Verkörperungen des Waldes Marcus Termeer (Dr. phil., M.A.) promovierte an der Universität Münster in Soziologie. Er lebt als freier Autor – Schwerpunkte: Kultursoziologie, Dialektik der Zivilisation – und Journalist in Münster. Marcus Termeer Verkörperungen des Waldes Eine Körper-, Geschlechter- und Herrschaftsgeschichte Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2005 transcript Verlag, Bielefeld Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Karl Blechen, »Waldrand bei anbrechendem Tag«, um 1831-1835 (Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto: Jörg P. Anders); © Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz Lektorat & Satz: Marcus Termeer Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-388-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zell- stoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de This work is licensed under a Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License. 5 Inhalt Vorwort 7 Einleitung 9 ̄ Wildnis ® hat eine Geschichte 14 Naturverhältnisse als Geschlechterverhältnisse 19 Körpertransformationen 21 Von aggregativen zu generativen Bedeutungsstrukturen 27 ̄ Innen ® und ̄ Außen ® 29 Verkörperungen ¤ Bilder: theoretische Begriffsbestimmungen 37 Das ̄ soziale Geschlecht ® der äußeren Natur Teil I: ̄ Weiblicher Wald ® 67 Schwankender Untergrund und Geilwuchs ¤ feuchte Wälder als Gegenwelten 79 Hexenbäume und Katzen 89 Ungezügelte Pflanzen und Reptilien 108 Sexualisierung als Taxonomie: Ordnung für den Geilwuchs 121 Böse Ausdünstungen aus dem Leib der Erde 132 Von der endgültigen Abschaffung des ̄ Matriarchats ® 147 Die weibliche Wildnis der ̄ neuen Welt ® 176 Zu erobernde Jungfrauen 180 Die totale Inversion männlicher Herrschaft: Kannibalinnen 190 Arkadischer Imperialismus 198 ̄ Weiblicher Wald ®¤ ̄ männlicher Wald ® 206 6 Das ̄ soziale Geschlecht ® der äußeren Natur Teil II: ̄ Männliche Wildnis ® 209 Wildnis und Kultur als diaphane Konstruktion 215 Die Asketisierung der »Wilden Leute« zu Urahnen 220 Die Junggesellengeburt eines »unvermischten Volkes« 232 Entgrenzungen ¤ Begrenzungen: der Herkynische Wald als Reterritorialisierung 236 Dämme 240 Das neue bürgerliche Subjekt entdeckt die Landschaft 245 Die Hure Babylon 258 Der Wald als ̄ reckenhafter ® Ort ist ein späteres Produkt 271 ̄ Deutscher Wald ® und ̄ Deutscher Wald ® 277 Forst I: Der Wald als Körper des Königs 278 Exkurs I: Diana im Blumentopf 300 Forst II: Der Wald als absolutistische Staats-Maschine 307 Verflechtungen 325 Tätige Geometrie 329 Die Logik der Maschine 339 Der Aufmarsch der ̄ Stände ® 348 Das Verschwinden von Werden und Vergehen 369 Der Aufmarsch der Soldaten 387 Exkurs II: Die (lasterhafte) Stadt als Frau und Wildnis 412 Der Wald als Ort des ̄ Daseinskampfes ® 440 Organismus versus Mechanismus? 441 ̄ Wildnis ® als Wurzel der Volksgemeinschaft und ̄ Wildniß ® als utopische ständische Idylle 457 Die Natur erhält ein Haus im Kampf ums Dasein 470 Der Wald als kämpferische Volksgemeinschaft 485 Den Wildwuchs transformieren: Idealbild Wald 499 Zur Erhabenheit verfeinert 502 ̄ Heilige Hallen ® I 513 Monströse Leiber zu idealschönen Körpern 524 Das Wirken des Maschinengotts 542 ̄ Heilige Hallen ® II 554 Die Schönheit der Ruinen 570 Bürgerliche Naturmystik 577 Ausleitung: Bilder dritter Ordnung 585 Abbildungsverzeichnis 605 Bibliographie 607 7 Vorwort Die vorliegende Publikation ist die leicht erweiterte Version meiner Dis- sertation, die 2004 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster unter dem Titel »Verkörperungen des Waldes. Dominante gesellschaftliche Naturbeziehungen in historisch wechselnden Bedeutungsräumen« angenommen wurde. Mein erster Dank geht an Prof. Dr. Hanns Wienold vom Institut für Soziologie für die Betreuung und Erstellung des Erstgutachtens in einer besonderen Situation. Sehr dankbar bin ich auch Prof. Dr. Hans-Jürgen Krysmanski für die kurzfristige Übernahme des Zweitgutachtens. Ohne das fachliche Know-how und das technische Equipment von Matthias Zölle hätte es keine Abbildungen gegeben. Herzlichen Dank. Meiner Mutter Margot Khodaverdi Ourmieh und meinem Vater Klaus Termeer bin ich überaus dankbar für die jeweilige Unterstützung, die sie mir gegeben haben. Simone Kannengieser hat mein Projekt von Anfang bis Ende be- gleitet, inhaltliche Fragen diskutiert, Korrektur gelesen und war bei computertechnischen Problemen eine unerlässliche Hilfe. Ihr, die mir so vieles erst ermöglicht hat, ist dieses Buch gewidmet. Münster, im Mai 2005 Marcus Termeer 9 Einleitung »Die Soziologie hat sich im Kern als Wissenschaft der modernen Industriege- sellschaft diszipliniert, womit praktische wie normative Prämissen und Basis- gewißheiten des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses in das fachliche Selbstverständnis übernommen wurden. Natur ¤ gedeutet als gesellschaftlich unberührte Außen- oder naturalisierte Innenwelt, als Reservoire und Ressource ¤ blieb in den Bezugsrahmen soziologischer Theoriebildung weitgehend aus- gespart bzw. als unhinterfragte Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.« 1 Angelika Poferl spricht von der Wichtigkeit einer Suche nach neuen »Zugängen, neuen Unterscheidungen und Verknüpfungen, mithilfe derer es erst gelingen kann, Leerstellen und ̄ blinde Flecken ® zu erhellen sowie nicht Wahrgenommenes sichtbar und Unverstandenes begreifbar zu machen«. 2 Matthias Groß untersucht die Scheu der Mainstream-Sozio- logie der letzten fünfzig Jahre gegenüber der materiellen Umwelt unter dem Diktum des Antinaturalismus. Ihm geht es darum nachzuweisen, dass in der klassischen Soziologie diese ̄ Naturvergessenheit ® nicht be- stand, so verweist er auf Marx © Begriff der Natur als unorganischem Körper des Menschen, Émile Durkheims Auffassung der Dinge als so- ziale Gegenstände oder Max Webers Überlegungen zum Zusammen- hang von protestantischer Ethik und Naturausbeutung. 3 1 Poferl, Angelika: Doing Gender, Doing Nature? Einführende Bemerkun- gen zur Intention des Bandes, in: Nebelung, Andreas et al. (Hg.): Ge- schlechterverhältnisse ¤ Naturverhältnisse Feministische Auseinanderset- zungen und Perspektiven der Umweltsoziologie. Opladen: Leske + Bu- drich 2001, S. 14. 2 Ebda., S. 10 f. 3 Vgl. Groß, Matthias: Die Natur der Gesellschaft. Eine Geschichte der Umweltsoziologie. Weinheim, München: Juventa 2001. V ERKÖRPERUNGEN DES W ALDES 10 Der Anspruch, Soziales mit Sozialem zu erklären, widerspricht einer Untersuchung der belebten und unbelebten Dinge in der Natur tat- sächlich nicht. So sollen im Folgenden mit einer Soziologie des Waldes gesellschaftliche Einschreibungen in den Natur-Dingen aufgespürt wer- den. Naturorte und ihr Inventar sind soziale Orte. Sie umfassen soziale Projektionen und Rückprojektionen. Dass dabei die Zurichtungen der ̄ inneren Natur ® des Menschen den Umgang mit ̄ äußerer Natur ® prägen, ist in unterschiedlicher Weise in den letzten dreißig Jahren untersucht und nachgewiesen worden, so hat etwa Rudolf zur Lippe den frühneu- zeitlich beginnenden Prozess gezeigt, in dem »die äußere Natur zum Projektionsfeld der Unterdrückung von innerer« wird. 4 Desgleichen aber wirkt diese äußere Natur auf die innere zurück. »In Wahrheit wird das Naturbild der gesellschaftlich bedingten Auffassung des Menschen nachgebildet und diese letztere dann, im Zirkel, wiederum aus dem Na- turbild erschlossen«, wie schon Franz Borkenau 1934 schreibt. 5 Ich untersuche gesellschaftliche Naturverhältnisse als ¤ um es mit Norbert Elias zu sagen ¤ »Interdependenzgeflechte«, 6 und damit auch die ̄ äußere Natur ® als historischen Prozess. Anders als die Zivilisations- theorie von Elias fasse ich den Prozess allerdings als qualitativen, dia- lektischen auf, nicht als strikt lineare »große Zivilisationskurve«, verlau- fend von weitgehender Unbefangenheit ¤ und desgleichen Desintegra- tion ¤ hin zu weitgehender Befangenheit ¤ und Integration (s.u.). Das bedeutet für mich genauer, die Zu- und Einschreibungen von ̄ Geschlecht ® in ihren historisch je unterschiedlichen Ausprägungen zu verfolgen. Naturorte werden damit abgebildet als »Topographien der Geschlechter« (Sigrid Weigel), 7 etwa in der Konstruktion ̄ weiblicher Wildnis ® (Sabine Schülting) 8 als der ̄ Anderen ® , der Bedrohung bzw. In- 4 Lippe, Rudolf zur: Naturbeherrschung am Menschen II. Geometrisierung des Menschen und Repräsentation des Privaten im französischen Absolu- tismus. Frankfurt/M: Syndikat 1979 (1914), S. 436 f. 5 Borkenau, Franz: Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Welt- bild, S. 304; zit. n. Lippe, a.a.O., S. 210f. 6 Vgl. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 1: Wandlungen des Verhal- tens in der weltlichen Oberschicht des Abendlandes. Bd. 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf einer Theorie der Zivilisation. Frankfurt/M: Suhrkamp 1995 18 (Basel 1939). Im Folgenden zit. als PDZ 1 bzw. 2. 7 Vgl. Weigel, Sigrid: Topographien der Geschlechter. Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur. Reinbek: Rowohlt 1990. 8. Schülting, Sabine: Wilde Frauen, fremde Welten. Kolonisierungsge- schichten aus Amerika. Reinbek: Rowohlt 1997 E INLEITUNG 11 version männlich definierter Ordnung (Monika Wehrheim-Peuker), 9 aber auch konträr in der Konstruktion ̄ männlicher Wildnis ® als ̄ Eige- ner ® innerhalb eines Musters, dieser männlichen Ordnung eine ̄ kämpfe- rische Ewiggültigkeit ® zu verleihen. Den menschlichen Körper als historisch-sozialen Prozess zu begrei- fen, bedeutet ebenso zu versuchen, Wahrnehmungen und Zuschreibun- gen von Körper-Formierungen bzw. unförmiger Leiblichkeit des Waldes aufzuspüren. Es besteht ein enger Zusammenhang zwischen den Trans- formationen des Körpers ¤ vom Besitzer je eigener ständischer ̄ Natur ® in vorbürgerlichen Gesellschaften hin zum physisch demokratisierten »Ausdrucksmedium« (Gunter Gebauer) 10 und zugleich zu zwei biolo- gisch begründeten und derart hierarchisierten Geschlechtern (Claudia Honegger; Thomas Laqueur; Londa Schiebinger) 11 in der bürgerlichen Gesellschaft ¤ und einer semantischen Verknappung. In vorbürgerlichen Gesellschaften gibt es offenbar, folgt man Peter Czerwinski und Michael Sonntag, eine Vielzahl von aggregativ, parataktisch angeordneten Be- deutungs-Räumen, während in der bürgerlichen Gesellschaft ein Raum besteht, in dem Bedeutung generativ aufgebaut ist. 12 Daraus ergeben sich Konsequenzen, was den Umgang mit und die Wahrnehmung von Natur-Orten betrifft. 9 Wehrheim-Peuker, Monika: Der Kannibale ¤ die Kannibalin. Zum Zu- sammenspiel von kolonialem und misogynem Diskurs, in Hanau, Ka- tharina et al. (Hg.): GeschlechterDifferenzen . Beiträge zum 14. Nach- wuchskolloquium der Romanistik (Greifswald, 4.-6. Juni 1998). Bonn: Romanistischer Verlag 1999. 10 Gebauer, Gunter: Ausdruck und Einbildung. Zur symbolischen Funktion des Körpers, in Kamper, Dietmar/Wulf, Christoph (Hg.): Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt/M: Suhrkamp 1982. 11 Vgl. Honegger, Claudia: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaft vom Menschen und das Weib 1750-1850. Frankfurt/M, New York: Campus 1991; Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Insze- nierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. Frankfurt/M, New York 1992; Schiebinger, Londa: Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft. Stuttgart: Klett-Cotta 1993 (Cambridge/Mass 1989). 12 Vgl. Czerwinski, Peter: Der Glanz der Abstraktion. Frühe Formen von Reflexivität im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung I. Frankfurt/M, New York: Campus 1989; Ders.: Gegenwärtigkeit. Simul- tane Räume und zyklische Zeiten, Formen von Regeneration und Genea- logie im Mittelalter. Exempel einer Geschichte der Wahrnehmung II. München: Wilhelm Fink Verlag 1993; Sonntag, Michael: »Das Verbor- gene des Herzens«. Zur Geschichte der Individualität. Reinbek: Rowohlt 1999. V ERKÖRPERUNGEN DES W ALDES 12 Dass Wildnis, Wald, Natur immer einer sozialen Konstruktion unterlie- gen, zeigt etwa Astrid E. Schwarz am Beispiel der Ökologie im ausge- henden 19. Jahrhundert, in der liberale, konservative und funktionale Gesellschaftsmodelle die jeweilige Matrix von ̄ Ökosystemen bilden. 13 Diese soziale Konstruktion, besser Produktion, deren ̄ Inhalt ® die in his- torischen Prozessen sich ändernden bzw. veränderten Weisen der sinn- lichen Wahrnehmungen sind, schließt die belebten und unbelebten Din- ge in der Natur ein. Diese ̄ Dinge ® sprechen, sind »praktischer Diskurs« insofern, als dass das in sie ̄ eingeflossene ® Denken und Fühlen sich in »verdinglichter Form« äußert (Martin Burckhardt). Es gibt demnach ei- ne sich historisch wandelnde »Psycho-Logik« der Dinge (Friedrich W. Heubach). 14 Wahrnehmung erzeugt Wahrnehmung. In der vorliegenden Studie neu ist eine systematische historische Spurensuche nach sozialen Einschreibungen und Rückprojektionen in den Natur-Dingen selbst. Baumarten, Ökosysteme und Tiere sowie Er- scheinungsbilder von Wäldern werden unter der Fragestellung beschrie- ben, welche Funktionen ihnen in unterschiedlich konnotierten Gegen- welten (Unorten oder Idyllen) und Berufungsinstanzen zukommen. Daher musste ich u.a. auf kulturgeschichtliche, ältere ethnobotani- sche, auch populärwissenschaftliche Kompendien zurückgreifen, was sich nicht immer als unproblematisch erwiesen hat, da hier oft Vermen- gungen unterschiedlicher historisch-semantischer Ebenen aufgelöst wer- den mussten. Der Ansatz der Arbeit ist notwendigerweise ein interdiszi- plinärer; soziologische, historische, philosophische, ethnologische, lite- raturwissenschaftliche, kunstwissenschaftliche Studien wurden genauso herangezogen wie Quellen aus der Botanik, der Forstwissenschaft, der Evolutionsbiologie, aus Religion und Mythologie, Literatur und bilden- der Kunst, um die wichtigsten zu nennen. Die Notwendigkeit einer soziologischen Beschäftigung mit der Um- welt wird begründet mit nach wie vor massiver weltweiter Umweltzer- störung. Die Aneignung und Zerstörung natürlicher Lebensräume aus ökonomischen Motivpräferenzen bzw. Zwängen lässt sich ¤ auch in his- torischer Betrachtung ¤ nicht in Frage stellen. Nun hat schon Friedrich Engels darauf hingewiesen, dass nach »materialistischer Geschichtsauf- fassung [...] das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Ge- 13 Vgl. Schwarz, Astrid E.: Wasserwüste ¤ Mikrokosmos ¤ Ökosystem. Eine Geschichte der »Eroberung« des Wasserraums. Freiburg/Br: Rombach 2003. 14 Burckhardt, Martin: Metamorphosen von Raum und Zeit. Eine Geschichte der Wahrnehmung. Frankfurt/M, New York: Campus 1994; Heubach, Friedrich W.: Das bedingte Leben. Theorie der psycho-logischen Gegen- ständlichkeit der Dinge. München: Wilhelm Fink Verlag 1996. E INLEITUNG 13 schichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens« sei, aber: »Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichts- sagende, absurde Phrase.« 15 »Die Ideologie jeder gesellschaftlichen For- mation hat nicht nur die Funktion, den ökonomischen Prozeß dieser Ge- sellschaft zu spiegeln« ¤ schreibt Wilhelm Reich 1933 ¤ , »sondern viel- mehr auch die, ihn in den psychischen Strukturen dieser Gesellschaft zu verankern«. 16 Hier soll es aber nicht um eine verkürzte Repressionshy- pothese, um die Umweltzerstörung als ̄ Außenpolitik ® innerer Repres- sion gehen, sondern, mit Michel Foucault argumentiert, um Re-Produk- tion, genauer, die Verwandlung vitaler Bedürfnisse in Herrschaftstech- niken, um Ausübung und Einschreibungen von Macht, um verwandeln- de Zugriffe, in denen eine ̄ äußere Natur ® entsteht, die dem »Haushalt des Begehrens« (Dietmar Kamper) entspricht. 17 Ich grenze den Untersuchungsgegenstand in zweifacher Weise ab. Zum einen befasse ich mich mit Entwicklungen, die Landschaftsbilder her- vorrufen, wie sie im 19. Jahrhundert anzutreffen sind. Begründet ist das in aktuellen ̄ Zielkonzepten ® in Naturschutz und ̄ Umweltplanung ® , die sich an ̄ Biotopausstattungen ® , wie sie Anfang des 20. Jahrhunderts exi- stiert haben sollen, orientieren, bzw. daran, dass die extensiv bewirt- schafteten Kulturlandschaften des 18. und 19. Jahrhunderts besonders den ̄ ästhetischen Ansprüchen ® an die Umwelt gerecht würden und daher die bevorzugten Naherholungslandschaften seien. Ökologisch wird diese Auffassung gestützt mit der Begründung, dass im 19. Jahrhundert die größte Artenvielfalt anzutreffen sei. 18 Zum anderen beschäftige ich mich mit Dominanzverhältnissen, mit Einschreibungen von Macht bzw. Wahrnehmung von Bedrohung dersel- ben, d.h. dass oppositionelle Konzepte hier nur teilweise gestreift oder aber als Argumentationsbasis verwendet werden, ansonsten aber nicht in den Rahmen meiner Untersuchung gehören. 15 Engels, Friedrich: Brief an J. Bloch (1890), in: MEW 37. Berlin (O): Dietz 1968, S. 463f. 16 Reich, Wilhelm: Die Massenpsychologie des Faschismus. Köln: Kiepen- heuer & Witsch 1986 (Kopenhagen 1933/Maine 1942), S. 39. 17 Kamper, Dietmar: Unmögliche Gegenwart. Zur Theorie der Phantasie. München: Wilhelm Fink Verlag 1995, S. 73. 18 Vgl. Ausleitung. V ERKÖRPERUNGEN DES W ALDES 14 ̄ W i l d n i s ® h a t e i n e G e s c h i c h t e Die gängigen Dichotomien von Kultur und Natur, Zivilisation und Wild- nis behaupten eine wechselseitige Abgegrenztheit und Unverbundenheit. Bereits am Wald der mitteleuropäischen Steinzeit lässt sich aber zeigen, dass Durchdringungen der ̄ Wildnis ® , gesellschaftliche Transformationen der Wildnis ¤ und seien sie weder bewusst noch geplant noch direkt ¤ stattgefunden haben. Das Bild eines ̄ unberührten ® , eines »völlig natürliche[n]« Waldes in Mitteleuropa ist bekannt. Der in Naturschutz und Forstwissenschaft da- für gängige Begriff ist der der »potentiellen natürlichen Vegetation«, die ¤ von ̄ Sonderstandorten abgesehen ¤ dominiert werde von Buchenwäl- dern. Hansjörg Küster hat anhand von Pollenanalysen dargestellt, dass die Auffassung doppelt unhaltbar ist. Illusorisch sei schon die mit der »potentiellen natürlichen Vegetation« implizierte Entwicklung »ein[es] völlig natürliche[n] Bild[es]« bei sich selbst überlassenen Wäldern. Be- reits »etwa 7000 Jahre lang« sei die mitteleuropäische Umwelt anthro- pogen beeinflusst, und damit deutlich länger »als allgemein angenom- men«. Ein »wirklich natürlich zu nennender Wald« sei an menschlichen Siedlungsorten infolge von Rodungen und Ackerbau nirgendwo mehr entstanden. »Prähistorisches [...] Siedelwesen hielt sich über Jahrtausende. Die Zusam- mensetzung der Wälder änderte sich dadurch tiefgreifend; immer wieder wa- ren neue Waldparzellen gerodet worden, und die Wälder hatten sich nach eini- gen Jahrzehnten der Nutzung immer wieder geschlossen. Der jungfräuliche Urwald kam nie wieder zurück; Veränderungen des Waldbildes, die sich viel- leicht auch ohne Einfluß des Menschen abgespielt hätten, liefen nun auf jeden Fall beschleunigt ab. Nach einigen Jahrtausenden hatte sich das Aussehen des Waldes in Mitteleuropa vollständig gewandelt; er war schon damals nur noch Teil einer Natur aus zweiter Hand.« 19 Buchenwälder beginnen »in vielen Gegenden Mitteleuropas genau in der Zeit häufiger zu werden [...], in der die Besiedlung durch den vorge- 19 Küster, Hansjörg: Geschichte des Waldes. Von der Urzeit bis zur Gegen- wart. München: C.H. Beck 1998, S. 90ff. Vergleichbares findet sich bei Joachim Radkau und Ingrid Schäfer bezüglich tropischer Wälder. Dem- nach sei schon in den 60er Jahren darauf hingewiesen worden, dass es sich bei derartigen ̄ Urwäldern ® »häufig um Sekundärwälder, die im Ge- folge von Brandrodungen entstanden sind«, handele; vgl. Radkau, Jo- achim/Schäfer, Ingrid: Holz. Ein Naturstoff in der Technikgeschichte. Reinbek: Rowohlt 1987, S. 31 E INLEITUNG 15 schichtlichen Ackerbauern begonnen hatte«, wenn auch »nur allmäh- lich«. 20 Hingegen habe der » ̄ echt natürliche ® Wald vor der Siedlungs- gründung« aus vielen »Ulmen, Eichen und Haselbüschen« bestanden. Dieser habe sich aber, trotz wiederkehrender völliger Aufgabe von Sied- lungsflächen, nie mehr eingestellt. Im »Wald, der Natur aus zweiter Hand war, gab es kaum noch Ulmen, aber viele Buchen«. Mit Beginn der Zyklen von »Rodungen, Aufgeben von Siedlungen und Neubildun- gen von Wäldern« sei in der Jungsteinzeit die Ausbreitung der Buchen zunächst im südlichen Mitteleuropa begünstigt worden. Buchen seien zu dieser Zeit bereits in »einigen höheren Mittelgebirgen Süddeutschlands« vorgekommen. Von dort seien die Früchte offenbar von Tieren in die ehemaligen Rodungsflächen der Niederungen gebracht worden, wo sich Buchen allmählich ausbreiten konnten und »den generellen Charakter des Waldes mit der Zeit veränderten«, insbesondere wegen des Schattens, den sie werfen. 21 Dass sich eine ursprüngliche Wildnis nie mehr eingestellt hat, erklärt Küster so: »Jeder Fleck in der Landschaft wird nicht nur durch die mo- mentan herrschenden Gegebenheiten geprägt, sondern auch durch das, was sich früher auf ihm abgespielt hat; man kann sagen, die Landschaft hat ein ̄ Gedächtnis ® für das, was sich früher in ihr ereignet hat und auch für das, was die Kultur des Menschen mit sich brachte.« So könne man ehemalige Viehrastplätze am Bewuchs von stickstoffliebenden Gewäch- sen wie dem schwarzen Holunder identifizieren. 22 In älteren Darstellungen der Ökologiegeschichte setzt die anthropo- gene Veränderung der Umwelt erst im Mittelalter ein, so ist nach Charles R. Bowlus Europa um das Jahr 1000 »ein Meer von Wäldern mit nur einzelnen Inseln menschlicher Besiedlung«. Dreihundert Jahre später »jedoch gab es demgegenüber fast überall Dörfer und fast nir- gendwo Wälder«. 23 Rolf-Jürgen Gleitsmann hat in dieser Weise sechs Phasen der Waldnutzung beschrieben, darunter die abwechselnden groß- flächigen Rodungen seit dem Hochmittelalter und die mehrfache Rück- kehr des Waldes als »Wüstungen« infolge der Pest des 14. Jahrhunderts und später des Dreißigjährigen Kriegs. Danach ist der Wald erst seit der frühen Neuzeit anthropogen geprägt, in seiner Baumartenzusammenset- 20 Küster, a.a.O., S. 87f. Vgl. Kap. ̄ Heilige Hallen ® I. 21 Ebda., S. 88ff. 22 Ebda., S. 90f. 23 Bowlus, Charles R.: Die Umweltkrise im Europa des 14. Jahrhunderts, in: Sieferle, Rolf Peter (Hg.): Fortschritte der Naturzerstörung. Frankfurt/M: Suhrkamp 1988, S. 15. V ERKÖRPERUNGEN DES W ALDES 16 zung zum Teil bewusst oder aufgrund übernutzter und ausgelaugter Bö- den stark verändert. 24 Selbst im praktischen Sinn lässt sich unter Rückgriff auf Küster zeigen, dass eine Landschaft, die als Wildnis wahrgenommen wird, menschliche Einschreibungen ̄ speichert ® . Auffassungen vermeintlicher Unberührtheit geraten damit ebenso ins Rutschen wie solche, dass bis zum Ende des Mittelalters Menschen einseitig unter der Herrschaft der Natur existiert hätten. In Wildbeutergesellschaften, schreibt der Ethnologe Klaus E. Müller, leben die Menschen »gewissermaßen von der Hand in den Mund. Sie bedienen sich wie nach Belieben am reich gedeckten Tisch ¤ so jedenfalls könnte es scheinen«. 25 Einschränkend werden hier klimati- sche und territoriale Gründe genannt. Im gemäßigten Klima Europas der ̄ Steinzeit ® (ebenso in den Subtropen und Tropen) aber scheint die Er- nährung ¤ überwiegend »Sammelkost«, in sehr viel geringerem Maß Fleisch und Fisch 26 ¤ grundsätzlich mindestens ausreichend gewesen zu sein. Der Vorteil einer »unspezialisierten Wild- und Feldbeuterei« ist hier ein doppelter. Es wird gegessen, was die Umgebung hergibt: Pflan- zen, Wurzeln, Früchte, Pilze, Honig, kleine und größere Tiere, Fisch. Da diese »sich in räumlicher wie in artenspezifischer Hinsicht zumeist in bestimmter Weise verteilt« finden, »nötigt« das die Menschen zu einer »gewissermaßen ̄ nomadischen ® Lebensführung«. Was aber dazu befä- higt, bei erschöpften Nahrungsquellen in andere Gebiete zu wandern. So ist »das Leben dieser Menschen tatsächlich weitgehend krisenfest«. 27 Wenn auch offenbar nur in den fest definierten Grenzen der jeweiligen eigenen Territorien einzelner »Familien, Lokalgruppen oder übergeord- nete[r] Einheiten«. 28 Die ̄ Natur ® ¤ im je eigenen Territorium ¤ scheint hier demnach nicht als bedrohliche wahrgenommen worden zu sein. 29 24 Vgl. Gleitsmann, Rolf-Jürgen: Und immer wieder starben die Wälder. Waldnutzung und Energiewirtschaft in der Geschichte, in: Calließ, Jörg et al. (Hg.): Mensch und Umwelt in der Geschichte. Pfaffenweiler: Centau- rus 1989. 25 Müller, Klaus E.: Die bessere und die schlechtere Hälfte. Ethnologie des Geschlechterkonflikts. Frankfurt/M, New York: Campus, S. 37. 26 Ebda., S. 36. 27 Ebda., S. 27f. 28 Ebda., S. 37. Nach Müller ist das Betreten oder Durchqueren fremder Ter- ritorien nur nach vorhergehender Erlaubnis der Besitzer möglich. Andern- falls komme es sofort zu Waffengewalt. »Die meisten quasi ̄ kriege- rischen ® Auseinandersetzungen unter Wildbeutern hatten in derartigen Grenzkonflikten ihren Anlaß. Sie bedeuteten eben eine Bedrohung der Existenzfähigkeit; denn die Sammel- und Jagdgründe einer wildbeuteri- E INLEITUNG 17 Das ändert sich in den folgenden, agrikulturellen Gesellschaften ¤ erstmals ca. 8000 v.u.Z. in Vorderasien gegründet, aber auch in den folgenden Jahrtausenden noch kaum verbreitet ¤ , deren zwingende Basis die Sesshaftigkeit ist. Diese ̄ Emanzipation ® aus der Abhängigkeit von der Natur verschärft andererseits spezifisch die Abhängigkeit; ein Aus- weichen in andere Territorien ist ohne Weiteres nicht mehr möglich bzw. stark eingeschränkt. Der ̄ Ausstieg ® aus den Vorgaben der Natur per Aufgabe des ̄ Nomadischen ® lässt die ̄ Kräfte der Natur ® bedrohlich werden (zumindest die Bedrohung deutlich steigen), da nun der Natur als Immobilie abgerungen werden muss, was zuvor um den ̄ Preis ® der Mobilität einfacher zu haben war, und die Immobilie als solche zur stets durch Naturkräfte gefährdeten wird. Wo Nahrungsmittel menschlicher Produktion entspringen, erhalten sie tendenziell einen vorher so nicht gehabten Wert. Der »perennierende[] Proze[ß], der Natur zu Stoff und Materie machte« 30 ¤ wie Max Horkheimer und Theodor W. Adorno for- mulieren ¤ zu handhab-, veränder-, steuerbaren Dingen, bringt einerseits eine Verfeinerung und Ausweitung des Speiseplans. Andererseits aber wird in gleichem Maß die ̄ Eigenregung ® der Natur, zuvor noch unerlässliche Voraussetzung der Subsistenzsicherung, nun als Kampfan- sage ans menschlich Produzierte wahrgenommen. So entsteht ein ̄ Keim ® zivilisatorischer Dialektik. Die Progression durch Arbeitsteilung ¤ hier zunächst zwischen Männern und Frauen ¤ ist zugleich Regression, weil unbestreitbare Einengung von Frauen aufs bloß Reproduzierende, ins häusliche Umfeld. Diese ¤ zumindest ¤ er- hebliche Vergrößerung des hierarchischen Geschlechter-Gefälles hat eindeutige Tendenzen: Männer werden nun um so mehr zu Eroberern der Welt außerhalb der unmittelbaren Lebenswelt. Sesshaftigkeit als Zurückbleiben wird zum kennzeichnenden Prinzip des Weiblichen, ein- gehegt wie die Gärten, in denen sie arbeiten. Die Herrschaft über die Na- tur wird damit eine umfänglich männliche. »Jeder Versuch, den Naturzwang zu brechen, indem Natur gebro- chen wird, gerät nur um so tiefer in den Naturzwang hinein. So ist die Bahn der europäischen Zivilisation verlaufen«, fassen das im Zeitraffer schen Gesellschaft bilden praktisch die alleinige Basis ihres Unterhalts- erwerbs, ihr Produktionsmittel schlechthin .« 29 Müller spricht sehr wohl von beängstigend wahrgenommenen Exosphä- ren, von vegetationslosen Orten, wo »Unheilsmächte« regieren (ebda., S. 349). Aber das scheint mir nicht dasselbe zu sein wie die spätere Bedro- hung der sesshaften Produktionsprozesse. 30 Horkheimer, Max/Adorno, Theodor W.: Dialektik der Aufklärung. Philo- sophische Fragmente. Frankfurt/M: Fischer 1993 (1969/Los Angeles 1944), S. 248. V ERKÖRPERUNGEN DES W ALDES 18 Horkheimer/Adorno zusammen. 31 Aber noch handelt es sich um sehr frühe Geschichte. Noch wird über Jahrhunderte die äußere Natur nicht als beherrschte gelten, wird damit ¤ im ̄ Abendland ® zumal ¤ eine ̄ Gar- tenkultur ® jenseits bloßer Nutzflächen, wird der Garten als Ver körpe- rung der Beherrschung noch auf sich warten lassen. In Pflanzergesellschaften sind »neben den Pflanzungen weiter drau- ßen« bereits Gärten »direkt beim Haus oder in der unmittelbaren Umge- bung des Dorfes« angelegt worden, »die sich also noch im engeren Tä- tigkeitsbereich der Frauen befinden und daher auch ausschließlich von ihnen betreut werden«. Hier wird schon relativ intensiv angebaut ¤ Ge- müse, Kräuter, Gewürze ¤ , »verschiedentlich gedüngt« und durchaus mit »Sorgfalt« gepflegt. 32 Mit dem Aufkommen bäuerlicher Gesell- schaften gewinnt die Gartenarbeit wesentlich an Bedeutung. Das hier von Frauen »angebaute Gemüse und Obst deckt in der Regel einen nicht unerheblichen Teil des familiären Eigenbedarfs. Und häufig [...] werden auch Blumen gezogen, deren Pflege natürlich ebenfalls Sache der Frauen ist«. »Bauernkulturen« ¤ kennzeichnend sind »extensive[r] Dau- erfeldbau mit regelmäßigen, gezielten Bodenverbesserungsmaßnahmen (insbesondere mittels Düngung)«, Bodenbearbeitung mit dem Pflug ¤ betreiben Viehhaltung und Ackerbau, hauptsächlich von Getreide und Hackfrüchten. Die bäuerliche Ökonomie »bildete sich mit den archai- schen Hochkulturen Altvorderasien[s] heraus«. Als Überschusswirt- schaft ermöglicht sie die Existenz anderer, von ihr abhängiger Bevölke- rungsgruppen, mithin die Entstehung städtischer Gesellschaften. 33 Neueste Funde legen nahe, dass es nicht ̄ Lebensnot ® war, die zur bäuerlichen Kultur, zur Sesshaftigkeit zwang, sondern dass es der Kult, die Religion war, die Siedlungs- bzw. Städtebau hervorgerufen hat. Das zumindest schließt das Deutsche Archäologische Institut Berlin aus den Ausgrabungen der Siedlung Görekli-Tepe in Ost-Anatolien. Der Ort aus steinernen Häusern und Kultstätten sei rund 9000 v.u.Z. errichtet wor- den, zu Zeiten noch wildbeuterischer Gesellschaften. 31 Ebda., S. 19. 32 Müller, a. a. O., S. 44. 33 Ebda., S. 58f. E INLEITUNG 19 N a t u r v e r h ä l t n i s s e a l s G e s c h l e c h t e r v e r h ä l t n i s s e »Die Interpretation und Verortung von Weiblichkeit in den komplementär und hierarchisch gedachten Restkategorien von Privatheit/Natur/Irrationalität im Gegensatz zu männlich codierter Öffentlichkeit/Kultur/Rationalität weist diese als ̄ gesellschaftsabgewandte ® Seite der Geschlechterdifferenz sowie im kon- kreten Fall weiblicher Zuwendung, Tätigkeit und Arbeit als ̄ Naturressource ® aus. Auch wenn Grenzen der Übertragbarkeit bestehen, so sind beide The- menfelder von einer systematisch erklärbaren theoriepolitischen und wissen- schaftshistorischen Randständigkeit geprägt.« 34 Wahrnehmung und Zuschreibung der Weiblichkeit von zu erobernden Landschaften, einer nährenden Mütterlichkeit der Natur usw. sind be- reits häufiger untersucht und dargestellt worden. Landschaften wird eine ̄ Jungfräulichkeit ® zugeschrieben, sie erscheinen als noch nicht Beses- sene, die daher auf ihre Entdeckung warte ¤ das » Unentdeckte enthält schon im Begriff das Ziel der Entdeckung, zur Vorstellung wird es über- haupt erst über deren Antizipation« 35 ¤ , auf ihre Eroberung und Be- fruchtung/Kultivierung. Andererseits werden Landschaften zum »Mut- ter-Land« allegorisiert, als in rechtmäßigem Besitz Befindliche. 36 ̄ Un- berührtheit ® und ̄ Jungfräulichkeit ® für Landschaften und Wälder sind Begriffe, die die Wahrnehmung von (vorgeblich) wilder ̄ äußerer Natur ® als ̄ weiblich ® deutlich machen. Derartige Orte haben keinen Besitzer, können bzw. müssen ̄ erobert ® , ̄ penetriert ® , ̄ befruchtet ® und ̄ kultiviert ® werden. 37 Das heißt auch, sie müssen aus einer Situation des ̄ wu- chernden Stillstands ® befreit, und in einen Zustand des ̄ geordneten Fort- schritts ® überführt werden. 38 Daran werde ich anknüpfen, darüber hinaus aber zu zeigen versu- chen, dass geschlechtliche Konnotationen bzw. Kategorien auch in ande- rer Weise wirksam sind. Zum einen darin, dass einzelne Dinge weibliche Eigenschaften haben können, so z.B. bestimmte Bäume und ihre Um- gebung. Das gilt insbesondere für von Wasser oder Sumpf geprägte Wälder und die dort vorkommenden Tier- und Pflanzenarten. Hiermit werden in der frühen Neuzeit immer wieder dämonische Kräfte, Hexen 34 Poferl, a.a.O., S. 14. 35 Weigel, a.a.O., S. 124. 36 Vgl. Kap. Die weibliche Wildnis der ̄ neuen Welt ® 37 Vgl. ebda. 38 Vgl. Kap. Das Verschwinden von Werden und Vergehen.