Prof. Dr. Stephan Geisler Dipl.-Sportwiss. David Loosen Überarbeitung: Prof. Dr. Thorsten Kreutz Prof. Dr. Christian Brinkmann Dipl.-Sportwiss. Sascha Schrey Anatomie © 02/2021 Inhaltsverzeichnis 3 © 02/2021 Einleitung 6 1. Grundlagen der Anatomie 8 1.1 Allgemeine Einführung zum Aufbau des menschlichen Körpers 9 1.1.1 Funktioneller Aufbau 9 1.1.2 Körperabschnitte – Anatomischer Aufbau 11 1.2 Zytologie und Histologie 12 1.2.1 Zelle 12 1.2.1.1 Bau und Funktion der menschlichen Zelle 15 1.2.1.2 Intra- und extrazelluläre Flüssigkeiten 19 1.2.1.3 Proteinbiosynthese 21 1.2.1.4 Zellteilung 22 1.2.2 Histologie 25 1.2.2.1 Epithelgewebe 26 1.2.2.2 Binde- und Stützgewebe 28 1.2.2.3 Nervengewebe 31 1.2.2.4 Muskelgewebe 34 1.3 Allgemeine Anatomie 41 1.3.1 Orientierungshilfen am menschlichen Körper 41 1.3.2 Passiver Bewegungsapparat 47 1.3.2.1 Knochenlehre 47 1.3.2.2 Gelenklehre 51 1.3.3 Aktiver Bewegungsapparat 62 1.3.3.1 Muskellehre 62 1.3.3.2 Hilfseinrichtungen der Muskeln 68 Inhaltsverzeichnis 4 © 02/2021 2. Spezielle Anatomie des Körperstammes 72 2.1 Wirbelsäule 74 2.2 Schädel, Kopf- und Halsmuskulatur 84 2.2.1 Schädel und Schädel- bzw. Kopfmuskulatur 84 2.2.2 Hals und Halsmuskulatur 86 2.3 Rückenmuskulatur 90 2.4 Brustkorb und Brustmuskulatur 95 2.5 Bauchmuskulatur 98 3. Spezielle Anatomie der oberen Extremität 107 3.1 Schultergürtel 108 3.1.1 Schultergürtelmuskulatur 109 3.1.2 Schultergelenkmuskulatur 113 3.2 Ober- und Unterarm mit Ellenbogengelenk 118 3.2.1 Oberarm 118 3.2.2 Unterarm 119 3.2.3 Armmuskulatur 121 3.3 Hand 129 4. Spezielle Anatomie der unteren Extremität 133 4.1 Beckengürtel 134 4.1.1 Beckenbodenmuskulatur 136 4.1.2 Hüftgelenk 136 4.1.3 Hüftmuskulatur 136 4.2 Ober- und Unterschenkel einschließlich Kniegelenk 144 4.2.1 Oberschenkel 144 4.2.2 Unterschenkel 145 4.3 Beinmuskulatur 146 4.4 Fuß mit Sprunggelenken 151 Inhaltsverzeichnis 5 © 02/2021 Anatomietafel 160 Glossar 162 Lösungen zu den Lernkontrollfragen 167 Abbildungsverzeichnis 171 Literaturverzeichnis 176 Stichwortverzeichnis 178 Hinweis: Um die Lesbarkeit des Textes zu erhalten, wurde auf das Nebeneinander ver- schiedener Personen- und Berufsbezeichnungen verzichtet. Dafür bitten wir alle Leser (m/w/d) um Verständnis. „QV“ im Text steht für Querverweis, der Playbutton am Textrand steht für ein interaktives Element aus dem Online-Campus. Einleitung 6 © 02/2021 Liebe Studierende, wir möchten Sie herzlich zu Ihrem Studium begrüßen! Sie haben sich für ein anspruchsvolles IST-Studium entschieden, in dem wir Ihnen über die Studienhefte theoretisches Know-how vermitteln. Als aus- gebildete Trainerin bzw. ausgebildeter Trainer benötigen Sie dieses Hinter- grundwissen, um sich am Arbeitsmarkt behaupten zu können und um sich von anderen Trainerinnen und Trainern qualitativ abzuheben. Auf den ersten Blick erscheinen die Studienhefte sehr umfangreich und komplex, doch lassen Sie sich davon auf keinen Fall einschüchtern! Hinweis Ihre Studienberater im IST sind für Sie jederzeit telefonisch erreichbar und beantworten gerne Ihre sportwissenschaftlichen und trainingsspezifischen Fragen zu den Studienheften oder Prüfungsanforderungen. Im Berufsfeld Fitness, Wellness & Gesundheit werden Sie sich als Trainerin bzw. Trainer intensiv mit der Anatomie des menschlichen Körpers beschäf- tigen. Dieses Studienheft stellt somit die Basis für die folgenden Studienhefte und Seminare Ihres qualitativ hochwertigen Studiums dar. Viele Informationen im Studienheft Anatomie dienen dazu, den Körper und seine Funktionen zu verstehen. Es ist nicht notwendig, alle Inhalte auswendig zu lernen, sondern Sie sollten in erster Linie alles lesen und die Zusammen- hänge verstehen . Auch in Ihrer späteren Tätigkeit als Trainerin bzw. Trainer können Sie das Studienheft „Anatomie“ in der Funktion eines Nachschlage- werks verwenden. Im Studienheft „ Anatomie“ werden immer lateinische Begriffe verwendet. Diese bieten Ihnen viele Vorteile: Die lateinischen Begriffe sind international standardisiert, wenn Sie also auch im Ausland eine Trainertätigkeit ausüben möchten, werden Ihnen die lateinischen Begriffe weiterhelfen. Mit Kenntnis der lateinischen Bezeichnungen können Ihnen Transferleis- tungen leichter fallen (z. B. wenn Sie wissen, dass „dorsal“ auf deutsch „zur Rückseite hin“ bedeutet, können Sie beim „M. latissimus dorsi“ schon auf dessen Lage schließen). Einleitung 7 © 02/2021 Zusätzlich können Sie auch in Ihrem privaten Bereich, z. B. bei Arztbesu- chen, von den Kenntnissen der lateinischen Begriffe profitieren, indem Sie die „Arztsprache“ besser verstehen können. Außerdem kennen sich Ihre späteren Kunden auch immer besser aus. Es kann sein, dass Sie z. B. gefragt werden „Wie kann ich meinen Quadrizeps femoris trainieren?“. Da sollten Sie als Trainer dann auch eine Antwort parat haben. Und vergessen Sie nicht: Ihre Studienberater sind für Sie da und helfen Ihnen gerne bei Ihren Verständnisschwierigkeiten und Fragen. Mit diesen Informationen wünschen wir Ihnen viel Erfolg beim Studium. Ihr IST-Team 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 8 Kapitel 1 1. Grundlagen der Anatomie 1.1 Allgemeine Einführung zum Aufbau des menschlichen Körpers 1.1.1 Funktioneller Aufbau 1.1.2 Körperabschnitte – Anatomischer Aufbau 1.2 Zytologie und Histologie 1.2.1 Zelle 1.2.1.1 Bau und Funktion der menschlichen Zelle 1.2.1.2 Intra- und extrazelluläre Flüssigkeiten 1.2.1.3 Proteinbiosynthese 1.2.1.4 Zellteilung 1.2.2 Histologie 1.2.2.1 Epithelgewebe 1.2.2.2 Binde- und Stützgewebe 1.2.2.3 Nervengewebe 1.2.2.4 Muskelgewebe 1.3 Allgemeine Anatomie 1.3.1 Orientierungshilfen am menschlichen Körper 1.3.2 Passiver Bewegungsapparat 1.3.2.1 Knochenlehre 1.3.2.2 Gelenklehre 1.3.3 Aktiver Bewegungsapparat 1.3.3.1 Muskellehre 1.3.3.2 Hilfseinrichtungen der Muskeln 9 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 1.1 Allgemeine Einführung zum Aufbau des menschlichen Körpers 1.1.1 Funktioneller Aufbau Der Körper besteht aus vielen kleinen Einzelbausteinen, die in ihrer Gesamt- heit den reibungslosen Ablauf aller Funktionen des Organismus ermöglichen und sicherstellen. Die kleinsten chemischen Bausteine des menschlichen Kör- pers sind die Atome , in erster Linie die der Elemente Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Stickstoff, gefolgt von den Molekülen , die sich aus mehreren Atomen oder Atomverbänden zusammensetzen. Zu den Molekülen zählen z. B. Proteine (= Eiweiße), Kohlenhydrate (= Einfach-, Zweifach- oder Mehrfach- zucker) und Lipide (= Fette). Die Organellen bilden die nächstgrößere Einheit. Sie werden durch den Zusammenschluss vieler chemischer Verbindungen, u. a. aus Molekülen, gebildet. Sie sind Bestandteile der Zelle und wichtig für ihren Stoffwechsel. Die Zelle wiederum stellt als kleinste selbstständig lebende Einheit den Grundbaustein aller Lebewesen – Mensch, Tier, Pflanze, Bakterium – dar und wird im folgenden Kapitel 1.2 „Zytologie und Histologie“ detailliert erläu- tert. Viele gleichartige Zellen bilden einen Zellverband, den man Gewebe nennt. Es gibt z. B. das Muskelgewebe oder das Binde- und Stützgewebe. Auch hierzu folgt in diesem Heft eine Einführung (siehe Histologie = Lehre der Gewebe). Einzelbausteine QV Lernorientierung Nach Bearbeitung dieses Kapitels sind Sie in der Lage, • den Aufbau des menschlichen Körpers und die verschiedenen Körperab- schnitte zu benennen; • Gewebetypen des menschlichen Körpers voneinander abzugrenzen; • Fachbegriffe zur Orientierung am menschlichen Körper zu nennen; • den allgemeinen Aufbau von Knochen, Gelenken und Muskeln zu erläu- tern; • Aufbau und Funktion von Schulter-, Ellenbogen- und Kniegelenk zu erklären; • Lage und Funktion der wichtigsten Muskeln im menschlichen Körper zu erläutern. 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 10 Verschiedene Gewebe, die dicht benachbart sind, formen ein Organ (griech./ lat. = Werkzeug), z. B. das Herz oder die Leber. Mehrere Organe, die zur Aus- führung bestimmter Körperfunktionen zusammenarbeiten und in engem Kontakt zueinander stehen, werden als Organsystem bezeichnet. In diesem Studienheft wird vorrangig das Organsystem des Stütz- und Bewegungsappa- rates besprochen, zu dem alle Knochen, Gelenke, Bänder, Sehnen und Muskeln gehören, das den reibungslosen Ablauf aller Bewegungen ermöglicht, des Wei- teren für den nötigen Halt des Körpers und einen aufrechten Gang sorgt und die inneren Organe schützend umhüllt. Die anderen Organsysteme, die wiederum in Verbindung zum Stütz- und Bewegungsapparat stehen und zahlreiche Funktionen erst ermöglichen, sind: die Haut , als das größte Organ, welche die Knochen, Gelenke und Muskeln umgibt mit allen sogenannten Hautanhangsgebilden wie Haaren, Nägeln, Schweiß- und Duftdrüsen; das Nervensystem , das in ein zentrales Nervensystem (Gehirn, Rückenmark) und in ein peripheres (= zur Körperoberfläche hin, fern des Zentrums) Ner- vensystem mit Nervenzellsammlungen und Hirnnerven unterteilt wird und über Nervenimpulse z. B. Muskelkontraktionen (Kontraktion = Zusam- menziehen) ermöglicht; das Hormonsystem oder Endokrinsystem, zu dem alle Drüsen und Gewe- be, die Hormone oder verwandte Stoffe produzieren, zählen; das Fortpflanzungssystem, das beim Mann aus Hoden, Nebenhoden, Pro- stata, Samenbläschen und Penis besteht und sich bei der Frau aus Eierstö- cken, Eileitern, Gebärmutter, Scheide und Brustdrüsen zusammensetzt; der Harntrakt , der von den Nieren, Harnleitern, der Harnblase und der Harnröhre gebildet wird; das Verdauungssystem , das mit dem Mund beginnt, sich über die Speise- röhre zum Magen und von dort zum Dünndarm und Dickdarm mit dem Enddarm fortzieht und auch die Bauchspeicheldrüse, die Leber und Gal- lenblase beinhaltet; das Herz-Kreislauf-System, welches durch das lebenswichtige Organ Herz, die Blut- und Lymphgefäße und das Blut an sich gekennzeichnet ist und den Zellstoffwechsel maßgeblich durch Nährstoffzufuhr steuert; das Atmungssystem, das in engem Kontakt zum Herz-Kreislauf-System steht und sich aus allen Atemwegen, d. h. der Nase, dem Rachen, dem Kehl- kopf, der Luftröhre und den Bronchien, sowie natürlich den Lungen, die aus einem rechten und einem etwas kleineren linken Lungenflügel geformt werden, zusammensetzt; das Immunsystem, zu dem die weißen Blutkörperchen, die Lymphbahnen und -knoten, der Thymus, die Milz und die Mandeln gehören und das die körpereigene Abwehr gegen Fremdstoffe, z. B. Viren und Bakterien, bildet. 11 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 Die einzelnen Organsysteme ergeben zusammen den Organismus und werden mit Ausnahme des Stütz- und Bewegungssystems im Studienheft „Physiologie“ umfassend behandelt. 1.1.2 Körperabschnitte – Anatomischer Aufbau Neben der Zuordnung der Teile des menschlichen Körpers zu den Organsys- temen und deren Funktion wird auch eine Einteilung in verschiedene anato- mische Körperabschnitte vorgenommen: Der Körperstamm ist unpaarig angelegt und besteht aus Kopf (Caput), Hals (Collum) und Rumpf (Truncus). Der Rumpf wird nochmals unterteilt in Brust (Thorax), Bauch (Abdomen) und Becken (Pelvis). Die oberen Extremitäten werden von den Armen und Händen gebildet. Zu den unteren Extremitäten zählen die Beine und Füße. Die Verbindung zum Rumpf wird von den Armen über den Schultergürtel, von den Beinen über den Beckengürtel hergestellt. Beide Extremitäten sind paarig angelegt. Abb. 1 Körperabschnitte (eigene Darstellung) Kopf Hals Rumpf Stamm Obere Extremitäten Untere Extremitäten Brustraum Bauchraum Beckenraum QV Körperabschnitte 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 12 Im Bereich des Rumpfes liegen die serösen Höhlen . Dies sind schmale Spalt- räume, die mit seröser Flüssigkeit gefüllt sind und die Verschieblichkeit der Organe beispielsweise bei Bewegungen gewährleisten. Ausgekleidet sind die serösen Höhlen von einer speziellen Deckschicht, der Serosa , die auch die seröse Flüssigkeit produziert. Die Pleurahöhlen umschließen die Lungen und die Perikardhöhle das Herz. Beide sind im Brustraum gelegen. Im Bauchraum umgibt das Peritoneum die Peritonealhöhle . Hier befinden sich Magen, Eingeweide, Leber, Niere. Der Beckenraum schützt die Fortpflanzungsorgane. 1.2 Zytologie und Histologie 1.2.1 Zelle Die Zytologie (Lehre von der Zelle) beschäftigt sich mit dem Bau und der Funktion von Zellen. Im Folgenden wird ein kurzer Überblick über die Zelle gegeben. Weiterführende Literatur zum Aufbau und der Arbeitsweise von Zellen finden Sie im Literaturverzeichnis. Die kleinsten Baueinheiten aller menschlichen, tierischen, pflanzlichen und auch bakteriellen Lebewesen sind die Zellen. Die Zellen sind selbstständig lebende Funktionseinheiten mit der Fähigkeit, sich zu teilen. Man unterscheidet die sogenannten Einzeller, d. h. Lebewesen mit nur einer Zelle – Bakterien und Blaualgen –, von den Vielzellern, d. h. Lebewesen mit einer hohen Zahl an Zellen und Zelltypen – Pflanzen, Tiere und Menschen. Zellen 13 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 Allen Zellen ist gemein, dass sie einen eigenen Stoffwechsel betreiben, also Stoffe aufnehmen, verarbei- ten und auch wieder abgeben können; es durch Zellteilung (Reproduktion) zur stetigen Vermehrung kommt (mehrere Millionen neue Zellen pro Stunde); sie Reize empfangen und senden können. Neben diesen Gemeinsamkeiten von Zellen gibt es sogenannte zelltypspezi- fische Eigenschaften. Damit die vielen unterschiedlichen Körperfunktionen erfüllt werden können, haben sich die Zellen spezialisiert. Drüsenzellen z. B. auf die Sekretbildung, Spermien auf typische Bewegungen im weiblichen Geni- taltrakt oder Flimmerhärchen in der Luftröhre auf die Ausbildung spezieller Oberflächenbeschaffenheiten. Die Anzahl der in einem erwachsenen menschlichen Körper vorhandenen Zellen liegt bei 10 14 (100 Billionen), die Zellgröße schwankt zwischen 5 μm und 150 μm (1 μm = 0,000001 m). Nervenzellen können mit ihren Fortsätzen vom Gehirn bis zum Rückenmark sogar eine Länge von bis zu einem Meter erreichen. Auch die Form der Zellen ist nicht immer identisch. Nervenzellen sind stark verästelt, Eizellen eher rund, Muskelzellen spindelförmig und fase- rig, andere Zellen wiederum kubisch, platt oder zylindrisch. Der Aufbau und die Funktion von Muskelzellen werden im Kapitel 1.2.2.4 „Muskelgewebe“ ausführlich beschrieben. Zelltypspezifische Eigenschaften QV 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 14 Abb. 2 Beispiele für die Differenzierung menschlicher Zellen (MENCHE 2011, S. 28) Beispiele für die Differenzierung menschlicher Zellen Knochen- zellen Ephitel- zellen Flimmer- ephitelzellen Nerven- zellen Sinneszelle Samenzelle Knorpelzellen glatte Muskelzelle Bindegewebszelle Blutzelle Eizelle (stark verkleinert) Drüsenzelle Online-Campus Ein interaktives Lernelement hierzu finden Sie in Ihrem Online-Campus. 15 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 1.2.1.1 Bau und Funktion der menschlichen Zelle Abb. 3 Beispiele für die Differenzierung menschlicher Zellen (MENCHE 2011, S. 28) Mikrotubuli Mikrovilli Zentriol Zellkern Kernporen Mitochondrium Golgi-Vesikel Golgi- Apparat Zellkontakt zur Nachbar- zelle Durch Exozytose auszuschleusendes Sekretbläschen Raues Endo- plasmatisches Retikulum mit Ribosomen besetzt Kernkörperchen (Nukleolus) Glattes Endo- plasmatisches Retikulum Mikroskopisch lässt sich bei jeder Zelle ein Grundbauplan erkennen. Man sieht die Zellmembran (= Plasmalemm), das Zytoplasma (= Grundsubstanz), den Nucleus (= Zellkern), die Zellorganellen (= kleine „Organe“) als Bestandteile des Zytoplasmas. Im Folgenden werden die einzelnen Bausteine der Zelle erläutert: Die gesamte Substanz der Zelle wird von einer hauchdünnen Membran, der Zellmembran, umschlossen. Sie begrenzt das flüssige Zytoplasma und gibt der Zelle eine flexible Hülle. Außerdem dient sie dem Schutz des Zellinneren. Die Zellmembran wird auch als sogenannte Einheitsmembran bezeichnet. Grundbauplan Zellmembran 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 16 Die Zellmembran regelt die Stoffaufnahme und die -abgabe aus der Zelle. Ohne diese wäre Leben nicht möglich. Sie muss z. B. ebenso nicht mehr verwertbare Stoffwechselendprodukte sowie zelluläre Produkte wie Hormone oder Eiweiße aus der Zelle hinaustransportieren, aber auch gelöste Stoffe, z. B. Salze und Nährstoffe, in die Zelle hineinlassen können. Sie besteht aus zwei dünnen Schichten von Lipidmolekülen, die fettlösliche und wasserlösliche Bestandteile haben. Die fettlöslichen kleinen Schwänzchen der Lipidmoleküle sind einander zugewandt und bilden eine Barriere in der Mitte, die wasserlöslichen Köpfchen zeigen nach außen oder innen zur Zelle hin, sodass man im Mikroskop einen Dreischichtaufbau erkennen kann. Zusätzlich durchziehen Eiweißmoleküle die Lipidschicht, einige lagern sich außen an der Zellmembran an (sogenannte Transport- und Trägerproteine). An der nach außen gerichteten Seite der Lipidschicht heften sich noch Kohlen- hydrate an, die in ihrer Gesamtheit eine Hülle um die Zelle bilden, die Glyco- calix . Sie dient dem Schutz der Zelle und spielt eine Rolle bei vorübergehenden Zellkontakten. Aufgrund der nicht wasserlöslichen Barriere ist die Zellmembran nur für bestimmte Stoffe durchlässig. Man spricht von selektiver Permeabilität oder Semipermeabilität (= Halbdurchlässigkeit). Den Molekülen, die die Membran nicht so ohne Weiteres durchdringen können, kommen die Transport- und Trägerproteine zu Hilfe und bringen sie ins Zellinnere. Auch die meisten Organellen sind von Membranen umgeben. wasserlösliche Seite } wasserabweisende Seite Phospholipid- doppelschicht Carrier Transporteiweiß Kanal Glykocalix Außenseite der Zellmembran Innenseite der Zellmembran Abb. 4 Zellmembran (SCHWEGLER 2002, S. 4) 17 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 Der Zellkern (Nucleus) ist „der Kopf “ der Zelle, er reguliert den Zellstoffwech- sel und enthält verschlüsselt den größten Anteil der genetischen Information (= Erbanlagen) des Menschen in Form der DNA (Desoxyribonukleinsäure), die in 46 Chromosomen unterteilt ist, sowie die RNA (Ribonukleinsäure) und zahlreiche Proteine. Er ist von zwei Einheitsmembranen umgeben, der Kernhülle, die von zahlrei- chen Kernporen durchbrochen wird. Im Innern befindet sich noch ein kleines Kernkörperchen, der Nukleolus (in manchen Zellkernen auch mehrere), der eine wichtige Rolle bei der Riboso- menproduktion (siehe Organellen) spielt und aus Proteinen besteht. Der flüssige Anteil im Zellkerninnern heißt Nuklear-Sol (früher Karyolymphe) und besteht aus unterschiedlichen Proteinen. Fast alle Zellen haben einen Zellkern, manche zwei (Leberzellen), andere sehr viele (Skelettmuskelzellen über 1.000), rote Blutkörperchen z. B. verfügen jedoch über gar keinen Zellkern. Das Zytoplasma bezeichnet den gesamten Zellinnenraum ohne den Zellkern. Neben den Zellorganellen , die nachstehend erklärt werden, besteht es aus dem sogenannten Zytosol , einer zähen wässrig-salzhaltigen Lösung, die Fette, Kohlenhydrate und Proteine enthält. Im Zytosol finden die meisten Stoffwech- selvorgänge der Zelle statt. Zu den Zellorganellen (kleine Organe der Zelle) gehören die Ribosomen, das Endoplasmatische Retikulum (ER), der Golgi-Apparat, die Lysosomen, die Mitochondrien, das Zytoskelett (Zellgerüst) und die Zentriolen: Die Ribosomen sind kleine Körner, die im Zytoplasma, Mitochondrium oder gebunden am endoplasmischen Retikulum vorkommen. Sie bestehen aus einer kleinen und großen Untereinheit und sind der Ort der Proteinbiosynthese. Hier erfolgt die „Translation“, d. h. die Übersetzung des m RNA-Codes in die Aminosäuresequenz der Proteine (vgl. Kapitel 1.2.1.3 „Proteinbiosynthese“). Zellkern Zytoplasma Zellorganellen Ribosomen QV 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 18 Das Endoplasmatische Retikulum (lat.: reticulum; rete = Netz) stellt ein stark verzweigtes System aus Hohlräumen und Kanälchen dar. Ausgehend von der Kernhülle durchzieht es das gesamte Zytoplasma und ermöglicht schnelle Stoffwechsel- und Transportvorgänge. Man unterscheidet rauhes ER, das mit Ribosomen besetzt ist und vorwiegend zur Eiweißsynthese (Synthese = Auf- bau einer komplizierten Verbindung aus einfachen Stoffen) benötigt wird, von glattem ER, das nicht mit Ribosomen behaftet ist und der Lipidsynthese dient. Alle Zellen besitzen das ER, außer den roten Blutkörperchen. Der Golgi-Apparat befindet sich kernnah und wird aus der Summe mehrerer Membranstapel gebildet. An den Rändern der Stapel werden kleine Bläschen (Vesikel) abgeschnürt, deren Inhalt aus der Zelle durch die Zellmembran aus- geschleust wird. Die auszuscheidenden Stoffe (Vorstufen von Eiweißsekreten, Kohlenhydrate für die Glycocalix), die der Golgi-Apparat umwandelt, erhält er vom ER. Diese Ausscheidung erlangt vor allem in Drüsenzellen Bedeutung, da hier die Sekretabgabe Hauptfunktion ist. Zudem produziert der Golgi- Apparat die Lysosomen und ist für den Aufbau von neuen Membrananteilen verantwortlich, die zum Teil beim Ausschleusen aus der Zelle gleich mit der Zellmembran verschmelzen. Die Lysosomen sind membranumgebene Bläschen vom ER oder Golgi-Appa- rat. Sie enthalten zahlreiche Enzyme (= Eiweiße, die auch als Biokatalysato- ren bezeichnet werden und alle Stoffwechselreaktionen der lebenden Zelle beschleunigen, ohne dabei selbst chemisch verändert oder verbraucht zu wer- den), mit denen sie zellfremde Stoffe, z. B. Bakterien, und auch untauglich gewordene zelleigene Organellen auflösen und die Abbauprodukte dem Zyto- plasma wieder zuführen. Sie sind sozusagen die Verdauungsorgane oder die Recyclinginstitution der Zelle. Sie werden z. B. bei eitrigen Entzündungen tätig und heilen durch jene, die Zellauflösung bewirkenden Enzyme das kranke Gewebe. Mitochondrien sind kleine längliche Gebilde, die aus zwei Membranen beste- hen und im Inneren stark aufgefaltet sind. Mitochondrien werden auch als „Kraftwerke der Zelle“ bezeichnet, da sie das Adenosintriphosphat (ATP), eine Art biologischen Brennstoff, aus den drei Grundnahrungsstoffen – Proteine, Fette und Kohlenhydrate – produzieren. Das ATP ist der Energielieferant für alle Stoffwechselvorgänge der Zelle, für die Eiweißsynthese und für die Bewegung von Muskeln. Je mehr Mitochondrien eine Zelle aufweist, desto größer ist ihr Energiebedarf. Skelettmuskelzellen haben z. B. eine hohe Zahl an Mitochondrien, Knorpelzellen nur eine geringe. In den roten Blutkörperchen fehlen sie ganz. Endoplasmatisches Retikulum (ER) Golgi-Apparat Lysosomen Mitochondrien 19 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 Faden- und röhrenförmige Strukturen – die Mikrofilamente und Mikrotu- buli – bilden eine Art Skelett der Zelle, das Zytoskelett . Die Mikrofilamente bestehen aus den Proteinen Myosin und Aktin, die bei der Muskelkontraktion eine große Rolle spielen (vgl. Kapitel 1.3.3.1 „Muskellehre“). Die Mikrotubuli enthalten das Protein Tubulin und liegen verstreut über das ganze Zytoplasma. Sie bilden die Zentriolen. Neun parallel gelegene Röhrchen, die Mikrotubuli, bilden ein Zentriol (= Zen- tralkörperchen). Zentriolen finden sich meist paarweise nahe des Zellkerns. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Zellteilung, bei der sie Spindelfasern bilden, welche die Bewegung der Chromosomen beeinflussen. Zusätzlich zu den Zellorganellen gibt es in der Zelle häufig noch sogenannte Einschlüsse, genannt Paraplasma . Dieses speichert vorübergehend oder ganz Ablagerungen von Stoffwechselendprodukten, die weder ausgeschleust noch verwendet werden können, z. B. Pigmente und Reservestoffe wie Glykogen (eine Speicherform der Glukose), Lipide, die mit der Nahrung zuviel aufge- nommen wurden, und Proteine. 1.2.1.2 Intra- und extrazelluläre Flüssigkeiten Die einzelnen Zellen des Menschen sind zwar an sich selbstständig lebende Funktionseinheiten, können jedoch ohne den Gesamtorganismus „Mensch“ nicht überleben. Die Zellen stehen durch den Stofftransport aus und in die Zelle ständig in Kontakt zu der außerhalb der Zelle befindlichen Materie. Man unterscheidet also den sogenannten Intrazellulärraum mit der intrazel- lulären Flüssigkeit (das Zytosol in den Zellen) vom Extra zellulärraum (Raum außerhalb der Zellen, Außenmedium), der sich in drei Teilbereiche gliedert: der Plasmaraum (auch Intravasalraum): In den Blutgefäßen finden sich etwa 2,7 Liter Blutplasma. der interstitielle Flüssigkeitsraum (= Zwischenzellraum), in dem sich die extrazelluläre Flüssigkeit zwischen den einzelnen Körperzellen befindet und das ca. 10 l zähflüssige Substanz enthält, die die meisten Zellen umschließt der transzelluläre Raum, der ca. 2 l Flüssigkeit umfasst und den Liquor (= Flüssigkeit) von Gehirn und Rückenmark sowie die Gelenkflüssigkeit und das Kammerwasser der Augen meint Der menschliche Körper besteht zum größten Teil aus Wasser, bei einem Erwachsenen zu ca. 60 %, wobei etwa 30 l Körperwasser auf das Zytosol in den Zellen entfallen und ca. 15 l auf den Extrazellulärraum, dort wiederum der größte Teil auf das Interstitium, der Rest auf das Gefäßsystem. Zytoskelett QV Zentriolen Paraplasma Intrazellulärraum, Extrazellulärraum 1. Grundlagen der Anatomie © 02/2021 20 Abb. 5 Intra- und extrazelluläre Flüssigkeit (MENCHE 2011, S. 33) Intrazelluläre Flüssigkeit (“Zellwasser“) Extrazelluläre Flüssigkeit Gesamt: 15 Liter Verteilung: Transzelluläre Flüssigkeiten 2 Liter Interstitium 10 Liter 30 Liter Dazu gehört Lymphe Lymph- kapillare Gewebe- zelle Interstitieller Raum Weißes Blütkörperchen, das die Kapillarwand durchdringt Plasmaraum (Intravasalraum) 2,7 Liter Der Aufbau der Zelle ist mikroskopisch fein und hoch komplex, jeder Bestand- teil steht wieder in Abhängigkeit zu einem anderen. Pro Stunde werden mehrere Millionen Zellen neu gebildet, aber auch zerstört. Manche Zellen bestehen ein Leben lang und können nach ihrer Zerstörung nicht wieder produziert werden, z. B. Herzmuskelzellen nach einem Herzinfarkt oder Nervenzellen, die dem normalen Alterungsprozess zum Opfer fallen, aber auch krankhaft zugrunde- gehen können wie z. B. bei der Alzheimer- oder der Parkinson-Erkrankung. Andere Zellen werden stetig erneuert und haben dafür nur eine kurze Lebens- dauer, wie z. B. die roten Blutkörperchen oder die Dünndarmzellen. Wieder andere Zellen regenerieren sich noch bei Kindern, bei Erwachsenen jedoch nicht oder nur unvollständig, was z. B. für die Knorpelzellen zutrifft und bei Verletzung zu Gelenkbeschwerden führen kann. Sind einzelne Zellorganellen in ihrer Funktion gestört, können Erreger die Zellmembran passieren, oder treten an der DNS Fehler auf, kann dies schwere Krankheiten und körperliche wie auch geistige Einschränkungen zur Folge haben. Gesunde Zellen sind also die Basis für alle weiteren Lebensvorgänge und eine entsprechende Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Körpers.