Politik und Geschlecht herausgegeben vom Arbeitskreis Politik und Geschlecht der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft Band 30 Heike Mauer Intersektionalität und Gouvernementalität Die Regierung von Prostitution in Luxemburg Verlag Barbara Budrich Opladen • Berlin • Toronto 2018 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2018 Dieses Werk ist im Verlag Barbara Budrich erschienen und steht unter folgender Creative Commons Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/by-nc- nd/3.0/de/ Verbreitung, Speicherung und Vervielfältigung erlaubt, kommerzielle Nutzung und Veränderung nur mit Genehmigung des Verlags Barbara Budrich Dieses Buch steht im Open-Access-Bereich der Verlagsseite zum kostenlosen Download bereit (https://doi.org/10.3224/84742113). Eine kostenpflichtige Druckversion (Printing on Demand) kann über den Verlag bezogen werden. Die Seitenzahlen in der Druck- und Onlineversion sind identisch. ISBN 978-3-8474-2113-9 (Paperback) eISBN 978-3-8474-1097-3 (eBook) DOI 10.3224/84742113 Umschlaggestaltung: disegno visuelle kommunikation, Wuppertal – disegno-kommunikation.de Lektorat: Ulrike Weingärtner, Gründau – info@textakzente.de Technisches Lektorat: Judith Henning, Hamburg – www.buchfinken.com Inhalt Danksagung ................................................................................................. 11 1 Einleitung: Forschungsgegenstand, theoretische Herangehensweise und Methodik ...................................................... 13 1.1 Geschlecht und Geschlechterverhältnisse aus Sicht der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung ................................ 15 1.2 Über den Begriff der Problematisierung ............................................... 19 1.3 Forschungsansatz .................................................................................. 24 1.3.1 Die Analyse der Problematisierung von Prostitution als Beitrag zur luxemburgischen Politik-, Sozial- und Geschlechtergeschichte............................................................. 25 1.3.2 Situiertes Wissen und theoriegeleitetes Forschen ..................... 27 1.3.3 Methodische und theoretische Herangehensweise .................... 29 1.3.4 Disziplinübergreifende Perspektive .......................................... 34 1.4 Zum Aufbau der Arbeit ......................................................................... 36 Teil I: Intersektionalität und Gouvernementalität................................... 39 2 Intersektionalität – Genealogie eines umkämpften Begriffs............ 39 2.1 Intersectionality als Intervention von Black Feminism und Critical Legal Theory ............................................................................ 40 2.2 Institutionelle und politische Kontexte: von der Frauen- und Geschlechterforschung zur Intersektionalitätsdebatte ........................... 42 2.3 Intersektionalität als travelling concept : die europäische Rezeption .............................................................................................. 46 2.4 Streit um Begrifflichkeiten: die Debatte um die Über-/ Kreuzungs-Metapher ............................................................................. 49 2.5 Intersektionalität in disziplinüberschreitenden Räumen ....................... 51 3 Geteilte Grundannahmen in der Intersektionalitätsdebatte ........... 55 3.1 Die Dezentrierung von Geschlecht ....................................................... 55 3.2 Die Verbindung der Analysegegenstände ............................................. 57 6 4 Die Kontroverse um die Auswahl intersektionaler Analysegegenstände ............................................................................ 59 4.1 Welche, warum und wie viele? Erkenntnistheoretische und normative Bedeutung der Debatte ......................................................... 60 4.1.1 Die Auswahl der Analysegegenstände als erkenntnistheoretischer Konflikt............................................... 61 4.1.2 Die normative Aufladung der Auswahl von Analysegegenständen ............................................................... 64 4.2 Ausgewählte Intersektionalitätsansätze und die Begründungen ihrer Analysegegenstände ..................................................................... 66 4.2.1 Klasse, Geschlecht, ‚Rasse‘ und Körper als zentrale Kategorien kapitalistischer Produktionsverhältnisse ................ 66 4.2.2 Historische Fundierung und Bedeutungsverschiebungen von Klasse, Nationalität/Ethnizität, Geschlecht/Sexualität ....... 70 4.2.3 Gender als interdependente Kategorie ...................................... 74 4.2.4 Rassismen und Sexismen als komplexe Machtverhältnisse...... 77 4.3 Intersektionalität – ein nützliches Werkzeug für die historische Analyse?! .............................................................................................. 82 4.3.1 Zum Verhältnis von Intersektionalität und Geschichte ............. 82 4.3.2 Methodische Herausforderungen bei der Auswahl historischer Analysegegenstände .............................................. 84 4.4 Sexualität, Rassismus und Bio-Politik der Bevölkerung ....................... 86 4.5 Diskussion und Zwischenfazit .............................................................. 91 5 Die Auswahl der Analyseebenen in der Intersektionalitätsdebatte ................................................................... 95 5.1 Die Ebenenproblematik in der Intersektionalitätsdebatte...................... 95 5.1.1 Intersektionalität als praxeologische Mehrebenenanalyse ........ 96 5.1.2 Intersektionalität und die axialen Prinzipien von Gesellschaft ............................................................................ 100 5.1.3 Ebenen, Felder und intersektionale Subjektpositionen als Kontexte interdependenter Kategorien ................................... 104 5.1.4 Institutionelle, epistemische und personale Dimensionen von Rassismus und Sexismus ................................................. 106 5.2 Intersektionalität zwischen Kritik und Histoire croisée ...................... 109 7 5.3 Das Regieren und seine totalisierenden und individualisierenden Effekte ................................................................................................. 112 5.3.1 Die Pastoralmacht als Seelenführung und individualisierende Technik.................................................... 114 5.3.2 Staatsraison, Policey und Regieren ......................................... 117 5.4 Diskussion und Zwischenfazit ............................................................ 123 6 Das ungeklärte Verhältnis von Intersektionalität und Macht....... 127 6.1 Intersektionalität – erfolgreiche oder vermeintliche Kritik der Macht?................................................................................................. 127 6.1.1 Mangelnde Machtsensibilität? Kritische Stimmen zu intersektionalen Machtkonzeptionen ...................................... 128 6.1.2 Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftssensibilität als Alleinstellungsmerkmale von Intersektionalität?.................... 130 6.2 Ungleichheit, Herrschaft, Macht und Dominanz: Begriffliche Unschärfen in der Intersektionalitätsdebatte ....................................... 133 6.2.1 Intersektionalität als Analyse sozialer Ungleichheiten ........... 133 6.2.2 Gesellschaft als intersektionaler Herrschaftszusammenhang ..................................................... 134 6.2.3 Dominanzkritik ....................................................................... 136 6.2.4 Intersektionalität als Machtkritik ............................................ 139 6.3 Foucault und die Funktionslogiken von Macht ................................... 144 6.3.1 Souveränität, Disziplin und Gouvernementalität – Funktionslogiken von Macht und ihr Zusammenspiel ............ 144 6.3.2 Machtbeziehungen zwischen strategischen Spielen, Regierungstechnologien und Herrschaftszuständen ............... 150 6.3.3 Zwischenfazit.......................................................................... 153 6.4 Intersektionalität und die Foucault’sche Machtanalytik...................... 155 Teil II: Die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg ............ 159 7 Eine Gesellschaft im Umbruch: Luxemburg um 1900 ................... 161 7.1 Die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg im Kontext gesellschaftlicher Transformationsprozesse ........................................ 161 7.2 Das ‚gefährliche Milieu‘ der Prostitution regieren: zur Struktur der empirischen Untersuchung ............................................................ 166 7.3 Übersicht über den Quellenkorpus ...................................................... 168 7.4 Überlegungen zur Auswahl des Untersuchungszeitraumes................. 173 8 8 Die ‚Animierkneipen‘ – die „gefährlichsten Horte der Geschlechtskrankheiten“ und der Prostitution .............................. 177 8.1 „Wahre Unzuchtstätten“: Die Problematisierung der Prostitution in den ‚Animierkneipen‘ ..................................................................... 177 8.1.1 Die Schilderung des ‚Animierkneipenunwesens‘ durch Polizeibehörden und Öffentlichkeit ........................................ 178 8.1.2 Die ausländische Kellnerin als personifizierte Gefahr der Prostitution.............................................................................. 182 8.1.3 Von den ‚Animierkneipen‘ zu den ‚Belustigungsbars‘: Kontinuitäten der Problematisierung ...................................... 188 8.2 Das Wirtshaus als Element von Industrialisierungs-, Verstädterungs- und Migrationsprozessen .......................................... 190 8.2.1 Wohnugsnot und Wohnungselend .......................................... 190 8.2.2 Migration, Grenze und Prostitution ........................................ 193 8.3 Vergeschlechtlichte Räume: Prostitution und Wirtshaus und die Grenze zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten ....................... 196 8.3.1 Das Wirtshaus als ambivalenter Raum ................................... 196 8.3.2 Die Verkehrung der Vergeschlechtlichung des Öffentlichen und des Privaten................................................. 198 8.4 Die Gefahren der privaten Stellenvermittlung und des ‚Mädchenhandels‘ ............................................................................... 203 8.4.1 ‚Animierkneipen‘ und die Gefahren der Stellenvermittlung................................................................... 204 8.4.2 Die Sorge um die Dienstmädchen im Ausland ....................... 208 8.5 Zwischenfazit ...................................................................................... 212 9 Das un-/sittliche Kontinuum: Von der bürgerlichen Ehe über die ‚wilde‘ Ehe zur Prostitution ....................................................... 217 9.1 Prostitution und ‚wilde Ehe‘ – zwei Seiten einer einzigen Medaille?............................................................................................. 218 9.2 Arbeit, bürgerliches Geschlechterverhältnis, Prostitution und ‚wilde Ehen‘ ........................................................................................ 223 9.2.1 Die Kritik der außerhäuslichen Lohnarbeit von Frauen .......... 225 9.2.2 Die Verkehrung der geschlechtlichen Arbeitsteilung in den ‚wilden Ehen‘ ................................................................... 229 9.3 Die ‚wilden Ehen‘ in der Debatte um ausländische Zuwanderung ..... 231 9.4 Prostitution, Geschlecht und Staatsbürgerschaft: Der Fall B. ............. 237 9 9.5 Soziales und moralisches Elend als gesellschaftliche Gefahren der ‚wilden Ehen‘ ................................................................................ 241 9.6 Zwischenfazit ...................................................................................... 245 10 Theoretische Zwischenreflexion: Die Intersektionalität der Problematisierung von Prostitution ................................................ 247 11 Ein juridisches Regime? Die Strafbarkeit von Prostitution .......... 253 11.1 Paradoxien der luxemburgischen Gesetzgebung: juridische Strafbarkeit der Prostitution und unvollendete Reglementierung ....... 253 11.2 Die Ineffizienz des Verbots: Die Kritik am juridischen Strafregime der Prostitution ................................................................ 256 11.3 Disziplinarregime oder biopolitische ‚Regierung‘? Vorschläge zur Prostitutionsbekämpfung in den 1930er Jahren ............................ 263 11.4 Zwischenfazit ...................................................................................... 272 12 Ausweisung statt Strafverfahren? Die fremdenpolizeiliche Regierung der Prostitution ............................................................... 275 12.1 Fremdenpolizeigesetzgebung und Prostitution ................................... 276 12.1.1 Gesetzliche Grundlagen der fremdenpolizeilichen Maßnahmen gegen die Prostitution ........................................ 276 12.1.2 Die Regierung von Prostitution mit Hilfe fremdenpolizeilicher Regelungen ........................................... 280 12.2 Die Ausweisungspraxis wegen Prostitution 1881–1940 ..................... 286 12.3 Ausweisung auf Verdacht: Die fremdenpolizeiliche Praxis gegenüber prostitutionsverdächtigen Frauen....................................... 300 12.3.1 Die Abkehr vom juridischen Strafregime in der Praxis .......... 300 12.3.2 Die ‚Logik des Verdachts‘ als Sicherheitstechnik .................. 304 12.3.3 Fleißig, arbeitsam und unbescholten? Versuche der moralisch-integren Selbstkonstitution prostitutionsverdächtiger Frauen ............................................ 308 12.4 Bittgesuche, Zeugenaussagen, Denunziationen: Die Haltung der Bevölkerung ........................................................................................ 311 12.5 Zwischenfazit ...................................................................................... 322 13 Kranke oder Kriminelle? Die Regierung der Prostitution mit Hilfe der Sequestrierung von geschlechtskranken Frauen ............ 325 13.1 Das Sequestrationsverfahren als Instrument disziplinarischer Kontrolle ............................................................................................. 325 10 13.2 Die Verknüpfung des Sequestrationsverfahrens mit der Prostitutionsbekämpfung..................................................................... 328 13.3 Kritik und Praxis des Sequestrationsverfahrens .................................. 332 13.3.1 Zweierlei Maß statt „gleiche Moral für beide Geschlechter“? Die Kritik an der Sequestrationspraxis .......... 332 13.3.2 Die Rekonstruktion der Sequestrationspraxis anhand der fremdenpolizeilichen Dossiers ................................................ 335 13.4 Zwischenfazit ...................................................................................... 339 14 Zwischen Wirtshaus und ehelichem Haushalt. Die Reglementierung der Kellnerinnenbedienung und die Regierung des Selbst als Instrumente gegen die Prostitution........ 341 14.1 Die rechtliche Entwicklung der Reglementierung der Frauenbedienung ................................................................................. 341 14.2 Steuererhebung, Reglementierung oder Beschäftigungsverbot? Forderungen zum Umgang mit der Kellnerinnenbedienung ............... 346 14.3 Die Prostitution als Kehrseite einer mangelnden ‚Regierung des Selbst‘ ................................................................................................. 352 14.3.1 Jenseits von disziplinarischer Kontrolle und strafrechtlicher Verfolgung: Die Problematisierung der Prostitution als ‚soziales Übel‘ ............................................... 353 14.3.2 ‚Sexualaufklärung‘ und die Prävention von Geschlechtskrankheiten .......................................................... 356 14.3.3 „... daß er die gesunden Familienfreuden schätzen lernt und sie den wüsten Gelagen im Wirtshaus vorzieht“: Der eheliche Haushalt als Kampfplatz gegen die Unsittlichkeit .... 360 14.3.4 Im Dienste der Nation. Die Regierung des weiblichen Selbst als Baustein der Biopolitik ........................................... 365 14.4 Zwischenfazit ...................................................................................... 369 Teil III: Intersektionalität machtanalytisch denken: Die intersektionale ‚Regierung‘ der Prostitution in Luxemburg ......... 371 Anhang ....................................................................................................... 381 Abbildungs- und Tabellenverzeichnis......................................................... 381 Literatur- und Quellenverzeichnis............................................................... 382 Literaturverzeichnis ............................................................................ 382 Verzeichnis der archivarischen Quellen .............................................. 411 11 Danksagung Die vorliegende Arbeit ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Oktober 2015 an der Universität Luxemburg vorgelegt habe. Finan- ziell wurde diese Forschungsarbeit durch die Förderung des Fonds National de la Recherche im Rahmen des Programms ‚Aides à la Formation-Recherche‘ ermöglicht. An erster Stelle bedanke ich mich sehr herzlich bei Christel Baltes-Löhr für die ausgezeichnete Betreuung und prozessorientierte Begleitung meines Vor- habens, das mir den Raum und den Rahmen für meine Forschung gegeben hat. Ebenso möchte ich mich bei Sonja Kmec und Winfried Thaa sehr herzlich für ihre Unterstützung als Mitglieder des Promotionskommitees in Form von Dis- kussionen, kritischen Fragen und Kommentaren bedanken. Zugleich geht ein herzlicher Dank an Birgit Sauer und Benoît Majerus, die die Arbeit als Jury- mitglieder begutachtet haben und mir während ihres Entstehungsprozesses im- mer wieder mit Rat und Tat zur Seite standen. Die Promotion ist als Teil des Projekts PARTIZIP 1 entstanden, das von 2009-2012 „Nationenbildung und Demokratie“ in Luxemburg aus einer histo- rischen Perpsektive untersucht hat. Ein großer Dank geht an meine ehemaligen Kolleginnen und Kollegen im Projekt, insbesondere an Norbert Franz und Renée Wagener, die mich mit der Archivarbeit sowie mit der luxemburgischen Sozial- und Arbeitergeschichte vertraut gemacht haben. Ebenso möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen des disziplin- übergreifenden Projekts IDENT 2 und insbesondere den Mitgliedern der AG Politiken für die fruchtbaren Diskussionen über Foucault bedanken. Bei der Archivarbeit wurde ich bei der Erfassung des über 10.000 Be- schlüsse umfassenden Bestandes der Ausweisungsbeschlüsse bei den Jahrgän- gen 1920–1940 durch Thomas Kolnberger unterstützt, dem ich ebenfalls zu Dank verpflichtet bin. Ohne die Unterstützung von meiner Familie und meinen FreundInnen wäre dieser Arbeit womöglich weder geschrieben noch beendet worden. Für ihre bedingungslose Unterstützung und Begleitung bedanke ich mich von ganzem Herzen bei Michel und Pascale Marie Dormal, bei Marianne und Otto Mauer, bei Claudia Heß, bei Nina Göddertz, der WG und der DISS-Gruppe sowie bei Eva Jullien. 13 1 Einleitung: Forschungsgegenstand, theoretische Herangehensweise und Methodik Der empirische Gegenstand der hier vorliegenden Forschungsarbeit ist die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg. Möglicherweise weckt dies die Erwartung, die theoretische Perspektive dieser Arbeit müsse vor allem die Kategorie Geschlecht und die Geschlechterverhältnisse analysieren, da diese gegenwärtig den zentralen Rahmen der gesellschaftlichen Diskussion über Prostitution bilden. So bewirbt etwa die deutsche Frauenzeitschrift EMMA (2013a) ihre Kampagne zur „Abschaffung der Prostitution“ mit dem Slogan „Prostitution. Frauenkauf. Geht gar nicht“. Auf diese Weise verknüpft sie Pros- titution mit dem Kauf von Frauen durch Männer, also mit dem Geschlechter- verhältnis. Nun plädiert diese Arbeit nicht dafür, die Geschlechterverhältnisse auszu- blenden, sondern argumentiert, dass die Analyse von Prostitution intersektio- nal erweitert werden muss. Dies bedeutet, Geschlecht nicht isoliert, sondern in seinen vielfältigen Verknüpfungen mit anderen Machtdimensionen zu begrei- fen. So unterstellt der Slogan „Prostitution. Frauenkauf. Geht gar nicht“ zum einen, dass es immer Frauen sind, die durch die Prostitution ‚gekauft‘ werden. Die Existenz von gleichgeschlechtlicher Prostitution oder die Tatsache, dass Personen, die in einem ‚heterosexuellen Setting‘ in der Prostitution arbeiten, sich jedoch gar nicht als weiblich identifizieren, wird komplett ausgeblendet. 1 Zugleich suggeriert der Slogan, dass das Problematische an Prostitution der Kauf von Frauen ist – also eine Handlung von Männern. Dadurch geraten aber ökonomische Strukturen, die zur Prekarisierung von Frauen beitragen, völlig aus dem Blick. So scheint dieser Logik zufolge das Problem zu verschwinden, sobald ein Mann eine Frau nicht als Prostituierte, sondern als Putzfrau mit Niedriglohn beschäftigt. Auch das globale Wohlstandsgefälle und die damit zusammenhängenden staatlichen Migrationsregime werden durch die vorge- nommene Reduktion ignoriert. So blendet der Slogan u. a. aus, dass gegenüber 1 So ist der Encyclopedia of Prostitution and Sex Work zufolge der Anteil von transgeschlecht- lichen Personen in der Sexindustrie besonders hoch. Dies wird auch auf die Diskriminie- rungserfahrungen zurückgeführt, mit denen transidente Menschen auf dem regulären Ar- beitsmarkt konfrontiert sind, da sie die zweigeschlechtliche Norm nicht erfüllen (Ryan 2006, 499). Auch in einer Studie des Gleichstellungsministeriums über die Situation im Großherzogtum aus dem Jahr 2007 werden von den 30 dazu interviewten Prostituierten fünf Personen (d. h. mehr als 16 Prozent) nicht als weiblich, sondern als „Transsexuelle“ bzw. als „Transvestit“ bezeichnet (Rodesch und Rossler 2007, 12). Hierbei ist jedoch problematisch, dass aus der Untersuchung nicht hervorgeht, ob die gewählten Begrifflichkeiten Zuweisungen der Auto- rinnen darstellen oder auf Selbstbezeichnungen beruhen. Dennoch zeigen sie, dass zumindest für die Gegenwart nicht ohne Umschweife unterstellt werden kann, dass es bei der Prostitu- tion ausschließlich um ‚Frauenkauf‘ geht. 14 Prostituierten begangene Menschenrechtsverletzungen und Straftaten auch durch existierende Migrationsregime begünstigt werden. Dies ist dann der Fall, wenn ausländische Betroffene über keinen legalen Aufenthaltsstatus verfügen und aus Furcht vor ihrer Abschiebung den Kontakt zu Behörden meiden und keine polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen (vgl. exemplarisch Howe 2004). Obwohl der ausführlichere Appell der EMMA- Redaktion (2013b) – anders als der Slogan – auf einige der hier angesprochenen Zusammenhänge eingeht, re- duziert er diese dennoch einzig und allein auf das Geschlechterverhältnis. Zu- gleich bedient sich der Appell einer rassistischen Sprache, indem der Appell Prostitution als „white slavery“ bezeichnet. 2 Um diese skizzierten Verwobenheiten theoretisch und analytisch fassbar zu machen und ein angemesseneres Verständnis des sozialen Phänomens der Prostitution und dessen politischer Regulierung zu entwickeln, arbeite ich im theoretischen Teil dieser Arbeit eine intersektionale Perspektive heraus. Insbe- sondere werde ich darlegen, warum Intersektionalität um die Foucault’sche Machtanalytik ergänzt werden sollte und wie diese theoretische Erweiterung zugleich als Methodik zur historisch-empirischen Analyse der Problematisie- rung von Prostitution genutzt werden kann. In der bisherigen Darstellung von Prostitution war bereits impliziert, dass sie auch ein Machtverhältnis darstellt. Während der EMMA -Slogan dieses Machtverhältnis auf die Beziehung zwischen Frauen und Männer reduziert, er- möglicht es eine intersektionale Perspektive, die komplexen Zusammenhänge von Geschlecht, Sexualität, heterosexuellen und zweigeschlechtlichen Nor- men, Migration und Ökonomie zusammen in den Blick zu nehmen, die die gegenwärtigen Prostitutionsverhältnisse prägen (vgl. hierzu etwa Le Breton 2011; Nautz und Sauer 2008). Eine intersektionale Perspektive auf politische Machtverhältnisse ist allerdings bislang in der deutschsprachigen Intersektio- nalitätsforschung theoretisch nur ungenügend verfolgt worden. Dies liegt u. a. daran, dass dort bislang soziologische Zugänge dominieren, die ihr Hauptau- genmerk auf die Erklärung von intersektionalen Ungleichheitslagen richten. Dabei geraten jedoch – so meine These – politische Machtverhältnisse und ihre Funktionslogiken aus dem Blick. Deshalb schlage ich im theoretischen Teil dieser Arbeit die Erweiterung der intersektionalen Perspektive um eine Macht- analytik vor, wie sie Michel Foucault (2006a, 2006b, vgl. ferner auch Foucault 2 Die Begriffe white slavery und white slave trad e (franz. traite des blanches ) entstanden im 19. Jahrhundert und bezeichnen einen organisierten, internationalen Handel von weißen Frauen und Mädchen, die diesem Diskurs zufolge in die Zwangsprostitution verschleppt wur- den. Seit seinem Entstehen ist der Begriff sowohl rassistisch als auch antisemitisch konnotiert und zudem eng mit Migrationsprozessen und der Geschichte des Kolonialismus verbunden. Obwohl die Bekämpfung des white slave trade Eingang in die Verträge des Völkerbundes und in nationale Gesetzgebungen geführt hat, ist bis heute umstritten, welches Ausmaß dieser Frauenhandel hatte bzw. ob das Phänomen vor allem als moral panic interpretiert werden muss. Vgl. hierzu Whyte (2013, 130ff.), Devereux (2006) sowie ausführlich Chaumont (2009). 15 2001, 1984b, 1982b, 1981) u. a. in seinen Vorlesungen über die Geschichte der Gouvernementalität vorgeschlagen hat. Mit Gouvernementalität bezeichnet er eine ganz bestimme Logik der Macht, deren Funktionsweise maßgeblich auf Freiheit, Selbstführungs- und Sicherheitstechniken beruht und die er sowohl von der Disziplinarmacht als auch von souveränen bzw. juridischen Machtlo- giken unterscheidet. Aus dem bisher Dargestellten ergibt sich, dass in dieser Arbeit die Prosti- tution aus einer Perspektive analysiert wird, die Geschlecht mit anderen Machtverhältnissen zusammendenkt. Welche Machtverhältnisse bei der Prob- lematisierung von Prostitution in Luxemburg eine konkrete Rolle spielten, muss hier zunächst offenbleiben und bedarf sowohl der theoretischen wie der historisch-empirischen Reflexion, die im Verlauf dieser Arbeit geleistet wird. Bislang wurde hier der Begriff Geschlecht so verwendet, wie er im alltäg- lichen Sprachgebrauch geläufig ist. Was unter Geschlecht und unter Ge- schlechterverhältnissen genau zu verstehen ist, ist kontoverser Gegenstand der Frauen- und Geschlechterforschung. Im Angesicht der Vielzahl disziplinärer Zugänge, geschlechtertheoretischer Richtungen und feministischer Strömun- gen ist es jedoch unmöglich, alle Definitionen von Geschlecht vorzustellen und zu diskutieren. 3 Deshalb wird in der folgenden Darstellung der Fokus auf die sozialwissenschaftliche und speziell auf die politikwissenschaftliche Ge- schlechterforschung gelegt. 1.1 Geschlecht und Geschlechterverhältnisse aus Sicht der politikwissenschaftlichen Geschlechterforschung Die Grundlage der gegenwärtigen theoretischen Auseinandersetzung mit Ge- schlecht ist die von der Frauen- und Geschlechterforschung entwickelte analy- tische Trennung zwischen dem biologischen ( sex ) und dem sozialen ( gender ) Geschlecht. 4 Diese Trennung ermöglichte die Entkoppelung körperlicher Dif- ferenzen ( sex ) von den jeweils historisch-spezifischen Ausgestaltungen der 3 So unterscheidet die Politikwissenschaftlerin Ellen Krause (2003, 35ff.) psychoanalytische, objektbeziehungstheoretische, sozialpsychologische, rollentheoretische, sozialisationstheo- retische, konstruktivistische, interaktionistische, gesellschaftstheoretisch-strukturalistische, systemtheoretische, poststrukturalistische, dekonstruktive und queerfeministische Ansätze sowie die Männlichkeitsforschung und den Schwarzen Feminismus, die distinkte Beiträge zur Analyse von Geschlecht geleistet haben. Sicherlich ließe sich diese Liste um weitere An- sätze ergänzen. 4 Diese Unterscheidung stammt ursprünglich aus der US-amerikanischen Geschlechterfor- schung. Im deutschsprachigen Raum wurden die Begriffe sex und gender aufgegriffen, da hierdurch die Differenzierung zwischen körperlich-somatischen und gesellschaftlichen, so- zialen und politischen Aspekten von Geschlecht auch begrifflich unterscheidbar wurde. 16 Geschlechterdifferenz im Sinne von sozialen und politischen Verhältnissen und den damit verbundenen vergeschlechtlichten Rollenerwartungen ( gender ) (vgl. Krause 2003, 25ff.). Hierfür hatte Simone de Beauvoir (1949, 13) bereits früh die Formulierung „on ne naît pas femme, on le devient“ – „man wird nicht als Frau geboren, man wird zu ihr gemacht“ – geprägt und so die bürgerliche Geschlechterordnung einer kritischen Reflexion zugänglich gemacht. Allerdings wurde das Verhältnis zwischen sex und gender seit Ende der 1980er Jahre durch weitere Forschung verkompliziert, so dass die Dichotomie zwischen einem biologischen und einem kulturell und historisch kontextuali- sierten sozialen Geschlecht nicht mehr aufrechtzuerhalten war. Vielmehr wurde „der biologische Dimorphismus selbst, die körperliche Zweigeschlecht- lichkeit“, von nun an als eine „ kulturell spezifische Form der Klassifikation“ verstanden (Knapp 2011a, 69, Hervorhebung H.M.). Als eine der Ersten sprach die Historikerin Joan Scott (1986, 1067) von gender als einem „constitutive element of social relationships based on percei- ved differences between the sexes“. Diese Definition ist insofern wegweisend, als dass sie von wahrgenommenen Unterschieden spricht und damit betont, dass auch das biologische Geschlecht immer bereits sozial, politisch, historisch und kulturell vermittelt und eine hervorgebrachte Konstruktions- und Interpre- tationsleistung ist. 5 Zugleich ist gender „a primary way of signifying relation- ships of power“ (ebd.). Scott betont also die Bedeutung von gender für die Kennzeichnung und Analyse gesellschaftlicher Machtbeziehungen. Für eine politikwissenschaftlicher Analyseperspektive hebt Birgit Sauer (2001, 44ff.) die folgenden fünf Dimensionen von Geschlecht als einer „struk- turierenden und als strukturierte Kategorie“ hervor: Erstens wird Geschlecht in dem eben skizzierten Sinn von gender als eine soziale Konstruktion sowie als symbolische Ordnung zur Herstellung gesell- schaftlicher Differenzen begriffen (Sauer 2001, 44ff.). Geschlecht ist nicht in erster Linie eine „körperliche Seinsform“, sondern ein „ Wissen um körperliche Differenz“. Demzufolge sind vergeschlechtlichte Körper politisch hergestellte Effekte. Zugleich ist Geschlecht Sauer (2001, 45) zufolge ein produktives „ Verfahren zur Herstellung von sozialer und politischer Unterschiedlichkeit, von politischer Zweigeschlechtlichkeit“. Indem die Geschlechter hierarchisiert werden und geschlechtliche Differenzen die Grundlage für Dominanzen bil- den, wird mit Geschlecht auch politische Ungleichheit hergestellt (ebd., 45f.). Insofern stellt Geschlecht zweitens ein „soziales Gliederungs- und Struk- turprinzip“ dar, welches „Hierarchien, Segmentationen und Marginalisierun- gen hervorbringt“ (ebd., 46). Männer und Frauen werden als Genus-Gruppen sozial verortet und Geschlecht wird zu „ein[em] Begriff sozialer Schichtung“ und zu „ein[em] strukturelle[n] Indikator von sozialen und politischen Un- 5 Entsprechend kritisiert Andrea Griesebner (1999, 129), dass die analytische Trennung von sex und gender die Naturalisierung von sex fortschreibt und es der Historisierung entzieht. 17 gleichheitslagen“. Diese Geschlechterordnung muss als „historisch gewach- sene Form der Organisation, des Erlebens und der symbolischen Reproduktion von Gesellschaft und Politik“ verstanden werden. Insofern ist sie nicht als „kontingent“, sondern als „notwendig“ zu verstehen. Die Kategorie Geschlecht begründet somit letztlich ein Herrschaftssystem (Sauer 2001, 46). Geschlecht besitzt drittens eine subjektive Handlungsdimension. Als eine Dimension personaler Identität wirken alle Individuen in ihren alltäglichen Praxen an der Herstellung von Geschlecht mit (ebd., 47). Viertens ist Geschlecht als eine relationale Beziehung und als ein soziales Verhältnis zu begreifen, das nicht auf die personale Interaktion zwischen Men- schen zu reduzieren ist (ebd., 47f.): „[D]as Geschlechterverhältnis [beschreibt] Männer und Frauen innerhalb gesellschaftlicher Abhängigkeiten, wie sie sich beispielsweise (...) im ungleichen Zugang von Frauen zu öko- nomischen, kulturellen, sozialen und politischen Ressourcen niederschlagen“ (Sauer 2001, 48 mit Bezug auf Becker-Schmidt). 6 Sauer spricht von den Geschlechterverhältnissen auch im Sinne eines (histo- risch und kulturell gewachsenen) politischen Regimes, das die Zugänge zu po- litischer Macht definiert und das Verhältnis zwischen den politischen Macht- habern und den dieser Macht Unterworfenen bestimmt: „Ein Geschlechterre- gime ist die formelle und informelle Organisation der politischen Machtzen- tren entlang der Geschlechterdifferenz“ (ebd., 48). Kennzeichnend für die Ge- schlechterregime moderner Gesellschaften sind ihr zufolge zwei grundlegende strukturelle Spaltungen: „(...) diejenigen zwischen öffentlich und privat sowie zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit“ (ebd.). Schließlich fasst Sauer (2001, 49) Geschlecht fünftens als Diskurs und im Sinne Bourdieus als Habitus auf. Dies verweist darauf, dass sich Subjekte das Wissen über ihre geschlechtliche Differenz immer wieder aneignen müssen und dabei jedoch auf Wissens- und Interpretationsstrukturen zurückgreifen müssen, die ihrem unmittelbaren Zugriff entzogen sind und die sie durch diese Aneignungsprozesse zugleich reproduzieren. Überdies betont Sauer (2001, 51), dass mit einer solchen gesellschaftsthe- oretischen Fundierung von Geschlechterverhältnissen auch andere „gesell- schaftliche Konfliktstrukturen wie Klassenlage, Ethnizität und kultureller Hin- tergrund deutlicher in den Blick“ geraten. Dies führt sie an dieser Stelle aller- dings nicht weiter aus, soll jedoch im Folgenden mit dem Intersektionalitäts- ansatz erörtert werden. 6 Der Begriff des Geschlechterverhältnisses lehnt sich an die Marx’sche Terminologie des Klassenverhältnisses als einer gesellschaftlichen Beziehung, die sachlich vermittelt ist, an. Diese Analogie verweist auf die gleichzeitige Entstehung moderner Klassen- und Geschlech- terverhältnisse, ohne hierbei eine Ableitbarkeit des einen aus dem anderen zu behaupten (Sauer 2001, 48). 18 Seit einigen Jahren wendet sich die Geschlechterforschung verstärkt der Queer Theory zu, die eine radikale Kritik an Heteronormativität und Zweige- schlechtlichkeit formuliert. Dadurch werden in der Forschung bislang kaum beachtete Phänomene wie Transidentität und Intersexualität sichtbar gemacht, die in den bisher referierten Überlegungen zu Geschlecht als politikwissen- schaftlicher Analysekategorie weitestgehend unsichtbar blieben. 7 Auch diese theoretischen Weiterentwicklungen gehen auf die Differenz von sex und gen- der zurück. Für die Queer Theory lieferte Judith Butlers (1990) Buch Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity wichtige Erkenntnisse. 8 Butlers Kritik setzt an den Konstruktionsprozessen der Geschlechterbinarität selbst an, indem sie nachdrücklich betont, dass es nicht möglich ist, die Konstruktion des bio- logischen Geschlechts aus einem sprachlichen – und damit sozialen – Kontext herauszulösen; dass also die Konstruktion von sex schon immer bereits gender enthält (Butler 1990, 7). Obwohl innerhalb der heteronormativen Ordnung, sex , gender und Begehren ( desire ) als notwendigerweise miteinander ver- knüpft erscheinen, entpuppt sich sex in der Analyse als diskursives Konstrukt von gender (Butler 1991, 46). Im Diskurs erscheint sex jedoch als vordiskursiv und quasi-natürlich. Durch die Koppelung von sex und gender an ein hetero- normatives Begehren entstehen zugleich vermeintlich ‚deviante‘ Sexualitäten, während dritte, vierte und weitere Geschlechter theoretisch undenkbar – und 7 Aus politiktheoretischer Hinsicht hat sich Ludwig (2011) mit der Konstruktion von Staatlich- keit, Geschlecht und Heteronormativität auseinandergesetzt. Mit Queering Demokratie (Be- ger u. a. 2000) widmet sich ein Sammelband zudem ganz unterschiedlichen Aspekten „sexu- eller Politiken“. Vgl. zur Queer Theory einführend auch Jagose (2001), zum Verhältnis von Queer Theory und Intersektionalität vgl. Dietze, Haschemi Yekani und Michaelis (2007), zum Begriff der Heteronormativität vgl. Wagenknecht (2007). Vgl. zu Intersexualität und Transidentität die Beiträge in dem von Baltes-Löhr und Schneider (2014) herausgegebenen Sammelband. Darin kritisiert Baltes-Löhr (2014) die mangelnde begriffliche Klarheit als ei- nen Ausdruck von Heteronormativität, die dazu führe, dass „alles, was nicht als hetero gilt, leicht unter einer anderen Kategorie subsumiert wird“ (ebd., 19), und weist auf die häufige Verknüpfung sowohl von Intersexualität als auch von Transidentität mit Homosexualität hin. Vgl. zum Verhältnis von Queer Theory, Transgender- und Intersexaktivismus auch Butler (2011). 8 Gender Trouble löste in der deutschsprachigen Geschlechterforschung eine veritable Kont- roverse aus. Die entstehende Queer Theory feierte Butlers grundlegende Dekonstruktion von Geschlecht als radikale Theorie der Befreiung, während andere Forschende kritisierten, dass ihre Theorie die Grundlagen und Möglichkeiten feministischen-politischen Handelns zusam- men mit dem Subjekt des Feminismus, den Frauen, zerstöre (Knapp 2011a, 83f.). Vgl. für diese Kritik im deutschsprachigen Raum etwa die Beiträge des Themenschwerpunkts „Kritik der Kategorie ‚Geschlecht‘“ der Feministischen Studien von 1993, insbesondere Duden (1993), sowie Annuß (1996). Für eine aktualisierte Kritik an der Butler’schen Position vgl. Fraser (2009) und Soiland (2005, 2010). Zur Rezeptionsgeschichte vgl. Hark (2005a, 269ff.). 19 medizinisch unsichtbar gemacht – werden. Auf diese Weise werden in der ge- genwärtigen Gesellschaft Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität nor- malisiert. 9 Demgegenüber schlägt Baltes-Löhr (2014) die Entwicklung einer inkludi- erenden Definition von Geschlecht vor, um der Pluridimensionalität, der Poly- polarität, der Intersektionalität und der historischen Situiertheit des gegenwär- tigen Geschlechterkontinuums gerecht zu werden. In diesem normativen Ent- wurf bleibt jedoch die Frage offen, wie das binäre, zweigeschlechtlich und he- teronormativ strukturierte Geschlechterverhältnis, das den Gegenstand der Ge- schlechterforschung bildet, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch über- wunden werden kann. Zwischen ihrem Anspruch, die Komplexität und Viel- fältigkeit von Vergeschlechtlichung sprachlich differenziert zu erfassen und der materiellen, d. h. politisch-rechtlichen und sozialen, Ausgestaltung der Ge- schlechterverhältnisse, existiert eine Lücke, die – wie mir scheint – allein dis- kursiv nicht geschlossen werden kann. Es lässt sich bilanzierend festhalten, dass sich hinter dem Begriff Ge- schlecht mit seiner scheinbaren alltäglichen Selbstverständlichkeit facettenrei- che Dimensionen verbergen. Der knappe Überblick über die Erkenntnisse der politikwissenschaftlichen Frauen- und Geschlechterforschung zeigt, dass Ge- schlecht nicht nur eine Dimension der personalen Identität darstellt, sondern auch mit Prozessen der gesellschaftlichen Strukturierung und insbesondere mit politischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen assoziiert ist. Für das Folgende schlage ich eine Herangehensweise vor, die, anstatt eine eigene Definition von Geschlecht theoretisch zu entwickeln, ihren Ausgangs- punkt in einer Perspektive der Problematisierung nimmt. Hierdurch wird zu- gleich ersicht