Bundesländer in Bezug auf die Wanderungsintensität (sowohl innerhalb eines Bundeslandes als auch zwischen den Bundesländern) sehr stark unterscheiden. Respondent:innen mit Erstunterbringung in Schleswig-Holstein (90 %!), Thüringen (69,23 %) und Niedersachsen (54,55 %) wechselten relativ am häufigsten den Wohnort. Dies könnte zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass es in diesen Bundesländern mehr Erstaufnahmelager gibt: So kann z.B. ein Respondent/eine Respondentin zunächst in einem Lager in dem einem Ort untergebracht worden sein und wurde dann einem Wohnheim in einem anderen Ort zugewiesen. Am unteren Ende der Skala rangiert Nordrhein-Westfalen mit 4,35 % Wohnortwechsel (1,45 % in ein anderes Bundesland, 2,9 % innerhalb des Landes), obwohl Nordrhein-Westfalen das am dichtesten besiedelte Bundesland ist (und die meisten Respondent:innen aus diesem Bundesland sind). Dies könnte auf die Praxis zurückzuführen sein, die Inhaber:innen humanitärer Visa an einen bestimmten Landkreis und nicht an das Bundesland im Ganzen zu binden, was einen Wohnsitzwechsel umso schwieriger macht. Tabelle 2 im Anhang zeigt den prozentualen Anteil derer, die von ihrem ursprünglichen Wohnort weggezogen sind an der Gesamtzahl der Inhaber:innen eines humanitären Visums in demselben Bundesland. Grafik 3 zeigt, dass die meisten Personen innerhalb desselben Bundeslandes umgezogen sind. Besonders deutlich wird dies am Beispiel Thüringens oder Baden-Württembergs. Die augenfälligste Ausnahme ist Berlin. Nach Berlin gibt es keine Erstzuweisungen, ein Wohnortwechsel dorthin ist in der Regel nur für den Antritt einer Arbeitsstelle oder die Aufnahme eines Studiums möglich. Weitere Ausnahmen sind Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, aus denen die höchste Abwanderung stattfindet. Grafik 3. Mobilitätsdynamik der Inhaber:innen humanitärer Visa. Die Grafik stellt nur Inhaber:innen von humanitären Visa dar, die von ihrem ursprünglichen Verteilungsort weggezogen sind. Die häufigsten Gründe für einen Wechsel des Wohnortes (mehrere Antwortoptionen waren möglich) war das Angebot einer neuen Unterkunft an einem anderen Ort (35,64 %) und die Zuweisung an einen anderen Ort (28,71 %, d.h. die bereits erwähnte Zuweisung aus einem Lager in ein Wohnheim/eine Sozialwohnung usw.). Lediglich 9,9 % der Respondent:innen nannten als Grund für einen Wohnortwechsel den Antritt einer Arbeitsstelle, was mit der zwangsläufig langen Eingewöhnungszeit in einem neuen Land zu erklären ist. Lebensbedingungen Unsere Respondent:innen wohnten in Ortschaften mit der folgenden Einwohnerzahl (Tabelle 5): 47,92 % in Ortschaften mit einer Einwohnerzahl von 100 000 und mehr, 52,08 % in Ortschaften mit bis zu 100 000 Einwohnern. Wir erinnern daran, dass 77,68 % der Respondent:innen vor ihrer Ausreise in russischen Millionenstädten lebten, während in Deutschland, wie wir sehen können, weniger als 15 % der Respondent:innen in Millionenstädten wohnen, so dass wir uns die mit diesem Faktor verbundenen Anpassungsschwierigkeiten vorstellen können. Tabelle 5. Verteilung der Respondent:innen auf deutsche Städte mit unterschiedlicher Einwohnerzahl > 1 Mill. Einw. 500 000 -1 Mill. 100 000- 500 000 50 000 - 100 000 10 000 - 50 000 < 10 000 Ges. Zah l 48 83 30 79 46 50 336 % 14.29 24.7 8.93 23.51 13.69 14.88 100 % Die häuslichen Lebensbedingungen sind von großer Bedeutung für die primäre Anpassung. Den ermittelten Daten zufolge leben 60,12 % der Respondent:innen in separaten Wohnungen, 28,57 % in Erstunterkünften (Wohnheimen, Sozialwohnungen usw.) 4,46 % in Lagern. 57,14% haben einen langfristigen Mietvertrag für eine Wohnung. Grafik 6. Lebensbedingungen in der Erstunterbringung Hinsichtlich der Lebensbedingungen in der Erstunterkunft muss angemerkt werden, dass die Respondent:innen unterschiedliche Antwortoptionen wählen konnten: ein Lager (falls sie sich dort befanden), ein Wohnheim/eine Sozialwohnung oder eine andere Erstunterkunft, d. h. einen oder mehrere Orte, an denen die Respondent:innen vor oder zum Zeitpunkt der Befragung wohnten (also mehrere Antworten möglich). Generell ergibt sich Folgendes (siehe Grafik 6): Die meisten Respondent:innen hatten Zugang zu gemeinsam genutzten Waschmaschinen (79,7 %), die meisten auch ein separates Zimmer für sich selbst/für ihre Familie (72,3 % gegenüber 20,3 %, die „Zimmer mit einer/m Mitbewohner:in“ angaben), die meisten verfügten jedoch nur über eine gemeinsame Küche und ein gemeinsames Bad (24,8% hatten eine eigene Küche gegenüber 55,8 % mit einer gemeinsamen Küche, 38,7 % hatten ein separates Bad gegenüber 59,7 % mit einem gemeinsamen Bad). 24,2 % wählten die Option „Gemeinsamer Speiseraum mit organisierten regelmäßigen Mahlzeiten“. Dies spiegelt den ungefähren Anteil der Russen mit einem humanitären Visum in Deutschland, die in einem Lager als Hauptunterkunft wohnen. Eine gesonderte Frage dazu stellten wir nicht. Im Allgemeinen sind die Respondent:innen derzeit mit ihren Wohnverhältnissen zufrieden, wie aus Tabelle 7 hervorgeht. Die Zufriedenheit wurde auf einer Skala von 1 bis 5 bewertet, wobei 5 den höchsten Grad an Zufriedenheit darstellt. Die durchschnittliche Zufriedenheit lag bei einem Wert von 3,96. Tabelle 7. Zufriedenheit mit den Wohnverhältnissen 1 2 3 4 5 Zufriedenheitsgrad 3.27 % 7.44 % 15.48 % 37.2 % 36.61 % Die Zufriedenheit mit der medizinischen Versorgung wurde ebenfalls anhand einer 5-Punkte-Skala bewertet (Tabelle 8). Der Durchschnittswert für die Zufriedenheit liegt bei 3,41. Das heißt, dass hier, anders als bei der Zufriedenheit mit der Unterkunft, nicht alles so glatt läuft (dies angesichts der Tatsache, dass ein erheblicher Teil der Respondent:innen in der Zeit ihres Aufenthalts in Deutschland noch nicht mit so ernsthaften medizinischen Problemen zu tun hatte, um die Qualität und Zugänglichkeit der medizinischen Versorgung zu beurteilen). Tabelle 8. Zufriedenheit mit der medizinischen Versorgung 1 2 3 4 5 Zufriedenheitsgra d 7,74 % 8,63 % 34,23 % 33,33 % 16,07 % Beherrschung der deutschen Sprache, Studien-/Ausbildungswunsch in Deutschland Hinsichtlich des Wunsches, eine Hochschulausbildung in Europa zu erhalten/fortzusetzen, erhielten wir interessante Daten: 25,6 % der Befragten bereiten sich auf den Besuch einer Hochschule vor bzw. prüfen die Möglichkeit, eine solche zu besuchen, 3,88 % haben bereits ein Studium aufgenommen, während 1,79 % eine Ausbildung planen. Insgesamt wollen nur 64,47 % der Respondent:innen, vorerst keine Hochschulausbildung in Europa beginnen bzw. fortsetzen. Generell zeigen diese Ergebnisse eine hohe Orientierung unserer Respondent:innen in Richtung auf ein Hochschulstudium und den Aufbau einer wissenschaftlichen Karriere. Grafik 5 zeigt die Dynamik des Erwerbs der deutschen Sprache. Die Gruppe „Ich habe vor dem Umzug nach Deutschland nicht Deutsch gelernt“ war zum Zeitpunkt der Beantragung des Visums die größte (67,8 %). Zum Zeitpunkt der Befragung waren nur noch 12,8% der Respondent:innen auf dem ursprünglichen Niveau verblieben, während eine gleich hohe Zahl von Personen bereits über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2 verfügten. Nur 6,5 % der Respondent:innen besaßen vor ihrem Umzug Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 oder höher. Zum Zeitpunkt der Befragung verfügten 40,47 % der Respondent:innen über Deutschkenntnisse auf B1-Niveau und höher (79,4 % von ihnen hatten entsprechende Zertifikate erworben). Gegenwärtig gibt es für die meisten Zuwandererkategorien obligatorische Sprachkurse, 70,23 % der Respondent:innen haben solche Kurse besucht oder besuchen sie gerade. Grafik 5 zeigt die Dynamik des Erwerbs der deutschen Sprache. Grafik 5.Dynamik des Erwerbs der deutschen Sprache bei den Inhabern humanitärer Visa Berufstätigkeit, soziale Unterstützung und materielle Versorgung der Inhaber:innen humanitärer Visa In der Anfangszeit der Integration haben die Neuankömmlinge die Möglichkeit, sich in die Lösung von Alltagsproblemen und das Erlernen der deutschen Sprache zu vertiefen, da die deutschen Behörden ein vielseitiges Unterstützungssystem für Empfänger von humanitären Visa bereitstellen: 70,54 % der Respondent:innen haben keine Arbeitsstelle und erhalten Transferleistungen und sonstige Vergünstigungen, 14,29 % haben eine Arbeitsstelle und erhalten (teilweise) Transferleistungen, 8,04 % haben eine Arbeitsstelle und erhalten keine Transferleistungen oder Zuwendungen. Weitere 7,14 % wählten die Option „Ich arbeite nicht und beziehe keine Transferleistungen oder Zuwendungen“, was in den allermeisten Fällen damit zu erklären ist, dass diese Respondent:innen erst seit Kurzem in Deutschland sind. Die Beschaffung von Dokumenten für die Aufenthaltsgenehmigung und den Bezug von Transferleistungen ist eine wichtige Aufgabe, die in den ersten Monaten nach der Ankunft erledigt werden muss. Nach ihrer Ankunft in Deutschland benötigten 4,76 % der Respondent:innn weniger als einen Monat bis zur Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung, 21,42 % - 1 bis 2 Monate, 30,35 % - 2 bis 3 Monate, 27,38 % - 3 bis 6 Monate, 3,57 % mehr als 6 Monate. 34,52 % der Respondent:innen konnten die Beantragung von Transferleistungen innerhalb eines Monats erledigen, 31,84 % innerhalb von 1 bis 2 Monaten, 14,88 % innerhalb von 2 bis 3 Monaten, nur 6,54 % benötigten mehr als 3 Monate für die Beantragung von Leistungen. Auf die Frage nach dem Ort der Arbeitsstelle gaben 72,75 % der Respontent:innen die Antwort „Ich arbeite nicht“, 10,48 % hatten einen Arbeitgeber in Deutschland, 3,59 % in einem anderen EU-Land, 1,8 % in Russland, weitere 3,89 % in einem anderen Land. 3,59 % waren Selbstständige und Freiberufler. Neben dem offiziellen Arbeitslosengeld und anderen offiziellen Leistungen erhalten unsere Respondent:innen weitere Transferleistungen (Anhang, Grafik 1): am häufigsten zweckgebundene Unterstützungsleistungen durch das Jobcenter (z. B. Zahlungen oder Gutscheine für den Kauf von Möbeln) (38,3 %), Zugang zu Sozial-Läden („Tafeln“) (26,3 %), regionale/städtische Dokumente, die zum Bezug von Leistungen berechtigen („Hessenpass“, „Nürnbergpass“ usw.) (26,3 %), oder Dienste eines Sozialarbeiters (47,0 %). Die Höhe der monatlich verfügbaren Finanzmittel pro Haushaltsmitglied abzüglich der Kosten für Miete, Nebenkosten, Versicherungen und Steuern ist in Tabelle 9 dargestellt. Tabelle 9. Verteilung der verfügbaren finanziellen Mittel < 600 Euro 601 - 1000 Euro 1001 - 1500 Euro 1501 - 2000 Euro 2001 - 3000 Euro > 3000 Euro Gesam t Anzah l 281 31 11 8 2 3 336 % 83.63 9.23 3.27 2.38 0.6 0.89 100 Politische Aktivität der Respondent:innen Die Studie ergab eine recht hohe politische Aktivität der Respondent:innen (Anhang, Tabelle 3). So besuchten und besuchen 62,5% aller Respondent:innen öffentliche (offline) gesellschaftspolitische Veranstaltungen in Deutschland. Am häufigsten nahmen die politisch aktiven Respondent:innen an Kundgebungen teil (79,04%), trafen sich mit Gleichgesinnten (z.B. innerhalb einer Organisation/Initiativgruppe) (67,14%) und besuchten Gedenkveranstaltungen (z.B. an die Opfer politischer Repressionen) (55,71%). Darüber hinaus nahmen 50% an Treffen mit nicht-deutschen Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teil, während nur 27,14% an Treffen mit deutschen Politikern und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens teilnahmen. Die Häufigkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ist in Tabelle 10 dargestellt. Tabelle 10 Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen: keine Teilnahme 1 Mal pro Jahr 2-4 Mal pro Jahr 5-10 Mal pro Jahr >11 Mal pro Jahr 37.5% 7.2% 26.3% 17.3% 9.6% Wir merken an, dass bei der Häufigkeit der Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen der Faktor der Aufenthaltsdauer in Deutschland nicht berücksichtigt wurde. Interessanterweise besuchten von den politisch aktiven Respondent:innen 56,54% Veranstaltungen, die sich mit der Situation in den postsowjetischen Ländern befassten, hingegen nur 32,14% Veranstaltungen, die sich mit der deutschen/weltpolitischen Lage befassten. Im Ergebnis zeigte sich, dass 55,68 % aller Respondent:innen weiterhin gesellschaftspolitisch in Richtung Russland und der Russ:innen tätig sind. Davon sind 56,14% ehrenamtlich tätig, als Mitarbeiter:innen entsprechender gesellschaftspolitischer Organisationen, 9,6% arbeiten offiziell in solchen Organisationen, 37,43% entwickeln ihre eigenen Projekte, 36,55% beraten russische Bürger:innen in verschiedenen Problembereichen. Wir merken an, dass bei dieser Frage mehrere Antworten möglich waren, so dass ein und dieselbe Person in verschiedene Kategorien fallen kann. Offene Frage: Probleme, Schwierigkeiten und Bedürfnisse der Respondent:innen In ihren Antworten auf die offene Frage schilderten die Respondent:innen ihre Probleme und Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Leben in Deutschland, artikulierten aber auch ihre Bedürfnisse. Die am häufigsten genannten Schwierigkeiten betrafen die Bürokratie, die Anmietung einer Wohnung und die mangelnden Kenntnisse der deutschen Sprache. Probleme mit der Bürokratie und der Kommunikation mit den Behörden in Deutschland geben 19,6 % der Respondent:innen an. Typische Aussagen lauten: „Die Ausstellung von Dokumenten dauerte länger als erwartet, aber bei anderen Personen noch länger: 3 Monate“, „Es gab ein Problem zwischen den Behörden. Eine Behörde verlangte ein bestimmtes Papier, aber die zweite Behörde gab es uns nicht, weil das Visum noch gültig war. Und deshalb konnte man uns keine Leistungen bewilligen“, „Das Jobcenter hilft in keiner Weise bei der Anerkennung eines Diploms und der Suche nach einem Arbeitsplatz entsprechend vorhandener Qualifikation. Sie beantworten Briefe entweder nicht oder brauchen für die Beantwortung sehr lange“, „Alles geht sehr langsam. Aber die Mitarbeiter machen trotzdem oft Fehler bei wichtigen Dokumenten“, „Sinnlose Bürokratie. Überall lange Wartezeiten“, „Langwierige Bearbeitungszeiten“, „Es gab Schwierigkeiten ... bei der Kommunikation mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in den Ämtern", usw. Probleme bei der Suche und Anmietung einer „dauerhaften“ Wohnung belasten 16,4 % der Befragten. Dazu schreiben sie: „Es ist unmöglich, eine eigene Wohnung für eine einzelne Person zu mieten“, „Die Wohnungssuche in einer Großstadt ist ein immer noch ungelöstes Problem“, „Es ist unmöglich, eine Wohnung zu finden, die den Normen des Jobcenters entspricht“, „Ich konnte einfach keine Wohnung finden, deshalb bin ich in ein anderes europäisches Land zum Studieren gegangen“, „Die Wohnungssuche war sehr schwierig, aber wir hatten Glück, ein privater Wohnungseigentümer gab uns unter anderen Bewerbern den Zuschlag, als wir schon fast die Hoffnung aufgegeben hatten, jemals etwas zu finden“, „Es ist ziemlich schwierig, aus der Erstunterkunft auszuziehen. Wir haben es immer noch nicht geschafft. Wohnungen in unserer Kleinstadt sind rar, sie sind teuer oder unmöbliert, oder man muss eine hohe Kaution hinterlegen„, „Tja, und die Wohnungssuche bereitet natürlich besondere Kopfschmerzen", usw.. Die Respondent:innen merken an, es sei schwer, aber zugleich extrem wichtig, die deutsche Sprache zu beherrschen. 19,3 % der Respondent:innen erklärten: „Man braucht deutsche Sprachkenntnisse auf einem sehr hohem Niveau“, „Das größte Problem ist die Sprache. Weder mein Mann noch ich selbst haben Deutsch gelernt, bevor wir nach Deutschland kamen“, „Das größte Problem ist die Sprachbarriere. Ich habe nur geringe Deutschkenntnisse, ich kann mich orientieren, einkaufen gehen, mich in den einfachsten Situationen verständigen, mehr aber nicht“, „Es gibt Probleme bei der Kommunikation wegen unzureichender Sprachkenntnisse“, „Das größte Problem war die Sprache. Es wäre wünschenswert, zumindest gewisse deutsche Sprachkenntnisse zu besitzen, damit man weniger schwierige Situationen erlebt“, „Das größte Problem ist die Sprachbarriere. Alle anderen Probleme und Missverständnisse kommen von dort her“, „Wir konnten keine regelmäßigen medizinischen Untersuchungen organisieren, weil unser Wortschatz nicht ausreichte", usw. Informationen über die Probleme, Schwierigkeiten und die Bedürfnisse der Respondent:innen enthält Tabelle 11. Tabelle 11. Probleme, Schwierigkeiten und Bedürfnisse (offene Frage) Probleme, Schwierigkeiten und Bedürfnisse Prozen t Probleme mit der Bürokratie und Behörden in Deutschland 19,6 Mangelnde Deutschkenntnisse 19,3 Probleme bei der Suche und Anmietung einer „festen“ Unterkunft 16,4 Probleme mit der medizinischen Versorgung/Versicherung 9,2 Probleme mit Berufstätigkeit, Arbeitssuche, Genehmigung selbständiger Tätigkeit 8,0 Probleme mit den alltäglichen Lebensbedingungen und der Verständigung am Erstzuteilungsort 7,1 Negative Folgen der Zuweisung und Bindung an einen bestimmten Wohnort 5,0 Einsamkeit, mangelnde Kommunikationsmöglichkeiten 4,5 Psychische Probleme 4,1 Geldprobleme 4,1 Probleme im Zusammenhang mit Sprachkursen 3,6 Probleme mit Sozialarbeitern 3,2 Beratungsbedarf 2,1 Probleme im Zusammenhang mit der Ausbildung der Kinder 1,8 Sonstige Probleme 17,3 Es soll angemerkt werden, dass 20,5% der Respondent:innen angaben, die Schwierigkeiten geregelt zu haben. Grundlegende statistische Hypothesen Neben der deskriptiven Statistik stellten wir in dieser Studie mehrere Hypothesen auf: Gesellschaftspolitische Aktivität Unsere Hypothese war, dass es einen Unterschied gibt zwischen der gesellschaftspolitischen Aktivität der Respondent:innen im Bereich der deutschen und internationalen Politik (Frage: „Haben Sie an öffentlichen (offline) gesellschaftspolitischen Aktionen, Veranstaltungen, die in Deutschland stattfinden, teilgenommen / nehmen Sie daran teil?“) und der auf Russland gerichteten Aktivität (Frage: „Beteiligen Sie sich derzeit an gesellschaftspolitischen Aktivitäten, die auf Russland und russische Bürger:innen (die im Land geblieben sind) gerichtet sind? Außerdem gingen wir davon aus, dass diese Aktivitäten von einer Reihe anderer Faktoren (z. B. Bundesland und Größe des Wohnortes) beeinflusst werden. Zur Überprüfung dieser Hypothesen verwendeten wir Regressionsgleichungen (logistische Regressionen), bei denen die Teilnahme der Respondent:innen an entsprechenden Aktivitäten die abhängige Variable (1 - teilgenommen, 0 - nicht teilgenommen) und die uns interessierenden Fragen oder Kontrollvariablen die unabhängigen Variablen darstellten. Im Ergebnis zeigte sich (siehe Anhänge, Tabelle 4), dass die politische Aktivität in Deutschland bei den Hauptantragstellern statistisch gesehen höher ist als bei ihren Familienangehörigen, nach den persönlichen Merkmalen der Respondent:innen (Geschlecht und Alter) jedoch keine signifikanten Unterschiede feststellbar sind. Auch zwischen den Bundesländern gibt es keine großen Unterschiede, mit Ausnahme von Berlin, wo die Aktivität relativ am höchsten ist. Generell ist die Aktivität im Osten Deutschlands, möglicherweise aufgrund der Gewichtung Berlins, höher. Andererseits gilt, dass die Aktivität bei Respondent:innen aus Großstädten, insbesondere solchen mit mehr als 1 000 000 Einwohnern, durchgehend höher ist. Die statistische Signifikanz des positiven Einflusses einer Millionenstadt auf die gesellschaftspolitische Aktivität besteht jedoch nur in Modellen, die sowohl den soziodemographischen Status (Geschlecht, Alter, Bildung, Vorhandensein von Kindern) der Respondent:innen als auch deren Wohnort in Russland berücksichtigen. Diese Signifikanz verschwindet, wenn wir die Wohnregion und die Dauer des Aufenthalts in Deutschland einbeziehen. Das Interesse und die Aktivität im Bereich der deutschen Politik nehmen erwartungsgemäß mit der Dauer des Aufenthalts der Respondent:innen in Deutschland zu. Zudem ist das soziale und politische Engagement umso höher, je höher das Bildungsniveau, wobei die Bedeutung der Bildung bei Berücksichtigung der regionalen Verteilung verschwindet. Kommen die Respondent:innen jedoch mit Kindern, sinkt die Beteiligung am gesellschaftspolitischen Engagement in Deutschland mindestens um den Faktor 2, bei Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer sogar fast um den Faktor 3. Was die gesellschaftspolitischen Aktivitäten in Richtung Russland betrifft (siehe Anhang, Tabelle 5), können wir auf der Grundlage der Regressionsanalyse feststellen, dass die Dauer des Aufenthalts in Deutschland für die Erwartbarkeit dieser Aktivitäten von maßgeblicher Bedeutung ist. So sinkt die Aktivität nach 12 Monaten Aufenthalt in Deutschland im Vergleich zu Neuankömmlingen um das Fünffache und bleibt auf niedrigem Niveau. Wenn eine Person jedoch am gesellschaftspolitischen Leben Deutschlands aktiv teilnimmt, dann ist diese Person in der Regel auch in Richtung auf Russland aktiv. Auch in Bezug auf Wohnregion, Einwohnerzahl des Wohnort, Geschlecht, Alter und Bildungsgrad gibt es einen Unterschied zwischen denjenigen, die aktiv am gesellschaftspolitischen Leben in Deutschland teilnehmen, und denjenigen, die dies nicht tun. Die Wahrscheinlichkeit, dass Respondent:innen, die sich für die deutsche Politik interessieren, an gesellschaftspolitischen Aktivitäten teilnehmen, die auf Russland gerichtet sind, ist sechsmal höher als bei Respondent:innen, die sich nicht dafür interessieren. Die Hauptantragsteller:innen sind mehr als viermal so aktiv wie ihre Familienangehörigen (unter Berücksichtigung der oben genannten Variablen). Das heißt, die gesellschaftspolitische Aktivität in Deutschland ersetzt nicht die auf Russland gerichtete Aktivität, vielmehr sind die im deutschen gesellschaftspolitischen Leben Aktiven in der Regel auch in Richtung auf Russland aktiv. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Respondent:innen in größerem Umfang an Veranstaltungen in Deutschland teilnehmen, die sich auf die eine oder andere Weise mit der Situation in den postsowjetischen Ländern befassen, wie z. B. Antikriegsaktionen. Das Interesse an der deutschen Politik und dem