Timmo Krüger Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung Edition Politik | Band 28 Timmo Krüger (Dr. rer. pol.), geb. 1982, ist Politik- und Kulturwissenschaftler. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Diskurs- und Hegemonie- theorie sowie ökologische Krise und Klimapolitik. Timmo Krüger Das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung Die Konflikte um Carbon Capture and Storage (CCS) in der internationalen Klimapolitik Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel »Carbon Capture and Storage (CCS) und das Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung. Eine Analyse (ent-)politisierender Prozesse in der internationalen Klimapolitik« als Dissertation an der Universität Kassel im Fachbereich Gesellschaftswissen- schaften eingereicht. Die Disputation fand am 28.01.2015 statt. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NonCom- mercial-NoDerivs 4.0 Lizenz (BY-NC-ND). Diese Lizenz erlaubt die private Nutzung, gestattet aber keine Bearbeitung und keine kommerzielle Nutzung. Weitere Informationen finden Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/deed.de/. Um Genehmigungen für Adaptionen, Übersetzungen, Derivate oder Wieder- verwendung zu kommerziellen Zwecken einzuholen, wenden Sie sich bitte an rights@transcript-verlag.de © 2015 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages ur- heberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut- schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Korrektorat & Satz: Timmo Krüger Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-3233-0 PDF-ISBN 978-3-8394-3233-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: info@transcript-verlag.de Inhalt Tabellenverzeichnis | 7 Vorwort | 9 1. Einleitung | 13 1.1 Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen | 14 1.2 Forschungsstand und Forschungslücke | 23 2. Theorie und Operationalisierung | 31 2.1 Diskurstheoretische Hegemonieanalyse | 31 2.2 Gesellschaftliche Naturverhältnisse | 43 2.3 Forschungsdesign, Aufbau und methodisches Vorgehen | 64 3. Das Projekt der ökologischen Modernisierung | 73 3.1 Die Ökologische Krisendiagnose | 76 3.2 Die Formierung des ökomodernen Diskurses | 78 3.3 Die Grundannahmen des ökomodernen Projekts | 97 3.4 Die Hegemoniestrategien des ökomodernen Projekts | 99 3.5 Das ökomoderne Hegemonieversprechen | 111 3.6 Die Hegemonialisierung des ökomodernen Projekts | 115 3.7 Die reflexive Reproduktion von Hegemonie | 123 4. Das ökomoderne Projekt und CCS | 125 5. CCS in der internationalen Klimapolitik | 129 5.1 Einführung in die internationale Klimapolitik | 130 5.2 Einführung in CCS-Technologien | 161 5.3 Die Politikberatung des IPCC zu CCS-Technologien | 179 5.4 Die CCS-CDM-Kontroverse in den Klimaverhandlungen | 215 5.5 Synthese: CCS-Konflikte in der Klimapolitik | 311 6. CCS und das ökomoderne Hegemonieprojekt | 327 6.1 Die Bedeutung des Scheiterns von CCS-Projekten | 328 6.2 Die Bedeutung des Erfolgs der CCS-Community | 329 6.3 Die (ent-)politisierenden Effekte der CCS-Konflikte | 333 7. Resümee und Ausblick | 337 7.1 Zusammenfassung der Ergebnisse | 337 7.2 Ausblick | 346 Abkürzungs- und Begriffsverzeichnis | 355 Literatur | 363 Anhang | 385 A.1 Verzeichnis der analysierten Stellungnahmen | 385 A.2 Liste der identifizierten Enthymeme | 387 Tabellenverzeichnis Tabelle 1 Übersicht über die Stellungnahmen der Länder | 219 Tabelle 2 Übersicht über die CCS-Aktivitäten der Länder | 220 Tabelle 3 Übersicht über die Stellungnahmen der Beobachterorganisationen | 220 Tabelle 4 Die umweltpolitischen Positionen der Beobachterorganisationen | 221 Tabelle 5 Positionen bezüglich CCS-Technologien im Allgemeinen | 224 Tabelle 6 Positionen bezüglich der Aufnahme von CCS in den CDM | 225 Tabelle 7 Das Argument der Bedeutung von CCS als Element des Portfolios | 227 Tabelle 8 Das Argument der hohen Kosten von CCS | 228 Tabelle 9 Das Argument des Zielkonflikts zwischen Erneuerbaren und CCS | 229 Tabelle 10 Das Argument der mangelnden Nachhaltigkeit | 230 Tabelle 11 Das Argument der Brückentechnologie | 231 Tabelle 12 Das Argument der ökologischen und gesundheitlichen Risiken | 232 Tabelle 13 Ökomoderne Basis-Artikulationen | 293 Tabelle 14 Technokratische Artikulationen | 297 Tabelle 15 Artikulationen des Primats der Betriebsökonomie | 299 Tabelle 16 Inkrementelle Artikulationen | 301 Tabelle 17 Artikulationen der reflexiven Naturbeherrschung | 303 Tabelle 18 Artikulationen des reflexiven Fortschritts | 305 Tabelle 19 Artikulationen des nachhaltige Wachstums | 307 Tabelle 20 Positionen zum ökomodernen Projekt | 309 Tabelle 21 Positionen zur Einbeziehung von CCS ins ökomoderne Projekt | 310 Tabelle 22 Verweise auf den IPCC und die IEA und in den Stellungnahmen | 312 Tabelle 23 Verweise auf Prognosen des IPCC | 313 Tabelle 24 Verzeichnis der Stellungnahmen der Länder | 385 Tabelle 25 Verzeichnis der Stellungnahmen der Beobachterorganisationen | 386 Vorwort „Der einzige Weg, der Natur beizustehen, liegt dar- in, ihr scheinbares Gegenteil zu entfesseln, das un- abhängige Denken.“ (Horkheimer 1990: 123) Eine Dissertation stellt eine Qualifizierungsarbeit dar, die bestimmten formalen und inhaltlichen Anforderungen genügen muss. Darüber hinaus ist sie das Ergebnis der individuellen Auseinandersetzung mit einem bestimmten Themengebiet. In der Ent- scheidung für einen Forschungsgegenstand, der einen über Jahre hinweg begleitet, spielen in vielen Fällen auch die eigene Sozialisation sowie persönliche und politisch-ethische Motive eine wichtige Rolle. Meine eigene Motivation möchte ich an dieser Stelle aus zwei Gründen offen legen: Erstens um die politische Dimension der Problemstellung dieser Arbeit und mein diesbezügliches normatives Anliegen deutlich zu machen. Zweitens um die Forderung nach Transparenz zu beherzigen, die sich aus der postpositivistischen Absage an die Möglichkeit eines ‚objektiven‘ Standpunkts ergibt (vgl. Kapitel 2.3.1). Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Forderung nach Klimagerechtigkeit sowie die Organisation von Klimacamps und anderen Aktionen des Klima!Bewe- gungsnetzwerks (heute: Energiekämpfe in Bewegung , EkiB) prägten meine klima- politische Sozialisation. Parallel zur Ausarbeitung meines Promotionsvorhabens en- gagierte ich mich unter anderem bei der Organisation des Lausitzer Klima- und Energiecamps 2011 . Ein zentrales Anliegen des Camps war die Verhinderung eines geplanten CCS-Kohlekraftwerks (für die Definition von CCS vgl. die Erläuterung im Abkürzungsverzeichnis). Im Verlauf der intensiven Auseinandersetzung mit CCS-Technologien wurde mir immer wichtiger, nicht nur auf die gesundheitlichen und ökologischen Risiken der CO 2 -Speicherung hinzuweisen. Vielmehr fokussierte ich in der politischen Arbeit zunehmend auf die Bedeutung von CCS-Technologien für aktuelle Konflikte in der Energie- und Klimapolitik. 10 | D AS H EGEMONIEPROJEKT DER ÖKOLOGISCHEN M ODERNISIERUNG CCS-Technologien stehen symptomatisch für die Suche nach einer Lösung des Klimaproblems ohne gesellschaftliche Strukturen – insbesondere die Abhängigkeit der Wirtschaft von fossilen Brennstoffen – ändern zu müssen. Die mit CCS-Techno- logien legitimierte Fortführung der fossilen Energieinfrastruktur soll für Wirt- schaftswachstum, Profit- und Wohlstandsmaximierung sorgen. Dieses Versprechen ist ein zentraler Grund, warum sich neben den Energiekon- zernen auch viele Akteur_innen aus der Politik und der Wissenschaft für die Ent- wicklung und den Einsatz von CCS-Technologien aussprechen. Dabei wird meiner Meinung nach die Gefahr des carbon lock-ins unterschätzt: Die Fortführung der fossilen Energieinfrastruktur beeinträchtigt die Ausgangsbedingungen für Transfor- mationsprozesse hin zu einer klimaneutralen Lebensweise. Dahinter steht die An- nahme, dass die Ursachen des anthropogenen Klimawandels in den gesellschaftli- chen Strukturen liegen und eine klimaneutrale Lebensweise nur durch einen radika- len Wandel der Produktions- und Konsummuster – insbesondere in den Ländern des globalen Nordens – zu erreichen ist. In dem Zusammenhang ist mir die Verknüpfung der ökologischen mit der sozia- len Frage sehr wichtig. Schließlich zeichnen sich die klimaschädlichen Strukturen durch eine hohe soziale Ungleichheit aus – sowohl zwischen verschiedenen Grup- pen innerhalb einer Gesellschaft als auch zwischen den Ländern des globalen Nor- dens und des globalen Südens. Darüber hinaus wird immer deutlicher, dass die Fol- gen des Klimawandels soziale Ungleichheiten verschärfen. Deshalb gehe ich davon aus, dass unbegrenztes Wirtschaftswachstum und der dafür nötige Verbrauch be- grenzter Ressourcen in einem grundlegenden Widerspruch zum Schutz der Natur und dem Kampf für soziale Gerechtigkeit stehen. Aufgrund dieser Überzeugung ist eine zentrale Motivation dieser Arbeit, die Po- tenziale und Grenzen antagonistischer Forderungen auszuloten, die auf eine Infra- gestellung und Veränderung verstetigter sozialer Strukturen zielen. Statt weiter ver- geblich auf die Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch bzw. der Treibhausgasemissionen zu hoffen, sollten wir die „Dialektik der Aufklä- rung“ ernst nehmen und die Idee des unendlichen Wachstums als Mythos der Mo- derne entzaubern (vgl. die Ausführungen zum Umschlag von Aufklärung in Mytho- logie in Horkheimer/Adorno 2009: 9ff). Neben der politisch-ethischen Verortung innerhalb eines bestimmten gesell- schaftspolitischen Kontextes wurde die Umsetzung meines Promotionsvorhabens durch den direkten persönlichen Austausch und ein unterstützendes Umfeld geprägt. Den Einzelpersonen und Institutionen, die für die Fertigstellung dieser Arbeit wich- tig waren, möchte ich danken. V ORWORT | 11 Ein Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung ermöglichte mir die Fokussie- rung auf die Promotion und die Fortsetzung meines politischen Engagements. Auch bei der Publikation wurde ich von der RLS mit einem Druckkostenzuschuss unter- stützt. Vielen Dank für die Förderung! Inhaltlich begleitet wurde ich von meinen beiden Betreuern Christoph Görg und Ulrich Bröckling, die mir im Verlauf des Schreibprozesses hilfreiche Impulse gaben. Vielen herzlichen Dank für die konstruktive Kritik! Auch der Austausch mit Kolleg_innen, Freund_innen und Verwandten stellte eine wichtige Inspirationsquelle für die Entwicklung dieser Arbeit dar. Das Feed- back der Personen, mit denen ich über meine Arbeit gesprochen habe und die ver- schiedene Teile meiner Arbeit redigiert haben, trug ungemein zur stilistischen Ver- besserung des Textes und zur Schärfung der Argumentation bei. Mir haben mehr Menschen geholfen als ich hier aufzählen kann, aber einige Namen möchte ich den- noch nennen: Danke Alex L., Alex S., Annemarie, Dörte, Florian, Frank, Ingmar, Julia, Lena, Lisa, Maria, Nina, Renke und Susanne. Nicht nur, aber vor allem in den letzten Wochen war eure Hilfe sehr wichtig! Besonders intensive Diskussionen hat- te ich mit Philip. Seine versierten Kommentare, seine Genauigkeit und seine Fähig- keit, implizite Strukturen des Textes offen zu legen, haben mir sehr geholfen. Danke dafür! Meine Eltern, Gundolf und Meike, haben nicht nur durch ihre Bereitschaft, Tei- le der Arbeit Korrektur zu lesen, zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ihr stetes Interesse an meinem Leben und ihre bedingungslose Unterstützung bei allem was ich tue sind einmalig! Euch verdanke ich das nötige Vertrauen in mich und die Welt. Abschließend möchte ich Wiebke danken, die mich während des gesamten Pro- motionsprozesses mit all seinen Höhen und Tiefen – von der Suche nach Betreuern bis zur endgültigen Fertigstellung – begleitet hat. Danke, dass du immer für mich da warst. Berlin, im Dezember 2014 1. Einleitung Seit den 1970er Jahren wird in der politischen und wissenschaftlichen Öffentlich- keit das Verhältnis des Menschen zur Natur als krisenhaft begriffen (vgl. Becker/Jahn 2003: 92f; Brand 2010: 143; Görg 2003a: 9f). Auslöser dieser Proble- matisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse 1 waren Phänomene wie der an- thropogene Klimawandel oder der Verlust der Biodiversität, die als nicht-intendierte Nebenfolgen hegemonialer Strukturen interpretiert wurden. Von einer ökologischen Krise zu sprechen impliziert deshalb die Annahme, dass die herkömmlichen gesell- schaftlichen Institutionen nicht (mehr) angemessen auf ökologische Probleme rea- gieren können (vgl. Brand 2010: 143). Die mit dieser Politisierung 2 verbundenen Auseinandersetzungen um die Bearbeitung der ökologischen Krise bilden den Un- tersuchungsgegenstand dieser Arbeit. Im Folgenden führe ich in das Konfliktfeld der ökologischen Krise ein, stelle das Erkenntnisinteresse sowie die Forschungsfragen dieser Arbeit vor (1.1) und gebe einen Überblick über den Forschungsstand (1.2). Dabei fokussiere ich, wie in der gesamten Arbeit, auf die internationale Klimapolitik. Diese Schwerpunkt- setzung ist der herausgehobenen Bedeutung geschuldet, die dem Klimawandel von vielen Akteur_innen beigemessen wird (vgl. Ihlen 2009: 246). Innerhalb dieser Schwerpunktsetzung wiederum gehe ich insbesondere auf die Konflikte um Carbon Capture and Storage (CCS) 3 ein, die im Verlauf der Arbeit einer mikroanalytischen Untersuchung unterzogen werden. 1 Der Begriff der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verweist darauf, dass Natur und Ge- sellschaft in einem konstitutiven Vermittlungsverhältnis stehen (vgl. Görg 2003a: 14f; für eine ausführliche Einführung in den Begriff vgl. Kapitel 2.2.3). 2 Das Politische wird hier als der Moment gefasst, in dem etwas „als entscheidbar und ent- scheidungsbedürftig erkannt und mit einigem Erfolg propagiert wird“ (Greven 2010: 69). Zum Begriff des Politischen vgl. Kapitel 2.1. 3 Für die Erläuterung von CCS-Technologien vgl. Kapitel 5.2 oder die knappe Definition im Abkürzungs- und Begriffsverzeichnis. In dem Verzeichnis werden Abkürzungen und Begriffe erläutert, die für das Verständnis der Arbeit wichtig sind. 14 | D AS H EGEMONIEPROJEKT DER ÖKOLOGISCHEN M ODERNISIERUNG 1.1 E RKENNTNISINTERESSE UND F ORSCHUNGSFRAGEN Die These von der menschlichen Verursachung des Klimawandels hat sich sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in den wissenschaftlichen und politischen Dis- kursarenen weitestgehend durchgesetzt. Trotz einer einflussreichen klimaskepti- schen Lobby, die vor allem im angloamerikanischen Raum relativ aktiv und erfolg- reich ist (vgl. Brunnengräber: 2013: 47; Klein 2014: 35), kann der anthropogene Klimawandel im Allgemeinen als gesellschaftlich anerkannte Tatsache bezeichnet werden (vgl. Weingart/Engels/Pansegrau 2008). Der Klimawandel wurde von einer naturgegebenen Gefahr in ein entscheidungsabhängiges Risiko transformiert und damit Gegenstand gesellschaftlicher Auseinandersetzungen (vgl. Engels/Weingart 1997: 92). Die Politik hat den anthropogenen Klimawandel zu einem wichtigen Aufgabengebiet deklariert – auf der Ebene der internationalen Politik geschieht dies in erster Linie im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen. Das Kyoto-Protokoll ist das bisher bedeutsamste Ergebnis dieser Klimaverhand- lungen. Allerdings steigen die globalen Treibhausgasemissionen trotz Kyoto-Proto- koll und anderer klimapolitischer Maßnahmen stetig an – zwischen dem Vergleichs- jahr der Reduktionsziele des Kyoto-Protokolls (1990) und dem Auslaufen seiner ersten Verpflichtungsperiode (2012) um mehr als 60 % (vgl. Informationsstelle Peru 2014: 5). Eine Ausnahme bildeten bislang lediglich kurze Phasen der wirtschaftli- chen Rezession (vgl. IPCC 2014: 6). Von einer erfolgreichen Klimapolitik kann also keine Rede sein. Im Gegenteil steigt sogar der prozentuale Anstieg der Emissionen von Dekade zu Dekade (vgl. IPCC 2014: 6f). Das Scheitern der bisherigen Reaktio- nen auf die ökologische Krise ließe sich auch für andere Bereiche zeigen, beispiels- weise für den fortschreitenden Verlust der Biodiversität. Diese ernüchternde Bilanz ist ein zentraler Ausgangspunkt dieser Arbeit. Problemstellung: Die bisherigen gesellschaftlichen Reaktionen auf die ökologi- sche Krise sind gescheitert. Hinter dieser Problematisierung steht die normative Orientierung, dass es von elementarer Bedeutung ist, die Ursachen der fortschrei- tenden ökologischen Krise zu beheben und ihre negativen Effekte abzuschwächen. Ich halte eine ambitionierte Klima- und Umweltpolitik für notwendig, um lang- fristig die Spielräume für eine emanzipatorische Politik zu erhöhen, die sich für ein ‚gutes Zusammenleben‘ der Menschen untereinander und mit der Natur ein- setzt. 1. E INLEITUNG | 15 Die Einigung auf verbindliche und wirkungsvolle klimapolitische Maßnahmen wird durch den Umstand erschwert, dass der Klimawandel ein Querschnittsthema ist, das Grundstrukturen unserer Gesellschaft tangiert. Als Ursache für den anthropogenen Klimawandel wird in den naturwissenschaftlichen Studien der hohe globale Aus- stoß von Treibhausgasen ausgemacht. Die darauf basierende Politikberatung – bei- spielsweise des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergover- nmental Panel on Climate Change, IPCC) – fokussiert auf den Ausstoß von CO 2 , weil es zum einen den höchsten Anteil an den Treibhausgasen ausmacht und zum anderen in der Atmosphäre besonders langlebig ist (vgl. IPCC 2007: 2). Aufgrund der Bedeutung des Kohlenstoffdioxids wiederum wird vor allem der Primärenergieverbrauch zum Problem und damit insgesamt die Produktions- und Konsummuster der Industriemoderne. Seit der industriellen Revolution ist das Wirt- schaftswachstum an den proportionalen Anstieg des Primärenergieverbrauchs ge- koppelt (vgl. Hannesson 2002). Primärenergie wurde seitdem und wird immer noch fast ausschließlich aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Der stetig steigende Aus- stoß von CO 2 ist der weltweit durchgesetzten fossilen Wirtschaftsweise inhärent (vgl. Scheer 2000: 9ff). Insofern stellt der anthropogene Klimawandel eine Heraus- forderung an zentrale gesellschaftliche Strukturen dar, welche die Nutzung fossiler Brennstoffe, das Primat des Wirtschaftswachstums und die darauf basierende impe- riale Lebensweise 4 betreffen. Die Schlussfolgerung der Umweltbewegungen lautete in den 1970er Jahren, dass es einer Transformation des gesamten Systems – unserer Wirtschaftsweise, un- seres Lebensstils usw. – bedürfe. Diese radikale, d. h. an den Wurzeln ansetzende 4 Mit der imperialen Lebensweise ist der sogenannte ‚westliche‘ Lebensstil (vor allem der Ober- und Mittelschicht) gemeint, der sich durch Wohlstand und ein hohes Konsumni- veau auszeichnet. Diese Lebensweise besitzt eine hohe Attraktivität sowohl für Menschen im globalen Norden als auch im globalen Süden. In den Schwellenländern übernehmen die Ober- und Mittelschichten den ‚westlichen‘ Lebensstil (soweit sie es sich finanziell leisten können) und verschärfen damit die mit der Lebensweise verbundenen massiven ökologischen Schäden (vgl. Brand/Wissen 2011: 23ff). „Die Lebensweise des globalen Nordens beinhaltet einen prinzipiell unbegrenzten Zugriff auf Ressourcen, Raum, Ar- beitsvermögen und Senken. Sie setzt deshalb voraus, dass nicht alle Menschen in glei - chem Maße hierauf zugreifen. Anderenfalls wären viele Ressourcen in kurzer Zeit ver- braucht, und zwar auf eine Weise, die die Kapazität der Ökosysteme zur Absorption von Emissionen übersteigern würde. Ein exklusiver, durch Verträge oder offene Gewalt abge - sicherter Zugang zu Ressourcen sowie eine Externalisierung der sozial-ökologischen Kosten, die bei ihrer Nutzung anfallen, ist die conditio sine qua non der Lebensweise des globalen Nordens.“ (Brand/Wissen 2011: 24; Hervorhebung im Original) 16 | D AS H EGEMONIEPROJEKT DER ÖKOLOGISCHEN M ODERNISIERUNG Reaktion auf die ökologische Krise wird weiterhin in verschiedenen Variationen von unterschiedlichen Akteur_innen gefordert. Seit den 1990er Jahren gibt es im Niger-Delta Widerstand gegen die Ölförderung durch internationale Konzerne, die in Nigeria in besonders rücksichtsloser und zerstörerischer Form durchgeführt wird (vgl. Klein 2014: 305ff). In den Industrieländern wehren sich Bürgerinitiativen und Klimacamps mit Demonstrationen und Aktionen zivilen Ungehorsams gegen den Aufschluss neuer Tagebaue und streiten für Klimagerechtigkeit und eine demokra- tisch kontrollierte dezentrale Energiewende (vgl. Bedall 2014: 165ff; Dietz/Garrelts 2013). In Lateinamerika setzen sich Wissenschaftler_innen und indigen geprägte soziale Bewegungen für das Buen Vivir (das gute Zusammenleben) als Alternative zum konventionellen Entwicklungsmodell ein. Sie lehnen die (neo-)extraktivisti- sche Politik der exportorientierten Ressourcenausbeutung ab, die neben dem Klima auch die Lebensgrundlage der Menschen in den Abbaugebieten und lokale Ökosys- teme zerstört (vgl. Gudynas 2012). In China gibt es regelmäßig Proteste gegen schmutzige Fabriken und den Neubau von Kohlekraftwerken. Die an den Produkti- onsstandorten ansässige Bevölkerung ist nicht länger bereit, den bedingungslosen Industrialisierungskurs auf Kosten ihrer Gesundheit und der Natur mitzutragen (vgl. Klein 2014: 300, 350f). Im Oktober 2014 blockieren Bewohner_innen pazifischer Inseln in Australien den größten Kohlehafen, um Australiens Pläne zur Verdopplung der Kohleexporte und zur drastischen Steigerung der Gasgewinnung zu kritisieren. Sie fordern effektive Maßnahmen, um den Klimawandel abzuschwächen, von des- sen Folgen – dem Anstieg des Meeresspiegels sowie der Zunahme von Fluten und Stürmen – sie existenziell bedroht sind (vgl. Oels 2014). Trotz der genannten Proteste gibt es bislang keine breite, einflussreiche Bewe- gung für eine radikale Transformation der sozialen Ordnung hin zu einer klimaver- träglichen Gesellschaft. Bis dato führte die Anerkennung der ökologischen Krise als gesellschaftliche Herausforderung nicht zu einer grundlegenden Veränderung unse- rer Wirtschafts- und Lebensweise. Dies ist zum einen auf Pfadabhängigkeiten zu- rückzuführen, die beispielsweise die Bedeutung der fossilen Brennstoffe für die Wirtschaft, die zentralisierte Energieinfrastruktur, die Abhängigkeit wohlfahrtsstaat- licher Programme von stetigem Wirtschaftswachstum, aber auch „mentale Infra- strukturen“ (Welzer 2011), d. h. den Status quo erhaltende soziale Identitäten, be- treffen. Zum anderen hat sich eine Umweltpolitik etabliert, die nicht auf eine mög- lichst weitreichende Transformation gesellschaftlicher Strukturen, sondern auf die Anpassungsfähigkeiten der etablierten politischen, sozialen und ökonomischen In- stitutionen setzt. Die Überzeugung, dass die Institutionen und Strukturen der soge- nannten ‚westlichen‘ Moderne die ökologische Krise erfolgreich bearbeiten können, hat sich weitestgehend durchgesetzt und wurde zum umweltpolitischen Mainstream 1. E INLEITUNG | 17 (zum Grad der Verbreitung und des Einflusses dieses Ansatzes der ökologischen Modernisierung vgl. Kapitel 3.6). Die ökologische Restrukturierung der bestehen- den gesellschaftlichen Strukturen, die ökologische Modernisierung der Moderne, wurde damit zum Leitbild internationaler Umweltpolitik. Mit diesem Projekt der ökologischen Modernisierung ist tendenziell eine Entpolitisierung der ökologischen Krise verbunden (zum Hegemonieprojekt der ökologischen Modernisierung vgl. Kapitel 3): Das Verhältnis des Menschen zur Natur und die gesellschaftlichen Strukturen werden im ökomodernen Ansatz nicht grundsätzlich hinterfragt. Statt- dessen wird nach Lösungen gesucht, die sich möglichst unkompliziert innerhalb der gegebenen Rahmenbedingungen implementieren lassen. Der Fokus liegt dabei auf marktkonformen Anreizstrukturen, Effizienzsteigerungen und der Entwicklung neu- er Technologien. Erkenntnisinteresse: Meine Analyse des Konfliktfeldes der ökologischen Krise folgt dem Interesse, die Prozesse der Öffnung und Schließung des Terrains des Politischen zu verstehen und zielt darauf, die hegemoniale Strukturierung der ge - sellschaftlichen Naturverhältnisse offenzulegen. Im Fokus stehen damit die re- und entpolitisierenden Prozesse in den Auseinandersetzungen um die Bearbeitung der ökologischen Krise: Inwieweit werden etablierte soziale Praktiken und Struk- turen grundsätzlich hinterfragt und darüber hinaus als veränderbar und verände- rungswürdig angesehen? Diesem Erkenntnisinteresse liegt die theoretische Annah- me zugrunde, dass sich die soziale Ordnung – und damit auch die Bearbeitung der ökologischen Krise – durch Kämpfe um Hegemonie entwickelt, in denen be- stimmte Deutungs- und Handlungsmuster gegenüber anderen privilegiert werden (vgl. Kapitel 2.1). Des Weiteren beruht es auf der Überzeugung, dass es einer um- fassenden Transformation gesellschaftlicher Strukturen bedarf, um die ökologi- sche Krise adäquat bearbeiten zu können (vgl. Vorwort). 5 5 Der Fokus auf strukturverändernde Forderungen und Maßnahmen in diesem konkreten Fall impliziert aber weder eine prinzipielle Gleichsetzung von antagonistischer Politik mit Emanzipation noch ihre grundsätzliche Präferierung gegenüber reformorientierter Politik. Schließlich können auch kleinschrittige Reformprozesse zur Politisierung hege- monialer Strukturen beitragen und damit emanzipatorische Prozesse ermöglichen. Unab - hängig davon ist nicht jede antagonistische Praxis begrüßenswert und nicht alle Politisie- rungsprozesse sind emanzipatorisch (vgl. Methmann 2011: 77f). Insofern sollen hier re- formorientierte nicht gegen systemkritische Ansätze ausgespielt werden, zumal diese Un - terscheidung nur analytischer Natur sein kann und in der konkreten Praxis alle möglichen Zwischenstufen mit fließenden Übergängen zu finden sind. 18 | D AS H EGEMONIEPROJEKT DER ÖKOLOGISCHEN M ODERNISIERUNG Wie bereits angedeutet, halten sich die Erfolge des ökomodernen Projekts bislang in Grenzen. Die globalen Treibhausgasemissionen steigen stetig an. Der Preis für CO 2 - Äquivalente in den Kohlenstoffmärkten ist auf einem so geringen Niveau, dass er keine Anreize für Emissionseinsparungen bietet. Im Zuge der Wirtschaftskrisen seit 2007 (Banken-, Finanz-, Euro- und Schuldenkrisen), verlor die ökologische Krise an politischer Brisanz. Die Bereitschaft, umweltpolitische Maßnahmen zu beschlie- ßen, zu finanzieren und umzusetzen, ist gesunken, da in vielen Politikarenen die Bearbeitung der Wirtschaftskrise oberste Priorität besitzt und umweltschützende In- strumente dabei keine wesentliche Rolle spielen (vgl. Brunnengräber/Haas 2014; Haas/Sander 2013: 28; Klein 2014: 110). Der Post-Kyoto-Prozess, in dem um ein internationales Klimaabkommen im Anschluss an das Kyoto-Protokoll gerungen wird, ist seit dem Scheitern des Klimagipfels 2009 in Kopenhagen ins Stocken ge- raten. 6 Das Vertrauen in die Gestaltungsfähigkeit der Politik im Allgemeinen und in die UN-Klimaverhandlungen im Besonderen, die ökologische Krise durch umwelt- politische Maßnahmen bearbeiten zu können, ist aktuell auf einem sehr geringen Niveau. Vor diesem Hintergrund setzen die Anhänger_innen des ökomodernen An- satzes verstärkt auf Technofixes 7 (vgl. Methmann 2011: 161ff). Dabei spielen CCS- Technologien eine besondere Rolle, da sie auf dem Status quo der fossilen und zen- tralisierten Energieinfrastruktur basieren. Im aktuellen Sachstandsbericht des IPCC nimmt die Diskussion von CCS-Tech- nologien einen größeren Raum ein als in früheren Sachstandsberichten (vgl. Peter- sen 2014). Im Beitrag der Arbeitsgruppe III (Mitigation of Climate Change) zum 2014er IPCC-Bericht wird in verschiedenen Kapiteln auf die Potenziale von CCS- Technologien sowie auf mögliche Risiken und Hindernisse auf dem Weg zu ihrem 6 Verschiedene Beobachter_innen der Verhandlungsprozesse gehen zwar davon aus, dass auf der nächsten Klimakonferenz, die 2015 in Paris stattfindet, ein Abkommen verab- schiedet wird (vgl. Germanwatch 2014). Allerdings sind die daran geknüpften Erwartun- gen nicht mit den Erwartungen vergleichbar, die im Vorfeld der Kopenhagener Konferenz artikuliert wurden. Im bisherigen Verhandlungsprozess haben sich die Staaten darauf ge - einigt, dass jedes Land seine eigenen Reduktionsziele selbst festlegt. Weiterhin soll ein „verbindlicher Rahmen gesetzt werden, der Vergleichbarkeit, gegenseitige Anerkennung und regelmäßige Überprüfung sicherstellt“ (Germanwatch 2014: 6). Die von den einzel- nen Ländern bisher vorgeschlagenen Reduktionsziele sind sehr moderat, so dass sie „nicht ausreichen werden, um das Zwei-Grad-Limit zur Vermeidung eines in großem Maße gefährlichen Klimawandels einzuhalten“ (Germanwatch 2014: 6). 7 Unter Technofixes werden technologische Lösungsansätze verstanden, mit denen die Hoffnung verbunden ist, Symptome komplexer Probleme bekämpfen zu können, ohne gesellschaftliche Strukturen ändern zu müssen. 1. E INLEITUNG | 19 großflächigen Einsatz hingewiesen. Auch in der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger_innen gibt es einen eigenen Abschnitt zu CCS-Technologien, der mit folgender Einschätzung beginnt: „Carbon dioxide capture and storage (CCS) technologies could reduce the lifecycle GHG emissions of fossil fuel power plants ( medium evidence, medium agreement ).“ (IPCC 2014: 22; Hervorhebung T. K.) In der Beurteilung des Forschungsstandes („medium evidence, medium agreement“) deutet sich bereits das Konfliktpotenzial an, das CCS-Technologien bergen. Obgleich der IPCC im 2014er Bericht konstatiert, dass es noch keine kom- merzielle Anwendung von CCS-Technologien bei fossilen Großkraftwerken gebe (vgl. IPCC 2014: 22), geht er verstärkt auf die Kombination von Bioenergiekraft- werken und CCS-Technologien ein (vgl. Petersen 2014). Dabei ist dieser Anwen- dungsbereich noch weniger ausgereift, wie sich auch in der diesbezüglichen Ein- schätzung des Forschungsstandes zeigt: „Combining bioenergy with CCS (BECCS) offers the prospect of energy supply with large- scale net negative emissions which plays an important role in many low-stabilization scenarios, while it entails challenges and risks ( limited evidence, medium agreement ).“ (IPCC 2014: 22; Hervorhebung T. K.) Der IPCC betont, dass in den meisten Szenarien (in den von ihm zusammengetrage- nen Studien) CCS-Technologien für Bioenergiekraftwerke (BECCS) für die Errei- chung des Zwei-Grad-Ziels 8 eine entscheidende Rolle spielen (vgl. IPCC 2014: 13, 8 Das Zwei-Grad-Ziel besteht darin, die globale Erwärmung auf weniger als zwei Grad ge - genüber dem Niveau vor Beginn der Industrialisierung zu begrenzen. Das Ziel ist eine politische Setzung, die sich auf wissenschaftliche Szenarien über wahrscheinliche Folgen des Klimawandels beruft. Entscheidend für die Festlegung auf zwei Grad Erwärmung ist die Annahme, dass mit der Überschreitung der Zwei-Grad-Grenze sogenannte Kippunkte erreicht würden. Klimaexpert_innen gehen davon aus, dass die Erwärmung des Klimas ab einem gewissen Level sich selbst verstärkende irreversible Rückkopplungseffekte auslöst. Häufig genannte Beispiele sind das Abschmelzen des Westantarktischen Eisschildes und das Auftauen von Permafrostböden. Weder der Eintritt dieser Kipppunkte noch ihre Fol- gen sind tatsächlich vorhersehbar. Deshalb wird an dem Zwei-Grad-Ziel kritisiert, dass es eine Berechenbarkeit und Beherrschbarkeit des Klimawandels suggeriert, die mit natur- wissenschaftlichen Aussagen nicht begründet werden kann. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass mit dem Zwei-Grad-Ziel die Zerstörung der Lebensgrundlage vieler Menschen in ei - nigen Inselstaaten, Küstenregionen sowie Wald- und Trockengebieten in Kauf genommen wird.