WELTplus | 13.05.2025 14:03 Weblink „Pfizergate“ Geheime Textnachrichten mit dem Pharma-Boss werden zum heiklen Fall für von der Leyen In der Pandemie tauschten sich die Chefin der EU-Kommission und der Pfizer-Chef per SMS über einen milliardenschweren Kauf von Impfstoff aus. Jetzt entscheidet ein Gericht, ob die Nachrichten offengelegt werden müssen. Für die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, steht in dieser Woche viel auf dem Spiel. Das Gericht der Europäischen Union (EuG) entscheidet über gehei- me Textnachrichten, die sie mit dem Chef eines Pharmaunternehmens aus- getauscht hat. Und genau diese Fir- ma hatte mit Brüssel einen milliarden- schweren Impfstoffvertrag abgeschlos- sen. Das EuG ist ein eigenständiges europäisches Gericht und zugleich die Vorinstanz des Europäischen Gerichts- hofs. Das Gericht soll darüber befinden, ob die Kommission mit der Weigerung, die Textnachrichten mit Pfizer-Chef Albert Bourla zu veröffentlichen, gegen Trans- parenzvorschriften verstoßen hat. Der Fall ist als „Pfizergate“ bekannt. Die Entscheidung am Mittwoch wird nicht nur weitreichende Auswirkungen auf die Arbeit der EU-Spitzenbeamten ha- ben, sondern könnte auch einen Schat- ten auf von der Leyens zweite Amtszeit werfen. Kern der Frage ist, ob Textnach- richten als Dokumente einzustufen sind – und daher im Sinne der Transparenz veröffentlicht werden dürfen. Während Aktivisten und viele Beobachter davon ausgehen, dass sie wie normale offizi- elle Kommunikation behandelt werden sollten, ist die Kommission anderer An- sicht. Der Fall ist für von der Leyen recht- lich heikel: Sie hat nicht nur persönlich den größten Impfstoffvertrag der Uni- on im Wert von mehreren Milliarden Euro unterzeichnet, sondern steht auch der Institution vor, die für die Durchset- zung des EU-Rechts zuständig ist – zu dem auch die Grundsätze der Transpa- renz und Rechenschaftspflicht gehören. Sollte das Gericht gegen die EU-Kom- missionspräsidentin entscheiden, wür- de dies ihren Kritikern neue Munition liefern. Es wäre auch eine große politische Bla- mage, da sie erst vor wenigen Monaten öffentlich versprochen hatte, in ihrer zweiten Amtszeit, die am 1. Dezember letzten Jahres begonnen hat, die Stan- dards für Transparenz, Effizienz und In- tegrität zu verteidigen. „Dieses Gerichtsurteil könnte einen Wendepunkt für die Transparenz in der EU markieren“, sagt Shari Hinds, EU- Referentin für politische Integrität bei der Nichtregierungsorganisation Trans- parency International. „Bei wichtigen Entscheidungen, insbesondere solchen, die die öffentliche Gesundheit betref- fen, sollte Geheimhaltung vermieden werden.“ Der Fall wurde von der „New York Times“ und ihrem ehemaligen Brüsse- ler Büroleiter angestrengt. Sie hatten Klage eingereicht, da die Kommission sich weigerte, die Textnachrichten im Jahr 2022 zu veröffentlichen. Die Existenz der Nachrichten wurde im April 2021 in einem Interview der „New York Times“ bekannt, in dem Pfizer-Chef Bourla den Austausch als „vertrauensbildend“ bezeichnete und erklärte, dass er die Verhandlungen über den umfangreichen Impfstoffver- trag erleichtert habe. Dieser im Mai 2021 abgeschlossene Vertrag sah vor, dass die EU bis zu 1,8 Milliarden Dosen des Corona-Impfstoffs von Pfizer-Bion- tech kauft. Es ist mit Abstand der größ- te Vertrag, den Brüssel je unterzeichnet hat. Er regelt den Vorabkauf von 900 Millionen Dosen mit einer Option auf weitere 900 Millionen Dosen, die 2022 und 2023 geliefert werden sollten. Ein „Weckruf“ für die EU Die damalige Europäische Bürgerbeauf- tragte Emily O’Reilly stellte bereits 2022 fest, dass der Fall ein „Weckruf für die EU-Institutionen ist“. Nach ihren Beob- achtungen sei die Transparenz unter von der Leyen zurückgegangen. In ei- nem Interview mit „Politico“ warf sie der EU-Kommissionspräsidentin vor, ei- ne Kultur des „Zurückhaltens“ aus poli- tischen Gründen geschaffen zu haben. Sie kritisierte auch, dass von der Leyen an der einzigen Gerichtsverhandlung, die bisher in diesem Fall stattfand, nicht anwesend war: „Die einzige Person, die uns alles hätte sagen können, war nicht da.“ In einer Erklärung gegenüber „Po- litico“ erklärte die Kommission, dass sie „keine Stellung zu laufenden Gerichts- verfahren nimmt“. Die Richter des EU-Gerichts hatten be- reits zuvor eine Entscheidung der Kom- mission, große Teile der Impfstoffver- träge vor ihrer Veröffentlichung zu schwärzen, für ungültig erklärt. Die ©2025 PMG Presse-Monitor GmbH & Co. KG 1/2 Exekutive hatte dies mit der Privatsphä- re der Mitarbeiter und den wirtschaft- lichen Interessen der Unternehmen be- gründet. „Sie wird schlecht beraten“ Tilly Metz, eine der fünf Grünen-Abge- ordneten des Europäischen Parlaments, die den Fall vor Gericht gebracht hat- ten, wirft die Frage auf, was hinter der Geheimniskrämerei bei von der Leyen stehen könnte. „Sie wird schlecht bera- ten“, sagte sie und fügte hinzu: „Wenn man will, dass die Öffentlichkeit Ver- trauen in die Politiker und ihre Arbeit hat – und in ihre Kontakte zur Industrie –, muss man den Fokus auf Transparenz legen.“ Zwar räumte sie ein, dass die Gesund- heitskrise durch das Coronavirus eine „völlig neue Situation“ war, die die Kommission zur Zusammenarbeit mit der Industrie gezwungen habe, doch sei sie der Meinung, dass von der Leyen aus der Pandemie nicht die richtigen Lehren gezogen habe. Im Rahmen des Verfahrens fand im No- vember eine Anhörung vor dem Gericht in Luxemburg statt. Die Große Kam- mer des Gerichts zeigte sich dabei skep- tisch, ob die Weigerung der Kommis- sion, die Textnachrichten freizugeben, angebracht war. Nach jahrelanger Un- klarheit, ob die Nachrichten überhaupt existieren, räumten die Anwälte der Kommission aber schließlich ein, dass es sie gibt: „Wir leugnen nicht, dass sie existieren“. Dies löste Gelächter unter den Anwesenden aus – und die Richter zeigten deutliches Unverständnis über die Hinhaltetaktik. Nachrichten ohne Bedeutung? Die Anwälte bestritten aber, dass die Nachrichten eine weitreichende Bedeu- tung hätten. Darüber zeigten sich die Richter verärgert, da die Kommission auch nicht erklären konnte, wie sie zu dieser Einschätzung gekommen war. Nach mehr als dreistündiger Debatte kritisierten die Richter die Antworten und die Haltung der Kommission ge- genüber der Anfrage der „New York Times“ scharf. Richter José Martín y Pé- rez de Nanclares sagte, die Exekutive habe keine „angemessenen und sorg- fältigen Maßnahmen“ ergriffen, um zu erklären, warum sie die Texte nicht wei- tergeben könne. Ein anderer Richter, Paul Nihoul, kritisierte das „relativ ver- wirrende Dossier“. Bondine Kloostra, Anwältin der „New York Times“, sagte, es sei „sehr ent- täuschend, wie unvorbereitet“ der Ver- treter der Kommission in der Anhö- rung gewesen sei. „Wir wissen immer noch nicht, was mit dem Telefon von VDL passiert ist, ob Nachrichten oder Signal-Nachrichten über einen Laptop oder ein anderes Gerät ausgetauscht wurden. Wir wissen auch immer noch nicht, wo die Kommission gesucht hat“, sagte sie. Die Europäische Staatsanwaltschaft, die mit der Untersuchung schwerer Finanz- delikte zum Nachteil der finanziellen In- teressen der EU beauftragt ist, bestätig- te inzwischen, dass sie die Umstände der Impfstoffbeschaffung untersucht. Dieser Text erschien zuerst bei der WELT-Partnerpublikation „Politico“. Wörter: 984 Autor/-in: Elisa Braun Mari Eccles Ressort: Politik Rubrik: Politik Medienkanal: ONLINE Mediengattung: Online News Medientyp: ONLINEMEDIEN Jahrgang: 2025 Ausgabe: Einzelausgabe Weblink: https://www.welt.de/politik/ausland/plus256105436/Pfizergate-Geheime-Textnachrichten-mit-dem-Phar- ma-Boss-werden-zum-heiklen-Fall-fuer-von-der-Leyen.html Urheberinformation: (c) Axel Springer SE Abbildung: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Fotograf/-in: Philipp von Ditfurth/dpa Fotograf/-in: Philipp von Ditfurth/dpa ©2025 PMG Presse-Monitor GmbH & Co. KG 2/2