VERÖFFENTLICHUNGEN DER KOMMISSION FÜR NEUERE GESCHICHTE ÖSTERREICHS Band 115 Kommission für Neuere Geschichte Österreichs Vorsitzende: em. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl Stellvertretender Vorsitzender: Univ.-Prof. Dr. Reinhard Stauber Mitglieder: Dr. Franz Adlgasser Univ.-Prof. Dr. Peter Becker Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Bruckmüller Univ.-Prof. Dr. Laurence Cole Univ.-Prof. Dr. Margret Friedrich Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Garms-Cornides Univ.-Prof. Dr. Michael Gehler Univ.-Doz. Mag. Dr. Andreas Gottsmann Univ.-Prof. Dr. Margarete Grandner em. Univ.-Prof. Dr. Hanns Haas Univ.-Prof. i. R. Dr. Wolfgang Häusler Univ.-Prof. i. R. Dr. Ernst Hanisch Univ.-Prof. Dr. Gabriele Haug-Moritz Dr. Michael Hochedlinger Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt Mag. Thomas Just Univ.-Prof. i. R. Dr. Grete Klingenstein em. Univ.-Prof. Dr. Alfred Kohler Univ.-Prof. Dr. Christopher Laferl Gen. Dir. Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Maderthaner Dr. Stefan Malfèr Gen. Dir. i. R. H.-Prof. Dr. Lorenz Mikoletzky Dr. Gernot Obersteiner Dr. Hans Petschar em. Univ.-Prof. Dr. Helmut Rumpler Univ.-Prof. Mag. Dr. Martin Scheutz em. Univ.-Prof. Dr. Gerald Stourzh Univ.-Prof. Dr. Arno Strohmeyer Univ.-Prof. i. R. Dr. Arnold Suppan Univ.-Doz. Dr. Werner Telesko Univ.-Prof. Dr. Thomas Winkelbauer Sekretär: Dr. Christof Aichner Christof Aichner, Brigitte Mazohl (Hg.) Die Thun-Hohenstein’schen Universitätsreformen 1849–1860 Konzeption – Umsetzung – Nachwirkungen 2017 BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR Veröffentlicht mit Unterstützung des Austrian Science Fund ( FWF ): PUB 397-G28 Open Access: Wo nicht anders festgehalten, ist diese Publikation lizenziert unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 4.0; siehe http://creativecommons.org/licenses/ by/4.0/ Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Leo Graf von Thun und Hohenstein; Lithografie von Josef Kriehuber ÖNB Inv. Nr. PORT-00123648_01 © 2017 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H. & Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Satz: Bettina Waringer, Wien Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Druck und Bindung: General Druckerei, Szeged Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU 978-3-205-20411-4 Die in den Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs gemachten Aussagen sind die der jeweiligen Verfasser, nicht die der Kommission. INHALT Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung C hristof A iChner , B rigitte M Azohl „Für Geist und Licht! ... Das Dunkel schwand!“ Die Thun-Hohenstein’schen Universitätsreformen . . . . . . . . . . . . . 13 W Alter h öfleChner Die Thun’schen Reformen im Kontext der Wissenschaftsentwicklung in Österreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Konzeption der Reformen f rAnz l eAnder f illAfer Leo Thun und die Aufklärung Wissenschaftsideal, Berufungspolitik und Deutungskämpfe . . . . . . . 55 M itChell g. A sh Wurde ein „deutsches Universitätsmodell“ nach Österreich importiert? Offene Forschungsfragen und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 t hoMAs M Aisel Lehr- und Lernfreiheit und die ersten Schritte zu einer Universitäts- und Studienreform im Revolutionsjahr 1848 . . . . . . . 99 Die Umsetzung der Reformen A lois K ernBAuer Prinzipien, Pragmatismus und Innovation: Die Umsetzung der Thun’schen Reform an der Universität Graz . . . 121 6 C hristof A iChner Aspekte der Thun’schen Reformen an der Universität Innsbruck . . . 153 M ilAdA s eKyrKová Die Thun’schen Reformen an der Prager Universität . . . . . . . . . . 179 M AriA s tiniA Die Jagiellonen-Universität in der Ära des Ministers Leo Thun (1849–1860) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 A ttilA s zilárd t Ar Die ungarischen Rechtsakademien in den 1850er-Jahren . . . . . . . 222 l ászló s zögi Die Veränderungen des ausländischen Universitätsbesuches ungarländischer Studenten in der Zeit der Thun’schen Reformen 1849–1860 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 A lessAndrA f errAresi The mixed fortunes of the university reforms in Lombardy-Venetia after 1850. The case of Pavia . . . . . . 258 v AlentinA C hieriChetti , s iMonettA P olenghi Die Thun-Hohenstein’sche Reform und das lombardo-venetianische Gymnasialsystem. Aspekte und Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Nachwirkungen und Rezeption der Reformen J An s urMAn Leon (sic!) Thun in der polnischen Historiografie: zur Tradition der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . 317 J ohAnnes f eiChtinger , f rAnz l eAnder f illAfer Leo Thun und die Nachwelt Der Wissenschaftsreformer in der österreichischen Geschichts- und Kulturpolitik des 19. und 20. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 347 7 Verzeichnisse und Register Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Literatur- und Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 VORWORT Als Leo Thun-Hohenstein, dessen Universitätsreformen für den Raum der Habsburgermonarchie in diesem Band untersucht werden, im Sommer 1854 die Universität Innsbruck besuchte, wurden ihm von den Studenten der Uni- versität mehrere Lieder und Gedichte vorgetragen, die den Minister als Hel- den und neuen Prometheus feierten. So wie der antike Held den Menschen das Feuer – habe Thun durch seine Universitätsreform den Studenten das Licht der Aufklärung geschenkt. Daher wurde als Titel der Tagung, aus der dieser Band hervorgegangen ist, auch programmatisch eine Zeile dieses Ge- dichts verwendet: „Für Geist und Licht! ... Das Dunkel schwand!“ Schon die Zeitgenossen empfanden die Universitätsreform als tiefe Zäsur in der Entwicklung der österreichischen Universitäten. Allerdings wurde dieser Einschnitt nicht von allen Zeitgenossen so überschwänglich positiv beurteilt wie dies die Innsbrucker Studenten zum Ausdruck gebracht hat- ten. Seither wird die Geschichtsschreibung zu Leo Thun und dessen Refor- men von Ambiguitäten beherrscht, was auch in den Beiträgen dieses Ban- des deutlich sichtbar wird. Um die unterschiedlichen Einschätzungen der Reformpolitik auf eine breite Quellenbasis zu stellen, wurde daher seit dem Jahr 2010 in Innsbruck ein vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gefördertes Forschungsprojekt durchgeführt, in welchem die Korrespondenz des Ministers transkribiert und digital ediert wurde. Das Projekt ist nunmehr weitgehend abgeschlossen und hiermit werden – neben der Edition der Korrespondenz, die im Internet zugänglich ist – einige Er- gebnisse dieses Projektes veröffentlicht. Eine gedruckte Auswahledition zu den wichtigsten Fragen der Universitätsreformen ist außerdem in Vorberei- tung. An dieser Stelle gilt es jedoch, einige Worte des Dankes zu auszusprechen: Zunächst sei allen Autorinnen und Autoren gedankt, die ihre Beiträge für diesen Band zur Verfügung gestellt haben und die dadurch zum Teil auch zu den ersten Nutzern und Nutzerinnen der Edition der Thun’schen Kor- respondenz wurden. Außerdem möchten die Herausgeber ihrer früheren Kollegin Tanja Kraler danken, die vier Jahre an der Edition der Korrespon- denz mitgearbeitet und auch die Tagung maßgeblich mit geplant und ver- anstaltet hat. Ein besonderer Dank gebührt auch Christian Eugster, der die digitale Edition mehrere Jahre begleitet und die technische Infrastruktur für die Edition geschaffen hat. Der Kommission für Neuere Geschichte Ös- terreichs , die auch das Projekt zur Edition der Thun’schen Korrespondenz sowohl finanziell als auch ideell jahrelang gefördert hat, möchten wir für die Aufnahme das Bandes in die Reihe der Veröffentlichungen der Kommission danken. Ein großes Dankeschön möchten wir Margarete Titz, Ursula Huber und Julia Beenken vom Böhlau Verlag aussprechen, die das Buchprojekt von Seiten des Verlags begleitet haben. Nicht zuletzt gilt unser Dank dem Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) , der die Herausgabe des Bandes durch eine finanzielle Förderung ermöglichte. Christof Aichner, Brigitte Mazohl Innsbruck, im Herbst 2016 10 Einleitung Christof Aichner, Brigitte Mazohl „FÜR GEIST UND LICHT! ... DAS DUNKEL SCHWAND!“ 1 Die Thun-Hohenstein’schen Universitätsreformen Der vorliegende Band präsentiert – in überarbeiteter und erweiterter Form – die Vorträge einer im Juni 2013 an der Universität Innsbruck abgehalte- nen internationalen Tagung zu den Thun-Hohenstein’schen Universitätsre- formen in der Habsburgermonarchie. 2 Vorrangiges Ziel der Tagung ebenso wie des Sammelbandes war und ist es, den Blick über die Grenzen des heutigen Österreich hinaus zu richten und die Durchführung der Reformen und ihre Folgen an den damaligen „ös- terreichischen“ Universitäten, insgesamt zehn an der Zahl 3 , genauer zu un- tersuchen, um für künftige vergleichende Forschungen weitere Grundlagen zu schaffen. Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt lag in der – bis heute wirkmächtigen – Rezeptionsgeschichte dieser Reformen und seines wichtigs- ten Urhebers, des nach wie vor sehr unterschiedlich bewerteten Ministers für Kultus und Unterricht, Leo Graf von Thun-Hohenstein. Das Begriffspaar Universität und Reformen ist in der öffentlichen Wahr- nehmung auch heute wieder vielfach präsent. Dies zeigte sich u. a. bei den europaweit durchgeführten Reformmaßnahmen unter dem Stichwort Bo- logna-Prozess, die eine Vereinheitlichung der Studienabschlüsse und der universitären Ausbildung in den europäischen Ländern im Blick hatten. Aber auch in historischer Perspektive unterlagen die Universitäten letztlich einem steten Wandel – wenngleich sich die Reformen in den letzten Jahr- zehnten in einer nie dagewesenen Geschwindigkeit abspielten. Universitäts- reformen sind überdies vielfach ein Symptom für gesellschaftliche, ökonomi- sche und politische Veränderungen. Reformen im Bereich der Universitäten – oder allgemein im Bildungsbereich – sind Ausdruck von sich wandelnden 1 Der Titel entstammt einem Gedicht von Innsbrucker Studenten, das diese dem Minister anlässlich von dessen Besuch in Innsbruck im Sommer 1854 darbrachten. Das vollständige Gedicht findet sich in der digitalen Edition der Korrespondenz von Leo Thun: Huldigungs - gedichte der Innsbrucker Studentenschaft für Leo Thun. Juli 1854, Staatliches Gebietsar- chiv Leitmeritz, Zweigstelle Tetschen-Bodenbach, Familienarchiv Thun-Hohenstein, Linie Tetschen, Nachlass Leo Thun, Sign. A3 XXI D271. 2 „Für Geist und Licht! ... Das Dunkel schwand.“ Die Thun-Hohensteinschen Universitätsre- formen 1849–1860. Konzeption – Umsetzung – Nachwirkung (5.–7. Juni 2013). 3 Es handelte sich – über Wien, Graz und Innsbruck hinaus – um die Universitäten von Pa- dua, Pavia, Prag, Krakau, Olmütz (bis zur Auflösung 1855 bzw. 1860), Pest und Lemberg. Vorstellungen von der Rolle von Wissenschaft und Bildung in der Gesell- schaft. Genauso stetig wie die Veränderungen des Bildungswesens sind im üb- rigen die Klagen, die mit den jeweiligen Reformen verbunden waren. Nicht selten offenbarten sich Ängste und Sorgen, die sich in mehr oder weniger massiver Ablehnung des Neuen manifestierten. Nicht selten zeigt sich aber auch in historischer Perspektive, dass die Sorgen längerfristig gesehen un- begründet und die Reformen letztlich erfolgreich waren und die Universität eine sehr strapazierfähige Institution zu sein scheint. Auch die Thun-Hohenstein’schen Reformen fügen sich in dieses Bild ein. Im Revolutionsjahr 1848 brach die seit einiger Zeit gärende Stimmung auch in der Habsburgermonarchie aus und die Studenten und Professoren, die maßgeblich an der Revolution beteiligt waren, forderten neben allgemeinen Bürgerrechten und Möglichkeiten der politischen Partizipation auch eine Reform der Universitäten und des Bildungswesens. Die Universitäten wa- ren zu diesem Zeitpunkt seit den Reformen in der Ära von Maria Theresia und deren Sohn Joseph II. weitgehend unverändert geblieben. Im Sinne der aufgeklärten Maßnahmen Josephs II. waren sie wichtige Bausteine in des- sen Konzeption vom Umbau des Staates und sollten insbesondere Diener dieses Staates ausbilden. Noch während der Napoleonischen Kriege und ins- besondere im Vormärz hatte es zwar immer wieder Versuche gegeben, diese Entwicklung zurückzudrehen und die Universitäten für andere Aufgaben zu öffnen, letztlich fehlte aber der politische Wille dazu. Nicht zuletzt galten die Universitäten als mögliche Brutstätten von liberalem Gedankengut und eine vollkommen freie geistige Entfaltung war innerhalb dieser Institution nicht erwünscht. Bei zahlreichen Gelehrten herrschte daher Unzufriedenheit mit der Ausrichtung und der Qualität der Universitäten. Bekannt ist etwa die Kritik von Viktor Andrian-Werburg aus dem Jahr 1843, die zahlreiche Mo- tive der zeitgenössischen Kritik gegenüber den Universitäten enthält. Frei- lich sollte aus heutiger Sicht 4 diesen Klagen mit der nötigen Skepsis gegen- über dem zeitgenössischen Diskurs begegnet werden. Da ist keine Freiheit der Diskussion und des Gedankens – für jede Wissen- schaft gibt es ein vorgeschriebenes, meistens echt schulmeisterhaftes Lehr- buch, von welchem sich nie und nirgends, nicht einmal durch mündliche Commentarien, entfernt werden darf [...] Das Gedächtnis des Schülers wird auf Kosten seines Verstandes gestärkt, sein Kopf mit einer Menge unnützer, unpraktischer Dinge vollgepropft, daß in demselben kein Raum mehr zum Denken bleibt – sein Charakter, seine moralische Ausbildung werden gänzlich 4 Vgl. dazu besonders den Beitrag von f illAfer in diesem Band. CHRISTOF AICHNER, BRIGITTE MAZOHL 14 vernachlässigt, und ihm statt dessen ein unverdaulicher Religionsunterricht gegeben, der wenig besser ist, als des gottesfürchtigen Petri Canisii christka- tholischer Katechismus. [...] Daher findet man an den österreichischen Unter - richtsanstalten wenig oder gar keine Zuhörer, welche Liebe zur Wissenschaft, Interesse an dem zu Erlernenden dahin rief, beinahe die Gesammtheit der Anwesenden betrachtet die Studien als ein nothwendiges Uebel, als ein nicht zu umgehendes Mittel, um dereinst zu jenem Amte, oder eigentlicher, zu jener Besoldung zu gelangen, welche Jedem von ihnen als das einzige Ziel seiner goldenen Träume in der Ferne vorschwebt [...]. 5 Ähnlich lesen sich andere Klagen über die Universitäten, die damit letztlich auch die neuen gesellschaftlichen Ansprüche an die Universitäten verdeut- lichen: Universitäten sollten nicht mehr bloß der Ausbildung von Beamten, Priestern und Ärzten dienen, Universitäten sollten zum Denken anregen anstatt das Denken einzuschränken. Wie sehr man den gesellschaftlichen Stillstand in der Habsburgermonarchie auch mit dem Zustand der Univer- sitäten in Verbindung brachte, verdeutlicht auch eine Darstellung im Deut- schen Staats-Wörterbuch. Wenngleich die Perspektive eine historische ist, der Abschnitt stammt aus dem Jahr 1867, zeigt sich darin doch die Vorstel- lung von der gestalterischen Kraft und Wirkung der Universitäten auf die Entwicklung des Staates. So schreibt etwa der Staatsrechtler Heinrich Mar- quardsen: „darum gieng und geht aber auch Alles in Oesterreich den Krebs- gang. Denn natürlich es gehörte eine besonders gesunde Natur dazu, unter dem Joche dieses Universitätssystems nicht geistig zu verkrüppeln und sitt- lich zu verderben.“ 6 Das Zitat ist nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil es auch den Ver- gleich mit Preußen impliziert, wo laut dieser Deutung gerade das Umge- kehrte der Fall gewesen sei: Dort hatten gerade die Universitäten dank ihrer Reform am Tiefpunkt Preußens in der Stunde der Niederlage in den Napo- leonischen Kriegen einen wissenschaftlichen Aufschwung in Gang gesetzt, der die nationale Wiedergeburt entfacht und einen wirtschaftlichen ebenso wie gesellschaftlichen Aufschwung mit sich gebracht habe. 7 Letztlich ist es gerade auch dieses Narrativ, das auf zahlreiche österreichische Gelehrte of- fenbar eine enorme Anziehungskraft ausübte: Die preußischen und andere 5 Viktor A ndriAn -W erBurg : Österreich und dessen Zukunft, Hamburg 1843, S. 56–57. 6 Heinrich M ArquArdsen : Universitäten, in: Johann-Caspar B luntsChli , Carl B rAter (Hg.): Deutsches Staats-Wörterbuch. In Verbindung mit deutschen Gelehrten, Stuttgart, Leipzig 1867, S. 677–728, hier S. 703–704. 7 Vgl. dazu auch die Studie von Sven h AAse : Berliner Universität und Nationalgedanke 1800–1848. Genese einer politischen Idee, Stuttgart 2012. „FÜR GEIST UND LICHT! ... DAS DUNKEL SCHWAND!“ 15 deutsche Universitäten wirkten als Vorbild, dem man nacheifern wollte; da- durch wurde die Unzufriedenheit in Österreich mit dem eigenen Universi- tätssystem nur noch weiter befeuert. Und so lesen wir in der Planungsphase und auch während der Umsetzung der Reform immer wieder vom deutschen Vorbild. Die Forderungen der Studenten und Professoren wurden im Zuge der Revolution von 1848 indes alsbald erfüllt und schon im März 1848 wurde ein Unterrichtsministerium eingerichtet, das die bisherige Studienhofkom- mission ablöste. Diese war – mit kurzen Unterbrechungen – seit den Tagen Maria Theresias die zentrale Institution zur Gestaltung und Verwaltung der Bildungsinstitutionen der Monarchie gewesen. 8 Zum ersten Unterrichts- minister wurde Franz von Sommaruga (1780–1860) ernannt. Außerdem wurden im März und April 1848 bereits erste Reformschritte umgesetzt, allen voran die Lehr- und Lernfreiheit proklamiert, die von den Studenten gefordert worden war und als Slogan besondere Wirkung erzielen konnte. Gleichzeitig wurde im Hintergrund bereits an einer grundlegenden Reform gearbeitet. Der zentrale Ministerialbeamte in dieser Phase war Franz Sera- fin Exner (1802–1853), der schon im Vormärz in der Studienhofkommission Richtlinien für eine künftige Reform der Universitäten erstellt hatte. 9 Im Vormärz fand eine Reform jedoch nicht statt – erst die Revolution ermög- lichte den Wandel. Aufgrund der Vorarbeiten Exners ging es dann allerdings im Jahr 1848 sehr schnell. Die ersten Erlasse folgten bereits im April und Mai: Die Uni- versitäten wurden direkt dem Ministerium unterstellt und nicht mehr der jeweiligen Landesbehörde. Die Semestral- und Annualprüfungen wurden abgeschafft – als eine der Folgen von Lehr- und Lernfreiheit. Im Dezember wurde dann auch die Habilitationsordnung erlassen und damit das Amt des Privatdozenten eingeführt. Franz Exner stellte in dieser Phase im Ministerium, als die Minister rasch wechselten, ein wichtiges Element der Kontinuität dar, wurde doch Franz von Sommaruga bereits im Juni 1848 von Anton von Doblhoff (1800–1872) abgelöst. Der turbulente Wiener Oktober 1848 brachte neuerlich einen 8 Vgl. dazu Helmut e ngelBreCht : Geschichte des österreichischen Bildungswesens. Erzie- hung und Unterricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 3. Von der frühen Aufklärung bis zum Vormärz, Wien 1984, S. 84–86. 9 Zu Exner siehe besonders bei Salomon f rAnKfurter : Graf Leo Thun-Hohenstein, Franz Exner und Hermann Bonitz, Wien 1893; Deborah R. C oen : Vienna in the age of Uncer- tainty. Science, Liberalism, and Private Life, Chicago [u. a.] 2007, S. 33–63; zuletzt Christof A iChner : Franz Exner. Professor für Philosophie, Mitschöpfer der Universitätsreform nach 1848, in: Mitchell G. Ash , Josef e hMer (Hg.): Universität – Politik – Gesellschaft – Wirt- schaft, Göttingen 2015, S. 41–46. CHRISTOF AICHNER, BRIGITTE MAZOHL 16 Wechsel im Ministerium, das nun von Innenminister Franz von Stadion (1806–1853) mitbetreut wurde. Nachdem Stadion allerdings seit dem Früh- jahr 1849 aufgrund von Krankheit dieses Amt nicht mehr ausüben konnte, übernahm sein Kollege Ferdinand von Thinnfeld (1793–1868) zwischen Mai und Juli 1849 interimistisch die Agenden des Unterrichts. In diese wechsel- volle Zeit fällt auch die Berufung von Hermann Bonitz (1814–1888), klassi- scher Philologe, aus Berlin, der gemeinsam mit Exner die zentrale Figur bei der Ausarbeitung der Reform werden sollte. 10 Denn es war im Wesentlichen Bonitz, der den Plan für die Neuordnung der Gymnasien verfasste. Andere wichtige Mitarbeiter im Unterrichtsministerium in dieser Phase waren Joseph Alexander von Helfert (1820–1910) als Unterstaatssekretär, der dieses Amt später auch unter Thun bekleidete, und Ernst von Feuch- tersleben (1806–1849). Feuchtersleben hatte seinerseits eigene Vorstel- lungen von der Reform entwickelt, allerdings vermochten sich diese nicht durchzusetzen. So trat er etwa für eine Verstaatlichung des Bildungssektors ein. Im Bereich der Universitäten favorisierte er ein Modell, das sich an den französischen Spezialschulen orientierte. Als Mediziner lag sein Fokus dabei besonders auf der Medizinischen Fakultät. Die Vorschläge von Feuchters- leben scheiterten vor allem an der Übermacht des Exner’schen Vorschlags und daran, dass sich Feuchtersleben nach dem Oktoberaufstand ins Privat- leben zurückzog und damit seinen Einfluss auf die Reformdebatte verlor. Wenig später starb Feuchtersleben, dessen radikal-demokratische Ansich- ten, zumindest aus der Sicht von Herbert Egglmaier, zu anrüchig waren, resigniert. 11 Im Juli 1849 wurde schließlich Leo Thun-Hohenstein (1811–1888) zum Minister für Kultus und Unterricht berufen. Thun stammte aus einer hoch- aristokratischen böhmischen Familie, hatte die Rechte studiert und seine Karriere zunächst beim Prager Kriminalgericht begonnen und wirkte an- schließend als Beamter in der Hofkanzlei und in der böhmischen Landes- verwaltung. Diese Karriere schien allerdings im Jahr 1848 jäh zu Ende zu gehen, nachdem er als Gubernialpräsident in Prag die Revolution im Früh- jahr 1848 nicht unter Kontrolle bringen konnte. Umso überraschender war daher seine Ernennung zum Minister. Thun galt als konservativ, streng katholisch, ja ultramontan und wurde der Partei der böhmischen Feudal- 10 Zu Bonitz siehe f rAnKfurter : Leo Thun-Hohenstein, S. 47–53. 11 Vgl. Herbert H. e gglMAier : Reformansätze vor der Thunschen Reform, in: Mitteilungen der österreichischen Gesellschaft für Wissenschaftsgeschichte 18 (1998), S. 59–85, hier S. 80–84; insgesamt zu Feuchterslebens Ansichten Richard M eister : Feuchterslebens Anteil an der Unterrichtsreform 1848 und an der Akademie der Wissenschaften, in: Anzeiger der österreichischen Akademie der Wissenschaften 87 (1950), S. 214–237. „FÜR GEIST UND LICHT! ... DAS DUNKEL SCHWAND!“ 17 konservativen zugerechnet, welche die Monarchie auf der Grundlage einer neo-ständischen Ordnung reformieren wollten. Wichtig für das Verständnis seiner ministeriellen Tätigkeit ist der Hinweis darauf, dass er offenbar die Verbindung von Kultus und Unterricht zur Bedingung für die Übernahme des Amtes gemacht hatte. Wenngleich diese Aussage nirgends eindeutig be- legt ist 12 , so zeigt sich in seiner Amtsausübung doch, dass er eine enge Ver- bindung zwischen dem Bildungswesen und den Agenden des Kultus sah. Zu- dem wurde auch bereits mit seinem Amtsantritt und der Bezeichnung seines Ministeriums die virulente Frage, wer für die öffentliche Bildung zuständig sei, Kirche oder Staat bzw. in welchem Verhältnis diese stehen sollten, in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Die Berufung Thuns läutete insgesamt eine neue Phase in der Bil- dungsreform ein und schon bald nach seinem Amtsantritt konnte Thun dem jungen Kaiser Franz Joseph die Reformpläne Exners unterbreiten, die jener im September 1849 zunächst provisorisch bewilligte. Im Herbst 1849 konnte bereits mit der Umsetzung der Bildungsreform begonnen werden. Was waren nun die zentralen Inhalte und leitenden Gedanken der Re- form? Eine wesentliche Neuerung war die Einführung der Lehr- und Lern- freiheit an den Universitäten. Diese beiden Freiheiten können als grund- legende Zugeständnisse an die aufbegehrenden Studenten gesehen werden und obwohl der Umfang dieser Freiheiten, besonders für die Studenten, nach dem Ende der Revolution sukzessive wieder eingeschränkt wurde, gal- ten sie doch als zentrale Errungenschaft der Revolution, die nicht wieder rückgängig gemacht wurden. Das Prinzip von Lehr- und Lernfreiheit bedeu- tete einen wichtigen Schritt auf dem Weg zu Artikel 17 des Staatsgrund- gesetzes vom 21. Dezember 1867 über die Allgemeinen Rechte der Staats- bürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder und zur Grundlegung der Freiheit der Wissenschaft. 13 Die Universitäten wurden mit der Reform von 1848/49 als wissenschaftliche Einrichtungen definiert, damit war ihr reiner Ausbildungscharakter zumindest abgeschwächt und der wis- senschaftlichen Forschung ein bedeutender Stellenwert in der Universität eingeräumt. Auch wenn die Forschung zu einer zunehmend wichtigen Aufgabe der Universitäten wurde, so blieb der Ausbildungscharakter der Universitäten jedoch weiterhin bestehen, dies gilt besonders für die Juridischen und Medi- zinischen Fakultäten, aber auch für die erneuerten Philosophischen Fakul- 12 Siehe f rAnKfurter : Leo Thun-Hohenstein, S. 15. Frankfurter hatte zahlreiche Informatio- nen von Helfert erhalten. Wahrscheinlich stammt auch diese Information von Helfert, der wohl informiert über die Umstände der Ernennung Thuns gewesen war. 13 „Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.“ Art. 17/1, RGBl 142/1867. CHRISTOF AICHNER, BRIGITTE MAZOHL 18 täten. Letztere wurden mit der Reform grundsätzlich aufgewertet. Dienten sie bisher lediglich dazu, im Sinne eines Propädeutikums eine einheitliche Vorbildung für alle Studenten sicherzustellen und als Grundlage für ein weiterführendes Studium an den höheren Fakultäten zu berechtigen, wur- den sie im Zuge der Reform als eigenständige Fakultäten etabliert, wobei ihnen als vorrangiges Ziel die Ausbildung von Gymnasiallehrern anvertraut wurde. Rasch bildeten die reformierten Philosophischen Fakultäten jedoch auch den Mittelpunkt der Forschung an den Universitäten, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch die – um in einer modernen Terminologie zu sprechen – ‚naturwissenschaftlichen‘ Fächer in dieser Fakultät beheimatet waren. Mit der Einführung der Lehrfreiheit verbunden war auch die Etablierung der Privatdozenten. Dieses Amt verdeutlicht in besonderem Maße die Ver- bindung von Lehre und Forschung auf universitärem Boden. Wesentlich für die Etablierung der Privatdozenten war darüber hinaus die Einführung der Kollegiengelder, mittels derer sich die Privatdozenten finanzieren sollten. Zuletzt hat Bastian Stoppelkamp darauf aufmerksam gemacht, wie sehr von den Reformern die Kollegiengelder auch als wesentliche Voraussetzung für die Lehr- und Lernfreiheit angesehen wurden. 14 Durch sie sollte gewisser- maßen ein freier Markt (des Wissens) an den Universitäten gewährleistet werden, auf dem Privatdozenten ihr Wissen feilbieten und die Studenten sich bedienen konnten. 15 Mit der Aufwertung der Philosophischen Fakultät war umgekehrt auch eine Reform der Gymnasien notwendig geworden, die nunmehr die vorma- lige propädeutische Funktion der philosophischen Kurse übernehmen soll- ten. Zu diesem Zweck wurden sie um zwei Jahre auf insgesamt acht Jahre verlängert und endeten mit der Maturitätsprüfung, die jetzt zur Bedingung für die Aufnahme in eine Universität gemacht wurde. In der Verwaltung der Universitäten wurde ebenfalls eine grundlegende Neuordnung vorgenommen, indem die Studiendirektoren abgeschafft und den Professoren die Verwaltung der Universität übertragen wurde. Die 14 Bastian s toPPelKAMP : War Humboldt ein Kapitalist? Über den Zusammenhang von Ökono- mie und Autonomie in der österreichischen Hochschulgeschichte des mittleren und späten 19. Jahrhunderts, beim Österreichischen Universitätsarchivkolloquium in der Karl-Fran- zens-Universität Graz 14. und 15. April 2015; auch Friedrich s tAdler , Bastian s toPPel - KAMP : Die Universität Wien in Kontext von Wissens- und Wissenschaftsgesellschaft, in: Katharina K niefACz , Elisabeth n eMeth , Herbert P osCh , Friedrich s tAdler (Hg.): Univer- sität – Forschung – Lehre (650 Jahre Universität Wien, Bd. 1), Göttingen, Wien 2015, S. 203–241, hier S. 225–232. 15 Vgl. dazu die Verordnung des Ministeriums für Kultus und Unterricht vom 12. Juli 1850, Z. 5697/187, RGBl 310/1850; sowie den programmatischen Vortrag Thuns an den Kaiser, abgedruckt in: Wiener Zeitung, Nr. 184, 3. August 1850, S. 2335–2339. „FÜR GEIST UND LICHT! ... DAS DUNKEL SCHWAND!“ 19